Der Verrath des Barons Warkotsch gegen Friedrich den Großen

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Autor: G. Hiltl
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Titel: Der Verrath des Barons Warkotsch gegen Friedrich den Großen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 50–51, S. 798–800; 808–810
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Verrath des Barons Warkotsch gegen Friedrich den Großen.

Nach den Acten des Breslauer Oberamtes, datirt Breslau, den 22. März 1762.

Die Festung Schweidnitz war in die Hände der Oesterreicher gefallen – Held Friedrich der Große um einen Theil seiner müherrungenen Lorbeern ärmer. Es war wiederum einer jener bangen, erwartungsvollen Momente in der Weltgeschichte, wo sich die Freunde des großen Königs fragten: „Wie soll er nun noch ferner bestehen vor der Macht seiner Gegner?“ eine Frage, die der Gewaltige stets mit einem Siege beantwortete, der den Verlust aufwog.

Es war der 6. November 1761. Ein kalter Wind fegte über die kahlen Felder und durch die entlaubten Zweige des Parkes der gräflichen Besitzung Schloß Schönbrunn, zwei Meilen hinter dem Städtchen Strehlen in Schlesien gelegen. Das Schloß bildete gewissermaßen den Mittelpunkt der strategischen Operationen beider Heere. Vor sich sah es die sich zwischen Freiburg und Bögendorf an das Gebirg lehnenden Oesterreicher unter Laudon, im Rücken bei Neiße stand die preußische Armee unter ihrem Heldenkönige, beide Heere nach der Ruhe des Winterquartiers sich sehnend, aber beide begierig, vor der Unthätigkeit noch einen Schlag zu führen. Der Besitzer des Schlosses Schönbrunn war zu jener Zeit der Baron, Freiherr Heinrich Gottlob v. Warkotsch, Erbherr von Schönbrunn, Ober- und Niederrosen und Casserei. Früher in österreichischen Diensten als Hauptmann des Regimentes Totta, hatte der Baron im Jahre 1756 seinen Abschied genommen, nachdem er durch den zu Carlsbad erfolgten Tod seines Bruders, der als Kammerherr im Dienste des Königs von Preußen stand, alleiniger Besitzer sämmtlicher Güter geworden. Der Baron Warkotsch war, wie die spätere Untersuchung ergab, ein sehr wunderlicher, unliebenswürdiger und verhaßter Herr.

Vielfache Vergehungen gegen das sechste Gebot, welche nur seiner Gattin, einer trefflichen Dame, gebornen Freiin von Hösser zu Löwenstein, Kummer bereiteten, würden seine Unterthanen gleichgültiger betrachtet haben, hätte nicht der Baron den feudalen Ansichten als Gutstyrann Geltung zu verschaffen gesucht, denen zufolge er die Behauptung aufstellte: „Der Bauer ist eigentlich kein Mensch.“ Bei solchen Gesinnungen mußte dem Baron freilich das Regiment eines Königs, wie Friedrich II., es war, sehr unbequem erscheinen, da dieser Fürst seine Bauern als äußerst wichtige Menschen anerkannte. So erbärmlich das Motiv erscheinen mag: Warkotsch hegte gegen den großen König einen unauslöschlichen Haß, weil Friedrich, wie bekannt, dem wiedergewonnenen Schlesien preußische Einrichtungen gab, durch welche namentlich der Landmann von manchem Drucke, der aus vergangenen Jahrhunderten auf ihm lastete, befreit ward. Schon 1756 äußerte Warkotsch ganz unverhohlen seinen Widerwillen, unter preußischem Scepter stehen zu müssen, und als sich später in Böhmen eine österreichische Armee zusammenzog, meinte er: „Wenn die Oesterreicher nur erst wieder Schlesien haben, dann können wir das Bauernpack zu Paaren treiben.“ Der Baron war Protestant. Dessenungeachtet vernachlässigte er auffallend den in Schönbrunn eingesetzten protestantischen Prediger Gerlach, während der katholische Pfarrer Curatus Schmidt, zu Siebenkuben in der Nähe des Gebirges wohnend, sein beständiger Umgang war. So sehr der Baron ein Feind des großen Königs war, wußte er doch mit vieler Gewandtheit seinen Haß unter der Maske der Loyalität zu verbergen und hatte sich auf solche Weise die Neigung des Königs zu gewinnen verstanden. Bereits im August hatte der Prediger Kranicher zu Reichenbach dem Könige durch vertraute Boten treffliche Pfirsichen, Weintrauben und Gartenfrüchte in das Hungerlager zu Bunzelwitz gesendet. Der König nahm dies sehr gnädig auf. Warkotsch konnte nicht schnell genug ähnliche Spenden in das Bunzelwitzer Lager liefern.

Es war also der 6. November 1761. Heftige Kälte hatte er mitgebracht. Die Kamine der hohen Zimmer des Schlosses Schönbrunn entsendeten eine behagliche Wärme. Die Lichter verbreiteten von den hohen silbernen Armleuchtern herab eine trauliche Stimmung als Contrast zu dem Schneesturme, welcher über die Gegend sauste und an den fein bemalten Läden rüttelte, die den hohen, gewölbten Fenstern ihren Schutz liehen. In einem Zimmer des Erdgeschosses saßen drei Personen: eine Dame, die, an einer Stickerei arbeitend, sich in eine Ottomane geworfen hatte; ein mit elegantem Schlafrocke bekleideter Cavalier, diesem gegenüber endlich die dritte Person, der man den Geistlichen angesehen haben würde, obgleich sie einfache Bürgerkleidung trug und ihre Füße in Reitstiefeln steckten. Die Personen waren Baron und Baronin Warkotsch mit ihrem Hausfreunde, dem Curatus Schmidt aus Siebenkuben. Die Dame arbeitete, wie gesagt, an einer Stickerei, die Herren spielte Karten. Die Unterhaltung war eine zu jenen Zeiten gewöhnliche – die Kriegsereignisse betreffende und zeichnete sich nur durch den Widerstand aus, welchen die Baronin den beiden Herren entgegensetzte, sobald diese die Verdienste des Preußenkönigs zu verkleinern suchten. Unter Spiel nebst Gezänk war die neunte Abendstunde herangekommen. Die Pendülen in den Zimmern verkündeten sie laut.

