Textdaten
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Autor: Hermann von Schmid
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Titel: Der bairische Hiesel
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12–25, S. 177–180, 193–196, 209–212, 225–228, 241–244, 269–276, 298–300, 334–340, 366–368, 380–384, 397–400
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[177]
Der bairische Hiesel.
Volkserzählung aus Baiern.
Von Herman Schmid.


1.

Wer auf den Eisenschienen dahindampfend die Münchner Hochebene verläßt, um das Lechgebiet zu erreichen, der sieht zur linken Seite die Alpen des bairischen Hochlandes immer mehr zurücktreten und bald vollständig verschwinden; die weite fast unabsehbare Fläche, die ihn dann mit Haideland und stundenlangen Strecken schwarzen Torfmoors umgiebt, wird nur nach rechts hin von einem niedrigen Höhenzuge begrenzt, an dessen Fuß die braune Amper nach Süden einbiegt und auf welchem früher all der reiche Verkehr dahinzog, welcher nun durch Sumpf und Oede in der Ebene fliegt. Auf diesem Höhenzuge, wenn man ihn bei Dachau erstiegen, führt die alte große Heerstraße nach Augsburg, früher belebt durch Reihen von Frachtwagen, Reisefuhrwerk und Wandernde aller Art, umgeben von fruchtbarem, welligem Ackerlande, Wiesen und stattlichen Föhren- und Tannenwäldern – jetzt etwas abgeschieden und vereinsamt, bis die Eisenreifen auch hierher sich erstrecken und die still und echt ländlich gewordene Gegend zu einem Glied in der Kette gemacht haben werden, welche der unermüdliche Mensch bald ganz um seine Sclavin, die Erde, geschlungen hat. An manchen Tagen riß der Zug der Reisenden fast gar nicht ab und manches Dorf und manches jetzt schweigsam liegende Wirthshaus war damals die Stätte lauten fröhlichen Geschäfts und schallender Freude. Noch bunter war das Bild, als vor hundert Jahren die alte Reichsstadt Augsburg noch nicht mit Baiern vereinigt war und die Gebiete von einer Menge kleiner Reichsfürsten und Herren ihre Grenzen gerade hier sehr eng und mannigfaltig durcheinanderschlangen.

Zu dieser Zeit ging es in einem an der Straße gelegenen Wirthshause – vom Volke „am Erdweg“ genannt – noch lebhafter her als gewöhnlich; eine Hochzeit ward gefeiert und hatte eine so große Versammlung zusammengerufen, daß die zahlreichen Zimmer und Gaststuben des ansehnlichen dreistöckigen Gebäudes nicht hinreichten, alle Theilnehmer des Festes zu beherbergen. An der nach der Straße gerichteten Breitseite des Hauses führte von beiden Seiten eine freie Treppe auf eine Art ziegelgepflasterter Terrasse, wo ebenfalls lange Tische gestellt und von einer Anzahl Bauern der Umgebung in Beschlag genommen waren. Der Ort schien zugleich eine Art Ehrenplatz zu sein, denn es waren meist ältere und gesetztere Männer, die sich hier beim Bierkruge unterhielten und von dem Tanzvergnügen nicht angelockt wurden, das im obern Stock in vollem Gange war, denn in das grelle Pfeifen der Clarinette und die dumpfen Töne von Horn und Brummbaß mischten sich gellendes lang gezogenes Jauchzen, Händeklatschen und dröhnendes Stampfen, das die Grundfesten des Hauses einer sehr ernstlichen Probe unterwarf. Ueberdies mochte es sich unten auch angenehmer sitzen, als in der niedrigen, vollgepfropften Stube; gegenüber standen zwei stattliche alte Linden, durch deren schon mit leichtem Gelb sich färbende Wipfel die gegen Abend niedersteigende Sonne in angenehmer Brechung spielte, und dazwischen war die Uebersicht des ganzen Hofraumes frei, auf welchem Alles ankommen und abgehen mußte und das Fuhrwerk aufgestellt wurde.

Im Augenblick stand in demselben nur ein einziger großer Frachtwagen, hochgewölbt und mit weißer Blahe überspannt; mit dem buntbemalten Futtersieb, das an der Vorderseite hing, und mit bekränzten Buchstaben nicht minder herausgeputzt, als es die vier davorgespannten Braunen waren, von deren Geschirr und Kummet rothe Tuchlappen und Pelzstreifen herabhingen und die auf dem Lederzeug angebrachten Messingbuckel noch heller erglänzen ließen.

Der Fuhrmann war die Stiege heraufgekommen und sah nun, die Geißel im Arm und den frisch empfangenen Maßkrug in der Hand, über das Geländer gelehnt, dem Hausknecht zu, der den Rossen den Futterbarren zurechtstellte und füllte.

Es war ein stämmiger Bursch, dem das blaue Fuhrmannshemd und der Hut mit dem Blumenbüschel nicht übel ließ; ein verschmitzter Zug um den Mund aber und schielende Augen verdarben den Eindruck wieder, den die Gestalt gemacht. Die Kellnerin, eine derbe Bauerndirn in runder Pelzmütze und Mieder, setzte einen Teller mit Wurst und Brod neben ihn auf das Gesims. „Gesegn’ es Gott, Fuhrmann,“ sagte sie, aus dem angebotenen Kruge leicht nippend. „Woher des Wegs? Ist ja noch nie bei uns zugekehrt!“

„Glaub’s wohl, schön’s Jungferle,“ erwiderte der Fuhrmann mit stark schwäbischer Betonung, „’s ist auch das erste Mal, daß ich den Weg mach! Ich fahr’ von Ulm her, für einen reichen Kaufmann; werd’ jetzt schon öfter kommen und nie vorbeifahren, weil ich jetzt weiß, daß da so ein schön’s Jungferle daheim ist!“

„Wegen meiner braucht Er sich nicht aufzuhalten,“ rief die Dirne kurz und schob den Arm, den er um ihre Hüfte zu legen versucht hatte, ziemlich derb hinweg. „Wir haben die Zeit her ohne Ihn auch leben müssen!“

Der Fuhrmann zuckte verächtlich mit den Achseln und lachte laut auf, um den umsitzenden Bauern zu zeigen, wie wenig auch ihm an der schnippischen Dirne gelegen sei. Die Bauern aber [178] waren so in ihr Gespräch vertieft, daß sie das Vorgefallene gar nicht beachtet hatten – nur Einer, der etwas seitwärts saß, ein abgerissen und ärmlich aussehender Mensch, hatte zugehört und schob dem Fuhrmann seinen Krug entgegen, indem er, die Unterhaltung einzuleiten, leicht den Hut lüftete. „Glückliche Reis’, Fuhrmann,“ sagte er.

„Dank’ schön!“ war die Antwort, „es geht nimmer weit …“

„Nach München wohl? Was hast geladen, Fuhrmann?“

„Allerhand um ein’ Kreuzer! Tuch von allen Farben, Zucker und Kaffee und Tabak …“

Die Unterredung stockte einen Augenblick; dann fuhr der Bauer etwas leiser und mit einem raschen Seitenblick fort: „Hast den ganzen Wagen voll geladen?“

„Narr!“ rief der Fuhrmann und erwiderte den Blick, „man wird doch nicht mit halber Ladung fahren?“

„Nun ja, man redt ja nur! Hab’ nur gemeint, ob Du vielleicht noch was aufladen könntest unterwegs!“

„So? Wüßtest Du wohl gar etwas, das mitzunehmen wär’?“

„Wer weiß … es käm’ nur darauf an, daß man trauen dürfte… Meinst nicht,“ fuhr er sich zu ihm hinneigend weiter, „daß in der Münchnerstadt Jemand zu finden wär’, der einen feisten Rehbock kaufen thät?“

Ueber das Gesicht des Fuhrmanns ging ein freudiges Zucken: er schielte den Bauer an, nickte unmerklich und ging völlig unbefangen die Stiege hinab, um nach seinem Gespann zu sehen. Nach einigen Augenblicken war der Bauer auch unten und weil er so zufällig vorüberkam, half er dem Fuhrmann den Wasserkübel zu heben, aus dem die Rosse getränkt werden sollten.

„Hättest Du so was …“ flüsterte der Fuhrmann.

„Freilich … einen Capitalbock, dick und feist! Hat mir meinen Sommerhaber abgefressen, als wenn seiner Lebtag nie ’was auf dem Fleckel gestanden wär… Kannst ihn haben für einen Frauenbildel-Thaler, das ist die Decke allein werth und hast das Fleisch geschenkt …“

„Es gilt. Wo kann ich den Bock haben?“

„Wann Du durch den nächsten Wald fährst, siehst Du rechts von der Straß’, hart am Wald ein kleines Gütel liegen … das ist das Staudenhäusl, da bin ich daheim. Ich geh’ jetzt voraus; wenn Du in die ’Näh’ kommst, dann halt’ und thu’ als ob Dir was an Deinem Wagen zerbrochen wär’, dann komm’ ich und helf’ Dir … der Bock liegt derweil schon im Straßendickickt versteckt…“

„Abgemacht … Werd’ das Wildbrät schon anbringen, denk’ ich … hab’ selber lang genug kein Stück Wild mehr gesehn!“

„Aha … hast es auch schon schnellen lassen?“

Der Fuhrmann lächelte verschmitzt; er that als kümmere er sich gar nicht um den Bauer und kehrte an seinen Platz zurück. Dieser ging langsam am Hause hin und bog rasch um die Ecke.

Die Bauern waren indeß immer tiefer in die Krüge und in ihre Unterhaltung hineingerathen und horchten zu, wie der Schullehrer, ein abgedankter Soldat, die Zwickbrille auf der Nase, ihnen die Neuigkeiten kund gab, die er aus dem „Augsburgischen Postreiter“ enträthselte, wie Maria Theresia die Kaiserin ihren Sohn Joseph zum Mitregenten erhoben, wie der preußische Fritz, nachdem er nicht mehr Krieg zu führen hatte, Straßen und Canäle bauen, neue Dörfer anlegen und wüste Gegenden urbar machen lasse, und wie in Sachsen eine so große Noth herrsche, daß Tausende von Menschen Hungers gestorben.

„Gott bewahr’ uns in Gnaden,“ sagte ein alter Bauer, sich bekreuzend, „wenn wir noch einmal einen so nassen Sommer haben, wie heuer, kann es auch bei uns so weit kommen! Die Zeiten sind ohnehin schlecht, Anlagen so schwer, daß sie fast nicht mehr zu erschwingen sind. Jetzt ist die Grundsteuer wieder um zwei Gulden vom Hof gehöhert worden … dann kommen noch die Gilten dazu und der Zehent und die Laudemien … der Teufel mag wissen, wie man es anstellen soll, das zu erschwingen!“

„Um das zu erfahren,“ perorirte der Schullehrer, „braucht Ihr nicht beim Teufel anzufragen! Ihr dürft nur den alten Schlendrian aufgeben, Kartoffel anbauen und befolgen, was unser durchlauchtigster Herr Kurfürst befiehlt. Wofür ergehen denn die allerhöchsten Culturmandate und wofür muß ich Euch dieselben jeden Sonntag nach der Kirche vorlesen, wenn Ihr nichts hören wollt von den neuen Samen, vom Fruchtwechsel und von …“

„Ei was,“ unterbrach ihn der Alte, „wie ich mit meinen Feldgründen umgeh’n muß, was darauf wachst und was nit, das muß unser Einer am Besten wissen! Dazu brauchen wir keinen Zettel, den sie uns aus der Münchner Kanzlei herausschicken! Wie’s mein Ahnl gemacht hat, so mach’ ich’s und mein Bub soll’s nach mir auch so machen!“

„Wüßt’ auch nit!“ rief ein Jüngerer, „warum ich mich plagen sollt’, mehr Gründe anzubaun oder mehr Frucht zu erziehn! Damit ich nur mehr neue Abgaben zu zahlen hätt’! Wenn sie zehnmal sagen, daß der Neubruch zehn Jahr lang keine Steuer zahlen soll … nit wahr ist es! Was man Dir auf der einen Seit’ laßt, mußt auf der andern doppelt wieder hergeben – ich kenn’ unsern Rentteufel, dem wird Keiner zu schlau!“

„Und was hat man davon, wenn man sich genug geschunden hat und geplagt?“ fragte ein Dritter. „Wenn das Treid auch dasteht, daß kein böses Aug’ es anschauen soll, und Du hast glücklich keinen Schauer gehabt und keinen Mausfraß … dann kommt ein Rudel Hirsch’ und in einer Nacht ist das ganze Feld abgegrast und zusammengetreten, daß Du nit weißt, ob Du flennen sollst, wie ein klein’s Kind oder drein schlagen wie ein Wilder!“

„Da müßt Ihr eben selber abhelfen!“ eiferte der Schullehrer und nahm die Brille von der Nase. „Bei Tage kommt das Wild nicht und bei Nacht ist es Euch ja ausdrücklich erlaubt, es mit Schreien oder Peitschenknallen oder auch mit Feueranmachen zu verscheuchen!“

„Eine saubere Abhülfe das!“ rief der Junge entgegen. „Probir’s Er einmal, Herr Lehrer, wenn Er den ganzen Tag an der schweren Arbeit gewesen ist, wie das thut, wenn Er bei Nacht, statt auszuruhn, hinausstehn und das Feld hüten soll! Niederschießen soll man das Gethier alles miteinander! Es ist doch nur auf der Welt, uns Bauern zu plagen! Warum muß es denn so viel Wildbrät geben? Und warum dürfen wir nicht auch niederschießen, was aus unsern Grund und Boden kommt?“

„Du mußt den Schullehrer fragen,“ sagte der Alte, „vielleicht, weil er so siebengescheidt ist, weiß er das auch!“

„Das weiß ich auch!“ rief der Lehrer. „Das edle Wildbrät ist da, damit die Herren ein Vergnügen haben mit der Jagd, und schießen dürft Ihr’s nicht, weil das Wildbrät Niemand gehört, als dem Landesherrn! Merkt Euch’s, Regalia heißt man das!“

„Ja, ja!“ murrte der Alte wieder, „und das Herrenvergnügen müssen wir Bauern zahlen, und warum das Wildbrät, das frei herumlauft, so justement Einem gehören soll, das kann ich auch nicht begreifen! Wenn das wär’, hätt’ der liebe Gott gewiß auch einen Zaun wachsen lassen um den Wald herum, oder er hätt’ den Hirschen und Rehen ein Wappel hinaufgedruckt, damit sich Niemand dran vergreift! Es geht mir einmal nit in den Kopf, daß unser Kurfürst Max Joseph, der die gute Stund’ selber ist, das leidet, und wenn wir Bauern einmal zusammenständen und gingen hinein nach München und thäten ihm unsre Noth vorstellen – ich glaub’ gewiß, er thät uns helfen!“

„Kann wohl sein, probiren wir’s einmal!“ sagte der Jüngere. „Aber wir müssen bei alledem noch still sein und das Maul halten, denn bei uns ist es noch golden gegen da drüben, überm Lech, im Schwäbischen! Da sind so viel kleine Herren und Stifter und Jeder hegt seinen Wildstand … die Hasen und Reh’ sollen nur so herumlaufen, daß Du sie mit einer Pelzhauben todtwerfen könntest, aber sie müssen es still mit ansehen, sonst giebt’s Prügel und schweres Eisen und gar das Zuchthaus!“

Dem Lehrer war die Wendung des Gesprächs nicht angenehm, und da Niemand mehr ein Ohr haben wollte für seine Neuigkeiten, faltete er seinen Postreiter zusammen, legte die Nasenbrille hinein und ging mit einem kurzen brummigen Abschiedsgruß seine Wege.

Die Bauern steckten die Köpfe zusammen, um ihre Glossen zu machen, aber sie kamen nicht dazu, denn ihre Aufmerksamkeit wurde durch etwas Anderes angezogen.

Auf der Heerstraße stand eine Schaar bewaffneter Männer, die sich eifrig besprachen und dann nach verschiedenen Richtungen auseinander gingen. Die Einen davon waren durch die aufgeschlagenen, bordirten und mit Federn besteckten Hüte, durch das Grün der Aermelaufschläge und Rockkragen, wie durch Hirschfänger und Büchse als Jäger bezeichnet; andere ließ der halbsoldatische Anzug und die Muskete als Landreiter oder, wie sie auch genannt wurden, als Strickreiter erkennen. Sie hatten das platte Land zu [179] durchstreifen und von Gesindel zu säubern und trugen zur Sicherung ihres Fanges einen Strick gleich bei sich. Die Schergenknechte, die dabei waren, waren an den grauen Röcken, an dem umgegürteten Säbel und an dem nicht fehlenden Hunde kenntlich.

Einer der Schergen kam vor das Wirthshaus und setzte sich etwas abseits, denn der Scherge war unehrlich und durfte mit seinem deckellosen Krug nicht bei andern Leuten sitzen.

„Was wollen die miteinander?“ fragte einer der Bauern. „Die haben gewiß wieder was auf dem Korn und machen eine Streif …“

„So sieht’s aus,“ sagte der Alte leise entgegen, „und der Schergenknecht da hat sich auch nur hergesetzt, um zu horchen, ob es nicht was aufzupassen und aufzuschnappen giebt.“

„Frag’ ihn,“ flüsterte der Junge, den Alten mit dem Ellbogen anstoßend.

„Fallt mir nit ein,“ entgegnete dieser ebenso, „ich red’ den Kerl nit an, steigt mir schon die Gall’ auf, wenn ich ihn nur seh! Sind keine vierzehn Tag, daß er mir meine schönste Kuh gepfändet hat, wegen lumpigen zwanzig Gulden, die ich von der Steuer nit hab’ aufbringen können? Er wird schon selber anfangen und sagen, was er will!“

Der kluge Alte irrte nicht; der Scherge hatte kaum Platz genommen, als er mit grobem spöttischem Ton zu den Landleuten herüberrief: „Nun, Ihr Bauern, braucht Ihr alle miteinander kein Geld? Sonst thut Ihr, als wenn Ihr keinen Gulden zusammenbrächtet, und jetzt ist es, als wenn Euch die Kronenthaler nur so aus der Tasche fielen! Fünfzig Gulden giebt’s zu verdienen – das Landgericht hat’s als Preis ausgesetzt, wer den Nußberger-Gütler einfangt und seinen Buben!“

„Wir wollen Niemand sein Brod wegnehmen,“ entgegnete der Bauer kalt. „Er wird die fünfzig Gulden wohl selber brauchen können. Aber was hat denn der Nußberger verbrochen, daß auf ihn gejagt wird, wie wenn wir beim Treiben in die Frohn gehn müssen?“

„Was er gethan hat? Ein Verbrecher ist er, ein malefizischer Wilddieb, der in’s Zuchthaus gehört! Er hat sich an der kurfürstlichen Jagdhoheit verfehlt und einen Hasen in der Schling’ gefangen!“

„Und wegen eines miserablen Hasen,“ rief der Alte entrüstet, „muß ein ordentlicher hausgesessener Mann in’s Zuchthaus wandern? Wegen eines lumpigen Hasen muß er fort von Haus und Hof, daß vielleicht die ganze Familie darüber zu Grund geht? Ist ein solches elendes Vieh mehr werth, als ein Mensch und eine ganze Bauernfamilie?“

„Räsonnir’ nicht, Kreuzhuber,“ entgegnete der Scherg. „Wenn Du Dein Maul so spazieren gehen laß’st, könnt’s leicht geschehen, daß ich wieder in Deinem Kuhstall nachzuschauen bekäm!“

„Dann könnt’s aber auch leicht geschehen, daß Er nit so ruhig wieder hinauskommt, wie das letzte Mal! Und was wollt Ihr dann mit dem Buben? Hat der auch Hasen gefangen?“

„Der Lump kommt auf die Bank und kriegt einen ordentlichen Schilling!“ rief der Scherge mit rohem Gelächter. „Der Has’ war im Stadel unterm frischen Klee versteckt … der Bub hat’s gewußt und hat’s dem gestreng’ Herrn Landrichter bei der Haussuchung aus dem Gesicht herausgeleugnet!“

„Und dafür soll der Bub gestraft werden, daß er sein’ Vater nit verrathen bat? Kreuz Dividomini –“ schrie der Bauer aufspringend und schlug mit der geballten Faust auf den Tisch, daß die Maßkrüge tanzten. „Jetzt wird’s aber doch bald zu braun!“

„Was giebt’s, Kreuzhuber?“ fragte der Scherge frech, indem er sich zum Gehen anschickte. „Ich will nicht hoffen, daß Du was einzuwenden hast! Wer Wildbrät findet und mitnimmt oder wer’s gar in Schlingen fangt, der wird als ein Wilddieb malefizisch abgestraft – so steht’s im Mandat! Der Nußberger ist zwar auf und davon und der Bub’ mit, aber wir finden sie schon aus, und dann heißt’s marsch mit dem Alten in’s Zuchthaus und mit dem Jungen auf die Bank, und wer sie versteckt oder ihnen behülflich ist, den trifft die gleiche Straf’ … Verstanden?“

Er stürzte seinen Krug, stülpte sich den Hut auf und schritt lachend hinweg.

„Herrgott,“ rief ihm der Alte nach, „wie’s mich in der Faust juckt! Wenn man ihn nur anrühren und schütteln dürft’, wie einen andern ehrlichen Christenmenschen! Ich weiß nit, was daraus noch werden soll, das Volk wird alle Tag’ übermüthiger!“

„Das sind sie erst, seit der bairische Hiesel nicht mehr da ist!“ sagte der Junge. „Wenn der da wär’, thäten sie bald wieder klein beigeben – der hat’s verstanden und hat dem Jager- und Schergenvolk gehörig aufgedaumt!“

„Da hast Recht – ich hab’ auch davon gehört,“ mengte sich ein Dritter in’s Gespräch. „Aber wo ist er denn hingekommen?“

„Der Kurfürst hat ihn aufzuheben gegeben, damit er ihm nicht gestohlen wird! Sie sind ihm lang nachgegangen wegen des Wildschießens – einmal haben sie ihn Nachts im Bett erwischt, mitgenommen und nach München geschickt in’s Zuchthaus!“

„Mich wundert’s,“ sagte der Dritte, „daß er sich hat erwischen lassen … das weiß ja alle Welt, daß er fest ist und einen verhexten Hut hat!“

„Was hat er?“ riefen die Bauern durcheinander. „Einen verhexten Hut? Und fest ist er auch?“

„Freilich …“ betheuerte der Andere, „keine Kugel geht ihm ein! Mein Vetter, der Kramer von Mehring, hat ihn selber gesehen, im dortigen Wirthshaus, wie er sich mitten und ganz frei in die Stube hingestellt hat und hat auf sich schießen lassen und hat die Kugel mit der Hand aufgefangen. Die hat er dann in der Stube herumgezeigt – mein Vetter hat sie selbst in der Hand gehabt! Und mit dem Hut,“ fuhr er, durch die aufmerksame Neugier seiner Zuhörer ermuntert, fort, „mit dem hat’s auch seine Richtigkeit. In dem Hut sitzt der Fankerl, und wie er hineinschaut oder ihn an’s Ohr hält, sagt er ihm, wenn’s etwa nicht sauber und eine Streif’ oder ein Jäger in der Näh’ ist …“

„Das ist merkwürdig!“ sagte der Alte. „Hab’ auch schon Allerhand von dem Hiesel gehört! Schießen soll er können, daß er auf hundert Schritt aus einer Spielkarten jedes Fleckel hinaus schießt, das Einer nur will, und wenn die Jäger schon geglaubt haben, sie hätten ihn, ist er zum Fenster hinaus in einen Baum und ist von Wipfel zu Wipfel gesprungen, wie ein Eichkätzel! Wenn er nur wiederkäm’, der thät’ aufräumen unter dem überflüssigen Wildbrät und thät’ den Jägern und Schergen die Zeitigen wieder einmal herunterklauben …“

Die Gesellschaft hatte sich inzwischen um zwei Personen vermehrt. Die eine war ein wandernder Tabulet-Krämer, der mit seinem dünnen, aber sehr hohen und breiten Kasten auf dem Rücken keuchend und schwitzend von der Landstraße herangekommen war, sich aber kaum Zeit zur Erholung gönnte, sondern in Hoffnung eines bei den Hochzeitsgästen zu machenden guten Geschäfts sogleich daranging, die Riemen des Kastens loszuschnallen und seine Kostbarkeiten auszukramen. Ein Wolfshund von ungewöhnlicher Größe, braun und schwarz gestriemt, legte sich zu seinen Füßen unter den Tisch.

Den zweiten neuen Gast hatte Niemand kommen sehen; er saß mit einmal auf der Bank und rückte den Hut zum leichten Gruße gegen die Bauern hin. Es war ein junger Mann, von schlanker, aber kraftvoller und wohlgebauter Gestalt, mit kohlschwarzem, dichtem Kraushaar und einnehmenden Gesichtszügen. Um den Mund spielte ein gutmüthig lächelnder Zug, die gebogene Nase aber verrieth Festigkeit und aus den nußbraunen Augen blitzte Kühnheit und ein jede Gefahr verachtender leichter Sinn. Das Gewand war jägerartig geschnitten und aufgeschlagen, an dem aufgekrämpten Hute prangte der Gemsbart und der Flaumstoß von Auerhahnfedern.

Der Tabuletkrämer hatte während des Auspackens die Reden der Bauern vernommen; der Jäger warf nur einen flüchtigen lächelnden Blick nach ihnen hinüber und schien dann ganz mit dem Hunde des Krämers beschäftigt, dessen Wuchs und Kraft er wohlgefällig musterte und der ihn hinwider unverwandt mit funkelnden Augen betrachtete.

„Hört mir als mit dem Gepappel auf, Ihr Bauern,“ rief jetzt der Krämer zu diesen hinüber „und macht nicht so viel Aufhebens mit Eurem bairischen Hiesel. Er ist halt eben auch ein Wilddieb, wie ein Anderer und wie es bei uns daheim, in der Rheinpalz, auch giebt! Das Gepappel da, von seiner Stärk’ und von dem verzauberten Hut – das kennen wir schon! Das sind lauter solche Geschichten, die er selber ausgesprengt hat, daß man sich vor ihm fürchten soll!“

Der Jäger wandte sich gegen den Krämer. „Kennt denn der Herr den bairischen Hiesel?“ fragte einer der Bauern.

„Nein,“ erwiderte der Krämer, „ich hab’ ihn nie gesehn, und es ist mir nur leid, daß er eingesperrt ist, sonst hätt’ ich’s schon [180] probirt und hätte gezeigt, daß sich ein ordentlicher Rheinpälzer nicht vor ihm fürcht’ – ich hätt’ ihn gewiß gefangen!“

„Meint Ihr?“ lachte der alte Bauer. „Solche Hieselfanger hat’s schon mehrere gegeben, aber sie habens Alle wieder bleiben lassen!“

„Ich nicht!“ rief der Krämer. „Der Hiesel kann von Glück sagen, daß er schon eingefangen ist – bei mir wär’ er nicht so gut weggekommen! Ich hab’ schon als in der Palz von ihm reden gehört und hab’ mich schon hergericht’t uf die Rees’ und hab’ mein Kamerade’ den Tiras da drunten dressire lasse’ – der steht seinen Mann, der hätt’ mir den Hiesel schon gefangt … Da, der Herr ist ein Jäger,“ fuhr er fort, sich zu dem Fremden wendend, „also ein Sachverständiger – der soll mir’s bestätigen, ob ich nicht Recht hab’!“

Der fremde Jäger lächelte eigenthümlich, indem er bald den Hund, bald dessen Herrn betrachtete. „Ich kenne den bairischen Hiesel nicht und weiß nicht, wie stark er ist,“ sagte er dann, „aber der Hund ist so schön und groß, wie ich noch keinen gesehn hab’, und wenn er gut abgerichtet ist, hat er nicht leicht seines Gleichen!“

„Na, da hört Ihr’s!“ rief der geschmeichelte Krämer. „Wenn ich den Tiras auf ihn gehetzt hätte und hätte gerufen ,Huß Tiras! Faß, Faß’ … der Hund hätt’ ihn am Kragen gepackt und niedergerissen, daß er das Aufstehn vergessen hätte!“

„Ist der Hund nicht feil?“ fragte der Jäger leichthin.

„Nee, die Kränk’! Den geb’ ich nicht her, nicht um’s Dreifache, was er werth, ist! Ist gar ein wachbares Thier, ich könnt ihn bei meinem Kasten mutterseelenallein mitten im Wald liegen lasse, es thät mir doch kee Mensch was anrühre …“

„Das ist schade – ich hätte gern seine Stärke probirt!“

„Das wollt’ ich dem Herrn als guter Freund nicht rath’n. Die Kränk’, da könnt’ Er bös weg komme’, der könnt’ Ihm ein paar Fetze’ vom Leib reisse’, daß nur so eine Art hätt’ …“

„Das ist meine Sache,“ rief der Jäger und stand auf. „Ich will den Hund probiren, hetz’ Er ihn einmal auf mich.“

„Das werd’ ich bleibe lasse,“ erwiderte der Krämer, „das könnt’ ämol ne schene Geschicht’ abgebe …“

„Kein Mensch wird Ihm etwas anhaben, wenn Er thut, was ich selber verlange … die Leute alle sind Zeugen. Will Er den Hund auf mich hetzen oder nicht?“ Blick und Ton, womit diese Frage, obwohl anscheinend ganz gleichgültig, begleitet war, hatten etwas so Wildes und Befehlendes, daß der Krämer nicht recht wußte, wie ihm geschah. „Die Kränk’,“ stammelte er ganz verwirrt, „wenn der Herr durchaus verrisse sei will, so kann ich Ihm ja das Vergnüge mache … Ich will aber keene Schuld habe, die Herrn Bauern da müssen mir’s bezeuge …“

„Ich gehe über die Stiege hinunter,“ sagte der Jäger, „sobald ich Drei zähle, lass’ Er den Hund los …“

Das gewaltige Thier schien eine Ahnung dessen zu haben, was vorging; es hatte sich erhoben, schüttelte den Kopf und streckte Leib und Pranken, als ob es im Spiele die Kraft seiner Muskeln zeigen und üben wolle. Der Krämer hielt den Hund am Halsbande gefaßt; die Bauern drängten zu Stufen und Geländer, um sich das Schauspiel des merkwürdigen Kampfes nicht entgehen zu lassen.

Jetzt ertönte der verabredete Ruf; „Hussa! Hussa!“ rief der Krämer, den Hund loslassend. „Faß, Tiras! Faß!“ Wie ein aus dem Käfig entsprungenes Raubthier stürzte der Hund die Stufen hinab und war in zwei Sätzen an seinem Mann, den er mit gewaltigem Sprunge, sich hoch aufrichtend, im Nacken zu fassen versuchte; blitzschnell aber hatte der Jäger sich gewendet, daß sie sich nun von vorn gegenüber standen. Die Pranken des Hundes lagen auf den Schultern des Mannes, sein Kopf war fast dessen Gesicht gegenüber – die eine Hand des Angegriffenen hielt den Hund an der Kehle, mit der andern war er ihm in den Rachen gefahren und hielt dessen Unterkiefer mit aller Macht gefaßt. Das gewaltige Thier machte mit dem Aufgebot all’ seiner Kräfte furchtbare Anstrengungen seinen Feind aus deim Gleichgewicht zu bringen und sich von der zwängenden Klammer zu befreien; es stieß ein wildes Geheul aus, das dann in ängstliches Knurren und zuletzt in Gewinsel überging. Es zog den Schweif ein und ließ die Pranken sinken, der Jäger zog die Hände zurück, aber er hielt das Auge unbeweglich auf das des Hundes geheftet, der wie gebannt, als könne er den Blick nicht ertragen, sich niederlegte und ängstlich bis zu den Füßen seines Bezwingers kroch.

Die Bauern stießen ein lautes Beifallsgeschrei aus, während der Krämer voll Zorn und Aerger alle Farben spielte und nicht übel Lust zu haben schien, den Hund seiner Niederlage wegen zu züchtigen. Er unterließ es aber, denn Tiras knurrte bedenklich und fletschte ihm die Zähne entgegen; der fremde Jäger hatte sich abgewandt und schritt, als ob nichts Besonderes vorgefallen, dem Hause zu.

Am Ende der Treppe stand der Fuhrmann, welchen der Lärm ebenfalls herbeigelockt hatte. „Grüß’ Gott …“ murmelte er dem Vorübergehenden zu.

Dieser warf ihm einen flüchtigen Blick zu und eine widrige Empfindung malte sich in seinen ausdrucksvollen Zügen. „Du hier?“ flüsterte er. „Was bringst Du?“

„Nichts!“ tönte es flüchtig entgegen. „Auf Mariä Geburt … im Augsburger Bannwald …“

[193] Der Fremde schritt vorüber und eilte durch den Hausgang in den obern Stock wo der Tanzplatz war; es hatte den Anschein, als wolle er den unangenehmen Eindruck der letzten Begegnung durch freundlichere Bilder verwischen. Es hatte schon zu dämmern angefangen und der Tanz, welcher auf Befehl der Obrigkeit nicht in den Abend hinein dauern durfte, war bei seinem Schlusse angelangt; der „Polsterl-Tanz“, das Ende und einer der Hauptreize des Festes, hatte begonnen. Die Bursche und Mädchen standen in weitem Kreise und hielten sich an den Händen gefaßt; in der Mitte stand die Braut, das Ehrenkrönlein aus Silberflitter auf dem Kopf, in der Hand ein Bettkissen, nach Landessitte ein Polster genannt. Sie machte einige tanzende Schritte hin und her, indem sie einen alten Reim halb sang, halb hersagte; dann mußte sie das Kissen vor dem Tänzer, den sie wählte, zu Boden werfen; der Bursche kniete darauf nieder, worauf die Wählende ihn einigemale zierlich umkreiste, dann aber mit einem Kusse aufhob und nach dem lustig einfallenden Ländler mit ihm einigemale im Kreise herumtanzte. Dann schlüpfte das Mädchen aus dem Ring, und nun war es an dem Tänzer sich auf gleiche Weise eine Partnerin zu wählen, und so währte das Spiel, bis zuletzt ein ungewähltes Paar übrig blieb. Das mußte dann wohl oder übel mit einander tanzen, und irgend ein Spaßvogel sprang mit dem Kehrbesen hinter ihnen drein und fegte sie unter allgemeinem Gelächter zur Thür hinaus. Alle bäuerliche Lustbarkeit, aller ländlich-derbe Scherz wurde dabei losgelassen; Gunst, Abneigung und Neckerei hatten ihr freiestes Spiel, zumal wenn eine schelmische Dirne dem sich schon begünstigt glaubenden Burschen das Kissen rasch unter den Knieen wieder wegzog, daß er hart auf den harten Boden plumpen und sich den Mund wischen mußte.

Die Braut hatte sich ihren Neuvermählten geholt, dieser die erste Kranzeljungfer, und jetzt stand diese in der Mitte und ließ die blauen Augen im Kreise herumgehen, um den Würdigen zu erspähen, den sie mit Kuß, Kissen und Tanz beglücken sollte. Es war ein hübsches Mädchen, zu dessen blondem Haar der grüne Kranz mit weißen Blumen gar lieblich stand und dessen rothe Wangen den Rosenstrauß im schwarzen Mieder beschämten. Auf einmal blieb ihr Blick überrascht an dem fremden Jäger hangen, der zuschauend mit voller Kopfeslänge alle Bursche überragte. Ihre Wange färbte sich tiefer, einen Augenblick schien sie unschlüssig zu zaudern, dann aber, wie von etwas Unwiderstehlichem angezogen, eilte sie auf den Jäger zu und legte ihm das Kissen vor die Füße. Mit einem Anstande, der weit über die Verhältnisse der ganzen Umgebung ging, ließ der Fremde sich auf ein Knie nieder, und da das Mädchen, nun erst der übernommenen zweiten Verpflichtung sich erinnernd, unschlüssig zögerte, umschlang er sie rasch und drückte ihr keck und doch nicht ausgelassen einen herzhaften Kuß auf die frischen Lippen.

Während des Tanzes schien mit Beiden eine eigenthümliche Veränderung vorzugehen; das Mädchen hatte seine ganze frische Munterkeit eingebüßt und kam mit den niedergeschlagenen Augen nicht von der Erde los – auch der Jäger war wie befangen, und wenn auch seine Blicke unverwandt an dem Antlitz seiner schönen Tänzerin hingen, fand er doch kein Wort, in dem angeschlagenen freien Tone fortzufahren. Die Zuschauer folgten staunend den Tanzenden und meinten, daß sie selten noch ein schöneres Paar, ganz gewiß aber niemals einen Tänzer gesehen, der solche Zierlichkeit mit gleicher Kraft und Ausdauer verband. Er berührte kaum den Boden und doch war jeder Schritt fest und kräftig; jede Bewegung der Arme, jede Drehung war so angenehm, daß sie einem Edeljunker keine Unehre gemacht hätte. Jäger waren bei den Tänzen der Bauern keine gern gesehenen Persönlichkeiten; die Bursche fingen daher schon an, finstere Mienen zu machen und sich zu berathen, ob der Eindringling geduldet werden sollte; dieser aber hatte inzwischen, als der Tanz beendigt und seine Tänzerin aus dem Kreise geschlüpft war, das Kissen wieder vor der Braut niedergelegt und wußte das so fein zu machen, daß die Geschmeichelte dem hübschen Jäger ohne Widerwillen folgte. Endlich frei geworden spähte er mit dem Auge eines Falken im Tanzsaale umher und hatte bald die Kranzjungfer entdeckt.

Sie war auf die Altane vor dem Saale getreten und fächelte sich, an die Brüstung gelehnt, mit einem Tüchlein kühle Luft zu; es war ihr so wunderbar warm geworden bei dem letzten Tanze.

Sie schrak leicht zusammen, als der Jäger unvermuthet zu ihr trat und sie mit höflicher Verbeugung ansprach. „Will mir die Jungfer wohl erlauben, daß ich ihr Gesellschaft leiste?“ sagte er. „Es ist lieblicher und stiller da außen als auf dem dumpfigen Tanzboden.“

„Wenn’s dem Herrn beliebt,“ erwiderte sie schüchtern, „ich kann’s dem Herrn nicht verbieten!“

„Ich möchte aber,“ fuhr er schmeichelnd fort, „daß die Jungfer mir das Dableiben nicht nur nicht verbietet, sondern erlaubt … daß sie es gern sieht, wenn ich bei ihr bin.“

[194] Sie warf ihm einen raschen Blick zu, aus welchem etwas von ihrer frühern Munterkeit aufleuchtete. „So geschwind,“ setzte sie hinzu, „schießen bei mir daheim die Jäger nicht!“

„Ich bin aber gar ein besonderer Jäger und hab’ meine besondere Weis.“ sagte er. „Drum möcht’ ich gar zu gern wissen, wo die Jungfer daheim ist und wie sie heißt?“

„Der Herr wird’s doch nit kennen, wenn ich’s auch sag’ … es ist ein gar kleines Dörfel … drüben an der Paar, nit weit von Friedberg – heißt Kissing …“

„Kissing?“ rief der Jäger in plötzlicher Bewegung, die er nicht zu bemeistern vermochte; er hatte Mühe, als sie ihn verwundert ansah, gelassen fortzufahren: „Ei, das ist wohl ein kleines, aber ein gar liebes und freundliches Oertel! Das kenn’ ich gut!“

„Ist das wahr?“ rief sie mit unverhehlter kindlicher Freude. „Der Herr kennt unser Dörfel und es gefallt Ihm da?“

„… Ich bin dort gewesen … einigemal, als Bub!“ sagte er zögernd, „bin lang fort, aber es ist mir doch fest in der Erinnerung geblieben!“

„Da ist’s dem Herrn gegangen, wie mir,“ erwiderte das Mädchen zutraulicher. „Ich bin in Kissing daheim, aber ich hab’ auch schon früh, wie ich noch ein kleines Mädel war, fortgemußt – zu einer Bas, die ein großes Gut hat, gegen Friedberg hin – ich bin wenig mehr heimgekommen und hab’s doch nit vergessen!“

„Und das Haus, wo die Jungfer daheim ist?“ fragte der Jäger. „Will sie mir das nicht sagen und ihren Namen dazu?“

„Der Herr wird’s kaum wissen … ich bin auf dem Baumüllergut daheim … mein Nam’ ist Monika!“

„Ich bin … wie ich der Jungfer schon gesagt … wenig bekannt, aber den Baumüller-Hof weiß ich recht gut. Das Haus liegt gar schön in einem kleinen Grasanger und nicht weit davon fließt die Paar nach der Mühl’ hinunter und wo sie einbiegt, da ist eine Tiefe, mit Erlenstöcken besetzt und mit Hainbuchen …“

„Ja, ja!“ rief sie freudig, „als wenn ich’s leibhaftig vor mir sähe! Und der Eierberg schaut drüber herein mit seinen Haselstauden und durch’s Dorf hinauf geht’s an der Paar hin, auf die große Wiese … weiß der Herr, nit weit von dem kleinen Häus’l, wo der Brentan wohnt, der Herrgottmacher?“

„Weiß die Jungfer dies Haus auch?“ fragte der Jäger mit eigenthümlichem Tone.

„Gewiß … bin manchesmal hinein gekommen und hab’ dem alten Klostermair zugeschaut, wenn er seine Kreuzeln und Herrgott geschnitzelt hat … und dann, welche Kissingerin sollt’ das Haus nit kennen, ist es doch die Heimath vom bairischen Hiesel …“

„So kennt Sie wohl den bairischen Hiesel auch?“

„Als Buben hab’ ich ihn wohl gekennt und bin oft mit ihm in’s Nußbrocken gegangen am Eierberg und zum Krebsfangen unter den Erlstöcken an der Paar … dann bin ich fort ’kommen und hab’ ihn nit wieder gesehen – aber ich hab’ oft an ihn denken müssen, wenn Alles von ihm erzählt hat, und …“

Sie hielt inne; ein Anflug von Rührung hinderte sie, weiter zu sprechen.

„Und …?“ fragte der Jäger leise und faßte ihre Hand.

„Und hab’ daran denken müssen, was er für ein lieber, herzensguter Bub’ gewesen ist … und daß er so ein armer, verfolgter Mensch worden ist … Aber was geht das den Herrn an!“ brach sie ab und trocknete die Augen mit der Schürze. „Es freut mich recht, daß ich den Herrn kennen gelernt hab’, weil er mein’ Dörfel so gut kennt und es auch gern hat… Bei wem ist denn Er gewesen in Kissing?“

„Ich? … Ich bin auch viel aus- und eingegangen bei dem Brentan, dem alten Bildschnitzer, aber die meiste Zeit war ich bei dem Jäger, dem Wörschinger … Ob er wohl noch lebt, der alte Lienhard?“

„Gewiß weiß ich’s nicht, Herr … mir ist fast, als wenn ich gehört hätt’, es sollt’ ein neuer Jäger hinkommen – also wird der alte Lienhard wohl todt sein!“

„Gott tröst’ ihn … er war ein braver Mann! Aber das Jägerhaus … das liegt gar schön und sieht gar stattlich aus, Jungfer … möcht’ Sie nicht da drinnen wohnen und wirthschaften als Jägerin?“

Das Mädchen sah erglühend zu Boden. „Es wird wohl Zeit sein, daß ich wieder hineingeh’,“ stammelte sie verwirrt.

„Geb’ Sie mir doch erst Antwort, Jungfer Monika …“ drängte der Fremde. „Wenn ich nun ein solches Plätzchen und ein solches Häus’l wüßte und wäre der Jäger und käme zu Ihr und fragte, ob Sie meine Jägerin werden möchte?“

So fest er ihre Hand gefaßt hielt, entschlüpfte sie ihm doch ohne Antwort und huschte in die Tanzstube zurück; der Mann aber saß noch lang und starrte in den sonnenrothen Abendhimmel hinaus.

Inzwischen waren auch die Jäger mit leeren Händen von ihrer Streife zurückgekommen und dachten, Aerger und Unwillen im Wirthshause über dem Hochzeitsjubel sich aus dem Sinn zu schlagen. In dem obern Stock angekommen, war ihnen der fremde Jäger im Gespräch mit der Kranzjungfer um so weniger entgangen, als Keiner von ihnen sich wohl je einer ähnlichen Gunst zu erfreuen gehabt. Die Frage nach dem Fremden flog hin und wider; niemand kannte ihn, niemand wußte, woher er gekommen und in welches Herrn Diensten er stehen mochte. Sie nahmen sich vor, das auszuforschen, und ein langer schwarzbärtiger Mann, ein Wildhüter, strich sich den Schnurrbart und rief: „Laßt nur mich machen, Cameraden! Den wollen wir bald heraus haben, wie den Dachs aus dem Bau; denkt, der schwarze Wurzer hat’s Euch gesagt!“ Die Gelegenheit dazu ergab sich bald, denn einer der angesehensten Hochzeitsgäste, der den weitesten Heimweg hatte, brach auf und sollte nach unverbrüchlicher Sitte hinausgeblasen oder „heimgegeigt“ werden. Die Musikanten voran ging es über die Stiege hinab, zum Hause hinaus, bis an den Wagen des Scheidenden, welchem auch Braut und Bräutigam das Geleit gaben bis an die Hausthür. Alles drängte juchzend, schreiend und singend nach, auch die Jäger und der Fremde traten wieder auf die Terrasse. Die Jäger lehnten vorsichtig ihre Gewehre in einer Tischecke übereinander.

Die Sonne ging eben unter; der letzte Lichtblitz flog über die dämmernde Landschaft.

