Der chaldäische Zauberer
Der chaldäische Zauberer.
Es war im zweihundertneunundneunzigsten Jahre der christlichen Zeitrechnung. Ein wolkenloser Octobertag war eben zu Ende gegangen; hinter dem weitgestreckten Kamm des Berges Janiculus glühte der Abendhimmel; auf den Plätzen aber und Straßen wogte die Bevölkerung der Weltstadt bereits durch ein bläuliches Zwielicht, und gelbrothe Lampen glänzten rauchumqualmt aus den Tabernen der giebelreichen Subura.
Vom querquetulanischen Thore herkommend, bog ein Jüngling, die weiße Toga über den Schultern, in die cyprische Gasse ein. Die Art seines Dahinschreitens hatte etwas Befremdliches. Bald nämlich stürmte er hastig vorwärts, wie ein Mensch, der ungeduldig einem längst ersehnten Ziele entgegenstrebt; bald sah er sich zögernd um, oder blieb einige Sekunden lang stehen, als ob’s ihn gereue. An den Bädern des Titus vorüberkommend, gewahrte er eine andere Jünglingsgestalt, die von links her, wo eine Seitengasse in den Vicus Cyprius einlief, gesenkten Hauptes auf die Lavaplatten des Dammes trat und, nur wenige Ellen von ihm entfernt, die gleiche Richtung verfolgte. Näher zuschauend, erkannte er in den blassen Zügen des Ankömmlings einen Freund.
Fast anderthalb Monate hatte er den liebenswürdigen Lucius [231] Rutilius nicht zu Gesicht bekommen; denn die Lebensführung der Beiden war eine grundverschiedene. Wenn Rutilius, der Sohn eines reichen Senators, sich mit Vorliebe in den auserlesenen Kreisen der Weltstadt bewegte, die Theater, die Wettrennen und die Kampfspiele der Arena besuchte, den Sommer hindurch bald sein etrurisches Landgut mit den Wasserfällen von Tibur, bald das Ufer des bajanischen Golfs mit dem von Antium vertauschte, so hielt sich Cajus Bononius, der Sohn eines Ritters, ziemlich abgeschlossen in der Einsamkeit seines Studirgemachs und erlaubte sich höchstens während der heißesten Monate eine kurze Uebersiedelung nach dem weltberühmten Spiegel Diana’s, jenem traulich verschwiegenen See im nahegelegenen Albanergebirge, wo er ein bescheidenes Gärtchen besaß. Trotz dieser Verschiedenheit ihres äußeren Auftretens hegten die beiden jungen Leute eine tief gewurzelte Sympathie für einander. Lucius Rutilius schätzte die umfassenden Kenntnisse, den unersättlichen Wissensdurst und die stolze Unabhängigkeit des Cajus Bononius; dieser aber wußte sehr wohl, daß Rutilius all’ den Glanz des großstädtischen Lebens nicht mit den Augen des rohen Genußmenschen, sondern mit denen des Poeten beschaute; daß er sich an der Farbenpracht und dem Luxus der ewigen Roma ergötzte wie der schaffende Künstler an den Lichteffecten der Landschaft; daß er inmitten dieses brausenden Strudels sich ein warmfühlendes Herz und eine edle Selbstlosigkeit bewahrt hatte.
Da er ihn anrief, hob Lucius Rutilius, wie aus tiefen Gedanken emporfahrend, das schwärzlich umlockte Haupt. Eine heftige Röthe, selbst in der beginnenden Dämmerung ersichtlich, stieg ihm zur Stirn auf, als habe ihn der Andere auf verbotenen Wegen ertappt.
„Du bist’s, Bononius?“ sagte er stotternd. „Trifft man Dich auch einmal in der Schaar der Spaziergänger? Hier freilich in der vornehmen cyprischen Gasse ist’s einsam genug, sodaß Du selbst im Lustwandeln Deiner Neigung für die Abgeschiedenheit fröhnen kannst.“
„In der That,“ versetzte Cajus Bononius, „ich habe die letzten Wochen hindurch allen Verkehr gemieden; denn mich beschäftigten wundersame Probleme. – Du aber – was führt Dich um diese Tagesstunde so ohne jeden Begleiter in dieses Viertel der Schweigsamkeit? Sonst pflegtest Du um diese Zeit noch zu Tisch zu liegen – pästische Rosen im Haar, die glühenden Lippen am schöngeschliffenen Murrhagefäß – wenn nicht gar auf dem Nacken einer jugendstrahlenden Freundin –“
Lucius erröthete abermals.
„Das ist anders geworden,“ sprach er, zu Boden schauend.
„Wie?“ fragte Cajus Bononius verwundert. „Mein Lucius hätte den Freuden der Zechgelage und dem Glanze blumenduftiger Triclinien entsagt?“
„Nicht ganz – aber was Du von dem Nacken einer lieblichen Freundin bemerktest … Du brauchst nicht zu lächeln, Cajus! In voller Wahrheit: während der letzten Monate hat sich in dieser Hinsicht ein Umschwung vollzogen, der – wie soll ich nur sagen – ?“
„Wie Du sagen sollst? Wie Du denkst! Die Verlegenheit Deiner Rede aber bekundet mir deutlich, wie sehr Du bemüht bist, Deine Gedanken eher zu verschleiern, als zu enthüllen. Geh’, Lucius! Hast Du so ganz vergessen, daß wir nicht nur beim goldnen Falernerwein uns Freundschaft und Treue gelobt haben? daß unsere Beziehungen tiefer wurzeln? Wenn sich Dinge ereignet haben, die auf Deinen Charakter, Deine Weltanschauung von Einfluß gewesen, so laß mich wissen, was Dich ergriff; denn als ernster Freund, wenn auch als halb entbehrlicher, hab’ ich ein Anrecht auf Dein unbegrenztes Vertrauen. So wahr ich lebe, Du machst mir völlig den Eindruck, als handelte es sich hier um Bedeutsames! Rede, mein Lucius! Hast Du Dich im Widerspruche mit Deiner ganzen Vergangenheit auf das Studium der Philosophie geworfen? Bist Du mit irgend einer Heiligen von der Secte der Nazarener in Berührung gekommen und hast so Geschmack gewonnen an den schönen Legenden des Orients?“
„Nichts von alledem,“ seufzte Lucius, den Freund beim Arme ergreifend und langsam in der Richtung der Subura mit sich hinwegziehend. „Du wirst mich auslachen, wenn Du erfährst, wie es Deinem unverwüstlichen Epicuräer schließlich dennoch ergangen ist … Ja, Du hast Recht, Cajns: thöricht wäre es, wenn ich vor Dir, dem Getreuen, verbergen wollte, was Dein Scharfblick dennoch errathen würde … So wisse denn – aber zeihe mich nicht der Schwäche –: ich bin sterblich verliebt – nicht nur mit den Augen, wie ehedem, sondern mit Leib und Seele, ein zweiter Troilus, ein Leander, der die Brandung aller Meere durchschwimmen möchte, um seine Hero endlich in die Arme zu schließen.“
„So hast Du öfter geredet,“ lächelte Cajus.
„Geredet, aber niemals empfunden. Der beste Beweis für die Echtheit meiner Gefühle liegt für mich selbst in dem Ungestüm, mit dem ich verlange, das geliebte Mädchen als Gattin über meine Schwelle zu führen. Du weißt, Cajus, ‚Heirathen‘ war mir ehedem ein schreckliches Wort: jetzt aber, seitdem ich Hero gesehen – sie heißt wirklich Hero und ist die Tochter eines vornehmen Sicilianers – seitdem kenne ich mir nichts Holderes als die Fackel des Hymen, und voll Sehnsucht harre ich der Minute, die trotz aller Schwierigkeiten und Mißgeschicke uns endlich vereinigen soll.“
„Schwierigkeiten?“ wiederholte Bononius, stehenbleibend. „Weigert Hero ihrem Leander die heißersehnte Gewogenheit? Hat der schöne Rutilius zum ersten Male umsonst geworben?“
Lucius Rutilius blickte nach dem westlichen Himmel, wie Einer, der den Stand der Gestirne prüft.
„Es ist noch Zeit,“ murmelte er vor sich hin.
Dann zu Bononius gewandt:
„Umsonst geworben? Nein – und dennoch, es ist beinahe so, als hätt’ ich umsonst geworben! Dieser Widerspruch scheint Dir ein Räthsel? Wenn Dir’s gefällt, so sollst Du Alles erfahren – nur hier nicht, wo die Vorübergehenden wieder zahlreicher werden, wo ein Lauscher meine Worte mißbrauchen könnte. In einer Stunde etwa habe ich Geschäfte am Nordhange des quirinalischen Hügels – bis dahin laß uns hier drüben rechts in der patricischen Gasse das Haus meines Oheims Publius Calpurnius betreten. Der Mann ist heute bei Cajus Decius zu Gaste: im Säulenhofe wandeln wir ungestört – und ehrlich gesagt, mich selber verlangt darnach, Dir mein Herz auszuschütten und Deine Rathschläge einzuholen.“
Bononius zögerte. Er schien im Stillen eine rasche Berechnung zu machen.
„Gut!“ sagte er endlich. „Wenn’s nicht zu lange währt … Du wirst’s nicht verübeln, wenn ich Dir sage, daß auch ich in spätestens einer Stunde …“
„O – in zehn Minuten hab’ ich Dir Alles aus einander gesetzt.“
Er zog den Freund, rechts abbiegend, mit sich hinweg. Kurze Zeit darnach pochten sie an die Pforte eines geräumigen Wohnhauses. Der Pförtner stieß den Riegel zurück, neigte sich und ließ die beiden Jünglinge durch den Thürgang in’s Atrium (Empfangsraum).
Das Haus des Publius Calpurnius war eines jener mächtigen Luxusbauwerke, die an Ausdehnung mit den weitgestreckten Palästen, wie sie der Kaiser Diocletian in Salona und Nicomedia aufführen ließ, wetteifern zu wollen schienen. Von außen nicht allzu prunkvoll und von mäßiger Frontbreite, entwickelte es gleich hinter dem Atrium die überraschendsten Größenverhältnisse, indem es nach rechts und links über das natürliche Terrain der Nachbarhäuser hinausgriff und sich nach der Böschung des Hügel zu stetig verbreiterte.
Cajus Bononius, der die Wohnungen der römischen Großen beinahe absichtlich mied, so oft sich auch Lucius – wenigstens früher – bemüht hatte, den Freund in das weltstädtische Leben und Treiben hereinzuziehen – durchmusterte nicht ohne staunende Neugier diese glanzgeschmückte Umgebung, die Hallen der beiden Höfe, wo ein Dutzend buntgekleideter Sclaven eben die Kandelaber in Brand setzte, die farbenstrotzenden Wandgemälde, die Portraitstatuen – Männer in ziemlich unrömisch aussehenden Aermelgewändern und Frauen mit hochrealistisch gemeißelten Haartrachten, die genau so aussahen, als habe die neueste Frisur einer modischen Circusbesucherin dem Bildhauer als Modell gedient.
In der That versicherte Lucius, diese Haartrachten seien beweglich und könnten, je nachdem es die Mode erheische, von den Köpfen der Standbilder weg genommen und durch moderne vertauscht werden – ein Triumph der Plastik, wie er spitz-ironisch hinzufügte.
So schritten sie durch den zweiten Säulenhof nach dem Hausgarten. Die schwärzlichen Baumgänge, deren weithin gestreckte Aeste [232] von dem Licht des ersterbenden Tages noch gerade so viel hindurch ließen, daß man den buchsumfriedigten Kiesweg erkennen konnte, luden zur beschaulichen und vertraulichen Wanderung ein. Der Wächter an der Rückwand des Hauses bürgte dafür, daß kein Unberufener den Jünglingen nachschlich.
„Erfahre also,“ begann Lucius Rutilius, „daß Hero noch zu Ende des vorigen Monats fest entschlossen war, ihr Leben an das meine zu knüpfen. In Tibur hatte ich sie kennen gelernt, wo ihr Vater die Villa des Junius Gellius – Du weißt, sie stößt dicht an die meine – nach dem Tode ihres ersten Besitzers käuflich erstanden hatte. Im Parke lustwandelnd, gewahrte ich die bezaubernde Mädchengestalt jenseits der Mauer, die den Garten des Gellius von dem meinigen scheidet. Hero stand im Schatten eines Lorbeergesträuchs, das blonde Haar nur mit einer blühenden Rose geschmückt, und streute einer flatternden Wolke von Sperlingen mit ihrem zierlichen Händchen Brosamen oder Körner, die sie im Schooße ihres hochgeschürzten Gewandes trug. Von dem Sockel einer Herbstgöttin gedeckt, konnte ich sie ruhig beobachten, ohne daß sie meine Nähe vermuthete.
„Ach, theurer Cajus, vergeblich würde ich zu schildern versuchen, was sich in dieser Viertelstunde an zierlicher Anmuth, kindlicher Unschuld und bezauberndem Liebreiz vor mir entwickelte! Wie sie mit ihren Schützlingen plauderte, die Dreisten abwehrte und den Schüchternen zusprach, wie sie scherzte und lachte, wie ihr die lose Tunica von der schneeigen Schulter fiel – es war zum Entzücken! Kurz, diese Viertelstunde hatte über mein Schicksal entschieden. Zum ersten Mal in meinem sechsundzwanzigjährigen Leben hatte ich beim Anblick eines Mädchenbildes, das mich bezauberte, zugleich die Empfindung einer heiligen Scheu, einer Art von Ehrfurcht, die mir jeden leichtfertigen Gedanken wie einen Frevel erscheinen ließ. In meinen glühenden Träumen, die sich sofort mit begehrlicher Sehnsucht um diese liebenswerthe Erscheinung rankten, sah ich sie nur als die waltende Gebieterin meines Hauses, als die Beherrscherin meines Lebens …“
„Es scheint in der That ernst zu sein,“ murmelte Cajus Bononius. „Täuscht mich der Nachtwind, der in den Zweigen rauscht, oder was ist es sonst, was Deine Stimme so beben macht?“
„Zweifle nicht!“ versetzte Rutilius. „Was ich für Hero empfinde, ist heilig genug, um mein Herz mit jenen Gefühlen zu sättigen, die den Andächtigen bei der Nähe der Gottheit ergreifen. Höre nun weiter! Völlig von dem einen Gedanken erfüllt, trat ich in’s Haus zurück und plante in brütender Einsamkeit, wie mir’s gelingen möchte, an’s ersehnte Ziel zu gelangen. Sonst – Du weißt es – war ich im Verkehr mit schönen Frauen und Mädchen keiner von den Beklommenen; hier aber schien mich die oft bewährte Kunst der schlauen Anschläge gänzlich im Stich zu lassen. Nach zwanzig thöricht-abgeschmackten Entwürfen beschloß ich, mich beim nächsten Gastmahle ihres Vaters – sein Name ist Heliodorus – durch Agathon, der gleichfalls in Tibur weilte, als ungebetenen Gast mitnehmen zu lassen. Zum Vorwand sollte mir der geheuchelte Wunsch dienen, mit Heliodorus wegen der Abtretung eines kleinen Gehölzes zu sprechen. Agathon warf mir einen seltsamen Blick zu, da ich ihm mein Verlangen bekundete. Es mag ja sein, daß diese Art der Einführung nicht die beste war; aber ich hielt sie dafür, denn – auch Du wirst dies dereinst noch erfahren, trotz all der forschenden Weisheit, die jetzt Deine Seele erfüllt –: die Liebe macht auch den Erfahrensten ungeschickt.“
„Ich glaube im Gegentheil,“ versetzte Bononius, „daß große Leidenschaften uns erfindungsreich machen.“
„Streiten wir nicht. Erfindungsreich vielleicht in dem, was entscheidend ist; thöricht aber in allem Uebrigen. – Agathon also sagte mir’s zu, und am dritten Tage schon bot sich mir die Gelegenheit. Heliodorus empfing mich wie ein vollendeter Weltmann. Er begrüßte mich als den Nachbarn, dessen Bekanntschaft zu machen er seit lange gewünscht habe. Was das Gehölz betreffe, von dem ich stammelnd einige Worte hervorbrachte, so werde er die Sache erwägen und, wenn er mich ernstlich damit verpflichte, gern bereit sein, mir ein Opfer zu bringen.
