<<< Zweiter Teil >>>
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aus: Der Todesgang des armenischen Volkes
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Zweiter Teil.


Die Schuldfrage.


1. Der Charakter der Ereignisse.


Aus unserm Bericht geht unzweifelhaft hervor, daß die Deportation von der Zentralregierung in Konstantinopel angeordnet und durchgeführt worden ist. Eine so umfassende Maßregel, die sich auf ein Gebiet von 880 000 Quadratkilometer erstreckt (Armenien, Kurdistan, Klein-Asien, Nordsyrien und Mesopotamien, d. h. auf ein Gebiet, das ebenso groß ist als Deutschland, Österreich und die Schweiz zusammengenommen), kann nicht irgendwelche zufälligen und unkontrollierbaren Ursprünge gehabt haben.

Es ist in der deutschen Presse, die mangels eigner Nachrichten auf Vermutungen angewiesen war und ihre Urteile über Dinge, die „hinten in der Türkei“ vor sich gehen, mehr aus der Phantasie, als aus der Kenntnis von Tatsachen schöpfen mußte, lang und breit ausgeführt worden, daß es sich bei den armenischen Massakers und Deportationen um Dinge handle, die etwa mit den Judenverfolgungen des Mittelalters zu vergleichen seien. „Der Ottomane ist arglos und gutmütig“ schreibt Graf Reventlow in der „Deutschen Tageszeitung“, „er bietet ein überaus bequemes Objekt zur Ausnutzung bis zu einem gewissen Augenblick und Grade, wo ihn die Verzweiflung erfaßt und er sich mit Gewalt gegen seine Peiniger erhebt. Wie bedauerlich an sich, vom Standpunkt der Zivilisation gesehen, solche gesetzlose Selbsthilfe sein mag, so liegt doch auf der Hand, daß gerade die Armenier ... am wenigsten Mitleid und gefühlvolle Erregung der Kulturwelt verdienen.“ Natürlich ist dem Verfasser unbekannt, daß 80 v. H. der armenischen Bevölkerung, und zwar gerade diejenigen, die in erster Linie von der Deportation betroffen wurden, Bauern sind, die sich vermutlich nicht mit der Aussaugung der ihnen benachbarten räuberischen Kurden abgegeben haben. Auch beruht alles, was man in der deutschen Presse über Charakter und Bedeutung des armenischen Handels als selbstverständliches und nicht erst zu beweisendes Urteil zu lesen gewohnt ist, auf nicht mehr als der Kenntnis einer Redensart, die im Orient je nach Bedarf abwechselnd auf Armenier, Juden oder Griechen angewendet wird. Die Grundannahme aber, daß es sich bei der Deportation und Vernichtung des armenischen Volkes um „gesetzlose Selbsthilfe“ handle, ist so sehr aus der Luft gegriffen, daß sie nicht erst der Wiederlegung bedarf.

Eine beträchtliche Anzahl von Regierungsbeamten im Innern, wie der Wali Djelal Bey in Aleppo, der Wali Rachmi Bey in Smyrna, der Wali Tahsin Bey in Erzerum, die Mutessarifs von Malatia Nabi Bey und Reschid Pascha und viele Kaimakams, haben sich mit oder ohne Erfolg gegen die Durchführung der Maßregel gesträubt. Die türkische Bevölkerung, die überall im Frieden mit den Armeniern lebte, hat sich vielfältig gegen die Deportation ihrer Mitbürger aufgelehnt und gegen deren Vernichtung bei den Behörden Verwahrung eingelegt. Die Bevölkerung von Erzerum hat eine Eingabe an die Zentralregierung gemacht. Die Türken von Alaschkert telegraphierten nach Konstantinopel und erhoben Einspruch gegen die Behandlung der Armenier. Die Türken von Wan haben ihre armenischen Mitbürger wissen lassen, daß sie nur gezwungen gegen sie kämpften; ein unberücksichtigt gebliebener Protest wurde von mehreren vornehmen Türken gegen den von dem Gouverneur angestifteten Bürgerkrieg erhoben. In mehreren Orten von Nikomedien hat die Bevölkerung den Abzug der Armenier zu verhindern versucht. In Adabasar versammelten sich die Muhammedaner der Stadt am Bahnhof, um sich der Verschickung zu widersetzen. Dasselbe geschah in Mudania, so daß der Befehl zunächst zurückgenommen wurde. In einem Dorf in der Nähe von Kaisarije weigerten sich die Türken, die im besten Einvernehmen mit ihren christlichen Nachbarn lebten, die Armenier ziehen zu lassen und erklärten dem Kaimakam, wenn er die Deportation ausführen würde, würden sie mitgehen. Auch hier mußte der Kaimakam den Deportationsbefehl vorläufig zurücknehmen. Der Pöbel in den Städten hat sich zwar, soweit es die Regierung zuließ, an der Plünderung armenischer Habseligkeiten beteiligt, nirgends aber handelte es sich dabei um einen Ausbruch von Volksleidenschaften, sondern um eine willkommene Gelegenheit zum Diebstahl. Denn die Regierung war es, die Äcker, Häuser, Warenbestände und Hauseinrichtungen der Deportierten mit Beschlag belegte und nach dem Abzug zu Spottpreisen verauktionierte.