„Ei sieh einmal,“ rief jetzt der Wildhüter dem Fremden zu, „der Herr scheint auch ein Jäger zu sein … da wären wir ja Cameraden!“

„Ein Jäger bin ich,“ antwortete der Fremde kurz, „aber mit der Cameradschaft wird’s nicht weit her sein!“

„Ei warum das! Der Herr muß sich eben durch ein paar Waidsprüche ausweisen, daß er ein Jäger ist. Sag’ Er mir einmal, was ist das für ein Thier, das mit zwei Löffeln frißt?“

„Fopp’ Er sich selber oder wen Er sonst will,“ antwortete der Fremde und wendete sich unmuthig ab. „Ich hab’ Ihn auch noch nicht gefragt, wer Er ist!“

„Ei, das sieht man Unser Einem wohl über’s Gewand an!“ lachte der Waldhüter. „Aber eben darum hat man ein Recht, Jeden zu fragen, der einen solchen Rock am Leib’ hat, ob er ihm auch gebührt … man hat also ein Recht, nach der Kundschaft zu fragen.“

„Fragen kann Er immerhin, aber zu sehen kriegt Er nichts!“

„Mit dem Burschen ist’s nicht richtig!“ flüsterte der Wildhüter seinen Gefährten zu. „Denkt, der schwarze Wurzer hat’s gesagt! …“ Und wieder zu dem Fremden gewendet fuhr er spöttisch fort: „Und nicht einmal ein Gewehr hat der Camerad?“

„Das kommt nach,“ erwiderte dieser ebenso, „ich laß’ mir’s aus München nachschicken, wo ich in Diensten war …“

„So? Bei wem denn?“

„Bei … dem Baron Peterl!“

„Die Herrschaft hab’ ich noch nie nennen hören. Hat der Baron Peterl denn eine große Jagd, daß Er das Schießen nicht verlernt hat bei ihm?“

„Das will ich meinen,“ sagte der Fremde ungeduldig, stand auf und hielt im Augenblick den Stutzen des Waldhüters in der Hand, den dieser zwischen die Kniee gestellt hatte. „Mit Verlaub,“ sagte er dann kaltblütig. „Die Kundschaft kriegt Er von mir nicht zu sehen, aber daß ich ein Schütz’ bin, will ich dem Herrn zeigen … Sieht Er den Raben, der dort über den Acker hinstreicht? … Den will ich herunterholen und ihm den Kopf wegputzen …“ Im Augenblick krachte auch schon der Schuß, der Vogel drehte sich, Federn stäubten um ihn; ein Bursche rannte hinaus, ihn zu holen … „Das weiß der Teufel, wie das zugeht,“ sagte er, ihn herumzeigend, „der Kopf ist wurzweg abgeschossen!“ Der Wildhüter saß wie verdutzt und drehte das rauchende Gewehr in der Hand, als ob er sich überzeugen wolle, daß [195] es dasselbe sei; die Bauern stießen einander an und lachten; die Jäger standen unschlüssig – der Fremde allein saß ruhig an seinem Platz und that einen Zug aus seinem Kruge.

Ehe das allgemeine Staunen Wort und Ausdruck finden konnte, erscholl aus dem Hause und den Vorplatz entlang der Lärm einer zankenden Männerstimme, in welche die hellere eines Weibes keifend einfiel und das Weinen eines Kindes sich mischte. Einer der Jäger kam aus der Küche herbei und schleppte einen Bauernknaben mit sich, den er am Halse gefaßt hielt. Die Wirthin folgte mit feuergeröthetem Gesicht und hochaufgestülpten Aermeln, wie sie am Heerde gestanden war. „Da ist der Nußberger-Hallunk!“ rief der Jäger. „Ich war in die Küch’ gegangen, um meine Tabakspfeife anzubrennen, da sitzt der Bursch ganz frech am Heerd und läßt sich’s schmecken!“

Bauern und Gäste drängten sich um die Jäger und ihren Gefangenen, einen trotzigen Knaben von etwa zwölf Jahren, der zwar todtenblaß aussah, aber, nachdem der erste Jammer überstanden war, seine Feinde mit thränenlosen, grimmigen Augen anstarrte, er verzog keine Miene, als ihm der Eine die Arme zurückschränkte und auf dem Rücken zusammenschnürte, daß sie sogleich zu schwellen anfingen.

„Und warum,“ rief die Wirthin, „soll das Bübel nit essen, was ich ihm gegeben hab? Er ist in meine Kuchel gekommen, völlig erlegt und ausgehungert, und ich möcht’ wissen, wer sich unterstehn darf, ihn aus meiner Kuchel fortzuführen!“

„Schweig’ die Frau Wirthin,“ rief der Jäger, „der Bub’ ist ein Wilddieb, und weil wir nur einmal den Jungen haben, wird uns der Alte auch nicht auskommen! Wo ist der Vater, Lump?“ fügte er hinzu, und versetzte dem Knaben einen Stoß in den Rücken.

„Sucht ihn, wenn Ihr’s wissen wollt!“ antwortete dieser keck; der Jäger holte aus, um wieder nach ihm zu schlagen, aber die Wirthin trat abwehrend dazwischen.

„Laß Er das Bübel in Ruh!“ rief sie. „Ich, die Wirthin am Erdweg, ich leid’s einmal nicht, daß Er ihn so tractirt! Wenn Er ihn mitnehmen muß, in Gottes Namen – aber zu schlagen braucht Er ihn darum nicht! Was kann es denn so Schreckliches verbrochen haben, das halbgewachsene Bübel da?“

„Sein Vater hat einen Hasen gefangen und im Stadel unterm Klee versteckt – der Bub’ hat’s gewußt und hat ihn doch verleugnet.“

„Und deßwegen soll das Bübel in’s Gefängniß?“ rief die Wirthin wieder. „Schamt’s Enk in’s Herz hinein, Ihr Jaga, wenn Ihr nichts Bessers zu thun wißt! Gebt’s zu und laßt den armen Teufel laufen!“

„Daß ich ein Narr wär’ und den Vogel wieder ausließe, den ich in der Hand habe!“ rief der Jäger. „Der Spitzbub’ muß in’s Loch und auf die Bank … so gehört sich’s.“

Die Bauern sahen unmuthig zu, wie er sich anschickte, seinen Gefangenen fortzubringen; sie murrten und schalten, aber sie wagten keinen Widerstand. Wäre es auch ein Leichtes gewesen, den Knaben zu befreien, so wußten sie doch, daß die Folgen davon nur desto schwerer auf sie selber zurückgefallen wären.

Da drängte ein gewaltiger Arm mit einem Ruck die Umstehenden nach beiden Seiten auseinander, und in der Mitte, dem Knaben und den Jägern gegenüber, stand der fremde Jäger. Er hatte mit einer raschen Wendung seine Stellung so genommen, daß er den Tisch mit den Gewehren im Rücken hatte.

„Komm her, Kleiner,“ sagte er zu dem Knaben, zog ein blinkendes Waidmesser und schnitt ihm mit einem Zuge die Stricke von den Händen. „Lauf’ zu … es darf Dir Niemand was anthun!“

„Hat ein Christenmensch jemals eine solche Frechheit gesehen?“ rief der Waldhüter, als er vor Staunen kaum zu Wort zu kommen vermochte.

„Was untersteht sich der Herr?“ riefen die Andern. „Was soll das heißen?“

„Das soll heißen …“ entgegnete der Fremde gelassen, nachdem er rasch hinter sich einen Stutzen ergriffen hatte und den Hahn knacken ließ … „daß Ihr noch drei Minuten Zeit habt, Euch aus dem Staub zu machen! Wer nach drei Minuten noch da ist, dem blas’t meine Kugel das Lebenslicht aus!“

Gemurmel des Beifalls wurde laut; die Bauern drängten vor, der Jäger aber schrie: „Wer ist denn der freche Kerl, der sich so was mit landesfürstlichen Bediensteten erlaubt?“

„Nicht gefragt und nicht gemuckst!“ rief der Fremde gebieterisch entgegen. „Ich zähle – wenn ich auf Drei noch einen von Euch vor mir seh’, so kracht’s!“

„… So laßt uns doch wenigstens unsere Büchsen mitnehmen!“

„Nichts da! Die bleiben hier als Pfand, morgen könnt Ihr sie beim Wirth abholen – den Stutzen von dem Waldhüter aber, weil er gar so gut hintragt, den behalt’ ich als Andenken! Also frisch, Jäger … Eins …“

„Vermaledeiter Kerl!“ erwiderte der Jäger, sich zurückziehend. „Aber wir treffen Dich wieder und dann Gnad Dir Gott …“

Ehe die verhängnißvolle Drei ertönt hatte, waren die Jäger nicht mehr zu sehen; schallendes Gelächter geleitete sie, der Knabe war entflohn.

Der Fremde ging die Stiege hinab; nach den ersten Stufen jedoch wandte er sich nochmals um. „Halt,“ sagte er, „bald hätt’ ich darauf vergessen! … Tiras, komm, da herein … Tiras, komm zu mir!“

Dieser Ruf brachte den Krämer, der wie geistesabwesend dagesessen hatte, mit einmal zu sich. „Was?“ rief er aufspringend. „Meinen Hund will Er mitnehmen? Die Kränk’, das ging mir auch noch ab! … Tiras! Hieher!“ lockte er entgegen. „Herein! Couche! Herein!“ Der Hund aber that, als kenne er ihn und seinen Ruf gar nicht, und schritt dem Fremden auf dem Fuße nach.

„Gieb Dich nur drein!“ rief dieser zurück. „Deinen Hund siehst Du heut zum letztenmal – dafür hast Du den bairischen Hiesel zum erstenmal gesehn … Jetzt kennst Du mich doch, wenn Du mich fangen willst!“

Ein Blick nach den Fenstern des obern Stockwerks, dann war er verschwunden – die er gesucht, hatte er nicht erblickt. Sie hatte das Vorgefallene mit angesehen und gehört und verbarg ihre Augen hinter den Händen … sie strömten über von Thränen, von Thränen des bittersten Grams und doch so voll unendlicher Seligkeit.

Die letzten Worte des Wildschützen hatten die Ahnung, die schon in den Bauern aufzudämmern begonnen, zur Gewißheit gemacht, ein Ausbruch allgemeinen Jubels war die Folge. „Juhe, der bairische Hiesel ist wieder da!“ rief der Junge. „Freut Euch, Ihr Schergen und Jaga, jetzt geht Eure gute Zeit wieder an!“

„Nein,“ rief der Alte lustig darein, „für uns Bauern fangt die gute Zeit wieder an! Macht’s mir mein Leibstück auf, Musikanten … jetzt wird’s bald ein End’ haben mit dem Wildschaden und dem Strafen und der Jagdschinderei! Spielt’s mir das Gesang’ vom bairischen Hiesel auf und wir Alle singen mit … Juhe, der bairische Hiesel soll leben!“

Die Pfeifen und Hörner fielen ein und begleiteten das Lied, das, in jenen Zeiten entstanden, noch lange nicht verklungen ist im Munde des Volks:

Bin i der bairisch Hiesel,
Koa Angel geht mir ei’,
Drum fürcht i a koan Jaga
Und sollt’s der Teufel sei’!
Im Wald drauß’ is mei’ Heamat
Im Wald drauß’ is a Leb’n:
Da schieß’ ich d’ Reh’ und Hirschen
Und Wildschwei’ a daneb’n!

Es giebt koa schöner’s Leben,
Als i führ’ auf der Welt,
Die Bauern geb’n mir z’ essen,
Und wenn ich’s brauch’, noch Geld.
Drum thu’ i d’ Felder schützen
Mit meine tapfern Leut’,
Und wo i nur grad hi’komm
Ui Gott, is das a Freud!




2.

Dem schönen Herbsttage war eine klare, aber kühle Nacht gefolgt; der Vollmond stand hoch am dunklen Himmel und warf sein hellstes Licht über die feuchten Wiesen und Anger an der Paar und auf die schwarzen Gebüsche an deren Ufer. Darunter hin, wo der Schein durch Laub und Zweige den Wasserspiegel erreichte, blitzte ein greller Widerschein und in weiter Ferne zeigte ein weißlicher Nebelstreifen die Niederungen an, welche zum Lech hinabstiegen. Tiefe Ruhe, athemlose Stille lag auf der Flur, wie auf dem Dorfe; nur der im Mondenglanz schimmernde Mühlschuß rauschte gleichtönend fort und manchmal schlug hie und da [196] ein wachsamer Hofhund an, als wolle er dadurch beruhigen und zeigen, daß er auf seinem Posten sei. Wie ein anderer Wächter hob sich über das Kirchendach, über Häuser und Baumwipfel der Kirchthurm mit seinem runzelvollen, verwitterten Mauergesicht empor, aber so weit er in die Dorfgassen niedersah, regte sich’s nirgends mehr und nur aus drei Fenstern drang noch dämmernder Lichtschein – im Wirthshause, wo noch ein paar ungenügsame Zecher hinter Krug und Karte sitzen mochten; im Pfarrhofe, wo der Pfarrer noch einsam über Gebet und Brevier wachte, und am äußersten Ende des Dörfchens, über die Mühle hinaus unter zerstreuten kleinern Häusern in dem ärmlichsten und kleinsten unter denselben.

Leichtsinn, Andacht und Sorge waren allein noch nicht zur Ruhe gegangen.

Der schwache Lichtschein kam noch aus der Wohnstube der niedrigen Hütte und vermochte kaum, sich unter dem weit herabreichenden Strohdach und durch die kleinen, trüben Fenster auf den schmalen Wiesfleck zu stehlen, welcher an der Seite hinzog; der spitz zulaufende hohe Vordergiebel stand gegen die Straße zu, vom grellen Mondlicht übergossen. Das Licht, von einer kleinen Oellampe kommend, reichte nicht aus, auch nur den engen und niedrigen Raum der Wohnstube zu erhellen; im Halbdunkel auf der Ofenbank kauerte ein Mädchen hinter dem Spinnrade, am Tische saß ein alter Mann, ein geschnitztes Kreuzbild von weißem Lindenholz in der Hand, an welchem er mit einem kurzen Messer sorgsam und mit sichtbarer Anstrengung schnitzelte. Die Augen waren an den Rändern geröthet und wund, und über den starken weißen Brauen lag eine Kummerwolke, welche ahnen ließ, daß es nicht blos die Mühe der Arbeit gewesen, was sie wund gemacht. Der Kopf des Alten war fast gänzlich kahl, nur ein schwacher Kranz weißen Haares umgab noch die Seiten; das Gesicht war gerunzelt und wetterhart, aber voll klugen, fast schwermüthigen Ausdrucks. Auch in der Stube war es still, wie draußen, nur die Schwarzwälder Uhr an der Wand ging und das Rad schnurrte.

Das Mädchen hatte schon mehrmals nach dem Alten hinübergeblickt, als wollte sie das Rad bei Seite schieben und ihm näher treten; immer aber schien etwas sie davon abzuhalten. Endlich legte der Mann die unvollendete Schnitzerei vor sich auf den Tisch und drückte die Handballen vor die Augen. „Es geht nicht mehr, ich muß aufhören!“ sagte er. „Die Augen brennen mich wie Feuer und verschwimmen … es ist, als wenn ich Alles durch einen Flor sähe, der immer dichter wird …“

„Solltest Dich halt nit so anstrengen, Vater,“ antwortete von ihrem Platz aus die Spinnerin. „Hab’ Dich schon oft genug darum gebeten! Du solltest Dir mehr Ruhe vergönnen und solltest bei Tage schnitzen!“

„Als wenn ich das nicht ohnehin schon thäte!“ erwiderte der Alte. „Wenn ich auf dem Felde draußen bin, benutz’ ich jeden Augenblick, den mir das Hüten läßt, und setze mich unter einen Baum oder auf einen Zaun und hole den Schnitzzeug aus dem Anhängsack, aber das Vieh ist so unruhig … weiß der Himmel, wenn wir Wölfe in der Gegend hätten, oder Bären, so glaubte ich, sie spürten solch’ ein Beest … So muß ich eben doch die Nacht zu Hülfe nehmen; Du weißt ja, auf was es ankommt, der Friedberger Jahrmarkt ist vor der Thür’ … da muß ich trachten, daß noch ein Dutzend fertig wird …“

„Freilich, Vater!“ erwiderte das Mädchen, „Maria Geburt ist nicht mehr weit, da muß die Gilt gezahlt werden und die halbe Anleit … aber Du brauchst Dich deswegen doch nicht so anzustrengen, Vater! Ich werd’ heut noch fertig mit meiner Spinnerei; ich hab’ den letzten Strähn auf der Spule – dann ist’s wieder so viel Garn, daß es ein ordentliches Stückl Leinwand abgeben thät … hab’ freilich gedacht, ich wollt’ Dir eine neue Pfoad (Hemd) machen, Vater, und ein frisches Bettgewand, aber wenn’s nicht geht, müssen wir mit dem alten forthausen. Ein Jahrl halt’s wohl noch aus; ich will das Garn an die Wirthin verkaufen, die hat mich schon drum angered’t, – damit kannst zahlen, Vater, und werden wohl auch noch ein paar Kreuzer übrig bleiben für den Winter!“

[209] „Du bist ein gut’s Mädel,“ sagte der Alte mit freundlichem Nicken, „Du weißt allemal und überall Rath und hast mir noch keine böse Viertelstund’ gemacht in Deinem Leben … Ja, wenn der Bub’ nur ein Aderl hätt’ von Dir!“

Die Stimme versagte ihm vor kummervoller Erregung; das Mädchen schob rasch und wie unwillig das Spinnrad von sich und trat näher. „Da weinst’ schon wieder!“ rief sie. „Und weißt doch, daß das Gift ist für Deine kranken Augen! Der Bub’ ist all’ die bittern Zähren nit werth!“

„Ich wein’ auch nicht,“ sagte der Alte, wie sich entschuldigend. „Es sind nur meine kranken Augen, die so übergehn! … Wenn das so fortgeht, kann ich bald gar nicht mehr schnitzen!“

„So gieb’s auf, Vater … vergönn’ Dir ein bissel Ruh …“

„Ich werd’s wohl ohnedem aufgeben müssen,“ fuhr er traurig fort. „Du weißt, Mirl, daß ich das Schnitzen nicht ordentlich gelernt hab’ – ich hab’s nur meinem Vater so nebenbei abgeschaut – es giebt Andre, die’s viel besser können – der Betermacher von Friedberg hat mir’s schon das letzte Mal gesagt, daß meine Kreuzeln nicht so schön sind, wie sie’s anderswo schnitzen, in Berchtelsgaden und im Ammergau, er will mir keine mehr abkaufen, wenn ich’s nicht auch so schön machen kann … und das … das werd’ ich wohl nimmer zuweg’ bringen.“

„Hast es auch nit Noth, Vater! Geh’ hinaus zum Hüten, so lang’s Dich noch freut und so lang’ Du’s machen kannst, die freie Luft wird Dir wohl thun, aber Deine Augen laß einmal rasten. So lang’ ich einen Finger rühren kann, soll Dir nichts abgehn!“

„Ja, ja, Mirl,“ erwiderte der Alte bewegt, „bist eine gute Tochter, die ihren Vater in Ehren hat … soll Dir auch gut gehn Dein Leben lang! Hab’ mir Alles freilich anders vorgestellt!“ fuhr er fort, indem er sich zurücklehnte und die Hände im Schooß faltete, „aber es ist vielleicht besser, daß es so hat kommen müssen. Das Gütl ist zwar gar klein, aber für ein paar arbeitende Leut’ langt’s doch aus, sollst Dir um einen braven Mann umschauen, kannst das Hausel jede Stund’ haben von mir …“

„Ich krieg’ keinen …“ erwiderte sie kurz und scharf.

„B’hüt’s Gott, das glaub’ ich nicht!“ rief er entgegen. „Du bist brav und fleißig und hast ein gutes Gesicht … es ist mir allemal, als wenn mich Deine Mutter aus Deinen Augen anschauen thät! Warum sollst Du keinen Mann kriegen … und gar so schlecht und gering ist das Gütl doch auch nicht!“

„Ich krieg’ doch keinen …“ sagte sie wie zuvor.

„Aber warum denn?“

„Du wirst es nit gern hören, Vater – aber wenn Du’s durchaus wissen willst, kann ich Dir’s wohl sagen! Es mag Keiner einheirathen beim Brentau’, weil Keiner seinen Schwager im Zuchthaus haben will!“

Der alle Klostermair erwiderte nichts; er preßte nur wieder die Hände vor die Augen, als ob sie ihn stärker schmerzten, die Tochter hatte sich wieder zu ihrer Arbeit gesetzt und brachte das Rad mit einem unwilligen Anstoß in Schwung.

Von Beiden unbeachtet war ein Mann eingetreten und stand zuhörend auf der Schwelle der offen stehenden Thür: hinter ihm funkelten die Augen eines riesigen Hundes.

„Wenn das Dein einziger Schmerz ist, Schwester,“ sagte er finster, „so wirst bald davon curirt sein!“

„Jesus, Maria,“ schrie sie zusammenschreckend aus, „was ist denn das für eine Spitzbubenart, die Leute so zu erschrecken! Das Haus ist doch zu, wie kommst Du herein?“

Der Mann trat in die Stube und legte Hut und Gewehr auf die Bank. „Ich werde doch in dem Haus, in dem ich aufgewachsen bin, einen Weg finden, der nicht durch die Thür geht!“ rief er lachend und schritt auf den Alten zu. Dieser hatte sich ebenfalls im Schrecken rasch aufgerichtet; aber die Bewegung, mit welcher er beide Hände wie zur Umarmung gegen den Ankommenden erhob, glich einer Bewegung der Freude, fast wie ein Tropfen Wasser dem andern gleicht. Er brachte nichts hervor, als: „Hiesel … Du bist wieder da?“

„Ich bin’s, Vater,“ erwiderte dieser, „sie haben mich wieder losgelassen. Weiß selbst nicht, was ich nun thun will und wohin ich geh’ – aber nach Kissing komm’ ich wohl so bald nicht wieder; drum hab’ ich da, wo ich doch einmal daheim bin, nicht vorbeigehn wollen und will ,B’hüt’ Gott’ sagen.“

Der Vater hatte sich wieder gesetzt, es war, als ob das Unerwartete ihn des letzten Restes von Kraft beraubt habe. „Also willst wieder fort?“ sagte er traurig. „Du kommst erst von dem Ort, den ich nicht nennen mag, und gehst schon wieder den alten Weg!“

„Das siehst, Vater,“ schaltete die Schwester mit einem bösen [210] Seitenblick auf Hiesel’s waidmäninschen Anzug ein, „das siehst am Gewand!“

„Das Gewand hab’ ich versteckt gehabt,“ entgegnete Hiesel, „wär’s Dir vielleicht lieber gewesen, wenn ich in einem gewissen grauen Kittel gekommen wär’? … Aber ich bin nit wegen Deiner gekommen, Schwester, ich weiß wohl, daß es Dir am Liebsten wär’, wenn sie mich ganz behalten hätten in München … aber ich komm’ zu Vater und Mutter und hab’ eine Bitt’ an den Vater! Es geht Dir hart, Vater,“ fuhr er fort, als dieser ihn mit verwunderten, fragenden Blicken ansah, „Du mußt viel schaffen und arbeiten in Deinen alten Tagen, und ich kann Dir nit helfen, drum hab’ ich, eine Bitt’, daß Du Dir’s leichter machen sollst und sollst das Bissel da annehmen von mir …“

Er schob und legte einen wohlgefüllten Beutel auf den Tisch; der Alte zog die Hände zurück, als scheue er sich, das Angebotene zu berühren. „Kannst es mit gutem Gewissen anrühren und nehmen,“ rief Hiesel mit bittrem Lachen, „ich hab’s ehrlich verdient. Der Zuchthausverwalter hat mich zur Aushülf’ verwendet in der Schreiberei … das ist mein Arbeitslohn … Aber wo ist denn die Mutter, daß ich sie gar nit seh?“ setzte er hinzu und sah in der Stube umher, die er schon vorher mit unstäten Blicken durchflogen hatte. „Laßt sich denn die Mutter gar nit sehn? Sie wird sich doch nit vor ihrem eigenen Sobn verstecken?“

„Deine Mutter …?“ rief der Alte und erhob die gefalteten Hände, sie zitterten, wie der Ton seiner Stimme. Die Schwester stieß das Spinnrad von sich und eilte aus der Stube, die Schürze vor dem Gesicht. „Deine Mutter hat sich wohl vor Dir versteckt, und so gut, daß Du sie nimmer finden wirst!“

„Vater!“ schrie Hiesel aus und mußte sich mit der Hand auf die Tischplatte stemmen, es war, als habe er einen plötzlichen Streich erhalten, der seine ganze Kraft erschütterte. „Vater … das kann ja nit möglich sein!“

„Die Mutter,“ fuhr der Alte bebend fort, „die hat’s geschwind gar gemacht … sie ist gestorben … am nächsten Erchtag werden’s eilf Wochen, da haben wir sie ein’graben …“

„Die Mutter?“ stieß Hiesel aus keuchender Brust hervor. „Und an mich hat kein Mensch gedacht, daß er mir’s auch nur zu wissen gemacht hätt’! Mein’ gute Mutter …“ In Hiesel’s Benehmen und Haltung hatte sich bis jetzt ein kalter, rückhaltender Trotz ausgeprägt, noch gereizt durch das höhnend scharfe Betragen der Schwester, mit diesem Ausruf war es, als ob ihn alle Festigkeit verlassen hätte, als ob die Feder gebrochen wäre, die ihn so lange in gewaltsamer Spannung gehalten: mit einem schweren Seufzer knickte er auf die Bank zusammen, die Arme über den Tisch gebreitet und in ihnen das Antlitz verbergend. Der wildstarke Mann hatte ein gar weichmüthiges Herz; es war sein Erbtheil von dem schwächeren Vater, das entschlossene Wesen hatte er von der Mutter überkommen, die vermöge desselben im Leben das Haus nicht nur verwaltet, sondern auch beherrscht hatte.

„Weinst, Hiesel?“ fuhr der Vater fort. „Weinst um Dein’ Mutter? Du hast ganz recht, wenn Du’s thust … wie sie Dich gefangen und fortgeführt haben … Du weißt schon, wohin, das ist der Nagel zu ihrem Sarg gewesen, das hat sie nicht verwinden können und ist völlig von einem Tag zum andern dahingeserbt! – Wie wir Alle herumgestanden sind um ihr Todbett, da hat sie die Augen noch einmal aufgemacht und hat sich noch einmal aufrichten wollen und hat in der ganzen Stuben umhergeschaut, als wenn sie was suchen thät … dann hat sie den letzten Zug gemacht… Sie hat sich gar schön und christlich gericht’ zu ihrem End’, und ihr einziges Leid ist’s gewesen, daß sie Dich hat suchen müssen in ihrem letzten Augenblick, und daß sie Dich nit gefunden hat und wo sie Dich hat suchen müssen in Gedanken – darfst wohl weinen um sie, Hiesel … und beten auch!“ setzte er noch eindringlicher hinzu, da Hiesel stumm und unbeweglich in seiner Stellung verharrte. „Sie ist ein braves Weib gewesen, unser Herrgott wird’s wohl gnädig mit ihr gemacht haben … aber wenn sie was abzubüßen hat in der Ewigkeit, so ist’s wegen Deiner, Hiesel, weil sie Dir zu viel nachgegeben und, was ich gut gemacht hab’, allemal wieder zernicht’t hat, wider meinen Willen und hinter mein’ Rücken … darfst wohl beten für sie, wenn Du’s noch, nicht verlernt hast, das Beten!“

Der Alte schwieg, der Sohn erhob sich nach einigen Augenblicken; aus seinem Gesicht war die Erregung und Weichheit wieder verschwunden: er hatte den Zoll kindlicher Liebe und Erinnerung gebracht; in den letzten Worten des Vaters aber lag etwas, was er als einen ungerechten Vorwurf empfand und was ihm rasch die vorige wilde Verschlossenheit wieder gab. „Schänd’ meiner guten Mutter nit ins Grab nach, Vater!“ sagte er trotzig. „Ich mag’s nit hören! Sie hat mir nichts als Lieb’s und Gut’s gethan, so lang’ sie ein offenes Aug’ gehabt hat … sie soll wegen meiner nichts zu leiden und nichts zu verantworten haben in der Ewigkeit! Du auch nit, Vater; keinem Menschen soll’s aufgebürd’t werden – wie’s ausgeht mit mir, gut oder bös, ich nehm’s schon allein auf mich! Also b’hüt’ Gott, Vater – ich seh’s, daß hier meines Bleibens nit länger ist!“

„O Hiesel,“ rief der Greis, als er sich erhob, nach Hut und Gewehr zu greifen. „Geh’ nit so fort von mir, geh’ nit wieder fort – leicht, daß Du mich, wenn Du wiederkommst, nit mehr über der Erd’ antriffst, wie Deine Mutter! – Bleib da, und es soll Alles vergessen sein! Gieb das Wildschützenleben auf, werd’ ein ordentlicher Bursch; ich werd’ der Mutter bald nachfolgen … mach’, daß ich ihr in der Ewigkeit sagen kann, daß ihr Sohn, den sie noch auf dem Todbett gesucht hat, nit verloren ist …“

Hiesel starrte eine Weile in düstrem Brüten zu Boden. „Ich kann nit, Vater …“ sagte er dann. „B’hüt’ Dich Gott und gieb mir noch einmal Deine Hand …“

„Auf dem Weg, den Du gehst,“ rief abwehrend der Alte, „kann meine Hand Dich nit führen … auf dem Weg brauchst sie nit; geh’, Du hast Dir’s ja vermessen, daß Du Alles auf Dich nehmen willst!“

„Das will ich auch – ich kann auch ohne Dein ,B’hüt’ Gott’ gehn, Vater, ich bin noch einmal ’kommen, weil ich Dich und die Heimath und die Mutter noch einmal hab’ sehn wollen, ich hab’ mein’ Schuldigkeit gethan, ich kann’s nit anders!“

Er hatte den Hut aufgesetzt, das Gewehr umgehangen und wandte sich zu gehen.

Starkes Pochen an der Hausthür machte, daß er die Schritte anhielt und gespannt horchend in Mitte der Stube stehen blieb.

„Was bedeutet denn das?“ rief aufstehend der Alte. „Wer will heut’ noch zu uns? Das ist doch seltsam!“

„Mir nicht,“ flüsterte Hiesel entgegen, indem er das Gewehr hob, den Hahn spannte und sich neben den Ofen zurückzog, wo er rückenfrei war und einen Ausweg in die Kammer hatte, aus welcher eine Thür in die Küche und von da in den Stall führte. Tiras, zum Sprunge bereit, knurrte hinter ihm. „Die Schergen haben’s wohl schon ausgestochen, daß ich da bin, und passen mir ab – da kannst sehn, Vater, was ich zu hoffen hätt’, wenn ich blieb’!“

„Heilige Mutter Anna!“ rief angstvoll der Vater, „und so was muß in meinem eigenen Haus passiren!“

Die Schwester, welche vor der Thür im dunklen Fletz gesessen, war inzwischen schon an die Hausthür geeilt und hatte gefragt, wer Einlaß begehre. „Es ist nichts Gefährliches,“ rief sie dann herein, „ich glaub’, nach der Stimm’ ist es gar unser Herr Pfarrer.“

„Der ist es auch,“ sagte eine tiefe, wohltönende Stimme, und in der Thür erschien ein hochgewachsener, schlanker Mann in langem, schwarzem Rock, die Silberschnallen auf den Schuhen und den hohen Rohrstock mit Elfenbeinknopf in der Hand. Als er grüßend das Haupt entblößte, zeigte sich ein silberweißer Scheitel; aus dem milden, freundlichen Antlitz leuchteten Frieden und Wohlwollen. „Siehe da, meine Schäflein kennen die Stimme ihres Hirten, und obwohl ich Wolf heiße, erschrecken sie doch nicht vor mir! Guten Abend, meine Lieben … Gelobt sei Jesus Christus!“

„In Ewigkeit!“ erwiderten, sich verneigend, Vater und Tochter; Hiesel stand immer noch unbeweglich, wie zur Vertheidigung bereit, er schien dem friedlichen Anschein des Besuchs zu mißtrauen.

„Und so spät bemühn sich Hochwürden Herr Pfarrer noch zu uns?“ rief der Alle freudig, während Mirl mit der Schürze die Bank abwischte, um einen reinen Sitz zu bereiten. „Wie komm’ ich denn noch so spät zu der besondern Ehr’?“

„Was ich suche, hab’ ich schon gefunden,“ erwiderte der Pfarrer, auf Hiesel zeigend. „Ich suche diesen wilden Jäger hier, der noch immer dasteht, als wisse er nicht, ob hinter mir nicht die Grünröcke nachkommen! Setz’ Dein Gewehr in Ruh’, Hiesel, ich komme allein und komme Deinetwegen!“

[211] „Meinetwegen?“ fragte Hiesel unschlüssig, doch ließ er das Gewehr sinken. „Was könnt’ Hochwürden so viel an mir liegen, daß Sie noch so spät mich aufsuchen sollten?“

„Ist das so wunderbar?“ entgegnete der Pfarrer herzlich. „Du bist mein Pfarrkind, mein Schulkind und Beichtkind gewesen, ich würde um jedes von meinen Pfarrkindern einen schwereren Gang nicht scheuen, wie viel mehr um eins, das sich vom rechten Weg verlaufen hat, um eins, dem ich bei jeder Gelegenheit hab’ merken lassen, was ich darauf halte!“

„Ha, das ist wahr! Das haben Hochwürden immer gethan!“ rief Hiesel überwunden, legte Hut und Büchse ab und kam an den Tisch. „Und daß Sie wegen meiner kommen, wirklich wegen meiner und noch so spät … schauen’s, Herr Pfarrer, das freut mich, wie mich noch nicht leicht was gefreut hat im Leben …“

„Und mich erfreut Deine Freude, Hiesel, sie beweist, daß ich mich in Dir nicht getäuscht habe, daß Du ein gutes Herz hast, dem nur der Leichtsinn gar viel zu schaffen macht und der Uebermuth. Ich habe schon erfahren, was heute am Erdweg vorgefallen ist; der erste Gebrauch, den Du von Deiner wiedererlangten Freiheit gemacht, war ein schlimmer, Du bist mit einem Schritt wieder ganz auf den alten Irrweg gerathen!“

„Ich hab’ nit anders gekonnt, Herr Pfarrer! Hätt’ ich zuschauen sollen, wie die Jäger den Buben mißhandelt und fortgeschleppt haben? Und wenn’s mir auf der Stell’ den Kopf gekostet hätt’, das hätt’ ich nit über’s Herz gebracht!“

„Ja, ja,“ entgegnete der Pfarrer etwas unsicher, „Du hast ganz wacker gehandelt Deiner Gesinnung nach, und doch hast Du ein großes Unrecht begangen. Widersetzung gegen die Obrigkeit, gewaltsame Befreiung eines Gefangenen! Ueberleg’ es Dir selber, Hiesel, und sage, wohin es kommen müßte, wenn es Jedem erlaubt wäre oder einfiele, der Gerechtigkeit in den erhobenen Arm zu fallen! … Wegen der Eigenthümlichkeit des Falles,“ fuhr er fort und rückte dem schweigenden Hiesel näher, „will ich sorgen, daß das Gericht ein Auge zudrückt und die Geschichte keine weitern bösen Folgen haben soll … aber Du mußt mir versprechen, daß Du ein anderes Leben anfangen willst … Du warst im Begriff zu gehen, als ich kam, das kann nicht Dein Ernst gewesen sein; Du wirst hier bleiben, wirst die Büchse, die Dir einmal nicht zugehört, weglegen und dafür wieder zu Drischel und Sense greifen …“

„Nein, Herr Pfarrer!“ rief Hiesel kopfschüttelnd und mit ungläubigem Lächeln. „Das geht nimmer an! Zum Bauernknecht bin ich schon verdorben!“

„Warum doch? Du wirst Dich mit der Bauernarbeit wieder zurechtfinden, wenn Du nur ernstlich willst und es Dir vornimmst, dabei auszuhalten! Warum solltest Du dazu verdorben sein?“

„Das will ich Ihnen erzählen, Herr Pfarrer, wenn Sie’s hören wollen! Sie werden’s nachher selber sagen, daß es nimmer geht … ich bin ein Bauernknecht gewesen, so gut als Einer, und hab’ gearbeitet, so gut wie zwei – mein Vater soll mir’s bezeugen, ob’s nicht wahr ist. Meine Dienstbauern sind alle zufrieden gewesen mit mir, und wie ich nach Mergenthau hinübergekommen bin, auf das Gut und Brauhaus von den Jesuitern, da haben’s den Klostermair-Hiesel schier auf den Händen getragen … vom Jäger, vom alten Lienhard, der mich als Buben oft mitgenommen hat in den Wald, hab’ ich das Schießen gelernt gehabt; die Herrn, wenn sie in die Vacanz herausgekommen und auf die Jagd gegangen sind, haben mich allemal bei sich haben wollen – aus dem Bauernknecht ist nach und nach ein Jäger worden – sie haben mir versprochen, daß sie mich zum Gehülfen und am End’ selber zum Jäger machen wollten auf einem von ihren Gütern … drüber hab’ ich die Bauernarbeit verwöhnt, und wenn mich einmal wer auf dem Gewissen haben muß, so sind’s die Herrn …“

„Sei nicht ungerecht, Hiesel!“ bemerkte der Pfarrer, „wäre das der Dank dafür, daß sie Dich befördern wollten, daß sie Dich unterrichten ließen, daß sie …“

„Ja, ja!“ unterbrach ihn Hiesel, „sie haben mich in die Höh’ gehoben und dann fallen lassen – aber ich bin ihnen doch Dank schuldig. Ich mein’ auch nicht Alle; es waren brave Herrn, die’s gut gemeint haben mit mir, ich mein’ nur Einen, den Pater Venantius. Das war ein verdrießlicher griesgrämiger Herr, der Tag und Nacht nichts anders gethan hat, als Rechnen und an der Erdkugel messen, die er in seinem Zimmer hat stehen gehabt; der ist verwachsen gewesen und halb blind und hat gehunken auf einem Fuß. Wenn er aber mit herausgekommen ist in die Vacanz, hat er durchaus auch mit gewollt auf die Jagd und wenn er dann lauter Löcher hineingeschossen hat in die geduldigen Bäum’ und in die blaue Luft, nachher hat er mir Vorwürfe gemacht und hat gesagt, ich thät’s ihm zu Fleiß und stellt’ ihn allemal an den schlechtesten Platz… Und einmal … ich muß noch lachen, wenn ich dran denk’, so schwer ich’s auch hab’ büßen müssen … einmal hab’ ich ihm zugeschaut, wie er auf dem Anstand gewesen ist und eine Katz’ ist gegen ihn herangeschlichen durch’s Dickicht, die hat er für einen Hasen gehalten und hat sie nieder’brennt, daß sie Miau geschrien hat … Drauf ist er hin gehunken und hat’s genau visitirt und weil er gemeint hat, es hätt’s Niemand gesehn, hat er die Katz’ im Gebüsch versteckt …“

Der Pfarrer lächelte. „Es können nicht Alle gewaltige Jäger sein vor dem Herrn!“ rief er, „doch fahre fort.“

„Wie der Trieb aus war,“ begann Hiesel wieder, „hat er mich richtig wieder gezankt und hat gesagt, ich verstünd’ es nicht, die Schützen richtig im Bogen aufzustellen – das hat mich geärgert, weil’s die andern Knechte mit anhörten, und in dem Aerger bin ich in’s Braustübel hinein und hab’ eine Halbe übern Durst getrunken, da ist mir’s herausgefahren … ich hab’s erzählt, wie er die Katz’ geschossen hat und hab’s in meinem Dusel nachgemacht, wie er hingehunken ist und was er für Gesichter geschnitten, und wie er die Katz’ von allen Seiten angeguckt hat, ob nit ein Haas draus wird unter der Hand … Die Bauern und Gäst’ im Braustubl haben sich schier krank gelacht ich aber hab’ am andern Tag den Laufzettel gekriegt und der Katzenschütz hat’s durchgesetzt, dem Jäger ist verboten worden, daß er mich nie mehr zur Jagd oder im Forst mitnehmen darf, sonst verliert er selber seinen Dienst …“

Aus den Mienen des Pfarres war das Lächeln verschwunden.

„Das war mein Unglück,“ fuhr der Erzähler nach einem Augenblick des Nachsinnens weiter. „Ich hab’ die Jägerei erschmeckt gehabt, und die Bauernarbeit ist mir nit mehr aus der Hand gegangen … Die Burschen haben über mich gespöttelt, wo ich mich hab’ sehen lassen, es hat mich hinaus ’zogen in den Wald, als wenn’s mich bei den Haaren hätt’ … bei Tag hab’ ich kein’ andern Gedanken gehabt und wenn ich die Augen zugemacht hab’, bin ich im Forst draußen gewesen und hab’s knallen hören! So hat’s fortgekocht in mir und wie einmal bei meinem Dienstbauer ein Hirsch in’s Kornfeld ’kommen ist und hat darin geäßt und sich herumgewälzt, da ist mir die Wuth kommen … ich bin ins Haus hinein, hab’ den Stutzen geholt und hab’ ihn niedergebrennt … am andern Tag haben’s die Jäger schon gewußt und ich hab’ flüchten müssen … Seitdem ist es aus mit dem Bauernleben! Seitdem hab’ ich mir’s vorgesetzt, den Bauern zu helfen und das überflüssige Wildbrät wegzuputzen, das ihnen so viel Schaden macht! …“

„Aber was Du auf solche Weise thust, ist schweres Unrecht!“ rief, als er geendet, der Pfarrer. „Das Wild gehört dem Fürsten oder Gutsherrn, es ist also fremdes Eigenthum, und wer es sich zueignet, begeht einen Diebstahl!“

„Das kenn’ ich!“ sagte Hiesel leicht hin. „So sagen sie alle, damit’s das dumme arme Volk glauben und fein ducken soll, es ist aber nit wahr! Das Wild ist frei – wie der Vogel in der Luft! Es hat kein’ andern Herrn, als den, der’s erwischt! Den Bauern hilft doch kein Mensch zu ihrem Schaden – giebt gar viele Gutsherrn, denen ihre Jagd lieber ist, als ihre Bauern; wenn ich ihnen also helfe, thu’ ich ein gutes Werk und kein Unrecht!“

„Deine Gesinnung ist löblich!“ antwortete kopfschüttelnd der Pfarrer, „aber die Art, wie Du sie ausführen willst, ist darum nicht weniger Unrecht. Suche auf andere Weise zu nützen … diese ist ein Verbrechen!“

„Wer hat’s zu einem Verbrechen gemacht?“

„Das Gesetz!“

„Und das Gesetz haben dieselben gemacht, die das Bauernvolk gern unterdrücken möchten – das ist kein rechtes Gesetz, das kann nicht gelten! das muß man abschaffen!“

„Ueberlaß das denen, die dazu berufen sind!“

„Wenn Jeder warten wollt’, bis man ihn ruft, geschieht niemals was … ich spür’ den Beruf in mir!“

„Welche Verblendung! Das, was Dir Lust macht, verwechselst [212] Du mit Deiner Pflicht, Deine Neigung hältst Du für Beruf! … Sieh, Hiesel!“ fuhr er zutraulich fort und legte ihm die Hand auf die Schulter, „es kann sein, daß Du Recht hast … es ist wohl Manches nicht, wie es sein soll, und vielleicht kommen einmal andere Zeiten, wo ein anderes Gesetz gemacht wird, ein Gesetz, wie Du es meinst, aber jetzt gilt noch das alte Gesetz, und das Gesetz zu achten, befiehlt Dir Deine heilige Religion. Als Christ und als Unterthan bist Du schuldig, Dich dem Gebot der Obrigkeit zu fügen, denn Gott ist es, der ihr die Gewalt gegeben!“

„Die Gewalt!“ murrte Hiesel mit verbissnen Zähnen. „Ja wohl ist es eitel Gewalt, was sie üben … und Gewalt leid’ ich nit; es ist so in mir, daß ich’s nit leiden kann, daß mir oder einem Andern Gewalt geschieht!“

„Gott möge Dich bewahren, daß Du nicht einmal Gewalt erleiden müssest, die viel furchtbarer sein wird, als diese! – Geh’ in Dich, Hiesel, höre die Stimme eines Mannes, der Dich gewiß nicht falsch beurtheilt und der es herzlich gut mit Dir meint! Bedenke, welches Leben Dir bevorsteht … von Mangel, Noth und steter Gefahr umgeben; bedenke, welch’ ein Ende Dich erwartet, durch die Kugel eines Jägers, plötzlich, unvorbereitet, mitten in Deinen Sünden, oder noch furchtbarer in den Händen der strafenden Gerechtigkeit! Deinen Vater wird der Kummer um Dich in’s Grab bringen, wie er schon die Tage Deiner Mutter abgekürzt, und Du selbst wirst unstet umher wandern, ein überall verfolgter Flüchtling! Täusche Dich nicht, die Dich jetzt rühmen ob Deiner Verwegenheit, werden verstummen und sich von Dir wenden in der Stunde der Noth! Du wirst keinen Freund haben, denn Deine wüsten Cameraden sind nur die Genossen Deines Glücks! Du wirst keine Stätte haben, wohin Du ruhig Dein Haupt legen kannst … Du wirst Niemand haben, der sich um Dich kümmert und sorgt, Niemand, der Dich lieb hat; Du wirst nicht Ruhe haben, nicht Heimath, nicht eigenen Heerd!“

Das Angesicht des Wildschützen hatte sich umdüstert; er barg es in den Händen und murmelte wie unwillkürlich: „Keinen eigenen Heerd … Niemand, der mich lieb hat…“

„Siehst Du, das ergreift Dich!“ begann der Pfarrer wieder. „Es zeigt mir, daß Du solche Gedanken und Wünsche auch schon in Dir getragen hast, daß Du Dich, wenn Du Dir’s auch in Deinen wüsten Stunden nicht eingestehen willst, auch schon darnach gesehnt hast, Dein Haus zu haben und einen neuen Kreis von Menschen um Dich zu versammeln, die Dich lieben und die Du wieder liebst, weil Ihr einander gehört nach dem Rathschlusse des Ewigen… Wenn es so ist, Hiesel … wenn dieser Funke wirklich in Dir aufgeblitzt hat, so ersticke ihn nicht, er ist vom Guten, lasse ihn fortglimmen und auflodern, daß er Dich wie eine Flammensäule aus der wüsten Nacht Deiner Zweifel herausführe! Folge dem heiligen Zuge, den Gottes Hand in jede Menschenbrust gelegt … er wird Dir Deine Verwilderung abstreifen, er wird Dich zu einem Menschen unter Menschen machen…“

Hiesel regte sich nicht. „… Was soll ich thun?“ murmelte er nach langem Schweigen durch die geschlossenen Hände.

