Textdaten
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Autor: Georg Scherer
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Titel: Der Wörther See in Kärnten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 492–496
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Am Wörther See in Kärnten.

Von Georg Scherer. Mit Illustrationen nach Federzeichnungen von Tony Grubhofer.

Du Perle von Kärnten, mein Wörther See,
Nach dir steht mein Verlangen;
Mir lacht das Herz, wenn ich dich seh,
Dein Reiz nimmt mich gefangen.

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Du Kleinod im grünen Wälderkranz,
Umrahmt von Berg und Hügel,
Still ruht der Sonne goldner Glanz
Auf deinem Zauberspiegel.

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Wieder stehen wir im Zeichen der Erholungsreisen, und das Heer der Touristen und Sommerfrischler rüstet sich zum Aufbruch nach den beliebten Standquartieren. Zu den älteren Reisezielen hat sich seit einiger Zeit ein neues gesellt, das östlich an Tirol grenzende, im Norden und Osten von Salzburg und Steiermark, im Süden von Krain umschlossene Herzogtum Kärnten. In diesem Sommer wird es in ganz besonderem Maße die Aufmerksamkeit der Gebirgsfreunde auf sich lenken, da in den Tagen vom 5. bis 8. August die Generalversammlung des so weit verbreiteten Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins in der Landeshauptstadt Klagenfurt stattfinden wird.

Oestliche Hälfte des Sees mit Pörtschach; im Hintergrunde rechts die kleine Halbinsel Maria Wörth.

Vom Großglockner, dem König der Tauern, dessen Kamm die Grenzlinie zwischen Tirol und Kärnten bildet, zieht nach Osten und Südosten das breitere und niedrigere Mittelgebirge der Ostalpen in mehreren parallelen und fächerartig sich zerteilenden Ketten durch das Land Kärnten. Und derselben Richtung nach Osten folgen auch die Flüsse und ihre Thäler, während sie sich in Tirol (mit Ausnahme des nach Nordosten durchbrechenden Inn) dem sonnigen Süden zuwenden, welcher dafür einen zeitigen Frühling und einen heißen Sommer durch das offene Etschthal bis nach Meran heraufsendet. Auch Kärnten hat eine verhältnismäßig südliche Lage, sowohl die Städte Klagenfurt und Villach, wie auch der zwischen ihnen sich ausbreitende Wörther See liegen etwas südlicher als Meran und etwas nördlicher als Bozen. Gleichwohl hat Kärnten nur ein mittleres alpines Klima, denn jener warme südliche Hauch, welcher von der oberitalienischen Ebene [493] heraufdringt, wird vom Hochgebirge der Karawanken abgehalten, die den südlichen Grenzwall des Landes bilden, während es durch die Mittelgebirgskette der Muraner und Judenburger Alpen, welche die Schneegrenze nicht erreichen, vor den rauhen Nordwinden geschützt wird.

Landungsplatz der Dampfschiffe in Pörtschach.

Infolge dieser günstigen Lage hat Kärnten ein mildes und beständiges Klima und die günstigsten Witterungsverhältnisse, so daß die zwischen den Höhenzügen eingelagerten Thäler die reizvollsten Landschaftsbilder entfalten, welche die Naturschönheiten diesseit und jenseit der Alpen in sich vereinigen. Der tiefblaue Himmel des Südens leuchtet in das nordische Grün der Buchen- und Tannenwälder, und die lebhaften Farben eines wärmeren Landes vermischen sich mit der kräftigenden Waldfrische des Hochgebirges. Dieser Gegensatz verleiht insbesondere den Gebirgen und Thälern Mittel- und Unterkärntens jene eigenartige landschaftliche Schönheit, welche sich vom Lieblichen und Anmutigen des Vordergrundes in reichem Wechsel bis zum Großartigen und Erhabenen des Hintergrundes erhebt. Die mit Laub- und Nadelholz bestandenen Vorberge steigen in der Regel sanft an und tragen in bunter Mannigfaltigkeit die Häuser und Hütten der Bergdörfer, unterbrochen von Feld-, Wiesen- und Obstkulturen, und im Schatten herrlicher Buchen-, Lärchen- und Kiefernwälder eilen muntere Bächlein zu Thal. Dazwischen stehen auf aussichtsreichen Punkten zahlreiche alte Burgen und Abteien, Kirchen und Kapellen mit einer reichen geschichtlichen Vergangenheit, um deren verblichene Gestalten Dichtung und Sage ihren duftigen Schleier weben. „Innerhalb der Grenzen Oesterreichs,“ sagt Heinrich Noé, „giebt es kein Land, in welchem das Gold des Dichtungsstoffes in so wunderbarer Umgebung gleich reichhaltig zu Tage liegt als in dem kleinen Herzogtum zwischen den eisigen Tauern und den blauen Zuflüssen der Save. Die Nachbarländer stehen hierin zurück.“ Und noch eine Schönheit ersten Ranges besitzt Kärnten: seine herrlichen Seen, die schönen „Augen der Landschaft“. Gewöhnlich heißt es, wenn man im Gebirge nach einem Fluß- oder Seebad fragt. „Wo ein Luftbad ist, dort ist kein Wasserbad“. In Kärnten trifft dies nicht zu. die meisten seiner Seen sind warm und „badsam“ und üben daher eine gewaltige Anziehungskraft auf die Sommerfrischler, welche mit dem stärkenden Luftbad auch ein erfrischendes Wasserbad vereinigen wollen.

