Der Weinstock und seine Behandlung

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Titel: Der Weinstock und seine Behandlung
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aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 224–225
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Weinstock und seine Behandlung.

Der Weinstock gehört durch sein rasches Wachsthum, seine lange Lebensdauer und Fruchtbarkeit unleugbar zu den edelsten und am weitesten verbreiteten Obstsorten. Er gedeiht vom 10–55° nördlicher Breite und zwar fast in jedem Boden. Ohne Schaden erträgt er einen Kältegrad von 12–16° R. Er hat weniger Feinde, leidet seltner in seiner Blüthe und trägt darum beständiger und reichlicher wie jede andere Obstsorte. Seine Früchte gehören zu den erquickendsten und welche Rolle der gekelterte Saft der Reben spielt, haben die Dichter in tausend Liedern uns gesungen. – Darum darf man sich nicht wundern, daß man den Weinstock so vielfach, wo es ein geeignetes Plätzchen giebt, angepflanzt findet. Mehr muß man sich wundern, daß er nicht noch viel verbreiteter ist, am meisten Wunder und zugleich Bedauern erregt es aber, wenn man sieht, daß diese edelste Naturgabe so häufig unter der unzweckmäßigsten Behandlung leidet. Darum soll hier ein Versuch gemacht werden, die wichtigsten allgemein anerkannten Regeln: Ueber das Beschneiden und die dahin gehörige Behandlung des Weinstocks am Spalier in unserm Klima, in möglichster Kürze aufzustellen. – Bekanntlich bedarf der Weinstock zu jeder Ernte zwei Jahr. Im ersten müssen die Reben wachsen und reif werden, die uns dann im zweiten Jahre erst die Trauben bringen. Die erste Sorge eines guten Weinzüchters muß also dahin gerichtet sein, sich tragbare d. h. lange, kräftige und reife Reben zu erziehen. Die Hauptarbeit (das Kappen) um diesen Zweck zu erreichen, muß im Frühjahr vor der Blüthe vorgenommen werden und zwar so bald die jungen Triebe die Trauben angesetzt haben und über der letzten Traube 3–4 Blätter sichtbar sind. (Das Kappen bis nach der Blüthe zu verschieben, ist höchst unzweckmäßig, denn das Wachsthum hat sich in alle Triebe und am meisten in die obersten, dann schon so vertheilt, daß die untersten, die doch, soll der Stock in Ordnung bleiben, zu Zuchtreben gezogen werden müssen, im Wachsthum merklich zurückgeblieben und nicht mehr zu Zuchtreben tauglich sind. Auch ist der Stock dann schon so belaubt, daß man keine Uebersicht mehr über denselben hat und folglich in’s Ungewisse, ohne Zweck und Ziel kappen muß und darum auch nur eine sehr unvollständige Arbeit liefern kann.)

Die Arbeit des Kappens selbst besteht nun einfach darin, daß man, nachdem man den Stock sich genau angesehen und nach Bedürfniß und Nothwendigkeit die Triebe ausgewählt hat, die man zu künftigen Zucht- oder Tragreben erziehen will, auf folgende Weise verfährt: Alle Triebe die keine Zuchtreben werden. sondern blos Trauben tragen sollen, kappt man über dem zweiten oder dritten Blatte über der letzten Traube, d. h. man bricht oder schneidet an der bezeichneten Stelle (s. Abbldg.) den Trieb weg, der nun nicht weiter wächst. Dieser gekappten Rebe nimmt man im Laufe des Sommers auch alle Nebenzweige, Ableiter oder Geiz genannt. Anders verfährt man aber mit der [225] künftigen Zucht- oder Tragrebe, wozu man die geeignetste der untersten drei Schößlinge gewählt hat. Diese Zuchtrebe bleibt vom Messer gänzlich unberührt. Sie wird nicht gekappt und ebensowenig darf man ihr den Geiz nehmen; so daß sie bis Ende Juli vollständig und ungehindert wachsen kann. Nur die Gabeln entfernt man gelegentlich von derselben. Ende Juli aber schneidet man auch der Zuchtrebe die Spitzen ab, weil nun ihr Wachsthum in die Länge hinreichend vollendet ist. Vier Wochen später, also Ende August, kappt man auch den Geiz an der Zuchtrebe, aber niemals tiefer als auf drei oder vier Augen. (Da der Geiz, richtiger Ableiter genannt, bestimmt ist, den überflüssigen Holztrieb zu beseitigen, so wäre die Folge, wenn er zu früh oder ganz entfernt würde, daß der Holztrieb in das am Geiz sitzende schlafende Auge träte, und diesen statt zu einer künftigen Fruchtrebe, nur zu einer Holzrebe machte und damit wäre die künftige Ernte im voraus zerstört.) – Hat man den Weinstock im Frühjahr auf diese Weise behandelt, so werden die Zuchtreben mächtig wachsen und man hat im Laufe des Sommers nichts weiter zu thun, als dieselben fleißig und zwar so anzubinden, daß sie gehörig von Luft und Sonne getroffen werden können, Ende Juli die Spitze der Rebe und Ende August den Geiz einzustutzen. Nun bleibt blos noch der Herbstschnitt übrig. (Im Frühjahr darf der Weinstock nie geschnitten werden, weil die Schnittwunden dann so stark bluten und dem Stock eine solche Säftemasse entziehen, daß er nicht mehr im Stande wäre, seine Früchte zu der sonstigen Vollkommenheit zu zeitigen und ebensowenig kräftige neue Reben zu treiben. Doch diese Wahrheit ist schon so allgemein geworden, daß gegen dieselbe nur noch selten gesündigt wird). Der Herbstschnitt beginnt, sobald der Stock seine Blätter verloren hat. Dann schneidet man die vorjährige Rebe, die nun ihren Lebenszweck vollendet hat, genau und ganz glatt an der Stelle ab, wo die neue Rebe aus der alten hervorgewachsen ist (s. Abbldg.). Dieser neuen Rebe läßt man nun, so weit sie reif ist, ihre vollkommene Länge und schneidet blos den obern unreifen oder zu schwachen Theil weg, desgleichen entfernt man alle Seitenzweige. Bei dem Herbstschnitte muß man nun noch besondere Rücksicht darauf nehmen, daß außer den langen Fruchtreben, die bestimmt sind, das nächste Jahr uns eine Menge Trauben zu liefern, dem Stocke auch Gelegenheit bleibt, im nächsten Jahre neue kräftige Reben zu treiben. Dieses erreicht man am Besten, wenn man an jedem Stocke nach Verhältniß seiner Größe, eine oder einige der neuen Zuchtreben zu Schenkeln mit fünf Augen und desgleichen ein, oder einige zu Zapfen mit zwei Augen einschneidet. Das eben Gesagte darf ja nicht unberücksichtigt bleiben, weil Schenkel und Zapfen für’s nächste Jahr die kräftigsten Reben liefern und somit die wahren Erhalter eines normalen Zustandes des Weinstocks sind. Hierauf ist nun weiter nichts zu thun, als den ganzen Stock niederzulegen, zusammenzubinden und durch Zudecken, Einbinden oder Eingraben vor Erfrieren zu schützen und ihn so lange der Winterruhe zu übergeben, bis der wiederkehrende Lenz ihn zu neuem Leben wachruft.