„Deine Vergangenheit auslöschen in der Erinnerung der Welt!“ rief der Pfarrer bewegt. „Eine neue Lebensweise erwählen … Du bist kühn und kräftig, Du liebst das Außerordentliche und Gefährliche, im Soldatenstande hast Du Gelegenheit, diese Eigenschaften zu benützen, sie geltend zu machen. Du kannst es vielleicht sogar zu hohen Ehren bringen!“

„Hab’ es auch schon hie und da gedacht,“ sagte Hiesel finster, „aber es ist doch nichts mit dem Soldatenrock! Ja, wenn es Krieg gäbe, hätt’ ich mich schon lang nicht besonnen – aber im Frieden mag ich kein Soldat sein … ich mag nicht Schildwache stehn und die Zuchthäuser hüten oder dem Gesindel nachstreichen, mag mich nicht fuchteln oder wohl gar auf die Bank legen lassen … beim bloßen Gedanken siedet’s schon in mir … ich kann nichts vertragen, was wie Zwang aussieht und wie Gewalt!“

„So verlasse diese Gegend; geh’ in ein anderes Land – geh’ nach der Schweiz, wähle ein redliches Geschäft und betreib’ es und dann komm wieder als ein gebesserter, als ein anderer Mensch!“

„Es hilft Alles nichts!“ erwiderte Hiesel dumpf, aber entschlossen. „Und wenn ich zehnmal als ein anderer Mensch zurück käm’ – sie würden’s mir nicht glauben! Sie würden auf mich aufpassen und spioniren und beim ersten Schuß, der fallen thät’, nähmen sie mich beim Kragen, schuldig oder unschuldig …“

Er stand auf.

„So ist es wirklich möglich,“ rief der Pfarrer schmerzlich, „daß Du in Deiner Verblendung bleibst? Daß Schwester, Vater und Freund nichts ausrichten bei Dir? Fallen alle meine guten Wort’ bei Dir nur unter Dornen und auf Felsen?“

„Ich kann nit anders, Herr Pfarrer,“ sagte Hiesel fest, „Ihre wohlgemeinten Reden haben mich erst recht überzeugt, daß bei mir nit zu helfen ist … Ja, ich will’s nit laugnen, Herr Pfarrer, Ihnen will ich’s nicht verlaugnen – einen Augenblick hab’ ich geglaubt, es könnt’ möglich sein, es könnt’ für mich ein Platzel geben, wo ich mir einen eignen Heerd bauen dürft’ … es könnt’ Jemand auf der Welt sein, der mich gern hätt’ und der’s mit mir theilen möcht’ … es war nur eine Einbildung, wie man sich gern selber das weis macht, was man gern haben möcht’. Das Alles ist für mich nit auf der Welt … ich muß ausführen, was ich mir vorgenommen hab’, und ich will’s auch … Ich verzicht’ auf Alles, ich geh’ fort … Ihre Wort’, Herr Pfarrer, sind nit auf Felsen gefallen, aber das Dorngesträuch’ laßt nichts aufkommen, und ich bin’s wahrhaftig nit, der’s eingesetzt und an’pflanzt hat … B’hüt Gott bei einander … Ich kann Euch Allen nichts Besseres wünschen, als – vergeßt’s mich! Denkt’s nimmer dran, daß der Hiesel auf der Welt ist …“

Er wollte der Thüre zu; aber wieder schallte Klopfen von draußen, diesmal stärker als zuvor, und eine laute schnarrende Stimme rief: „Aufgemacht, heda aufgemacht! Ich bin’s, der Vetter Maier! Aufgemacht!“

„Ist das nicht der Vetter Bader?“ rief der Alte. „Was giebt es denn, daß der heute noch bei uns einspricht?“

Inzwischen war die Thür schon geöffnet und der Bader, ein kleiner kugeldicker Mann mit Stutzperücke und steifem Zopf, trippelte händereibend in die Stube. „Verteufelt frisch heute Nacht!“ rief er und warf sein kurzes Mäntelchen auf die Bank. „Sollte mich gar nicht wundern, wenn’s einen tüchtigen Reif machte! Ein gefährliches Wetter für Einen, bei dem das systema lymphaticum so irritirt ist, wie bei mir! Hab’ aber doch nicht warten wollen, hab’ meine Nachricht noch heut’ anbringen wollen!“

„Aber was giebt es denn, Herr Chirurgus?“ fragte der Pfarrer. „Was ist das für eine Nachricht?“

„Ah, Hochwürden Herr Pfarrer auch hier?“ rief der Bader entgegen. „Kann mir vorstellen, warum! Der Seelenarzt ist da wohl am Platz! Aber der Körperarzt, der medicus corporalis wird diesmal doch den Vorrang behalten! Ich habe ein Geheimmittel bei mir, ein Universal-Elixir, probatum est! … Heda, Er junger Mensch! Er Thunichtgut! Seinetwegen bin ich da, ich will ihm das Wildern vertreiben, daß Er seine Lebtage nicht mehr daran denken soll! Gaff’ Er mich nur an … da hab’ ich’s! In meiner Westentasche steckt’s!“

„Nun, ein solches Mittel wäre allerdings ein Arcanum!“ lächelte der Pfarrer. „Nur dürfte es schwer zu finden sein!“

„Ist gefunden, Herr Pfarrer, ist gefunden! Was hab’ ich hier in meiner Hand? Was enthält dies Schreiben aus der Residenzstadt, das ich so eben noch durch einen Erpressen von Friedberg erhalten habe?“

„Ein Schreiben aus München?“ rief Hiesel. „Und das mich betrifft?“

[225] „Ein Schreiben meines hochwohlgebornen Vetters und berühmten Collegen, des Doctor Geyer, Leibarztens Seiner kurfürstlichen Durchlaucht, ist es!“ erwiderte der Bader. „Ich stehe fortwährend in gelehrter Correspondenz mit ihm und in steter Consultalion über das systema climaticum der ganzen Gegend an der Paar …“

„Ist es denn möglich?“ rief der Alte. „Sollt’ sich der Gnaden Herr Vetter an uns arme Leut’ erinnert haben?“

„Das hat man gethan!“ erwiderte der Bader und hob triumphirend seinen Brief in die Höhe. „Hier ist es Schwarz auf Schweiß: Seine Durchlaucht haben von dem kecken Wildschützen, dem bairischen Hiesel, und seiner Meisterschaft im Schießen gehört … Du sollst nach München kommen, Hiesel, und sollst Dich dem Kurfürsten vorstellen – er will eine Probe mit Dir machen, und wenn’s gut geht, Dich unter die kurfürstlichen Jäger aufnehmen und Dir eine Försterei geben … was sagt Er dazu, Er ungehobelter Wildschütz?“

Hiesel konnte nichts erwidern; das Blut drängte ihm zu Kopf, daß er wie im Fieber glühte; der Alte stand in zitternder Ungewißheit, der Pfarrer griff nach dem inhaltschweren Brief. „Wahrhaftig, es steht so hier!“ rief er freudig. „Hört nur … ‚Zweifle darum auch nicht, so besagter Mathias Klostermaier, vulgo der bairische Hiesel genannt, sich ernstlichen resolviret, einen geordneten Lebenswandel zu beginnen, auch seine oft bemeldete fürtreffliche Schießkunst nur zu Nutz und Frommen Seiner Durchlaucht zu verwenden, anderweit aber auch die Unterthanen nicht mit allerlei tribulationibus zu behelligen, deren Bitterkeit er selbsten erfahren, daß Seine Durchlaucht nicht anstehen werden, besagtem Hiesel eine Jägerei zu verleihen, verhoffend, daß aus einem richtigen Wildschützen ein noch viel richtigerer Jäger werden sollt‘ … Gott segne Seine Durchlaucht!“ fuhr er mit gerührter Stimme fort und hob die Hände nach oben. „Gott segne sein edles Gemüth, das auch den Geringsten nicht vergißt … er ist ein Fürst nach dem Sinne des Ewigen, ein wahrer Landesvater!“

„Ja – und unser Herrgott soll es ihm vergelten, tausend und tausendmal!“ rief der Alte mit freudebebender Stimme. „Ich hab’ wohl nur wenig Zeit mehr zu leben – aber gern geb’ ich die paar Jahrl’n her, wenn er ihm davon eine einzige so vergnügte Stund’ machen will, wie die jetzige ist! … Hiesel, Du bist ja ganz stumm und starr – hast Du’s denn gehört? Hast Du’s denn auch verstanden?“

„Ja, Vater,“ rief Hiesel und warf sich an seine Brust, „ich hab’s gehört und verstanden, aber es ist mir noch Alles wie ein Traum – ich kann’s ja nicht glauben …“

„Es ist doch so,“ entgegnete der Bader, „und Er mag sich immerhin fertig machen zu dem Marsch nach München!“

„Das will ich! Gleich morgen mach’ ich mich auf den Weg!“ rief Hiesel in immer freudigerer Aufwallung. „Uebermorgen will ich in München sein und dem Kurfürsten zu Füßen fallen und ihm danken! Ich bin also kein Auswürfling mehr, bin nit überall verfolgt und veracht’t … ich soll daheim nimmer verstoßen sein, soll auch Jemand haben, der mir angehört … ich will’s nur eingestehn: heut zum ersten Mal ist es mir eingefallen, wie schön es wär’, wenn ich so mitten im Wald in einem Jägerhaus sitzen könnt’ und eine liebe Jagerin bei mir: ich hab’ mich selber ausgelacht und verspott’ wegen der Narrheit, und nun soll’s doch sein, nun soll ich’s doch auch so gut haben! Gott soll den guten, guten Herrn segnen! O, ich will’s ihm schon sagen, wenn ich vor ihm steh’ – ich will an sein Wort denken und kein Bauernschinder und doch ein richtiger Jäger sein … O du mein lieber Gott, ich muß mich schamen, daß mir altem Burschen das Wasser in die Augen kommt … aber die Freud’ ist zu groß, ich kann wahrhaftig nit anders!“

„Dieser Thränen hast Du Dich wahrlich nicht zu schämen, mein Sohn,“ rief mit Würde der Pfarrer. „Bleibe denn hier, bleibe die erste Nacht wieder ruhig in dem Hause, wo Du geboren bist, wo die Mutter in Sorgen um Dich dahingegangen; genieße zum ersten Male wieder den Frieden und das erhebende Bewußtsein, ausgesöhnt zu sein mit Dir selber und mit der Welt!“

„Na, jetzt muß ich mein Bett suchen!“ sagte der Bader. „Gehen wohl miteinander, Hochwürden Herr Pfarrer? Diesmal hab’ ich Ihnen den Rang abgelaufen! Nicht? Das war ein medicamentum radicale, das verbessert das ganze systema lymphaticum und pneumaticum! Gute Nacht bei einander, und Er, kurfürstlicher Jäger in spe, Er denke morgen bei Zeit an die Münchner Reise!“

Bald war das Häuschen zum Brentau seiner Besucher ledig; der Alte war, von seinem Sohne geleitet, in seine Kammer gegangen und schnell und vergnügt eingeschlafen, wie lange nicht; die Schwester war verstummend und grollend verschwunden, Hiesel schlüpfte in die wohlbekannte Kammer des obern Stocks, die ihn als Knaben beherbergt und die er so lange nicht mehr betreten. [226] Bald war die Stille des Hauses mit jener der draußen waltenden Nacht ausgeglichen, nur über Hiesel wollte weder Ruhe kommen noch Schlaf. Auf dem ärmlichen Lager neben dem kleinen Fenster sitzend, blickte er in die Nacht hinaus. Es war dunkler geworden, ein feuchter Westwind hatte sich aufgemacht und ein Gewölk heraufgetrieben, das nun in wechselnden Gestalten wunderlich geballt am Monde vorüberflog.

Hiesel überdachte die Veränderung, die ein einziges Fürstenwort in seinem ganzen Leben hervorgerufen, die Wendung, die es seiner ganzen Zukunft gegeben, und unwillkürlich fühlte er sich von Bildern und Träumen umsponnen, die ihm, vom Zauberschein der Hoffnung beleuchtet, diese Zukunft zur Gegenwart umzuwandeln begannen. Er sah sich schon in seinem Schaffen und Wirken als Jäger und Förster; er sah das ihm bestimmte Jägerhaus vor sich – auf grüner Waldblöße lag es da, mit dem Hirschkopf und Geweih’ über der Thür … mit den lustigen grünen Fensterläden … er sah sich selbst, die Büchse auf der Schulter, auf das Haus in der Abenddämmerung zuschreiten … er sah in der Thür eine weibliche Gestalt stehen, die ihm schon von fern grüßend zuwinkte, eine Gestalt, die er nur einmal und nur kurze Zeit geschaut, und die ihm doch so klar vor Herz und Seele stand, als wäre sie längst darin eingeprägt, als sei nur eine bergende Hülle weggenommen, unter der sie lange verdeckt gelegen. Wie der eines Träumenden ruhte sein Blick auf dem kleinen umzäunten Platz vor dem Hause, auf den der Mond, eben wieder das Gewölk durchbrechend, die vollste Helle niedergoß, und wieder, wie ein aus dem Traum Erwachender, fuhr er sich über Augen und Stirn – denn durch die taghelle Dorfgasse kam wirklich eine eilende Mädchengestalt auf das Haus zu, die dem Bilde seiner Träume vollkommen glich: das konnte nicht mehr die Wirkung seiner erregten Einbildungskraft sein … das war ein lebendes Wesen, das war Monika – ganz so, wie er sie vor wenigen Stunden gesehen, nur über den Kopf war ein verhüllendes Tuch geworfen. Jetzt stand sie am Eingangsthürchen der Umzäunung, jetzt klinkte sie dasselbe auf – bei einer Wendung traf das volle Mondlicht ihr Gesicht … im Augenblick hatte der Lauscher das Fenster neben ihm geöffnet und lehnte sich hinaus. Bei dem Klirren des Fensters blickte sie empor … es waren wirklich Monika’s Augen, in die er wie in ein Stück blauen Himmels hineinschaute.

„Monika,“ flüsterte er hinunter, „träum’ ich denn oder bist Du es wirklich?“

„Hiesel …“ stammelte sie und mußte sich, athemlos vom raschen Laufe, auf die Bank vor der Hausthür stützen. „Gott sei ewig Lob und Dank, daß ich Dich gleich selber find’ …“

„So hast Du mich gesucht?“ fragte er hastig hinwider. „Was hat das zu bedeuten? Du bist ja ganz verschrocken und außer Athem?“

„Ich hab’ wohl Ursach’ … ich bin her’kommen, um Dich zu warnen, Hiesel … ich hab’ nit eher loskommen können von daheim, als bis Alles geschlafen hat … Du mußt fort, Hiesel, Du hast keine halbe Stund’ mehr Zeit … Du bist verrathen!“

„Verrathen? Was fällt Dir ein? Von wem?“

„Besinn’ Dich nit lang, Hiesel, sonst ist es zu spät … Die Jäger, mit denen Du zusammengetroffen bist am Erdweg, sind in der vollen Furie fort nach Friedberg auf’s Pfleggericht, der Pfleger hat mit dem Fuß gestampft vor Zorn und hat nach den Soldaten geschickt … sie holen Dich, es sind kaiserliche Werber, sie wollen Dich mit Gewalt fortführen und zum Soldaten machen … jeden Augenblick können sie da sein …“

„Ich komm’ hinunter,“ rief Hiesel, indem er die Büchse und seine Habseligkeiten zusammenraffte und mit den Zähnen knirschend vor sich hinmurmelte: „O die schlechten, die elenden Menschen! Also das sind die Versprechungen, die sie Einem machen! Nichts als Fallen und Schlingen, um mich aufzuhalten, um mich sicher zu machen, damit sie mich fein gewiß finden und wieder fein ohne Gefahr im Schlaf über mich herfallen könnten! … Es ist klar, der Bader, der schlechte Kerl steckt mit unter der Decken! Darum hat’s ihm so geeilt, daß er mir die Nachricht noch so spät in der Nacht hat bringen müssen, den Brief hat er wohl gar selber erdicht’! – morgen, haben sie geglaubt, wär’ der Vogel schon wieder ausgeflogen … O die elenden, die grundschlechten Menschen! Aber das soll das letzte Mal sein, daß sie mich genarrt haben… ich will’s ihnen merken und eintränken …“

In wenig Augenblicken stand er in voller Jagdrüstung vor Monika, Grimm in der Seele und doch mit einem noch nie empfundenen Wonnegefühl im Herzen, denn das Mädchen, das sein ganzes Dichten und Sinnen eingenommen, stand leibhaft vor ihm … er konnte nicht mehr zweifeln, daß auch sie an ihm Antheil nahm und ihm gewogen war. „Du bist es!“ rief er und ergriff feurig ihre Hand. „Du kommst, mich zu warnen? Du sorgst Dich also um mich?“

„Wie sollt’ ich denn nicht?“ erwiderte sie treuherzig. „Sind wir ja gar alte Bekannte und Spielcameraden!“

„Und der Hiesel hat Dir leid gethan, daß er ein so unglücklicher gehetzter Mensch hat werden müssen, und Du willst keinen Theil daran haben, willst mich nicht hetzen lassen, wie ein wildes Thier … Sag, Monika, hast Du mich denn gekannt, wie Du mich geholt hast zum Tanzen? …“

„Nein … aber Du bist mir so besonders vor’kommen und es ist gewesen, als wenn Jemand hinter mir gestanden wär’ und hätt’ mir in’s Ohr gesagt, daß ich Dich holen sollt’, nachher hab’ ich’s freilich gewußt, warum Du mir so sonderbar bekannt vorgekommen bist und warum’s mir gar so eigen um’s Herz worden ist … Aber um Gotteswillen, Hiesel, mach’ nur, daß Du fortkommst … Ich bin vom Erdweg statt zu der Bas’ dahergefahren, der Vater hat mir Post gethan, daß er’s so haben will … ich weiß nicht, warum, da ist bald ein reitender Bot’ von Friedberg ’kommen, der hat’s dem Vater angesagt, weil er der Vorsteher ist – sie haben’s gar heimlich gemacht, aber ich hab’s erlauscht aus der Nebenstuben … wie’s späte Nacht ist und Alles schlaft, wollen sie kommen und Dich fortschleppen …“

„Die Elenden!“ rief Hiesel, wieder auflodernd. „Und warum verfolgen sie mich schon wieder? Ich bin ja kaum wieder frei – was hab’ ich denn gethan, daß sie schon wieder die Hände nach mir ausstrecken und mich strafen und unglücklich machen wollen auf Lebenszeit … O, sie sind falsch, Alle miteinander; nur Du bist treu, Monika – nur Du, und ich will Dir’s nie vergessen, so wahr ich … so wahr ich meine Mutter selig lieb gehabt hab’ und so wahr ich außer ihr Niemand in meinem ganzen Leben so lieb gehabt hab’, als Dich! …“

„Um Gotteswillen … eil’ Dich, Hiesel, eil’ Dich …“

„O, ich will mich nit fangen lassen, ich will fort, aber ein einzig’s Wört’l gieb mir noch mit auf den Weg! Ich weiß wohl, was Du jetzt für mich gethan hast, das thut man für Niemand, als den man gern hat … aber sag’ mir’s doch: ich möcht’s gar zu gern hören von Dir … sag’ mir’s endlich heraus, daß Du mich gern hast!“

„Wenn Du mich gern hast,“ drängte das Mädchen, „so versäum’ keinen Augenblick mehr! Du mußt fort … sag’ nur, wohin Du willst, auf welchen Weg?“

„Am Besten ist’s, ich geh’ auf eine Weil’ aus Baiern fort … über’n Lech hinüber in’s Schwäbische …“

„So komm … in einer halben Stund’, wenn wir scharf fahren, können wir an der Bruck sein … Ich hab’ dem Vater sein Schweizerwägel hinten aus der Schupfen geschoben und die Füchseln angeschirrt … ich fahr’ Dich hin, zu Fuß kamst ihnen schwerlich mehr aus und wenn sie Dich erwischen thäten … Hiesel, es wär’ mein Tod!“

„Nein, Du sollst leben, Monika, ich will ihnen die Freud’ verderben! Komm’ nur … Hab’ freilich nit gedacht,“ fuhr er etwas innehaltend fort, „daß ich so Knall und Fall und bei Nacht und Nebel fort müßt’ … ich kann Niemand mehr ,B’hüt’ Gott‘ sagen … nit wahr, Du versprichst mir, Monika, daß Du morgen zu meinem Vater und zum Herrn Pfarrer gehst und ihnen Alles erzählst?“

„Alles, Alles, was Du willst … Sag’ nur, wo ich Dich find’ mit dem Fuhrwerk.“

„Der Weg führt ja am Freithof vorbei … dort wart’ ich auf Dich, Monika, dort hab’ ich noch einen Besuch zu machen … Du weißt es wohl?“

Einen flüchtigen Blick, in welchem die Ahnung des Nimmerwiedersehens lag, warf er noch auf das friedliche Vaterhaus; dann schritt er der Davongeeilten nach und kniete bald unter den Kreuzen des kleinen Dorfkirchhofs an einem frisch aufgeschütteten Grabe; es war noch kein Gras gewachsen über dem gebrochenen Mutterherzen.

Bald rasselte das leichte Wägelchen heran, mit kühnem Satz [227] schwang Hiesel sich von der Friedhofmauer auf den Sitz, faßte Zügel und Peitsche, und wie vom Winde getragen sauste das Gespann über die nächtliche Ebene.

Hiesel und Monika saßen eng aneinander; es war keine Zeit zu Worten, aber das trauliche Aneinanderschmiegen sagte mehr, als Worte vermocht hätten. Als es eine kleine Anhöhe hinanging, hielt er die Pferde an, daß sie verschnauben konnten. „Dort liegt schon die Brücke,“ sagte Monika, nach einem erhöhten dunklen Punkte hindeutend, „in einer halben Viertelstunde sind wir dort …“

„Also nur noch eine halbe Viertelstunde ist es,“ erwiderte Hiesel, „daß ich Dich vor mir hab’! Dann muß ich fort von Dir und weiß nit, ob wir einmal wieder zusammenkommen oder nie mehr … Monika, jetzt mußt Du mir antworten auf meine Fragen … mit dem schönen friedlichen Jägerhaus, das ich Dir versprochen hab’, mit dem wird’s freilich nichts mehr sein … aber sagen kannst’ mir doch, ob Du mich gern hast, ob Du gern mit mir gegangen wärst, wenn ich Dich wiedergeholt hätt’, wie Du mich zum Tanz … ob Du mich nit ganz und gar vergessen willst?“

Eine zärtliche Antwort zögerte auf den Lippen des Mädchens, der Schrecken verscheuchte sie davon. „Jesus Maria,“ schrie sie auf, „dort, schau’ hin, Hiesel – dort bei der Bruck blitzt was und rührt sich … die Bruck ist besetzt…“

Hiesel hielt die Pferde an und stand hochaufgerichtet im Wagen. „Wahrhaftig,“ sagte er scharf hinüberblickend, „das sind Berittene! Hoho, sie machen’s ja wohl wichtig mit mir, der Hiesel muß eine wichtige Person sein, daß sie sich so viel Mühe geben um ihn – sie haben mich eingegangen, wie bei einem Treibjagen …“

„Da ist ein Seitenweg,“ fiel Monika ein, „ein Feldstraßl, vielleicht können wir am Lech hinauf bis zu der Ueberfuhr’ … Gieb mir die Zügel, ich kenn’ den Weg – über den Wiesgrund hört man auch die Räder nicht so weit rasseln …“

Pfeilschnell und fast lautlos ging es auf dem weichen Grunde dahin, eine dichte Wolke legte sich vor den Mond und hüllte die Gegend weithin in tiefen Schatten.

Mit einmal fiel Hiesel der Fahrenden in die Zügel. „Da können wir auch nit weiter,“ flüsterte er, „dort hinter dem Gebüschstreifen ist es auch nit richtig und hinter uns,“ fuhr er sich umwendend fort, „hinter uns sind sie auch schon … ich sehe die Husarenbüsche fliegen … sie haben die Spur …“

Im Nu riß er mit gewaltiger Faust die Rosse herum, die Peitsche sauste und über Stock und Stein ging’s polternd und schnellend quer durch die Felder, um das Ufer des Lechs, der sich wie ein mattgrauer Streifen dahinzog, noch vor den Verfolgern zu erreichen.

Jetzt war es gelungen und Hiesel sprang vom Wagen, das Mädchen ihm nach.

„Sie kommen von allen Seiten!“ rief er. „Es giebt keinen andern Ausweg …“ und machte einen Schritt gegen den Strom, der mit mächtigen hochgehenden Wellen dahinrauschte.

„Was willst’ Du thun?“ rief Monika und hielt ihn angstvoll zurück.

„Fürcht’ Dich nit,“ sagte er. „ich kann gut schwimmen – eh’ ich mich von denen fangen laß’, will ich mich unserm Herrgott übergeben … B’hüt’ Gott, Moni … ich dank’ Dir schön für Deine Lieb’ und Deine Treu’ … B’hüt’ Dich Gott!“

Er schloß sie fest an sich, drückte einen innigen Kuß auf ihre Lippen und sprang mit kühnem Satz in den Lech – der Hund hinter ihm her; mit einem Aufschrei sank Monika in die Kniee und starrte entsetzt in die aufschäumenden Wellen. Es war die höchste Zeit gewesen, schon ward der Hufschlag der ansprengenden Rosse deutlich vernehmbar.

Da brach der Mond hervor und zeigte fern in der Mitte des wilden Stromes den verwegenen Schwimmer; auch die Reiter erblickten ihn, Schüsse krachten, die Kugeln sausten ihm nach …

Er verschwand; die Wellen gingen über ihm zusammen …




3.

Ein leiser gurgelnder Pfiff, wie der einer Wassernatter, tönte über die nachtverhüllte Waldblöße.

Kaum war der Ton verhallt, so stieg aus der Mitte ein schnell aufflackerndes und eben so schnell erlöschendes Licht empor, das wie ein Blitz secundenlang den ganzen, von schwarzen, eng herangerückten Tannenwäldern eingeschlossenen Raum übersehen und ein ansehnliches Gehöfte erkennen ließ, das sich darauf erhob. Die unbeworfenen Riegelwände mit den rohen Ziegeln und rauh behauenen Balken gaben ihm ein ungastliches Ansehen, das durch den Umstand noch gesteigert wurde, daß alle Läden geschlossen waren und das Haus wie unbewohnt oder wieder verlassen erscheinen ließen. Als ob der Wald einen dunklen Arm ausstrecke, um es nicht loszulassen, zog sich hinter demselben eine finstere lebende Hecke niedergehaltener Fichtenstämme hin und diente zur Richtschnur einer männlichen Gestalt, die vorsichtig und gebückt daran hinschlüpfte.

An der Wand, unter den Fenstern des Erdgeschosses angekommen, ließ der Mann das gurgelnde Pfeifen wieder ertönen, der untere Theil eines Ladens schob sich vorwärts und schloß sich wieder, nachdem ein paar leise Worte der Verständigung gewechselt waren. Der Angekommene schlich an der Wand hin zur Hinterthür des Hauses, welche aber nicht aufgemacht wurde, sondern in welcher sich nur der untere Theil der Verschalung wie eine Klappe aufthat und eine Oeffnung bildete, nur eben groß genug, einen Mann in gebückter Stellung durchkriechen zu lassen. Drinnen richtete der Fremde sich auf und grüßte die Oeffnende, die mit der Lampe in der Hand ihm gegenüberstand; sie hielt die andere Hand wie einen Schirm darüber, so daß das Licht das Gewölbe des Hausgangs nur streifenweise erhellte, dafür aber seinen vollen Schein auf die beiden Gestalten warf. Es war der Bursche im blauen Fuhrmannskittel mit rothem Haar und schielenden Augen; das Mädchen, halb ländlich, halb städtisch gekleidet, war groß, füllreich und doch schlank; das Gesicht war schön, aber verlebt, in den Zügen hatte die wilde Leidenschaft gewühlt, die aus den schwarzen Augen brannte und, von innen heraus zerstörend, das reine Ebenmaß verwischte.

Das Erscheinen des Fuhrmanns schien ihr unerwartet. „Du bist’s, Rother?“ fragte sie gedehnt, daß er davon überrascht sie blinzend anschielte. „Warum soll ich’s nicht sein?“ sagte er. „Komm’ ich Dir etwa ungelegen, Kundel? Niemand von der Cameradschaft da?“

„Niemand.“

„Sonderbar! Ich hatte gedacht, die ganze Herberg’ voll zu finden. Es muß doch alles unterwegs sein, was zu den freien Leuten gehört! … Und so bist Du ganz allein, Kuni? Auch der Better nicht daheim?“

„Der ist nach Appertshausen und kommt erst gegen Morgen wieder…“

„Prächtig!“ rief der Bursche und schwang seinen Hut. „Da hätt’ ich’s ja gar nicht besser treffen können! Ein paar Stunden mit der schönen Kundel allein!“

„Komm’ mir nicht zu nah’!“ entgegnete das Mädchen und trat vor seiner versuchten Annäherung entrüstet zurück. Der Rothe aber ließ sich nicht so leicht abweisen, er trat ihr wieder näher und wollte sie um den Leib fassen. „Das wär’ ja ganz etwas Neues!“ rief er lachend. „Seit wann wär’ denn die Kundel so feuerscheu? Sei doch gescheidt und zier’ Dich nicht so …“

„Weg von mir oder ich stech’ Dich nieder …“ rief das Mädchen mit lauter Stimme und riß aus dem Mieder ein kurzes stiletartiges Messer hervor, im Augenblick des Rufens selbst aber dämpfte sie den Ton und machte dem Burschen, gegen eine Thür im Hausgange zeigend, eine abwinkende Bewegung.

„Still sein soll ich?“ fragte er halblaut. „Es ist also doch Jemand im Haus?“

„Ja,“ flüsterte sie und öffnete die Thür der großen Gaststube, „ich hab’ im Anfang gar nicht daran gedacht.“

Der Rothe folgte zögernd und mit mißtrauischen Blicken. „So?“ sagte er. „Wer ist denn im Haus?“

„Komm nur da herein,“ erwiederte das Mädchen, „ein Fremder ist’s, der krank in’s Haus gekommen… Komm doch, wirst hungrig und durstig sein … Hab’ nur eine kleine Geduld,“ fuhr sie in gesteigerter Geschäftigkeit fort, während sie die Lampe auf den Tisch am Ofen setzte, „ich bin gleich wieder da aus dem Keller – sollst es von einem ganz frischen Faß haben …“

Damit war sie auch schon an der Thür und zog diese hinter sich zu. „Das ist doch gespaßig,“ sagte der Rothkopf, ihr bedenklich nachschielend. „Erst ist sie wie eine Wildkatz’ und jetzt [228] auf einmal so freundlich! Da steckt was dahinter …“ Leise erhob er sich und trat an das kleine Fensterchen, durch welches bei großem Andrang von Gästen die Krüge von draußen hereingereicht wurden; gegenüber war die Thür zur Kellertreppe und die des Zimmers, wo der Unbekannte sich befand. Das Mädchen stand vor dieser und hatte sich zum Schlüsselloch herabgebeugt, um zu horchen, ob nichts in dem Gemach sich rege. Wie sie sich erhob, kehrte auch der Lauscher von seinem Lauerposten zurück und machte sich’s auf der Ofenbank bequem, als ob er vom Wege ermüdet sei und der Erholung bedürfe. „Danke schön,“ sagte er gleichgültig nickend, als Kundel den schäumenden Bierkrug nebst Brod und geräuchertem Fleisch vor ihm hinsetzte. „Ich werd’ dem Essen nimmer viel thun – bin schläfrig und muß in aller Frühe wieder fort, und weil Du doch einmal mit mir die Nacht nicht verplaudern willst, so zeig’ mir meine Liegerstatt …“

„Iß und trink nur erst,“ sagte das Mädchen, „kannst droben in dem Eckstübel schlafen, wo Du schon öfter gelegen bist …“

Der Rothe that einen starken Zug aus dem Kruge und blinzte darüber hin verstohlen nach dem Mädchen. „Da hinauf?“ sagte er dann. „Das Eckstübel ist viel zu sauber für mich; es braucht auch nicht so viel Umständ’ – ich leg’ mich gleich da auf die Bank. Brauchst nit zu sorgen,“ setzte er hinzu, als in Kundel’s Zügen das Mißvergnügen über sein Vorhaben sichtbar wurde, „mach’ meine Zech’ noch heut’ und … Deinen fremden Kranken da drüben werd’ ich auch nicht im Schlaf stören … Wer ist es denn?“ fragte er weiter und schleuderte den Geldgurt, den er unter dem Hemde auf dem Leibe trug, auf den Tisch, daß er klirrte. Er wühlte in den Münzen, womit der Gurt gefüllt war, um seinen Reichthum zu zeigen, und warf einen endlich ausgewählten Kronenthaler hin.

„Ich hab’ schon gesagt, daß ich es nicht weiß,“ erwiderte Kundel, indem sie, ohne aufzuschauen, das Geldstück wechselte. „Es werden bald vierzehn Tage sein, daß er bei Nachts vor’s Haus kam. Es war Alles schon zu Bett, aber der Hund hat so gerebellt und hat den Vetter aufgeweckt, und wie er nachschaut, ist ein Fremder draußen, der verlangt, man sollt’ ihm aufmachen, er sei verirrt und krank und könne nicht weiter. Wie wir ihn dann hereingelassen haben, ist ein junger Mann in einem Jägergewand, todtenblaß, der Frost hat ihn geschüttelt, daß er sich kaum hat aufrecht halten können, und über und über war er naß, daß ihm das Wasser vom Leib gelaufen ist … Er hat den Weg verfehlt gehabt und ist in Lech hineingerathen und hat sich mit Müh’ und Noth bis zu uns hergeschleppt …“

„Und Ihr habt ihn gar nit gefragt, wer er ist? Mit dem Burschen ist’s nicht richtig!“

„Warum? Hätten wir ihn fortweisen sollen? Der Vetter hat gesagt, ich soll ihm ein Bett richten, und wie wir in der Früh’ nach ihm gesehn haben, da ist er krank da gelegen, wie im hitzigen Fieber, und hat nichts von sich gewußt … ein paar Tag ist es wohl gefährlich mit ihm gestanden, aber der Vetter hat ihm fleißig von seinem Carmelitergeist gegeben, das hat ihn wieder curirt …“

„Ich bleib’ dabei und wett’ meinen Kopf darauf, daß er doch ein verdächtiger Kerl ist … ein Vagabund!“

„Nein!“ rief Kundel eifrig, „er sieht aus wie ein rechtschaffener Mensch … wie Vagabunden ausschaun, weiß ich gar zu gut!“

„So?“ erwiderte der Rothe lachend und mit höhnischem Blinzen. „Aber was geht’ mich an! Mir liegt er gut … Sag’ mir lieber, ob Du ganz vergessen hast, was wir vor einem Jahr miteinander geredt haben? Wie hast Du’s im Sinn?“

„Vor einem Jahr? Davon weiß ich nichts mehr.“

„Gut, daß ich ein besseres Gedächtniß hab’! … Der Vetter ist alt, Du bist seine einzige Befreundte, er giebt Dir wohl bald die Wirthschaft im Waldhaus über … eine flottere Wirthin muß es nicht geben, so weit der Himmel bairisch ist … nur der Wirth fehlt: hast Dir noch keinen ausgesucht? Ich wüßt’ Dir Einen zu verrathen!“

„Mach’ Dir keine Müh’, Du verdienst Dir dabei keinen Kuppelpelz … das steht noch im weiten Feld, aber das weiß ich gewiß, daß Du’s nit bist, der mir den Rechten verrathen kann.“

„Warum wohl?“

„Weil, wenn ich die Wirthin im Waldhaus werden sollt’, ich das Unterste zu oberst kehren will, und nur solche Gäst’ aufnehm’, die offen kommen und beim helllichten Tag!“

„So dumm wirst nit sein, Kundel!“ lachte der Rothe. „Wirst Dir nit selber das Geschäft verderben, das eine wahre Goldgruben ist! Was nur das Wildbrät allein tragen muß! Und dann erst alle die raren Sachen, die so auf der Abseiten herkommen, die ein Spottgeld kosten und für ein Heidengeld wieder fort wandern! Woher hätt’ denn der Waldhaus-Wirth sein vieles Geld?“

„Ich will von dem Geld und von dem Geschäft nichts wissen!“ erwiderte Kundel, „früher hab’ ich’s nicht verstanden, ich hab’s nicht überdacht und hab’ dem Vetter gefolgt – jetzt aber hab’ ich selber meinen Verstand, jetzt weiß ich, was ich von dem Allen denken muß … was geschehn ist, freilich, das kann ich nimmer ungeschehn machen – aber wenn ich noch länger beim Vetter und im Waldhaus bleiben soll, so muß es anders werden … ich will rechtschaffen sein und der Wirth vom Waldhaus muß ein rechtschaffener Mann sein.“

[241] Der Rothe lachte laut auf. „So, so!“ sagte er, „und der Fremde, den Du Dir aus dem Lech aufgefischt hast, schaut so aus, wie Du’s verlangst? Wie ein rechtschaffener Mann? Meinetwegen, aber die Flausen, die Du Dir da in Kopf gesetzt hast, Kundel, die vergehn schon wieder! Warum wolltest Du eine Duckmäuserin werden und das lustige Leben um ein trauriges vertauschen? Wenn es gar ist, ist’s gar … was hast nachher davon, wenn Du bei Lebzeiten Dir das Maul gewischt hast? Es steht Dir auch nimmer an, Kundel, das Anstellen mit der Rechtschaffenheit: Du bist schon zu tief hinein ’gangen, es nutzt Dich nichts, und wenn Du zehnmal umkehren willst, Du bleibst doch die schöne Kundel und das Waldhaus bleibt verschrien als eine Spitzbubenherberg!“

„Dann verkauf’ ich Alles,“ erwiderte sie hastig, „und gehe anderswohin, wo mich Niemand kennt!“

„Wirst Dich schon anders besinnen!“ fuhr der Rothe mit frechem Hohne fort. „Müßtest weit gehn, Kundel, wenn Dir das Gered’ nicht nachkriechen sollt! Wirst Dich schon noch besinnen! Ich kenn’ das von mir selber, ich weiß schon, daß man solche Tag’ hat, wo die Grillen zu singen anfangen, die sie einem auf der Schulbank und in der Christenlehr in Kopf gesetzt haben – aber es ist nichts dahinter und halt’ nit an. Wie sie mich eingehauselt haben und hab’ Werg spinnen müssen, da ist mir auch schwach geworden; ich hab mir vorgenommen, ich wollt’ ein ehrlicher Mensch werden und mich mit der Arbeit fortbringen. In meiner Heimath war nichts zu machen, da hat mich Alles gekannt und Niemand hat etwas von mir wissen wollen … da hab’ ich mir um einen andern Namen umgeschaut und bin nach Ulm zu einem reichen Kaufmann, der hat mich als Fuhrknecht eingestellt und hat mir einen ganzen Frachtwagen voll Waar’ gegeben, die mußt’ ich nach München fahren. Er hat alles Zutrauen zu mir gehabt …“ setzte er, nachdem er getrunken, lachend hinzu, „natürlich … die Zeugnisse, die ich ihm gezeigt und die ich einem Andern abgenommen hatte, die waren gar zu gut! Im Anfang ging es auch herrlich, aber in die Länge hab’ ich’s nicht aushalten können, den ganzen Tag in Hitze und Kälte neben dem Wagen herzutraben, den Gaulen Wist und Hott zuzurufen und am End’ ein paar Gulden einzustreichen, während ich dem Herrn in die Tausende verdient hab’ … da ward’s mir zu dumm und ich bin davon gelaufen und jetzt such’ ich den Bobinger auf … Du kennst ihn ja, den alten Fuchs, der in allerhand Verkleidung durch’s Land streicht, bald als Krämer, bald als Jäger, manchmal gar als Capuziner … der hat auf Mariengeburtstag Alles, was ein freies Leben gern hat, in den Augsburger Wald zusammengerufen, da soll’s dann in’s Große gehn, weil sie dem Einzelnen das Leben so sauer machen … da will ich auch hin!“

„Glück auf den Weg,“ sagte Kundel sich erhebend. „Gute Nacht; ich bin schon zu Hand, eh’ Du fortgehst … also sperr’ ich die Thür’ zu, wenn Du doch auf der Bank bleiben willst; es ist so Ordnung im Haus …“

Der Rothe widersprach nicht, obwohl er von dieser Hausordnung bisher noch nie etwas wahrgenommen hatte; gleichgültig rollte er eine Decke in einen Bündel, um sie als Kopfkissen unter den Kopf zu legen, und streckte sich auf die Bank – kaum war jedoch der Schlüssel im Schlosse umgedreht, als er schon wieder am Fensterchen lauerte. Er sah Kundel die Thür zu dem Gemach des Unbekannten vorsichtig öffnen, eintreten und hinter sich schließen; schnell besonnen, öffnete auch er das nach der Rückseite führende Fenster, stieß den Laden auf und zwängte sich rasch und geschmeidig, wie eine Eidechse, zwischen den Eisenstangen hindurch, die als Gitter angebracht waren. Im Nu stand er dann vor dem ebenfalls auf den Hofraum führenden Fenster des Gemachs und schwang sich an der Mauerbrüstung hinauf, um das oben in den Laden geschnittene Luftloch zu erreichen, durch welches er das Zimmer überblicken konnte.

Es war nur schwach beleuchtet. Kundel stand am Bette, in welchem ein Mann schlafend lag; das Gesicht konnte der Späher nicht sehen, weil es etwas abgewendet und das Mädchen sorgfältig bemüht war, zu verhüten, daß kein Lichtstrahl auf sein Gesicht falle und ihn erwecke. Sie beugte sich leicht über den Schläfer und sah ihn lange mit dem Ausdruck des Wohlgefallens und zärtlicher Neigung an. Ein Hund lag am Fuße des Bettgestells auf dem Boden; den Kopf auf die Pranken niederkauernd blickte er zutraulich empor; er war mit dieser Erscheinung vertraut und wußte, daß sie seinem Herrn nichts Uebles bedeute. „Ich habe recht gerathen,“ dachte der Lauscher, „ich weiß jetzt, wie viel es da geschlagen hat … wenn ich ihn nur sehen könnte, damit ich wüßte, wie der rechtschaffene Mann aussieht, der die Kundel so geschwind auf andere Gedanken gebracht hat …“ Vergeblich strengte er seine an das Spähen gewöhnten Augen an; erst als Kundel sich entfernte und in der Thür zurückblickend sich noch einmal umwendete, fiel der Lichtschein so hell auf [242] den Schlafenden, daß er das Gesicht unterscheiden konnte; war es auch etwas bleich und angegriffen, hatte er es doch auf den ersten Blick erkannt und mußte an sich halten, um nicht aufzuschreien oder in lautes Lachen auszubrechen. Auflauschend horchte er gespannt, bis im Hause die Schritte verhallt waren und eine Thür am andern Ende geschlossen wurde; in einem Fenster oben ward Lichtschein sichtbar und verlosch nach einer Weile.