Von den vielen Seen seien nur die drei größten und bekanntesten genannt: der Millstätter, der Ossiacher und die „Perle von Kärnten“: der Wörther oder Klagenfurter See.

Ernst Wahliß’ Villa IX in Pörtschach.

Dies ist der wärmste Alpensee und der größte und schönste unter den Seen Kärntens. Er liegt 470 m über dem Meere und zieht sich als langgestrecktes, schmales Wasserbecken von Velden im Westen in einer Länge von fast fünf Stunden und einer Breite bis zu 1600 m nach Maria Loretto im Osten, eine Wegstunde westlich von Klagenfurt, der Hauptstadt Kärntens, mit welcher er durch den Lendkanal verbunden ist. Der See ist fast ganz von Hügeln und Bergen umschlossen, welche sowohl die rauhen Nordwinde als auch die heißen Lüfte des Südens vollständig abhalten. Es herrscht auf ihm daher fast immer Windstille, und Stürme sind äußerst selten. Wir haben hier keine stark bewegte, staubige und trockene, sondern stets eine milde, ruhige Luft mit großem Feuchtigkeitsgehalt ohne die gefürchteten Niederschläge. Die Gewitter sind nur von kurzer Dauer, und das Wasser wird vom Kiesboden rasch aufgesogen, so daß man fast den ganzen Tag im Freien zubringen kann. Der See ist von einer ganz reizenden, abwechslungsreichen Uferlandschaft umrahmt, welche in ihren poesievollen Buchen- und Tannenwäldern die mannigfaltigsten Spaziergänge bietet. Die bewaldeten Hügel erheben sich nur allmählich zu schöngeformten, mit Kulturland und verschiedenen Ortschaften bedeckten Mittelgebirgen von mäßiger Höhe, hinter denen sich dann erst der großartige Hintergrund des Hochgebirges aufbaut. Das Ernste und Wild-Erhabene der Gebirgsnatur fehlt also nicht, es tritt hier nur mehr zurück.

Viele unserer Gebirgsseen sind von steil aus der Flut aufsteigenden Felsen eingeschlossen, welche ihren Schatten auf das Wasser werfen und die Sonnenstrahlen einen Teil des Tages davon abhalten, sie machen daher meist einen ernsten, oft düsteren und beengenden Eindruck. Der Wörther See dagegen hat einen heiteren und freundlichen Charakter, sein weites Becken liegt frei und offen und ist den ganzen Tag der unmittelbaren Einwirkung der Sonne ausgesetzt. Es ist ein liebliches Idyll von zauberhaftem Reiz, und man kann mit Recht von ihm sagen: „Es lächelt der See, er ladet zum Bade“, und zwar zu einem ganz köstlichen.

Schwimm- und Badeanstalt in Pörtschach.

Wir sagten, der Wörther See ist der wärmste aller Alpenseen, er hat von Mitte Mai bis Ende September eine Temperatur von 18 bis 22° R (22 bis 27° C.), welche nur im Hochsommer um ein paar Grade steigt. Man kann hier fast volle fünf Monate im Freien baden und braucht eine Badekur nicht zu unterbrechen. Und wie angenehm, wie genußreich sind diese Bäder! Daß aber das wunderwirkende [494] Wasser des Wörther Sees auch der weiblichen Schönheit günstig ist, verrät uns das „Plepperliadl“ eines Kärntner Burschen:

Mei Diandle is sauber,
Is weiß wie der Schnee,
Das macht halt das Wasser
Vom Klagnfurtner See.