Was geschehen ist, ist eine in größtem Maßstabe durchgeführte Expropriation von anderthalb Millionen Staatsbürgern, die durch ihre zähe Arbeitskraft am meisten zur Hebung der wirtschaftlichen Kultur des Landes beigetragen hatten.

Die europäische Vorstellung, daß die verschiedenen Religions- und Rassenelemente der Türkei nicht im Frieden miteinander zu leben vermöchten, ist grundfalsch. Die Bevölkerung hat seit Jahrhunderten zusammengelebt. Ebenso wie Muhammedaner und Christen in Bosnien und der Herzegowina friedlich beisammen wohnen, würden Araber und Syrer, Armenier und Kurden, Türken und Griechen, Drusen und Maroniten im schönsten Frieden zusammenleben und zusammenarbeiten, wenn es etwas einer europäischen Regierung Ähnliches in der Türkei gäbe. Die alte Regierungsweisheit der türkischen Sultane war das divide et impera, ein Grundsatz, durch den die Bevölkerung der Türkei allmählich auf den vierten Teil ihres ursprünglichen Bestandes herunter dividiert worden ist. Die jetzige Maßregel der türkischen Regierung, die das dünnbesäte Land aufs neue entvölkert, ist dagegen nicht durch Aufhetzung der Bevölkerungsteile gegeneinander, sondern auf dem Verwaltungswege, zustande gekommen.

Wir sind in den Berichten wiederholt der Tatsache begegnet, daß die Provinzialregierung in ihren Anordnungen sei es gehemmt sei es gefördert wurde durch Organe einer Nebenregierung, die, obwohl unverantwortlich, doch den Charakter einer höheren Instanz trug. Es ist die Organisation der Klubs des „Komitees für Einheit und Fortschritt“, die tatsächlich ebenso, wie einst das Spionagesystem Abdul Hamids, die Regierungshandlungen im Innern entscheidend bestimmt. Diese Organisation ist nicht eine Parteiorganisation im europäischen Sinne, denn sie besteht nur aus Führern und hat keine Volksmassen hinter sich. Sie ist nur eine dünne Schicht türkischer Intellektueller und ihrer Werkzeuge. Vor der Niederschlagung der türkischen Opposition im Jahre 1912 hatte die gegenwärtige Organisation noch mit einem Widerstande von seiten der Anhänger der liberalen Opposition und der vornehmen Alttürken zu rechnen. Zur Zeit besitzt sie die Alleinherrschaft und sorgt dafür, daß bei den Wahlen nur die von dem „Komitee für Einheit und Fortschritt“ bezeichneten Kandidaten gewählt werden. Eine Opposition im türkischen Parlament gibt es vorläufig nicht. Obwohl nur der Regierungsapparat, mit dem die militärischen Behörden zusammenwirken, eine Maßregel, wie die der Expropriation und Deportation des armenischen Volkes durchführen konnte, so war doch augenscheinlich das „Komitee für Einheit und Fortschritt“ und seine Organe in den Provinzen die Seele des ganzen Unternehmens. Es sorgte dafür, daß die Dinge nach Wunsch vonstatten gingen und nirgends durch Regungen des Wohlwollens oder der Menschlichkeit gehemmt wurden. Insbesondere lag auch die Organisation der Banden, für die alle nur brauchbaren Elemente, Kurdenstämme, berüchtigte Räuberbanden und entlassene Sträflinge, verwendet wurden, in den Händen der jungtürkischen Klubs. Die türkische Bevölkerung ist von dem Vorwurf freizusprechen, daß sie „in gesetzloser Selbsthilfe“ sich an ihren armenischen Mitbürgern, mit denen sie im Frieden lebte, vergriffen habe. Es braucht aber nicht erst gesagt zu werden, daß die systematisch organisierten Kurdenhorden und Verbrecherbanden, die auf die Deportierten losgelassen wurden, nicht lange eingeladen zu werden brauchten, nach ihren eigenen Gelüsten mit den unglücklichen Opfern der Deportation zu verfahren. Die große Masse der Erschlagenen kommt aber nicht auf Rechnung dieser legalisierten gesetzlosen Elemente, sondern auf Rechnung der Regierungsorgane, der Gendarmerie und der türkischen Milizen.