Vorsichtig pochte er jetzt an den Laden; dumpfes Knurren des Hundes antwortete. Der Mann im Bette fuhr auf. „Was giebt es?“ rief er. „Wer ist das?“

„Ich bin’s, Hiesel,“ flüsterte es vom Fenster her, „mach’ auf, Hiesel … der Rothe ist’s …“

„Was willst Du von mir? Wie kommst Du hieher?“

„Mach’ nur erst auf – wegen Deiner komm’ ich, wir können doch nicht so durch’s Fenster reden …“

Hiesel war aufgestanden und öffnete; mit einem Satz war der Fuhrmann neben ihm. „Mach’s kurz,“ rief Jener, „was willst von mir?“

„Wie kannst nur fragen!“ entgegnete dieser. „Weißt etwa nimmer, daß übermorgen Maria Geburt ist und wir im Augsburger Wald sein müssen?“

„Du vielleicht – ich hab’ nichts dort zu schaffen.“

„Wär’ nit übel!“ rief der Rothe wieder. „Hast Du’s in München, wie wir in dem gewissen Haus kurfürstliches Brod gegessen haben, nicht mir und dem Tiroler und den Andern allen versprochen, daß Du bei uns bleibst, daß Du gewiß nicht fehlst im Augsburger Wald?“

Hiesel sah ihn einen Augenblick zweifelnd an; er schwankte, ob es gerathen sei, dem Burschen die Wahrheit anzuvertrauen. Die Tage des gezwungenen Stillliegens hatten ihn zu längerem Nachdenken über sich und seine Zukunft gebracht; die Ereignisse der letzten Tage, die Ermahnungen des Pfarrers hatten in ihm nachgeklungen, und auch im Fiebertraume war es Monika’s liebevolles Bild gewesen, das ihn umgaukelte. Bei ruhiger Ueberlegung war ihm die Möglichkeit aufgetaucht, daß der Ueberfall der Werber doch vom Pfleggerichte allein ausgehen konnte, daß die Einladung nach München vielleicht doch etwas Wahres enthielt. Der Sicherheit wegen hatte er bisher darauf verzichtet, Monika und den Seinen Nachricht von sich und seinem Aufenthalte zukommen zu lassen; jetzt, bei vollständiger Genesung, wollte er es nachholen und damit die Nachricht verbinden, daß er nach München gegangen sei, beim Kurfürsten sein Glück zu versuchen. „Wenn ich mich nun anders besonnen hätt’?“ antwortete er nach einer Weile. „Wenn ich das Wildschützenleben aufgeben wollt’?“

Der Rothe zuckte zusammen; er vernahm zum zweiten Male eine solche Aeußerung und es war erklärlich, wenn er darin einen naheliegenden Zusammenhang erkannte. Es war ihm unerträglich, sehen zu müssen, daß Andern gelingen sollte, sich aufzuraffen, wo ihm die Kraft dazu gemangelt hatte; jedes Mittel galt, dies zu verhindern, und da er vorher mit dem offenen Aussprechen seiner Gesinnung nicht glücklich gewesen, war er rasch entschlossen, es mit Lüge und Verstellung zu versuchen. „Ja, ja,“ sagte er traurig, „wer das zuwegen bringt, hat ganz recht! Ich hab’s auch gewollt, aber ich hab’ kein Glück … mein Herr hat erfahren, wer ich bin, und hat mich davongejagt – alles Bitten und Betteln hat nichts geholfen … vielleicht bist Du glücklicher, dann hast Du doch etwas davon, daß Du Dein Versprechen nit haltest!“

Ueber Hiesel’s Angesicht flog es dunkelroth, es zuckte ihm in den Händen, aufzuspringen und den Burschen an der Kehle zu fassen. „Wer sagt das?“ rief er. „Wer untersteht sich und will sagen, daß der Hiesel einmal sein Wort nit gehalten hat?“

„Du bist wunderlich,“ entgegnete wie verwundert der Rothe. „Hast Du nit selber gesagt, Du hast Dich anders besonnen? Ist das was Andres, als daß Du Dein Wort brichst?“

„Sag’ mir das nit noch einmal, Rother,“ rief Hiesel mit zorngedrückter Stimme, „oder es nimmt kein gutes End’ mit Dir! … Ich hab’s versprochen, in den Augsburger Wald zu kommen, und ich geh’ hin, und wenn ich angebunden wär’ … aber ich geh’ nur hin, um Wort zu halten; ich will nit bleiben, sondern will’s Allen sagen, daß ich vom Wildschützenleben Abschied nehm’, und will ihnen zureden, daß sie’s auch so machen …“

„Die Müh’ kannst’ Dir sparen, Hiesel,“ sagte der Rothe. „Das Zureden wird nichts helfen. Was sollten die Leut’ alle anfangen? Es ist nirgends ein Platz für uns – von allen Seiten sind wir verfolgt und eingekreist, die Jäger halten alle zusammen, drum müssen wir es auch so machen. Die Jäger treiben’s alle Tag’ ärger, erst vor einigen Tagen haben sie in Münsterhausen einen Bauern, den sie für einen Wildschützen gehalten, Abends, wie er beim Essen gesessen ist, mitten unter seinen Leuten und seinen Kindern durch’s Fenster erschossen …“

Hiesel hatte sich halb angekleidet und warf sich unruhig wieder auf sein Lager. „Die Mordbuben!“ rief er erregt. „Und uns wollen sie Spitzbuben nennen?“

„Ho, das ist noch gar nichts!“ entgegnete der Rothe, der seine Nachricht wirken sah. „Im Burgauischen haben sie neulich einen armen Teufel erwischt, der eine Grube gegraben hat, daß sich das Wild drin fangen soll. Was haben sie gethan? Sie sind nit faul, binden dem Kerl Hände und Füße, werfen ihn in die Grube, füllen sie aus und graben ihn so lebendig ein … Wie gefallt Dir das, Hiesel?“

Hiesel’s Erregung stieg. Alle Vorsätze, der Schutzvogt des Landvolks zu sein, traten als ebenso viele zürnende Vorwürfe vor seine Seele; er schämte sich und klagte sich selbst der Feigheit an, weil er das Werk aufgeben und nur an sich selbst denken wolle … „Und wird daraus, was will,“ rief er entschlossen, „eh’ ich ’was für mich selber thu’, geh’ ich mit in den Augsburger Wald!“

„Ho, ich hab’ mir’s wohl gedacht!“ rief der Rothe. „Jetzt bist Du der alte Hiesel wieder! Das hätt’ weiter kein Gespött’ und Gered’ abgegeben, wenn es geheißen hätt’: ,der bairische Hiesel ist auch zum Kreuz gekrochen!‘ ,Ja, warum denn?‘ hätt’ ein Anderer gefragt, und ,Narr,‘ hätt’s hinwider geheißen, ,wie Du fragst! Ein paar Weiberaugen haben schon ganz andere Dinge zu Stand’ gebracht!‘“

„Wer … wer sagt das?“ schrie Hiesel aufspringend und packte ihn am Halse.

„Nun, nun, erwürge mich nur nicht!“ rief der Rothe, innerlich triumphirend, weil er den Grund von Hiesel’s Unwillen völlig errathen zu haben glaubte. „Niemand sagt das! Ich hab’ Dir nur zeigen wollen, wie die Leut’ reden könnten … Also, es bleibt dabei – wir gehn in den Augsburger Wald; auf was warten wir denn noch? Komm Hiesel, richt’ Dich zusammen, wir machen uns gleich auf den Weg!“

„Nein,“ erwiderte dieser, „ich muß bis zum Tag warten. Die Leut’ in diesem Haus haben mich aufgenommen und gepflegt, wie ein eignes Kind – ich geh’ nit fort, ohne Dank und Ade zu sagen …“

„Meinethalben – wirst wohl wissen, ob Du Ursach’ hast dazu … ich kann warten – also gute Nacht, Hiesel, morgen früh geht’s in den Augsburger Wald.“

Rasch schwang er sich wieder aus dem Fenster, kehrte auf dem frühern Wege wieder in die Zechstube zurück, legte sich auf die Bank und entschlief bald, ruhig und fest, wie mit dem besten Gewissen und auf dem bequemsten Lager.

Der Morgen graute kaum, als der nach Hause kommende Wirth, an der verschlossenen Thür rüttelnd, seinen Unwillen darüber äußerte, wem denn die neue Einrichtung in den Sinn gekommen, das Gastzimmer zu sperren, noch dazu, wenn Gäste darin seien. Kundel eilte herbei und öffnete, wie mit Blut übergossen, daß sie auf der Unwahrheit betreten worden, der Rothe aber that, als habe er nichts gehört, und ließ sich mit dem Wirth in’s Gespräch ein. Kundel stand am Schenktisch und begann, Krüge auszuschwenken. Als der Wirth die Stube verließ, näherte sich ihr der Rothe. „Bist mir doch nit etwa gar bös wegen gestern Abend?“ sagte er höhnisch. „Ich hab’ mir Deine Wort’ überlegt und hab’ lang’ nit schlafen können d’rüber … aber ich hab’s eingesehn, daß Du Recht hast; ich will’s auch noch einmal probiren und rechtschaffen werden – dafür aber mußt Du mir versprechen, daß Du mich einlad’st, wenn Du Hochzeit machst …“

„Ich wunder’ mich, daß Du noch da bist,“ erwiderte das Mädchen, ohne nach ihm umzusehen. „Hab’ gemeint, Du hättest es so eilig und müßtest in aller Früh’ fort?“

„Das wohl – ich hab’ mir’s anders überlegt und einen Cameraden gefunden.“

„Einen Cameraden? Wo denn?“

„Das kannst leicht errathen, wirst wohl wissen, was für Leut’ im Hause sind … Schau, Kunde – Du hast gemeint, wie fein Du Deine Sache anstellst, wenn Du mich einsperrst, aber Du [243] den Schlafenden, daß er das Gesicht unterscheiden konnte; war es auch etwas bleich und angegriffen, hatte er es doch auf den ersten Blick erkannt und mußte an sich halten, um nicht aufzuschreien oder in lautes Lachen auszubrechen. Auflauschend horchte er gespannt, bis im Hause die Schritte verhallt waren und eine Thür am andern Ende geschlossen wurde; in einem Fenster oben ward Lichtschein sichtbar und verlosch nach einer Weile.

Vorsichtig pochte er jetzt an den Laden; dumpfes Knurren des Hundes antwortete. Der Mann im Bette fuhr auf. „Was giebt es?“ rief er. „Wer ist das?“

„Ich bin’s, Hiesel,“ flüsterte es vom Fenster her, „mach’ auf, Hiesel … der Rothe ist’s …“

„Was willst Du von mir? Wie kommst Du hieher?“

„Mach’ nur erst auf – wegen Deiner komm’ ich, wir können doch nicht so durch’s Fenster reden …“

Hiesel war aufgestanden und öffnete; mit einem Satz war der Fuhrmann neben ihm. „Mach’s kurz,“ rief Jener, „was willst von mir?“

„Wie kannst nur fragen!“ entgegnete dieser. „Weißt etwa nimmer, daß übermorgen Maria Geburt ist und wir im Augsburger Wald sein müssen?“

„Du vielleicht – ich hab’ nichts dort zu schaffen.“

„Wär’ nit übel!“ rief der Rothe wieder. „Hast Du’s in München, wie wir in dem gewissen Haus kurfürstliches Brod gegessen haben, nicht mir und dem Tiroler und den Andern allen versprochen, daß Du bei uns bleibst, daß Du gewiß nicht fehlst im Augsburger Wald?“

Hiesel sah ihn einen Augenblick zweifelnd an; er schwankte, ob es gerathen sei, dem Burschen die Wahrheit anzuvertrauen. Die Tage des gezwungenen Stillliegens hatten ihn zu längerem Nachdenken über sich und seine Zukunft gebracht; die Ereignisse der letzten Tage, die Ermahnungen des Pfarrers hatten in ihm nachgeklungen, und auch im Fiebertraume war es Monika’s liebevolles Bild gewesen, das ihn umgaukelte. Bei ruhiger Ueberlegung war ihm die Möglichkeit aufgetaucht, daß der Ueberfall der Werber doch vom Pfleggerichte allein ausgehen konnte, daß die Einladung nach München vielleicht doch etwas Wahres enthielt. Der Sicherheit wegen hatte er bisher darauf verzichtet, Monika und den Seinen Nachricht von sich und seinem Aufenthalte zukommen zu lassen; jetzt, bei vollständiger Genesung, wollte er es nachholen und damit die Nachricht verbinden, daß er nach München gegangen sei, beim Kurfürsten sein Glück zu versuchen. „Wenn ich mich nun anders besonnen hätt’?“ antwortete er nach einer Weile. „Wenn ich das Wildschützenleben aufgeben wollt’?“

Der Rothe zuckte zusammen; er vernahm zum zweiten Male eine solche Aeußerung und es war erklärlich, wenn er darin einen naheliegenden Zusammenhang erkannte. Es war ihm unerträglich, sehen zu müssen, daß Andern gelingen sollte, sich aufzuraffen, wo ihm die Kraft dazu gemangelt hatte; jedes Mittel galt, dies zu verhindern, und da er vorher mit dem offenen Aussprechen seiner Gesinnung nicht glücklich gewesen, war er rasch entschlossen, es mit Lüge und Verstellung zu versuchen. „Ja, ja,“ sagte er traurig, „wer das zuwegen bringt, hat ganz recht! Ich hab’s auch gewollt, aber ich hab’ kein Glück … mein Herr hat erfahren, wer ich bin, und hat mich davongejagt – alles Bitten und Betteln hat nichts geholfen … vielleicht bist Du glücklicher, dann hast Du doch etwas davon, daß Du Dein Versprechen nit haltest!“

Ueber Hiesel’s Angesicht flog es dunkelroth, es zuckte ihm in den Händen, aufzuspringen und den Burschen an der Kehle zu fassen. „Wer sagt das?“ rief er. „Wer untersteht sich und will sagen, daß der Hiesel einmal sein Wort nit gehalten hat?“

„Du bist wunderlich,“ entgegnete wie verwundert der Rothe. „Hast Du nit selber gesagt, Du hast Dich anders besonnen? Ist das was Andres, als daß Du Dein Wort brichst?“

„Sag’ mir das nit noch einmal, Rother,“ rief Hiesel mit zorngedrückter Stimme, „oder es nimmt kein gutes End’ mit Dir! … Ich hab’s versprochen, in den Augsburger Wald zu kommen, und ich geh’ hin, und wenn ich angebunden wär’ … aber ich geh’ nur hin, um Wort zu halten; ich will nit bleiben, sondern will’s Allen sagen, daß ich vom Wildschützenleben Abschied nehm’, und will ihnen zureden, daß sie’s auch so machen …“

„Die Müh’ kannst’ Dir sparen, Hiesel,“ sagte der Rothe. „Das Zureden wird nichts helfen. Was sollten die Leut’ alle anfangen? Es ist nirgends ein Platz für uns – von allen Seiten sind wir verfolgt und eingekreist, die Jäger halten alle zusammen, drum müssen wir es auch so machen. Die Jäger treiben’s alle Tag’ ärger, erst vor einigen Tagen haben sie in Münsterhausen einen Bauern, den sie für einen Wildschützen gehalten, Abends, wie er beim Essen gesessen ist, mitten unter seinen Leuten und seinen Kindern durch’s Fenster erschossen …“

Hiesel hatte sich halb angekleidet und warf sich unruhig wieder auf sein Lager. „Die Mordbuben!“ rief er erregt. „Und uns wollen sie Spitzbuben nennen?“

„Ho, das ist noch gar nichts!“ entgegnete der Rothe, der seine Nachricht wirken sah. „Im Burgauischen haben sie neulich einen armen Teufel erwischt, der eine Grube gegraben hat, daß sich das Wild drin fangen soll. Was haben sie gethan? Sie sind nit faul, binden dem Kerl Hände und Füße, werfen ihn in die Grube, füllen sie aus und graben ihn so lebendig ein … Wie gefallt Dir das, Hiesel?“

Hiesel’s Erregung stieg. Alle Vorsätze, der Schutzvogt des Landvolks zu sein, traten als ebenso viele zürnende Vorwürfe vor seine Seele; er schämte sich und klagte sich selbst der Feigheit an, weil er das Werk aufgeben und nur an sich selbst denken wolle … „Und wird daraus, was will,“ rief er entschlossen, „eh’ ich ’was für mich selber thu’, geh’ ich mit in den Augsburger Wald!“

„Ho, ich hab’ mir’s wohl gedacht!“ rief der Rothe. „Jetzt bist Du der alte Hiesel wieder! Das hätt’ weiter kein Gespött’ und Gered’ abgegeben, wenn es geheißen hätt’: ,der bairische Hiesel ist auch zum Kreuz gekrochen!‘ ,Ja, warum denn?‘ hätt’ ein Anderer gefragt, und ,Narr,‘ hätt’s hinwider geheißen, ,wie Du fragst! Ein paar Weiberaugen haben schon ganz andere Dinge zu Stand’ gebracht!‘“

„Wer … wer sagt das?“ schrie Hiesel aufspringend und packte ihn am Halse.

„Nun, nun, erwürge mich nur nicht!“ rief der Rothe, innerlich triumphirend, weil er den Grund von Hiesel’s Unwillen völlig errathen zu haben glaubte. „Niemand sagt das! Ich hab’ Dir nur zeigen wollen, wie die Leut’ reden könnten … Also, es bleibt dabei – wir gehn in den Augsburger Wald; auf was warten wir denn noch? Komm Hiesel, richt’ Dich zusammen, wir machen uns gleich auf den Weg!“

„Nein,“ erwiderte dieser, „ich muß bis zum Tag warten. Die Leut’ in diesem Haus haben mich aufgenommen und gepflegt, wie ein eignes Kind – ich geh’ nit fort, ohne Dank und Ade zu sagen …“

„Meinethalben – wirst wohl wissen, ob Du Ursach’ hast dazu … ich kann warten – also gute Nacht, Hiesel, morgen früh geht’s in den Augsburger Wald.“

Rasch schwang er sich wieder aus dem Fenster, kehrte auf dem frühern Wege wieder in die Zechstube zurück, legte sich auf die Bank und entschlief bald, ruhig und fest, wie mit dem besten Gewissen und auf dem bequemsten Lager.

Der Morgen graute kaum, als der nach Hause kommende Wirth, an der verschlossenen Thür rüttelnd, seinen Unwillen darüber äußerte, wem denn die neue Einrichtung in den Sinn gekommen, das Gastzimmer zu sperren, noch dazu, wenn Gäste darin seien. Kundel eilte herbei und öffnete, wie mit Blut übergossen, daß sie auf der Unwahrheit betreten worden, der Rothe aber that, als habe er nichts gehört, und ließ sich mit dem Wirth in’s Gespräch ein. Kundel stand am Schenktisch und begann, Krüge auszuschwenken. Als der Wirth die Stube verließ, näherte sich ihr der Rothe. „Bist mir doch nit etwa gar bös wegen gestern Abend?“ sagte er höhnisch. „Ich hab’ mir Deine Wort’ überlegt und hab’ lang’ nit schlafen können d’rüber … aber ich hab’s eingesehn, daß Du Recht hast; ich will’s auch noch einmal probiren und rechtschaffen werden – dafür aber mußt Du mir versprechen, daß Du mich einlad’st, wenn Du Hochzeit machst …“

„Ich wunder’ mich, daß Du noch da bist,“ erwiderte das Mädchen, ohne nach ihm umzusehen. „Hab’ gemeint, Du hättest es so eilig und müßtest in aller Früh’ fort?“

„Das wohl – ich hab’ mir’s anders überlegt und einen Cameraden gefunden.“

„Einen Cameraden? Wo denn?“

„Das kannst leicht errathen, wirst wohl wissen, was für Leut’ im Hause sind … Schau, Kunde – Du hast gemeint, wie fein Du Deine Sache anstellst, wenn Du mich einsperrst, aber Du [244] zu, der Sternputzer bot ihm die Flasche, der Blaue schüttelte ihm die Hand, während die Andern sich dessen Abenteuer und Streiche erzählten, seine Gewandtheit und Kühnheit und sein gutes Herz rühmten, das Keinem ein Leides geschehen lasse, als den Jägern und ihren Genossen. Hiesel war von der überstandenen Krankheit noch etwas abgespannt; die Wanderung hatte nicht beigetragen, sein gedrücktes Gemüth freier zu machen; der Empfang der Wildschützen aber war in seiner Wildheit von so unverhohlener Freude erfüllt, daß er unwillkürlich seinem Stolze schmeichelte und Hiesel mit einem Lächeln befriedigter Eitelkeit die Begrüßung hinnahm und erwiderte.

Um seinen rothen Begleiter kümmerte sich Niemand; nur der Blaue zog ihn mit freudiger Vertraulichkeit bei Seite.

Noch hatten die Schützen sich nicht wieder gelagert, als im Walde ein Schuß fiel, daß Alles in Hast zu den Waffen stürzte. Ein langer sonnengebräunter Bursche kam in athemloser Eile aus dem Dickicht hervor: es war der Lissabonerbäck’, so genannt, weil er weit auf der Wanderschaft gewesen und mehrere Jahre in Lissabon zugebracht hatte. „Was giebt’s?“ rief es ihm entgegen. „Sind Jäger in der Näh’? Wo ist der Bobinger? Warum kommt er nicht mit Dir?“

„Aûf den Bobinger,“ erwiderte der Bursch, sich in’s Gras werfend, „braucht Ihr nimmer zu warten – der kommt nimmermehr! Auf dem Weg hierher sind uns heute Strickreiter unter gekommen: da haben wir uns in die Felder geduckt und an den Wald hingeschlichen, aber sie müssen uns doch gesehen haben. In dem Wald sind Jäger gesteckt, der erste Schuß ist ihm in den Rücken gegangen, mitten durch’s Herz … es hat ihn nur so hingeworfen … er hat keinen Schnaufer mehr gethan und ich hab’ den Weg gehörig unter die Füß’ genommen, damit Ihr’s doch wißt und nicht umsonst wartet …“

Die unvermuthete Nachricht verfehlte auch auf die verwilderten Gemüther der Schützen ihren Eindruck nicht: sie standen einige Augenblicke stumm und blickten einander rathlos an. „Ei was stehn wir da, wie die Schaf’ wenn’s donnert!“ rief dann der Student. „Das kann einem Jeden alle Stund passiren und geht für’s Sterben hin! Der Kretzenbub ist ein gar gemüthlicher Kerl gewesen – wir wollen’s den Jägern heimzahlen!“

„Was wollen wir aber?“ sagte der Blaue. „Der uns zusammengerufen hat, ist todt – es wird wohl das Beste sein, wir gehn wieder auseinander!“

„Und laufen wieder heim in die Kanzlei?“ schrie der Sternputzer. „Schreiberseele, die Du bist! Was der Bobinger gekonnt hätte, bringen Andere auch zu Stand! Wir müssen zusammenhalten – die Jäger in all den verschiednen Territorien thun es auch; sie müssen sich vor uns fürchten, oder wir sind verloren, und wie den Bobinger putzen sie Einen nach dem Andern weg!“

„Das sag’ ich auch!“ rief ein Anderer. „Kann der Kretzenbub unser Hauptmann nicht sein, so wählen wir uns einen andern, und um den brauchen wir nicht lang zu suchen … der bairische Hiesel soll unser Hauptmann sein!“

„Ja, ja, der bairische Hiesel soll unser Hauptmann sein!“ lärmten Alle wild durcheinander, nur der Sternputzer biß sich auf die Unterlippe und der Rothe schrie darein: „Seht erst zu, daß Ihr die Rechnung nicht ohne den Wirth macht! Fragt ihn doch erst, ob er mit Euch halten will!“

„Warum soll er nicht wollen?“ schrie es entgegen. „Warum wär’ er sonst da? Er muß!“

Hiesel sprang vor den Andrängenden zurück und hob sein Gewehr; Tiras, zum Sprunge bereit, fletschte knurrend die Zähne. „Wer will mich zwingen?“ rief Hiesel. „Wer will mir vorschreiben, was ich thun muß? Ich bin freiwillig hergekommen und will meinen freien Willen haben und behalten wie Jeder! … Der Rothe hat recht gesagt – ich will nicht Euer Hauptmann sein, ich will nicht mehr mit Euch halten – und hieher bin ich nur gekommen, um denjenigen, denen ich’s versprochen hab’, mein Wort zu halten und Euch zu zeigen, daß ich mich nit fürcht’, Euch Allen das in’s Gesicht zu sagen, was ich vorhab’ … Ich kann’s Euch nit erzählen, was ich erlebt hab’ in den letzten Tagen, aber das sag’ ich Euch, daß es mich um zehn Jahr’ älter gemacht und mir das ganze Gemüth gepackt hat … Ich will das Wildschützenleben aufgeben und ein rechtschaffener Mensch werden …“

„Ein rechtschaffener Mensch!“ höhnte der Rothe. „Ich weiß, woher der Wind geht! Du bist ein Narr worden, Hiesel… stell’ Dich und versteck’ Dich, so gut als Du willst, sie finden Dich doch heraus!“

„So geh’ ich in ein andres Land …“

„Das ist erst das Rechte!“ rief der Lissabonerbäck. „Ich kann ein Lied davon singen! Arbeiten darf man in der Fremde wie ein Vieh, aber sonst bleibt man alleweil’ ein Fremder! Laßt ihn nur gehn, Cameraden, wenn er’s erfahren will… es giebt noch andere Leute; hat wohl die Courage verloren, weil der Kretzenbub so geschwind ist abgethan worden …“

„Kerl!“ rief Hiesel und wollte auf den Burschen anlegen, „Du willst dem bairischen Hiesel Courage lehren!“

„Schieß zu!“ erwiderte dieser frech, „wenn Du meinst, Du kannst es damit beweisen!“

„Frieden unter einander!“ rief der Tiroler dazwischentretend. „Der Hiesel muß unser Hauptmann werden oder wir geh’n auseinander und schauen, wie wir uns durchschlagen, bis Jeden seine Kugel trifft … der Hiesel wird sich’s wohl überlegen!“

„Das denk’ ich auch,“ sagte der Student, „er’ wird sich erinnern, was das ganze Land von ihm sagt: daß er nicht ein gewöhnlicher Wilddieb ist, sondern daß er Krieg führt mit den Jägern und Schergen, daß er den Bauern helfen und die Landesherren zwingen will, daß sie die unsinnigen Gesetze aufheben und das Wild frei geben und einen Jeden, der nicht von Adel ist, auch für einen Menschen gelten lassen!“

Hiesel stand bewegt, aber sein Entschluß wankte nicht, so sehr auch Alles auf ihn einstürmte, so lockend und nahe das langgewohnte freie Wildschützenleben vor ihn trat … das geträumte Häuschen mit den grünen Läden und der aus der Thür ihm entgegen winkenden Gestalt überstrahlte mit mildem Glanze alle andern Bilder, die vor seinem Innern auftauchen wollten. Noch hatte er seinen Entschluß nicht ausgesprochen, als eine der ausgestellten Wachen ein Zeichen gab; der Student eilte hin und kam bald mit einem zerlumpten Bauernknaben zurück. „Der Bub will zu Dir, Hiesel,“ sagte er; „er sagt, er sei schon drei Tag unterwegs, Dich zu suchen …“

Der Knabe war rasch auf Hiesel zugeeilt und hatte seine Hand gefaßt. „Da bist Du wirklich,“ sagte er, „jetzt ist es gut – jetzt geh’ ich nimmer von Dir! Kennst mich nimmer?“ fuhr er fort, als Hiesel ihn verwundert betrachtete. „Glaub’s wohl, hast mich auch nur einen Augenblick geseh’n … weißt, dort am Erdweg, wo die Jäger mich bandelt haben und wo Du mir die Strick’ abgeschnitten hast …“

„Du bist es? Und was willst Du bei mir?“

[269] Hiesel sah den Buben mit fragendem Blicke an. „Was willst Du von mir?“ wiederholte er.

„Bei Dir bleiben, Hiesel“ … antwortete der Junge mit fester Stimme; „den Vater haben sie gefangt und fort in’s Zuchthaus, das Gütel wird verkauft und die Mutter haben’s in’s Gemeindehaus gethan – drum bin ich davon, Hiesel, und will auch ein Wildschütz werden und bei Dir bleiben!“

Wüstes Jubelgeschrei stieg aus den Kehlen der Schützen; sie rissen den Buben an sich, umarmten ihn und der Sattler bot ihm die Flasche. Er kam fast nicht dazu zu melden, daß er im Walde einigen Bauern begegnet sei, welche ebenfalls nach dem bairischen Hiesel fragten, denen er aber einen Umweg angezeigt habe, um noch vor ihnen einzutreffen. „Der Bub ist ja ein Teufelskerl!“ rief der Tiroler, „und abgedreht wie ein alter Fuchs! Da kannst sehn, Hiesel, was Du überall giltst und ob Du von uns lassen darfst!“

Hiesel hatte sich auf den Felsvorsprung gesetzt und winkte den Buben zu sich. „Du kommst von Erdweg?“ sagte er, indeß die Andern sich zurückzogen und sich bedeutsam zunickten. „Bist Du über Kissing gekommen und wann?“

„Freilich,“ erwiderte der Knabe, „am letzten Samstag Nachts und Sonntags früh … ich hab’ Dich dort zuerst gesucht und hab’ geglaubt, da werd’ ich’s jedenfalls erfahren, wo ich Dich finden könnte… sie haben aber nichts gewußt, und der alte [270] Brentan hat geweint und hat mir erzählt, die kaiserlichen Werber hätten Dich überfallen wollen, Du seist ihnen aber davon und in den Lech gesprungen und nicht mehr heraus gekommen; … es hätt’ Dich entweder eine Kugel getroffen oder Du seist ertrunken …“

„Und hast Du nichts davon gehört, wer mir zur Flucht geholfen?“

„Das will ich meinen … ein Bauernmädel aus dem Dorfe ist’s gewesen …“

„Und hast Du nichts von ihr gehört? Haben die Verfolger sie erreicht?“

„Das wohl,“ sagte der Bube eifrig, denn er erklärte sich Hiesel’s sichtbare Theilnahme aus dessen Besorgniß, daß ihr Uebles widerfahren sein könnte, „ist ihr aber nichts geschehen, brauchst keine Sorg’ zu haben wegen der! Die Husaren haben sie wohl mit hinein in’s Dorf, und da hat ihr Vater sie erst fortjagen wollen; wie’s aber geheißen hat, es sei so viel als gewiß, daß Du doch zu Grund gegangen seist, hat er sich wieder anders besonnen und hat sie blos eingesperrt. Sie hat sich auch drein ’geben und in ein paar Wochen macht sie Hochzeit …“

„Das ist nit wahr …“ rief Hiesel erblassend; „Hochzeit? Und mit wem?“

„Wohl ist es wahr,“ betheuerte der Bub, „wirst es wohl noch erfahren: der Anderl lügt Dich niemals an! Ich hab’s bei’m Brentan gehört. Der Vater hat sie heimkommen lassen, weil er haben wollt’, daß sie den Hof übernimmt und heirath’ … zuerst hat sie nit gewollt und hat dawider geredt, dann aber hat sie doch Ja gesagt …“

„Also halten sie mich in Kissing für todt?“ sagte Hiesel. „Warum bist Du dann nicht dort geblieben und hast doch den weiten Weg gemacht bis zu mir?“

„Weil ich’s nit geglaubt hab’,“ erwiderte der Bube schlau, „weil ich mir gedacht hab’, Du könntest Dich wohl versteckt halten, und wollt’ mich selber überzeugen, ob es wahr, daß ich mich bei Dir sollt’ nimmer bedanken können …“

„Er hat’s nit geglaubt!“ murmelte Hiesel schmerzlich. „Und er hat mich nur einen Augenblick gesehen! Sie hält mich für todt und fragt nit viel nach … sie ist bald getröst’ und macht ein paar Tag’ darnach Hochzeit! … Aber es kann doch nit sein, Anderl, Du mußt Dich verhört haben! Vielleicht hat der Bauer zwei Töchter … vielleicht war von einer andern die Red’ …“

„Nein, nein … ich bin am Sonntag in der Kirch’ gewesen und hab’s selber gehört, wie der Pfarrer die Monika Baumüllerin verkündet hat … Heißt sie nit so?“

Hiesel erwiderte nichts mehr. Gelassen stand er auf und trat mitten unter die Versammelten. „Hört mich an,“ rief er mit mächtiger Stimme, „wollt Ihr Alle treulich das thun, was ich verlange? Wollt Ihr nur eine Schaar Wildschützen sein, die’s blos mit dem Wild und den Jägern zu thun haben, nichts rauben und nichts stehlen und sonst keinem Menschen was zu Leid thun? Wollt Ihr mir gehorchen in Allem, was ich sag’, auf’s Wort und ohne Widerred’?“

„Ja,“ riefen Mehrere, „und wer Dir nit folgt, den darfst Du niederschießen und darf kein Hahn darnach krähn!“

„Wollt Ihr, daß Alles, was wir erjagen, uns miteinander gehört und Jeder seinen gleichen Theil bekommt? Wir führen gemeinsame Wirthschaft und hausen aus Einem Säckel, der in meinen Händen bleibt … wir führen Krieg gegen Jäger, Schergen und Amtleute und wollen treu zusammenhalten und, so lang wir leben, niemals von einander gehen! Ist’s Euch so recht, so schwört mir’s zu, denn wir, die die ehrlichen Leute draußen Spitzbuben nennen, wir bleiben bei dem, was wir uns vorgenommen haben, wir halten unser Wort … Schwört mir das Alles, dann will ich Euer Hauptmann sein!“

„Wir schwören’s!“ riefen Alle in wildem Jubel durcheinander. „Der bairische Hiesel ist unser Hauptmann! Hurrah – der Hauptmann soll leben!“ Sie schwenkten die Hüte, die Hirschfänger und die Gewehre, fielen einander um den Hals und Alle reichten Hiesel an Eidesstatt die Hand. Der Bub schmiegte sich an ihn an, er aber legte ihm die Hand auf die Stirn und sagte: „Bleib bei mir, Anderl, weil Du draußen auch Niemand mehr zu suchen hast. Du sollst einen Bruder an mir haben!“

Während des Lärmens und der allgemeinen Erregung erschienen die Bauern, deren Ankunft der Bube schon angezeigt hatte. Furchtsam mit ehrerbietig gezogenen Hüten traten sie näher und Hiesel empfing sie, umgeben von seinen Getreuen, wie ein General in Mitte seiner Befehlshaber. Sie kamen viele Meilen weit her aus dem Haunsheimischen und waren von mehrern Dorfmarkungen heimlich abgesandt, um den bairischen Hiesel flehentlichst zu bitten, daß er sich ihrer Desperation erbarmen und zu ihnen kommen solle, den Verheerungen des gehegten Wildes Einhalt zu thun, wogegen sie nirgends Schutz und Abhülfe gefunden. „Recht so, Cameraden!“ rief Hiesel, als sie ihre Botschaft ausgerichtet, „das ist Wasser auf unsere Mühle! Das ist ein gutes Zeichen für uns, das bedeutet, daß wir auf dem rechten Weg sind! Geht nur heim, Landleute, und seid getrost, verrathet aber nichts vorher: eh’ drei Tage in’s Land gehn, hört Ihr’s um Eure Ohren krachen – dann wißt Ihr, das ist der bairische Hiesel und seine Schützen!“

Nach einem fröhlichen Gelage ward aufgebrochen und durch den nächtlichen Wald gezogen; die geübten Wilderer fanden sich darin nach dem Stande der Sterne so sicher zurecht, wie ein Forstmann, der sein langgewohntes Revier begeht. An einer Waldspitze, wo die Bäume lichter standen und in der Entfernung Friedberg sichtbar war, schlug man das Lager. Bald waren Wachen nach allen Seiten ausgestellt, Einige wurden noch in das nächste Dorf gesandt, um neue Lebensmittel zu holen, und unter den Stämmen lagen die Wilderer bald in sorglosem Schlafe; die Nacht rings umher lag über der kühnen Schaar, welche den Kampf mit dem Gesetz und dem Frieden des Landes zu beginnen geschworen hatte, so still und ruhig, als wären sie eine Schaar seiner edelsten Kinder, bereit das Leben für sein Wohl dahin zu geben.

Von Hiesel’s Augen allein floh der Schlaf. Die Nachricht des Buben hatte wieder alle Untiefen seines Gemüths aufgewühlt, alle wilden Neigungen und trotzigen Gedanken loderten darin empor, wie Flammen, die der Sturmwind aus dem Schutt eines scheinbar erloschenen Brandes bläst. Auch sie, der in so kurzer Zeit sein ganzes Inneres sich mit nie gefühltem Entzücken gefangen gegeben, auch sie also war falsch; auch ihre Liebe war nicht mehr, als das oberflächliche Mitleid eines gewöhnlichen Weiberherzens, mit der Stunde geboren, mit dem Augenblick erstorben! Jetzt war es offenbar, warum sie es so sorgsam vermieden, auf seine wiederholten Fragen bestimmt zu antworten; was er als holde jungfräuliche Verschämtheit empfunden, war nichts gewesen, als nüchterne Berechnung. Darum hatte sie es auch vermocht, die Nachricht seines vermeintlichen Todes so gelassen hinzunehmen und Herz und Hand einem Andern zu geloben; hatte sie doch gegen den unglücklichen gehetzten Menschen, der einmal ihr Jugendgespiele gewesen, ihre kalte Schuldigkeit reichlich gethan, ihn bemitleidet und sogar zu retten versucht … Aber eben diese Rettung war es, welche ihn wieder und wieder zweifeln machte und der Treulosen das Wort redete. Wenn er daran dachte, wie sie in unverkennbarer Angst um ihn gezittert, wenn ihm der innige Ton ihrer Stimme im Ohre nachklang, wenn er sich der klaren reinen Augen erinnerte, die ihn so herzlich angeschaut, dann wollte es in seinem Gemüthe heller werden, wie von einem Sonnenstrahl, der durch Wolken bricht, aber die Gewittermassen des Grolls und Grimms und der Jahre lang genährten und kaum in Schlaf gesungenen Verbitterung waren zu mächtig und verdrängten und überwältigten das versöhnende Licht.

Es begann eben grau zu werden im Osten; da riefen die Wachen und Tiras schlug an.

Hiesel war der Erste, der hinzu eilte; er wollte fragen, was es gebe, aber er kam nicht dazu – mit einem Schrei der Freude und des Schmerzes lag im nächsten Augenblick Monika an seiner Brust.

„Du bist es?“ rief er, schwankend zwischen Zorn und unwillkürlich aufwallender Freude. „Du findest noch den Weg zu mir?“

„Wie sollt’ ich nicht!“ rief sie, sich enger anschmiegend. „Ich wär’ ja längst gekommen, wenn ich nur gekonnt hätte! Der Vater hat mich eingesperrt gehalten und erst gestern Abends hab’ ich mich losmachen gekonnt …“

„Und was will die Jungfer bei mir?“ fragte Hiesel, sie wegdrängend. „Wenn man erfährt, daß Sie dem Wildschützen nachgelaufen ist, was wird Ihr Hochzeiter dazu sagen?“

„Hiesel, wie red’st Du mit mir?“ rief sie schmerzlich. „Ist das mein Dank? Hochzeiter … kannst Du so was von mir glauben?“

[271] „So? Du hast wohl gemeint, ich in meinem Wald erfahre nichts davon, was im Land geschieht? Ich weiß recht gut, wie geschwind Du Dich ’tröst hast über meinen Tod … oder ist es etwa nit wahr, daß Du heirathen willst? daß Du Dich schon als Braut von der Kanzel hast verkünden lassen?“

„Der Vater hat’s gethan, Hiesel, und ich hab’ nachgegeben – nur zum Schein, um den Vater zu beruhigen und sicher zu machen, sonst wär’ ich jetzt noch nicht frei geworden … Ich bin zu der Bas’ nach Friedberg – da hab’ ich erst erfahren, daß Du wirklich noch lebst und wo ich Dich finden kann!“

„Also ist es doch wahr?“ rief Hiesel in ausbrechender Freude. „Du bist mir wirklich noch treu und hast mich noch gern?“

„Lieber als Alles, Hiesel – lieber als mein Leben!“ erwiderte sie innig. „O – weil ich Dich nur wieder hab’ … jetzt wird Alles noch gut, jetzt laß ich Dich nimmer los, Du mußt mit mir nach Kissing zurück. Der Herr Pfarrer hat an’s Pfleggericht geschrieben, daß Dich der Kurfürst als Jäger haben will und daß Dich die Werber in Ruh’ lassen sollen! Es ist noch einmal ein Brief’ kommen von dem Doctor in Räuchen … Hiesel, Hiesel, komm nur mit mir, wart’ keinen Augenblick … Alles, was wir uns gewünscht haben, es kann doch noch wahr werden!“

„Mit Dir soll ich gehn?“ rief Hiesel, indem er schaudernd und erblassend zurücktrat. „Damit ist’s vorbei, Monika! Es ist zu spät – ich bin Hauptmann von den Wildschützen und hab’s ihnen zugeschworen, daß ich niemals von ihnen geh’ … niemals, so lang als ich leb’ …“

„Das ist ein schlechter Schwur, Hiesel, der kann nit gelten,“ entgegnete Monika ängstlich, … „mir gehörst Du, mir hast Du zuerst geschworen …“

„O Monika,“ rief er erschüttert, „was bin ich für ein unglücklicher Mensch! Das größte Glück liegt vor mir, daß ich nur die Hand darnach ausstrecken darf, und ich muß es selber von mir stoßen, muß mich davon abwenden und Nein sagen …“

„Du mußt nit, Hiesel … Du darfst ja nur wollen und die Hand wirklich ausstrecken! O, laß Dich bereden, komm mit mir und Alles wird noch recht …“

Der Anblick des geliebten Mädchens, der zärtliche Ton ihrer Stimme erweichten den starren Sinn des Wildschützen; einen Augenblick zog er sie enger an sich und wiegte sich, die Umgebung und die herbe Gegenwart vergessend, mit ihr auf den Möglichkeiten einer seligen Zukunft.

Inzwischen waren die Schützen alle erwacht; mit Verwunderung sahen sie das Paar an der Waldspitze stehn und steckten fragend die Köpfe zusammen. „Was ist’s, Hauptmann?“ rief Einer herüber. „Mach’ ein End’ mit dem Scherwenzen … oder willst Dich gar von uns abspenstig machen lassen?“

Hiesel’s Angesicht bedeckte sich mit dunkler Gluth: der bloße Gedanke, es könne Einer vortreten und an der Ernsthaftigkeit seines Willens zweifeln, seinen Schwur zu halten, erfüllte ihn mit Grimm. „Ich komm’, Cameraden!“ rief er und drängte das Mädchen von sich. „Geh heim, Monika, geh heim und vergiß mich! Denk’, ich bin wirklich gestorben … für die Welt ist es aus mit uns Zwei!“

„Ich lass’ Dich nit, Hiesel,“ erwiderte sie und klammerte sich schluchzend an ihn, „mein Herz geht auseinander, wenn ich von Dir soll!“

„Meinst, das meinige bleibt ganz… aber es muß so sein …“

„Also das ist all’ Deine Lieb’, Hiesel? Deine wüsten Cameraden sind Dir mehr werth als ich?“

„Du … Du bist mir mehr werth als Alle… Du bist mir das liebste auf der Welt!“ rief Hiesel schmerzlich. „Aber mit Dir gehen kann ich nit – ich hab’s geschworen! O Monika, wenn Du mich wirklich gern hast – wenn Dein Herz nur halb so viel an mir hängt, wie ich an Dir … dann gäb’s doch noch einen Ausweg, daß wir nit auseinander müssen …“

„Was für einen? Red’ … ich will ja Alles thun …“

„… Bleib’ bei mir,“ sagte er zärtlich drängend, „ein schönes Jägerhaus kann ich Dir nit verschaffen, aber Du sollst es gut haben bei mir, wie eine Königin – nichts soll Dir abgehen. … Du sollst es gar nit spüren, daß Du im Walde wohnst! Ich kenn’ einen Pfarrer, der mich gut leiden kann, der soll uns zusammengeben … O Monika, bleib’ bei mir, werd’ mein Weib – geh’ nit wieder von mir!“

„Nein, Hiesel,“ sagte sie entschieden und trocknete sich die Thränen aus den Augen, „das thu’ ich nit! Ich hab’ Mitleid mit Dir gehabt, als mit einem verfolgten unglücklichen Menschen … ich hab’ Dich gern gehabt von Jugend auf, weil Du ein gutes Herz hast … aber ich hab’ gehofft, Du wirst das alte Leben aufgeben und ein neues anfangen wollen … Jetzt willst Du’s statt dessen noch weiter und wilder treiben … Hiesel, mein Herz bleibt bei Dir zurück … aber wenn Du mich jetzt so von Dir gehen laß’st, dann … dann sind wir geschiedene Leut …“

„Wir sind’s!“ erwiderte er und wandte sich trotzig ab.

„Hiesel … besinn Dich noch einmal … schick’ mich nit so von Dir! So lang Du der Wildschütz bist, kann ich nit mit Dir gehen … aber, wenn Du nit heim willst, so führ’ mich in ein andres Land … Hiesel, wenn Du willst, ich geh’ mit Dir und halt’ bei Dir aus, und will arbeiten, daß mir das Blut aus den Nägeln spritzt … nur das Wildschützleben gieb auf, nur von Deinen Cameraden mach’ Dich los!“

„Geh …“ sagte er finster, „ich weiß jetzt, was ich von Deiner Lieb’ zu halten hab!“

„Nein, Du weißt es nit, Hiesel,“ weinte sie, „aber Du wirst es einmal erfahren, wenn es zu spät ist!“

„B’hüt’ Dich Gott,“ sagte er und wendete sich den herbeikommenden Genossen zu. „Hiesel,“ schrie sie auf und wollte ihn noch einmal mit den Armen umfassen, er aber riß sich mit Ungestüm los. „Cameraden,“ rief er; „halt’t mir die Person vom Leib … bei Euch will ich leben und sterben!“

Mit Geschrei und Gelächter drängten die Schützen Monika zurück; wie betäubt sank sie in die Kniee und starrte mit weitausgebreiteten Armen den Enteilenden nach, bis sie im Walde verschwunden waren – dann sprang sie auf, rang die Hände gen Himmel und rannte wie sinnlos die Straße hin, dem fernen Dorfe zu.




4

Der Winter war gekommen und wieder vorübergegangen; der Frühling verstreute schon seine abfallenden Blüthen und ungewöhnliche Hitze verkündete einen baldig nahenden Sommer, der die zurückgebliebenen Fruchtknospen rascher als sonst zu reifen versprach. Mehr als acht Monate waren vergangen, und fast kein Tag hatte sich dazu angereiht, der nicht die Kunde von einem neuen Zuge der gefürchteten Wildschützenbande ins Land trug oder einen neuen listigen Streich, ein kühnes Abenteuer ihres verwegenen Anführers erzählte, vergrößert und geschmückt, wie es das Volk mit dem Leben und den Thaten aller Derer macht, die es zu seinen Lieblingen erkoren. Das Volk war es auch allein, das an diesen Erzählungen und Märchen seine Freude hatte, und zwar nicht blos die Bauern, welche in dem bairischen Hiesel eine Art Schutzengel verehrten und ihn mit allem Guten ins Nachtgebet einschlossen, sondern auch die Bürger in den Städten, zumal in den kleinern von Schwaben, im Allgäu, bis an den Bodensee und auch anderwärts – es war eine düstere, stillstehende Zeit, die Luft lag schwül auf allen Landen und im Westen braute sich schon das furchtbare Gewitter an, das in wenig Decennien das Werk von Jahrhunderten umstürzen und sich überall hin entladen sollte, wie der Sturmwind dahinfegt, die Luft zu reinigen und zu prüfen, was morsch genug ist, in sich zusammenzubrechen. Natürlich ward solches Wohlgefallen an der Kühnheit eines Mannes, der sich mit Bewußtsein und Willen gegen das auflehnte, was ihm ein Unrecht erschien, nicht laut ausgesprochen; aber wenn man im vertrauten Kreise bei Krug oder Flasche beisammen saß, winkte man sich bedeutungsvoll zu und unter vier Augen wagte man sogar auszusprechen, daß in Stadt und Land noch gar Vieles sei, wobei ein bairischer Hiesel noth thäte, um damit aufzuräumen, wie unter dem Wilde.