Es ist daher begreiflich, wenn unsere Damen für das Seebad schwärmen.

Kielboothütten in Pörtschach.

Infolge seiner idyllischen Anmut, seines herrlichen Bades und seiner entzückenden Uferlandschaft hat sich bereits ein reicher Kranz von Dörfern, Häusergruppen und schmucken Villen um den See geschlungen. Die zwei bedeutendsten Orte sind Pörtschach und Velden. Pörtschach, der Mittelpunkt des Fremdenverkehrs am See, liegt am nördlichen Ufer desselben, 13 km von Klagenfurt und 22 km von Villach entfernt, mit beiden Städten durch die Pusterthaler Linie der Südbahn, durch die Reichsstraße und den Telegraphen verbunden; mit Klagenfurt außerdem durch die Wasserstraße des Wörther Sees und den in denselben mündenden Lendkanal. Der Ort ist Eisenbahn-, Post-, Telegraphen- und Dampfschiffstation, zählt etwa 300 Einwohner und hat eine zweiklassige Volksschule mit deutscher Unterrichtssprache, zwei Badeärzte mit Hausapotheken, eine Buchhandlung mit Leihbibliothek und verschiedene Geschäftsleute und Handwerker.

Vor dreißig Jahren noch ein unscheinbares Dörfchen mit einem Dutzend unansehnlicher Häuser, hat sich Pörtschach seit Eröffnung der Eisenbahn fortwährend vergrößert und in den letzten 15 Jahren außerordentlich rasch zu einer kleinen Villenstadt und einem klimatischen Kurort ersten Ranges aufgeschwungen. Seiner herrlichen Lage, seiner günstigen Witterungsverhältnisse, des köstlichen Seebades und der in reicher Fülle vorhandenen sonstigen Kurmittel wegen wird Pörtschach sowohl von Sommerfrischlern als von Kurgästen mit jedem Jahre stärker besucht, auch von Reichsdeutschen, denen der Aufenthalt in diesem reizenden Erdenwinkel besonders zusagt.

Promenade im Park in Pörtschach.

Für gute Unterkunft und Verpflegung der Fremden ist ausreichend gesorgt und den mannigfachsten Wünschen nach Möglichkeit Rechnung getragen, sowohl durch die in jedem Reisehandbuch aufgeführten trefflichen Hotels, als auch durch zahlreiche Privatwohnungen in Bauern- und Landhäusern, sowie in stattlichen Villen.

Man findet hier ebenso leicht einzelne Zimmer wie ganze Wohnungen mit und ohne Küche, von der größten Einfachheit bis zur elegantesten Ausstattung. Wer nicht in Pörtschach selbst oder nicht unmittelbar am See wohnen will, findet in einem der am Waldessaum oder ganz im Walde gelegenen Häuser und Villen Unterkunft, wo er in größter Ruhe und Zurückgezogenheit den ganzen Tag die erquickende Waldluft genießen kann.

Von den zur Aufnahme der Badegäste bestimmten Anstalten möchte ich nur zwei hervorheben, weil sie einzig in ihrer Art sind: die „Etablissements Ernst Wahliß“ in Pörtschach und Velden.

Lawn Tennisplatz im Wäldchen zu Pörtschach.

Auf einer von Pörtschach weit in den See vordringenden Halbinsel liegt im oberen, nördlichen Teile ein großer abgeschlossener Park mit herrlichen Baumgruppen, Wiesen- und Blumenbeeten und dem reichen Rosenflor, durch welchen Pörtschach berühmt ist. In diesem trefflich angelegten und gepflegten Park liegen zwölf prächtige, mit allem Komfort ausgestattete Villen anmutig zerstreut, von deren Fenstern und Veranden man die schönste Aussicht auf den See und die Berge genießt. (Unsere Abbildung S. 493 zeigt uns die Villa IX. dieser Anlage.) Den südlichen Abschluß des Parkes bilden der rebenumrankte Musikpavillon und die großartige Restauration mit kleinen Speisesalons für geschlossene Gesellschaften, Damensalon und Spielzimmer, Kaffeehaus mit Billards und Zeitungen, großem Tanz- und Vortragssaal, Musik- und Lesezimmer und mehreren geräumigen Veranden, welche entzückende Ausblicke auf beide Seebecken und die prachtvolle Landschaft bieten.

