Der Wächter in der Mitternacht

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Siehe auch: Der Wächter in der Mitternacht (Werkausgabe 1834)
Textdaten
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Autor: Johann Peter Hebel
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Titel: Der Wächter in der Mitternacht
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aus: Allemannische Gedichte, S. 166–173
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Erscheinungsdatum: 1803
Verlag: Macklots Hofbuchhandlung
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Erscheinungsort: Karlsruhe
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Der Wächter in der Mitternacht.


     „Loset, was i euch will sage!
     D’ Glocke het zwölfi gschlage.“

Wie still isch alles! Wie verborgen isch,
was Lebe heißt, im Schoß der Mitternacht

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uf Stroß und Feld! Es tönt kei Mensche-Tritt;

es fahrt kei Wagen us der Ferni her;
kei Husthür gahret, und kei Othem schnuft,
und nit emol e Möhnli rüeft im Bach.
’s lit alles hinterm Umhang jez und schloft,

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und öb mit liichtem Fuß und stillem Tritt

e Geist vorüber wandlet, weißi nit.
     Doch was i sag! ruuscht nit der Tiich? Er schießt

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im Leerlauf ab am müede Mühli-Rad,
und näume schliicht der Iltis unterm Dach

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de Tremle no, und lueg, do obe zieht

vom Chilchthurn her en Uehl im stille Flug
dur d’ Mitternacht, und hangt denn nit im Gwülch
die großi Nacht-Laterne dört, der Mond?
Still hangt sie dört, und d’ Sterne flimmere,

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wie wemmen in der dunkle Rege-Nacht,

vom wite Gang ermattet, uf der Stroß
an d’ Heimeth chunnt, no keini Dächer sieht
und numme do und dört e fründli Liecht.
     Wie wirds mer doch uf eimol so kurios?

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wie wirds mer doch so weich um Brust und Herz?

As wenni briegge möcht, weiß nit worum?
as wenni ’s Heimweh hätt, weiß nit – no was?

     „Loset, was i euch will sage!
     D’ Glocke het zwölfi gschlage.

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     Und ischs so schwarz und finster do,

     se schine d’ Sternli no so froh:
     und us der Heimeth chunnt der Schi’;
     ’s muß lieblig in der Heimeth sy!“

Was willi? willi übere Chilchhof goh

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ins Unterdorf? Es isch mer d’ Thür seig off,

as wenn die Todten in der Mitternacht
us ihre Gräbere giengen, und im Dorf
e wenig luegten, öb no alles isch
wie almig. ’s isch mer doch bis dato ken

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bigegnet, aß i weiß. Denkwol i thue’s,

und rüef de Todte – Nei sel thueni nit!
Still willi uf de stille Gräbere goh!
Sie hen jo d’ Uhr im Thurn, und weißi denn,
isch au scho ihri Mitternacht verbey?

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’s cha sy, es fallt no dunkler alliwil

und schwärzer uf sie abe – d’ Nacht isch lang;

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’s cha sy, es zuckt e Streifli Morgeroth
scho an de Bergen uf – i weiß es nit.

     Wie ischs so heimli do? Sie schlofe wohl!

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Gott gunnene’s! – e bizli schuderig,

sel läugni nit; doch isch nit alles tod.
I hör jo ’s Unrueih in der Chilche; ’s isch
der Pulz der Zit in ihrem tiefe Schlof,
und d’ Mitternacht schnuft vo de Berge her.

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Ihr Othem wandlet über d’ Matte, spielt

dört mittem Tschäubbeli am grüne Nast,
und pfift dur d’ Scheie her am Gartehag.
Sie chuuchet füecht an d’ Chilche-Mur und chalt;
die lange Fenster schnattere dervo

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und ’s lopperig Chrütz. Und lueg, do lüftet sie

en offe Grab! – Du guten alte Franz
se hen sie der di Bett scho gmacht im Grund,
und ’s Deckbett wartet uf die nebe dra,
und d’ Liechtli us der Heimeth schine dri!

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     He nu, es gohtis alle so; der Schlof

zwingt jeden uffem Weg, und eb er gar
in d’ Heimeth dure chunnt; doch wer emol
si Bett im Chilchhof het, Gottlob er isch
zum lezte mol do niden übernacht;

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und wenn es taget, und mer wachen uf,

und chömmen use, hemmer nümme wiit,
e Stündli öbben, oder nitemol. –
Se stolperi denn au no d’ Stäpfli ab,
und bi so nüechter bliebe hinechtie.

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     „Loset, was i euch will sage!

     D’ Glocke het zwölfi gschlage.

          Und d’ Sternli schine no so froh,
          und us der Heimeth schimmerts so;
          und ’s isch no um e chleini Zit,

80
          Vom Chilchhof seigs gwiß nümme wiit.“

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     Wo bini gsi? wo bini echterst jez?
e Stäpfli uf, e Stäpfli wieder ab,
und witers nüt? Nei weger witers nüt!
Isch nit ’s ganz Dörfli in der Mitternacht

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e stille Chilchhof? Schloft nit alles do,

wie dört vom lange müede Wachen us,
vo Freud und Leid, und lit in Gottis Hand,
do unterm Strau-Dach, dört im chüele Grund,
und warte, biß es taget um sie her?

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     He, ’s würd io öbbe! Und wie lang und schwarz

au d’ Nacht vom hoche Himmel abe hangt,
verschlofen isch der Tag deswege nie;
und bißi wieder chumm, und no ne mol,
so gen mer d’ Gühl scho Antwort, wenni rüef,

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se weiht mer scho der Morgeluft ins Gsicht.

Der Tag verwacht im Tanne-Wald, er lüpft
alsgmach der Umhang obsi; ’s Morgeliecht
es rieslet still in d’ Nacht, und endli wahlt’s

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in goldne Strömen über Berg und Thal;

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es zuckt und wacht an allen Orte; ’s goht

e Lade do und dört e Husthür uf,
und ’s Lebe wandlet use frey und froh.

     Du liebi Seel, was wirds e Fyrtig sy,
wenn mit der Zit die lezti Nacht versinkt,

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wenn alli goldne Sterne groß und chlei,

und wenn der Mond und ’s Morgeroth und d’ Sunn
in Himmels-Liecht verrinnen, und der Glast
bis in die tiefe Gräber abe dringt,
und d’ Muetter rüeft de Chindlene: „’s isch Tag!“

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und alles usem Schlof verwacht, und do

ne Laden uf goht, dört e schweri Thür!
Die Todten luegen use jung und schön.
’s het menge Schade gutet übernacht,
und menge tiefe Schnatte biß ins Herz

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isch heil. Sie luegen use gsund und schön,
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und tunke ’s Gsicht in Himmels-Luft; sie stärkt
bis tief ins Herz – Du alte Nar, was briegsch?

     „Loset, was i euch will sage!
     D’ Glocke het zwölfi gschlage.

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          Und d’ Liechtli brennen alli no;

          der Tag will iemerst no nit cho.
          Doch Gott im Himmel lebt und wacht,
          er hört wohl, wenn es Vieri schlacht!“