Desto wüthender waren natürlich die Grundherren, die Besitzer der Waldungen, die er durchzog und deren Wildstand mit einer Schonungslosigkeit verminderte, welche den jagdlustigen Adel in gelinde Verzweiflung brachte: die vielen Reichsgrafen und Reichsfreiherren, die unmittelbaren Stifter und Städte, deren Gebiete dort gar sehr eng neben einander lagen, so daß die Grenzen sich aufs Bunteste verschlangen und kreuzten und manchmal eine Wanderung von einer Viertelstunde genügte, um in aller Bequemlichlichkeit [272] das Territorium von drei und mehr Reichsfürsten zu berühren. Wohl boten sie Alles auf, um dem schrecklichen Uebelthäter das Handwerk zu legen oder wohl gar seiner habhaft zu werden, allein nichts von Allem wollte fruchten. Außer den Jagdbediensteten und Förstern wurden die Bauern aufgerufen, Militär wurde requirirt, um auf den Wildschützenhauptmann zu streifen – aber den Bauern war es nicht Ernst mit der Verfolgung, sie wußten es immer so einzurichten, daß Hiesel zuvor gewarnt und rechtzeitig von Zeit, Richtung und Stärke der Streife in Kenntniß gesetzt wurde; ja, es wollte sogar verlauten, die zu einer solchen Expedition aufgebotenen Bauern hätten den Wildschützen einmal wirklich aufgefunden, aber, anstatt ihn auszuliefern, mit dem frisch gemähten Grase einer Wiese bedeckt, so daß zu ihrer großen Belustigung die ganze übrige Mannschaft arglos und in gravitätischem Amtseifer an dem Grasschober vorüber marschirte. Die Jäger waren wohl meist zu Anfang über die Verheerung ihrer Wildbestände ergrimmt und gingen mit waidmännischer Entschlossenheit daran, ihn zu bekämpfen, aber sie mußten gar bald einsehen, daß der Kampf zu ihrem Nachtheile ein sehr ungleicher war. Einige der Muthigsten hatten Hiesel und die Bande verfolgt und geradezu angegriffen und waren als Opfer ihrer Berufstreue gefallen. Andererseits war es offenkundig, daß Hiesel, so sehr er die Jäger haßte, keinem etwas zu Leide that, der ihn nicht angegriffen oder durch Nachstellungen oder Drohungen herausgefordert hatte. Es war daher wohl verzeihlich, wenn sie in der Verfolgung etwas lässiger und behutsamer wurden, und so blieben nur die Soldaten übrig, denen diese Streifzüge und die Verfolgung eines Verbrechers kein besonders angenehmer Dienst und vor Allem kein Geschäft waren, wobei sich Ehre holen ließ. Dazu kam noch, daß kein Mensch jemals mit Bestimmtheit zu sagen wußte, wo Hiesel sich eben aufhielt; er war auf steter Wanderschaft begriffen, theilte seine Leute in kleinere Abtheilungen, die unter allerlei Vorwänden und Verkleidungen herum schweiften, um an einem bestimmten Platze und zur bestimmten Minute sich wieder mit ihm zu vereinigen, und erschien selbst mit unbegreiflicher Kühnheit bald an diesem, bald an jenem Ort, überall freundlich oder mit scheuer Furcht aufgenommen, oder zu spät erkannt. Unvermuthet tauchte er in irgend einem Waldrevier auf, die Verwüstungen des Wildstandes und der Ueberfluß an Wildpret in den benachbarten Städten, Dörfern und Pfarrhöfen verkündeten seine Anwesenheit; bis dann die Eigenthümer sich besonnen und zu schwerfälligen Vorbereitungen aufgerafft hatten, war er wieder verschwunden: die Verfolger hatten das Nachsehen und zu dem Schaden das Gespött.

[273] An einem heißen Junimorgen war wieder eine größere Streife gegen den Wildschützen ausgezogen. Die Sonne brannte so schwül hernieder, als habe sie ihre Lust daran, den Streifern das mühselige Geschäft auch ihrerseits zu verleiden. Müd’, matt und verdrossen zog die bewaffnete Schaar einen Hügel hinan, über welchem die Landstraße steil emporstieg, um an der andern Seite eben so steil in die Ebene hinabzuführen, welche sich nach drei Seiten hin weit ausbreitete. Auf dem Hügel stand eine kleine nischenartige Feldcapelle, hinter welcher ein Waldstreifen hinzog; die Ebene bestand aus halbreifen Saatfeldern, nach allen Seiten von Wäldern, wie von einem weiten dunklen Rahmen, umfaßt.

Die Schaar hatte die Höhe ziemlich ordnungslos erreicht und es sich droben, ohne erst ein Commando abzuwarten, möglichst bequem gemacht. Die flinksten hatten sich im Schatten der Capellen-Nische einquartiert. Einige saßen am Rande des Straßengrabens. Andere hatten ihre Musketen an einander gelehnt und sich auf dem weichen Grasboden gelagert. Die dreieckigen Hüte wurden abgenommen und die Röcke aufgeknöpft, um sich den Schweiß abzutrocknen und Kühlung zu verschaffen. Jetzt, im Zustande der Zerstreuung und Ruhe, trat es erst recht hervor, welch bunten Anblick die ganze Schaar darbot. Sie bestand aus etwa zwanzig Mann, aber nur sechs davon schienen zu einander zu gehören: sie trugen auf den blauen aufgeschlagenen Röcken breite rothe Aermelklappen, kurze rothe Büsche auf den Hüten und über der Brust gekreuzte weiße Lederriemen für Patrontasche und Säbel. Von den übrigen waren immer höchstens zwei oder drei einander ähnlich: sie hatten verschiedene Röcke von allerlei Zuschnitt, Hutbüsche und Aufschläge von den schönsten Farben, hellgrün, rosenroth und himmelblau. Der Rest bestand aus einigen Jägern und einem Förster, die sich aber seitwärts und zusammen hielten, als läge ihnen daran, nicht zu der übrigen Mannschaft gerechnet zu werden.

„Das wird wohl die Capelle sein, die als Sammelpunkt bezeichnet ist?“ sagte der Anführer der sechs Gleichartigen, ein altgedienter Feldwebel mit ungeheurem Schnurrbart und bärbeißigem Gesichte. „Nicht so, Herr Förster?“

„Ja,“ erwiderte dieser, ein schöner stämmiger Mann von dunkler Gesichtsfarbe, dunklem Haare und noch dunkleren entschlossenen Augen, „das ist die Achatius-Capelle, und was da vor uns liegt, ist der Hartwald, in welchem der Hiesel jetzt seinen Unfug treibt.“

Der Feldwebel warf einen musternden Blick auf die von aller Disciplin gelöste Schaar. „Es sind noch nicht alle Mannschaften da,“ sagte er dann, „wir müssen auf sie warten und darüber versäumen wir am Ende die beste Zeit und Gelegenheit!“

„Dort unten beim Bach,“ sagte, mit vollen Backen kauend, Einer der Hellgrünen, der am weitesten umhersehen konnte und aus seiner Patrontasche Wurst und Brod hervorgeholt halte, „da ist gerade Einer durchs Wasser gewatet; jetzt sitzt er auf dem Markstein und zieht Schuh und Strümpfe wieder an. Er hat eine Muskete und einen Federbusch … wird also wohl auch ein Soldat sein.“

„Was? Ein einziger Mann?“ rief der Feldwebel und trat diensteifrig vor: „wo mag er herkommen? Er muß von seinen Corps versprengt worden sein … Soldat Blümelhuber,“ fuhr er dann, zu Einem seiner Mannschaft gewendet, fort, „stell Er sich da hinaus auf die Straß’ als Schildwach’ und ruf Er den Soldaten an; er kommt richtig auf uns zu.“

Der Aufgerufene war eben im Begriff gewesen, ein bischen einzunicken, er war daher von dem Commando nicht sehr erbaut und bezog seinen Posten mit einer Miene, als ob er einem Kampfe auf Leben und Tod entgegengehe. Der Ankömmling mußte seinen Aerger entgelten, denn mit einer Bärenstimme, die im fernen Walde nachhallte, brüllte er demselben sein „Halt! Wer da?“ entgegen.

Der Herankommende war eine sonderbare Erscheinung: ein alter Kerl mit verschrumpftem Gesicht und einem halblahmen Bein, das ihn etwas zu hinken nöthigte. Das Körperchen steckte in einem Soldatenrocke wie ein vertrockneter lockerer Nußkern in der Schale; aber auf dem Hute nickte ein mächtiger citrongelber Federbusch. Die Aermel und Rockklappen waren von gleicher Farbe und über der Brust baumelten zierliche citrongelbe Quastenschnüre.

Auf den kriegerischen Anruf versuchte der Mann sich ebenfalls ein soldatisches Ansehen zu geben und krähte dem Wachposten mit aller Anstrengung seiner dürren Kehle und in der blühendsten Mundart eines Stockschwaben zu: „Ich bin das Reichscontingent vom Stift Wetterhausen!“ Damit stand er schon mitten unter den Uebrigen und fuhr, ohne sich um Commando, Meldung oder Feldwebel zu bekümmern, in der heitersten Laune fort: „Grüß’ Gott bei einander, grüß Gott, Männer! Hän’t Ihr scho’ ebbes gfange’? Ich bin auch da zum Streife!“

„Wer ist Er?“ schnauzte ihn der Feldwebel im Gefühl seiner verletzten Würde an. „Was ist die Parole?“

[274] „Wer ich bin?“ erwiderte der Soldat. „Ich han’s scho’ gseit – ich bin das Reichscontingent von Wetterhause’. Es ischt ä Zettel ’rumgegange’, daß die Reichsständ’ sollen ihre Mannschaften stellen, um den bairischen Hiesel zu fangen, den Wilddieb, den gottsverdächtigen! Guck, hätt der Reichsprälat g’seit, da werd nix übrig bleibe’, als daß wir unser Contingent au’ marschire’ lasse’. Nachtwächter Jäckele, hätt er g’seit, ganget in die Rumpelkammer und ziechet das Soldate’röckli a’, es hängt drobe’ beim alte’ Eise’ und bei die Fußschelle’! Ziech’s a’, Jäckele, hätt er g’seit, und gang au’ mit streife’!“

Der Feldwebel, ein alter Soldat, wandte sich in stummer verachtender Entrüstung ab. Der Hellgrüne mit der wurstgefüllten Patrontasche übernahm die Erwiderung in einer nicht sehr wesentlich verschiedenen Mundart. „Aelles guet,“ erwiderte er und theilte dem Citrongelben brüderlich von seinem Vorrath mit, „aber wir warte’ scho’ lang’ auf Euch, Nachbar! Wir sind von Münsterhausen und haben einen viel weiteren Weg – Ihr habt ja kaum ein Stündle und kommt doch so viel spater!“

„Ich bin ebe’ aufg’halte’ worde!“ erwiderte wichtig der Soldat von Wetterhausen. „Wie ich an die Wurzachische Grenz’ gekommen bin und hab’ passiren wollen, da habe’ se mich aufgehalten und haben geseit, se’ hätte’ kein’ Vertrag mit uns von wege’ de’ bewaffnete Durchmärsch’, do könnte sie’s nit verlaube’ und müßten erst ’n Bericht mache’ und anfrage’. Da hab’ ich gedenkt, es könnt a’ bißle spät wer’e auf die Weis’, und bin lieber draußen herumgegange. Der Umweg ist schuld, daß ich so spät komm’, es ist fast eine halbe Stund’, bis man herum kommt um das Ländle!“

Der Feldwebel hatte sich inzwischen mit dem Förster berathen. „Es hat nicht den Anschein, daß wir noch Verstärkung erhalten,“ sagte er, „wir wollen weiter keine Zeit verlieren. Was meint der Herr Förster?“

„Ich denke,“ erwiderte dieser, „es wird am Besten sein, wenn wir drei Abtheilungen formiren. Der Wald bildet nach der andern Seite hin einen großen Bogen, so ziemlich in der Mitte liegt das Dorf, dessen Kirchthurm dort über die Buchen herüber sieht. Die drei Abtheilungen sollen nun von Bach, Straße und Hügel gegen Westen vordringen; sie werden dann so ziemlich bei dem Dorfe zusammentreffen und es wird keine Hauptpartie des Forstes unberührt geblieben sein. Ist der Hiesel im Wald, müssen wir ihn aufstöbern und bei dem Dorfe soll die Treffung sein!“

Der Feldwebel nickte zustimmend und ließ sein „Angetreten“ mit solcher Wichtigkeit erschallen, daß die Mannschaften sich neben die sechs Gleichförmigen, die noch am meisten den Eindruck wirklicher Soldaten machten, aufstellten und sich nach Rotten mustern ließen. „Hat der Herr Förster keine Nachricht,“ sagte der Feldwebel, sich unterbrechend, „in welcher Richtung wir dem Hiesel am Wahrscheinlichsten begegnen werden?“

„Das ist schwer zu sagen,“ erwiderte der Förster, „der Wilddieb setzt seine Stärke darein, nie lang an einem Ort zu bleiben! Vorgestern hat er dort’ gegen die Niederungen gejagt, also wird er jetzt vermuthlich in der Mitte des Waldes hausen – dort, wo die Eichen sich zu einem Büschel zusammendrängen …“

„Gut,“ begann der Feldwebel wieder, „dann gehe ich mit meinen Leuten auf die Eichen los; den Herrn Förster nehmen die zwei Mann von Türkheim und die drei von Roggenburg und gehen links nach der Ebene vor; die zwei von Münsterhausen und Wurzach und der Mann von Wetterhausen marschiren nach den Niederungen. Also … ’tAchtung! Bei dem Dorfe da drüben hinterm Wald ist die Treffung! Immer nach Sonnenuntergang vorgerückt! Was Verdächtiges getroffen wird, wird angehalten! Wer mit den Wildschützen zusammentrifft, giebt das Zeichen mit einem Schuß, dann zieht sich Alles seitwärts nach der Richtung, in welcher der Schuß gefallen ist! Vorwärts – Marsch!“

Zwei Abtheilungen setzten sich auf das Commando in Bewegung, die vereinigte dritte wich nicht vom Platze. „Donnerwetter!“ schrie der Feldwebel, zurück eilend. „Warum steht Ihr stille? Warum marschirt Ihr nicht?“

„Weil ich nicht einsehe,“ sagte ein Hellgrüner, „warum gerade wir in die Niederungen marschiren sollen, wo die Spitzbuben ganz gewiß schon gewesen sind und sich also noch aufhalten können! Wir sollen eine gemeinsame Streif’ machen, also sollen wir auch gemeinsam beisammen bleiben!“

„Und dann,“ sagte ein Rosenrother, „dann weiß auch kein Mensch, wer bei unserem Corps das Commando haben soll. Wenn wir Wurzach’schen nicht commandiren dürfen, gehen wir nicht mit… der Herr Amtmann hat’s uns auf die Seel’ gebunden, daß wir dem Herrn Reichsgrafen ja nichts an seinen Rechten und Privilegien vergeben sollen!“

„Das ischt Aelles wahr,“ rief der Citrongelbe, „aber ich darf dem Herrn Prälate’ au’ nit zu weh geschehe’ lasse’… Ich werd’ das Commandire au’ zuwege bringe, für was wär ich dann das Reichscontingent von Wetterhause’“?“

„Nun, so bleibt wo Ihr wollt!“ rief der Feldwebel zornig. „Wir werden auch ohne Euch zurecht kommen!“ Er wollte fort, aber der kühne Wetterhauser war ihm nachgesprungen und rief: „Noi, noi, Herrle, so geht’s nit! Wir sollen die Streif’ miteinander machen, also müssen wir auch dabei sein, und was Ihr allein thut, gilt nicht!“

Da krachte im Walde aus der Ebene ein Schuß und endete den Streit.

Im Augenblick brach ein Hirsch, ein stattlicher Sechzehnender aus den Bäumen und flog in mächtigen Sätzen längs des Waldrandes dahin.

„Seht,“ rief der Förster, vor Zorn stampfend, „dort sind die Wilddiebe! Dort jagen sie! Ist solche Frechheit jemals erhört worden … sie müssen uns hier sehen und uns zum Spott jagen sie vor unsern Augen!“

„Ja, es ischt merkwürdig,“ sagte der Citrongelbe, „es ischt als wenn sie uns kä bissele fürchta thäte’.“

Ein zweiter Schuß knallte dazwischen, am Waldrande hatte der Hirsch seinen letzten Sprung gethan, brach in die Vorderläufe zusammen und legte sich verendend auf die Seite. Im nämlichen Augenblick trat ein Mann aus dem Walde, die noch rauchende Büchse in der Hand; er legte sie achtlos neben sich hin auf den Boden, kniete neben dem Thiere nieder, gab ihm dem Genickfang und machte sich bereit, es nach allen Regeln der Waidmannskunst zu zerwirken.

„Gucket ämol,“ rief der Reichssoldat von Wetterhausen wieder, „da habe’ mer uns doch geirrt und hätten ein schön’s Unglück anrichten können! Des ischt ja gar koa Wilddieb, des ischt ja a Jäger, er zieht ja eb’n das Jägerröckle aus!“

„Nein, nein,“ rief der Förster noch grimmiger. „Es ist ein Wildschütz und Niemand anders, als der verfluchte Hiesel selbst! Der Kerl erfrecht sich, sich als Jäger zu kleiden, und hat in den letzten Wochen auch allen seinen Hauptgenossen grüne Röcke und gelbe Lederhosen machen lassen, daß sie aussehen wie reichsfürstliche Förster! – Meinetwegen thut Ihr Alle, was Ihr wollt. Ich gehe hinunter und stelle den Burschen und wenn’s mein Tod sein sollte! Dem Anschein nach ist er allein und Mann gegen Mann fürcht’ ich mich vor Niemand!“

Raschen Schritts eilte er den Hügel hinab und die Streifer sahen ihm neugierig nach. „Ich habb immer g’seit,“ sagte der Wetterhauser, „der Herr Förster ist ein curagirter Mann – mer wöllet doch seha’, ob er den Hiesel fangt!“

Der Jäger hatte sich in die Kornfelder geduckt und eine Hecke erreicht, die sich wie ein Saum an den Feldrain hinzog, so daß er dahinter bis auf Schußweite an den Waldrand und an den Wilddieb herankommen konnte. Der Feldwebel gab oben Befehl, sich unter die Bäume zurück zu ziehen, und diesmal wurde ihm ohne Widerrede gehorcht, denn der Platz war durch Gebüsch vollkommen gedeckt und doch so gelegen, daß man die ganze Flur übersehen konnte.

Inzwischen war der Förster an das Ende der Hecke gekommen, untersuchte sein Gewehr und sah nochmal forschend nach dem Wildschützen hinüber; dieser schien ihn nicht zu bemerken und auch gar keine Gefahr zu ahnen, er hatte die Hemdärmel aufgestülpt und war mit dem Aufbrechen des Hirsches so sorglos und ruhig beschäftigt, als sei er der Herr des Waldes, dem Niemand etwas einzureden habe.

Jetzt trat der Jäger aus dem Gesträuch; das Gewehr schußfertig an die Hüfte haltend, rief er mit lauter Stimme: „Halt, Wilddieb! Nicht gerührt! Du bist mein Arrestant!“

Der Angerufene hob, ohne sich stören zu lassen, den Kopf nur leicht in die Höhe. „Eilt es stark?“ fragte er. „Es wäre mir schon recht lieb, wenn ich zuvor meine Arbeit fertig machen könnt!“

„Keine Umstände, Kerl!“ rief der Jäger wieder. „Jetzt ist es aus mit dem Uebermuth, Du bist in meiner Hand. Augenblicklich [275] steh’ auf und geh ruhig vor mir her, oder Du bist des Todes! Hast ja oft gesagt, wir Jäger könnten nicht schießen; jetzt sollst Du sehen, daß ich Dich nicht verfehle!“

Hiesel hatte sich auf ein Knie empor gerichtet und deutete lächelnd mit dem Daumen über seine Schulter nach dem Walde zu. „Ich will’s wohl glauben, daß Du gut schießen kannst, Förster,“ sagte er, „aber die da können’s doch noch besser!“

Dem Jäger schlug es wie ein Blitz in den Leib; er blickte gegen den Wald und sah, während er selbst noch das Gewehr an der Hüfte hatte, drei oder vier Schützen im Anschlag liegen und die Mündungen ihrer Büchsen auf sich gerichtet.

„Hast im Ernst gemeint, der Hiesel wär so dumm?“ rief dieser lautlachend. „Dafür gehört Dir schon eine ordentliche Straf – Jetzt ist die Reih an mir. Halt Jäger! Hahn in Ruh! Nicht gerührt. Du bist mein Arrestant! Du gehst schnurgerad, als wenn gar nichts passirt wär, in den Wald, und wenn Du an mir vorbeigehst, da thust Du den Hut herunter, wie man einen Bekannten grüßt. Die Soldaten da droben am Hügel müssen glauben, daß wir zusammen gehören, und müssen herunter kommen … ich möcht’ sie mir in der Näh anschauen!“

Der Jäger stand betroffen; ein so entschlossener Mann er auch war, erkannte er doch, daß er in eine Falle gegangen, aus der es keinen Ausweg gab; Widerstand wäre zwecklos und tollkühn gewesen, also that er knirschend, wie ihm befohlen war, und schritt in den Wald.

Die Streifmannschaft hatte indessen von fern mit gereckten Hälsen zugesehen und das Reichscontingent von Wetterhausen ergriff wieder das Wort. „Ich hab doch Recht gehabt,“ sagte er, „daß es kein Wilddieb ist, sondern ein Jäger! Es wäre auch gar zu frech, uns so vor der Nase so herum zu hantiren! Für was ständen wir denn da?“

„Ich glaub es jetzt selbst,“ erwiderte der Feldwebel und drehte seinen Schnurrbart. „Es scheint, der Herr Förster ist in den Wald gegangen etwas zu recognosciren; bis er wieder kommt, wollen wir in das Thal vorrücken, damit wir gleich zur Hand sind!“ Die Mannschaft fand sich diesmal bewogen, dem Commando Folge zu leisten, und marschirte in ziemlich schwankenden Wellenlinien den Hügel hinunter. Durch die Senkung am Heckensaume wand sich ein kleines Bächlein unter den Erlen- und Haselwurzeln hin; an dem für ein kleines Brückchen freigelassenen Raum hielt der Feldwebel für geeignet, in’s Blachfeld vorzurücken und sich zu theilen. Diese Bewegung ging schon etwas zögernder von statten, doch gelang sie, weil die Tapfern das Gebüsch hinter sich wußten, das sie jeden Augenblick in raschem Rückzüge erreichen konnten.

Hiesel hatte sich angestellt, als ob er die Herankommenden gar nicht bemerke; jetzt hatte er seine Arbeit vollendet, stand auf und blickte wie verwundert um sich. „Hallo, was giebt’s da?“ rief er. „Was wollen denn die Mannschaften?“

Ehe der Feldwebel als Anführer zu antworten vermochte, hatte ihn der Soldat von Wetterhausen schon der Mühe überhoben. „Mer sind ä Streif,“ sagte er. „Wir solle’ den Spitzbube’ fange’, den bairischen Hiesel. Kann uns der Herr vielleicht saga, wo wir ihn finde’?“

„Freilich! Damit kann ich schon aufwarten!“ erwiderte Hiesel und rief lachend in den Wald: „He da, Ihr da drinnen, die Herren wollen den bairischen Hiesel sehen!“

Als Antwort krachte von allen Seiten eine Salve von mehr als zwanzig Schüssen aus dem Wald, und wie der Pulverrauch sich verzogen hatte, war von der ganzen Mannschaft nichts mehr zu sehen, als der Feldwebel, der sich verwundert umblickte und dann ebenfalls die Retirade nach der Hecke antrat. Jenseits derselben aber ging’s an ein Laufen, als ob es eine Wette zu gewinnen gelte; die Soldaten hatten nicht beachtet, daß die Schüsse absichtlich in die Luft gefeuert worden waren, der Knall hatte hingereicht, sie zu zerstreuen; trotz des lahmen Beines aber hatte das Reichscontingent von Wetterhausen Allen weitaus den Vorsprung abgewonnen. Schallendes Gelächter des Wildschützen-Hauptmanns und seiner Genossen gab ihnen das Geleit.

Jetzt trat auch Hiesel in den Wald, wo seine Leute sich in weitem Ring um ihn versammelten, in der Mitte stand der gefangene Förster, von dem Rothen und vom Sattler mit gespannten Gewehren bewacht. Der Mann war etwas bleich geworden, aber er erwartete gefaßt was kommen sollte. „Jetzt ist die Reihe an Dir!“ rief ihm Hiesel zu. „Knie nieder und wirf Dein Gewehr auf den Boden! Auf die Knie’!“ rief er wild, als der Jäger etwas zögerte. „Mach Reu’ und Leid, Dein letztes Stündel ist da! Sag’ ein Stoßgebet her, denn in den nächsten Minuten bist Du in der Ewigkeit!“

Er legte an und zielte nach der Brust des Jägers. Dieser war noch bleicher geworden, aber seine Stimme zitterte nur wenig, als er, sich auf ein Knie niederlassend, erwiderte: „Warum wollt Ihr mich erschießen? Ich hab Euch doch mein Lebtag nichts Leides gethan!“

„Nicht?“ schrie Hiesel. „Hast Du mich nicht angegriffen und zuerst mit dem Tode bedroht? Und wenn das auch nicht wäre – Ihr Jäger haltet zusammen und steht Einer für den Andern, darum machen wir es auch so und lassen Einen für den Andern büßen.“

„Es ist wahr,“ sagte der Jäger, „ich würde Euch nicht schonen, also darf ich auch von Euch keine Schonung hoffen … In Gottes Namen denn. Schießt zu … ich bin bereit! …“ Er faltete die Hände und begann ein halblautes Vater Unser zu sprechen, aber schon nach den ersten Worten versagte ihm die Stimme. „O Gott, o Gott, mein Weib und meine Kinder!“ seufzte er schmerzlich und die Augen des starken Mannes füllten sich mit Thränen. „Was wird aus den Kindern werden … Armes Weib, wie wirst Du das ertragen … Und nicht einmal einen letzten Gruß kann ich Dir schicken!“

Den Gewehrkolben an der Wange und unverrückt zielend betrachtete Hiesel den Mann nicht ohne Theilnahme, aber er verbarg sie hinter gesteigerter Wildheit. „Den Gruß will ich bestellen!“ rief er rasch. „Also nicht gezaudert und sich bereit gemacht! Ich zähle – und bei Drei mach’ Dich reisefertig!“

Der Jäger faltete wieder die Hände und hob die Augen gen Himmel: „Eins … zwei …“ zählte Hiesel, als aber die verhängnißvolle Drei gesprochen werden sollte, setzte er das Gewehr ab und rief: „Dein Weib dauert mich nicht, denn die Weiber sind falsch – aber Deine Kinder will ich nicht zu Waisen machen – ich schenk’ Dir das Leben, damit Du von einem Wildschützen Barmherzigkeit lernst! Die Todesangst hast Du jetzt ausgestanden, vielleicht merkst Du Dir’s und lässest uns in Zukunft in Ruh – wenn wir uns wieder begegnen, ist es Dein Letztes, so gewiß ich Hiesel heiß’!“

Der Jäger wollte sich erheben, aber Tiras, an solche Auftritte gewöhnt, hatte ihn schon am Genick gefaßt und zu Boden geworfen. „Dein Gewehr und Hirschfänger und was Du an Pulver und Blei bei Dir hast, gehört uns … Gebt ihm einen Denkzettel, das ist Eure Sache,“ rief Hiesel, sich abwendend, seinen Gefährten zu, „aber schädigt ihn nicht am Leben!“ Mit rohem Geschrei fielen der Rothe, der Sattler und einige Andere über den Wehrlosen her, der Hund schüttelte und zerrte ihn hin und wieder; Hiesel aber mit dem Buben, der ihm niemals von der Seite wich, und mit dem Tiroler, seinem Vertrauten, wandte sich tiefer in den Wald. „Ihr wißt, wo wir uns treffen!“ rief er noch zurück. „Der Sternputzer soll voraus ins Dorf und soll uns im Wirthshaus ansagen; der hat’s noch von Ingolstadt her, daß er sich am Besten auf die Küche und auf den Schnabel versteht!“

In der heitersten Laune schritten sie durch den Wald, die Vögel sangen aus allen Büschen und die Sonne brach durch die Zweige, um den moosgrünen Waldteppich mit ihrem Golde zu durchweben. Auch Hiesel ward heiter, während meist eine düstere und gereizte Verstimmung auf ihm lag. Daß Monika sich von ihm gewendet, hatte einen Schatten in sein Gemüth geworfen, der es umdüsterte und nur in Aufregung oder Thätigkeit zu verschwinden schien, in der Ruhe aber und in der Einsamkeit um so dunkler wiederkehrte, begleitet von vergeblichem Sinnen, wie es wohl gekommen sein möchte, wenn er dem Mädchen gefolgt, und von schnell unterdrückten, kaum sich selbst eingestandenen Regungen der Reue. Immer seltener kam die leichtsinnige Heiterkeit zum Durchbruch, die den Grund seines Wesens bildete, und am Oeftersten geschah es noch in der vollen Schönheit des vertrauten Waldes nach Vollendung eines kühnen Streichs oder wenn er sich keine Vorwürfe über das Vorgefallene machte, denn es kam wohl vor, daß Manches anders ausging, als man es bedacht und begonnen hatte, und nicht immer gelang es ihm, die wilde Schaar, die ihm diente, auch vollständig nach seinem Willen zu lenken. Heute schallte sein Gesang fröhlich durch den Wald, denn er hatte [276] eine kräftig Stimme von seltenem Klang und gebrauchte sie gern, besonders seit der Bube bei ihm war, denn dieser besaß auch eine frische glockenhelle Knabenstimme und gutes Gehör, und wenn sie Abends im Walde oder in einer Schenke sangen, lauschte die ganze Schaar und die Gäste tranken aus Behagen einen Krug mehr als gewöhnlich. Es war ein munteres Jägerlied, das sie sangen: es schilderte Waidmannslust im grünen Forst; als aber der Absatz an die Reihe kam, in welchem des Liebchens gedacht war, übersprang es Hiesel und fing gleich den letzten Absatz zu singen an. „Das kommt ja noch nicht,“ rief der Bub’, aber Hiesel sang zu Ende, ohne darauf zu achten, und eilte dann wieder stumm und in sich gekehrt den Andern voran.

Nach einiger Zeit gesellte sich Studele zu ihm, der seines gesetzten Wesens halber viel bei ihm galt und sich wohl ein vertrauteres Wort herausnehmen durfte. „Ich hab’s wohl gemerkt,“ sagte er, „Du hast das Gesätzl von des Jägers Schatz mit Fleiß ausgelassen, und kann mir wohl auch einbilden, warum Du’s gethan hast … wer sich mit den Weibern einläßt, hat’s allemal zu bereuen! Wirst wohl auch so was hinter Dir haben – aber sie ist schon wieder da gewesen …“

„Wer?“ fragte Hiesel staunend.

„Nun, das Mädel,“ erwiderter Studele, „das nun schon ein paarmal dahin gekommen ist, wo wi gelagert waren, und verlangt hat mit Dir zu reden … Du hast nichts wissen wollen davon, so hab’ ich sie allemal fortgejagt, – aber gestern hab’ ich sie wieder geseh’n, wie sie von fern um unser Lager herumgeschlichen ist …“

„Es wird eine Kundschafterin sein, die uns ausspioniren will …“

„Nein,“ lachte Studele, „es steht wohl was Anderes in dem Gesicht: sie will durchaus nicht sagen, wer sie ist, aber sauber ist sie, wie ich nicht leicht ‘was gesehen hab’!“

Hiesel erwiderte nichts; so oft von diesen geheimnißvollen Besuchen die Rede war, stieg der Gedanke in ihm auf, es könnte Monika sein, welche ihre Härte bereute und wieder zu ihm käme, aber dann strahlten ihm aus der Erinnerung ihre blauen Augen so rein und strenge entgegen, daß er den Gedanken als eine Thorheit von sich wies, und doch lag in dieser wenn auch noch so thörichten Möglichkeit ein Reiz, mächtig genug, daß er es vermied, Gewißheit zu verlangen, und darum die Unbekannte immer von sich fern hielt.

Mit einmal stand er still und ein Laut der Ueberraschung entfloh seinem Munde.

Um eine Ecke beugend waren sie auf eine schöne grüne Waldblöße getreten und mitten in derselben lag, wie er es oft geträumt, das anmuthige Jägerhaus mit den lustigen grünen Läden, dem stattlichen Hirschkopf über der Thür, und um den Traum vollständig zu machen, stand auf der Schwelle derselben eine weibliche Gestalt, welche den Herankommenden eifrig zuwinkte.

„Wie geschieht mir denn?“ sagte Hiesel. „Träum’ ich denn und gilt das Winken uns?“

„Gewiß,“ sagte Studele schmunzelnd; „die Frau sieht uns für Jäger an … wir sollten uns wohl den Spaß machen, ihrem Winken zu folgen …“

„Ist es die Frau des Försters, den wir eben erst unter den Händen hatten?“

„Nein, der wohnt an der andern Seite des Waldes,“ war die Antwort, und schon hatte Hiesel in den Wiesenpfad eingebogen, der zu dem Hause führte. Die Jägerin, ein hübsches rundes Weibchen, eilte den Kommenden einige Schritte entgegen und rief schon von Weitem: „Grüß’ Gott, Ihr Herren … sputet Euch doch! Die Andern sind schon vor zwei Stunden fort, ich habe das Frühstück schon zweimal vom Feuer genommen und wieder hingesetzt …“

„Das ist recht schade,“ sagte Hiesel hinzutretend mit freundlichem Gruß und folgte der geschäftig Voraneilenden in’s Haus; „wir haben Euch Mühe gemacht! Hätten wir früher gewußt, was für eine schöne Jägerin da auf uns wartet, wir wären schon längst gekommen!“

„Nur geschwind herein und zum Tisch gesetzt!“ rief die Frau, indem sie Teller, Gläser und Schalen auf dem schon gedeckten Tische zurecht stellte. „Da ist Kaffee, Schnaps, Schinken und Brod, wie mein Mann es angeschafft hat!“

Hiesel war mitten im Zimmer stehen geblieben, während seine Gefährten sich sofort über die Mahlzeit hergemacht hatten – das einfache Stübchen fesselte seine Blicke. An den Wänden hingen Waidtasche, Gewehre und Jagdgeräth, in einem halboffenen Wandschränkchen lagen des Jägers Rechnungen und Bücher, unter dem Ofen war den Hunden ein Lager bereitet … in der Nebenkammer stand ein mächtiges Himmelbett mit sauberen Vorhängen und am Fußende desselben eine Wiege, in der ein Knabe mit rothen Pausbacken schlummerte; es war Alles so wohnlich, so traulich, so ganz wie er es oft im Geiste vor sich gesehen: er mußte sich mit Gewalt losreißen und seine ganze Fassung zusammennehmen, um nicht weich zu werden.

„So?“ rief er mit lautem Lachen, „der Mann hat es angeschafft, daß Ihr uns so bewirthet? Er soll leben, der Mann! Das muß ein Muster von Jäger sein, wie mir noch keiner vorgekommen ist.“

[298] Geschmeichelt verneigte sich die Frau und stieß mit dem artigen Waidmann an, der ihr sein Glas entgegenhielt. „Ja,“ sagte sie „mein Mann ist auch ein prächtiger Mann, sonst wär’ ich ihm wohl auch nicht nachgezogen in die einsame Försterei – denn ich bin nicht im Holz aufgewachsen, ich bin in der Stadt daheim!“

„Und seid Ihr doch eingewöhnt? Und sehnt Euch nicht zurück?“

„Nicht einen Augenblick. Anfangs freilich, da ist’s schwerer gegangen, da ist mir oft das Wasser in die Augen gekommen, aber ich bin gar bald heimisch geworden, und vollends seit der kleine Schlingel in der Wiege gekommen ist, weiß ich gar nicht mehr, daß es eine Stadt giebt!“

Hiesel mußte sich abwenden. „Und fürchtet Ihr Euch nicht, so allein zu sein?“ fragte er.

„Nein – wer soll mir denn was anhaben! Zu holen ist bei uns nicht viel, das wissen die Leut’, und so lassen sie uns wohl in Ruh! Freilich, der bairische Hiesel, wenn der in’s Haus käme, da könnt’ es mir übel gehen, der soll wilder sein und ärger hausen als der leibhaftige!“

„Warum nicht gar!“ rief Hiesel lachend. „Glaubt solche Sachen nicht – der Hiesel thut keinem Kinde was zu leide und hat’s nur mit denen zu thun, die ihn verfolgen!“

„Ihr nehmt Euch ja recht seiner an!“ sagte die Jägerin verwundert. „Das sollte man nicht glauben von einem Jäger und noch dazu von einem, der gerade darauf ausgeht, ihn zu fangen!“

„O, das macht nichts!“ rief Hiesel lachend und stieß mit seinen Gefährten an. „Er mag sich nur vor mir in Acht nehmen – von mir kriegt er gewiß kein Pardon!“

Die Cameraden lachten mit und die Jägerin spottete: „Er wird’s auch nicht nöthig haben … Ihr seid ein wenig spät daran!“

„Das fürcht’ ich nicht, ich verlasse mich auf mein gutes Glück und das weiß ich gewiß, daß sie den Hiesel nit eher fangen, als bis ich dabei bin … Aber die Frau Försterin hat Recht, Cameraden,“ fuhr er, sich erhebend, fort, „es ist doch wohl Zeit, daß wir uns auf den Weg machen …“

Er sah wieder in der Stube umher. „Warum schaut Ihr so herum?“ fragte die Frau.

„Weil es mir so gar gut bei Euch gefällt,“ sagte er herzlich, „mir ist, als wenn ich schon oft bei Euch gewesen wäre …“

„So kommt nur wieder, wenn auch mein Mann daheim ist … Ihr seid wohl noch nicht lang in der Gegend? Ich muß meinem Mann doch Euren Namen sagen und wo Ihr im Dienst seid!“

„Natürlich müßt Ihr das,“ erwiderte Hiesel, an der Thür stehend, „und sollt auch meinen Namen erfahren!“ Damit faßte er die bestürzte Frau rasch um die Mitte und drückte ihr einen herzhaften Kuß auf die frischen Lippen. Wie mit Purpur übergossen riß die Zürnende sich los und sprang gegen den Tisch zurück. „Was wäre mir denn das?“ stammelte sie fast athemlos.

„Das ist der Dank für das gute Frühstück,“ rief der Wildschütz lachend im Davoneilen, „und ein Kuß vom bairischen Hiesel!“

Die Jägersfrau schrie laut auf, als sie aber sah, daß der Furchtbare mit seinen Genossen schon aus dem Hause war und ruhig über die Wiesen dahin schritt, erholte sie sich von ihrem Schrecken. Bedenklich wischte sie sich den Mund und trat dennoch mit einem verlegenen Lächeln unter die Thür; als der Wildschütz am Waldeingang noch einmal zurück sah und grüßend den Hut schwenkte, da hob sie unwillkürlich die Hand und winkte zum Gegengruß.

Bald war der Ausgang des Waldes erreicht, nahe an demselben lag das Dorf, aber schon von fern tönten den Ankommenden streitende Stimmen entgegen. „Es ist der Sternputzer,“ rief der scharfsichtige Bub, „er hat Händel mit einem Andern,“ und im Laufe waren sie bei den letzten Häusern des Dorfes angelangt. Das äußerste davon hatte ein feineres und städtisches Aussehn; es gehörte einem alten Mauthner an, der sich in das Dorf als seinen Geburtsort zurückgezogen und sich da einen kleinen Ruhesitz gegründet hatte. Den Garten um das Haus hatte er selbst angelegt und schöne Obstbäume gepflanzt, welche kräftig dastanden und schon eine schöne Ernte versprachen; besonders schön stand hart am Zaun ein stattlicher Baum mit herrlichen Frühäpfeln, welche lockend über die Stangen der Umzäunung heraushingen. Der Sternputzer hatte im Dorfe nichts Verdächtiges gefunden, es gehörte einem Landesherrn, dessen Gebiet die Bande noch nicht betreten hatte und von dem ihr daher auch keine Gefahr drohte; die Verfolger mußten blos an der Grenze anhalten und durften sie erst nach langen Verhandlungen überschreiten. So schlenderte er nach gemachter Bestellung bequem durch das Dorf, sah die schönen Frühäpfel aus des Mauthners Gärten hängen und konnte der Lockung nicht widerstehen sie zu versuchen und ein paar zu pflücken. Darüber war der Alte wie ein Wüthender herausgefahren und wollte den Thäter durchaus zum Ortsrichter führen, damit derselbe als Gartendieb bestraft werde. Der Sternputzer weigerte sich die Aepfel zurückzugeben und wollte ebensowenig zum Richter folgen; er versuchte sich loszumachen, aber der Mauthner war ein handfester Mann und hatte ebensoviel Klammern in den Händen als Finger. So rissen sie einander schreiend und schimpfend herum, bis Hiesel herankam.

„Auseinander!“ rief er mit so gebieterischem Ausdruck in Ton und Miene, daß auch der Mauthner, obwohl etwas verdutzt, gehorchte. „Der Erste, der den Andern noch anrührt, hat meinen Büchsenkolben am Kopf.“

„Oho, Herr Jäger!“ rief der Mauthner. „Sei der Herr nicht so oben hinaus, sonst muß Er auch mit zum Richter, es giebt für die Schläger so gut ein Gefängniß, wie für Diebe!“

„Diebe! Wer untersteht sich, zu sagen, daß unter meinen Leuten Diebe seien?“ fuhr Hiesel auf. „Erzähle, Sternputzer, was ist’s gewesen? … Deßwegen,“ fuhr er, als er den Vorfall erfahren hatte, spöttisch fort, „wollen wir den Richter nicht incommodiren … einen solchen Bagatell macht der bairische Hiesel gleich selber ab! Gieb ihm die Aepfel zurück, er ist ein alter Filz, der auch einem Hungrigen, der verschmachtend vorbeikäme, die Erfrischung nicht vergönnte! Glaubst Du, unser Herrgott läßt Dir die Aepfel allein für Deinen gierigen Rachen wachsen? … Für diese schlechte Gesinnung und weil Du Dich an einem von meinen Leuten vergriffen hast, gehört Dir eine Straf’ und die sollst Du haben! … Wo ist der Hirsch, den ich heut geschossen hab’?“

„Dort!“ antwortete der Bub’, „bringen ihn gerade ihrer viere an Stangen auf den Achseln getragen … es ist ein Prachtthier!“

„Sagt ihnen, sie sollen den Hirsch hierher bringen!“ begann Hiesel wieder. „Der Herr da will sich aus seinen Aepfeln ein Aepfelmus machen, dazu ist nichts besser, als ein saftiger Wildbraten … der Herr kauft uns den Hirsch ab!“

„Aber …“ stammelte der Mauthner, dem fast die Stimme versagte.

„Nichts aber! Der Herr will uns durchaus den Hirsch abkaufen und weil ihm doch so gar sehr darum zu thun ist, will ich ein Aug’ zudrücken – er soll ihn um zwanzig Gulden haben! Geb’ sich der Herr keine Müh’,“ fuhr er fort, als der Mauthner noch Einwendungen zu machen versuchte, „ich weiß wohl, der Herr ist splendid und meint, das Thier sei mehr werth … thut nichts, es bleibt bei den zwanzig Gulden, aber meine Schützen schlagen ein paar Gulden nicht aus, als Trägerlohn, weil sie ihm den Braten bis in die Küche bringen…“

Der Zöllner spielte in allen Farben vor Grimm; er rannte in’s Haus, sperrte die Thür zu und kümmerte sich nicht um den Hirsch, den die Schützen im Vorplatz niederplumpen ließen. Mit zornbebender Hand reichte er Kaufpreis und Trinkgeld durch’s Fenster heraus.

Der Zug ging weiter, vergrößert durch Hiesel’s herbeikommende Gefährten und einige Neugierige, die aus den Bauernhäusern [299] herbeigelaufen waren, und bald waren die Schützen im Wirthshause bei dem einfachen, aber ausgiebigen Mahle versammelt und ließen der Bestellung des Sternputzers alle Anerkennung widerfahren. Sie waren lustig und guter Dinge und neckten sich mit den Bauern, die anfangs scheu, dann immer vertraulicher näher kamen. Hiesel entging es nicht, daß sie betrübte Gesichter machten, unter sich beriethen, einander wie ermuthigend anstießen und sich doch nicht zu reden getrauten.

Eben wollte er entgegenkommend sie um ihr Anliegen befragen, als vor dem Wirthshause Lärmen und Gerauf entstand. Alles eilte hinaus.

Als Hiesel hinzukam, traf er den Rothen in den Händen eines Fuhrmannes, der eben mit einem großen Frachtwagen vor dem Hause angefahren und darangegangen war, seine Pferde auszuschirren; da erblickte der Mann den Rothen, der behaglich in der Thür lehnend und mit spöttischem Lachen seiner eigenen Fuhrmannslaufbahn gedachte, und hatte ihn im nächsten Augenblick schon am Kragen gepackt und zu Boden geworfen.