An den mustergültig gehaltenen Park grenzt südlich ein ebenso wohlgepflegter, nur den Gästen des Etablissements zugänglicher Nadelholzwald mit zahlreichen Ruhebänken, lauschigen Plätzchen und köstlichen Aussichtspunkten, welcher all den Kurgästen bequeme und angenehme Spaziergänge bietet, die keine weiteren Ausflüge unternehmen wollen oder können. In demselben befindet sich ein schattiger Kinderspielplatz und ein von hohen Tannen umgebener Lawn Tennisplatz. (Vgl. die nebenstehende Abbildung.) Auf einer Waldlichtung hat 1878 der Klagenfurter Männergesangverein seinem Ehrenmitglied, dem Komponisten Joh. Herbeck, über dessen Lieblingsplätzchen „Herbecksruhe“ ein schlichtes Denkmal errichtet. Die Südspitze der Halbinsel gewährt einen reizenden Ausblick auf den See, das gegenüberliegende Ufer und die kleine Halbinsel Maria Wörth (vgl. Abbildung S. 495), deren uralte, auf einem Felsen gelegene Pfarrkirche sich in der klaren Flut spiegelt, welcher sie den Namen gegeben hat.

In nächster Nähe der Restauration befindet sich am westlichen Ufer der Halbinsel die trefflich eingerichtete Badeanstalt und Schwimmschule (vgl. Abbildung S. 493), an welcher tüchtige Schwimmmeister Unterricht erteilen. Drei geräumige, mit Flaschenzügen versehene Kielboothütten bergen vorzüglich gebaute Boote in reichster Auswahl.

[495] In der Nähe liegt ferner der breite Quai mit der schönen alten Linde. Hier ist die Landungsbrücke der Dampfschiffe (vgl. die obere Abbildung S. 493) und das Stelldichein der Sommergäste; hier herrscht bis zum späten Abend das regste Leben.

Blick vom Wäldchen in Pörtschach auf Maria Wörth.

Ernst Wahliß hat auch das früher im Besitz des Grafen Dietrichstein befindliche alte Schloß Velden am westlichen Ende des Sees (nicht zu verwechseln mit dem Kurort Veldes in Krain) renoviert und zu einem ähnlichen Etablissement umgebaut. Das weitläufige Schloß hat schöne, große und kühle Wohnräume, welche volle Aussicht auf den See bieten, den man in seiner ganzen Länge bis Pörtschach überblickt. Im großen, schattigen Schloßpark mit Villa, Lawn Tennisplatz und gedeckter Kegelbahn entspringen viele Quellen des westlichsten kalten Trink- und Nutzwassers, welche nicht nur die 17 Teiche der großen Forellenfischzucht speisen, sondern auch die zur elektrischen Beleuchtung des ganzen Etablissements nötige Betriebkraft liefern. Vor dem Schlosse befindet sich die neuerbaute Restauration mit breiter, in den See vordringender Terrasse und das Café mit Billard, ferner die Strandvilla, die Badeanstalt, die Kielboothütte, der Verkaufsbazar und der Landungsplatz der Dampfschiffe.

Die prachtvolle Umgebung verlockt den Gast zu zahlreichen Ausflügen: nach Klagenfurt und Villach, auf den Dobratsch, den „österreichischen Rigi“, nach Tarvis, der Schlitzaschlucht, den Weißenfelser Seen und Veldes, Ruine Landskron, dem Ossiacher-, Millstätter- und Faakersee, Hoch-Osterwitz usw. Jeder dieser Ausflüge kann in einem Tage gemacht werden, während es in nächster Nähe viele kleine reizende Ausflugsorte und Aussichtspunkte giebt, von denen die am Ufer des Sees liegenden mühelos in einer halben oder ganzen Stunde im eigenen Boot aber mit Benutzung der Dampfschiffe erreicht werden können. Auf dem See verkehren zwei größere Dampfer, „Helios“ und „Neptun“, während drei kleinere den Lokalverkehr vermitteln. Dem Rudersport und der Fischerei wird am ganzen See eifrig gehuldigt, und der Segelsport wird auf keinem anderen österreichischen See so fleißig betrieben wie hier.