Plötzlich ertönte auf dem Schloßhofe ein gewaltiger Lärm. Pferdegetrappel, Rufen, Hundegebell, Klirren von Eisen mischte sich untereinander. Warkotsch und sein Gast sprangen erschrocken auf. Der Baron öffnete einen Laden. Auf dem Hofe wogten eine Menge Menschen umher. Lichter bewegten sich hin und wieder, Waffen blitzten. „Heda dort unten! was giebt’s denn?“ rief der Baron hinab. „Seine Majestät der König von Preußen reiten soeben in den Hof und ersuchen den Herrn Baron um ein Nachtquartier,“ tönte es von unten herauf. „Der König!“ schrie der Baron und sprang vorn Fenster weg. Wie eine Feder schnellte die Baronin vom Sopha in die Höhe, und zur Hinterthür hinaus huschte die schwarze Gestalt des Pfarrers, mit dem festen Vorsatze, sich heute nicht mehr sehen lassen zu wollen. Eilig stürzte der Baron durch die Vorzimmer, auf den Flur des Hauses, riß die Flügelthüren, welche auf die Treppe zum Hofe gingen, auseinander und trat hinaus in das Schneegestöber; hier, an der untersten Stufe erblickte er zwischen zwei mit Windlichtern versehenen Jägern den König.

Ein hellblauer Reitrock mit kleinem Pelzkragen umgab die Gestalt des Helden, der mit freundlichen Bonsoir! die Stufen hinaufstieg. „Komme unverhofft, cher Baron! muß um Pardon bitten! Dérangement soll nicht lange dauern.“ Der Baron stammelte Etwas wie von außerordentlichem Glück, ging in devotester Weise vor dem Könige her und öffnete die Thüre zum Empfangssaale, hinter welcher die Baronin mit tiefer Verbeugung den König begrüßte. Galant bot Friedrich ihr den Arm. Bald war ein schnell hergerichtetes Nachtmahl aufgetragen, und die Gesellschaft wurde noch durch den Markgrafen Karl und den General Adjutanten von Krusemark vermehrt. Zwei Stunden später waren die Lichter erloschen; tiefe, nur von dem Tritte der Wachen auf dem Schloßhofe unterbrochene Stille umgab das Schloß. In gutem Vertrauen hatte der König am Tische des Edelmanns gespeist – in gutem Vertrauen schlief er unter seinem Dache – und der Edelmann saß während dessen zusammen mit dem Priester, das Verderben seines Herrn berathend. – Nach Mitternacht tönte eine Klingel im Zimmer, Warkotsch fuhr zitternd auf. Der Kämmerer Leining rief nach ihm. Als der Baron sich meldete, bat Leining, er möge schnell [799] zum König kommen. Friedrich war halb entkleidet. „Baron,“ begann er, „ich muß bald wieder fort; können Sie mir einen Menschen nachweisen, auf dessen Treue ich mich verlassen kann?“

Warkotsch stutzte! Welche Unternehmung hatte der König vor? „Ew. Majestät können versichert sein, daß mein Jäger ein redlicher Mann ist; ich empfehle ihn, weiß ich gleich nicht, zu welchen Diensten Ew. Majestät ihn brauchen wollen?“

„So ruft ihn.“

Wenige Augenblicke später trat der Jäger in’s Gemach. Der König hatte sich in einen Lehnstuhl geworfen und blickte ins Feuer des Kamins. Als der Jäger eintrat, wendete er sich um, und die plötzliche Gewalt der großen Augen wirkte so mächtig auf den Waidmann, daß er bestürzt zurückwich. „Wenn Er redlich ist, braucht Er nicht zu erschrecken,“ sagte der König. „Wie heißt Er?“

„Matthias Kappel.“

„Woher?“

„Aus Mitrowitz in Böhmen.“

„Katholisch?“

„Ja.“

„Er ist des Barons Jäger?“

„Ja, Majestät.“

„Weiß Er in der Gegend hier herum Bescheid?“

„Ja Majestät.“

„Kann Er mich von hier nach Strehlen bringen? es ist aber sehr finster.“

„Ja, Majestät. Wenn Sie nur befehlen, welchen Weg ich nehmen soll, denn es giebt zwei Wege von hier nach Strehlen.“

„Den will ich über Riegersdorf durch das königliche Vorwerk Melter und Treppendorf, das ist der Fußsteig nach Strehlen. Er kann um 4 Uhr mit einem guten Reitpferde vor dem Schlosse halten. Jetzt geh’ Er. Ich will ruhen.“

Kappel ging. Um 4 Uhr kam der König aus dem Schlosse. Warkotsch begleitete ihn und der Reitknecht führte einen kleinen Schimmel heraus. Der Adjutant, der Kämmerer Leining und zwei reitende Jäger, die Laternen bei sich hatten, waren zugegen. Der König trug wieder den blauen Rock mit Pelzkragen. Er stieg nicht zu Pferd, sondern befahl den Jägern, zu Fuß vor ihm herzugehen. Er selbst, Leining und Kappel folgten. Es war finster. In einiger Entfernung gewahrte Kappel eine lange, dunkle Linie, die gleich einer ungeheuren Schlange sich fortbewegte. Dumpfes Summen von verhaltenen Menschenstimmen schallte an sein Ohr; zuweilen flammten die Feuer von Pechfackeln auf und in ihrem gluthrothen Scheine blitzten die Schuppen jener Schlange – die Bajonnette.