„Was hast Du mit dem Mann?“ rief Hiesel. „Es ist einer von meinen Leuten – laß ihn los!“

„Wer er ist, weiß ich nicht,“ rief der Fuhrmann entgegen, „aber daß er ein Spitzbub’ ist, sag’ ich ihm vor Gott und der Welt in’s Gesicht!“

„Warum nennst Du ihn so? Was hat er gethan?“

„Ah bah, nichts,“ sagte der Rothe lachend, aber man sah ihm an, daß ihm nicht ganz wohl bei der Sache war, „es ist nichts als ein Spaß!“

„Das wär’ mir ein sauberer Spaß!“ rief der Fuhrmann. „Bei Ulm bin ich mit ihm in einer Herberg’ zusammengetroffen, ich hab’ ihn für einen ordentlichen Menschen gehalten und bei mir in der Kammer schlafen lassen – wie ich aber Morgens aufgewacht bin, da ist er fort gewesen und mein Geldbeutel mit ihm und die Brieftasche, worin alle Frachtbriefe steckten, und alle meine Zeugnisse…“

„Ist das wahr?“ rief Hiesel mit flammenden Augen.

„O, das ist noch nicht Alles,“ fuhr der Fuhrmann fort, „mit meinen Zeugnissen ist er nach Ulm zu einem Kaufmann, der hat ihm darauf hin getraut, hat ihn als Fuhrknecht angenommen und ihm einen ganzen großen Frachtwagen nach München übergeben – er aber hat Roß und Wagen in München verkauft und ist mit dem Geld auf und davon …“

Die Wildschützen machten finstere Gesichter, der Rothe war bleich bis in die Lippen, ängstlich schielte er um sich her und versuchte ein halblautes „Nicht wahr“ hervorzustottern.

„Nicht wahr?“ brach Hiesel los. „Du willst auch noch leugnen? Steht es Dir nicht auf dem Gesicht geschrieben? … Nehmt ihm Hut, Stutzen und Hirschfänger ab, Cameraden,“ fuhr er, zu diesen gewendet, fort, „zieht ihm statt des Schützenrocks einen schäbigen Kittel an – gebt ihm zwei Gulden, damit er für die ersten Tage zu leben hat, und dann fort mit ihm! Augenblicklich fort! Der Hiesel kann keinen Dieb brauchen, sondern nur ehrliche Leute, und wenn Du Dich unterstehst und Dich noch einmal in der Näh’ blicken lass’st, wo ich bin, so ist es Dein letzter Augenblick!“

Das Urtheil war wie gesprochen auch vollzogen; der Rothe ließ Alles mit sich geschehen, er war wie erstarrt, nur seine Augen funkelten und hingen grimmerfüllt an Hiesel, der sich abgewendet hatte und in’s Haus zurückkehrte. Einen Augenblick stand er noch unschlüssig, dann war er schnell hinter den Häusern verschwunden, dort kehrte er sich halb um, ballte drohend die Faust und murmelte: „Nur Geduld, wir Zwei kommen doch noch einmal zusammen!“

Die Schützen kehrten zum Essen zurück; den Bauern aber hatte der Vorfall, den sie mit angehört, den Muth gesteigert, daß sie Hiesel den Weg vertraten und ihm ihr Anliegen vortrugen. Sie erzählten dem „Gestrengen Herrn“, wie auch sie vom Wilde so erschrecklich viel zu leiden gehabt, durch den Schaden, den es in den Feldern angerichtet, und durch die Jagden, bei welchen der Herr Reichsbaron gar oft mit Roß und Hund durch die schönsten Saatfelder ziehe, und der Amtmann ihnen in’s Gesicht gelacht, wenn sie um Ersatz gebeten; wie sie über dem Frohntreiben die beste Zeit versäumen und oft die dringendste Arbeit liegen lassen müßten und wie sie um Hülfe sich mündlich und schriftlich an den Reichsbaron gewendet, wie sie bis an den Kaiser gegangen und wie Alles nichts geholfen. Da hatten sie in der Desperation sich entschlossen, sich selber zu helfen; sie hatten das Wild, das auf die Aecker und Aenger gekommen war, erlegt, sich aber wohlweislich gehütet, auch nur das Geringste davon sich anzueignen, sondern hatten Alles getreulich dem Jäger in’s Haus gebracht. Der aber hatte sie doch als Jagdfrevler angezeigt, und so waren sie gestraft worden mit hartem Gefängniß und noch härterer Geldbuße – die letzte Habe mußte hingegeben werden, um die fünfhundert Gulden zusammen zu bringen, welche zu zahlen dem ganzen Dorfe auferlegt worden war; erst am Tage vorher hatte der alte Mauthner, der zugleich die Einnehmerei besorgte, das Geld auf’s Amt gebracht.

„So?“ rief Hiesel, der mit Spannung zugehört. „Hat der alte Neidkragen auch die Hand im Spiel? Wo ist das Amthaus?“

Die Bauern deuteten nach einem schloßähnlichen Gebäude, das in nicht großer Entfernung sich aus einen, ummauerten baumreichen Parke erhob. Der Amtmann sei zu Hause, erzählten sie; er werde eben abgespeist haben und pflege dann im Gartenhaus zu schlafen und Niemand dürfe ihn stören.

„Ho, wir wollen ihn schon munter machen!“ rief Hiesel. „Kommt, Cameraden, es ist Zeit aufzubrechen und es giebt unterwegs noch ein kleines Geschäft abzumachen! Einer von den Bauern soll mit, damit er uns den Weg zeigt und Euch dann sagt, was der Hiesel ausgerichtet hat!“

Man brach auf; die Bauern drängten nach, an der Thür konnte der glänzend bezahlte Wirth kaum fertig werden, seine Bücklinge zu machen und sich zur Wiedereinkehr zu empfehlen. „Ich muß Euch doch ein Andenken dalassen,“ rief Hiesel, als der Zug an der Kirche vorüberkam. „Ihr habt ja da auf Eurem Kirchendach einen blinden Gockel sitzen … wartet einmal, ich will ihn sehend machen!“ Er legte an, drückte los und die Kugel schlug mitten durch den Kopf des blechernen Hahnes, daß das Loch als ein Auge dient und dort noch zu sehen ist bis auf den heutigen Tag.

In kurzer Zeit war das Amthaus erreicht und nach allen Seiten umstellt; Hiesel, von dem Buben und Tiras geleitet, zog die Glocke am Thor. Ein Guckfensterchen öffnete sich und ließ den grauen Kopf eines mürrischen Bedienten erblicken, der darüber zu schelten anfing, daß er nicht eine Viertelstunde Ruhe habe. „Was giebt’s schon wieder?“ rief er. „Jetzt ist keine Amtszeit – wer ist da?“

„Der bairische Hiesel, er will ein Wörtel mit dem Amtmann reden!“

Die Antwort schleuderte den Alten zurück, als ob ihn ein Schlag vor die Stirn getroffen hätte, und das Guckfenster flog zu und zeigte, auch nach längerem Warten, keine Neigung, sich wieder zu öffnen. Hiesel läutete nochmals, stärker und bedeutsamer; da kam hinter dem verschlossenen Thürchen die schüchterne Meldung hervor, der Herr Amtmann lasse für den Besuch danken, er wisse sich nicht zu erinnern, daß er mit dem Herrn Hiesel etwas zu verhandeln hätte.

„Aber ich hab’ mit dem Amtmann zu verhandeln,“ rief Hiesel ungeduldig und stampfte mit dem Fuß, „ich geb’ ihm noch ein Vaterunser lang Zeit, wird dann nicht geöffnet, so spreng’ ich das Thor und dann steh’ ich für nichts …“

In wenig Augenblicken hörte man den Riegel gehen und das Thor that sich auf; zwei Schützen besetzten dasselbe, Hiesel trat ein. Im Hofraume führte eine schöne Freitreppe von rothem Marmor in das prunkende Gebäude, das in allen Theilen von Reichthum und dessen rücksichtsloser Verwendung zeugte. Oben auf den Stufen stand der Amtmann, ein stattlicher, wohlbeleibter Mann mit rothem Gesicht, in welchem die Furcht mit dem Hochmuth rang; hinter ihm die Frau Amtmännin, weinend und die Hände ringend, und eine Schaar Kinder, die angstvoll durcheinander schrieen. „Um aller Heiligen willen,“ rief die Frau, als sie Hiesel erblickte, stürzte die Treppe hinab und warf sich ihm mit aufgehobenen Händen zu Füßen, „habt Barmherzigkeit mit meinen armen Kindern und mit mir – thut meinem Manne nichts zu Leid!“

„Schau, schau,“ sagte Hiesel, indem er das rauschende Seidenkleid und den künstlichen Kopfputz der Knieenden musterte, „wie die Frau Amtmännin so schön bitten und von der Barmherzigkeit reden kann! Schade, daß sie das nit allemal thut … bei den [300] armen Bauern, denen man ihre letzten Blutkreuzer abgepreßt hat unschuldiger Weis’, da hat Sie wohl auf die Barmherzigkeit vergessen? Warum hat Sie bei Ihrem Mann nicht auch für die Bauernkinder gebeten? Sie meint wohl, weil die Bauern keine solchen seidenen Flanken am Leib’ und keinen solchen Kakadu auf dem Kopf haben, sie seien schlechter? Sie meint wohl, um einen Bauernbuben sei weniger schade, als um einen Amtmannssohn? … Aber wer sagt denn, daß ich dem Amtmann was zu Leid’ thun will? Er darf nur thun, was ich verlang’, dann sind wir die besten Freund’!“

„O gern, gern … Alles!“ rief die Frau sich erhebend.

„Was verlangt der Herr?“ fragte der Amtmann, ebenfalls leichter Athem schöpfend.

„Gar nichts, als daß der Herr Amtmann die fünfhundert Gulden Strafgeld wieder herausgiebt, die gestern den Bauern abgenommen worden sind …“

„Das kann und darf ich nicht,“ sagte der Amtmann, „das Geld gehört nicht mir, sondern dem Herrn Reichsbaron …“

„Nein, den Bauern gehört’s, und die sollen’s wieder haben! Mach’ der Herr Amtmann keine Umstände, sonst weiß ich die Casse selber zu finden!“

„Aber,“ rief der Amtmann, sich etwas ermannend, „das ist ja offenbare Gewalt!“

„Gewiß, Herr … mit Gutem geht’s nicht, folglich muß es mit Gewalt gehn! Vorwärts – ich hab’ keine Zeit zu versäumen, also her mit den fünfhundert Gulden, und dann wird der Herr ein Einsehen haben und wird für meine Müh’, für die Zeitversäumniß und den Gang fünfzig Gulden beilegen … ein anderer Advocat thät’ mehr verlangen und doch nichts ausrichten!“

„Himmelschreiend!“ stammelte der Bedrohte.

„Ei was, in dem Haus ist wohl schon mehr geschehen, was gegen den Himmel schreit – da geht’s in einer Rechnung hin! Vorwärts also – wenn die Obrigkeit nicht mehr weiß, was Recht ist, dann muß unsereiner es ihr zeigen! … Schau’ mich der Herr nur an, als wenn Er mich mit den Augen spießen möcht’, ich fürcht’ Ihn nicht: ich bin kein Räuber und kein Dieb! Ich thu’, was die Regierung thun sollt’, wobei sie mir helfen sollt’, wenn Alles nach dem Rechten ging’ … statt dessen verfolgt sie mich wie einen Uebelthäter und zwingt mich, daß ich mich meiner Haut wehren muß … die hat Alles zu verantworten, was geschieht!“

[334] Der Amtmann hatte noch immer Lust zu zögern, aber seine Frau warf sich schreiend vor ihn hin, als sie bemerkte, daß Hiesel an seiner Büchse zu rasseln begann … „Um aller Heiligen willen,“ flüsterte sie ihm zu, „thu’, was er verlangt, sonst sind wir Alle verloren!“

Es blieb kein anderer Ausweg; der alte Diener wurde gerufen und kam bald mit einem vollen Geldsack zurück. Hiesel winkte einen der Wachposten herbei. „Da, nimm,“ sagte er, „und bring’ es den Leuten, denen es gehört … und so Gott befohlen, Herr Amtmann! Laß sich der Herr aber ja nicht in Sinn kommen, den Bauern wegen dessen, was ich für sie gethan, auch nur ein Haar zu krümmen oder ihnen wohl gar das Geld wieder abzunehmen – ich erfahr’s auf der Stelle und komme wieder, und dann kommen wir nicht so gut auseinander! B’hüt’ Sie Gott, Frau Amtmännin, und wenn Sie für die Zukunft sich einen solchen Schrecken ersparen will, so rede Sie Ihrem Mann [335] zu, daß er beim Rechten bleibt und das gemeine Volk nicht plagt … Geb’ Sie mir die Hand darauf! Thu’ Sie’s immerhin,“ setzte er lachend hinzu, da sie etwas zögerte, „meine Haut ist nicht so fein, wie die Ihrige, aber eben so gut!“ Er drückte und schüttelte der zarten Frau tüchtig und derb die Hand, warf die Büchse über die Achsel, pfiff seinem Tiras und schritt davon.

Einige Tage später wimmelte die ganze Gegend von Soldaten; man hatte ein paar Compagnieen aus den nahen Städten aufgerufen: sie kamen nach dem Feste und zogen unverrichteter Dinge wieder ab, denn Hiesel war mit seinen Genossen schon über zehn Meilen entfernt und hatte sich in den damals fast undurchdringlichen Kemptner Wald geworfen. Der Amtmann hatte nicht übel Lust, es die Bauern entgelten zu lassen, aber die Sache war ruchbar geworden, die benachbarten Herren riethen freundschaftlichst, das Volk nicht zum Aeußersten zu treiben: so blieb die Strafe uneingetrieben, Hiesel’s Name war mit neuem Glanz umgeben, die Losung aller Bedrängten, der stete stille Schrecken aller kleinen Dränger und Gewaltherren.

Die Wildschützen, von dem weiten, anstrengenden Wege ermüdet, wollten es sich erst bequem machen und sich erholen, eh’ an neue Unternehmungen gedacht werden sollte. Die Ruinen der alten Ritterburg Sulzberg, südlich vor dem Kemptner Walde gelegen, waren zum Ruheplatz erkoren und auch ganz geeignet – ein weitläufiges Trümmerwerk, damals noch umfangreicher und besser erhalten, als jetzt, wo nur noch ein gewaltiger viereckiger Thurm sich über das grüne Hügelland erhebt, als gelte es, die nahen Berge Tirols und die Schweizer Alpen zu beobachten.

Wer damals die Ruine betreten, der hätte wohl ein befremdlich, aber doch ein buntes Bild geschaut, voll Farbenreiz und von wilder Schönheit überstrahlt. In dem ehemaligen Schloßhofe waren die Wilderer zwischen Trümmern und aufwachsendem Gebüsch gelagert; in einer windfreien Ecke loderte ein lustiges Feuer. Lachen und Singen erschallte, als wär’ es eine Schaar fröhlicher Menschen, die aus der Stadt gezogen, in freier Natur einmal einen freien Tag zu leben, nicht eine Bande ausgestoßener Flüchtlinge, die längst dem Kerker verfallen und dem Henkerbeile.

Am Eingange des Hauptthurmes saß Hiesel, neben ihm der treue Anderl, zu Beider Füßen der unzertrennliche Tiras, der mit unverwandten Blicken einen jungen, städtisch gekleideten Mann beobachtete, der, auf einem Mauerstück sitzend, eine Mappe auf den Knieen ausgebreitet hielt und zeichnete. Es war der Maler Lander aus Augsburg, der sich die Mühe nicht hatte verdrießen lassen, den Kreuz- und Querzügen des berühmten Wildschützen zu folgen, um sein Portrait zu erhalten. Hiesel war anfangs bedenklich gewesen und hatte einen Fallstrick dahinter gefürchtet, der benutzt werden solle, um ihn überall, wo er erscheine, gleich kenntlich zu machen; seine Eitelkeit hatte aber über die Bedenklichkeiten gesiegt, als der Maler ihm erzählte, wie alle Welt nach seinem Bilde begierig sei und wie es dann in den Städten in den Schaufenstern der Läden ausgestellt sein werde mitten unter den Conterfeis von Potentaten und Kriegshelden. Hiesel plauderte mit dem Maler und erzählte von seinen überstandenen Abenteuern und Gefahren: es war eine Schwäche von ihm, daß er es gern sah, wenn man ihm zuhörte und ihn bewunderte.

Als der Maler eben seine Arbeit der einbrechenden Dämmerung wegen einstellen mußte, trat Einer der Seinigen hinzu und gab dem Hauptmann einen unmerklichen Wink, daß er etwas Besonderes zu melden habe. „Sie ist schon wieder da,“ flüsterte er, als sie hinter eine umgestürzte Wand getreten waren, „die Person, die uns überall verfolgt, sie läßt nicht von uns, wenn Du sie nicht einmal anhörst und selber weiter schickst.“

„Aber was will sie denn?“ fragte Hiesel. „Wer ist sie?“

„Was sie will, das will sie nur Dir selber sagen; aber auf mein Andringen hat sie mir ihren Namen gesagt: es ist die Wirthskundel vom Waldhaus …“

Auch diesmal war vor Hiesel der Gedanke an Monika aufgestiegen, dennoch war er nicht unangenehm überrascht, als er diesen Namen hörte: war es doch der seiner treuen Pflegerin, die er ohne Abschied verlassen und, durch sein Wanderleben abgehalten, nicht mehr wieder gesehen hatte. Er eilte der von dem Genossen bezeichneten Stelle zu; an einem offenen Platze unter den Bäumen saß das Mädchen und sah in den beginnenden Abend, der es mit seinem reichsten Lichte übergoß. Es kam ihm vor, als habe er sie nie so schön gesehen. Als sie seinen Schritt vernahm, sprang sie auf und stand vor ihm, auf den Wangen ein noch zarteres Roth, als alles Licht der Sonne auf den bleichen Grund zu malen vermocht hatte. Die gewandte Dirne stand befangen, als er vor sie trat, und fand kein Wort des Grußes; aus ihrer Verwirrung stieg ihm die erste Ahnung dessen auf, was ihren Schritt an seine Spur geheftet und sie zu ihm geführt haben mochte. In eigenthümlicher Erregung vernahm er, als sie auf seine Frage zögernd und erst nach und nach Muth gewinnend erzählte, wie die Einsamkeit im Hause des Vetters ihr unerträglich geworden, wie sie sich in die Welt hinausgesehnt und sich vorgenommen, das freie Leben der Wildschützen zu theilen. Sie wolle bei ihnen bleiben und ihre Wirthschafterin sein. Was sie sagte, war keine Lüge, und doch war es die Wahrheit nicht. Als Hiesel fort war, hatte sie erst gefühlt, wie sehr ihr Herz an ihm hing, sie hatte sich erst darüber gegrämt, daß auch der Mann zu den Ausgestoßenen gehöre, bei dessen Anblick ihr zum ersten Male eine Ahnung aufgegangen, was wahre Liebe ist, dann rüttelte sie an ihren Vorsätzen, einen andern Lebensweg einzuschlagen, und das leichte Gebäude stürzte ein – war es ja doch nur um dessen willen gebaut worden, den sie dadurch zu erringen geglaubt. Sie verhöhnte sich selbst, daß sie solche Gedanken gehabt, sie erkannte einen Wink des Schicksals in dem Geschehenen, daß sie bestimmt sei, zu den Verworfenen zu gehören – sie sträubte sich auch nicht mehr gegen den Gedanken, aber sie wollte auch den Preis erringen, um welchen sie sich selber verloren gab.

Hiesel durchschaute wohl den Grund dieser Anhänglichkeit; sie bewegte ihn und erfüllte ihn mit Mitleid; die Stelle, an welcher Monika’s Bild eingeprägt, war die einzige noch unentweihte seines Gemüths. Er verbarg, was er dachte, und wies Kundel freundlich aber ruhig zurück. „Das geht nicht, Kundel,“ sagte er. „Du mußt eine sonderbare Vorstellung von unserem Leben haben; wir sind ein unstetes Volk, das keine Wirthschafterin braucht. Geh’ wieder zu Deinem Vetter, ich mein’s gut mit Dir; zum Dank für Deine Wart’ und Pfleg’ kannst’ die Nacht bei uns bleiben, morgen aber soll Dich der Mann da in Deine Heimath führen und da bleib’ … wie ich’s kann, will ich in die Gegend kommen und Dich heimsuchen …“ Er winkte Jenen herbei; Kundel stand mit niedergeschlagenen Augen, traurig und ohne Widerstreben ließ sie sich hinwegführen.

Der Wildschützen-Hauptmann kehrte nicht zu seinen Genossen zurück. Er setzte sich auf einen waldigen Vorsprung des Schloßhügels und sah der Sonne zu, wie sie vollends hinunterging. Dichtes Gewölk zog sich wie eine schwarze Mauer am Horizonte hin; als der Feuerball dahinter niedersank, flammte es auf wie ein Meer von rothglühendem Metall und warf einen unheimlichen Gluthschein über die weite Landschaft. Hiesel gewahrte es nicht; er saß in Sinnen verloren, bis es dunkelte. Auch in ihm war es düster und nächtlich geworden. Da kam der Mond über den Bergen herauf – das eine Licht in der Nacht, wie in seinem Innern die Erinnerung an das wackere Mädchen, dem er sein besseres Selbst zu eigen gegeben, das ihn geliebt und doch von sich gestoßen. Aber die Erinnerungen schwammen und schwebten durcheinander, und neben Monika’s reinem Bilde tauchte eine verlockende Gestalt auf … er sah sie wie durch einen Fiebertraum über ihn gebeugt seinen Athemzug belauschen, sah in dunkle Feueraugen, in Augen, aus denen ein Gefühl sprach, nach dem sein Herz begehrte …

Da rauschte es durch den nächtlichen Wald … aufspringend glaubte er ein Gewand unter den Bäumen verschwinden zu sehen … er eilte nach.

Die Wolkenwand war hoch in den Himmel heraufgerückt und bedeckte den Mond.




5.

Der Höhenpunkt war erreicht – das Gestirn des Glücks begann zu sinken.

Es war im Spätherbst. Unter einer mächtigen Buche am Waldesrand saß Hiesel und sah über abgeräumte Saatfelder hin auf die weit gedehnten Wälder des Lechgebiets, dem er sich allmählich wieder genähert hatte; er dachte, Baierns Forsten einen Besuch zu machen, nachdem er bisher hauptsächlich in Schwaben, im Allgau, bis nach Ulm und im Würtembergischen gehaust. Aus einem grünen Waldstrich sah der Kirchthurm des Dorfes empor, [336] an dessen Hahn er noch kürzlich seine Büchse erprobt hatte; über die Stoppeln wehten und flogen schon die weißen Fäden der Feldspinnen; baldige Kälte verkündend, schwebte hoch oben ein Dreieck von Wildgänsen dem Süden zu, das Buchenlaub hatte bereits begonnen sich zu röthen, und einzelne vorzeitig dürr gewordene Blätter fielen schon zu den Wurzeln nieder, aus denen sie ein kurzes Sommerleben gesogen.

Hiesel war nicht mehr der Alte. Mit dem steten Brüten und Aussinnen neuer Entwürfe für die Zukunft, mit dem Bestreben, eine augenblicklich unangenehme Gegenwart zu überdauern, war eine immer dunklere und verschlossenere Stimmung über ihn gekommen; der Gesang war fast ganz verstummt; die Fröhlichkeit seines Gemüthes, die in der letzten Zeit doch noch manchmal in der tollen Lust einer überreizten Stimmung zum Durchbruch gekommen, war erstorben; eine beinahe feindliche Scheu hielt ihn ab, mit Menschen zusammenzutreffen – es war wohl das peinigende, wenn auch sich selbst kaum eingestandene Bewußtsein, daß er ihnen nicht mehr angehörte, daß auch das letzte reine Band, das ihn noch mit Welt und Menschen zusammengehalten, entweiht und zerrissen war.

Kundel war nicht bei der Bande geblieben, hatte sie aber auch nicht wieder verlassen; sie hielt sich fortwährend in deren Nähe und in stetem Verkehr mit ihr; als Lumpensammlerin mit einem kleinen Kram von Faden, Häkchen und Band durchzog sie die umliegenden Gegenden und konnte auf diese Weise leicht Alles, woran den Genossen gelegen war, in verdachtloser Weise erkunden und ihnen mittheilen. Wenn sie ferne war, fühlte Hiesel sein Gemüth wie von einer schweren Last befreit, er glaubte von ihr los zu sein und kein Verlangen schien ihn an sie zu binden; wenn sie aber wiederkam, wenn er ihre glühende, unverhehlte und unerschütterliche Neigung sah, wenn er sich geliebt sah, wie sein im Grunde weiches Herz es sehnend verlangte und niemals erreicht zu haben glaubte – dann ermattete sein Widerstreben und die alten Bande umschlangen ihn wieder. Wollte der Gedanke an Monika vor ihm auftauchen, so hielt er mit Gewalt das Bild der ernsten Mahnerin fern; er verlachte sich selbst, daß er noch ihrer gedenke, während sie doch für ihn unwiederbringlich verloren war – sie hatte die flüchtige Neigung, wenn sie ja eine solche empfunden, sicher längst besiegt, hatte ihn vergessen und saß wohl schon geraume Zeit als behäbige stattliche Bäuerin auf dem Baumüllerhofe. Ihm war es nicht vergönnt, ein eigenes Plätzchen als Garten einzufrieden und sich einen dauernden Blumenflor darin zu ziehen – warum sollte er die Blume nicht pflücken, die wie eine wilde, glühende Heckenrose willig und üppig an seinem einsamen Waldpfad emporrankte?

[337] Auch von seinen Genossen zog Hiesel sich mehr zurück als früher; der einzige, der ihm fast nie von der Seite wich, war der Bube, der, in seiner Anhänglichkeit mit dem treuen Tiras wetteifernd, ihn wie dieser auf Schritt und Tritt begleitete, ein zweiter, nicht minder ergebener, nimmer ruhender Wächter. Der Knabe hatte keinen andern Gedanken, als Hiesel zu dienen und für ihn zu sorgen – seitdem dieser die Stricke an seinen Händen zerschnitten und ihn befreit hatte, stand ihm Hiesel wie ein Held und Herrscher vor Augen, und er begriff nicht, wie irgend Jemand sich erkühnen konnte, seinem Gebieter nicht zu gehorchen. Ein Wink Hiesel’s war ihm ein unverbrüchliches Gebot, und weil dieser so viele Ergebenheit wohl zu würdigen wußte und ihn oft zum Vertrauten geheimer Pläne und Unternehmungen machte, ward er gar bald von Manchem aus der Bande mit scheelen Blicken angesehen und als Zwischenträger verdächtigt, der Rede und That der Andern belausche, um sie ihm zu hinterbringen. Ein Zug von Tücke und hämischem Uebermuth in seinem Wesen diente nur dazu, den Argwohn zu befestigen; er grollte Jedem, der sich Hiesel nicht so unbedingt unterwarf, wie er es gethan. Offenheit, Wärme und Herzlichkeit hatte er für Niemand als für ihn.

Auch diesmal war Anderl nicht weit; er saß etwas seitwärts, um Hiesel nicht zu stören; er putzte Lauf und Schloß seiner Büchse mit dem Aermel blank und streichelte den Hund, der ihm den Kopf auf die Kniee gelegt hatte, mit unverwandten Augen den Herrn beobachtend. Dazu summte er einen Absatz eines Volksliedes, das ihm, er wußte nicht wie, in die Kehle kam; Hiesel stimmte leise mit ein, es ging Etwas wie eine Ahnung durch seine Seele, daß des Liedes Inhalt auch ihm gelte … es lautete so:

Jetzund geht’s an’s Abschied Nehma,
Die schö’ Zeit is gar:
Mußt Di halt nit drüber gräma,
Schau, sie werd’ schon wieder kemma (kommen)
Auf ein ander’s Jahr!

Das Knurren des Hundes unterbrach den Gesang; es war das Zeichen, das er zu geben pflegte, wenn ein Bekannter nahte. Der Sternputzer kam heran, aber nicht im gewöhnlichen grünen Schützenrock, sondern im Gewand eines mit Arzneien, Mithridat und andern Hausmitteln herumziehenden Quacksalbers. „Da bin ich wieder,“ rief er und setzte seinen Arzneikasten, der ihm an einem Riemen am Halse hing, behutsam in’s Waldgras nieder. „Hole der Teufel das Herumwandern! Es ist nichts zu machen mehr mit den Leuten, sie fangen an, allzu gescheidt zu werden!“

„Hast Du die Kundel nicht angetroffen?“ fragte Hiesel. „Ich habe sie ausgeschickt, um neuen Proviant zu kaufen, sie sollte schon lange zurück sein!“

„Hab’ sie mit keinem Aug’ gesehn,“ entgegnete der Quacksalber, „gehört hab’ ich wohl, daß sie in der Nähe sein muß, überall hab’ ich erfragt, daß die Kramer-Kundl dagewesen ist. aber überall bin ich erst nach ihr eingetroffen… Es ist nicht richtig, Hauptmann, es ist wieder was im Werk gegen uns, ein paar Compagnieen Soldaten stehen keine zwei Stunden von uns, dort hinterm Wald …“

„Sag’s dem Tiroler, Bub!“ rief Hiesel, „und dem Studele, sie sollen ihre Büchsen nehmen und gegen den Wald hin eine kleine Bürsch’ machen … Wir haben doch genug Kugeln und Pulver?“

„Gewiß,“ entgegnete Anderl lachend, „wenn nur die zehnte trifft, kommt uns in acht Tagen kein Scherg, kein Jäger und kein Soldat auf den Leib! Aber das Papier zu den Kugelpfropfen geht aus, ich hab’ schon einen Fetzen von meinem Hemd gerissen und damit geladen!“

„Was bringst Du sonst?“ fragte Hiesel, während Anderl pfeifend tiefer in den Wald dem Platze zuging, wo eine dünne Rauchsäule über den Wipfeln aufstieg und den Lagerplatz der Bande verkündigte.

„Nicht viel Gutes,“ antwortete der Sternputzer und reckte sich gähnend im Grase. „Du mußt nächstens exemplum statuiren, Hauptmann, das Bauernvolk fängt an, es an dem gebührenden Respect ermangeln zu lassen! Erst diesen Morgen war ich da drüben auf dem Einödhof, und wollte ein Frühstück haben … es war Niemand daheim, als die Bäuerin, die wollte nicht wissen, was sich in ihrem Küchenkasten befand, und wollte mich mit einer Schüssel blauer Milch abfertigen und mit einem Stück Schwarzbrod, wie man es dem verlornen Sohn einmal vorgebrockt haben mag! Sie kannte mich, und doch mußt’ ich erst an die Büchse schlagen, eh’ es ihr einfiel, daß sie noch eine Flasche Kirschgeist im Schranke stehn hatte und ein Stück Rauchfleisch!“

„Es ist Eure eigne Schuld, wenn Euch unfreundlich begegnet wird,“ rief Hiesel unwillig aus, „Ihr wißt nit umzugehn mit dem Bauernvolk!“

[338] „Ohe amice!“ sagte der Quacksalber. „Ich war anfangs so freundlich, so zuckersüß, wie weiland bei einem Professor, den ich günstig stimmen wollte, in examine ein Auge zuzudrücken … es half Alles nichts! Erst das argumentum ad hominem, das Klirren der Büchse, die ich unterm Rock versteckt hatte, schlug durch! Ich sage Dir, statuire ein exemplum oder die Reputation ist beim Teufel!“

„Warst Du bei dem Kranzwirth in Pfersee und bei dem Gerber?“ fragte Hiesel, wie ausweichend.

„Freilich, aber der Gerber ist ein Schuft! Ich weiß gewiß, daß ich ihm nach und nach wenigstens zwanzig Hirschdecken in’s Haus gebracht habe, er aber leugnet’s und will nur zehn bekommen haben. Zwanzig lumpige Gulden warf er mir hin und sagte, ich sollte nicht wieder kommen, er verdiene nichts bei dem Geschäft und könne nichts mehr wagen, die Polizei und das Gericht gingen dem Handel gar zu unerbittlich auf die Haube …“

„Wir werden auf andern Absatz denken müssen,“ sagte Hiesel, „aber wie war’s mit dem Kranzwirth?“

„Der ist, wenn möglich, ein noch größerer Hallunke!“ erwiderte der Sternputzer. „Er könne seine Gäste nicht mit lauter Wildbrät füttern, sagte er; ich sollte mich meiner Wege scheeren, er sei uns nichts schuldig, und wenn ich nicht in Güte ginge, es sei eben Mannschaft im Ort, dann wollt’ er mir Beine machen lassen!“

„Frecher Kerl!“ rief Hiesel. „War ich doch selbst dabei, wie wir ihm die drei Rehe und den wilden Eber über die Planke in seinen Hof geworfen haben!“

„Er will nichts davon wissen! Was man ihm heimlich in den Hof werfe, sagte er, das könne auch ein Anderer heimlich wieder mit sich nehmen! Ich habe mich aber erkundigt und habe erfahren, daß er das Wild wohl gefunden, aber, um sich einzuschmeicheln, an den Förster abgeliefert hat!“

„Was? Das von mir erlegte Wild?“ rief Hiesel zornig. „Nun, ich will ihm nächstens einen Besuch machen und ihm sagen, was das heißt!“

Der Sternputzer zuckte die Achseln. „Was wird’s helfen?“ sagte er. „Auch dort herum liegt die ganze Gegend voll Soldaten … das Dringendste ist und bleibt, exemplum statuiren und dafür sorgen, daß die Cameraden nicht Noth leiden und den guten Muth nicht verlieren!“

„Wo nur die Kundl bleibt!“ murmelte Hiesel, indem er wie unwillkürlich an seinen gegen frühere Tage gar sehr verschrumpften Leibgurt fühlte. „Es ist mir unbegreiflich … aber was besinn’ ich mich lang! Da drunten liegt ja das Dorf mit dem blinden Gockel, den ich sehend gemacht, und wo ich den Bauern wieder zu dem schweren Strafgeld verholfen habe – das ist so gut, wie eine Schuld, die ich ausstehn habe! … Geh’ hinunter in das Dorf,“ fuhr er, sich zu dem Quacksalber wendend, fort, „such’ den Bauer aus, der damals mit uns gegangen ist in’s Amthaus … sag’ ihm einen schönen Gruß von mir! Der bairische Hiesel hat ihnen damals aus der Noth geholfen, jetzt sollen sie mir wieder helfen … wenn jedes Haus einen Gulden beisteuert, ist es nicht der zehnte Theil von dem, was ihnen der Amtmann abgenommen hat … ich verlang’ es auch nit geschenkt, nur leihen sollen sie mir das Geld, es kommen wohl wieder andere Zeiten und dann werden sie sehn, daß der kein schlechtes Geschäft gemacht hat, der dem bairischen Hiesel borgt!“

„Ich will reden wie Cicero!“ rief der Sternputzer lachend und eilte davon. „Will auch sehn, ob ich dem alten Filz mit seinen Aepfeln nicht ein kleines gaudium machen kann.“

Hiesel wollte ebenfalls dem Lagerplatze zu, als er von der andern Seite den Ton streitender Stimmen vernahm: es war Studele, der in heftigem Wortwechsel mit dem Buben unter den Bäumen hastig herankam. Er war roth im Gesichte und seine Aufregung um so erkennbarer, jemehr er sonst in Allem eine gesetzte Ruhe zu bewahren wußte. „Nun,“ rief ihnen Hiesel verwundert entgegen, „Ihr werdet doch nicht uneins miteinander werden, jetzt wo es gerade am nöthigsten ist, daß wir zusammenhalten?“

„Das sag’ dem Buben, Hiesel, und nicht mir!“ erwiderte Studele heftig, „Leg’ ihm das saubere Handwerk, Du brauchst keinen Spion unter uns!“

„Ich bin kein Spion!“ rief der Bube in keckem, drohendem Tone entgegen, „aber wer ein schlecht’s Gewissen hat, der fürcht’t sich, wenn man ihm hinter seine Schliche kommt!“

Studele ward noch ergrimmter, aber er hielt an sich. „Du bist mir zu wenig, als daß ich mich an Dir vergreifen möcht!“ rief er. „Du bist dem Schulmeister zu früh davon gelaufen, aber ich erleb’ es wohl noch, daß die Ruthe über Dich kommt!“

Der Bub verzog höhnisch den Mund und blinzte den Zürnenden von der Seite an. „Hab’ keine Sorg’ um meinen Buckel,“ sagte er, „ich geh’ nit unter die Soldaten!“

Studele ward todtenbleich; die Erinnerung an die erlittene schmachvolle Strafe war die immer schwärende Wunde seines Innern. „Mach’, daß Du mir aus den Augen kommst, Creatur,“ rief er, „oder es wird nicht gut! Wehr’ dem Buben seinen Uebermuth, Hiesel, oder er macht noch Alles von Dir abspenstig!“

„Still!“ sagte Hiesel und trat mit dem Ansehen eines Herrschers zwischen die Streitenden, „ich will nichts mehr davon hören! Vertragt Euch miteinander, ich will es haben, und Du, Studele, nimm dem vorwitzigen Buben ein keckes Wort nit so übel … er meint es gut mit mir auf seine Art, wie Du auf die Deine! … Was habt Ihr miteinander?“

„Ich will Dir’s erzählen, Hiesel,“ rief Anderl eifrig, „Du sollst es dann sagen, ob er mich einen Spion nennen darf … Weißt Du’s noch, wie wir neulich die drei Soldaten getroffen haben, die sich verdingt hatten, den Bauern bei der Grummet-Ernte zu helfen? Wir hatten sie wieder erkannt: es waren solche, die schon gegen uns gestreift hatten, drum haben wir sie gefaßt! Du hast gesagt, wir sollten ihnen den gewöhnlichen Denkzettel geben, und bist Deiner Wege gegangen … wie wir aber über die Kerle her wollten, die wir gebunden und hinter den Zaun geworfen hatten, da waren sie fort – der Studele hat ihnen die Stricke abgenommen und sie entwischen lassen!“

„Warum hast Du das gethan?“ fragte Hiesel befremdet.

„Es waren Soldaten von dem Regiment, bei dem ich gedient hab’,“ war die ruhig gegebene Antwort, „von derselben Compagnie, bei der ich gestanden bin …“

„Und die Dich mit Spießruthen verhauen haben?“ rief Hiesel rasch. „Und denen hast Du zum Dank dafür durchgeholfen?“

„Die armen Bursche haben nur gethan, was sie thun mußten … ich weiß, es ist ihnen gewiß schwer genug angekommen … und dann war einer darunter, der ist aus derselben Gegend gebürtig, wo ich daheim bin, ein guter Bursch, der mich immer gern gehabt hat … er hat oft seinen letzten Bissen mit mir getheilt …“

Hiesel ergriff seine Hand und schüttelte sie. „Bist ein ganzer Kerl, Studele,“ sagte er herzlich, „ich wollt’ ich hätt’ ein halbes Dutzend Cameraden, wie Dich! … Aber das kann doch nicht der Grund Eures Zwistes sein?“

„O, die Hauptsache kommt noch!“ rief Anderl. „Wie Du mich vorhin fortschicktest, den Tiroler und den Studele aufzusuchen, da machte sich der Eine gleich mit seinem Stutzen auf den Weg; von dem da aber war nichts zu sehn und zu hören, er sei gegen den Hügelabhang vorgegangen, sagten die Andern. Ich geh’ ihm also dahin nach, und wie ich so nach allen Seiten herumgucke, da seh’ ich einen Musketier, der sich hinter das Gesträuch versteckte und gegen uns heranstrich. Hollah, hab’ ich gedacht, und schlich mich sachte hin, bis ich ihn auf’s Korn nehmen konnte … auf einmal aber wär’ mir der Stutzen bald aus der Hand gefallen vor Verwunderung, denn wie man eine Hand umkehrt, war der Musketier nicht mehr allein … ein Mann war bei ihm, der ganz vertraulich mit ihm redete … Ich hab’ mir die Augen ausgewischt, ob mich denn das Licht nicht blend’t, aber es war nit anders, es war kein anderer Mensch, als der Studele …“

Hiesel hörte in steigender Spannung zu; Studele stand vollkommen ruhig.

„Mußt doch wissen, was die Zwei so heimlich miteinander auszumachen haben, hab’ ich mir gedacht … wie ich aber just so nahe war, daß ich’s hätt’ hören können … da hat ein Ast geknackt, auf den ich getreten bin … sie bemerkten mich, im Hui war der Soldat davon, der Studele aber sprang auf mich los, hat mich anpacken wollen und hat mich geschimpft …“

„Und darf man nit wissen, was Du mit dem Soldaten verhandelt hast?“ fragte Hiesel ernsthaft.

„Hättest den Spitzel da nicht gebraucht, um das zu erfahren,“ erwiderte Studele, „auch ohne das wär’ ich jetzt schon bei Dir, um Dir zu sagen, was geschehen ist … Der Soldat ist der nämliche gewesen, dem ich durchgeholfen hab’; mein Schlafcamerad [339] in der Casern’! Der ganze schwäbische Kreis hat seine Mannschaft aufgeboten gegen uns … eine halbe Compagnie ist unterwegs gegen uns: da hat’s dem guten Kerl keine Ruh’ gelassen, er hat mir’s vergelten wollen, daß ich ihm beigestanden bin … auf die Gefahr hin, daß er, wenn er erwischt wird, seiner Lebtag den Karren schieben muß, hat er sich weggeschlichen, um mich zu warnen … hat mir auch sonst noch eine wichtige Nachricht gebracht …“

„Was für eine Nachricht?“

„Mein Schlafcamerad hat’s gar wohl gewußt, warum ich’s in dem Soldatenrock nit ausgehalten hab’ und immer wieder desertirt bin … ich hab’s nit ertragen können, den ganzen Tag in der Casern’ oder auf dem Exercirplatz sich hudeln zu lassen; wär’s nur in’s Feld gegangen, ich wär’ gewiß nit davongelaufen. Die Nachricht, die er mir gebracht hat, ist die, daß es wieder losgeht, daß es wieder Krieg giebt! Wie und warum, das weiß ich nicht, aber der alte Fritz von Preußen rührt sich wieder und seine Werber sitzen schon in Ulm …“

Ueber Hiesel’s Mienen ging eine rasche Bewegung, doch er schwieg.

„Ich will Dir was sagen, Hiesel,“ fuhr Studele nach kurzem Innehalten fort und trat ihm näher, als habe er ihm ein Geheimniß zu vertrauen. „Das Wort ist mir in den Sinn gefahren, wie der Funken in’s Pulver … es brennt lichterloh und läßt mir keine Ruhe mehr … ich will fort, Hiesel, will nach Ulm, Handgeld von den Werbern nehmen und in den Krieg marschiren …“

Mit einem Blick der Ueberraschung und des Vorwurfs sah ihm Hiesel in’s Gesicht und faßte nach seiner Hand. „Du willst mich verlassen?“ rief er. „Der beste von allen meinen Cameraden will von mir gehn’?“

„Das will ich nit, Hiesel … ich mein’, wir sollten erst recht beisammenbleiben: ich mein’, Du solltest mit mir gehn, Hiesel, und auch fortmarschiren …“

Hiesel ließ seine Hand fahren. „Was fallt Dir ein?“ sagte er. „Haben wir’s nit Alle einander versprochen und zugeschworen, daß wir nit von einander lassen, so lang ein lebendiger Blutstropfen in uns ist?“

„Ich weiß nit, Hiesel … aber mir kommt’s vor, als wenn das Versprechen uns nimmer lang binden sollt’ … als wenn’s mit uns zu End ging’ und Alles auseinander fallt … es ist am End’ gescheidter, wir gehn freiwillig, eh’ wir müssen …“

„Ich nicht!“ erwiderte Hiesel fest. „Und wenn’s noch schlimmer stünd’, als es steht, von mir soll Niemand sagen, daß ich die Courage verloren hab’ … daß ich das, was ich mir vorgenommen hab’, nit hätt’ ausführen können, und wenn Alle gehn, will ich der letzte sein!“

„Red’ nit so, Hiesel! Hast doch oft gesagt, daß Du gern ein Kriegssoldat werden möchtest!“

„Das ist früher gewesen,“ erwiderte Hiesel düster, „damals waren noch andere Zeiten, das ist lang zu spät!“

„Es ist nit zu spät, versuch’s nur, Hiesel, und geh’ mit mir! Bei den Werbern kennt uns Niemand … wir sind gute Schützen, sie werden nit so genau nachfragen und nehmen uns gewiß …“

„B’hüt Dich Gott!“ sagte Hiesel kurz, „ich bleib’ da!“

„Hiesel!“ rief Studele warm werdend, „ich kann nit so von Dir gehn! Ich hab’ Dich gern, es kommt mich zu hart an, wenn ich denken soll, daß ein Kerl wie Du, der wohl zu was Besserem auf der Welt ist, vielleicht zu Grund gehen muß auf eine schlechte, elende Weis’! Im Krieg kann Jeder Alles werden, Du könntest Dich aufschwingen, wer weiß, wie weit, könntest zu Ehren kommen …“

„Zu Ehren kommen?“ entgegnete Hiesel stolz. „Ich brauche nicht zu Ehren zu kommen, denn ich hab’ meine Ehr’ nit verloren! Meine Ehr’ ist der Stutzen da, meine Ehr’ ist, daß ich bei dem aushalt’ bis in den Tod! Ich bin ein Wildschütz ’worden und hab’ gewußt, was ich thu’ … ich will ein Wildschütz bleiben!“

„Ein Wildschütz?“ erwiderte Studele mit Bedeutung. „Wenn’s nur das wär’, meinst, mich brächten dann vier Ross’ von Dir weg? Hab’ ich’s nit auch so im Sinn gehabt, wie Du? Aber der Nam’, den sie uns geben, ist ganz ein anderer.“

Hiesel sah ihn durchdringend an. „Und wie ist der Nam’, den sie uns geben?“ fragte er.

„Ich mag’s Dir nit sagen … lies es selbst!“ entgegnete Studele und zog einen breiten Zettel mit großen gedruckten Buchstaben aus der Waidtasche hervor. „Solche Placate haben sie heut in allen Dörfern ausgetheilt und an allen Kirchthüren und Wirthshäusern angeschlagen.“

Es war ein Steckbrief des Gerichts zu Dillingen gegen Mathias Klostermair, der bairische Hiesel genannt, und gegen seine Bande – Niemand solle sie beherbergen, Niemand ihnen Nahrung reichen bei schwerer Strafe; ein Preis von tausend Gulden war ausgesetzt auf den Kopf des Räuberhauptmanns.