Schloß Velden mit Restauration von der Seeseite.

Auch der Radfahrsport hat infolge der günstigen Bedingungen, welche am Wörther See für ihn vorhanden sind – ebene, gutgehaltene und staubfreie Straßen und Wege – in den letzten Jahren einen so mächtigen Aufschwung genommen, daß in Pörtschach eine eigene Fahrschule errichtet wurde. Die nahezu vollendete Kaiser-Franz-Josef-Straße am südlichen Ufer des Sees bildet mit der alten Reichsstraße am nördlichen Ufer eine langgestreckte, in sich selbst zurückkehrende Kurve, welche neben zahlreichen kleineren Partien auch eine reizvolle Uferfahrt um den ganzen See ermöglicht. Die Straße läuft dem Ufer bald näher, bald ferner; durch frisches Grün blickt der blanke Spiegel des Sees heraus und spielt mit dem entzückten Auge des Wanderers ein fortwährendes Grüßen und Verstecken.

Häufig hört man die Frage: „Wann ist es am Wörther See am schönsten und wann ist er am stärksten besucht?“ In der Hochsaison und den Ferien, im Juli und August, finden sich natürlich die meisten Kurgäste und Sommerfrischler ein. Wenn ich zu wählen hätte, so würde ich den Mai und Juni, oder den September und Oktober vorziehen. Doch das ist Geschmackssache; der Wörther See ist immer schön. „Vom ganzen nördlichen Ufer aus ist das Hochgebirge der Karawanken sichtbar, dessen Formen der Umgebung des Sees eine hohe landschaftliche Schönheit verleihen, die noch durch den großen Wechsel ihrer Bilder gehoben wird und ihre vollendeten Reize im Frühling zeigt, wenn die noch ganz verschneiten Karawanken sich von dem vorgelagerten frisch ergrünten Mittelgebirge ganz wunderbar abheben und der klare Frühlingshimmel in der Flut sich spiegelt. Geradezu bezaubernd schön wird aber der Anblick, wenn, von den Strahlen der untergehenden Sonne getroffen, die unersteiglich scheinenden Felsenmassive mit ihren schneeerfüllten Geröllrinnen in Purpur erglühen, während schon tiefe Schatten über das Thal sich hingelagert haben.


Dann steigt hinter dem zerklüfteten Hochgebirge der Mond empor und streut sein Silber auf den spiegelglatten See, auf Berge und Wälder. Ein leichter Luftzug trägt aus dem Park den berauschenden Duft von tausend und aber tausend Rosen herüber, gegen den die Wohlgerüche der Nelken, Akazien und Linden nicht mehr aufkommen. Nachtigallenschlag dringt aus den Gebüschen. Eine heitere Gesellschaft sitzt noch plaudernd unter der alten Linde am Ufer. Um die Badehütten klingt ein leises Plätschern der Wellen und ein verhaltenes Kichern von Mädchenstimmen. Kaum hörbar gleiten die Boote pfeilschnell über die schimmernde Fläche, und draußen in der Ferne ertönen Mandolinenklänge und Koschats Kärntner Lieder durch die stille Mondnacht:

Mir lacht das Herz, wenn ich dich seh’,
Du Perle von Kärnten, mein Wörther See!

Schloß Velden: altes
Eingangsthor vom0
Jahre 1603.      


[496] Rasch ging die Operation von statten, der Arzt äußerte bald, indem er Albans Arm freiließ: „Da haben wir die Uebelthäterin,“ und die Kugel herausziehend, legte er sie auf den Tisch. Unter Beihilfe Gerlinds verband er die Wunde und drückte ihr dabei seine Anerkennung aus. „So gute Assistenz findet unsereins nicht jeden Tag, wie wär’s, wenn Sie einen Beruf daraus machten?“ Doch lachend fügte er mit einem Blick auf den Vater hinzu. „Nein, Sie haben einen besseren, dem ich Sie nicht abspenstig machen will. Wie steht’s denn mit Ihrer Leber? Ein Turmwart hat eben zu wenig Bewegung.“