Es war die preußische Armee, die während der Nacht auf die umliegenden Dörfer und Güter gerückt war; – der Jäger hatte das unheimliche Schauspiel des Nachtmarsches vor sich. Der König wollte den Oesterreichern das Vordringen auf Breslau wehren und verlegte seine Winterquartiere von Neiße nach Strehlen und dessen Umgegend. Eine halbe Meile lang ging der König zu Fuße. Er sprach kein Wort. Immer zwischen den schweigenden Colonnen entlang führte der Weg. Regiment bei Regiment standen sie aufmarschirt, über ihre Häupter strich der eisige Morgenwind, und der Hauch wirbelte aus den arbeitenden Lungen. – Der König stand am Ende einer Colonne, bei den Geschützen angelangt, still. „Nun Bursche,“ rief er, „es geht zum Marsch.“ Ein Kanonier, der ihn nicht erkannte, antwortete: „Den Teufel zum Marsch, wir rücken ins Lager.“ Der König lächelte. Wenige Schritte ging man noch. Plötzlich befahl der König, die Laternen auszulöschen. Er schwang sich in den Sattel, und die Begleiter mußten ebenfalls aufsitzen. „Jäger Kappel,“ rief er. „Er bleibt fünf Schritte vor mir, daß ich ihn sehen kann, denn es ist sehr finster.“ Vorwärts ging der Zug.

Zu derselben Zeit verließ der Curatus Schmidt durch eine Hinterthür das Schloß Schönbrunn. Er ritt ein Pferd des Barons und jagte auf die österreichischen Linien zu. Den am weitesten vorgeschobenen Posten commandirte der Hauptmann Wallis. Ihm überreichte der Pfarrer einen Zettel des Barons, der nur die wenigen Worte enthielt: „Die preußische Armee bewegt sich vorwärts! Der König bleibt in Strehlen.“ Unterdessen hatte Kappel den König bis Treppendorf vor Strehlen geleitet. Der König fragte nach dem Namen und ob der Jäger wisse, wo der Kahlenberg sei. Als sie den Berg erreicht hatten, dämmerte der Tag herauf. Der König forderte sein Fernrohr. Eine Zeitlang blickte er durch dasselbe, dann schob er es zusammen, gab es dem Reitknecht zurück und sagte: „Sehr gut, die Oesterreichs sind noch nicht da.“ Er befahl nun den Rückweg über Großburg. Hier erhielt Kappel vier Achtgroschenstücke durch den Kämmerer, und der König trug ihm auf, dem Baron zu danken. Auf dem Rückwege begegnete Kappel der ganzen preußischen Armee in vollem Marsche.[1] Die erste Verrätherei war mißglückt. Am folgenden Tage stand Friedrich bei Strehlen. Seine Armee halte das Lager bezogen, die Oesterreichs blieben bei Münsterberg und Hennrigau im Gebirge stehen. Sie hatten die Posten bei Strehlen in Besitz nehmen wollen, aber der König war ihnen zuvorgekommen. Die Nachricht, welche der Baron durch Schmidt gesendet hatte, traf zu spät ein.

Die Vorsehung schien sich des schlichten Jägers Kappel eigens zum Werkzeug der Rettung des Königs bedienen zu wollen. Unausgesetzt mußte Kappel von dem sechsten November an in der Umgebung seines Herrn, des Baron Warkotsch, bleiben. Obgleich der Baron früher den Jäger ebenso rauh behandelt hatte, als seine übrigen Dienstleute, schien er plötzlich wie umgewandelt. War nun auch Kappel ein sehr einfacher Mann, so mußte dennoch die schnelle Veränderung des Benehmens seines Herrn ihm auffällig werden. Verstärkt ward sein Mißtrauen durch die fortwährenden Besuche, welche der Baron alle zwei Tage im preußischen Hauptquartiere zu Strehlen machte. Nach jedem Besuche mußte Kappel von Schönbrunn aus zu dem Curatus Schmidt nach Siebenkuben reiten und demselben einen versiegelten Brief, ohne Aufschrift, einhändigen. Die Antwort auf diesen Brief brachte der Curatus dann dem Warkotsch nach Schönbrunn. Das Einzige, was Kappel in seinen Muthmaßungen schwankend machte, war die gute Aufnahme, die der Baron im preußischen Quartier fand. Er erfreute sich sogar des intimen Umganges mit dem Cabinetsrath Eichel. Es machten preußische Officiere in Schönbrunn Gegenbesuche, und jedesmal suchte alsdann der Baron eilig den Curatus zu entfernen – ja, Kappel bemerkte sogar, daß Warkotsch den Priester vor dem Hause, hinter einer Gartenmauer sprach und ihn gar nicht in’s Zimmer ließ, während ein preußischer Major im Schlosse war; auch mußte der Jäger den Schmidt drei Mal an einen sehr entlegenen Ort, die „Pfarr-Erlen“ genannt, zur Unterredung mit dem Baron bestellen. Aengstlich besorgt trachtete Warkotsch ferner, daß Niemand im Dorfe seinen häufigen Umgang mit dem Priester erfahre. Kappel konnte sich freilich nicht denken, wem eine Unternehmung gelten solle? Unwillkürlich fiel ihm jedoch die Unsicherheit auf, in welcher sich der König befand. Beide Armeen standen sich so nahe gegenüber, daß ihre Patrouillen oft einander begegneten. In Strehlen selbst standen einige Bataillone, die übrigen Theile der Armee lagen auf den Dörfern umher. Im Rücken, hinter Strehlen, lag das Regiment Zastrow (Cavallerie), Jäger und Feldwachen schützten vor Ueberfällen. Gegen Feinde hatte der König sich gedeckt – nicht gegen Verräther und Meuchelmörder. – Er selbst wohnte nämlich nicht in Strehlen, sondern 300 Schritte von der Ringmauer dieser Stadt entfernt in dem offnen Dorfe Waiselwitz. Das Haus, welches er bewohnte, gehörte dem Bauinspector Bruchkampf. Neben demselben lang die Wohnung des Postmeisters Stiller, zwei Etagen hoch. In dieser Wohnung war das Cabinet des Königs.