Hiesel las, ohne daß eine Wimper seines Auges zuckte. „Räuberhauptmann!“ sagte er dann. „Ich hab’ es vorher gewußt, daß es einmal so kommen wird – aber was liegt daran, wie mich diejenigen nennen, die dem Volke feind sind, wie mir? Ich bin der Freund des Volks und das giebt mir einen andern Namen … Nimm, Anderl! Das ist ein prächtiges starkes Papier … das giebt treffliche Kugelpfropfen … Lad’ mir meinen Stutzen, Bub’ … ich will ihnen den Räuberhauptmann als Antwort zurückschicken!“

„O Hiesel, Hiesel, nimm es nicht zu leicht!“ rief Studele bittend, während Anderl lachend das Placat zerriß und die Büchse lud. „Ich kann Dir nicht sagen, wie es mir schwer ist um’s Herz … Ueberleg’ Dir’s noch einmal und geh’ mit!“

„Eilt’s denn gar so sehr?“ rief der Bub’ und ließ den Ladstock aus dem Rohre springen. „Wir müssen es uns doch erst überlegen! Jetzt können wir nit fort … die Soldaten sind in der Näh’, wir warten, bis sie kommen, das Davonlaufen überlassen wir Andern!“

Studele machte unwillkürlich eine Bewegung, als wollte er die Büchse von der Schulter reißen; er besann sich aber und erwiderte finster: „Ich red’ nit mehr mit Dir – das Davonlaufen wirft mir im Ernst Keiner vor, und Du danke Gott, wenn Dir nicht einmal das Herz mehr im Leib’ zittert, als mir! … Ich will jetzt gleich gehn und die Streif’ nit abwarten und ich glaub’, es ist keine Schand’, wenn ich es sag’: der bairische Hiesel wird auch ohne mich mit den Soldaten fertig – ich aber will nit meinem alten Schlafcameraden als Feind gegenüberstehen und ihm vielleicht zum Dank eine Kugel in sein gutes Herz schießen … Du verstehst mich, Hiesel, nit wahr? Ich geh’ – und wenn’s denn wirklich sein muß, daß ich allein gehen soll … so b’hüt’ Dich Gott!“

„B’hüt’ Gott …“

„Darfst mir wohl die Hand geben,“ fuhr Studele fort, da Hiesel unbeweglich stand und finster zu Boden sah. „Ich hab’ manches Mal nit Ja gesagt zu dem, was Du gesagt hast und gethan … aber ehrlicher hat’s Keiner mit Dir gemeint, als ich! Solltest wohl meine Hand fassen, Hiesel, und – nimmer loslassen!“

Schweigend reichte ihm Hiesel die Hand und ging dem Lagerplatze zu; Studele schaute ihm nach, bis er unter den Bäumen verschwunden war. –

Als Hiesel dem Lagerplatze der Bande näher kam, sah er eben den Sternputzer von seiner Sendung in’s Dorf zurückkehren.

„Nun,“ rief er dem Heraneilenden entgegen. „Klingt es schon in Deiner Tasche? Sind die Bauern schon unterwegs, uns entgegen zu laufen?“

„Hab’ nichts davon verspürt!“ erwiderte der Sternputzer. „Exemplum statuiren, Hauptmann – ich sag’ es noch einmal, sonst ist die Reputation verloren!“

„Hast Du mit den Bauern gesprochen? Haben sie die Lumperei nit gleich zusammengelegt? Sie haben … es kann nit anders sein!“

„Laß mich nur erzählen, Hauptmann … ich kam in’s Dorf und habe mich schon von fern darauf gefreut, dem alten Mauthner einen Streich zu spielen; ich hab’ die Aepfel noch nit vergessen, die er uns nit vergönnt hat, aber wie ich hinkam, war’s nichts damit, das Haus war nach allen Seiten verschlossen und die Läden zu … Hm, dacht’ ich, wird ihm wohl der Geizteufel den Kragen umgedreht haben, und ging weiter; war aber kaum ein paar Schritte weit, als ich einen Mann spornstreichs quer über die Felder laufen sah … war’s richtig mein Alter! Er hatte feinere Augen gehabt, als ich, hatt mich kommen sehen und sich bei Zeiten aus dem Staube gemacht! Im Dorf wollt’ mir’s auch nit scheinen, als wenn sie Triumphpforten für uns bauen [340] wollten … ich hatte meinen Schützenrock angezogen, um mich in Respect zu setzen; jedes Kind kennt den Rock auf fünfzig Stunden im Umkreis – aber Niemand kam heraus, mich zu begrüßen, und wo sich ein Kopf am Fenster sehen ließ, da war er wie der Blitz wieder verschwunden!“

„Aber der Bauer … ich glaub’, es war der Kirchenpfleger … was sagte der?“

„Der? Nicht viel, Hauptmann. Erst sah er mich an, als ob ich böhmisch mit ihm gered’t hätte … dann kratzt’ er sich hinter den Ohren und fing zu husten an … er könne das nit übernehmen, sagte er dann; er wisse im Voraus, daß die Bauern nichts geben würden, sie könnten auch nit vor Armuth und dürften nit, es sei vom Gericht verboten, dem Hiesel und seinen Leuten etwas zu geben, und wenn er mir gut rathen könne, so sollt’ ich machen, daß ich aus dem Dorf käme, eh’ der Amtmann von mir hörte …“

„Das … das hat der Bauer gesagt?“ stieß Hiesel hervor. „Das hat er gewagt, dem bairischen Hiesel als Antwort zu sagen?“

In optima forma!“ erwiderte der Sternputzer. „Siehst Du’s nun ein, daß nichts übrig bleibt, als exemplum statuiren?“

Hiesel war eine Secunde lang wie außer sich und biß sich fast die Unterlippe wund. „Brecht auf, Wildschützen!“ rief er dann. „Wir gehen hinunter in das Dorf – ich hab’ Euch eine Mahlzeit versprochen und Ihr sollt sie haben, so wahr ich Euer Hauptmann bin! Kommt, Cameraden, die Antwort muß ich selber hören!“

Mit wildem Geschrei drängten sich Alle um den Führer und stürmten dem Dorfe zu.

„Da bin ich,“ rief Hiesel, in’s Wirthshaus tretend, dem Wirthe entgegen, der ihn mit kriechenden Bücklingen, die grüne Schlegelkappe in der Hand, empfing. „Du kennst mich doch?“

„O … freilich …“ stammelte der Wirth, „wer sollt’ den Herrn Hiesel nicht kennen? Was verschafft mir die besondere Ehr’?“

„Dumme Frag’ für einen Wirth!“ erwiderte Hiesel. Aufgetragen, was Küche und Keller vermag – wir bleiben über Nacht bei Dir und wollen’s uns wohl sein lassen! … Nun, wo fehlt’s?“ fuhr er auf, als der Wirth noch immer zögernd auf einem Flecke stehen blieb und nur mit weit ausgestrecktem Arm furchtsam nach dem Spiegel deutete, an welchem das Dillinger Placat, weithin leserlich, angebracht war. „Ist es nichts, als das?“ rief Hiesel lachend. „Dafür kann geholfen werden – was man gezwungen thut, dafür kann einem kein Haar gekrümmt werden, also frisch, Cameraden! Damit dem Wirth nichts zu Leid’ geschehen kann, nehmt ihm die Schlüssel des Hauses ab, postirt Euch in Küche und Keller – bis morgen ist das Haus mein und ich bin der Wirth! Schreibt aber Alles auf das Genaueste auf, – morgen rechnen wir ab und zahlen; morgen haben wir Geld genug und ein Paar von Euch gehen und schaffen mir den Kirchenpfleger her – mit dem hab’ ich ein Wörtel zu reden!“

Das war ein Auftrag, wie er den wilden Gesellen nicht willkommener werden konnte. Lachend fielen sie über den Wirth her, zogen ihm den Schlüsselbund, den er unter der weißen Brustschürze verborgen hatte, hervor und stürmten unter Jubel und Geschrei in die verschiedenen Gelasse des Hauses. Die Einen stiegen in den Keller, um die Fässer zu proben, und riefen bald herauf, sie hätten dasjenige schon herausgefunden, auf dem die schwarze Katze sitze; Andere schäkerten mit den Mägden in der Küche und schürten ein Feuer an, daß es zum Kamin emporloderte, wieder Andere wühlten zur Verzweiflung der Wirthin im Wäschschrank, um das Tafelgedeck und die Tischzeuge hervorzusuchen, die sonst nur bei einer großen Hochzeit oder gar bei einer Primiz zu paradiren gewohnt waren. Die Wirthin konnte den Jammer nicht mit ansehen und schloß sich weinend in die hinterste Kammer ein, der Wirth wurde mitgeschleppt und mußte, so sauer es ihm ankam, in das Lachen einstimmen: er wagte nicht, die schonungslosen und gewaltthätigen Gesellen noch mehr zu reizen.

Der Hauptmann wehrte ihnen nicht ab; in unruhiger, hastiger Bewegung schritt er selbst in der Stube hin und wieder. Schon Studele’s Entfernung hatte ihn mehr ergriffen, als er es äußerlich gezeigt; die Entdeckung über die schlechte Gesinnung seiner Genossen hatte die Erregung gesteigert, durch die Nachricht von der Weigerung der Bauern war sie zur Erbitterung geworden – es bedurfte nur noch eines Anstoßes, so brach die Zornwuth los, die ihn wohl manchmal in besonders leidenschaftlichen Augenblicken übermannte.

„Bist Du der Kerl,“ rief er dem kreidebleichen Kirchenpfleger zu, der, von zwei Schützen geschleppt, hereinwankte, „bist Du’s, der sich untersteht, dem bairischen Hiesel mit dem Amtmann zu drohen?“

Ehe der Mann etwas zu erwidern vermochte, erschien schreiend und weinend sein Weib, das ihm gefolgt war, in der Thür und versuchte sich hineinzudrängen. „Laßt mir das Weib nit herein!“ rief Hiesel wild. „Wir haben nichts mit Weibern zu thun, schafft mir sie fort … Bitten und Betteln hilft nichts! Wenn sie ihren Mann retten will, soll sie machen, daß in fünf Minuten das Geld auf dem Tisch liegt, sonst steh’ ich für nichts!“

[366] Heulend rannte die Bäuerin, die Hiesel so hart von dannen geschickt hatte, das Dorf entlang davon.

Der Bauer war eine nicht eben kräftige Gestalt, aber wenn auch tödtlich erschrocken, war er doch nicht muthlos und unmännlich. „Was wollt Ihr mit mir?“ fragte er. „Was soll’s sein?“

„Das fragst noch?“ schrie Hiesel. „Hast Du Dich nit geweigert, das Geld, das ich verlangt hab’, zusammenzubringen? Hast vielleicht die Andern noch abgered’t? Hast mir mit dem Amtmann gedroht? Nun schau, weil Du so gut für die Andern sorgst, nehm’ ich Dich für Alle beim Schopf! Du mußt jetzt das Geld schaffen, jetzt verlang’ ich’s von Dir! Nicht als wenn ich den Bettel durchaus haben müßt’ … aber ich laß mir keine abschlägige Antwort geben, wenn ich mich einmal auf’s Bitten verlegt hab’! Ich will’s nit behalten – ich sag’ Dir nochmals, ich will’s nur geliehen haben … aber her muß das Geld und Du mußt es schaffen, oder Du bist hin!“

„In Gottes Namen,“ sagte der Bauer, „das kann ich nit und das will ich nit!“

„Nit?“ rief Hiesel, wie wüthend sprang er gegen den Mann vor und hob den Stutzen zum zerschmetternden Kolbenschlage; da [367] erscholl vom Kirchthurm lautes, helles Geläute. Wohl war es um die Zeit, zu welcher gewöhnlich das Zeichen zum Abendgebet mit der Glocke gegeben ward, aber das Läuten tönte nicht wie sonst in langsam friedlichen, zur Ruhe einladenden Schwingungen, sondern in kurzen, rauhen und abgestoßenen Schlägen, eine tiefere Glocke dröhnte unheimlich, eine hellere wimmerte wie Klageruf darein.

„Was ist das?“ rief Hiesel, während die Schützen nach der Thür eilten, „das ist nicht Gebetläuten! Ist Feuer im Dorf?“

Im Augenblick klirrte eine eingeschlagene Fensterscheibe in die Stube und der Bube, der draußen herumgeschlichen war, rief herein: „Heraus, Cameraden, sie läuten Sturm! Heraus, Hiesel! Sie kommen, es geht gegen uns!“

Diese Botschaft hatte in einem Augenblicke das ganze beginnende fröhliche Gelage umgestaltet. Mahl und Trank, Scherz und Erholung waren vergessen, der Gefangene entsprang und schon im nächsten Augenblick stand die ganze Schaar der Wildschützen kampfgerüstet vor dem Wirthshaus, im Rücken durch die Wand eines hohen Scheunengiebels gedeckt; denn das Wirthshaus selbst mit seinen vielen Thüren und Fenstern taugte nicht zum Bollwerk des beginnenden Kampfes.

„Was giebt’s denn?“ rief Hiesel wieder; „wer kommt? Das kann doch unmöglich die Streifmannschaft sein, die hinterm Walde gelegen war?“

„Nein,“ antwortete der Bube, indem er seine Büchse schußfertig machte, „die Bauern sind’s, die Bauern kommen gegen uns!“

„Die Bauern? Gegen uns? Gegen den bairischen Hiesel?“ rief dieser ungläubig. „Hast Du zu tief in den Krug geschaut? Das ist ja nit möglich!“

„So schau dorthin,“ erwiderte Anderl, nach der Dorfgasse deutend. Eine ungeordnete Schaar von ein paar hundert Männern und Burschen, mit Sensen, Drischeln, Gabeln und alten Gewehren bewaffnet, rannte und drängte schreiend und lärmend gegen das Wirthshaus heran. Hiesel stand wie versteint, mit weit offenen, starren Augen, mit vorgebeugtem Leibe, als könne er nicht glauben, was er erblicke, und müsse sich überzeugen, daß es kein Blendwerk sei; er war blaß wie ein Sterbender, und zum ersten Male bebte in seiner sichern Hand die nie fehlende treue Büchse.

„Was wollt Ihr?“ schrie er der andrängenden Menge mit mächtiger Stimme entgegen und trat furchtlos hart vor sie hin.

„Warum drängt Ihr auf diese Weis’ auf uns ein?“

Die Bauern waren in ungewöhnlich erregter und wilder Stimmung; drohend und mit wildem Zuruf erhoben sie die Waffen; hinter ihnen wurden die Frau des Kirchenpflegers und der alte Mauthner sichtbar und machten klar, was das sonst ruhige Volk bis zu diesem Grade empört und zum offenen Widerstand gereizt.

„Hinaus!“ schrie der vorderste der Schaar, ein riesiger, mit einer Hacke bewaffneter Knecht. „Hinaus aus unserm Dorf, wir wollen nichts zu thun haben mit der Bande!“ Der ganze Haufen brüllte es nach.

„Besinnt Euch doch, Leute,“ erwiederte Hiesel etwas ruhiger. „Ihr müßt Euch irren! Denkt doch daran, daß es Euer bester Freund, der bairische Hiesel ist, der vor Euch steht! Denkt daran, wie ich das letzte Mal hier war! Hab’ ich Euch da nicht redlich geholfen? Habt Ihr mich nicht fortbegleitet wie den besten Freund und mir Euern Dank noch nachgerufen, und mich eingeladen zum Wiederkommen?“

„Ja,“ rief der Knecht, „aber jetzt wollt Ihr uns wieder abnehmen, was Ihr uns zurückgegeben habt! Und das leiden wir nicht! wir wollen nichts zu schaffen haben mit Euch, wir zahlen nichts!“

„Nein, nichts zahlen!“ tobte die Menge nach, und die Stimme des Anführers schrie über den Tumult hinaus: „Fort! Hinaus mit dem Räuberhauptmann!“

Mit diesem Worte hatte Hiesel seine ganze Fassung, all’ sein kaltes Blut wieder gewonnen. „Räuberhauptmann!“ rief er, „so nennt Ihr mich? Mich, der sich nur für Euch aufgeopfert hat? Ihr nennt mich so, Ihr, um derentwillen ich mein Leben, meine ganze Zukunft hingegeben habe? zu deren Schutz und Befreiung ich ein Ausgestoßener geworden bin, den man, obwohl er kein Unrecht thut, hetzt und verfolgt wie einen Verbrecher? Bin ich ein Räuber? Wer ist, der sagen kann, daß ich ihm etwas gewaltsam genommen, daß ihm etwas geraubt oder entwendet wurde? Wer kann sagen, daß ich etwas gethan hab’, was den Namen einen Räubers verdient? Sagt’s, damit ich den Lügner kennen lern’ und ihn würg’, bis er an seiner eigenen Lüg’ erstickt! Ich hab’s nur mit Euern Feinden, den Jägern, zu thun!“

„Richt wahr ist’s,“ rief eine Stimme aus dem Haufen. „Habt Ihr nicht den Meßner von Steinkirchen bis auf’s Blut geschlagen, und ihm mit dem Hausanzünden gedroht? Ist das auch ein Jäger gewesen?“

„Nein, aber ein Schuft wie Du,“ schrie Hiesel dem Sprechenden entgegen, „der es mit den Jägern gehalten hat und uns an sie hat verrathen wollen!“

Der Bauernanführer war nicht so leicht zu entmuthigen. „Und der arme Teufel, der Wegmacher von Agawang,“ rief er wieder, „den Ihr neulich gezwungen habt, Euch den Weg zu weisen, hat Euch der auch verrathen wollen? Und doch habt Ihr ihn mißhandelt, daß er noch zwischen Leben und Sterben liegt! Und der Kirchenpfleger, dem Ihr mit dem Todtschießen gedroht habt, ist der auch ein Jäger?“

„Das ist gegen meinen Willen geschehen, Leute!“ rief Hiesel. „In der Uebereilung und im Zorn. Ich kann meine Leute nicht immer halten, wie ich will, und wenn man Jahr aus Jahr ein im Forst lebt bei den wilden Thieren, ist’s ein Wunder, wenn man auch wird wie ein wildes Thier? Oder glaubt Ihr etwa, es ist ein angenehmes Leben, das wir führen, und daß wir es nur zu unserm Vergnügen thun? Ich bin nicht ein Wildschütz ’worden, weil mich die Arbeit nicht gefreut hat, oder weil mich der Gewinn verlockt hätte! Niemand hat ein Ohr gehabt und ein Herz für die Klagen der Bauern! Ich allein hab’ es nicht sehen können, daß Ihr Euch das ganze Jahr für die Ernte plagt und darauf hofft und wartet, und daß Ihr am Ende, wenn Ihr die Sense in die Hand nehmt, nichts findet, als einen verwüsteten und zerstampften Acker; drum bin ich ein Wildschütz worden, aber kein Räuber! Für Euch bin ich eingestanden und Ihr zieht gegen mich heran, wie gegen den ärgsten Feind? Weil ich in der Klemm’ bin und einmal Eure Hülfe brauche, wollt Ihr mir’s verweigern und mich aus Eurer Gemarkung jagen wie einen tollen Hund?“

„Nein, nein, das wollen wir nit, Herr Hiesel!“ sagte vortretend Einer von den Bauern, ein älterer Mann. „Wir haben es halt nicht so überlegt. Wir haben’s nit vergessen, was Er für uns gethan hat, aber es ist ein Zettel in alle Dörfer gekommen, daß man Euch nirgends aufnehmen sollt’ bei schwerer Straf’; da haben wir halt Furcht gekriegt und haben uns aufreden lassen.“

„Aber Ihr solltet Euch nicht so aufreden lassen gegen mich!“ entgegnete Hiesel. „Wenn Ihr so muthig seid, zu den Waffen zu greifen, warum seid Ihr es denn nicht gegen Eure gewohnten Dränger, gegen den Förster und Amtmann, vor denen Ihr kriecht? Warum habt Ihr nur gegen mich Courage und wollt mich nicht einmal über Nacht in Eurem Dorfe lassen?“

„So haben wir’s nicht gemeint“, sagte der zweite Bauer wieder. „Wir wollen nur nichts zahlen, und weil Er gedroht und den Kirchenpfleger so kujonirt hat, sind wir halt zornig ’worden – aber über Nacht soll Er schon bleiben dürfen, Herr Hiesel! Und der Wirth soll ihm auch das Beste auftragen auf unsere Rechnung! Nicht wahr, Nachbarn?“

„Ja wohl, ja wohl,“ riefen die Meisten, „über Nacht kann er schon bleiben, dafür wird uns kein Mensch was anhaben können!“

„Werdet schon sehen! Ich rath’ nit dazu!“ schrie der Knecht mit der Hacke, der den Anführer gemacht hatte. „Werdet schon sehen, wie der Amtmann mit Euch umspringt! Aber meinetwegen laßt ihn über Nacht bleiben, aber wie es Tag wird, müssen sie wieder aus dem Dorfe sein!“

Zustimmend schrieen die Bauern durcheinander, Hiesel überwarf das Gewehr über die Achsel und rief: „Ich dank Euch nicht dafür –, behaltet Euer Mahl und Eure Gastfreundschaft! Der Bissen soll zu Gift werden, den ich oder Einer von den Meinigen aus Euren Händen nimmt! Ich will nichts mehr wissen von Euch! Ihr habt mir mehr genommen, als Ihr mir geben könnt, und wenn Ihr mir all Eure Höfe und Gründe und Aecker schenken wolltet! Ihr habt mir den Glauben genommen, daß, weil ich der Helfer des Volks bin, das Volk auch zu mir steht und mich gerne hat. Brecht auf, Cameraden, wir gehen dahin, wohin wir gehören – in den Wald!“

[368] „Der Weg ist verstellt!“ rief der Bube, welcher sich zur Vorsicht etwas seitwärts auf eine Anhöhe postirt hatte, herüber. „Wir müssen uns nach rechts halten, von dort drüben kommen Soldaten aus dem Walde hervor … Es ist klar, die Bauern haben sie geholt!“

„Die kommen gerade recht!“ rief Hiesel. „Ich bin just aufgelegt, mich mit ihnen herumzuschlagen! B’hüt Euch Gott, Ihr Bauern, macht Eure Schand’ nur voll, schlagt Euch ganz zu meinen Feinden, und wenn ich mit ihnen im Gefechte bin, dann packt mich zum Dank auch im Rücken an! Wenn der Hiesel einmal nimmer ist, wird eine Zeit kommen, wo Ihr ihn gern wieder aus dem Grabe herauskratzen möchtet – aber er wird nicht zum zweiten Male kommen!“

Die Bauern steckten die Köpfe zusammen und zogen sich zurück. Die Wildschützen bildeten eine lange Kette, welche für den anrückenden Feind möglichst wenige Zielpunkte darbot, und gewannen rasch eine Anhöhe hinter dem Dorfe. Mit dem gewandten Auge eines Feldherrn hatte Hiesel den Platz überblickt und schnell seine Aufstellung so genommen, daß er unangreifbar, oder doch ein erfolgreicher Angriff mit den größten Schwierigkeiten verbunden war. Den Mittelpunkt von Hiesel’s Aufstellung bildete eine Kapelle auf einer kleinen Anhöhe, welche die ganze Gegend beherrschte. Am Hügelabhang wand sich ein kleines Bächlein hin, das trotz seiner Unscheinbarkeit doch hingereicht hatte, den ganzen Boden umher zu versumpfen, so daß er unwegsam war und nur ein einziger schmaler Pfad über ein Brückchen an den Fuß des Hügels führte. Die Schützen feuerten den vorrückenden Soldaten über die Köpfe, um sie zu erschrecken und von weiterem Vordringen abzuhalten; diese aber, von einem jungen muthigen Officier geführt, drangen demungeachtet unaufhaltsam vorwärts; schon hatten zwei Musketiere in raschem Laufe fast gleichzeitig den Bach erreicht.

„Nun denn,“ rief Hiesel, „wenn sie nicht daran glauben wollen, so schießt scharf und faßt Euern Mann!“

Zwei Schüsse knallten; der eine Musketier taumelte leicht verwundet vor der Brücke in den Sumpf, der andere, welcher den Steg schon hinter sich hatte, stürzte, offenbar tödtlich getroffen, in schwerem Fall am Fuße des Hügels nieder. Die Soldaten wichen zurück, der Officier überschaute das Terrain und mochte wohl erkennen, daß er bei weiterm Vordringen seine Leute nur unnützer Weise dem nicht fehlenden Feuer der Wildschützen bloßstellen würde; er eröffnete ein wirkungsloses Plänkeln gegen die durch ihre Lage wohl Geschützten und zog sich während desselben langsam nach dem Dorfe zurück.

Es war inzwischen völlig dunkel geworden. „Seht, wie Ihr Euch die Nacht über einrichtet,“ sagte Hiesel zu seinen Leuten; „macht Feuer an, daß sie sehen, wie wir uns vor ihnen nicht fürchten! Stellt Posten aus nach allen Seiten; ich selber will da bei der Kapelle bleiben, und beobachten, was vom Dorfe herkommt.“

Der Bube hatte sich zu ihm gesellt. „Mir ist’s vorgekommen,“ sagte er, „als wenn der Musketier, der da drunten liegt, der nämliche wär’, den ich mit dem Studele hab’ reden sehen. Ich muß doch nachschauen, ob ich recht gesehen hab’.“ Sich niederduckend und mit unhörbaren Tritten schlich er den Abhang zu dem Todten hinab. Von drüben aber hatte eine Abtheilung Soldaten das vollständige Dunkel ebenfalls zu benützen gedacht und war herangekommen, um den Gefallenen mit sich zu nehmen. Schon waren sie nahe bei demselben, als sie den Buben gewahr wurden und unbemerkt sich hinter die Büsche der Umgebung verbargen.

Der Bube kam vorsichtig herangeschlichen und beugte sich über den Liegenden, der kein Lebenszeichen mehr von sich gab; eben wollte er demselben den Kopf umwenden, um das Gesicht zu sehen, als die Musketiere hervorsprangen. Im Augenblick war der arglose und schwächere Knabe von der Mehrzahl überwältigt, gebunden und geknebelt – nur einen einzigen kurzen Schrei der Wuth und Ueberraschung war er noch auszustoßen vermögend.

Hiesel vernahm den Ruf; er erkannte die Stimme. Wie ein angeschossener Eber stürzte er den Hügel hinab, Tiras mit ihm, und folgte, von dem Hunde geführt, der Spur der Soldaten, um wo möglich den Liebling ihren Händen wieder zu entreißen und aus der Gefangenschaft zu befreien. Lange durchstrich er Felder und Aecker und wagte sich im Dunkel sogar bis an die äußersten Häuser des Dorfes; es war vergeblich, die Räuber mußten sich mit ihrer Beute unmittelbar in’s Dorf zurückgezogen und den Gefangenen getragen haben, denn Tiras sogar verlor die Spur und schnoberte unsicher in den Stoppeln umher. Hiesel blieb nichts andres übrig, als schmerzliche Wuth im Herzen unverrichteter Dinge umzukehren – noch war es nicht der letzte Verlust, den diese Nacht ihm bringen sollte!

Als er wieder bei der Kapelle eingetroffen, fiel ihm erst auf, daß sich Tiras nicht, wie sonst immer, zu seinen Füßen lagerte. Er pfiff und rief nach allen Winden; er bot die Genossen auf und wagte sich noch einmal, nach allen Seiten spähend und rufend, in das Dunkel: es war umsonst, der bis dahin so unzertrennliche Gefährte hatte seinen Herrn verlassen und war und blieb verschwunden.

Erschüttert sank Hiesel, als er endlich von dem fruchtlosen Suchen wiederkehrte, auf der Schwelle der Kapelle nieder und die Ahnung, daß es mit ihm zu Ende gehe, stieg wieder, dunkler und drohender als je, in seinem Gemüthe auf. „Es muß doch so sein!“ murmelte er vor sich hin, „wenn ich’s auch nicht glauben will, ich muß doch sein, was sie mich nennen … ein Räuber und Räuberhauptmann! Würde sonst Alles so von mir lassen und mich fliehen? … die Kundel kommt wohl absichtlich nicht mehr zurück, sie wird sich und mir den Abschied haben ersparen wollen … der ehrliche Studele hat mich verlassen … meinen treuen Buben haben sie gefangen und fortgeschleppt … der Tiras ist erschossen oder versprengt oder untreu … die Bauern, die mich einmal auf den Händen getragen haben, wollen nichts mehr wissen von dem Räuberhauptmann … es ist hohe Zeit, daß ein Ende hergeht …“

Aus diesen Gedanken weckte ihn ein leiser wimmernder Ton, der durch die Nacht über den Hügel und von der Brücke her emporstieg; der verwundete Soldat schien zum Leben zurückgekehrt zu sein.

Vorsichtig schlich Hiesel zu ihm hinunter; der Mann hatte die Augen aufgeschlagen, blickte wirr um sich, und ein schwerer Seufzer stieg aus der Brust, in welche die Kugel gedrungen war.

„Wie geht’s, Freund?“ sagte Hiesel, „kann ich Dir was helfen?“

„Nein!“ antwortete der Soldat in schmerzlichen Absätzen, „aber ich habe so heiß … es brennt mich so arg in der Brust … und die Zunge ist wie vertrocknet … Wenn ich nur einen frischen Trunk haben könnte …“

Hiesel bückte sich zu dem Bache nieder, schöpfte mit dem Hut und brachte ihn dem Sterbenden, der mit Behagen die letzte Labung schlürfte.

„Hast sonst keinen Wunsch mehr?“ fragte Hiesel wieder.

„Nein!“ war die Antwort. „Ich bin ein einzelner Mensch, der Niemand und Nichts hat auf der Welt und leicht weggeht in den Himmel … Ich möchte nur, daß Jemand da wär’, der mir vorbeten thät … in meiner Sterbestunde …“

„Das will ich wohl thun, so gut ich es noch kann …“ sagte Hiesel ergriffen.

„Wer bist Du denn? Ich kann Dich nimmer sehen, aber der Stimme nach bist Du nicht von der Compagnie?“

„Frag’ nicht, wer ich bin! Ich weiß es selber nicht und will’s nicht wissen … ein elender Mensch bin ich, der sich lieber neben Dich hinlegen und einen ehrlichen Tod sterben möcht’ wie Du … mir wird’s wohl nit so gut werden … aber ich will Dir vorbeten.“

Er begann das Vaterunser zu sprechen.

Der Soldat lag schon im Todeskampf; bei der fünften Bitte verstummte sein Röcheln.

Hiesel aber sprach mit gefalteten Händen für sich: „Und vergieb uns unsere Schulden!“

Der Morgennebel umhüllte schon die grau verdämmernde Gegend, als er sich erhob und dem Walde zuschritt. Verspätete Schwalben kamen vom Dorfe her und schwirrten über ihm hin … er öffnete den herb geschlossenen Mund nicht mehr zum Gesange, aber inwendig klang ihm die Weise und der Schluß des Liedes an, das er noch vor wenig Stunden gehört …

Wenn die Schwalben wieder kemma
Auf ein ander’s Jahr,
Ist’s wohl aus mit allem Gräma,
… Jetzund geht’s an’s Abschied-Nehma,
Die schö’ Zeit ist gar!“


[380]
6.

Tiefer Schnee war gefallen. So weit das Auge reichte, schimmerte die weiße unabsehbare Ebene im hellen Sonnenschein, als wäre sie mit Sternen und blitzendem Edelgestein besät; an den spärlichen kahlen Sträuchern hatten statt der Blätter sich zierliche Büschel und Träubchen von Reifflocken angesetzt, und ein schneidend kalter Ostwind, der von Zeit zu Zeit über die Fläche strich, hob den leichten Schnee, wirbelte ihn lustig mit und ließ ihn, des Spieles müde, am Fuß einer kleinen Erhöhung oder im Graben der Landstraße liegen, die sich, kaum mehr erkennbar, durch die Ebene zog. Nichts Lebendiges regte sich rings, und weit und breit war auch keine Spur menschlicher Nähe oder Thätigkeit zu erspähen. Nach einer Seite stand ein Büschel schwarzer Tannen bei einander und senkte die schneebelasteten Zweige wie müde Arme zu Boden; dort begann die Straße bergan in den Wald zu steigen, eine schwierige und unbequeme Strecke, welche dem schweren Frachtfuhrwerk in guter Jahreszeit viele Mühe machte; jetzt war sie beinahe unbefahren, denn im Winter rastete auch der Verkehr. Im Sommer hielten die Fuhrleute gerne davor, um ihr Gespann zum Hinansteigen Kraft sammeln zu lassen oder ihm Erholung zu gönnen, wenn es über dieselbe herabgekommen war, um etwaige Schäden an Wagen und Geschirr zu entdecken oder, wenn sie sich gezeigt hatten, auszubessern. Deshalb stand am Eingange des Waldes ein gemauertes Haus, dessen rußige Wände ebensowohl, als die halboffene Halle vor demselben seine Bestimmung unschwer errathen ließen. Es war eine Art Nothschmiede, dem Schmiede eines benachbarten Dorfes gehörig, der sie den Sommer über bezog, um den Fuhrleuten bei etwaigen Ausbesserungen zur Hand zu sein, auch wohl den Pferden Futter und Wasser, den vor Hitze trockenen Kehlen der Fuhrleute selbst aber einen Krug frischen Bieres bieten zu können. Deshalb lagen in dem Kohlenkeller unter der Schmiede immer ein paar Fäßchen im Vorrath, und das Gewölbe war kühl, denn es war tief in den ansteigenden Sandsteingrund des Waldhügels eingegraben. Mit dem Schneefall hörten die Frachtfuhren auf; dann sperrte der Schmied das Haus und zog sich ins wohnlichere Dorf zurück.

Diesmal aber schien das Gebäude doch nicht völlig verlassen zu sein, denn aus dem niedrigen Schlot stieg eine dünne Rauchsäule und verflatterte über den Tannenwipfeln wie ein zerreißender Schleier. Unter den Bäumen erschien jetzt ein Mann, die Pelzmütze tief ins Gesicht herein gezogen, die Beine mit hohen weichen Lederstiefeln versehen, den Leib in ein tuchenes Wamms gehüllt, das mit krausem Pelz verbrämt, mit schmalen länglichen Knöpfen besetzt und mit Schnüren zusammengehalten war. Der Ledergurt um den Leib und das seitwärts in der Hose steckende Messerbesteck ließen den wandernden Metzger nicht verkennen, der, um den Bauern die Mühe zu ersparen, „ins Gäu“ geht, Vieh einzukaufen.

„Verflucht!“ murrte der Mann vor sich hin, indem er nach allen Seiten herumspähte, „nirgends ist was von Soldaten zu sehen – ich hab’ ihnen doch die Schmiede vorm Wald deutlich genug bezeichnet, sie können nicht fehlen … aber wenn sie nicht bald kommen, fliegt der Vogel wieder aus … Will aber noch zuvor nach dem andern Vogel umschauen, ob er sich noch nicht an den Käfig gewöhnt hat ….“ Mit kräftiger Faust riß er dann einen der nächsten niedrigen Tannenzweige herab und schritt längs des Waldes der Schmiede zu, bei jedem Schritte anhaltend und hinter sich die Spur seiner Fußtritte mit dem Tannenzweige sorgsam wieder ausgleichend. An der Rückseite des Hauses angelangt, hielt er erst inne und horchte, ob nichts im Hause sich rege, dann, als Alles stille geblieben, zog er ein stiletartiges Messer aus dem Besteck und schob die Spitze in das Thürschloß, das seinem kräftigen Druck nicht viel Widerstand leistete. Die Thüre führte unmittelbar in die Stube, ein kleines, ärmliches Gemach, in welchem nichts zurückgeblieben, als was niet- und nagelfest war, die in die Wand eingelassene Bank und der am Fußboden angeschraubte Tisch, ein kleiner Mauerschrank und ein schlechter Ofen, durch dessen Ritzen der letzte Schimmer erlöschender Holzscheite zu sehen war. Eine Thüre nebenan führte in die Schmiede, eine Fallthüre im Boden in den Kohlenkeller.

Der Mann schob den Riegel derselben zurück, hob die schweren Breter auf und hängte sie an einem Ringe fest, dann stieg er in den dunklen Raum hinab, dessen Wände, Stufen und Boden von Kohlenruß überzogen waren. Das Auge des Eintretenden mußte sich erst an das Dunkel gewöhnen, eh’ es etwas zu unterscheiden vermochte. In der Ecke auf einem Strohlager, in eine starke Decke gehüllt, kauerte eine weibliche Gestalt, in deren Zügen und Formen die einst so schöne Wirthstochter vom Waldhaus kaum wieder zu erkennen war. Unbeweglich und wie geistesabwesend saß sie auf dem Lager und schien den Kommenden ebenso wenig zu bemerken, als das durch die Fallthüre plötzlich hereindämmernde Tageslicht.

„Da bin ich wieder,“ sagte der Rothe, „bin ich nicht bald zurück ?“

Sie wandte sich noch mehr ab, gegen die Wand hin und gab keine Antwort; die schielenden Augen des Rothen glühten wie die einer Katze im Dunkeln.

„Da bin ich wieder!“ schrie er noch einmal, „hast noch alleweil kein Wort für mich? Wart’, ich will Dich lehren, mir Antwort zu geben!“ Damit sprang er auf sie zu, wollte sie an den Schultern fassen und aufrütteln, aber eh’ er dazu kam, hatte sie sich erhoben und ihm einen so derben Stoß vor die Brust gegeben, daß er einen Schritt rückwärts taumelte.

„Ich hab’ nichts zu reden mit Dir,“ rief sie, „laß mich zuerst aus – nachher will ich Dir Red’ und Antwort geben, wie sich’s gehört!“

„Auslassen?“ erwiederte er höhnisch. „Ich bin kein solcher Narr! Auslassen soll ich Dich? damit Du Deinem Hiesel nachlaufen könntest, dem rechtschaffenen Manne, wegen dem Du ein anderes Leben hast anfangen wollen? Nein, dafür ist gesorgt für alle Zeit – den Hiesel kriegst Du nimmer zu Gesicht und aus meiner Hand kommst auch nimmer los!“

„Aber wo ist der Hiesel? Wie ist es mit ihm? Was hast im Sinn mit mir?“

„Wo der Hiesel ist, geht Dich nichts an … aber was ich mit Dir im Sinn hab’, das kannst erfahren. Heut noch, längstens morgen ist mein Geschäft aus in dem Land, dann bin ich ein reicher Mann … dann geh’ ich in ein anderes Land, in die Schweiz, wo mich Niemand kennt, und fang’ einen Viehhandel an … und Du gehst mit mir und bleibst bei mir!“

„Lebendig nit!“

„O, das wollen wir schon sehen! Du bist nit die Erste, die sich schon in was viel Schlimmres hat finden müssen! Warum willst nit? Ist ein Viehhandel nicht auch ein Brod, bei dem Einer ein rechtschaffener Mensch sein kann, und einen solchen willst Du ja! Ich mein’ doch, es wär’ besser als ein Räuberhauptmann, dem die Steckbrief’ nachfliegen durchs ganze Land, auf den nichts wart’ als Galgen und Rad! Wirst Dich schon besinnen, Kundl!“

[382] „Niemals … lieber als Dich, lieber nehm’ ich selber … Galgen und Rad …“

„Aha,“ rief er mit wüstem Lachen, „giebst sie jetzt einmal auf, die Rederei mit dem Rechtschaffenwerden? Gestehst es ein, daß es was Anderes ist, warum Du von mir nichts wissen willst? Und ich sollt’ Dich auslassen? Ich sollt’ dem übermüthigen Menschen noch helfen, der mich überall verdruckt und verdrängt hat, der mich fortgejagt hat wie einen Aussätzigen? Nein, Schatz … er ist mir gewiß und Du bist es auch … wirst sehen, daß der Rothe doch über den bairischen Hiesel in die Höh’ kommt …“

„Du wirst nit, Rother,“ sagte sie feierlich, „Du wirst nit – denk’ an mich! Du hast mich betrogen und verrathen – das bleibt Dir nit geschenkt! Ich Narr,“ fuhr sie, sich vor die Stirn schlagend, fort, „wie hab’ ich nur so dumm und blind sein können, Dir zu glauben! Ich hab’s nit gewußt, daß er Dich fortgejagt hat, aber ich hätt’s denken können, daß er einen solchen Menschen unter seinen Leuten nit leiden wird!“

„Einen solchen Menschen?“ knirschte der Rotbe. „Und was bin ich denn für ein Mensch? Bin ich etwa schlechter als gewisse Leut? … Er hat mich nit leiden wollen unter seinen Leuten .. dafür hab’ ich ihm Dich gestohlen und Du sollst mich leiden müssen, Dir und ihm zum Trotz! Richt’ Dich nur zusammen, Kundl … gegen Abend komm’ ich nochmal und morgen in aller Früh geht’s fort, in die Schweiz, mit dem vollen Geldsack und mit Dir! … Ich laß Dir Licht da, eine Flasche Wein, Brod und ein wenig Fleisch … laß Dir die Zeit nit zu lang werden! Wenn ich wieder komm’, bleib’ ich schon länger bei Dir, wie sich’s für den Buben schickt, der zu sein’m Schatz geht … wirst schon noch aus einem andern Ton pfeifen, wenn Du siehst, daß Dir doch nichts Anderes übrig bleibt!“

Er ging; unsäglicher Abscheu malte sich in Kundel’s verblichenen Zügen; die Fallthür schloß sich. Die alte Dunkelheit kehrte in den Keller zurück, aber in der Seele der Gefangenen war es licht. Das Gewissen war wach geworden und hatte zu ihr gesprochen in der Einsamkeit, immer lauter, immer dringender, ernst, unerbittlich und unentrinnbar; es hatte den Entschluß aus dem Waldhause wieder aus Schlaf und Betäubung geweckt, – er stand wieder fest vor ihrer Seele, diesmal aber gereinigt und ohne die Beimischung eigennütziger Absicht, deren Erreichung früher gewissermaßen als Preis und Lohn der Besserung bedungen worden. Der Weg zur Läuterung hatte sie noch tiefer in den Sumpf gerathen lassen, aber in der höchsten Noth hatte sie unter den versinkenden Füßen festen Boden erspürt, der ihr ein sicherer Pfad zu werden verhieß … sie hatte keine Thränen der Reue in den glühenden Augen, aber ein Gebet aus schuldloser Kinderzeit tauchte wie ein Stern in ihrer Seele empor, von ihm sank es herab auf ihre dürstenden Lippen wie ein Thautropfen auf die verschmachtende Pflanze, und in schwerer Abspannung entschlummernd flüsterte sie:

„Schutzengel, den mir Gott vermeint,
Bewahr’ mich vor dem bösen Feind …“

… Indessen war Hiesel nur eine kleine Strecke entfernt, jenseits des Waldes, am Fuße des Berges, in einem Wirthshause, dessen Eigenthümer zu den Vertrauten gehörte, welche auch im Unglück dem Verfolgten mindestens einen Theil der alten Anhänglichkeit bewahrt hatten. In der Stube, am Ofen saß Hiesel mit dem Rest seiner Genossen, einer von Mangel, Verfolgung und Abfall schon sehr gelichteten Schaar; nur der Tiroler und der Lissabonerbäck waren noch bei ihm, während der Sternputzer mit dem Blauen und dem Sattler vor dem Hause von Zeit zu Zeit Spähe hielt oder der Küche und den Vorbereitungen des kommenden Mittagmahls einen Besuch abstattete. Sonst war die Stube leer; zu den Fenstern, handhoch aufgeweht, sah der Schnee herein und manchmal rüttelte der Wind an den Läden des Fensters, das sich unweit des Ofens, im Rücken der Anwesenden befand.

Lange hatte Hiesel die Ausführung des Entschlusses mit sich herumgetragen, den er damals gefaßt, als er an der Leiche des Soldaten den Morgen herangewacht hatte, als in den nächtlichen Stunden alle die verhängnißvollen Erlebnisse jenes Tages an seiner Seele vorübergezogen, der Abfall des Volks, der Verlust von Allem, was ihm mit besonderer Treue angehört und woran sein eigenes Herz mit noch steterer Treue gehangen hatte. Es war ihm klar geworden, die Rolle des Wildschützen-Hauptmanns, der ein mißhandeltes Volk gegen den Rechtsmißbrauch einer übermüthigen Macht zu vertheidigen gewähnt, war zu Ende gespielt – er war sich bewußt, sie wohl durchgeführt zu haben, und es galt nur, den Schauplatz mit Ehre, wie er ihn behauptet, auch zu verlassen. Studele’s Entfernung und der Tod des Musketiers hatten den Gedanken in ihm hervorgerufen, auch den Soldatenrock anzuziehn; verlautete es doch immer allgemeiner und bestimmter, daß der preußische Fritz mit Rußland im Bunde sei und einen großen Zug nach Polen vorbereite. Dort wollte er vergessen werden von einem Volke, das ihn mit Undank gelohnt, dort wollte er selber vergessen lernen, daß er sein Leben und dessen Glück an einen Irrthum vergeudet hatte. Die Ausführung des Vorhabens hatte er noch immer verschoben; er hielt es gegen seine Pflicht als Hauptmann, die Gefährten, die sich ihm angeschlossen und deren Unterhalt ihm oblag, vorzeitig und nur um seiner selbst willen zu verlassen; auch lag ihm daran, über Kundel’s unbegreifliches Verschwinden bestimmte Nachricht zu erhalten. Die Vermuthung, daß sie, des Räuberlebens überdrüssig, wieder zu ihrem Vetter in’s Waldhaus zurückgekehrt sein möge, lag nahe; er wollte Gewißheit darüber haben und hatte deshalb den Tiroler abgeschickt, Erkundigung einzuziehn. Dieser war zurückgekehrt und hatte eben seinen Bericht beendet. Der treue Bursche war allen Spuren gefolgt, aber außer Stande gewesen, etwas Bestimmtes zu erfahren; in’s Waldhaus war sie nicht wieder zurückgekommen. In einem Dorfe war ihm gesagt worden, die Kramer-Kundl war eines Tags krank angekommen und einige Wochen schwer nieder gelegen; darüber mochte sie die Spur der Bande verloren haben, der sie doch der Sicherheit wegen keine Nachricht zukommen lassen konnte; dann war ein Mann gekommen, bei dessen Anblick sie sehr erfreut gewesen und den sie als einen alten Bekannten begrüßt habe – mit dem habe sie das Dorf vor einiger Zeit verlassen und seither sei jede Spur von ihr verschwunden; es sei zweifellos, daß sie entweder verunglückt oder aus dem Lande fortgezogen sei, oder daß sie sich wohl gar absichtlich irgendwo verborgen habe und nicht gefunden werden wolle.