Das letzte war an Toralt gerichtet und ließ erkennen, daß der Fragende schon zuvor als Arzt in der Türmerwohnung eingekehrt und mit den Verhältnissen darin bekannt war. Nach kurzer Ablenkung kam er auf den Fall, der ihn heute heraufgebracht, zurück. „Bei Ihrer gesunden Konstitution wird die Wunde rasch heilen und kommt nicht weiter in Frage, die viel wichtigere ist, auf welche Weise wir Sie in Sicherheit bringen. Ich bin höheren Orts selbst eine ziemlich mißliebig und mißtrauisch angesehene Person, so daß ich keinen Versuch wagen darf, Sie etwa auf einer nächtlichen Praxisfahrt über die Grenze zu schmuggeln. Zu lange aber dürfen Sie hier oben auch nicht bleiben, ’s ist gerade die Zeit, in der öfter Fremde wegen der Aussicht heraufkommen, und – ist übermorgen nicht auch ein Feiertag?“

Toralt nickte zu der an ihn gerichteten Frage, und der Arzt fuhr fort: „Da scheint’s mir dringend wünschenswert, bis spätestens morgen abend die nötigen Vorkehrungen zu treffen. Wie denken Sie sich die Ausführung am besten?“

Alban verband kein Verständnis mit der Andeutung, daß ein Feiertag ihn hier oben mit besonderer Gefahr bedrohen könne, doch er fragte nicht und dachte auch nicht weiter darüber nach. Der nun folgenden Beratschlagung hörte er zu, als ob sie ihn nichts angehe, vernahm nur mit halbem Ohr, daß der Türmer den Plan erwogen und für den einzig möglichen ansah, seinen Schützling in Frauenkleidung fortzuschaffen. Er solle nach Einbruch der Dunkelheit, mit Gerlind zusammen, einen Wäschekorb tragend, die Stadt in der Richtung auf die Grenze umgehen, doch nicht suchen, diese auf Schleichwegen zu überschreiten, sondern auf der großen Straße gradeswegs am Zollwächtergebäude vorübergehen. Gerlind sei klug und ihre Sprache vollkommen unverdächtig, sie werde unbefangen zu schwatzen wissen und sich mit Geistesgegenwart richtig benehmen. Eine Zeit lang ward dieser Plan hin und her besprochen; der Arzt pflichtete dem Türmer schließlich bei, besonders darin, daß es am ratsamsten sei, den geraden offenen Weg auf der Landstraße zu wählen. Er seinerseits wollte am Nachmittag ins Schweizergebiet hinüberfahren, um genau zur verabredeten Zeit von drüben zurückzukommen und zur Zollvisitation vor dem Schlagbaum anzuhalten, während die beiden unter diesem von der anderen Seite her vorbeischreiten würden. Die Untersuchung seines Fuhrwerks, das er mit etwas Zollpflichtigem auszurüsten gedenke, werde die Achtsamkeit der Grenzwächter in Anspruch nehmen und sie leichter die ungewöhnliche Größe der einen Frauengestalt übersehen lassen. So kam’s zum Beschlusse. Der Arzt stellte seine Uhr genau nach derjenigen Albans, die Augen Gerlinds hatten sich mit stummem Glanz gefüllt, man sah in ihnen, wie ihr das Herz vor Freude bewegt war, daß ihr abermals die Hauptaufgabe bei der Rettung zufalle.

Der junge Arzt erhob sich nach endgültig getroffener Abrede, um fortzugehen; in Albans Gesicht that sich etwas Verlegenheit kund, die jener sofort bemerkte, einer Aeußerung zuvorkommend, sagte er. „Es war mir eine herzliche Freude, Ihnen auch ein wenig nützen zu können. Ich muß hier von Ihnen Abschied nehmen, morgen abend auf dem Wagen müssen meine Hand und mein Mund sich ruhig verhalten. Doch sage ich Ihnen nicht für alle Zeit Lebewohl, hoffentlich kommen doch noch andere Tage, die es Ihnen erlauben, den Fuß über den Grenzstrich zurückzusetzen. Und damit auf ein Wiedersehen im Leben und im deutschen Land!“

„Ja, haben Sie von Herzen Dank und nicht zum wenigsten für Ihren letzten Wunsch – auf ein freudiges Wiedersehen, in deutschem Land oder drüben! Wo es sei, Sie werden einen über die Begegnung Glücklichen finden!“ Beide drückten sich die Hand, Alban begleitete den selbstlosen Helfer bis an die Treppe hinaus.

Als er in die Stube zurücktrat, räumte Gerlind die bei der Operation benützten Gegenstände fort; sein Blick ging nach dem Tisch, auf den die Kugel gelegt worden war; er gedachte sie zur Erinnerung zu bewahren, doch sie lag nicht mehr dort. „Hast du sie mit weggethan?“ fragte er.