Dicht hinter beiden Häusern lief der Stadtwall aus, neben und vor welchem man durch tiefe Gründe, an dem Dorfe Hussinetz vorüber, ohne einen Posten zu berühren, bis an den Stiller’schen Garten kommen konnte. Durch diesen Garten fließt die kleine Ohlau, deren seichtes Wasser eine Rotte von Abenteurern nicht abhalten konnte, einen Angriff auf die Person des Königs durch das Fenster des Schlafgemaches zu unternehmen. Der Baron Warkotsch hatte sich sogleich bei seinem ersten Besuche von der trefflichen Gelegenheit, welche sich seinem schändlichen Vorhaben darbot, unterrichtet. Lange schon lauerte er dem König auf; hier schien ihm endlich der Augenblick gekommen. Regelmäßig wurde der österreichische Hauptmann Wallis durch den Curatus Schmidt in Kenntniß von allen Veränderungen im preußischen Hauptquartier gesetzt. Warkotsch hatte Folgendes genau ermittelt: Die Bedeckung des Königs gab das erste Bataillon des Garde-Regiments, davon waren immer 13 Mann im Hause, welche leicht überwältigt werden konnten. Erst in Strehlen lagen Officiere und 4000 Mann, die wahrscheinlich zu spät gekommen wären. Es war ferner die Ordre gegeben, daß die hinter Strehlen liegende Cavallerie und Infanterie bei einem Angriff des Feindes sich nicht hinter Strehlen postiren, sondern sofort in die vorderste Linie eilen solle. Warkotsch [800] schloß also ganz richtig, daß die im Hinterhalt liegenden Verschworenen keinen Widerstand finden würden. Es ward nun ein nächtlicher Hauptangriff der Oesterreicher gegen die preußische Front verabredet, zu gleicher Zeit sollten die im Stadtwalde auf der Lauer liegenden Verschworenen durch das Fenster von hinten, durch keine Wache, die auf der andern Seite des Hauses stand, gehemmt, einbrechen. Mit ihnen sollte ein starkes, feindliches Commando das Haus umzingeln, die Wachen niedermachen und das Dorf anzünden. In der Verwirrung war es dann gewiß sehr leicht, sich der Person des Königs zu bemächtigen und die ihres Heldenhauptes beraubte Armee später zu vernichten. Mißlang der Streich, so setzte sich die österreichische Armee keiner großen Gefahr aus, denn sie konnte leicht in die Gebirge sich zurückziehen, ebenso war es den Verschworenen ein Leichtes, durch die Gründe und Hohlwege zu entkommen und das Dörfchen Pagarth zu erreichen.[2].

Der sehr gut angelegte Plan sollte am 30. November Nachts zur Ausführung kommen. Am 29. hatte der König noch den Baron von sämmtlichen Lieferungen befreit und ihn Mittags zur Tafel gezogen. Der Jäger Kappel mußte am 28. einen Ritt zu den österreichischen Vorposten thun und einen Brief direct an den Hauptmann Wallis abgeben; man hatte ihm gesagt, der Hauptmann wolle dem Baron eine neue Sendung ungarischen Weins zukommen lassen. Jetzt wurde Kappel äußerst unruhig. Wem aber sollte er sich entdecken? Alle Beweise fehlten ihm. Unter solchen Sorgen kam der 29. November, ein Sonntag, heran. Der Baron ritt schon früh mit Kappel nach Strehlen, dinirte beim Könige, spielte nach der Tafel mit den Officieren und machte einen Spazierritt in die Umgegend, in Gesellschaft des Markgrafen Karl und des Herrn von Krusemark. Später verkehrte er mit verschiedenen Officieren in sehr eifrigem Gespräche und blieb bis zwölf Uhr Nachts in Strehlen.[3] Kappel wartete mit den Pferden vor dem Hause des Königs. Er zitterte vor Kälte. Es war ihm aber anbefohlen, jedes Geräusch zu vermeiden. Der Mond schien hell und zeichnete die Schatten der vorüberziehenden Patrouillen scharf auf den Erdboden. Endlich erschien der Baron und rief nach den Pferden. Er war so lange bei dem Rath Eichel gewesen. Warkotsch und Kappel ritten dicht hinter des Königs Quartier weg; sie bemerkten Licht im Schlafzimmer des Monarchen.

[808] Als der Baron Warkotsch und Kappel auf diesem Nachtritt bei der Treppendorfer Walkmühle ankamen, begann der Erstere eine Unterhaltung.[4] „Habt Ihr bemerkt, Kappel, wie schlecht der König von Preußen in seinem Quartier steht?“

„Ich denke, gnädiger Herr, er hat seine Garden?“

„Nur 13 Mann sind zur Bedeckung bei ihm. Ein österreichischer General stände nicht so bloß.“

Kappel antwortete Nichts. In diesem Augenblicke ritten sie durch ein Piquet der Zastrow’schen Dragoner; als sie dasselbe hinter sich hatten, begann der Baron wieder: „Wenn die Oesterreicher wüßten, wie der König steht, könnten sie ihn abholen und ohne alle Umstände gefangen nehmen.“

„Wer wird das den Oesterreichern sagen?“

„Ei, glaubt Ihr nicht, daß sie Spione haben?“

„Wenn sie auch Spione haben, so es Gott nicht zulassen will, werden sie den König nicht bekommen.“

„Narr Ihr! glaubt Ihr Gott kümmert sich um den König?