„Das Gastmahl verlief allerdings, ohne daß ich den Gegenstand meiner glühenden Sehnsucht auch nur ein einziges Mal zu Gesicht bekam; aber ich konnte dennoch zufrieden sein. Die Trennungsmauer zwischen unseren beiden Besitzthümern war von dieser Stunde an wie geschleift: es begann ein Verkehr, der sich schon nach kurzer Frist zu einem freundschaftlichen Verhältniß gestaltete, und jetzt natürlich war auch Hero, die sich dem Anblick der Gäste bei den geräuschvollen Zechgelagen entzog, für den Nachbarn, der gleichsam in der Tunica zu dem Vater herüberkam, zu jeder Tageszeit sichtbar.
„Laß mich verschweigen, wie nun Alles gekommen ist. Aus hundert Einzelheiten wob sich mir nach und nach die Gewißheit zusammen, daß die Tochter des würdigen Sicilianers mir hold sei, und eines Abends im Park, an derselben Stelle unter dem Lorbeergesträuch, wo ich sie zum ersten Mal erblickt hatte, küßte ich ihr das Wort der Gewährung von den jungfräulich erbebenden Lippen.
„Das waren selige Tage, Bononius! Noch hielten wir das Glück unserer Liebe geheim; nicht als ob wir Ursache gehabt hätten, an der Einwilligung ihres Vaters zu zweifeln; aber es lag ein unbeschreiblicher Reiz in diesem Verschweigen; ich möchte sagen: wir fürchteten unser Glück zu entweihen, wenn wir gar zu frühzeitig den Schleier hinwegzögen. Dem trefflichen Heliodorus freilich waren unsere Beziehungen durchaus nicht entgangen. Mehr als einmal begegnete ich, wenn ich an Hero’s Seite durch die Colonnaden des Peristyls wandelte, seinem vertraulich-sympathischen Lächeln, das mir zu sagen schien: ‚Freund, ich durchschaue Dich; aber ich zürne nicht ob Deiner heimlichen Werbung.‘
„Da, eines Abends – wir hatten des Tags zuvor den Beschluß gefaßt, am folgenden Freitag, am Ersten des Monats October, als dem Geburtstag des Heliodorus, Hand in Hand vor ihn hinzutreten und ihm Alles zu offenbaren – empfing mich Hero mit einem Ausdrucke der Verstörtheit, der mich heftig erschreckte. Ihr Vater war in Geschäften nach Rom gereist und wurde erst spät zurück erwartet. Hero war den Tag über mit Lydia, einer jungen Verwandten, mit der sie gemeinsam erzogen worden, allein gewesen, hatte ihrer Vertrauten, der greisen Septimia, jeden Zutritt in ihre Gemächer verweigert, das Mahl verschmäht und erst um die Stunde, da ich zu kommen pflegte, sich angekleidet, um auf der steinernen Bank unter der Halle des Peristyls auf mich zu warten. Lydia – beiläufig ein allerliebstes Geschöpf, das nur ein wenig zu sehr an unsere buntgeschminken Modedamen erinnert, um neben Hero’s himmlischer Einfachheit aufzukommen – saß neben ihr, als ich die Colonnade betrat. Mein holdes, trauerndes Mädchen hielt ein dreieckiges Blatt in der Hand; Lydia dagegen preßte stirnrunzelnd mit der zierlichen Faust ein Pergament zusammen, das mit röthlichen Lettern bedeckt war. Nach langem Hin- und Herfragen erfuhr ich das Folgende:
„Kurz nach Sonnenaufgang waren die Beiden wie allmorgendlich durch den Park gewandelt. Da mit einem Male hatte ein altes Weib von erschreckender Häßlichkeit, ganz in Lumpen gehüllt, den ahnungslosen Mädchen die Straße verlegt, mit krächzender Stimme und dem Ausdruck eines Gorgonenhauptes dreimal ein prophetisches ‚Wehe!‘ gerufen, meiner zitternden Hero eine umschnürte Rolle vor die Füße geworfen und sich dann eilig entfernt.
„Wie im Bann dieser unheimlichen Erscheinung hatten die Mädchen die Rolle vom Boden genommen und von ihren Schnüren befreit. Der Inhalt bestand aus einem beschriebenen Pergament und einem dreieckigen leeren Papierstück. Das Pergament aber hatte etwa folgenden Inhalt:
„‚Olbasanus der Chaldäer, der Erforscher der Zukunft und der Warner der verblendeten Menschheit, schreibt dies an Hero, die Tochter des Heliodorus. Die Götter haben uns kund gethan, daß Du, in Liebe zu Lucius Rutilius entbrannt, die Absicht hegst, ihn zum Gatten zu nehmen. Olbasanus warnt Dich ob dieses Vorhabens, denn sein Auge hat in den Sternen gelesen, welch entsetzliches Unheil Dir und den Deinigen, insbesondere auch dem Lucius Rutilius selber droht, wenn Ihr Euer Vorhaben ausführt. Da Du meiner Warnung nicht glauben möchtest, sende ich Dir mit diesem Brief ein heiliges Blatt aus dem Buche des Gottes Amun. Trage das Blatt zum Herde, lege es auf die Steinplatten, doch so, daß die Flammen es nicht erreichen können; neige Dich dreimal mit gefalteten Händen und harre der göttlichen Offenbarung. Mit unsichtbarem Finger wird Amun selbst dies Blatt aus seinem Buche beschreiben und Dir kund thun, was Dir bevorsteht, wenn Du seinen heiligen Willen mißachtest.‘
„Das ungefähr war der Inhalt des Pergamentes, das Lydia krampfhaft zwischen den Fingern hielt.“
[234] Cajus Bononius hatte während der letzten Minute den Arm fester in den des Freundes gelegt, und auch sonst ein wachsendes Interesse bekundet.
„Olbasanus?“ fragte er jetzt, da Lucius Rutilius einen Augenblick Athem schöpfte. „Der Chaldäer am quirinalischen Hügel?“
„Derselbe. Schon früher war sein Name zu meinen Ohren gedrungen, aber jetzt erst sollte ich seinen gespenstischen Einfluß und seine Macht kennen lernen.“
„Weiter! Weiter!“ drängte Bononius.
„Nun,“ fuhr der Andere fort, „schon dies Schreiben hatte genügt, um die beiden Mädchen in die äußerste Aufregung zu versetzen. Lydia hatte – eine Ausnahme ihres Geschlechts – bis dahin mit keiner forschenden Bitte an das Geheimniß ihrer Freundin getastet, obgleich auch sie unsere Beziehungen seit lange erkannt hatte. Jetzt, da die Sache sich ihr so plötzlich und in so unerwünschter Weise enthüllte, vergaß sie die üblichen Fragen, das Erstaunen, die Glückwünsche. In ihrer Herzensangst drängte sie nach den Räumen des Küchenmeisters, scheuchte voll Ungestüms alle Sclaven hinweg und hieß die Freundin thun, was Olbasanus ihr vorgeschrieben. Hero, kaum ihrer Sinne mächtig, beugte sich dreimal über das geheimnißvolle Blatt und gewahrte schon nach wenigen Secunden mit stillem Grausen die schwärzlichen Schriftzüge, die ihr verkünden sollten, was ihrem Glück in den Weg trat. Sie las: ‚Dem Vater Wahnsinn, der Tochter Blindheit, dem Lucius Rutilius der Tod.‘“
„Unerhört!“ rief Cajus Bononius. „Und ein wunderbares Zusammentreffen!“
„Wie meinst Du das?“ fragte Rutilius.
„Später, mein Theurer! Laß mich zuerst nur Dein Erlebniß zu Ende hören! Freilich, kaum noch bedarf ich der Aufklärung, wo die Sache hinaus will. Was versetztest Du, als die Mädchen Dir das Blatt aus dem Buche Amun’s gezeigt hatten?“
„Ich versuchte zu zweifeln – aber zu deutlich sprachen die gespenstischen Lettern und die verstörten Augen meiner trauernden Hero. Die Thatsache, daß hier ein seltsames Wunder vorlag, ein unerklärliches und, wie es schien, von den Göttern eigens gewolltes, – diese Thatsache wich und wankte nicht. Ich selber fühlte mich anfangs peinvoll beklommen; im Verlauf jedoch unsres Beisammenseins, da mir Hero ruhiger zu werden schien, gewann ich eine gewisse Kraft des Vertrauens wieder, und als ich um die Mitte der ersten Nachtwache[1] meine Wohnung betrat, war ich trotz des noch immer ungelösten Räthsels geneigt, das Ganze mehr für ein sonderbares Abenteuer als für ein Unglück zu halten.
„Der folgende Tag schon sollte mich bitter enttäuschen. Um die Stunde des zweiten Frühstücks auf die Straße hinaustretend, gewahrte ich vor dem Eingang des Nachbarhauses zwei geräumige Reisewagen. Da ich einen der Sclaven, die bei den Pferden herumstanden, nach dem Zweck dieser Zurüstungen befragen wollte, kam Heliodorus mit den beiden Mädchen über die Schwelle. Der Sicilianer begrüßte mich und erklärte, er habe mich in Begleitung Hero’s und Lydia’s aufsuchen wollen, um Abschied zu nehmen. Hero, die, wie ich wisse, eine kleine Tyrannin sei, schwöre mit einem Male, Tibur sei ihr in die Seele verhaßt, sie verlange nach Rom zurück, und da nun bei der vorgerückten Jahreszeit für ihn, Heliodorus, kein ernstlicher Grund vorliege, diesem Wunsche zu widerstreben, so habe er sich mit gewohnter Raschheit entschlossen.
„Ich wußte natürlich, daß die plötzlich erwachte Sehnsucht Hero’s mit Olbasanus zusammenhing. Sie wollte ihn aufsuchen, sie wollte Näheres erfahren über die seltsame Prophezeiung, und wenn es anging, die feindlichen Mächte, die sich unserem Glücke entgegenstemmten, durch Opfer und Gebete versöhnen.
„Ehe eine Viertelstunde verstrich, saß die Gesellschaft, mit Einschluß der alten Septimia und einiger Haussclaven, in den Polstern, und rollte, drei Berittene voran, die Straße nach Rom zu.
„Du wirst nicht staunen, theurer Bononius, wenn ich Dir sage, daß auch ich noch an demselbigen Tage Tibur verließ und nach den sieben Hügeln zurückkehrte. Gepreßten Herzens nahte ich am folgenden Morgen dem hellenischen Prachtbau, den Heliodorus an der Nordseite des cälischen Berges bewohnt. Der Sicilianer empfing mich herzlich und freundschaftlich, aber dennoch mit einer gewissen Beklommenheit. Hero, so erfuhr ich, da ich an seiner Seite mich niedergelassen, schien krank zu sein. Sie hatte, kurz nach ihrer Ankunft, mit Lydia ihre Sänfte bestiegen und war mit allen Zeichen der Aufregung in später Stunde zurückgekehrt. Seitdem lag sie theilnahmlos auf der Ruhestatt, kaum eine Frage beantwortend, bleich vor sich hinstarrend. Einmal war sie in heftiges Schluchzen ausgebrochen; ein wilder Krampf hatte ihren Körper durchschüttelt; dann aber trat eine gesteigerte Abspannung und Mattigkeit ein, bis sie endlich lange nach Mitternacht einschlief.
„Ich errieth natürlich, was vorgefallen. Hero war bei Olbasanus gewesen und hatte aus dem Munde des Zauberers das Gleiche vernommen, was ihr jene Inschrift vorausgesagt. Ja es schien, als wäre die Art und Weise dieser Bestätigung weit entsetzlicher und dämonischer ausgefallen, als die erste Warnung durch das Blatt aus dem Buche des Gottes Amun. Ich war vollständig rathlos. In abgerissenen Worten mein Bedauern aussprechend, verließ ich das Haus. Ich bat den Sicilianer, mich wissen zu lassen, wenn das Befinden seiner Tochter sich soweit hergestellt haben würde, daß ich meinen Besuch, ohne lästig zu sein, wiederholen dürfte.“
[245] „Am Abend des folgenden Tages –“ erzählte Rutilius weiter, „es war eben an jenem Freitag, den wir ausersehen zur Enthüllung unseres Geheimnisses; aber aufgeregt, wie ich war, hatte ich den Geburtstag des Heliodorus völlig vergessen – am Abend also erhielt ich einige Zeilen von Hero’s Hand, die mich nahezu in Verzweiflung setzten.