Das Mädchen richtete den Blick flüchtig nach dem Tisch und erwiderte. „Ja, wohl mit dem übrigen – in Gedanken – wollt Ihr –?“ Sie brach ab und setzte rasch hinzu: „Thut der Arm Euch gar nicht mehr weh?“

Er lächelte, und über seine jugendlich schönen Züge ging’s wie Sonnenlicht. „Nein, du hast ihm so wohl gethan – mit deinem kühlenden Wasser. Ich glaube, ich könnt’ ihn schon wieder gebrauchen.“ Mit einiger Anstrengung hob er den rechten Arm halb in die Höh’. Sie antwortete. „Ein gelehrter Herr braucht ihn ja notwendig, um wieder schreiben zu können.“

„Ja, sobald ich drüben bin, schreibe ich – daraus wirst du hören –“

Da er anhielt, fragte sie: „Was werd’ ich hören?“

„Wie gut du ihm gethan und daß er es nicht vergessen –“

Sich nach Namen und Herkunft des jungen Arztes erkundigend, sprach Alban hastig weiter. Doch seine Gedanken waren nicht bei dem, was er fragte und sagte, und auch an das Stückchen Blei, das er vorher Tage lang im Arm mit sich getragen, dachte er nicht mehr.

*               *
*

Nicht anders als sonst gab die Turmuhr dem Ohr vom Fortgang des Tages Auskunft, aber Alban Hartlaub war’s bei der Wiederkehr jedes Vollschlages, als sei die Stunde geflogen. Seine Natur hatte eine Veränderung erlitten, er war bisher nicht fähig gewesen, bei ruhigem Aufenthalt in einem Zimmer auch nur für kurze Zeit ohne geistige Beschäftigung zu sein, doch hier oben empfand er kein Bedürfnis danach, nicht einmal das, über irgend etwas zu denken. Als Toralt Obliegenheiten im Turm zu versehen hatte und das Mädchen sich zur Bereitung der Mittagskost in die Küche begab, genügte es ihm, unthätig zu sitzen und regungslos mit träumerischen Augen vor sich hinauszublicken, bis jene zurückkamen.

Eifrig berieten sie nach der Mahlzeit, wie seine Verkleidung zu bewerkstelligen sei, was Gerlind für den Zweck zu geben vermocht hätte, konnte, als fraglos für ihn zu eng und zu kurz, nicht in Betracht kommen. Doch ihre Mutter war kräftig und von hohem Wuchs gewesen, so holte sie aus einem alten Schrank von dieser hinterbliebene Kleidungsstücke herbei und half ihm, da er sich mit ihnen nicht zurecht zu finden wußte, beim Anlegen derselben. Das gab zu manchem Spaß Anlaß, sie begriff nicht oder that wenigstens so, als begreife sie nicht, wie jemand so ungeschickt sein könne. „Freilich, Euer Arm trägt wohl die Schuld und dann seid Ihr ja auch kein Mädchen. Doch habt Ihr keine Schwester? Oder wohl gar eine Braut?“

Es klang ein bißchen, als ob sie das erste gesagt habe, um die Frage nachfügen zu können; er verneinte schnell: „Ich habe niemand, an dem mein Herz hängt!“

Darauf antwortete sie nur: „Aber das Herz von manch einer hängt gewiß an Euch,“ und bückte sich eilig, den Rock tiefer auf seine Füße hinunterzuziehen. „Es muß gehen,“ sagte sie, „ich lasse den Saum aus.“

Wie sie sich wieder aufrichtete, strahlte ihr eine kinderhafte Fröhlichkeit aus dem Gesicht, sie wiederholte: „Es geht, nur über der Brust muß ich’s um ein gutes Stück weiter machen. Ihr seht so schlank aus, daß man meint, es wäre nicht nötig, aber ein Mann ist gehörig breiter in den Schultern als unsereins.“

Sie setzte sich und begann gleich mit Schere und Nadel thätig zu sein. Gewandt und leicht ging es ihr von der Hand.

Der Türmer nahm Hut und Stock, er wollte den Weg, den sie morgen um die Stadt bis zur Grenze zu machen hätten, nach der Uhr abgehen, um genau die erforderliche Zeit zu bemessen,