Das ist nur der großen Herren Sache.“

„Ums Himmelswillen, Herr Baron, redet nicht so laut; wenn man uns hörte!“

„Treibt Euer Pferd dicht an das meine, damit ich nicht so laut zu reden brauche.“ Kappel that es. „Wie oft sind wir,“ fuhr Warkotsch fort, „in der Nacht hier geritten, ohne Patrouillen zu sehen oder eine Wache. Es ist sehr kalt, und sie sitzen in den Quartieren, ohne sich zu fürchten, daß die Oesterreicher kommen sollten und sie angreifen. Es ließe sich schon was ausführen.“

Kappel bekreuzte sich im Stillen. Um zwei Uhr nach Mitternacht kamen sie in Schönbrunn an. Der Baron befahl dem Jäger, er solle zu Bett gehen. Kappel trat in sein Zimmer, als seine Ehefrau mit besorgter Miene auf ihn zukam. „Matthias,“ rief sie, „hier ist ein Brief, den mir der Curatus Schmidt selbst überbracht hat. Der Herr, sagte er, müsse ihn haben und sei es noch so spät. Er war bei der Baronin sehr lange, warum gab er ihr das Schreiben nicht? nur Dir soll ich ihn geben! Matthes, was ist’s mit den Briefen? lieber Gott, es geht was vor! thust Du auch keine Sünde? dem Koch und dem Verwalter habe ich den Brief gezeigt, aber sie wollen ihn nicht aufmachen. Matthes, mir drückt’s das Herz ab.“[5]

Kappel beruhigte sie, obwohl er selbst erregt genug war. Der erhaltenen Weisung gemäß brachte er den Brief zu Warkotsch. Als er in das Schlafzimmer trat, fand er den Baron neben der Baronin auf dem Sopha sitzen. Die Dame wurde sehr ungehalten darüber, daß der Curatus ihr nicht den Brief übergeben habe. Warkotsch herrschte ihr zu: „Madame, begeben Sie sich in Ihr Schlafzimmer, Sie haben mit meinen Briefen nichts zu schaffen.“ Er schickte Kappel ebenfalls zu Bette. Dieser lag bald im ersten Halbschlummer. Plötzlich hörte er auf dem Corridor vor seiner Wohnung Jemand gehen. Seine Frau erwachte und sagte: „Hörst Du nichts?“ Beide hörten nun, wie eine Thür geöffnet ward, und die Stimme der Anne Dutkin, Kammerjungfer der Baronin, rief: „Wer ist da?“ Hierauf ward es still, fing aber nach einer Weile wieder zu gehen an. Kappel schlug Licht. Da klopfte es leise an seine Thüre. Er öffnete. Der Baron stand vor ihm, einen Brief in der Hand. „Kappel,“ flüsterte er, „Ihr müßt heute früh um 4 Uhr den Brief an Schmidt bringen.“

„Soll ich auf Antwort warten?“

„Nicht nöthig.“

„Kann ich morgen,“ fragte Kappel, „zu Schmidt in die Kirche gehen? wir Katholiken haben Andreastag.“

„Geht in die Kirche.“ Warkotsch schlich sich fort.

Kaum hatte Kappel die Thüre geschlossen, so warf sich seine Frau ihm zu Füßen, sie beschwor ihn, den Brief zu öffnen, der gewiß ein Verbrechen enthalte, dem er als Werkzeug dienen müsse, er möge bedenken, was er thue, und wie der Baron berüchtigt sei. Anderthalb Stunden wartete Kappel noch, ob Alles still bleibe. Dann löste er mit zitternder Hand das Siegel. Seine Ehefrau hielt das Licht. Beide athmeten kaum. Das erste Couvert, an Schmidt adressirt, enthielt inwendig nur die Worte: „Der Herr Curatus beliebe diesen Brief auf das Allerschleunigste zu bestellen.“ In dem Couverte lag ein zweiter Bries, adressirt: „A Monsieur le baron de Wallis“ Nachdem Kappel das Siegel erbrochen, las er folgendes Schreiben: „Mein lieber General von Wallis! Ich zeige Ihnen an, daß ich gestern in dem Hauptquartiere des Königs gewesen bin und genau alle Nachrichten gebe. Der König hat die mehrsten Regimenter unvermerkt gegen Breslau in die Winterquartiere abmarschiren lassen. Das Geschütz, wie auch die Kriegscasse ist auch bereits abgegangen, der König selbst, wie es sicher ist, wird den 30., als Mittwoch Nachts, nachfolgen. Sein Wagen steht vor der Thür; er ist nur des Regens wegen weggeschoben gewesen. Es ist Zeit; machen Sie Ihr Glück. Man muß den Vogel nicht ausfliegen lassen. Sie haben nichts zu riskiren, da Sie jetzo Wegweiser haben. Lassen Sie Treppendorf rechter Hand liegen, worin etwas Dragoner von Zastrow liegen. Eine halbe Meile am Gebirge linker Hand sind etliche Fußjäger auf Vorposten. Sie können hinten durch den Garten gerade in des Königs Quartier, wo eine Brücke geschlagen ist, eindringen. Bei sich hat der König, rechter Hand im Eingänge des Hauses, nur 13 Mann von seiner Garde zur Bedeckung.

Warkotsch.“[6]

Kappel zitierte während des Lesens an Händen und Füßen. Seine Haare sträubten sich, kalter Schweiß bedeckte seine Stirne. „Hast Du’s gelesen, Frau?“ rief er, „sie wollen den großen König abholen.“

„Sst! Mann,“ flüsterte die Frau, „kein Wort! die Wände haben Ohren. Du mußt ihnen zuvorkommen.“