„‚Wir müssen uns trennen,‘ schrieb sie, ‚trennen für immer. Ich hatte gehofft, jene grausigen Mahnworte, die mich in der Villa zu Tibur entsetzten, seien der Ausfluß eines verborgenen Grolls, der sich versöhnen lasse – oder was ich sonst mir im gequälten Herzen zurecht legte. Jetzt aber weiß ich, daß die Götter selbst uns mit vernichtendem Fluche den Weg verlegen. Zweimal war ich bei Olbasanus: vorgestern um die Stunde der Hauptmahlzeit und gestern bei Beginn der ersten Nachtwache. Dieser Mann – daran zweifle nicht! – steht im Verkehr mit den Göttern, Dämonen und Abgeschiedenen; ihm ist Gewalt gegeben über alle Reiche der Geister! Mit diesen Ohren hab’ ich’s gehört, mit diesen Augen hab’ ich’s geschen! Als ich nach mannigfachen Beweisen seiner Allmacht noch zweifelte – ach, nur zweifelte, weil ich zu verzweifeln mich scheute – da ist auf den Wink des Entsetzlichen die Todesgöttin Hekate selber mir im Gewölke des nächtlichen Himmels erschienen und hat mir die furchtbaren Worte, die ich auf dem Blatte des Amun gelesen, mit einer Stimme, die dem Brausen des Sturmes glich, wiederholt. Wir müssen uns trennen, Lucius, nicht um meinetwillen, denn ach, wie gerne wollt ich den Fluch der Blindheit ertragen, wenn ich in Dir ein höheres und reineres Licht gewänne; aber um Deinetwillen, dem Hekate, die Grausenhafte, den Tod verheißt, und aus Liebe zu dem theuren Vater, dessen Seele mit Umnachtung bedroht ist. Lebe wohl, theurer Lucius! Möchtest Du leichter vergessen lernen als ich!‘“
„Das waren die Worte, die sich mir unauslöschlich und qualvoll wie mit glühendem Griffel in’s Herz gruben. Von Gaipor, meinem Sclaven, erfuhr ich nun, daß Olbasanus in der That bei vielen Tausenden für den mächtigsten Beschwörer gilt unter allen Chaldäern der Siebenhügelstadt. Gaipor selber, eh’ ich ihn kaufte, hatte den Zauberer im Auftrag seiner Gebieterin, einer [246] Dame aus Neapolis, um die Zukunft befragt, und mit eigenen Augen, wie Hero, die schreckliche Erscheinung der Hekate wahrgenommen, die, von Flammen umloht, vom sternenbesäeten Himmel herniederschwebte. Du weißt, Cajus, ich bin keiner der Leichtgläubigen. Oft genug habe ich unserer Auguren[2] und Wahrsager gelacht, und jenem Feldherrn aus den Tagen des Freistaats meine Achtung gezollt, wie er die heiligen Hühner, als sie nicht fressen wollten, in’s Meer warf. Hier aber drängte sich mir die Ueberzeugung mit so ungestümer Gewalt auf, daß ich ihrem Andrang erlag …“
„Hekate also!“ murmelte Cajus Bononius. „Auch mir ward dieses Wunder bestätigt, nicht von Einem, nicht von Zweien, die es geschaut, sondern von Zwanzigen. Wisse, Rutilius, seit Monden schon rechne ich diesem Olbasanus nach, was er vermöge seines Bündnisses mit den Göttern und Dämonen zu Wege bringt … Indessen – Du warst mit Deiner Erzählung noch nicht völlig zu Ende. „Sprich, Lucius; aber beeile Dich!“
„Ich bin zu Ende!“ versetzte der Jüngling, „Eins nur hab’ ich hinzuzufügen. Inmitten all der dumpfen, herzzerfressenden Trauer, die mich beherrschte, regte sich mir täglich unabweisbarer das Verlangen, den Mann, der so – wenngleich in gütiger Absicht – meine Zukunft zerstörte, aufzusuchen in der Halle seiner Beschwörungen … Ich selbst gedachte eine Frage zu stellen an die entsetzliche Fürstin der Unterwelt. Alle Bemühungen, die Geliebte wiederzusehen, waren erfolglos geblieben. Auch Heliodorus schien mir nachgerade verwandelt – so scheu, so bänglich trat mir der sonst so Rückhaltslose entgegen. Diese Unmöglichkeit, mich Hero oder selbst nur Lydia gegenüber auszusprechen, drängte mich vollends zur Ausführung. Ja, ich überwand meinen Widerwillen gegen jede Berührung mit dem Uebernatürlichen – und jetzt, o Cajus, erblickst Du mich auf dem Weg nach dem Hause des Olbasanus, fest entschlossen, mit eigenem Auge zu sehen, was die Götter mir zugetheilt, und so zum wenigsten doch den einen Trost mit hinwegzunehmen, der im Bewußtsein der Unabänderlichkeit und des ewig vorbestimmten Geschicks liegt.“
„Auf dem Wege zu Olbasanus!“ rief Cajus Bononius voll Leidenschaft. „Wohl, so laß uns nicht zögern. Auch ich stand im Begriffe, ihn aufzusuchen. Gestern schon sandte ich meinen Glabrio, und Olbasanus bestimmte mir die zweite Stunde nach Sonnenuntergang …“
„Auch Du?“ fragte Lucius erstaunt.
„Ja, auch ich – wenngleich aus anderen Gründen als Du, mein theurer Rutilius. Du weißt, ich bin Philosoph. Jahrelang hab’ ich geforscht und geprüft; ich kenne die mannigfachen Erscheinungen der belebten wie der unbelebten Natur. Ich glaube nicht an die wunderbaren Phantasmen dieser Beschwörer. Gleichwohl: die Aussage so vieler wahrheitsliebender Männer liegt vor; ich kann nicht zweifeln, daß sie treu und ehrlich verkünden, was sie gehört und gesehen haben. So ergiebt sich mir ein quälender Widerspruch. Entweder ich irre mich dennoch, wenn ich mit Plinius und Lucretius das Eingreifen dämonischer Gewalten in das Schicksal der Menschen leugne: oder all diese wahrheitsliebenden Männer täuschen sich und sind die Opfer eines elenden, gewissenlosen Betrugs. Im Drang meiner Wißbegierde bin ich gewillt, dafern es möglich ist, diese Frage so oder so zu entscheiden. Komm also, damit ich die Stunde, die Olbasanus mir festgesetzt, nicht versäume.“
Lucius Rutilius fühlte einen freudigen Schreck. Ein Schimmer von Hoffnung blitzte durch seine Seele, denn die Worte des Freundes athmeten trotz ihrer gemessnen Zurückhaltung eine kraftvolle Zuversicht.
„Eilen wir!“ sagte er, bebend vor Ungeduld.
So schritten die beiden Freunde in’s Haus zurück und wandten sich, den viminalischen Berg von der Seite der tullischen Mauer her umkreisend, nach der Wohnung des Olbasanus.
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Unweit der gewaltigen Bäder, die der Kaiser Diocletianus, gleichsam zur Sühne dafür, daß er lieber in Nicomedia oder Salona als in Rom residirte, am nordöstlichen Hang des viminalischen Hügels bis zu der Stelle hatte erbauen lassen, wo diese Anhöhe in den quirinalischen Hügel übergeht, stand in der Nähe des collinischen Thores ein seltsames Bauwerk – in dem wuchtigen Prunke seiner farbengeschmückten Frontseite fast an die Königspaläste Assyriens und Persiens erinnernd, und dennoch so frisch und so neu, als sei es eben erst aus den Händen der Baumeister und Stuckarbeiter hervorgegangen, eine architektonische Verkörperung jenes Zeitgeschmacks, der damals schon mit Vorliebe den Stil altvergangener Epochen nicht nur in den schwachen Schöpfungen einer entarteten Literatur, sondern auch auf anderen Gebieten menschlicher Thätigkeit geistreich nachkünstelte.
Hier frellich war es nicht sowohl die Laune des Architeken oder die Geschmacksrichtung seines Auftraggebers, als ein bewußter praktischer Zweck gewesen, was die einfache Façade des römischen Hauses durch diesen phantastischen Luxus des Orients hatte verdrängen lassen. Hinter den wuchtigen, thierkopfgeschmückten Säulen trieb Olbasanus, der chaldäische Zauberer und Dämonenbeschwörer, der erklärte Günstling der römischen Damenwelt, sein geheimnißvolles Wesen, und so stimmte denn schon das Aeußere des umfangreichen Gebäudes zu den räthselhaften Begebnissen, die sich in seinem Inneren vollzogen. Der fremdländische Anblick der Frontseite konnte als Vorbereitung gelten für die Erkornen, denen Olbasanus gestattete, die Schwelle seines verborgenen Heiligthums zu beschreiten.
Lucius Rutilius und Cajus Bononius erreichten die Pforte in dem nämlichen Augenblick, da dieselbe, von innen geöffnet, eine lange, hagere Gestalt in dichter Pänula auf die Straße ließ. Trotz der Milde der Witterung hatte der Unbekannte die Regencapuze voll herauf über das Haupt gezogen.
Ein wenig zur Seite tretend, ließen die beiden Jünglinge den Vermummten vorbei.
„Diesen Gang und diese Haltung sollt’ ich kennen,“ sagte Lucius Rutilius, dem Enteilenden nachblickend. Vergeblich indeß besann er sich. Der Thürsteher hatte inzwischen die Pforte nicht wieder angedrückt. Die silbergetriebene Laterne mit den Scheiben aus ölgetränktem Papyrus vorhaltend, gewärtigte er des Eintritts der beiden Gäste.
Cajus Bononius gab ihm ein Silberstück und fragte, ob der Chaldäer, wie vereinbart, zu sprechen sei.
Der Thürsteher winkte einem der sieben bartumwallten Aethiopier, die in langer Gewandung, den breiten, mit seltsamen Zeichen übersäten Gürtel um die Lenden geschlungen, am Ausgang des Corridors harrten. Schweigsam führte der Mann, den es traf, die beiden Ankömmlinge durch die getäfelte Vorhalle. Wie er so fast unhörbar dahinschritt, die Schleppe seines kuttenartigen Mantels leise über dem Estrich dahinknisternd, in der Rechten die Fackel, die allenthalben an den zahllosen Vorsprüngen und Gliederungen des Mauerwerks gespenstisch flackernde Schatten erzeugte, schien er selbst eine Art übernatürlichen Wesens, wohl geeignet, auf empfängliche Seelen einen unheimlich erregenden Eindruck zu machen. Der Weg führte durch eine Doppelreihe schwerer kurzer Colonnen und erreichte so eine Treppe, deren Basaltschwellen in die Tiefe führten. Ein unterirdischer Gang that sich auf, gerade hoch genug, daß ein stattlicher Mann aufrecht unter dem tropfsteinartig verkrusteten Gewölbe hinwegschreiten konnte. Schauerlich zog der Qualm der Fackel an der Decke entlang. Es herrschte hier eine dumpfe, athembenehmende Luft. Rechts und links in schwärzlich ausgemalten Vertiefungen lag eine unermeßliche Reihe von Todtenschädeln. Nach einer Weile begann der Stollen nach der Seite hin abzulenken; ein zweiter Gang that sich auf, und als Verästelung von diesem ein dritter und vierter. Schließlich hatten die jungen Männer jede Richtung verloren. Lucius Rutilius meinte, sie müßten längst auf der Jenseite des Hügels angelangt sein; Cajus Bononius dagegen war geneigt, die Ausgangstreppe, die sie jetzt in ein weites, spärlich erhelltes Gemach führte, nicht allzu weit von jener Eingangstreppe am Ende des Säulengangs zu vermuthen.
Der Raum, den sie jetzt betraten, war ein Meisterstück in Beziehung auf wirkungsvolle Verwendung architektonischer, plastischer und decorativer Mittel. Als der Aethiopier mit seiner lodernden Fackel sich wieder entfernt und die eiserne Fallthür auf die Mündung der Treppe gelegt hatte, wähnten sich die beiden Jünglinge zunächst in völliger Dunkelheit. Im Hintergrunde auf mannshohem Candelaber brannte allerdings ein blaßblaues Flämmchen; aber die Strahlen, die es rings in dem mächtigen Raume warf, reichten nicht aus, um den vom Fackellicht geblendeten Augen mehr zu zeigen, als die dämmernden Umrisse großer, wuchtiger Massen. [247] Nach und nach indeß gewöhnte sich der Blick an diese dürftige Helle. Cajus und Lucius entdeckten die elliptische Anordnung mächtiger Pfeiler, hinter denen ein tiefer, beinahe schwarz erscheinender Gang einherlief. Nur ein blasses Geflimmer zwischen den Pfeilerschatten verrieth, daß sich jenseits dieses Ganges eine Mauer befand, welche die gleiche Linie beschrieb wie der Binnenraum. Zwölf der Pfeiler, das Drittel nämlich, das dem Eingang direct gegenüberlag, waren auf kunstvolle Weise mit endlos wallenden, tiefschwarzen Vorhängen überkleidet. Dazwischen hingen allerlei phantastische Ketten, Ampelschnüre und sonstiges Beiwerk, das gerade maßvoll genug vertheilt war, um den gewaltigen Eindruck nach Höhe und Breite nicht abzuschwächen.
Oben schloß sich der Raum durch ein flaches Gewölbe ab, dessen Construction, der beträchtlichen Höhe wegen, nicht zu erkennen war. Im Hintergrunde vor dem bläulich brennenden Candelaber befand sich ein umfangreicher Altar, viereckig und gleichfalls mit dunklen Tüchern verhangen. Dreifüße, eherne Monopodien[3] mit allerlei wundersamem Geräth überdeckt, flache Schemel und andere nicht erkennbare Gegenstände reihten sich in symmetrischer Ordnung zu beiden Seiten. In der Mitte des Raums lag ein Teppich von dreißig Fuß im Geviert, an jeder Ecke mit einem Leuchter bestanden, höher noch als der Candelaber im Hintergrunde. Dieser Teppich war mit räthselhaften Figuren bemalt oder durchwoben.
Fünf Minuten etwa hatten die Jünglinge Zeit, sich im Dämmerlichte der blaßblauen Flamme zu orientiren. Dann mit einem Male erklang es, wie die fernen Accorde einer Aeolsharfe. Ohne daß sie gewußt hätten, wie und von wannen er kam, stand Olbasanus hinter dem tuchverhangenen Altare.
„Du kommst nicht allein, Cajus Bononius!“ sprach er mit wohlklingender Stimme. „Gleichviel: ich kenne das. Die meisten Sterblichen tragen Bedenken, nur auf die eigene Kraft vertrauend sich den Räumen zu nahen, wo die Gottheit sich theils mittelbar, theils unmittelbar ihrem Anblick enthüllen soll. Auch Dein Begleiter, wer er auch sein mag, trete heran: seine stille, andächtige Gegenwart stört nicht das Werk des Caldäers.“
„Du irrst, Olbasanus,“ versetzte Cajus Bononius. „Der mich begleitet, ist eben der, den es gelüstet, eine Frage an die Gottheit zu richten. Ich, Cajus Bononius, sandte Dir meinen Boten nur im Auftrage dieses Jünglings; denn mir, das bekenn’ ich Dir, wohnte nie ein Bedürfniß inne, den Schleier der Zukunft hinwegzulüften.“
„Ich irre –“ gab Olbasanus zurück. „Das ist das Loos aller Sterblichen, und auch das meine, so lange ich nur als ohnmächtiger und vergänglicher Mensch zu Dir rede. Erst die Gnade der Gottheit, wenn ich sie anrufe, strahlt mir jenes Licht in die Seele, das jeden Irrthum unmöglich macht. Wohl! Auch so ist Olbasanus geneigt, Deinem Wunsch zu willfahren, obgleich er als Mensch nicht begreift, was Dich veranlassen konnte, diesen Umweg zu wandeln.“
„Es sind Gründe ohne Belang,“ versetzte Bononius.
„So wünschest Du wohl, daß der Name Deines Begleiters dem Seher verschwiegen bleibt?“
Cajus Bononius wechselte mit Lucius Rutilius einen flüchtigen Blick. Dann zu Olbasanus gewandt:
„Wenn’s Dir genehm ist, ja!“
Der Chaldäer schien einige Secunden zu zögern.
„Schwer zwar und größerer Kräfte bedürftig wird der Wahrspruch des Zauberers, wenn der Frager seinen Namen verbirgt,“ sagte er langsam. „Indeß, dafern Du es dringend begehrst …“
„Wir bitten darum!“ versetzte Bononius.
Der Chaldäer trat nun bedächtigen Schrittes hinter dem Altare hervor.
„Gewährt!“ sprach er feierlich.
Dann streckte er die Hand aus, in der ein elfenbeinernes Stäbchen blinkte. Sofort erglänzte der weite Raum wie in Tageshelle. Nicht nur auf sämmtlichen Kandelabern brannten weithin strahlende Lampen, – auch zwischen den Pfeilern schienen Lichtquellen gleichsam aus dem Boden gewachsen; flache Schalen mit ruhig lodernder Flamme.
Die beiden Jünglinge waren beim Anblick dieser Verwandlung nicht nur leidlich geblendet. Lucius Rutilius faßte sich wie betäubt an die Stirn. Cajus Bononius stand regungslos. Er schien zu prüfen, zu erwägen, zu forschen. Endlich spielte ein befriedigtes Lächeln über sein Antlitz. Es war, als habe er für dieses Räthsel die Lösung gefunden, während Rutilius noch immer von dem Eindrucke des Wunders gebannt war.