Hiesel vernahm die Nachricht mit Trauer und doch ohne Schmerz: hatte sie freiwillig sich von ihm getrennt, so war er von jeder drückenden Rücksicht entledigt, und war sie gestorben, so mußte es als eine Wohlthat für Beide erscheinen, wenn ein Leben hinter ihr lag, dessen Zukunft noch dunkler zu werden drohte, als seine Vergangenheit es gewesen. Die letzte äußere Fessel, die ihn noch mit seinen bisherigen Kreisen zusammengehalten, war gebrochen; er zögerte nicht länger, den ihm noch gebliebenen Genossen seinen Plan mitzutheilen.

„Ich gehe mit Dir,“ sagte der Lissabonerbäck, „Polen hab’ ich noch nicht durchwandert – ich will es unter der Muskete thun, das wird nicht schlimmer sein, als das Felleisen auf dem Rücken zu tragen – hoffentlich werd’ ich den Werbern noch gut genug sein für Kanonenfutter!“

„Auch ich gehe mit!“ rief der Tiroler nach einigem Nachsinnen. „Schon auf dem ganzen Weg hierher hab’ ich mir’s bedacht, daß es so nicht mehr fortgehn kann und daß wir etwas thun müssen, wenn wir uns nicht einkreisen lassen wollen wie das Wild bei einem Treibjagen. Ich hab’s gesehen, wie man von allen Seiten nach uns auf der Pass’ ist! Wir müssen fort und der Weg nach Ulm ist der rechte Weg, Hiesel … so sag’ ich und so werden auch, von wo ich herkomm’, Alle sagen …“

„Von wo Du herkommst?“ fragte Hiesel staunend. „Wo ist das?“

„Das kannst Dir wohl denken,“ war die Antwort, „wie Du mich in’s Waldhaus geschickt hast, hab’ ich Dir’s im Gesicht angesehn, daß Du mich gern noch anderswohin schicken möchtest … ich hab’ gewußt, daß dort in der Gegend herum Deine Heimath ist, da hab’ ich sie halt aufgesucht und bin hin’gangen …“

„Du bist in Kissing gewesen?“ rief Hiesel in steigender Bewegung. „In mein’ elterlichen Haus? Hast meinen Vater gesehen?“

„Ja.“

„Und wie … geht’s ihm?“ fragte Hiesel und drückte die Hände vor die Augen.

„Das kannst Dir auch wohl vorstellen … es ist ein gar altes Mann’l, schon völlig blind … die Schwester zankt über ihn und sagt, er weint den ganzen Tag…“

„Der Schwester freilich wird kein Aug’ naß wegen meiner!“

[383] „Hast Recht, das ist ein trutziges Leut! Sie hat mir den Steckbrief gezeigt, der gegen uns aus’gangen ist: wenn ich ein Camerad wär’ von dem Räuberhauptmann, sagte sie, so richt’ es ihm fein aus, daß er uns Alle in Schand und Spott gebracht hat, daß er den Vater und mich und alle Drei auf dem Gewissen hat!“

„Alle Drei? Wie ist das gemeint?“

„Sie hat so gesagt, weil noch ein Drittes in der Stuben war – ein andres Madel …“

Hiesel faßte den Erzähler am Arm und sah ihm in starrer Erwartung, den Athem anhaltend, in die Augen. „Wer?“ preßte er dann heraus. „Kannst mir nit sagen, wie das Madel heißt?“

„Das wohl, sie hat mir’s ja selber gesagt. Sie war ganz schwarz angezogen und ist vor mich hingestanden und hat mich gar eigen angeschaut mit ihren großmächtigen blauen Augen. ‚Wenn Du den Hiesel siehst,‘ hat sie gesagt, ‚so sag’ ihm’s auch, daß er an mich denken soll – die Monika hat ihn nit vergessen …‘“

„Monika?“ rief Hiesel aufspringend mit solcher Gewalt des Ausdrucks, daß auch die Gefährten sich erhoben. Keiner von ihnen wurde darüber den Kopf des Rothen gewahr, der lauschend am Fenster sichtbar geworden, bei der ersten Bewegung der Sprechenden aber verschwunden war.

Hiesel hatte sich an die Brust des Tirolers geworfen. „Freund … Camerad, Bruder,“ rief er wie außer sich, „sag’ mir’s noch einmal! Die Monika war bei meinen Leuten? Sie denkt noch an mich? Sie ist nit verheirathet?“

„Davon hab’ ich nichts gehört. Beim Fortgehn ist die Schwester mit hinaus; die hat mir gesagt, das Madel hätt’ eine Verlobniß gemacht, daß sie ledig bleiben wollt’! Sie thut still ihre Arbeit und ist fleißig für zwei – jeden freien Augenblick aber benutzt sie zum Beten, sie hat ein gar schweres Anliegen auf dem Herzen. … Sie ist immerfort schwarz angezogen, wie wenn sie mit der Klag’ ging, und sieht aus, als wenn sie nie einen Tropfen Blut im Gesicht gehabt hätt’. Die Schwester meint, es sei nimmer ganz richtig mit ihr … in ihrem Kopf …“

Hiesel hatte zu lange und zu fest an dem Gedanken festgehalten, daß Monika sich über die Trennung von ihm leicht getröstet und ihn vergessen habe, als daß diese Nachricht ihn nicht auf’s Tiefste erschüttern sollte. Fassungslos, wie Einer, in dessen Händen der letzte Stab zerbricht, auf den er sich mit trotzigem Vertrauen gestützt, brach er in sich zusammen; wieder lag er, wie damals im Vaterhause, die Arme auf den Tisch gekreuzt und das Angesicht in ihnen bergend, wieder war sein Gemüth zerknirscht und weich, wie damals bei den Worten des redlichen Pfarrers und gegenüber den vorwurfsvollen halberblindeten Augen des Vaters.

„Cameraden,“ sagte er, nach geraumer Zeit sich entschlossen aufrichtend, „es bleibt dabei, wir gehen nach Ulm und suchen die preußischen Werber auf … aber nicht sogleich! Geht Ihr voran – ich muß zuvor noch einmal in meine Heimath, muß meinen Vater noch einmal wieder sehen und die Monika, muß sie trösten und von ihnen Abschied nehmen …“

„Nein, Hiesel, das geht nit an!“ unterbrach ihn der Tiroler. „Das wär’ allzugefährlich. Ich hab’s auf meiner Wanderschaft jetzt gesehen, wie sie von allen Seiten nach Dir aus sind, Du bist zu bekannt – eh’ Du nach Kissing kommst, bist Du zehnmal gefangen!“

„Das fürcht’ ich nit … dort ist Niemand, der mich verrath’t, und einmal wird mir ja mein altes Glück noch beistehn, daß ich mich durchschleichen kann! Ich will schon machen, daß sie mich nit kennen … Ich muß hin, Cameraden; also halt’s mich nit auf – ich mach’ mich gleich auf den Weg …“

„So wart’ doch nur, Hiesel!“ rief der Tiroler, ihn festhaltend. „Es geht schon stark auf Mittag, wo willst heut noch hinkommen?“

„Der Wirth muß mir ein Fuhrwerk besorgen,“ entgegnete Hiesel, „so komm’ ich heute noch bis Osterzell und morgen nach Haus … B’hüt Gott, Cameraden … in Ulm sehn wir uns wieder?“

„Nein,“ begann der Tiroler wieder, „wenn Du’s denn durchaus willst, so geh’, aber nicht allein, Du begiebst Dich in eine große Gefahr – da soll’s nit heißen, daß wir Dich allein gelassen haben … wir gehn mit Dir!“

„Das geht nit … gerade wenn unser mehrere beisammen wären, könnt’s verdächtiger werden …“

„Dann begleiten wir Dich nach Osterzell und bleiben dort, bis Du zurück kommst – da sind wir doch für alle Fälle nicht gar zu weit weg, das darfst uns nit verweigern, Hiesel …“

Hiesel reichte ihnen die Hand; sie gingen, den Wirth zu bereden, der bereitwillig das Fuhrwerk zu besorgen versprach und dem Knechte zurief, er solle die Füchse anschirren und den langen Schlitten aus dem Schuppen ziehn.

Während der Knecht damit beschäftigt war, ging ein Gäumetzger an ihm vorüber und blieb wie zufällig stehn. „Wo geht das Fuhrwerk hin, Landsmann?“ fragte er unbefangen. „Könnte man vielleicht mitkommen?“

„Nach Osterzell,“ erwiderte arglos der Knecht, „wird auch schon besetzt sein …“

„Thät’ mir auch nichts nützen … mein Weg geht da hinaus,“ sagte der Metzger und schritt in entgegengesetzter Richtung weiter. Hinter dem nächsten Hause aber blieb er stehn, bis der Schlitten bespannt war und mit Hiesel und seinen Gefährten pfeilschnell über die gehärtete Schneebabn dahinflog. „Fahrt nur zu,“ rief er ihnen nach. während der Fuhrmann lustig mit der Peitsche knallte und das Schellengeklingel sich schon in der Ferne verlor, „hast einen tüchtigen Vorsprung, Hiesel, wie allemal … aber ich hol’ Dich doch noch ein!“

Mit raschen Schritten eilte er die einsame Waldstraße hinan, der verlassenen Schmiede zu, und blickte, dort angekommen, scharf spähend über die winterliche Ebene hin. „Dort!“ rief er plötzlich in wilder Freude. „Was blitzt dort über den Schnee herauf … Eins, Zwei, Drei! Sie sind’s – es sind Soldaten – sie haben meine Botschaft also doch erhalten und kommen just zur rechten Zeit! Halloh!“ rief er und schwenkte wie grüßend die Mütze, „jetzt hat meine glückliche Stund’ geschlagen!“ Er eilte in die Stube, leerte den Wandschrank und machte sich daran, allerlei kleine Habseligkeiten in einen Bündel zu packen, wie Einer, der einen Ort verläßt, an den er nimmer wieder zu kehren gedenkt.

Er war noch vollauf beschäftigt, als Faustschläge an das Thor der Schmiede krachten und das Klirren niedergestoßener Gewehre hörbar wurde. Er öffnete und einige stattliche Grenadiere traten mit dem Anführer des Detachements in die Stube.

„Ist Er’s “ rief ihn der Lieutenant an, „der versprochen hat, den bairischen Hiesel auszukundschaften und uns zu überliefern?“

„Der bin ich,“ sagte der Rothe keck.

„Gut. Vorwärts dann! Wo ist der Versteck der Räuber? Führ’ Er uns hin!“

„Oho,“ erwiderte der Rothe mit häßlichem Lachen, „so geschwind wird das nicht gehn! Zuvor sind da ein paar Kleinigkeiten, die abgemacht werden müssen … Wie sieht es mit den tausend Gulden aus, die Demjenigen versprochen sind, der den bairischen Hiesel ausliefert?“

„Die soll Er haben – aber nur vorwärts!“

„Soll sie haben! Ist leicht gesagt … aber wann und wo? Das muß ich vorher wissen: ich mag nicht etwa nach Dillingen oder Augsburg hineingehen, und bei dem Köder stecken bleiben, wie die Maus in der Falle! Und wenn es vorbei ist, kann ich auch nicht mehr in der Nähe bleiben, der Hiesel hat noch immer gar viele Freunde – ich muß auf der Stelle fort!“

„Gut.“ rief ungeduldig der Lieutenant. „In dem Augenblick. wo Hiesel sich wirklich in unserer Gewalt befindet, zahl ich Ihm die tausend Gulden aus – ich habe sie zu diesem Zwecke in vollwichtigen Ducaten bei mir …“

„Schön – dann fehlt nur noch Eins …“ begann der Rothe wieder, den Officier und seine stattlichen Gefährten mit noch immer mißtrauischen Blicken musternd. „Wenn ich mitgehe und die Herrn führe … wer steht mir dafür, daß Sie nicht denken, … weil ich so gut Bescheid weiß um die Bande, ich könnt’ auch dabei gewesen sein, und behalten mich mit den Andern?“

„Es soll Ihm nichts zu Leid geschehn,“ rief der Lieutenant, „ich habe Vollmacht, Ihm General-Pardon zu geben für Alles, was er gethan hat, bis zum heutigen Tag’ – dafür bürgt Ihm mein Wort als Officier … ich bin der Grenadier-Lieutenant Schedel … Nun werden Seine Bedenken wohl zu Ende sein? Wo finden wir den Hauptmann?“

„Wenn Sie um ein Stündchen früher gekommen wären, hätten Sie ihn schon in Ihrer Gewalt … jetzt wird’s einen weitern Weg kosten und nicht so leicht abgehen. Lassen Sie Ihre Grenadiere den Weg am Walde hinab einschlagen: der Hiesel ist [384] in Osterzell und bleibt dort im Wirthshause über Nacht … er ist hingefahren, aber auf dem kürzern Weg, den ich Ihnen zeigen kann, sind wir vor Tagesanbruch lang schon dort und können das ganze Nest im Schlaf ausheben …“

„Ein tüchtiger Marsch!“ rief der Lieutenant. „Wie ich die Entfernung kenne, werden wir, zumal bei dem vielen Schnee, tüchtig auftreten müssen … also vorwärts! Er geht immer vor mir her, und wie ich etwa Unrath merke, laß’ ich Ihn auf dem Fleck fusiliren …“

„Darauf will ichs wagen,“ grinste der Rothe, „aber gehen Sie nur voran, Herr Officier … in einer Minute komm’ ich nach, muß nur erst noch ein wenig aufräumen und meinem Weibe sagen, wann ich wieder komme …“

Die Soldaten gingen und bald waren ihre Tritte verhallt. Der Rothe bückte sich zu der Fallthüre nieder, schob den Riegel zurück und wollte sie eben aufheben, als mit einmal die schwere Thüre, mit Gewalt emporgeschleudert, aufflog … Kundel stürzte heraus und mit Blitzesschnelle dem Ausgange zu. Eben so rasch aber hatte der Rothe nachspringend sie gepackt und zurückgerissen. „Oho,“ rief er, „was soll das bedeuten? Du hast wohl in dem Keller unten gehört, was da verhandelt worden ist, und willst wohl fort, Deinen alten Schatz zu warnen, damit ihm nicht geschieht, was einem so rechtschaffenen Mann gehört? … Bist eine gute Wirthin, Kundel – diesmal aber hast Du die Rechnung doch falsch gemacht … Hinunter wieder in den Keller! Da bleibst Du, bis ich morgen wieder komme … bis dahin ist der Hiesel schon, wo er hin soll, und dann gehst Du mit mir…“

Kundel antwortete nichts; sie vermochte es nicht vor Aufregung und wand sich nur mit Anstrengung all’ ihrer Kräfte, um sich aus seinen sie umklammernden Armen zu befreien; er hielt sie um den Leib gefaßt und suchte sie mit vorgestemmtem Knie nach der Kellerthüre hinzudrängen – einige Augenblicke war nur das Keuchen der Ringenden vernehmbar; es war ein grimmiger Kampf roher Bosheit mit verzweifelter Ohnmacht. Kundel hielt den Gegner mit der einen Hand an einem der Schnürknöpfe des Wammses gefaßt, mit der andern suchte sie an dessen Kehle zu gelangen … im Moment aber besann sie sich anders und machte eine Bewegung, das Stilet in seinem Besteck zu erfassen; der Rothe durchschaute ihre Absicht und kam ihr zuvor … im Augenblick blinkte das Dolchmesser in seiner Hand. Sie fiel ihm in den Arm und wollte es ihm entreißen … wüthender noch wurde der Kampf, … „Ich laß’ Dich nit,“ keuchte Kundel, „… Du sollst ihn nit verrathen … ich will ihn retten oder sterben …“

Es war nicht zu unterscheiden, wie es eigentlich so gekommen … im nächsten Augenblick war das Messer in Kundel’s Brust gedrungen; mit einem schwachen Schrei brach sie zusammen, hielt sich aber im Sinken noch stärker und krampfhafter an dem Wamms ihres Mörders fest … da brach der Knopf, die Berschnürung riß, blutüberströmt, regungslos, stürzte sie zu Boden …

„So ist Eins von den Zweien, was Du gewollt hast, doch wahr ’worden,“ sagte der Rothe indem er zurücktrat und sie einen Augenblick mit scheuen Blicken betrachtete … „Ich hab’s anders im Sinn gehabt – aber Du hast es selber nit anders haben wollen…“

[397] Der Morgen des andern Tags kam spät und trübe herauf; der Nebel lag so tief und dicht, daß es kaum möglich war, drei Schritte vor sich zu sehen. Hiesel hatte im Osterzeller Wirthshaus nur ein paar Stunden auf der Ofenbank in unruhigem Schlafe zugebracht: die Erwartung des Kommenden hielt ihn in beständiger Erregung und weckte ihn früh. Schon zur Weiterreise gerüstet [398] schritt er in der Gaststube hin und wieder, in Bilder der Heimath, Bilder der Liebe und Erinnerung um so enger verstrickt, je sorgsamer und strenger er bis dahin jede Erinnerung von sich ferne gehalten … er zählte die Secunden, bis die Cameraden kamen, die es sich nicht wehren lassen wollten, ihm noch eine Strecke das Geleit zu geben; dann sollte Abschied genommen werden auf Wiedersehen und Wiederfinden in Ulm.

Endlich erschienen sie – aber mit verstörten Gesichtern.

„Wir bringen nichts Gutes,“ rief der Tiroler, „wir sind verrathen, Hiesel! O, hättest Du mir doch gefolgt und wären wir nicht mehr umgekehrt!“

„Was ist denn geschehn?“ fragte Hiesel, nach der Büchse greifend.

„Ein ganzes Detachement von Augsburgischen Grenadieren ist uns im Nebel über den Hals gekommen … das Wirthshaus ist schon von allen Seiten umstellt!“

„Nur ruhig, ruhig, Cameraden,“ erwiderte Hiesel, indem er rasch durch einige Blicke nach Fenster und Thüren sich von der Richtigkeit der Nachricht überzeugt hatte … „Es ist wahr, am vordern und hintern Ausgang blitzen Musketen … schnell über das Hausfletz in die Küche! Von dort führt auch eine Thür ins Freie … dort sind wir jedenfalls rückenfrei und können nach drei Seiten schießen …“

Sie stürmten nach der Küche, einem geräumigen Gewölbe, das außer den beiden sich gegenüberliegenden Thüren keinen Ausgang hatte, als in die ebenfalls gewölbte Speisekammer – der Lieutenant hatte zu viele Muße gehabt, seine Vorkehrungen zu treffen: kein Weg des Entrinnens war offen geblieben. „So müssen wir uns halt unsrer Haut wehren,“ rief Hiesel, „und das bissel Leben so theuer verkaufen, wie es nur anzubringen ist!“

Kaum hatte er seine Anordnung getroffen, daß je zwei an jeder Thür sich aufstellen und das Feuer unterhalten, die Andern nur laden und den Schützen die Gewehre hinreichen sollen – kein Schuß Pulver sollte vergebens abgebrannt werden, keine Kugel ihr Ziel verfehlen – als am Fenster der Lieutenant erschien und mit lauter Stimme im Namen des Fürstbischofs von Augsburg als des Landesherrn zur Ergebung aufforderte und denen, welche sich sogleich fügen würden, die geringste Strafe verhieß.

„Das ist unsere Antwort!“ rief Hiesel und drückte los, mit dem sichren Stutzen mitten auf die Brust des Officiers zielend; aber das Pulver in der Pfanne brannte vergeblich auf, zum erstenmale versagte das nie fehlende Gewehr seinen Dienst. Erbleichend und mit einem wilden Fluche warf er es den Andern zu, um die Ladung zu untersuchen – aber der Officier war gerettet und damit wohl der Ausgang des Unternehmens entschieden: hätte der erste Schuß den Anführer hingestreckt, so würde die Mannschaft vor dem Ungestüm der Wildschützen schwerlich wieder Stand gehalten haben.

Da mit dem Widerstande die Ergebung als verworfen erscheinen mußte, ließ der Lieutenant seine Grenadiere zum Angriff gegen die Thür vorrücken, aber die Wildschützen waren hinter den verrammelten Thüren geborgen und auf jeden ihrer Schüsse stürzte ein Mann, um nie wieder aufzustehen. Schuß auf Schuß krachte hin und wider, die Thüren waren schon wie Siebe durchlöchert, die Grenadiere hatten bereits zwei Todte und viele schwer Verwundete, und noch war kein Ende des Kampfes abzusehen; die Belagerer änderten daher in etwas ihren Plan.

„Courage, Cameraden!“ rief Hiesel. „Wenn wir die Kugeln gehörig aufsparen und recht sicher zielen, machen wir sie mürbe und wenn ihrer noch so viel wären! Wir schlagen uns doch noch durch – der Wald kann keine fünfzig Schritte entfernt sein!“

„Horch, was ist das?“ rief der Tiroler entgegen. „Was ist das für ein Gepolter über uns?“

Dumpfe gewaltige Schläge erdröhnten von oben, der Kalkbewurf des Gewölbes fiel in Stücken herab.

„Sie sind über uns … sie schlagen das Gewölb’ ein …“

„So deckt Euch,“ rief Hiesel, „daß sie Euch nicht erreichen können … wie das Loch durch ist, gebt ihnen gleich eine ordentliche Ladung zu verkosten!“

Jetzt prasselten Steine hernieder, eine dichte Staubwolke wälzte sich auf und durch dieselbe blitzten die sichern Schüsse der Wilderer den Eindringenden entgegen – Geschrei der Getroffenen antwortete; aber auch die Soldaten hatten ihren Mann sicher gefaßt. Eine Kugel drang dem Tiroler, der sich zu weit vorgewagt hatte, in Kinn und Hals und schmetterte ihn zu Boden. „B’hüt Gott, Hiesel …“ rief er im Stürzen, „mit mir ist’s aus …“

„B’hüt Gott, Peter,“ rief Hiesel entgegen, „hab’ jetzt keine Zeit zum Abschiednehmen, wir gehn wohl bald miteinander …“

Die Soldaten hatten sich indeß überzeugt, daß das Durchbrechen des Gewölbes ihnen nicht viel genützt habe; sie begannen daher Patronen, mit Stroh umwickelt anzuzünden und in die Küche hinab zu werfen, um die Eingeschlossenen zur Ergebung zu zwingen. Der erstickende Dampf nöthigte diese auch, sich aus der Küche in das Speisegewölbe zurückzuziehn, aber er vertrieb auch die Belagerer und das brennende Stroh drohte das Haus selber in Brand zu setzen. Eine Kufe voll Bier, das oben zum Kühlen aufgestellt war, mußte zum Löschen dienen und machte die Lage der Eingeschlossenen noch verzweifelter. Der Lissaboner Bäck wollte mit raschem Sprunge die eine Thüre erreichen, um vielleicht durch sie einen gewaltsamen Ausweg zu finden; mitten im Sprunge traf ihn eine Kugel und streckte ihn auf das halbbrennende Stroh, daß er theils in dem entsetzlichen dicken Qualm erstickte, theils in dem herabströmenden Bier ersoff. Der Sattler war verzagt geworden und hatte sich in den Kamin geflüchtet, der Blaue war ins Ofenloch gekrochen, der Sternputzer lag mit einer schweren Kopfwunde bewußtlos in der Ecke …

Vier Stunden schon hatte der Kampf gedauert; Hiesel allein stand noch aufrecht, die letzte Kugel rollte in den Lauf … Widerstand war nicht länger möglich, kein Zagen kam in sein furchtloses Herz, aber die Möglichkeit sich zu retten, vielleicht doch noch entrinnen zu können, stieg in ihm auf.

„Wenn es noch Pardon giebt,“ rief er durch die Thür, „so will ich mich ergeben …“

Im Augenblick wurde das Feuern eingestellt; die Thür ging auf, Hiesel stand dem Lieutenant gegenüber mit wirrem Haar und pulvergeschwärztem Angesicht … Erschüttert bot er dem Officier seine Hand. … „Sie tragen den Officiersrock,“ sagte er, „Sie werden ein Ehrenmann sein … Ihnen ergeb’ ich mich: ich heiß’ Matthias Klostermaier …“

In der Stube des halbzerstörten Hauses musterte der Lieutenant seine Mannschaft, traf Anordnungen wegen der Gefallenen und Verwundeten und sandte nach allen Seiten Boten ab mit der Nachricht des endlich errungenen Sieges.

Der Rothe, der sich während des Gefechts fern gehalten, schlich behutsam ins Zimmer. „Ich hab’ mein Wort gehalten,“ sagte er, „nun bitt’ ich, daß der Herr Lieutenant das seinige auch hält und mir meine Belohnung ausbezahlt …“

„Die soll Er haben,“ rief Schedel abgewendet, indem er einen schweren Beutel auf den Tisch warf. „Feldwebel, zahl’ Er dem Burschen seinen Lohn aus, ich mag nichts damit zu schaffen haben …“

„Komm’ her, Judas,“ sagte der Feldwebel und begann die Goldstücke vor dem Rothen aufzuzählen, in dessen Augen wilde Gier funkelte und dessen Hände zuckten, als könne er den Augenblick nicht erwarten, wo dieser Schatz völlig sein gehören sollte.

Ein Sergeant trat inzwischen ein und meldete dem Lieutenant, daß er mit einer Abtheilung Grenadiere zur Verstärkung nachgeschickt worden, und da er an dem bezeichneten Treffpunkte, in der verlassenen Schmiede, Niemand mehr angetroffen, den Spuren nachmarschirt sei, bis vor einigen Stunden das Schießen ihm vollends den Weg gezeigt habe. „Schade,“ schloß der Sergeant, „daß wir zu spät gekommen sind, es muß heiß hergegangen sein und die Wildschützen müssen sich tüchtig gewehrt haben! Hätt’ mich wohl auch ein wenig mit ihnen herumraufen mögen! Aber etwas Merkwürdiges haben wir doch auch erlebt … in der verlassenen Schmiede haben wir eine Todte gefunden!“

„Eine Todte?“ rief verwundert der Officier – der Rothe bebte zusammen.

„Ja, Herr Lieutenant, eine Ermordete noch dazu; eine junge saubere Person mit einem Stich in Brust und Hals und ihre Hände so fest wie im Krampf geschlossen, und wie wir die eine davon öffneten, hielt sie diesen Knopf und diese Schnüre darin – es ist kein Zweifel, sie hat sich gegen den Mörder gewehrt und im Ringen ist ihr das in der Hand geblieben!“

Der Rothe war immer mehr erblichen und wankte; die Goldstücke auf dem Tische tanzten vor seinen Augen durcheinander wie Feuerfunken der Hölle.

[399] „So,“ sagte der Feldwebel, der seinen Mann wohl beachtet und auch die Meldung des Sergeanten nicht überhört hatte, „da hast Du Deinen Judas-Lohn! Was wirst damit machen?“

„Das brauch’ ich wohl Ihm nicht zu sagen,“ erwiderte der Rothe keck, indem er mit hastig bebender Hand die Dukaten in seinen Geldgurt streifte; er suchte seine Betroffenheit hinter einem zuversichtlichen Wesen zu verbergen.

„Da hast Du allerdings nicht Unrecht, Kerl,“ sagte der Feldwebel wieder, „aber vielleicht kann ich Dir was rathen, was Du damit thun könntest …“

„Und was wäre denn das ?“ stammelte der Rothe.

„Daß Du Dir ein Stück Tuch und einen Knopf kaufst und das Loch da in Deinem Wamms ausstückeln lassen sollst …“

Der Rothe schwankte und mußte sich auf den Tisch stemmen. „Ich weiß nicht, wie ich dazu gekommen bin,“ würgte er hervor, „ich muß irgendwo hängen geblieben sein …“

„Du weißt es nicht, Kerl?“ rief der Feldwebel und vertrat ihm den Weg. „Dann will ich Dir’s sagen … Der bairische Hiesel ist vielleicht ein arger Spitzbub und Verbrecher gewesen, aber er hat Ehr’ im Leib’ und Courag’ wie der Teufel; Du bist einmal sein Camerad gewesen und hast ihn doch verrathen! Wer das kann, der kann auch mehr – der kann auch ein Weibsbild umbringen, das ihm im Weg’ ist …“

„Was fallt Ihm ein …“

„Mir fallt ein, daß Du in der Schmiede gewesen, daß Du von Deinem Weib geredet und dort zurückgeblieben bist … die Ermordete hat diesen Knopf da in der Hand gehabt, an Deinem Wamms fehlt er und der Mörder bist Du! Streich’ Dein Sündengeld zusammen, Schandkerl, und nimm’s – nutzen wird Dich’s nicht viel, denn Dich selber nehmen wir beim Schopf!“

Halb ohnmächtig, schwankend zwischen Grimm und Verzweiflung ward der Verbrecher ergriffen und gebunden. „Bringt ihn fort,“ rief der Feldwebel, „aber nicht zu den Uebrigen … die haben wir in ehrlichem Gefecht gefangen genommen, denen wollen wir die Schand’ einer solchen Gesellschaft nit anthun!“ – So war die furchtbare Wildschützenbande vernichtet, der bairische Hiesel überwältigt und erwartete im Gefängniß zu Dillingen den Ausgang des peinlichen Verfahrens, das über ihn und seine Genossen eröffnet wurde. Dort traf er mit dem Buben wieder zusammen, der schon zuvor dahin abgeliefert worden war.

Hiesel blieb sich auch in Gefängniß und Verhör gleich; er hatte bald seine volle Ruhe wieder gefunden und selbst die alte Heiterkeit kam manchmal zurück. Er leugnete nichts von Allem, was er gethan, aber er wehrte sich mit Eifer dagegen, wenn ihm eine Rohheit, eine That des wilden Uebermuths zur Last gelegt werden wollte, die von seinen Genossen begangen worden war. Mit Vergnügen erzählte er von den bestandenen Abenteuern und Gefahren und kam seinen Richtern gegenüber oft so sehr in Zug, daß er Manches rückhaltlos erzählte, was mindestens vor diesen Zuhörern besser verschwiegen geblieben wäre. Beharrlich verweigerte er jede Auskunft darüber, wer ihm etwa Wild abgekauft, wer ihn beherbergt und ihm eine freundliche Warnung gesandt habe. „Wenn ich was Unrechtes gethan hab’,“ sagte er, „so soll meinetwegen Niemand was Unliebes geschehn; ich denk’, ich werd’s wohl allein ausmachen können!“

Der Proceß war sehr umfangreich und darum langwierig; endlich war er doch so weit vorgerückt, daß das Urtheil von Augsburg, wohin die geschlossenen Acten eingeschickt worden waren, jeden Tag eintreffen konnte.

Hiesel erwartete es in vollster Unbefangenheit; er dachte gar nicht des Kommenden, zumal nachdem man den treuen Buben in dasselbe Gefängniß zu ihm gelegt hatte: man hatte die Bitte Beider gewährt, da doch eine Gefahr, daß sie schädliche Verabredungen treffen könnten, nicht mehr bestand. Seitdem war Hiesel fröhlich und guter Dinge, und Beide sangen wieder zusammen die geliebten Lieder vom lustigen Wildschützenleben im freien grünen Wald.

Eines Abends hatten sie wieder zusammen gesungen, bis der Wächter Stille geboten hatte; Anderl war eingeschlafen, Hiesel wachte noch und sah in das Dunkel der Nacht und des Gefängnisses vor sich hin – plötzlich fuhr er von seinem Strohlager empor und lauschte.

… Vom Fenster der Keuche her ließ sich ein sonderbarer Ton vernehmen, wie das Zischen einer Feile, die an den Eisenstangen des Gitters arbeitete.

„Was giebt’s?“ flüsterte Hiesel. „Wer ist da?“

„Ich bin’s …“ flüsterte es entgegen. „Kennst mich nicht?“

„… Studele … Du ?“

„Ja, ich bin’s. Ich hab’s nit übers Herz bringen können, daß ich Dich verlassen sollt’ in der Noth. Wie ich gehört habe, daß Du gefangen bist, bin ich hieher nach Dillingen und hab’ mich in dem Brauhaus nebenan als Knecht verdungen. Glücklicher Weis’ hat Niemand was Arges gedacht, sie haben mich aufgenommen, und so hab’ ich Gelegenheit gehabt und hab’ Alles in der Still’ vorbereiten können und auskundschaften … Gieb Acht, ich drück’ das Fenster ein und werf’ Dir die Feile zu, daß Du Deine Ketten losmachen kannst …“

Die Fensterscheibe knackte, aber sie klirrte nicht, die Scherben hingen an dem mit Leim bestrichenen Tuche, das Studele an das Glas angedrückt hatte.

„Ich brauch’ die Feile nicht,“ rief Hiesel, „ich bin nicht angekettet …“

„Was? Das ist ja herrlich! Dann haben wir’s nur mit dem Gitter zu thun, aber das sitzt teuflisch fest! Ich hab’ nur die eine Stange wegbiegen können: aber vielleicht ist das Loch doch groß genug, daß Du durchschlüpfen kannst … Versuch’ es einmal …“

Hiesel schwang sich hinauf und suchte sich zwischen den Stäben durchzudrängen, es war unmöglich; auch die Anstrengungen Beider, die übrigen Stangen loszurütteln, waren vergeblich, da alles Geräusch vermieden werden mußte. „Es geht nicht,“ sagte Hiesel endlich, „Du siehst, es soll nit sein! Ich dank’ Dir, Studele, für Deinen guten Willen … aber mach’, daß Du fort kommst, damit sie Dich nicht auch noch erwischen … Nimm den Buben mit Dir und nachher Bhüt’ Dich Gott …“

„Den Buben?“ fragte Studele zögernd.

„Ja – wirst Dich doch nit besinnen, Studele? … Komm her, Anderl,“ rief er dem Buben zu, der ebenfalls erwacht, mit glühenden Wangen mitgeholfen hatte und noch an dem Gitter zu rütteln versuchte. „Ich hab’ Dir versprochen, daß ich wie ein Bruder für Dich sorgen will … jetzt kann ich’s halten! Du bist noch jung, Anderl, Du kannst noch ein anderes Leben anfangen, kannst noch ein anderer Mensch werden … thu’s! Geh’ mit dem Studele, folg’ ihm, wie Du mir gefolgt hast, und wenn’s Dir einmal gut geht … nachher denk’ an mich!“

Der Bub brach in Thränen aus und umfing Hiesel’s Kniee. „Nein,“ rief er, „ich geh’ nit von Dir! Was Dich trifft, Hiesel, soll mich auch treffen …“

„Geh, Anderl,“ sagte Hiesel, „ich will’s haben! Folg’ Deinem Hauptmann zum letztenmal … geh mit dem Studele … und Du, bester von allen Cameraden und liebster von alle’ Freund’, nimm’ Dich um den Buben statt meiner an … Bhüt’ Euch Gott miteinander, und wenn Ihr an mich denkt … und daß Ihr zwei mich nicht vergeßt, das weiß ich … wenn Ihr an mich denkt, dann betet ein Vaterunser für mich …“

„Ich kann nit so gehn, Hiesel,“ rief Studele, „wir wollen noch einen Versuch machen …“

„Es ist vergebens … macht nur, daß Ihr Beide fortkommt, eh’ Euch die Wächter gewahr werden … Fort, ich hör’ schon ein Geräusch draußen auf dem Gang …“

Er hob den Buben, der sich weinend an ihn hielt, zu dem Fenster empor und half ihm durch das Gitter schlüpfen. Ich komm’ noch einmal wieder,“ rief Studele und verschwand …

Er kam nicht wieder.

Am andern Tage ward der Ausbruch und die Flucht des einen Gefangenen entdeckt und der Zurückgebliebene in ein besser verwahrtes Gefängniß gebracht.

Kurze Zeit nachher kam das Urtheil; es lautete:

„In peinlichen Verhörsachen entgegen und wider den Mathias Klostermaier, sogenannten bayrischen Hiesel, von Kissing des Landgerichts Friedberg in Bayern gebürtig, wird auf dasselbe gerichtliche und gütliche Bekenntniß, auch hierüber eingenommene eidliche Erfahrungen, nach gepflogenem genauen Rechtsbedacht und der Sache reif erwogenen Umständen von der hochfürstlich-augsburgischen weltlichen Regierung mit Urtheil zu Recht erkannt, daß dieser Erzbösewicht wegen seiner vielfältigen Wilddiebereien, öffentlichen Gewaltthaten, Landfriedensbrüchen, Räubereien und vorsätzlichen [400] Todtschlägen den göttlichen, natürlichen und menschlichen Gesetzen auf die vermessenste und ärgerlichste Weise zuwider gehandelt und dahero das Leben verwirkt habe: weßwegen derselbe zu seiner wohlverdienten Strafe, Andern aber zum abscheuenden Beispiel, dem Scharfrichter zu Handen und Banden übergeben, zur Richtstatt geschleift, daselbst mit dem Rade, durch Zerstörung seiner Glieder von oben herab, vom Leben zum Tode gerichtet, alsdann der Kopf von dem Körper gesondert, dieser aber in vier Stücke zerhauen und an den Landstraßen aufgehangen, der Kopf hingegen auf den Galgen gesteckt werden solle …“

Der Richter fragte nach der Verlesung, was der Verurtheilte noch zu sagen habe.

„Nichts,“ erwiderte Hiesel gelassen, „… nichts, was ich nicht schon oft genug gesagt habe … Ich bleib’ einmal dabei, daß das Wild frei ist im Wald … die Herren hätten das Bauernvolk gegen das Wild schützen sollen, sie haben’s nit gethan, und weil ich mich’s unterstanden hab’, haben sie mich verfolgt und richten mich … In Gottes Namen, ich hab’ mich vor dem Sterben nie gefürchtet und ob es ein bissel früher oder später geschieht, … was macht es aus? In fünfzig Jahren,“ fuhr er fort, indem er lächelnd die ganze Versammlung überblickte, „ist auch von Allen, die da vor mir sind, Niemand mehr am Leben!“

Dem Spruche folgte der Vollzug auf dem Fuße – blutig, wie jene Zeit die Gerechtigkeit üben zu müssen glaubte; die Gegenwart, welcher die Todesstrafe selbst schon zum Unrecht geworden, wendet sich von den Gräueln, womit diese damals noch ausgeschmückt wurde, mit Schauder hinweg.

Am Tage vor dem Tode ging die Thür zu Hiesel’s Gefängniß auf; auf der Schwelle stand ein greiser Mann in priesterlichem Gewande, neben ihm ein schwarzgekleidetes Mädchen, das die weinenden Augen und das bleiche Gesicht in einem Tuche verbarg.

„Hiesel,“ rief der Geistliche, „Du bist nicht mehr zu uns gekommen – aber die wahre Liebe läßt nicht von dem Gegenstande, den sie einmal erkoren, darum kommen wir zu Dir …“

„Herr Pfarrer …“ rief Hiesel, „Monika …“ wollte er rufen, allein die Stimme versagte ihm, schon hing sie an seinem Halse, aber wortlos und wie ohne Bewußtsein – nur ihr Schluchzen und das Beben des Körpers verrieth, daß noch Leben in ihr war.

„O Ihr guten, guten Menschen … fuhr Hiesel erschüttert fort … „ja, Ihr habt es gut gemeint mit mir … Ihr habt mich wirklich gern gehabt! Könnt Ihr mir denn verzeihn, was ich Euch angethan hab’?“

„Wir Menschen haben kein Recht, einander zu grollen,“ erwiderte der Priester, „hienieden sind wir Alle schwach! Wir haben Dir lang’ verziehn. Dein Vater schickt Dir durch mich einen letzten Gruß – Deine Schwester auch! Sie bedauert ihre Hartherzigkeit, die vielleicht mit geholfen, Dich vom Hause fort zu treiben … sie bittet Dich um Verzeihung für jedes harte Wort, Du sollst es ihr nicht nachtragen in die Ewigkeit …“

„Und Du, Monika?“ rief Hiesel, unter Thränen zu ihr niedergebeugt. „Und Du?“

„Sie hat,“ erwiderte der Pfarrer für sie, „ihr Heil in dem gefunden, in welchem das Heil unser Aller liegt! Du kannst ruhig hinüber gehn, Du wirst eine treue unermüdete Fürbitterin haben bei Gott …“

Monika kam etwas zu sich und richtete sich halb auf, aber der Blick der vom Weinen verblichenen blauen Augen war wie verwirrt und das Lächeln, mit dem sie zu Hiesel empor sah, stimmte nicht zu dem traurigen Ort und der ernsten Begegnung.

„Gelt, Hiesel,“ sagte sie halblaut, „ich hab’ Dir’s vorher gesagt, es kommt eine Zeit, wo Du’s erst einsiehst, wie gern ich Dich hab … Ich bin Dir treu ’blieben, Hiesel … warum hast mich so lang nit geholt in das schöne Jägerhaus … draußen im Wald … mit den lustigen grünen Läden? … Ich bleib’ Dir allemal treu … ich will schon warten, bis daß Du kommst und mich abholst …“

Der flüchtige halbe Sonnenblick der Besinnung schwand und Ohnmacht umfing sie wieder. –

„Es ist besser so,“ sagte der Pfarrer und winkte den Dienern, „laß sie so von Dir gehn, Hiesel … erspare Dir und ihr die nutzlose Qual! Auch ich muß von Dir scheiden … laß mich’s mit der Hoffnung thun, daß ich Dich drüben unter meinen Pfarrkindern wieder finden werde! Versöhne Dich mit Gott; trage, was über Dich verhängt ist, als Mann und Christ und büße durch einen reuigen Tod, was Du hienieden verbrochen … O mein Sohn, mein unglücklicher Sohn …“ fuhr er, selbst von Rührung ergriffen, fort, „mußte ich so furchtbar Recht behalten, daß Dein Trotz es werde erfahren müssen, Gewalt zu leiden!“

„Ich will als ein guter Christ sterben,“ sagte Hiesel fest, ihn zur Thür geleitend … „aber was ich leide, ist wirklich nur Gewalt – ob es Recht ist, will ich unsern Herrgott fragen …“

Er endete standhaft. Mit ihm starben der Blaue und der Rothe unter dem Schwerte des Nachrichters; der Sternputzer war im Gefängniß seinen Wunden erlegen.

Studele wandte sich ins Bairische; in der Gegend von Althegnenberg erwarb er ein kleines Gütchen, das er still bewirthschaftete, bis ins hohe Alter seinem Hauptmanne in der Erinnerung getreu und für sein Andenken begeistert.

Der Bube folgte der Trommel und hielt sich wacker; unter den bei Leipzig auf dem Felde der Ehre Gefallenen war der österreichische Hauptmann Andreas Mair – die Sage will, er sei Hiesel’s Liebling gewesen, dessen jugendliche Vergangenheit man wohl gekannt oder doch vermuthet, aber absichtlich übersehen habe, um seiner Trefflichkeit willen.

Fünf Jahre noch beweinte der allgemach ganz erblindete greise Bildschnitzer den unglücklichen verirrten und wohl eben darum doppelt geliebten Sohn; dann ward ihm der Tod ein sicherer Trost.

Die treue Monika starb erst 1820 … eine unschädliche Geisteskranke, die man frei gewähren ließ, die fast mit Niemand sprach, unermüdlich arbeitete, aber ohne Unterbrechung dazu betete. An Festtagen setzte sie wohl das Kränzel auf, das sie bei der Erdweger Hochzeit getragen, und wenn einer der jüngern vorwitzigen Burschen sie um die Bedeutung fragte, erwiderte sie lächelnd, das sei um ihres Hochzeiters willen, auf den sie warte – als sie ausgewartet hatte, gab man ihr das Kränzel mit in die Grube.

Das Andenken an Hiesel selbst ist im Volke noch sehr lebendig, zumal in den Gegenden, wo er heimisch war und am häufigsten gehaust; obwohl das, was er gewollt, lange erreicht und was damals ein Verbrechen war, zu einem auf Gesetz und Recht ruhenden festen Zustande geworden, denkt das Volk noch gern des kühnen Wildschützenhauptmanns, dessen Kraft, auf andere Wege geleitet, wohl zu einem andern Ende geführt haben würde. Er ist viel besungen im Volksliede von Freund und Feind; aus einem Spottliede über ihn hört man wohl noch einzelne Absätze, wie

Der gute Stutzen kracht nicht mehr;
     Aus seinem Mundloch geht,
Euch zu erschrecken, wie vorher
     Kein bleiernes Billet!

Er hat das Forstrecht lang studirt
     Und mit dem Jägercorps
So scharf und hitzig disputirt,
     Daß es den Sieg verlor.

Der Jäger Einwurf war sehr matt
     Auf Hiesel’s Argument,
Doch endlich machte der Soldat
     Dem Disputat ein End!

Oefter aber und lieber, wenn auch gegenstandslos geworden, hört man das alte, schon am Anfang erwähnte Lied, das also schließt:

Und kommt die letzte Stunde
     Und mach’ ich d’ Augen zu,
Soldaten, Scherg’n und Jaga,
     Erst dann habt’s vor mir Ruh!

Da wird si’ ’s Wild vermehren
     Und springen kreuzwohlauf,
Und d’ Bauern wer’n oft rufen:
     Geh, Hiesel, steh’ wieder auf!