„Ich liefere den Brief dem Könige aus.“

„Nein, Matthes, horch. Mir kommt ein Gedanke.“ Die Frau theilte nun dem Jäger einen Plan mit, den Kappel befolgte. Leise schlüpfte er aus dem Schlosse, und die Dorfstraße vermeidend, gelangte er an das Haus des lutherischen Predigers Gerlach im Dorfe Schönbrunn. Alles schlief noch im Predigerhofe. Geweckt durch das Klopfen an den Fensterladen, sprang Gerlach auf, erkannte Kappel an der Stimme und ließ ihn ein. Mit Grauen vernahm er die Nachricht. Beide kamen nun überein, daß Kappel sofort dem Könige Meldung machen solle. Um aber jeden Verdacht des Barons oder Wallis’ abzuwenden, copirte Gerlach die beiden Briefe an Schmidt und Wallis, während Kappel das Original dem Könige zustellen sollte. In’s Schloß zurückgekehrt fand [809] Kappel die Kammerjungfer Anna Dutkin schon erwacht. Unter dem Vorwande, ein Schreiben abgeben zu müssen, ließ er sich von ihr in das Arbeitszimmer des Barons führen. Hier siegelte er den von Gerlach copirten Brief mit dem Petschaft seines Herrn und ging dann vorsichtig in den Hof. Er weckte den Jägerburschen Johann Böhmelt, befahl ihm, sich schleunig anzukleiden und heraus zu kommen. Er händigte dem Burschen die Copie des Briefes ein und beauftragte ihn, das Schreiben nach Siebenhuben an den Curatus Schmidt zu bringen, aber, so lieb ihm sein Dienst und sein Rücken sei, Niemandem, auch wenn er zurückgekehrt sei, ein Wort von der Sache zu sagen. Diesen Auftrag hat Böhmelt pünktlich ausgerichtet. Kappel verabschiedete sich nun von Gerlach, der ihm seinen Segen gab, und ging bis zum Vorwerk Casserei; hier borgte er ein Pferd und sprengte mit verhängten Zügeln nach Strehlen. Als der Hufschlag über das Steinpflaster donnerte, liefen die Wachen zusammen, aber er kümmerte sich nicht darum. Endlich hielt er, in eine Dampfwolke gehüllt, vor der Thür des Hauses, welches der König bewohnte. –

Vor der Thür der Wohnung stand der im Briefe bemerkte Wagen, an welchen Kappel sein Pferd band. Der Jäger hatte sich während des Rittes noch einmal Alles überlegt und war zu dem Resultate gelangt, daß er in diesem Augenblicke eine Person von großer Wichtigkeit sei und das Geschick von Ländern in Händen hatte. Kraft dieses Bewußtseins trat er deshalb keck in den Hausflur und auf des Königs Zimmer zu. Hier aber stellte sich ihm ein baumlanger Grenadier in den Weg, der ihn mit den Worten: „Zurück! So geradezu geht man nicht zum König,“ bei Seite stieß.

„Ich aber,“ entgegnete Kappel, „habe Sachen von Wichtigkeit abzugeben.“

„Dafür ist in der andern Stube der wachthabende Officier, wenn der Ihn annimmt, so wird Er beim König gemeldet.“

Der Officier schien jedoch nicht geneigt dazu. Er sagte: „Ich bin nicht dazu da, Leute beim Könige zu melden, besonders solche, die so verwirrt aussehen. Geh’ Er über die Straße zum General-Adjutanten von Krusemark.“

„Aber, mein Lieutenant,“ entgegnete Kappel, „ich habe einen offenen Brief, den der König gleich haben muß. Wenn Sie mir nicht glauben wollen, so lesen Sie ihn. Sie werden dann erfahren, wie wichtig die Sache ist.“

„Ich lese keine Briefe, die der König haben muß,“ versetzte der Officier, „und nun scheert Euch zum General Krusemark.“

Damit warf der Mann sich wieder in seinen Sessel.

Kappel eilte, immer besorgter werdend, zum General Krusemark. Hier war er glücklicher. Er wurde eingelassen. Der General lag im Bette. Eilig übergab Kappel den Brief und begann seine Erzählung.[7] Je weiter er in der Darlegung kam, desto höher richtete Krusemark sich wie eine Steinfigur im Bette aus, desto länger und bleicher ward sein Gesicht. Endlich warf er die Augen auf den Brief, durchflog ihn und war mit einem ungeheuern Satze aus dem Bette, fuhr wie der Blitz in die Beinkleider und Stiefel, dann in seinen Rock, stülpte den Hut auf den Kopf, legte seinen Degen an und packte den erschrockenen Kappel. „Er bleibt hier im Zimmer,“ rief er, „läßt sich nicht am Fenster sehen, denn Er ist in Strehlen bekannt. Ich werde Ihn durch einen Officier abholen lassen.“

Nach diesen Worten eilte Krusemark aus dein Zimmer und schloß die Thüre zu. Eine Viertelstunde verstrich. Dann erschien ein Lieutenant, der Kappel aufforderte, mit ihm zum Könige zu kommen. Der Jäger mußte einen blauen Roequelor umhängen und einen Federhut aufsetzen; so vermummt ward er durch den Garten in das Zimmer des Königs geführt. Es war außer dem König nur noch Krusemark zugegen. Friedrich ging eine Zeitlang schweigend heftig auf und ab. Plötzlich blieb er vor dem Jäger stehen und fragte mit bewegter Stimme:

„Weiß Er nicht, womit ich das an Seinem Herrn verdient habe?“

„Ich weiß es nicht. Nur so viel ist mir bekannt, daß der Baron sehr unzufrieden mit Ew. Majestät Regierung ist, weil er mit seinen Gutsbauern nicht machen kann, was er will.“ – –

Kappel mußte nun eine genaue Schilderung machen, von dem Plane selbst, dessen Entstehung und Fortgang reden und darlegen, wie es in der nächsten Nacht hätte kommen sollen. Schweigend hörte der König ihn an und wendete nicht eine Secunde seine Augen von Kappel’s Antlitz. Als dieser geendet, fragte der König: „Wie lange dient Er dem Baron?“

„Acht Jahre lang.“

„Er muß ihm nicht mehr dienen. Er ist ja wohl aus Mitrowitz? Wessen Unterthan?“

„Des Grafen Wratislaus, in der Nähe von Kollin ansässig.“

„Ich kenne die Gegend.“ Der König trat dicht an den Jäger heran, so nahe, daß dieser den Athem spürte. „Katholisch ist Er? Nicht wahr?“ fragte Friedrich.