„Tretet heran,“ sprach der Chaldäer volltönig. „Unbekannter, was begehrst Du zu wissen?“
Abermals tauschten die Jünglinge einen Blick aus; dann sagte Rutilius:
„Ich wünsche zu wissen, was mir von den Göttern bevorsteht, falls ich die wichtigste und bedeutsamste Absicht meines Lebens zur Ausführung bringe.“
Olbasanus zögerte wie zuvor mit der Antwort. Endlich versetzte er:
„Ich fürchte, das ist unbestimmter, als die Gottheit gestattet. Kannst Du Deine Frage nicht klarer fassen? Vermagst Du die Absicht, von der Du redest, nicht rückhaltlos zu benennen?“
Rutilius fühlte, wie ihm Bononius heimlich den Arm berührte.
„Nein,“ sprach er gelassen. „Ich bitte Dich, zu versuchen, ob die Antwort nicht möglich ist auch ohne eine genauere Bezeichnung.“
Olbasanus blickte nach oben. Da zuckte ein Lichsstrahl herab, einem Blitze vergleichbar.
„Gewährt,“ sagte er, zu Rutilius gewandt. „Bei allen Schrecken der Unterwelt, Du bist ein Liebling der Götter; denn nur den Erkorenen, denen sie wohlwollen, gönnen sie so auserlesene Huld. Gemeinhin strafen sie das Mißtrauen gegen ihren Vermittler durch ewiges Schweigen.“
Die beiden Jünglinge wurden mit jeder Minute aufgeregter: Lucius, weil ihm die ruhige, würdige Art des Chaldäers wie eine Bürgschaft erschien für den Ernst und die Wahrheit dessen, was er zu künden hatte; Cajus Bononius, weil er sich höchlich enttäuscht sah; denn er hatte sich fest überzeugt gehalten, der Zauberer werde erklären, das Verlangen des Lucius sei unstatthaft.
Olbasanus berührte jetzt mit dem Stab die Altarplatte. Ein heller Ton, wie von geschlagenem Metall, durchschwirrte den Raum. Durch die Vorhänge rechts trat ein ganz in Weiß gekleideter Knabe herein. Er trug ein Becken mit glühenden Kohlen und setzte es neben Olbasanus auf einen der Erzschemel.
„Führ’ uns das Opfer heran,“ befahl der Chaldäer.
Der Knabe entfernte sich. Olbasanus ergriff eine Schaufel, füllte sie mit glühenden Kohlen und trug sie nach einem der Dreifüße, auf dessen Schale er sie sorgfältig ausbreitete. Nach dem Altar zurückkehrend, hob er die Hände empor.
„Hekate!“ sprach er mit dumpfer Stimme, „Herrin der Unterwelt, Fürstin der Nacht und der Schatten, Beherrscherin der Dämonen und Abgeschiedenen, allgewaltige, grausige Göttin! Weder das uranfängliche Fatum, noch eine der oberen Gottheiten widersetzt sich dem, was wir vorhaben. So flehe ich denn zu Dir, daß auch Du in Gnaden gewährest, was Olbasanus Dir zagend entgegenraunt. Entschleiere diesem Jüngling die Zukunft, stille seinen Durst nach dem Unergründeten, erfülle sein Auge mit Klarheit und lehre ihn, was die Geister und Dämonen Dir zugetragen vom Aufgang bis zum Niedergang. Bist Du aber gewillt, den, der Dich anruft, wie so hundertmal, zu begnaden, so durchwühle Dein heiliges Element; laß Deinen Geist durch die feurige Gluth wehen und beseele sie mit Deinem unsterblichen Athem!“
Nach diesen Worten machte er einige Schritte vorwärts nach dem Dreifuß und blickte starr in die glühenden Kohlen. Auch Lucius Rutilius und Cajus Bononius waren näher getreten. Mit einem Male begannen die Kohlenstücke sich langsam zu regen. Es war ein Wogen und Wallen, als ob die Kraft eines ungeahnten Lebens diese sprühenden Brände durchathme, bis endlich die Bewegungen schwächer wurden und aufhörten.
Der Chaldäer schritt zurück und verneigte sich mit gekreuzten Armen. Jetzt erschien der weißgekleidete Knabe, an silberglänzendem Stricke ein schwärzliches Lamm führend. Er band das Thier am Altare fest und nahte sich dann den beiden Jünglingen mit einer Schale aus Onyx. Seine Haltung war nicht mißzuverstehen. Lucius Rutilius griff in die Gürteltasche und legte einige Goldstücke auf die Schale. Der Knabe dankte und trat wieder zurück hinter den Vorhang.
[266] Olbasanus, den Zauberstab in der Rechten, die Linke auf’s Herz gepreßt, senkte den Blick zu Boden und sprach zu Lucius Rutilius:
„Kniee nieder, mein Sohn. Uralter Sitte gemäß schlachten wir der Göttin der Unterwelt ein schwärzliches Opferthier. Flehe Du, daß die heilige Handlung gelingen möge! Das Eingeweide des Thieres, vom Geisterhauche Hekate’s angeweht, kündet uns, was wir zu wissen bestrebt sind – nicht in räthselhaften Symbolen, die noch der Deutung benöthigen, sondern in klarer Schrift, wie sie Menschenaugen geläufig ist. Opfer der Hekate, stirb!“
Er hob den Stab über das Haupt. Das schwarze Lamm brach zusammen wie vom Blitze getroffen. Gleich darauf erschienen zwei Opferdiener, bleiche Jünglinge in hellenischem Chiton (Leibrock) und persischen Beinkleidern, den Kopf mit buntfarbigen Tüchern umwunden.
„Unbekannter!“ wandte sich Olbasanus zu Lucius, „tritt herzu und berühre das Thier, das dem Angriffe meiner hülfreichen Dämonen erlegen ist.“
Lucius Rutilius, der mit jeder Minute scheuer und zaghafter ward, schritt vor. Die Glieder des Thieres waren bereits erstarrt. Da der Jüngling in das wollige Fell griff, sank der Kopf des Lammes zurück und zeigte die gebrochenen Augen.
Die Opferdiener schoben von der Altarplatte den Teppich hinweg und legten das Thier darauf. Während Lucius Rutilius den Vorderfuß des Thieres mit der Linken gefaßt hielt, reichte einer der beiden Leute dem Chaldäer das Messer. Das Lamm ward geöffnet, und allerlei Zaubersprüche murmelnd, nahm Olbasanus das Herz und die Leber heraus. Im nächsten Augenblicke war das Thier hinweggeschafft und die Altarplatte mit großen, schwärzlich gefärbten Leintüchern vom Blute gereinigt.
Olbasanus hielt das Herz und die Leber ausgestreckt in der Linken, bis die Sclaven eine eherne Platte auf den Altar gesetzt hatten. Dann legte er das Herz und die Leber vorsichtig auf’s Metall, schwang den Stab und sagte zu Lucius Rutilius:
„Tritt heran, um zu lesen!“
Bei diesen Worten ertönte ein donnerähnliches Rollen. Lucius Rutilius beugte sich klopfenden Herzens über die Platte. Da stand mitten auf der noch rauchenden Leber deutlich mit hellenischen Buchstaben:
Lucius Rutilius schwankte haltlos zurück.
„Der Tod!“ murmelte er wie erstarrt vor sich hin.
Auch Cajus Bononius war vorgetreten, um die große, in ihren Linien etwas unsichere Schrift der Prophezeiung zu lesen. Heftig athmend nagte er sich die Lippen; er zog die Brauen zusammen; er ballte die Faust, als ob er dieser äußeren Mittel bedürfe, um Widerstand zu leisten gegen den Eindruck dieses unbegreiflichen Wunders. Er bekannte sich, daß ihm jede Erklärung fehle; und dennoch, sein klarer, vorurtheilsloser Verstand bäumte sich wider das, was seine Augen nicht leugnen konnten. Er betastete die Schrift mit dem Finger; sie verwischte sich nicht. Daß Olbasanus nicht etwa selber geschrieben hatte, ehe oder während er die Leber auf die Metallplatte legte, das konnte Cajus Bononius bei allen Göttern beeidigen. Schon zuckte ihm ein beklommenes „Und wenn es dennoch wahr wäre?“ durch die Seele, als er, seitwärts aufblickend, das schier unmerkliche Lächeln gewahrte, mit [267] welchem der Zauberer die skeptische Untersuchung der Inschrift beobachtete. Für den Scharfblick des jungen Mannes wohnte diesem Lächeln eine sonderbare Bedeutung inne. Das war nicht jenes hoheitsvolle Lächeln des Mitleids und der gottbegnadeten Größe, die im Vollbesitz ihrer heiligen Kräfte auf den verblendeten Zweifler herabschaut, sondern das pfiffige Lächeln des Griechen, dem es gelungen ist, im Bretspiel seinen Gegner um einen Stein zu betrügen, das Lächeln eines tollkühnen Abenteurers, der eine verwegene That vollbracht und jegliche Spur seiner Thäterschaft glücklich ausgetilgt hat. So schöpfte denn seltsamer Weise der Philosoph da, wo ihn die Logik im Stich ließ, erneute Widerstandsfähigkeit aus dem Reich des Gefühls, aus dem Instincte, der ihn die Sache gering schätzen ließ, weil die Person verdächtig ward.
„Zweifelst Du immer noch, Cajus?“ raunte Lucius Rutilius mit zuckender Lippe. „Komm, ich weiß jetzt genug. Wie ich’s ertragen werde, das ruht im Schooße der Götter.“
„Ich zweifle entschiedener als je,“ gab ihm Bononius zurück. Der Tag wird kommen, daß ich diese Wunder enträthsele. Jetzt, ich beschwöre Dich, laß mich, und vor Allem Dich selbst und Deine Hoffnung nicht so ohne Weiteres im Stiche. Stell’ ihm erneute Fragen, fordere noch andere Zeichen! Man sagt, aus einem Todtenschädel lasse er die Stimme der Göttin sprechen, und die Tochter des Heliodorus selber hat Dir’s geschrieben, daß der Zauberer die Flammengestalt der Hekate vom nächtlichen Himmel herabführt. Wieg’ ihm seine Wunder mit Gold auf, aber laß ihn leisten, was er vermag, zum Heile der Wahrheit und zum Gedeihen Deiner glücklichen Zukunft. Mehr als zuvor brenne ich jetzt darnach, Alles zu schauen, um Alles verachten zu können!“
„Cajus, Du lästerst!“ sagte Lucius erschreckt. „Wenn sie Dich straft, die Entsetzliche, die Vernichterin meines Lebens!“
„Strafen? Wofür? Wenn sie ist, so muß sie mir dankbar sein, daß ich den Mißbrauch ihres Namens enthülle; aber sie ist nicht, sonst hätte sie Diesen da längst hinabgerissen in den ewigen Abgrund.“
Es entstand eine Pause. Olbasanus schien sich an dem Eindruck, den seine Prophezeiung auf die Beiden hervorgebracht, heimlich zu weiden, denn er hielt die geflüsterte Rede des Cajus Bononius für den Ausfluß staunender Bangigkeit.
„Den Tod hat die Herrscherin der Nacht mir geweissagt,“ hub endlich Rutilius an. „Aber Eins noch lastet mir auf der Seele. Darf ich fragen?“
„Frage!“ erwiderte Olbasanus.
„So möchte ich wissen, ob dieses Geschick durch kein Opfer, keine sühnende That von mir abgelenkt werden kann. Steht es in Deiner Macht, so laß mich’s vernehmen. Beschwöre die Göttin, daß ihre eigene furchtbare Stimme dem Fragenden das Orakel spreche.“
Wie vorher schaute der Chaldäer nach oben; wie vorher blitzte es auf, und den Stab erhebend rief er:
„Gewährt!“
Abermals entlockte er dem Altar jenen räthselhaften Metallton, der den weißgekleideten Knaben hereinrief. Auf ein unverständliches Wort des Chaldäers hin trat er zu einem benachbarten Monopodium, nahm ein steinbesetztes Kästchen herab und setzte es neben den Zauberer. Dann kam wieder die Onyxschale zum Vorschein, und klingend senkten sich die Goldstücke des Lucius Rutilius in die bauchige Höhlung. Gleich darauf schob sich hinter dem Altar zwischen den beiden Pfeilern der dunkle Vorhang zurück. Eine halbrunde Nische ward sichtbar, von einer bläulichen Ampel beleuchtet. Der Zauberer entnahm dem Kästchen ein kleines Gefäß, dessen Inhalt er an dem Kohlenbecken entzündete. Ein wohlriechender Rauch stieg zum Gewölke empor. In demselben Augenblicke erloschen sämmtliche Lichter mit Ausnahme jener bläulichen Ampel. In ihrem Schimmer gewahrte man am Boden der Nische einen grinsenden Todtenschädel.
Olbasanus winkte den Fragesteller heran. Beide Hände auf den Altar gestemmt, sollte Lucius Rutilius hinüberschauen in die gespenstische Nische und den Wahrspruch der Schreckensgöttin vernehmen. Auch Cajus Bononius mußte, da er zu sehen und zu lauschen wünschte, mit der Rechten die Altarkante fassen.
„Schweigt und schwindet, ihr Dämonen und Geister,“ begann jetzt der Chaldäer geheimnißvoll. „Schweigt und schwindet, denn Hekate, die Unerforschliche, selber will zu diesem Staubgeborenen sprechen durch das Symbol ihrer Allmacht, durch den Todtenschädel am Boden ihres Sanctuariums. Das fleischentblößte, hirnentleerte Gebein, ehedem der Sitz der Gedanken, die erloschene Lampe eines längst vergessenen Menschendaseins, dient der Unsichtbaren als Stätte, wenn sie emporsteigt aus den Tiefen der Unterwelt. Künde mir, Allgewaltige, ist der Hauch Deines göttlichen Lebens eingekehrt in das vermorschte Gehäuse?“
Ein dumpfes, grausenhaftes „Du sagst es“ klang aus der hochstirnigen Wölbung des Schädels hervor.
Lucius Rutilius erschrak heftig. Cajus Bononius glaubte noch bezüglich der Richtung, aus der die Stimme kam, sich getäuscht zu haben. Nach vorn übergebeugt, lauschte er athemlos.
Olbasanus hatte sein Antlitz auf den Altar geneigt, gleich als ob die Gegenwart der unsterblichen Göttin sein Antlitz niederzwinge in schauernder Ehrfurcht. Jetzt erhob er sich langsam.
„Sei uns gnädig, Du Herrscherin über uns Alle!“ sprach er, die Hände wie ein Schutzflehender nach der Nische hin ausstreckend. „Dieser Jüngling begehrt zu wissen, ob das Schicksal, das Deine Strenge ihm weissagt, unabänderlich ist wie ein Fatum, und, wenn es nicht unabänderlich ist – was er thun muß, um das Schreckliche abzuwenden.“
Nach einer Pause erklang die Stimme aus dem Todtenkopfe von Neuem.
„Unabänderlich ist sein Schicksal, dafern er ausführt, was er geplant hat,“ raunte es so deutlich in der gräßlichen Höhlung, daß auch Bononius nicht länger zu zweifeln vermochte. „Nur im Entsagen liegt das Heil seines Lebens! Dies kündet ihm Hekate, die Alles hinwegnimmt, was ihr Odem berührt hat.“
Bei diesen Worten erscholl ein furchtbarer Donnerschlag. Der Schädel in der Nische begann sich zu regen und – o unbegreifliches Wunder! – kleiner zu werden, wie eine Wolke am Abendhimmel, die sich allmählich in Nichts auflöst. Starren Auges verfolgten die beiden Jünglinge diese räthselhafte Erscheinung. Noch zwei Minuten, und der Todtenschädel war völlig von dem glänzenden Boden hinweggeschwunden – nicht in die Erde gesunken, sondern gleichsam in sich selbst zusammengebrochen, verweht, verraucht wie ein Trugbild.