Schließlich mögen sich hier noch einige wichtige allgemeine Bemerkungen anreihen, die doch mehr oder weniger zu berücksichtigen wären, als es bisher geschehen ist. 1) Will man an seinen Weinpflanzungen wirklich Freude erleben, so muß man bei Anlegung neuer Stöcke immer nur solche Sorten wählen, die für unser Klima geeignet sind, d. h. die September oder spätestens anfangs Oktober reifen, sonst ist man häufig der Gefahr ausgesetzt, schöne, große Trauben am Stocke zu haben, die aber nur in besonders guten Sommern und also selten reif werden. Solche frühe Sorten sind unter andern besonders: Weiße: Schön- oder Gutedel, Krachmost, früher Leipziger, Diamant, frühe Malvasier-Libete, früher von der Lahn, früher Alexander, Ramberger-Schönedel, weißer Champagner, Muskatschönedel, grüner Borromeo etc. Rothe: Rother Schönedel, rother spanischer Gutedel. persische Corinthe, rother italienischer Malvasier, rother Geisler, Königsschönedel. Blaue: Oporto Rebe, Dolcete du Po, blauer Rheingrau, Jakobstraube, frühester Burgunder, Schwarzclävner, großer blauer Malvasier etc. 2) Der geeignetste Boden, um neue Stöcke einzupflanzen ist ein solcher, der mit Klumpen alten Mörtels, zerbröckelten Ziegelstücken, überhaupt Bauschutt auch Austerschalen reichlich vermengt ist. 3) Bei der Düngung, die aber nur sparsam anzuwenden ist, scheint die animalische, wie Knochen, Knochenmehl, Hufe, Aas, Blut, Harn, der vegetabilischen weit vorzuziehen zu sein. 4) Will man junge Stöcke zu recht kräftigen, in Zukunft dankbaren Weinstöcken erziehen, so muß man in den ersten drei Jahren dieselben immer wieder auf zwei bis drei Augen zurückschneiden. Trägt nun im vierten Jahre ein solcher Stock das erste Mal dann wird man wohlthun, ihm wenigstens die Hälfte seiner Trauben abzuschneiden. Diese weise Schonung seiner Jugend wird der dadurch gekräftigtere Stock später desto reichlicher vergüten. 5) Bei der großen Verschiedenheit der Triebkraft einzelner Sorten ist natürlich auf dieselbe besondere Rücksicht zu nehmen und solchen Stöcken, die sehr stark wachsen und darum auch viel Platz einnehmen, wie früher Leipziger, Schwarzwelscher etc. auch der nothwendige Raum anzuweisen, wogegen schwach treibende wie Dolceto du Po nur wenig Platz bedürfen. 6) Beim Aufbinden im Frühjahr ist es aus mehrfachen Gründen höchst zweckmäßig, die Reben so waagerecht wie möglich am Spalier zu ziehen.

A. Die Rebe. B. Die ungekappte Zuchtrebe. C. Die gekappten Fruchtreben. D. Der Geiz oder Ableiter. —– Der Herbstschnitt. —- Das Kappen.

An diesen Lehren und Anweisungen möge es genügen. Wem sie noch fremd waren, mache sich dieselben zu eigen und sei versichert, daß die richtige Anwendung derselben einen reichen Segen erquickender Früchte aus seinen Weinpflanzungen zur nothwendigen Folge haben wird.