„Ja, Majestät.“

„Und Sein Herr ist lutherisch?“

„Ja, Majestät.“

„Nun sieht Er, Jäger, es giebt unter allen Religionen ehrliche Leute und Schufte. Die Sache kommt aber nicht von Ihm selbst; Er ist ein bestimmtes Werkzeug für mich von höherer Hand abgeschickt und nicht schuld daran. Ich werde Ihn gut aufheben lassen.“ –

Kappel bezeigte nun sein Bedauern, daß der Baron solchergestalt gegen den König verfahren. Hierauf entließ ihn Friedrich, gab aber Befehl, ihn mit Niemandem, bis auf weitere Ordre, sprechen zu lassen. Er erhielt sein Quartier beim Jägercorps und ward schon am folgenden Tage in Strehlen verhört, darauf aber nach Breslau abgeführt.[8] – Es ward sofort Befehl gegeben, den Warkotsch zu verhaften, und der Hauptmann von Rabenau mit 100 Dragonern zur Arretirung abgesendet. Rabenau fand den Baron im Schlafrocke bei Tische. Er kündigte ihm den Arrest an. Warkotsch benahm sich sehr ruhig, lud den Hauptmann ein, mit ihm zu speisen, und während des Desserts ging er in das Nebenzimmer, sich umzukleiden. Da er die sein Haus umzingelnden Dragoner bemerkte, bat er den Hauptmann, er möge die Soldaten in das Wirthshaus des Dorfes senden und nicht fürchten, daß er, der Baron Warkotsch, entrinnen werde, dafür seien die großen Besitzungen, die er ja dann im Stiche lassen müsse, Bürge. Rabenau war unvorsichtig genug, auf des Barons Bitten einzugehen. Kaum waren die Posten abgezogen, als Warkotsch, der dem Hauptmann fleißig zutrank, in sein Schlafzimmer ging. Er hatte vor Rabenau’s Augen Geld zu sich gesteckt, eilte von seinem Schlafzimmer in den Stall, wo ein trefflicher Engländer für alle Fälle gesattelt stand, und jagte durch den Schloßpark auf die österreichischen Vorposten zu. Nach Verlauf einer Viertelstunde ward Rabenau unruhig, er fragte nach dem Baron – Niemand wollte mit der Sprache heraus, bis endlich einer der Diener die sehr unerwünschte Auskunft gab, der Herr sei in gestrecktem Galopp durch den Park geritten. Ein nachgesendetes Commando kehrte unverrichteter Sache zurück; der Baron war schon im Gebirge, wohin er nur eine halbe Stunde zu reiten hatte, verschwunden. Rabenau, einer der tüchtigsten Männer der Armee, wollte sich in Verzweiflung den Degen durch den Leib rennen, woran ihn die Frau von Warkotsch hinderte. Rabenau ward später arretirt, vor ein Kriegsgericht gestellt, aber nur mit Arrest und Verweis bestraft. Sein Avancement ließ jedoch fünf Jahre warten. Endlich erhielt er den Majorscharakter und nahm dann seinen Abschied. Er starb auf seinem Gute Tschertschendorf bei Grünberg.

Nicht glücklicher war man mit dem Einfangen des Curatus Schmidt. Dieser war bei dem Herrn von Nimptsch zur Tafel. Ein Unterofficier von den Zastrow’schen Dragonern verhaftete ihn. Schmidt entfloh durch einen seiner priesterlichen Würde sehr unangemessenen Ort – – dessen Besuch der Unterofficier ihm gestattet hatte. Herr von Nimptsch ward an seiner Stelle arretirt, aber auf Kappel’s Zeugniß freigelassen. – Warkotsch hatte die Frechheit, in derselben Nacht nach seiner Flucht unter Escorte von 300 österreichischen Husaren nach Schönbrunn zurückzukehren. Er fand sein Schloß ganz verlassen, und nur die Frau des Jägers Kappel hütete das öde Gebäude, da Rabenau die Baronin in das preußische Hauptquartier transportirt hatte. Warkotsch weckte die Kappel und rief ihr freundlich zu: „Liebe Susel, mach auf.“ Er fragte zuerst: „Wo ist Kappel?“

„Ich weiß es nicht.“

„Gott stehe ihm bei.“[9]

Sodann forderte er die Schlüssel und ging mit dem Officier in sein Arbeitscabinet. Er nahm 30,000 Thaler aus dem Schreibspinde, [810] auch viele Juwelen, vertheilte dann Geld unter die Husaren und wollte noch zwei kleine Koffer voll Geld mitnehmen, die im Schlafzimmer standen, aber der Officier ließ es nicht zu, da sie vor einem Ueberfall der Preußen nicht sicher wären. Warkotsch befahl der Kappel, diese beiden Koffer nach Kloster Hennrichau zu schaffen. Dann nahm er noch Wäsche und seine Wildschur und verließ sein Schloß auf immer. Am folgenden Morgen ließ der König die Kappel und sämmtliches Geld nach Strehlen holen. Uebrigens war der Baron sehr glücklich. Es lag ein starkes preußisches Detachement im Hinterhalte, um ihn zu fangen. Der Commandant desselben, Lieutenant von Brausen, hatte Ordre bis zwölf Uhr zu bleiben, da man eine Zurückkunft des Verräthers erwartete. Brausen zog um zwölf Uhr ab, und Warkotsch kam erst um 1 Uhr an, entging also glücklich seinen Häschern. –