Als Cajus Bononius aufblickte, gewahrte er seinen Freund wie leblos auf den Stufen des Altars.
„Es ist aus,“ murmelte er schreckensbleich, da Bononius ihm die Schulter berührte.
Eine Zeit lang überließ Bononius den Bekümmerten seinen verzweiflungsvollen Empfindungen. Olbasanus, der an solche Scenen gewöhnt sein mochte, verharrte schweigend einige Schritte abseits.
„Lucius,“ begann der junge Weltweise nach einigem Zögern, „überlege nur Eins! Die Götter, dafern sie sind, müssen gedacht werden als der Inbegriff alles Erhabenen. Das Grausige aber und Gespenstische stößt den Menschen um so entschiedener ab, je reiner und edler und den Göttern also verwandter seine Seele geartet ist. Eben der Begriff der Gottheit, und selbst der einer Gottheit über das Todtenreich, verbietet uns, Vorgänge wie die soeben erlebten für einen Ausfluß ihres Willens zu halten. Auch ich vermag die Räthsel dieses Chaldäers nicht zu errathen: aber ich zweifle mit aller Kraft, daß sie das sind, wofür er sie ausgiebt. Zweifle auch Du, Lucius! Bekenne ihm, daß Du zweifelst, spare Dein Geld nicht, und fordere ihm erneute Gewähr ab! Deine Hero, so sagtest Du, hat die Todesgöttin geschaut; heische auch Du ihren Anblick, um entweder unabweislich zu glauben, oder den Hebel zu finden, mit dem Du all dies Unerklärliche aus den Angeln hebst.“
Es währte diesmal geraume Zeit, bis sich Lucius Rutilius bereden ließ. Endlich aber, durch die wachsende Ruhe des Freundes immer stärker beeinflußt, gab er ihm nach und verlangte, was Bononius ihm vorschrieb.
Der Scharfblick des Olbasanus hatte diese Wendung der Dinge seit lange vorausgesehen. Schweigend geleitete er die beiden Jünglinge durch ein halbes Dutzend kreuz und quer verlaufender Gänge in den nächtlichen Park. Sanft am Hügel emporsteigend, bedeckte dieser Garten des Zauberers mehrere hundert Schritte im Viereck. Nahezu haushohe, mit Epheu und anderen Schlinggewächsen überkleidete Mauern schlossen ihn ein wie ein Heiligthum. Hier und dort in alabasternen Becken spielten die Wasser; seltsame Statuen, im Sternenschimmer der mondlosen Nacht nur [268] als blasse Schatten erkennbar, standen wie geisterhafte Wachen zwischen dem Strauchwerke. Uralte Steineichen und Platanen breiteten ihre vielverästeten Kronen aus.
In der Mitte des Parkes befand sich ein Rundplatz von etwa sechszig Ellen im Durchmesser. Hier machte der Zauberer mit seinen Begleitern Halt.
„Dein Wunsch ist verwegen!“ sagte er zu Lucius Rutilius. „Nur in seltenen Fallen willfahrt die Göttin so frevlem Begehr. Du aber, ich wiederhole Dir’s, scheinst auserlesen von ihrer Huld. Hekate“ – er kreuzte die Arme über die Brust – „will und wird Dir erscheinen … Ja sie duldet selbst die Nähe dessen, der als theilnehmender Freund Dir zur Seite steht. Dennoch – ich warne Dich! – Gedenke an Semele, die den Zeus in all seiner olympischen Hoheit zu schauen begehrte und in seinen Armen qualvoll dahinschmolz! Nicht Tod und Verderben freilich wird Euch erwachsen aus dem Anblick der Unerforschlichen, denn sie erscheint Euch freiwillig, nicht gezwungen durch einen götterbindenden Schwur. Aber auch so wird ihre Erscheinung Euch Sinn und Seele verwirren und Eure Herzen aufwühlen mit Schreck und Entsetzen. In versengender Flammengluth wird sie am sternbesäeten Himmel einherfahren, nur für Eure Augen sichtbar und für die meinen, und vernichtendes Grausen wird von ihren Schultern herabträufen, wie der Regen aus der Gewitterwolke. Dies furchtbare Bildniß – Ihr werdet es nicht wieder austilgen können aus Eurem Gemüthe. – Deshalb trotzt nicht zu lange ihrem zermalmenden Anblick! Sobald Ihr sie einmal geschaut habt, senkt in Ehrfurcht das Haupt und verhüllt Euch das Antlitz in den zitternden Händen. Es bedarf keiner Frage an die Unsterbliche. Daß Dein Schicksal ein Fatum ist, hat ihre Stimme bereits verkündet; daher wird sie von links kommen, von den Regionen des Abends, und hinüberflammen gen Osten. Wäre es dennoch so, daß ihre eigene Huld und Gnade dies Fatum versöhnen könnte – und nur sie vermag in seltenen Fällen Bande zu lösen, die der Gefesselte selbst durch kein Opfer und keine Sühne zerreißen würde, – dann käme sie aufgestiegen von rechts, wie die Sonne steigt, und verschwände nach links. Jetzt – seid Ihr vorbereitet?“
„Wir sind es,“ gab Rutilius zur Antwort.
Olbasanus warf sich zur Erde. Die Stirne dreimal leise wider den hartgestampften Boden aufschlagend, rief er im Tone einer verzweiflungsvoll ringenden Inbrunst:
„Hekate, Fürstin der Unterwelt, Herrscherin über Alles, was Athem hat, zeige Dich dem Auge dieser Erwählten – und, so es Dir möglich ist, steig’ empor aus den Regionen des Morgens!“
Plötzlich erscholl ein unheimlich gespenstisches Rauschen, ein Schwirren wie von fernem, gewaltigem Flügelschlage. Ein lodernder Flammenschein zuckte am Himmel auf – aber von Westen her. In rasender Schnelligkeit zog die Erscheinung am Firmamente entlang – halb verdeckt durch die Zweige einer hoch aufragenden Ulmenreihe.
„Verhüllt das Antlitz, Ihr Unglückseligen!“ hatte der Chaldäer beim ersten Flammenschimmer gerufen, und zwar so schneidig, so wie von wahrem Grausen erfüllt, daß Lucius Rutilius unwillkürlich gehorcht hatte.
Selbst Cajus Bononius war zusammengefahren und hatte erst voll und klar wieder aufgeschaut, als die Flammenerscheinung bereits fern im Osten hinter dem unerkennbaren Dunkel des Himmelsrandes hinabsank.
Halb ohnmächtig wurde der tief erregte Lucius Rutilius von Olbasanus und Cajus Bononius hinweggeführt. Eine Frage des Letzteren schnitt der chaldäische Zauberer mit der ruhigen Bemerkung ab:
„Die Zeit, da Olbasanus Euch zur Verfügung stand, ist lange verronnen. Andere leidbekümmerte Sterbliche harren bereits voll Ungeduld seiner Hülfe.“
Nach fünf Minuten hatte sich Lucius Rutilius so weit erholt, um an der Seite des jungen Weltweisen den Heimweg antreten zu können. Als Cajus Bononius, an der Pforte des Freundes angelangt, ihm die Hand reichte und ihm zuflüsterte: „Fasse Dich, Lucius!“ – da ward ihm keine Antwort zu Theil. Taumelnd wie ein Trunkener eilte Lucius durch den Thürgang in’s Atrium und suchte sein Lager auf, um die ganze Nacht hindurch kein Auge zu schließen.
Auch Cajus Bononius befand sich in unbeschreiblicher Aufregung. Der Zwiespalt zwischen dem, was er wahrgenommen, und dem, was sein Verstand und seine Vernunft seit lange über das Wesen der Dinge und die Bedeutung der Welt sich zurechtgelegt, war zu unversöhnlich, als daß der wissensdurstige Geist des Jünglings nicht unausgesetzt danach getrachtet hätte, die zertrümmerte Harmonie so oder so wieder herzustellen. Bis zum Morgengrauen schritt er beim Scheine der Lampe durch sein Studirgemach oder im Peristyl auf und ab und prüfte, wog und verwarf, bis er sich endlich, fast zu Tode erschöpft, in Toga und Tunica auf die Ruhebank warf und entschlief.
[282] Lucius Rutilius, der bis dahin unausgesetzt bestrebt gewesen, mit seiner geliebten Hero eine Begegnung herbeizuführen, um die Trauernde umstimmen und ihre verzweiflungsvollen Entschlüsse rückgängig machen zu können, war von jenem Tage an völlig verändert.
Mehr in der Richtung der Phantasie, als in der des ruhigen, vorurtheilslosen Prüfens begabt, ausgestattet mit einer echt dichterischen Empfänglichkeit für alle äußeren Eindrücke, zweifelte er nicht an der Ehrlichkeit des räthselhaften Chaldäers, noch an der Wahrheit dessen, was er gehört und geschaut hatte.
Da auch Cajus Bononius nicht im Stande war, ihm die Wunder, die sie erlebt hatten, auf natürlichem Wege zu erklären, [283] so blieben die Bemühungen des Freundes, der ihn schon am folgenden Tage wieder aufgesucht und sich eifrig bestrebt hatte, ihm die Eindrücke des verflossenen Abends nach Möglichkeit abzuschwächen, ohne Erfolg.
Und weil Rutilius nun selbst überzeugt war, daß die so heiß ersehnte Verbindung mit seiner geliebten Hero nicht nur ihm, sondern auch ihr und ihrem theuren Vater unwiderruflich zum Verderben gereichen würde, so schien es ihm ein Gebot der Pflicht und der Ehre, die unabwendbare Trennung durch keinerlei Zögerungen und Schwankungen fürderhin zu erschweren, sondern alsbald durch einen heldenhaften Entschluß ganz und gar zu verwirklichen. Selbst ein Wiedersehen, ein Abschiednehmen mußte vermieden werden – darin konnte er jetzt seiner Geliebten nur beipflichten. Es galt, die Pfeile, die so tief in die sehnsuchtskranken Herzen sich eingewühlt hatten, rückhaltlos und gewaltsam herauszureißen; nur so war unter dem gnädigen Schutze der Götter vielleicht noch Heilung möglich; wenn nicht für ihn – denn er fühlte, daß ohne Hero das Leben ihm glanz- und farblos sein würde inmitten aller Herrlichkeit dieser Erde – so doch möglicher Weise für sie, die vergessen konnte, die vergessen sollte und mußte, so sehr auch der Jüngling bei diesem Gedanken erbeben mochte.
Er schrieb ihr daher in kurzen Worten, daß auch er den Spruch der Todesgöttin gehört und die Ueberzeugung gewonnen habe, es stelle sich zwischen ihn und Hero der unabänderliche Wille des Fatums: so entsage er denn. Mit welchen Gefühlen, brauche er wohl nicht aus einander zu setzen. Indem er ihr Ruhe wünsche für ihre Seele, thue er ihr zu wissen, daß er fürder in Rom nicht verweilen könne, wo er Gefahr laufe, ihr zu begegnen und so immer von Neuem an das Glück erinnert zu werden, das er für alle Zeiten verloren. Am folgenden Tage schon werde er die Hauptstadt verlassen, ohne sein Ziel zu nennen, damit nicht einmal ihre Gedanken ihm folgen könnten.
Diesen Entschluß führte er mit der Hast eines Menschen aus, der vor sich selber zu fliehen hofft.
Nur von einem einzigen Sclaven begleitet, ritt er in aller Morgenfrühe nordwärts über die milvische Brücke – der Landschaft Etrurien zu, um sich über das altberühmte Pisae nach Gallien zu wenden. Keinen seiner zahlreichen Freunde hatte er vorher noch besucht, mit Ausnahme des Cajus Bononius, dem er Massilia (Marseille) als den Punkt bezeichnete, wo er zunächst für einige Monate Rast zu machen gedachte. Dort besaß er nämlich in der Person eines arpinatischen Ritters einen Gastfreund, der ihn mit offenen Armen aufnehmen würde.
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Cajus Bononius indeß war Tag und Nacht erfüllt von der fieberhaften Begierde, klar zu sehen in der Wirrniß dessen, was er erlebt hatte.
Wenn sich die wundersamen Ereignisse in der Wohnung des chaldäischen Zauberers minder gehäuft, wenn sie – bei all ihrer augenfälligen Wirklichkeit – nicht den Charakter einer gewissen theatralischen Berechnung getragen hätten, so wäre Bononius geneigt gewesen, sich ernsthafter als je mit der Frage zu beschäftigen: Giebt es wirklich eine oberste geistige Potenz, die über den Seelen der Abgeschiedenen waltet, und giebt es Menschen, die vermöge der besonderen Eigenart ihrer seelischen Kräfte im Stande sind, mit dieser Potenz in Wechselwirkung zu treten?
Die Studien, mit denen sich Bononius befaßt hatte, lieferten allerdings nicht das Geringste, was für die Wahrheit einer solchen Hypothese zu sprechen schien; eher im Gegentheil. Dennoch – gerade der vorurtheilsloseste Kopf, der da erfahren, wie oft sich das Unwahrscheinliche als Wahrheit erweist, ist am ersten dazu bereit, Fremdartiges und Widerspruchsvolles unbefangen zu prüfen und ihm nicht ohne Weiteres mit jener wohlfeilen Durchschnittsklugheit die Berechtigung abzusprechen. Nicht das jenseits aller Erfahrung Liegende, nur das logisch Undenkbare wird der wahre Denker zurückweisen.
Olbasanus hätte also bei Cajus Bononius unbestrittenere Erfolge erzielt, wenn er an Stelle der drei überraschenden Wunder nur eins in Scene gesetzt hätte. So aber war jener Instinct, der sich gleich zu Anfang geregt hatte, als Bononius jenes triumphirende Lächeln des Zauberers wahrnahm, rastlos am Werk, und mit dem Eifer des Forschers, der eine weltbewegende Entdeckung zu machen hofft, suchte Bononius nach möglichst einfachen und natürlichen Erklärungsgründen für die verblüffenden Phänomene … Hundertmal glaubte er die Wahrheit schon am Fittich zu fassen, und immer wieder entschlüpfte sie ihm, und die fröhlich aufleuchtende Hoffnung erwies sich als trügerisch.
Zwei Umstände noch kamen hinzu, die ihm zu denken gaben.
Einmal war es selbst mit der umfassendsten Kenntniß aller Naturkräfte nicht zu erklären, daß die Antwort auf die Frage des Lucius Rutilius, den Olbasanus doch gar nicht kannte, so völlig mit der Antwort auf die Fragen der Hero übereinstimmte. Nicht minder befremdlich erschien ihm der zweite Umstand. War dieser Olbasanus wirklich ein Gaukler, der in eigennütziger Absicht sein Opfer betrog, was hätte dann näher gelegen, als ein schließliches Einlenken auf die Wünsche des Lucius Rutilius? Der Chaldäer hätte dem trauernden Jüngling jede Buße auferlegen und, falls es ihm nur um das schnöde Gold zu thun war, eine sehr erhebliche Summe benennen können, durch deren Behändigung an den Vertrauten der Göttin die Lösung von jenem angeblichen Verhängniß möglich geworden wäre. Nichts von alledem. Die Göttin des Olbasanus verharrte mit der unerbittlichen Strenge des Fatums bei dem, was jene Schrift bereits auf den Eingeweiden des Opferthiers ausgesagt. Diese Thatsache stimmte entschieden zu Gunsten des Zauberers. Welches Interesse konnte der Mann verfolgen, wenn er gegen seine bessere Ueberzeugung die Hoffnung eines liebenden Jünglings zerstörte, da doch die Belebung dieser Hoffnung für den Wahrsager ohne Zweifel gewinnreicher zu werden versprach?
