Textdaten
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Titel: Der alte Gelehrte
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aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 635–636
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[621]

„Heureka! – Ich hab’s gefunden!“
Nach seinem Oelgemälde auf Holz gezeichnet von Otto Goldmann.

[635] Der alte Gelehrte. (Mit Abbildung S. 621.) „Heureka! – Ich hab's gefunden!“ ruft soeben in gedämpftem Tone der alte Naturforscher auf unserem heutigen Bilde; mit Genugthuung betrachtet er den Inhalt der Kochflasche, in welcher nach langem Brühen und Sieden die verschiedenartigen Elemente endlich sich zu einer neuen chemischen Verbindung vermählten. „Heureka!“ murmelt er zum wiederholten Male und fühlt sich in diesem Augenblicke vielleicht ebenso stolz und selbstbefriedigt, wie der griechische Weise Archimedes, der dieses historisch gewordene Wort in freudiger Erregung ausgebrochen, als er im Bade an seinem eigenen Körper die Entdeckung von der Gewichtsabnahme fester Körper im Wasser gemacht und damit das lang gesuchte Mittel gefunden, die unehrlichen Goldarbeiter zu überführen, daß sie in die Krone des Tyrannen statt des ihnen übergebenen Goldes viel unedles Metall hineingearbeitet hatten. Die Hand unseres sinnenden Alten ruht noch auf dem dicken Folianten, in welchem über die Natur des von ihm nunmehr sicher festgestellten Stoffes nur dunkle Vermuthungen niedergeschrieben wurden, und ebenso hell und klar wie der Sonnenschein, der, durch das Fenster hereinfallend, sich in der Flüssigkeit des Fläschchens in bunten Farben bricht, strahlt der warme Schein edler innerer Freude über das vom Alter gefurchte Antlitz des glücklichen Gelehrten als ob er sprechen wollte:

„So, nun hab' ich in diesem Punkte die Wissenschaft um einen Schritt vorwärts gebracht.“

Mit diesem Naturforscher hat Meister Goldmann einen glücklichen Griff gethan; er hat uns hier in lebenstreuer Situation eine Art von Gelehrten vorgeführt, deren Bekanntschaft wir jetzt nur noch in Bildern machen, einen Naturforscher aus der alten Schule, hie heute so gut wie ausgestorben ist.

Ja, in unseren Tagen brüten die Erfinder und Entdecker nicht mehr in dunklen Kammern oder in düstern durch Knochengerippe und allerlei in Spiritusgläsern conservirtes Gethier ausgestatteten Laboratorien; heute führt man für hie Naturwissenschaften palastartige Bauten auf, in deren hellen geräumigen Sälen der gelehrte Herr Professor, umringt von seinem Assistentenstabe und mit allen Hülfsmitteln der Wissenschaft ausgerüstet, seine Arbeiten vollendet. Und die Völker, welche zu der Errichtung dieser großartigen Anstalten das Geld hergaben, haben diese Aenderung der Dinge nicht zu bereuen. Das beweisen die Fortschritte der Neuzeit, die unzähligen, in sinnreichen Apparaten gebändigten Naturkräfte, die für den Menschen arbeiten und, ihn von physischer Arbeit immer mehr entlastend, die Lösung her Sclavenfrage im weitesten Sinne des Wortes vollziehen.

So etwa dachten wir bei Betrachtung des Bildes, welches heute die „Gartenlaube“ ihren Lesern vorführt; dann aber fragten wir uns auch noch: müssen wir die Verdienste jener Naturforscher vergangener Zeiten nicht um so höher ehren und schätzen, weil sie ihr wissenschaftliches Thun [636] und Treiben vor den Augen einer finsteren intoleranten Oeffentlichkeit verbergen mußten, und ohne Aussicht auf glänzende Erfolge in dieser Welt, oft in selbstentsagender harter Arbeit die Grundsteine schufen, auf denen sich der stolze Bau der heutigen Naturwisssenschaft majestätisch erhebt?