In Breslau nahm das Verhör seinen Anfang. Viele Zeugen traten auf, fast Alle gegen Warkotsch und Schmidt. Es wurden verhört: der Jäger Matthias Kappel; dessen Ehefrau; Anna Dutkin, Kammerjungfer der Baronin; Benjamin Gerlach, lutherischer Pastor zu Schönbrunn, und dessen Ehefrau; Gottlob Böhmelt, Jägerbursche; Joseph Reipricht, Verwalter auf Schönbrunn; die Baronin von Warkotsch; der Freiherr von Nimptsch; eine gewisse Eva Paul, Tochter einer Bewohnerin des Dorfes Siebenhuben. Diese Eva scheint der im Briefe angeführte „Wegweiser“ zu sein. Sie war dem „Curatus Schmidt“ wahrscheinlich mehr, als nur Hausmagd. Der Gang des Processes, so wie verschiedene untergeordnete Zeugenaussagen, als z. B. die des Koches, Portiers etc., bieten nichts Bemerkenswertheres dar. Für das Gericht fungirten: Generalfiscal Schultes, Criminalrath Böhm, Inquisitor Belach und als Vertheidiger des Angeklagten: Fiscal Gerlach. Dieser gab sich alle erdenkliche Mühe, für seinen Schutzbefohlenen zu wirken. Verschiedene Male ließ er Handschriften vergleichen, Zeugen verdächtigen etc. Seine ganze Vertheidigung zerfiel jedoch in Nichts, als ein aufgefangener Brief des Barons, an die Baronin gerichtet, bei der Verhandlung verlesen und als echt anerkannt wurde. Der Inhalt lautete:

„Mein Kind! Der verfluchte Gedanke, den ich gegen meinen König gefaßt habe, hat Mich in das Elend gestürzt. Und wenn ich den höchsten Berg bestiege, kann ich solches nicht übersehen. Lebe wohl. Ich befinde mich an der äußersten Grenze der Türkei.

Warkotsch.“[10]

Warkotsch erhielt den verdienten Lohn des Verrälhers. Er entrann zwar der Körperstrafe, starb aber verachtet und von Jedem gemieden, belastet mit dem Fluche der That, in der Nähe von Pesth. Die Kaiserin Maria Theresia bezeigte ihm ihre Verachtung und ließ ihm sagen: Er möge sich fortpacken. Er erhielt ein kleines Sündengehalt von 800 Gulden. Das gesammte österreichische Officiercorps, Laudon an der Spitze, erklärte sich für unbetheiligt bei dem Anschlage, obwohl es nicht wahrscheinlich ist, daß ein Hauptmann wie Wallis auf eigne Verantwortung einen Handstreich von solcher ungeheuren Tragweite, und mit so großen Vorbereitungen verknüpft, zu unternehmen gewagt hätte. Wallis’ Person selbst ist nie bekannt oder aufgeklärt worden, man scheint ihn sorgsam verborgen zu haben. Die gräfliche Familie Wallis machte öffentlich bekannt, daß der Verschworene Wallis nicht zu ihrer Verwandtschaft gehöre. – Die Baronin Warkotsch starb 1789 zu Raab, nachdem sie eine Art von Bußzwang durchgemacht hatte. Sie vermachte ihr Vermögen ihren Angehörigen und Domestiken. Für ihren Mann ließ sie 30 Seelenmessen lesen. Sie ward schon nach dem ersten Verhöre in Freiheit gesetzt.

Kappel erhielt die Hegemeisterstelle zu Oranienburg, und 1779 ließ der König ihm ein neues Haus erbauen, sah ihn aber sehr selten. Kurz nach dem Schlusse der Verhandlungen sagte der König zu ihm: „Lasse Er sich nicht von den Oesterreichern fassen, sonst wird Er in Oel gesotten.“ Dem Prediger Gerlach ward eine Pfarrstelle zu Brieg ertheilt. Böhmelt wurde Unterförster bei Bromberg. – Der Curatus Schmidt ist vollständig verschollen. Man hat niemals erfahren, wo er nach seiner Flucht hingekommen. Das aus der Warkotsch’schen Gesammtmasse stammende Vermögen ließ der König den Breslauer Schulen und Stiftungen überweisen.

Am 22. März 1762 ward das Urtheil des Breslauer Gerichts in contumaciam gegen Warkotsch und Schmidt veröffentlicht. Es lautete: Daß Heinrich Gottlob ehemals Freiherr von Warkotsch und Franz Schmidt durch die wider ihren Souverain geschmiedete Unternehmung, ersterer seines Adels verlustig, beide recht- und ehrlos werden, und ihr gesammtes Vermögen, beweg- und unbewegliches, mit Vorbehalt derer der Eheconsortin des ersteren Verbrechers und einem jeden davon zustehenden erweislichen Anforderungen, dem fisco als verwirktes Gut zu verabfolgen. – Daß demnächst Ersterer lebendig zu Viertheilen, der Zweite zuvörderst zu enthaupten, und sodann der Körper in vier Theile zu theilen, auch bis zu Erfolg ihrer Habhaftwerdung das Urtheil in effigie zu vollziehen und dabei des ersteren Verbrechers Wappen durch den Scharfrichter zu cassiren und zu zerbrechen. –

Diese Strafen wurden „im Bilde“ an den Verbrechern auf dem Salz-Ringe zu Breslau vollstreckt. Der König war innerlich sehr froh, daß Beide entkommen waren, denn er verabscheute die Todesstrafe, und es kostete ihm furchtbare Ueberwindung ein Todesurtheil zu unterschreiben. Auf den Rand des Erkenntnisses schrieb er: „Soll also geschehen; die Portraits werden wohl so wenig taugen, als die Originals.“

G. Hiltl.




  1. Verhörsacten des Jägers Kappel
  2. Aus den Verhörsacten des Jägers Kappel, Bl. 131. Fol. 72
  3. Verhörsacten des Jägers Kappel. Fol. 170.
  4. Wörtliche Aussage des Jägers Kappel und seiner Ehefrau, Fol. 3.
  5. Verhörsacten des Jägers Kappel, Fol. 3. Die ganze Scene wörtlich nach Kappel’s Aussage und der seiner Gattin.
  6. Verhörsacten, Fol. 72 u. ff.
  7. Verhörsacten Fol. 198, 199, wörtliche Aussage Kappel’s.
  8. Mündliche Aussage Kappel’s.
  9. Aussage des Jägers Kappel Fol. 125, 128.
  10. Prozeßacten, Fol. 68, 200.