Cajus Bononius fand für alle diese Dinge keine Erklärung.
So schritt er eines Tages – es war eine Woche etwa nach erfolgter Abreise des Lucius Rutilius – durch die Alleen des Marsfeldes. Dieser nachmittägliche Gang, einige Stunden, eh’ er sein Mahl genoß, war von Cajus Bononius lange versäumt worden; jetzt, da der Kopf ihm von der ewigen Unrast seiner aufgeregten Gedanken glühte, hatte er die alte Gewohnheit wieder aufgenommen und heute bereits zum vierten Mal die übliche Wanderung an den sogenannten Septen, dem Platze der alten Volksversammlungen, vorüber nach der weithinschattenden Doppelreihe der Ahornbäume angetreten, deren rauschendes Laub sich bereits stark zu färben begann.
Trotz der vorgeschrittenen Jahreszeit war die Luft so mild und weich wie im Frühling. Auf den Reit- und Fahrwegen hatte sich ein glänzendes Leben entfaltet. Vornehme Damen in prunkvollen Sänften ließen sich zwischen den Lorbeerbüschen und Myrthen einhertragen, gefolgt von einem Schwarm buntgekeideter Cavaliere, – denn die stilvolle weiße Toga des alten Römerthums war längst nicht mehr die ausschließliche Tracht dieser Modeherren. Reich gewordene Fabrikanten aus Alexandria rollten im zweirädrigen Cisium, kraushaarige Läufer in grellrothen Gewändern voraus, neben der Prachtkalesche des adelstolzen Senators und dem blitzenden Ponywagen der thurmhoch frisirten Dame der Halbwelt – der „Libertina“, von der uns Ovid gesungen. Auf den Rasenplätzen ward der Ringkampf und das Discuswerfen geübt; aber die Kämpfer betrugen sich fein manierlich – verglichen mit den wilden Tummlern, die hier noch unter Tiberius und Caligula ihre Muskeln gestählt – und der Discus war kleiner geworden, wie für Knaben bestimmt, ein Symbol der fortschreitenden Entartung, die schließlich dem gewaltigen Anprall des sieghaften Germanenthums unterliegen sollte …
Cajus Bononius schritt wie ein Nachtwandler durch all diese prächtige Wirrniß. Auch hier, inmitten der lebensfreudigen, leichtsinnigen Bevölkerung der Weltstadt, ward er des Druckes nicht ledig, der ihm auf Herz und Stirn lastete. Um die Künste des Olbasanus in ihrer Nichtigkeit zu erkennen, hatte er sich an jenem Abend, da er mit Rutilius zusammentraf, auf den Weg gemacht – und die Folge war, daß er jetzt mehr als je in die Netze der Unklarheit sich verstrickt fand! Es lag etwas Tragikomisches in diesem Sachverhalt; ab und zu hatte Bononius so das dumpfe Gefühl, als spiele er vor sich und der achtungswerthen Gesellschaft, die sich hier unter den Ahornbäumen erging, eine etwas klägliche Rolle …
Da mit einem Male rief ihn Jemand bei Namen.
Er wandte sich um.
„Du bist’s, Philippus?“ rief er einem stattlichen, etwa sechsunddreißigjährigen Manne zu, der aus einem Seitenwege zu ihm herantrat. Der Mann trug die Kriegsrüstung eines Centurionen [284] (Hauptmanns) des Stadtpräfecten; seine Züge verriethen energische Willenskraft, verbunden mit unverkennbarer Herzensgüte und Offenheit.
„Wie geht’s, Bononius?“ fragte der Krieger, dem jungen Weltweisen freundlich die Hand bietend. „Lebst Du noch, oder ist’s nur Dein Schatten, was hier herumschweift? Beim Hercules, drei Monate sind es zum wenigsten, seit ich zum letzten Male das Vergnügen hatte, Dir die Rechte zu schütteln. Was treibst Du denn, Du unbegreiflicher Einsiedler? Lässest Du noch Metalle auf dem Dreifuß zerschmelzen, oder bist Du wieder bei den schrecklichen Schriften des Heraklit? Irgend etwas Entsetzliches muß es sein, was Dich so ganz und gar Deinen besten Freunden entfremdet.“
„Du hast Recht,“ sagte Bononius. „Ich war überaus fleißig während der letzten Monate. Aber Du siehst ja, ich bessere mich …“
Sie schritten eine Strecke weit neben einander. Der junge Mann hörte nicht ohne Wohlbehagen das frische, gutmüthige Geplauder des strammen Centurio, der bald ein Pferd kritisirte, bald vom letzten Wettrennen und dem neuesten Pantomimenschauspiel erzählte, oder mit derber Ursprünglichkeit seiner Verwunderung über irgend eine der gefeierten Schönheiten Ausdruck verlieh, die in den Polstern ihrer Tragbetten oder ihrer Kaleschen vorüberkamen.
„Sieh dort!“ sagte er plötzlich, seinen Redefluß hemmend. „Nein, ist’s zu glauben? Wie bleich sie ausschaut …! Kennst Du sie nicht – Hero, die Tochter des Heliodorus?“
Cajus Bononius zuckte heftig zusammen. Die Geliebte des Lucius Rutilius war ihm bis jetzt noch nicht zu Gesicht gekommen, so sehr er sich im Geiste während der letzten Woche mit ihr beschäftigt hatte. Sie aufzusuchen, lag keine äußere Veranlassung vor; ja, er würde die ausgesprochenen Absichten seines entsagenden Freundes durch einen Besuch im Hause des Sicilianers augenscheinlich gekreuzt haben. Jetzt aber, da der Zufall diese Begegnung herbeiführte, war dem jungen Manne doch ganz zu Muthe, als habe ihm nur der Anblick Hero’s gefehlt, um klar zu sehen in all den Räthseln, die ihn geängstigt. Er verschlang sie fast mit den Augen, die wunderholde Mädchengestalt, die, von den Falten einer blendend weißen Palla umhüllt, soeben an der Seite eines hageren jungen Mannes in die Ulmen-Allee einbog.
Sie war in der That bleich, die liebliche Hero, bleich und traurig, trotz des leisen Lächelns der Höflichkeit, das ihr wehmüthig um den kleinen schwellenden Mund spielte. Das dunkelblonde, üppige Haar, das in schlichter Wellenlinie die ebenmäßige Stirn umrahmte, erhöhte noch diesen Eindruck. Theilnahmlos blickte sie auf das bunte Getriebe; theilnahmlos hörte sie die lebhaften Reden ihres fieberisch erregten Begleiters. Hinter ihr, an der Seite einer frischen, blühenden Fünfzehnjährigen, in welcher Cajus Bononius die von Rutilius so vielfach erwähnte Lydia vermuthen durfte, schritt Heliodorus, der Vater der bleichen Hero, sichtlich verstimmt, die Brauen herabgezogen, die Lippen fest auf einander gepreßt. Er schien mit Lydia in ernster Unterredung begriffen.
„Das ist Hero?“ fragte Bononius. „Und wer ist der unsympathische Mensch, der so voll Ungestüm auf sie einspricht?“
„Agathon, ein Landsmann des Heliodorus. Ich traf ihn öfters beim Stadtpräfecten.“
Jetzt kamen Bononius und Philippus an der Gesellschaft vorüber. Philippus grüßte. Bononius blickte starr bald auf Hero, bald auf den sie begleitenden Agathon. Es lag etwas in der Erscheinung dieses Menschen, was ihm bekannt schien, obgleich er sich auf’s Bestimmteste zu erinnern glaubte, daß er ihm nie im Leben begegnet sei. So vergaß er denn alle Rücksicht der Höflichkeit, und als auch Heliodorus mit Lydia glücklich vorbei war, konnte sich Cajus Bononius trotz der städtischen Sitte, die dergleichen verbot, nicht enthalten, den Enteilenden nachzuschauen.
Wie er die Gestalt des Agathon so von der Kehrseite erblickte, zuckte es ihm mit einem Mal durch’s Gehirn, wie eine leuchtende Offenbarung. Das war dieselbe hagere Gestalt, die an jenem Abend, als er mit Lucius Rutilius an der Pforte des Olbasanus stand, aus dem Ostium (Thürgang) kam und entschritt. Die Haltung, die eigenthümliche Bewegung der rechten Schulter, das Gesammtbild – Alles war unverkennbar.
Nun war dem jungen Manne auf einmal klar, was er bis dahin für ebenso unerforschlich gehalten, wie jene nächtlichen Wundererscheinungen: die Beweggründe nämlich des Olbasanus. Alles, was Olbasanus dem unglücklichen Rutilius und der trauernden Hero geweissagt hatte, war eine Bestellung des Agathon …! Die Motive aber, die hinwiederum diesen bestimmten, heischten keine Erklärung. Hero war jung, schön, reich, und Agathon bewarb sich um ihre Gunst. Cajus Bononius betonte sich vornehmlich den Reichthum, – schon weil es ihn mit Genugthuung erfüllte, besagten Agathon noch entschiedener verachten zu dürfen, als dies statthaft gewesen, wenn seinem Intriguenspiel nur die wahnsinnige Leidenschaft zu dem reizenden jungen Mädchen zu Grunde gelegen.
Freilich, das Unbegreifliche, was Rutilius und Bononius im Hause des Chaldäers erlebt hatten, war durch diese Entdeckung nicht um Haaresbreite verständlicher; aber Bononius hatte erneuten Muth und erneute Thatkraft geschöpft, um mit Aufbietung aller Mittel dem Ziele entgegenzusteuern, das er jetzt, frei von den letzten Resten metaphysischer Beklemmungen, kühnlich in’s Auge faßte. Er wußte es nun, Olbasanus war kein Phantast, kein Schwärmer, der sich wenigstens halbwege selber betrog, sondern ein Gaukler, der sich zum Werkzeug hergab für die gemeine Selbstsucht eines tückischen Schleichers. Dieser Gaukler mußte entlarvt werden – das stand dem jungen Manne so fest, wie dem Beter die Ueberzeugung von der Gnade der Gottheit.
Dem Centurio war die Gemüthsbewegung seines Begleiters nicht entgangen. Offen und rückhaltslos, wie er war, fragte er geradezu, was ihn beim Anblick dieser Sicilianer so ungewöhnlich befremde; ob Cajus Bononius in Hero etwa eine lange vergeblich gesuchte Circus-Nachbarin wieder erkannt oder in Agathon einen unbequemen Rivalen entdeckt habe. Der Jüngling befand sich in einer Stimmung, die das Herz mittheilsam und bedürftig macht, von Anderen Rath zu erfragen; er schätzte den Centurio seit lange als einen zuverlässigen und besonnenen Mann; er glaubte überdies wahrzunehmen, daß auch Philippus für Agathon keine sonderlichen Sympathien verspüre.
Ein Wort gab das andere.
Ein wenig abseits aus dem Gewühl schlendernd, machte Bononius dem Centurio zunächst einige Andeutungen, und enthüllte ihm dann, nachdem Philippus ihm bei allen Göttern die strengste Verschwiegenheit zugesagt hatte, das Erlebniß mit Olbasanus.
Der wackere Centurio war außer sich. Er hatte niemals an die Narrenspossen der Beschwörer geglaubt: hier aber lag es ja klar zu Tage: Agathon, der niederträchtige Gauner, hatte den Olbasanus erkauft! Er, Philippus, wußte, daß Agathon sich in schlechten Vermögensverhältnissen befand. Die wenigen hunderttausend Sesterzien[4], die dem verschwenderischen Wüstling noch von vielen Millionen erübrigten, glaubte er natürlich nicht besser anlegen zu können, als wenn er sie zur Erlangung der ungeheuren Erbschaft verwandte, die Hero, als das einzige Kind ihrer Mutter, ihm in die Ehe mitbringen würde. Die Sache war so klar wie das himmlische Sonnenlicht. Aber noch hatte der freche Betrüger nicht seine Ernte gehalten und nach dem Ausdrucke in Hero’s lieblichem Antlitz zu schließen, hielt es Philippus für zweifelhaft, daß er jemals gewinnen werde, was er auf so tückische Weise erschleichen wollte. Gleichviel: mit dem voraussichtlichen Mißerfolge des Agaton war noch nicht gut gemacht, was der ruchlose Beschwörer dem armen Rutilius angerichtet. Er, Philippus, wollte Alles aufbieten, um in Gemeinschaft mit Cajus Bononius die Sache wieder in’s Geleise zu bringen.
„Besuche mich morgen zum Früstück,“ sagte er endlich, nachdem er in aufgeregter Gesprächigkeit alle diese Momente in Erwägung genommen. „Wir entwerfen dann einen Feldzugsplan, der nicht nur unsern trefflichen Lucius Rutilius in alle Rechte seines blühenden Glücks wieder einsetzen, sondern auch Deine brennende Wißbegierde nach den verborgenen Kräften, mit denen Olbasanus gearbeitet, stillen soll!“
„Wohl!“ versetzte Bononius. „Ich werde zur Stelle sein.“
So trennten sie sich.
[298] Drei Tage später empfing der chaldäische Zauberer ein dreifach gesiegeltes Schreiben folgenden Inhalts:
„Lydia an den glorreichen Olbasanus, den Vertrauten der Götter.
Ich weiß nicht, ob Du meiner Dich noch erinnern wirst. Ich betrat Deine Schwelle in Begleitung der blonden Syracusanerin, die durch Deine göttliche Weissagung vor dem schrecklichsten Unheil bewahrt blieb. Ihr Name ist Hero, und eine Tochter ist sie des würdigen Heliodorus, der im vorigen Jahr herüberkam nach dem Strande des Tiberis. Von Bewunderung erfüllt für Deine unerfaßliche Kunst, bittet Lydia um den Rath des Allweisen in einer ebenso schwierigen als wichtigen Angelegenheit. Diesem Brief kann ich die Einzelheiten nicht anvertrauen; Dein Haus aber aufzusuchen verbietet mir ein Fieber, das, ohne gefährlich zu sein, mich an’s Bett fesselt. Nimm also, würdiger Olbasanus, zum Entgelt für Deine Bemühung die dreihundert Denare, welche der Knabe Dir gleichzeitig mit dem Schreiben hier übermitteln wird, und komm, so eilig Deine Zeit es gestattet, in die Wohnung der Wißbegierigen. Du kennst das Haus mit dem korinthischen Portikus am Nordhange des cälischen Hügels. Laß mich durch den Sklaven erfahren, ob und wann mein ungeduldiges Herz Dich erwarten darf.“
Olbasanus nahm das Gold in Empfang und schrieb drei Worte auf einen der zahlreichen Pergamentstreifen, die zierlich zurechtgeschnitten und auf einander geschichtet in einer Wandblende seines Gemaches lagen. Es war noch früh an der Zeit – kaum eine Stunde nach Sonnenaufgang; die Arbeiten des Beschwörers jedoch begannen für die Regel erst nach dem sogenannten Prandium, dem zweiten Frühstück; ihre größte Ausdehnung fiel in die Abendstunden. So konnte er also „Ich komme gleich!“ antworten; – „denn“ – fügte er in höflicher Wendung hinzu – „Olbasanus weiß, daß doppelt giebt, wer da schnell giebt.“
Zwanzig Minuten später hielt die gold- und purpurstrotzende Sänfte des Chaldäers, von vier kohlschwarzen Nubiern getragen, vor dem Vestibulum des Heliodorus. Solche Besuche der Wahrsager und Beschwörer bei den vornehmen Römerinnen waren weder selten noch auffallend. Olbasanus allerdings verfuhr im Bewilligen dieser Gunst ziemlich wählerisch.
Der Caldäer ward am Thürgang von dem Obersclaven des Atriums ehrerbietig empfangen. Er möge verzeihen, daß Niemand von der engeren Familie des Hausherrn zur Stelle sei; Heliodorus aber halte sich seit mehreren Tagen, dringlicher Geschäfte wegen, zu Antium auf, und Hero, die Tochter, sei spät zur Ruhe gegangen und schlafe noch.
Olbasanus nickte mit der ruhigen Förmlichkeit eines Mannes, der solche Phrasen gewohnt ist, und ließ sich nach dem großen Wohnraum unter den Säulen des Peristyls führen, wo Lydia, auf einem ehernen Langstuhle ruhend, seiner gewärtigte.
Da er die Schwelle betrat, stand die junge Sicilianerin auf, begrüßte ihn mit großer Verlegenheit und lud ihn ein, ihr zu folgen.
Hinter dem Wohnraum befand sich eine fensterlose, eirunde Exedra (Salon), die ihr Licht von oben empfing – der eigentliche Raum für die plaudernde Geselligkeit, die so sehr von den Römern, auch von den späteren, gepflegt und geschätzt wurde.
In dieses traulich verschwiegene Gemach fuhrte Lydia den lächelnden Orientalen, der aus ihrer bangen Verwirrung die Bestätigung des errungenen Sieges und neue Triumphe für die Zukunft herauslas.
Kaum jedoch hatte die Flügelthür sich hinter Olbasanus geschlossen, als aus der gegenüberliegenden Pforte drei handfeste Germanen hereinstürzten, die ihn packten, wie die Meute den Wolf packt. Trotz seines verzweifelnden Sträubens ward er gefesselt; ein Knebel, den die flachshaarigen Friesen ihm zwischen die Kiefern schoben, ermöglichte ihm gerade zur Not noch das Athmen.
Gleichzeitig traten von der Seite her Cajus Bononius und der Centurio Philippus in die Halle der Exedra.
„Was rollst Du so die Augen, Beschwörer der Hekate?“ sagte Bononius. „Dem Vertrauten aller Geister der Ober- und Unterwelt wird es ein Leichtes sein, diese Stricke aus einander zu sprengen und die Missethäter, die ihn berührt haben, entseelt auf den Boden zu werfen.“
Trotz des herausfordernden Hohnes, den diese Worte bekunden sollten, hatte die Stimme des jungen Mannes gebebt. Die Blitze, die dem Orientalen unter den Wimpern hervorlohten, waren in der That so wild und dämonisch, und die Erinnerung an die Vorgänge in dem Zauberhaus am quirinalischen Hügel so frisch, daß Bononius den Ueberwältigten nicht ohne Erregung zu seinen Füßen erblickte; denn Olbasanus war im Ringen mit den Sclaven in die Kniee gesunken.
Auf einen Wink des Centurio Philippus traten die flachshaarigen Friesen jetzt durch dieselbe Thür zurück, durch die sie hereingekommen. Er selbst aber näherte sich dem Gefesselten, zog das Schwert aus der Scheide und sagte kurz und bestimmt:
„Du hast Dich eines fluchwürdigen Verbrechens schuldig gemacht. Erkenne in mir einen Führer jener bewaffneten Körperschaft, die berufen ist, über dem Wohl und Wehe der Bürger Wache zu halten. Ich könnte Dich jetzt ohne Weiteres in Haft nehmen. Dein Schicksal wäre unzweifelhaft; denn abgesehen von Deiner Missethat wider Lucius Rutilius und die Tochter des Heliodorus sind auch heute noch jene Edikte früherer Imperatoren [299] in Kraft, die den Chaldäern und Mathematikern den Aufenthalt in der Siebenhügelstadt bei Todesstrafe verbieten. Daß die Behörden lässig gewesen sind in der Ausführung dieser Edicte, daß eine Nachsicht gewaltet hat, für deren schädliche Folgen Du der beste Beweis bist, das thut wenig zur Sache. Dennoch – trotz all Deiner Ruchlosigkeit will ich Gnade üben, dafern Du zwei Bedingungen, die ich stellen werde, pünktlich erfüllst. Willst Du sie hören, wohlan, so gieb mir ein Zeichen!“
Olbasanus, der schon bei den Worten des Cajus Bononius gemerkt hatte, daß seine Rolle hier ausgespielt war, senkte nach einigem Zögern das Haupt, wie ein Mann, der sich in das Unvermeidliche fügt. Die Art und Weise des ruhig entschlossenen Kriegers ließ ihm keinen Zweifel darüber, daß Philippus seine Drohung verwirklichen würde.
Jetzt kam auch Lydia, die sich bis dahin abseits gehalten, einige Schritte näher und beschaute mit zaghafter Neugier das Antlitz des Zauberers, den sie trotz der hundertfältigen Zureden des Cajus Bononius noch immer für eine Art von übernatürlichem Wesen hielt.
Allerdings – die klägliche Unterwürfigkeit, die jetzt an Stelle der bisherigen Wildheit getreten, war ganz geeignet, diese abergläubische Bangigkeit zu erschüttern.
„Gut,“ sagte Philippus zu Olbasanus. „Ich befreie Dich von dem Knebel, auf daß Du reden kannst. Solltest Du schreien oder etwa versuchen, durch Zaubersprüche oder sonstige Narrheit dem jungen Mädchen hier Furcht zu erregen, so soll die Klinge Dir’s gehörig verleiden.“
So sprechend nahm er ihm den hemmenden Knäuel aus dem Munde.
„Meine Bedingungen,“ fuhr er fort, „sind einfach genug. Du merkst, Olbasanus, daß wir Deine unglaublichen Betrügereien in ihrem wahren Wesen erkannt haben. Gleichwohl fehlt uns noch für einzelne Deiner frevelhaften Künste der Schlüssel. Dieser Jüngling hier, der schon damals Deine Schwelle nur in der Absicht betrat, den volksbethörenden Tand Eurer Beschwörungen hinter dem Vorhang zu sehen, heischt für Alles, was Du angewandt hast, um die Tochter des Heliodorus und späterhin den Lucius Rutilius zu täuschen, eine vollständige und wahrheitsgemäße Aufklärung. Weigerst Du Dich, oder lügst Du, so schleppen unsere drei Germanen Dich heute noch nach dem Kerker. Desgleichen wirst Du uns den benennen, der Dich so zu verwerflichem Gaukelspiel ruchloser Weise erkauft hat. Die Leistung dieser Geständnisse ist meine erste Bedingung. Die zweite aber ist die: Noch vor Ablauf des Jahres verlässest Du Rom. Wende Dich meinetwegen nach Nicomedia oder Alexandria; wenn diese Städte Dich dulden wollen – und ein Mann von Deinem Auftreten bleibt ja nicht unbemerkt – so ist das ihre Sache. Hier aber in Rom, wo Du nicht nur eine mir gleichsam anvertraute Bevölkerung, sondern mehr noch: meine besten Freunde betrogst, hier stell’ ich Dir mein drohendes Schwert entgegen, und wehe Dir, wenn Du diese Drohung mißachten wolltest! Erfüllst Du nun, was ich Dir aufgebe, so sollst Du ungekränkt wieder entlassen sein. Erwäge Dir’s rasch und antworte ohne Umschweif!“
Olbasanus hatte mit dem Scharfblick des Orientalen die Situation alsbald überblickt. Er fühlte, daß es nicht Haß und Rache sei, was diese Männer wider ihn aufreizte, sondern einerseits die freundschaftliche Gesinnung für den schwer betrogenen Lucius Rutilius, andererseits die fiebernde Neugier, die Ursachen jener räthselhaften Wirkungen zu erkennen, die – er wußte selbst nicht, wie und auf welchem Wege – für Cajus Bononius den Charakter des Uebernatürlichen plötzlich eingebüßt hatten. So glaubte er denn, die Bedingungen, die man ihm stellte, mit Aufbietung einiger schauspielerischer Talente zu seinem Vortheil umgestalten zu können. Die Siebenhügelstadt zu verlassen, dünkte ihm kein allzu schmerzliches Opfer, denn seit lange schon hatte er in Erwägung gezogen, ob es nicht an der Zeit wäre, seine Reichthümer endlich zusammenzuraffen und der immer drohenderen Gefahr, die ihm aus den alten kaiserlichen Edicten erwuchs, durch ein Zurücktreten in die Stille des Privatlebens ein für allemal zu entgehen. Nur so lange mußte er unbehelligt bleiben, bis ihm dies Zusammenraffen, insbesondere auch die Verwertung seines beträchtlichen Grundbesitzes, seiner Güter und Landhäuser, in Muße geglückt sein würde. Er besann sich daher nicht lange.
„Alles will ich bekennen,“ sagte er mit halb ironischem Lächeln, „dafern Ihr Alle mir schwört, daß Ihr mein Geständniß ein halbes Jahr lang geheim haltet. Nur dem Lucius Rutilius und der Tochter des Heliodorus dürft Ihr’s enthüllen, falls auch diese Euch Schweigen geloben. Auch will ich die Siebenhügelstadt meiden, wie es der Centurio verlangt; doch erbitt’ ich als Gunst eine Zusatzfrist von einigen Monaten. Weigert Ihr’s“ – hier ward seine Stimme plötzlich ernst und grollend wie ferner Donner – „bei allen Schrecken des Todes – dann biet’ ich lieber meinen Nacken dem Beil des Lictors.“
„Gewähr’s ihm!“ sagte Bononius, der vor Ungeduld brannte.
Philippus war einverstanden. Er sowohl wie der junge Weltweise und Lydia leisteten einen heiligen Schwur. Dann hieß Bononius den Chaldäer, der sich nur mühsam bewegen konnte, auf einer polsterbelegten Ruhebank niedersetzen, um dem Frager streng der Wahrheit gemäß zu antworten. Er selbst stellte sich mit gekreuzten Armen der Ruhebank gegenüber. Philippus, das Schwert in der Faust, trat dem Chaldäer zur Seite, während sich Lydia athemlos über die Rücklehne eines bronzenen Armsessels beugte.
„Vor allem Anderen,“ hob Cajus Bononius an, „künde uns Eins: glaubst Du an die Existenz einer unterweltlichen Macht, eines Wesens, das verwandte Züge mit der Schreckensgestalt der vom Volke geglaubten Hekate hat? Eine Antwort auf diese Frage erscheint mir um deswillen werthvoll, weil ich erfahren möchte, ob Du’s gewagt hast, eine Gottheit, von deren Walten Du überzeugt warst, durch den Trug Deines Gaukelwerkes zu beleidigen.“
Olbasanus lächelte. Jetzt, da er sich einmal gefügt hatte, schien er die ganze Sache leicht zu nehmen und weltmännisch, dem Epikuräer vergleichbar, der auf dem Speisesopha des glanzerfüllten Tricliniums über den Tod plaudert.
„Herr,“ sagte er vornehm gelassen, „ich glaube, wenn nicht an Hekate, so doch an das Vorhandensein der gewaltigen Lücke, welche sie ausfüllt. Ich, der ich die Menschen kenne, wie ein Gärtner die Blumen, ich versichere Dich: Gewisse Dinge müßten von uns, den Begabteren, systematisch erfunden werden, wenn die Phantasie des Volkes sie nicht selber erschüfe. Inzwischen könntest Du die Güte haben, meine Fesseln zu lösen. Unsere beschworne Vereinbarung, Eure Ueberzahl und das Schwert dieses Centurionen lassen diese Gefälligkeit unbedenkich erscheinen, und es philosophirt sich angenehmer, wenn man körperlich kein Mißbehagen erduldet.“
Cajus Bononius nahm keinen Anstand, diesem Wunsch zu willfahren.
„Wohl,“ hub er wiederum an, da er den Magier aus der Verschnürung befreit hatte, „so leugnest Du überhaupt das Dasein überirdischer Wesen?“
„Ich leugne Nichts und behaupte Nichts. Diese Welt ist so räthselhaft, das Wesen der Dinge für unsere Geisteskräfte so unerforschlich, daß es Wahnsinn wäre, über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines Dinges, das nicht unmittelbar in unserer Erfahrung liegt, ein bestimmtes Urtheil zu fällen.“
„Das lasse ich gelten. Jetzt zu den Einzelheiten!“
„Frage nur!“
„Was bewog Dich, jene erste Botschaft an die Tochter des Heliodorus zu senden? Wer erkaufte Dich?“
„Erkaufte?“ wiederholte der Orientale. „Das klingt so unschön, Cajus Bononius! Das Prophezeien war mein bürgerliches Geschäft. Wer da zahlte, dem stand ich mit meiner Kunst zur Verfügung, wie jeder Andere, der ein Gewerbe treibt.“
„Wer also bezahlte Dich?“
„Agathon, der Sohn des Philemon.“
„Du aber trugst kein Bedenken, um des gleißenden Goldes willen das Glück zweier Menschen mitleidslos zu Grunde zu richten!“
Olbasanus zuckte die Achseln.
„Wenn Hero glaubte, daß es vom Schicksal also bestimmt sei, so war dies ein starker Trost für allen Schmerz der Entsagung. Uederdies – weißt Du denn, ob diese Verbindung ihr Glück war? Schob mein Orakelspruch sich dazwischen, trennte er die Beiden, die sich vereinigen wollten: nun, so war dies vom Schicksal in der That so gewollt: denn Alles, was da geschieht, ist streng nothwendig, und die Dinge reihen sich durchweg am unzerreißbaren Faden der Causalität auf. Sagst Du mir, mein Wahrspruch würde ihr Glück zerstört haben, so versetze ich Dir mit gleicher Zuversicht: er hätte sie vor Unglück behütet.“
[300] „Eine treffliche Logik, beim Hercules!“ fiel Bononius ihm in die Rede. „Aber streiten wir nicht! Agathon also erkaufte – oder bezahlte Dich. Gab er Dir seine Gründe an?“
„Ich fragte ihn nicht; aber da der Mann mir bekannt war, errieth ich sie. Ich wußte, daß Agathon seit mehreren Monden am Rande des Abgrundes steht, und da ich erfuhr, daß Hero eine der reichsten Erbinnen der Siebenhügelstadt ist …“
„Wie erfuhrst Du das?“
„Was Hunderte wissen, sollte das mir unbekannt bleiben? Nicht umsonst halte ich mir besoldete Kundschafter in allen vierzehn Regionen …“
„Gut. Du willfahrtest ihm also, schriebst an Hero und legtest ihr jenes geheimnißvolle Blatt bei, das sich auf so räthselhafte Weise mit schwarzer Schrift bedeckte. Wie erklärt sich das?“
[307] „Einfach genug erklärt sich diese räthselhafte Schrift,“ entgegnete Olbasanus. „Aus Milch, Salzwasser und einem dritten Stoffe, dessen Zusammensetzung ich mühsam erfunden habe, bereite ich eine farblose Tusche, die sich schwärzt, sobald sie erwärmt wird. Das Blatt aus dem Buche des Gottes Amun war natürlich vorher beschrieben; die Hitze der Herdplatten erzeugte das Wunder, das die arme Thörin so in Verzweiflung brachte.“
„In der That verwünscht einfach!“ sagte Bononius beschämt. „Nenne mir jenen dritten Stoff!“
„Wie kann ich nennen, was keinen Namen hat? Mir allein ist diese Masse bekannt; ihre Bereitung aber aus einander zu setzen …“
„Du hast Recht. Es erübrigt uns noch Gewichtigeres. Zunächst das Eine: wie konntest Du wissen, daß der Jüngling, der mich begleitete und den ich nur durch Zufall getroffen hatte, Lucius Rutilius war? Er schwört mir, daß er Dir niemals begegnet sei. Kanntest Du ihn?“
„Nein. Aber all’ die Tage her war ich auf seinen Besuch gefaßt. Uebrigens, Agathon kannte ihn, und Agathon war Euch beim Heraustreten aus meiner Pforte begegnet. Während mein Diener Euch auf Umwegen in die Halle der Beschwörungen führte, kehrte Agathon eilends zurück und setzte mich von der bevorstehenden Ankunft des Rutilius in Kenntniß.“
„Der Diener konnte doch unmöglich voraussetzen, daß die Verzögerung unserer Ankunft in Deinem Interesse läge. Weshalb also wählte er diesen Umweg?“
„Das ist die Regel. Alle Fremdlinge wandern durch diese Gänge; nur wer mit Aufträgen kommt, wie Agathon, wird je nach Befund ohne Weiteres in meine Gemächer geführt.“
„Ich verstehe,“ sagte Bononius. „Wie aber – wäre uns Agathon nicht begegnet?“
„So hätt’ es mich freilich größere Mühe gekostet, die Persönlichkeit Deines Begleiters festzustellen – und andere Wunder hätt’ ich in Scene gesetzt.“
„Wie geschah es, daß die Leuchter sich rings entzündeten, als Du den Stab erhobst?“
„Ihre Säulen sind hohl. Mit kleinem Dochte brannten die Lampen bereits im Innern der Schäfte. Ein dichtes Drahtgeflecht hemmt den Lichtschein, den sie sonst auf die Decke würfen. Wenn ich den Stab erhebe, dreht mein Gehülfe hinter den Vorhängen ein eisernes Rad. Dieses Rad bewegt eine Vorrichtung, welche vom Boden her die Lampen emporschiebt, das verhüllende Gitter öffnet und die Dochte herauszieht.“
„Weiter!“ forschte Bononius. „Die metallenen Klänge, die Dein Stab der Platte des Altars entlockte –?“
„Rühren von einem kupfernen Becken her, das im Innern des Altars verborgen ist. Ein Knabe sitzt mit eisernem Stäbchen davor.“
„Dergleichen hab’ ich vermuthet. Jetzt aber: das plötzliche Zusammenbrechen des Opferthiers! Hat auch hier jener verborgene Knabe die Hand im Spiele?“
„Auch hier!“ versetzte der Zauberer. „An der Seitenwand des Altars befindet sich eine kleine verschiebbare Platte. Dieselbe ist mit einer dünnen Schicht gewöhnlichen Salzes bedeckt. Sobald das Thier mit dem Kopfe in die Nähe dieser Platte geräth, beginnt es, der Neigung seiner Natur entsprechend, an dieser Platte zu lecken. Geb’ ich das Zeichen, so schiebt der Knabe mit einem plötzlichen Rucke die Platte nach seitwärts, wo sich zwischen dem Marmor ein ihrer Größe entsprechender Raum befindet. Es kommt nunmehr an der Stelle, die eben noch von der salzüberschichteten Platte gedeckt war, eine zweite Platte zum Vorscheine, deren Oberfläche gleichfalls mit Salz, dazu aber mit einem augenblicklich wirkenden Gift überkleidet ist. Die Folgen habt Ihr gesehen.“
„Wie aber,“ fiel der Centurio ein, „wenn das Lamm Dir nicht den Gefallen thut? Wenn es müde oder gesättigt ist oder sonst sich störrisch erweist?“
„Dafür ist Sorge getragen. Das Thier muß seinen Lieblingsgenuß seit lange entbehrt haben. Schlimmsten Falles hatte ich ja Nichts in Aussicht gestellt. Wenn die Sache mir fehlschlug, so blieb sie Geheimniß; das Thier aber ließ sich tödten, wie jeder Priester sein Opfer schlachtet.“
„Du entnahmst nun dem Opferthiere das Herz und die Leber,“ fuhr Bononius fort. „Ich habe Dich auf’s Genaueste beobachtet. So lange Du die Eingeweide mit der Linken umspannt hieltest, trug die Rechte den Stab; also kann die Schrift, die dem guten Rutilius so die Fassung benahm, diesem Stab nicht entflossen sein. Noch weniger konnte das Thier die schon beschriebene Leber in der Brusthöhle tragen. Wie geschah das Unglaubliche?“
„Nicht mit der rechten Hand, die den Stab trug,“ lächelte Olbasanus; „mit der Linken vielmehr, in der ich die Leber hielt.“
„Unmöglich!“
„Versteh’ mich recht! In der Fläche der Linken stand das Wort ΘΑΝΑΤΟΣ mit eigens dazu hergerichteter Schwärze verkehrt geschrieben, ehe Ihr noch die Halle betratet. Die feuchte Leber sog diese Schwärze begierig ein, und als ich sie auf die Platte legte, war das Wunder vollendet.“
Es entstand eine lange Pause. Die lächerliche Einfachheit auch dieses scheinbar so unergründlichen Wunders und die kraftbewußte Dreistigkeit, mit der es der Chaldäer in Scene gesetzt, wirkten verblüffend. Selbst Lydia schämte sich jetzt, daß sie eine Zeit lang das entsetzte Grauen der armen Hero getheilt und nur mit Zittern und Zagen ihre Zustimmung zu dem Plane gegeben, der den Zauberer entlarven sollte.
„Fürwahr ein Meisterstück!“ sagte Bononius, beinahe ingrimmig. „Nun soll mich’s nicht überraschen, wenn ich erfahre, Dein sprechender Todtenschädel sei ein Gebilde aus Nebel oder aus Rauch gewesen! Allerdings: einfach sind die Dinge erst dann, wenn sie durchschaut sind. Verbleiben wir jedoch in der zeitlichen Reihenfolge! Nach den Donnerschlägen und Lichterscheinungen frage ich nicht; dergleichen hört und sieht man, wenn auch unvollkommener, selbst bei den Aufführungen läppischer Pantomimen. Wie aber erklärst Du uns die gespenstische Bewegung, die in dem Kohlenbecken entstand? Dies Phänomen war staunenerregend.“
„Auf dem Grunde des Beckens lag eine Schicht von Alaun, die durch die Hitze in’s Schmelzen und Brodeln gerieth und ihre Bewegung den Kohlen mittheilte.“
„Nun also zum Todtenschädel. Sein Sprechen war täuschend – so deutlich, wie ich jetzt Deine eigene Stimme vernehme.“
[308] „Es war die Stimme eines Gehülfen. Vom Boden aus mündete ein Rohr in der Kopfhöhle. Der Gehülfe sprach unten hinein, und so schienen die Worte direct aus dem Schädel hervorzuquellen.“
„Und sein Verschwinden?“
„War ein Zerschmelzen. Der Schädel war aus Wachs modellirt, und die Platten der Nische wurden von unten erhitzt.“
„Aber man sah doch nicht …“
„Ihr saht überhaupt nicht deutlich,“ fiel Olbasanus ihm in die Rede. „Ein Vorhang aus dünnem coïschem Gewebe schloß die Nische ab, ohne daß Ihr’s gewahrtet. Die Täuschung ward auf diese Weise erleichtert. Aehnlich wirkte nachher draußen im Park das vielverschlungene Netzwerk der Baumzweige, hinter denen die flammensprühende Hekate über den Himmel fuhr.“
„Erkläre uns auch diese flammensprühende Hekate!“
Der Chaldäer lachte hell auf. Dann sprach er mit eigenthümlicher Selbstironie:
„Verzeiht mir; aber es ist ein sonderbares Verhängniß, daß mein gewaltigstes Meisterstück mich immer zum Lachen reizt. Hunderte von Gläubigen hab’ ich auf dem Rundplatze meines Parks am Boden geschaut, wie sie verhüllten Hauptes stöhnten und ächzten, wenn das grausige Phänomen am nächtlichen Himmel aufstieg. Und dennoch – oder vielleicht gerade deshalb … der Contrast ist zu schneidig. Diese Hekate, die scheinbar mit rasender Schnelligkeit am Firmament einherzieht, ist nichts Anderes, als ein bedauernswürdiger Hühnergeier, mit brennendem Werg umwickelt. Einer meiner Gehülfen läßt das unglückselige Thier, das durch enganschließende Lederkappen am Schreien gehindert wird, aus einem gewaltigen, zwanzig Ellen langen Rohre entweichen. Der geängstigte Vogel behält so die Richtung bei, die er eingeschlagen. Ehe das Werg erlischt, hat der Geier bereits die Stelle erreicht, wo er aufhört, sichtbar zu sein. Durch die Aeste der zahlreichen Bäume getäuscht, versetzen die ehrfurchtsvollen Beschauer das Flammengebilde weit hinaus in den Luftraum und schreiben ihm so eine gigantische Größe und überraschende Schnelligkeit zu – ähnlich wie der Blick, wenn er in Gedanken dahinstarrt, eine Fliege, die nahe am Auge vorüberschwirrt, für den unklar gesehenen Schatten eines mächtigen Vogels hält. Das, o Bononius, ist Hekate, die Herrscherin über uns Alle, die Fürstin der Nacht, die grausenhafte Tyrannin der Unterwelt.“
„Genug,“ sagte Cajus Bononius. „Ich sehe es jetzt, uns Allen wohnt ein Hauch jenes gewaltigen Dämons inne, der Dein mächtigster Verbündeter ist: Aberglaube geheißen und menschliche Dummheit. Auch ich bekenne mich schuldig, unter dem Eindrucke dessen, was Du uns vorgegaukelt, für Augenblicke irre geworden zu sein an dem, was ich in langen Jahren angestrengter Arbeit errungen habe. Ich bin ein Mensch, darf ich hier mit dem Dichter sprechen; nichts Menschliches acht’ ich mir fremd, auch nicht die menschlichen Schwächen und Irrthümer. Du aber, Olbasanus, fürchte dereinst die erwachenden Qualen Deines Gewissens! Vermöge Deines unverkennbaren Scharfsinns berufen, ein Führer dieser irrenden Menschheit zu werden, die Nacht ihrer Irrthümer zu erhellen und ihr die Wahrheit zu bringen, verschmähst Du es nicht, aus ihren Schwächen Vortheil zu ziehen, jenem elenden Räuber vergleichbar, der einen Kranken und Wehrlosen plündert. Verlaß uns jetzt – sonst ergreift mich der Ekel, und ich vergesse, was ich Dir zugelobt. Andere Gefühle sollen jetzt meine Seele beherrschen – vor Allem die Freude über die glückverheißende Wendung im Schicksal Deiner betrogenen Opfer.“
„Ich gehe,“ sprach Olbasanus. „Bequem ist’s und wohlfeil, mich des Frevels zu zeihen. Eins aber frage Dich, o Cajus Bononius: wie viele von der ungezählten Schaar, die mir folgt auf dem Wege der Täuschung, würden meine Begleiter werden, wenn ich’s versuchte, sie mit Ernst und Eifer in’s Reich der Wahrheit zu führen? Einer von Tausenden! Der Trug ist farbenglühend und prächtig; seine schwülen Lüfte berauschen; auf den Höhen der Wahrheit weht es schneidig und kalt, und die Menschheit ist ein armes, frierendes Bettelkind.“
Cajus Bononius drehte ihm ohne Weiteres den Rücken. Stolzen Hauptes verließ Olbasanus die Exedra.
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Sechs Wochen später, in den ersten Tagen des Monats December, prangte das Haus des Heliodorus in leuchtendem Festschmuck. Laub- und Blumengewinde rankten sich an den korinthischen Säulen empor; unzählige Lampen schmückten die weiten Räume des Atriums und des Peristyls. Eine auserlesene Gesellschaft in glänzender Modetracht, Damen in farbig geblümter Palla, blitzende Diademe und Goldnadeln im Gelock, Senatoren in purpurstreifigem Festgewand und halbmondverzierten Schuhen, reiche Kaufherren in tyrischer Synthesis und lorbeergeschmückte Dichter drängten sich durch die schimmernden Colonnaden. Heliodorus feierte die Vermählung seiner Tochter Hero mit Lucius Rutilius. Der wackere Bononius aber, der die Reise nach dem fernen Massilia nicht gescheut hatte, um den Freund zurück zu holen nach der Stätte des neuerblühenden Glückes, ward – ein unbegreifliches Räthsel – von der Braut schier mit größerer Aufmerksamkeit behandelt als der Bräutigam, und Lucius Rutilius, weit entfernt, über diese scheinbare Vernachlässigung in Eifersucht zu entbrennen, mühte sich gleichfalls, dem jungen Weltweisen bei jedem Anlasse die herzlichste Sympathie zu bekunden. Cajus Bononius war augenscheinlich zerstreut. Sein Herz theilte sich seit geraumer Zeit schon zwischen der Befriedigung über den glücklich gelösten Bann, der auf Hero und Rutilius gelastet, und einer anderen Empfindung, die während der wenigen Tage seines Verkehrs mit Lydia herangereift war. Wie es kam, das wußte wohl Eros, der einzige Zauberer, an dessen Allmacht zu glauben der skeptische Bononius sich fürder gezwungen sah. Kurz, der junge Mann begehrte nichts Besseres, als in Lydia’s dunkeltiefe Augen zu schauen, ihre Stimme zu hören oder beim Wandeln durch die Säulengänge des Peristyls ihre langhin fluthende Stola zu streifen. Das war im Hinblick auf seine Vergangenheit höchst unphilosophisch – aber die Thatsache ließ sich nicht ändern.
Der Hochzeitstag des Rutilius gab ihm sattsam Gelegenheit, seine Sehnsucht in dieser Hinsicht zu stillen. Auch Lydia, die zuerst nur eine stille Bewundrerin seiner echt freundschaftlichen Gesinnungen und seiner rastlosen Energie gewesen, trat nach und nach in ein anderes Stadium … Als der Wegzug Hero’s aus dem Vaterhause erfolgt war, fühlte Lydia sich eigenthümlich vereinsamt … Da sie sich ausmalte, daß es doch ganz allerliebst sein würde, wenn auch sie, wie die Tochter des Heliodorus, ein eigenes Heim besäße, wo sie als Gattin eines hübschen, klugen und tüchtigen Mannes walten könne, da nahm die Gestalt dieses imaginären Mannes unwillkürlich die Züge des Cajus Bononius an … So war es keines der größten Wunder, die Eros zu Stande gebracht, wenn Bononius und Lydia im April des folgenden Jahres ein glückliches Paar wurden.
Vorher noch war die vornehme Gesellschaft der Siebenhügelstadt durch zwei Nachrichten überrascht worden, die eine Zeit lang das Tagesgespräch bildeten. Die eine bezog sich auf das plötzliche Verschwinden des chaldäischen Zauberers, der all seine Güter mitsammt dem orientalischen Prunkpalaste am quirinalischen Hügel verkauft und Rom ohne Abschied verlassen hatte; die andere auf den Selbstmord des Agathon, der sich im Warmbade seines über und über verschuldeten Wohnhauses die Adern geöffnet.