2. Die Lage beim Ausbruch des Krieges und während der ersten Kriegsmonate.


Wir haben bis jetzt die Ereignisse in Konstantinopel zurückgestellt, die am Sitz der Zentralregierung stattfanden und mit der Frage des Ursprungs der Gesamtmaßregel zusammenhängen.

In den Berichten sind die wenigen Akte des Widerstandes, die im Verlauf der Ereignisse vorgekommen sind, wie die geringfügigen Vorgänge in Zeitun, der bald niedergeworfene Widerstand in Schabin-Karahissar und die Selbstverteidigung der Armenier von Wan eingehend zur Sprache gekommen. Diese drei Vorgänge, zu denen vielleicht noch ein oder der andere bei näherer Kenntnis der ganzen Tragödie hinzukommen mag, standen in keiner Verbindung miteinander. Die drei Plätze sind jeder vom andern rund 400 Kilometer entfernt, und die Vorgänge, wie sie zeitlich auseinanderfielen, standen sachlich in keinerlei Zusammenhang. Auf irgendwelche Spuren einer planvollen gegen die Regierung gerichteten Bewegung sind wir nirgends in den Berichten gestoßen. Nur die Verfolgung war planvoll und wurde methodisch durchgeführt. Auch ist von seiten der türkischen Regierung die Behauptung, daß das armenische Volk als solches sich einer revolutionären Erhebung schuldig gemacht habe, nicht aufgestellt worden.[1] Monatelang war in der türkischen Presse zu lesen, wie treu die Armenier zu ihrem türkischen Vaterlande hielten.

Die armenische Presse ohne Ausnahme forderte bei Kriegsbeginn in Aufrufen das armenische Volk zur Verteidigung der Einheit des ottomanischen Vaterlandes auf. Das Blatt Azatamart führte aus: „Wir widersetzen uns der Okkupation des vom armenischen Volke besiedelten Gebietes durch Fremde. Das armenische Volk darf nicht zu einem Handelsartikel noch zu einem Spekulationsobjekt einer fremden Regierung werden. Der armenische Soldat wird mit Entschlossenheit an allen Grenzen, die vom Feinde überschritten werden sollten, kämpfen.“ Der Patriarch der armenisch-gregorianischen Kirche Msgr. Sawen, der seinen Sitz in Konstantinopel hat, richtete an alle armenischen Bistümer und Vikariate der Türkei telegraphisch ein Rundschreiben, in dem er hervorhebt, daß „die armenische Nation, deren Jahrhunderte alte Treue bekannt sei, in dem gegenwärtigen Augenblick, in dem sich das Vaterland mit mehreren Mächten im Krieg befände, ihre Pflichten erfüllen und allen Opfern zustimmen müsse für die Erhöhung des Ruhmes des ottomanischen Thrones, mit dem sie fest verbunden sei, und für die Verteidigung des Vaterlandes“. Die Bischöfe und Vikare werden aufgefordert, in diesem Sinne ihre Gemeinden zu beraten. In allen armenischen Kirchen wurde für den Sieg der ottomanischen Waffen gebetet. Die armenischen Erzbischöfe im Innern sandten aus Erzerum, Wan usw., Telegramme an die Pforte, daß „die Armenier, die niemals vor irgend einem Opfer zur Verteidigung des Vaterlandes zurückgeschreckt seien, auch diesmal zu allen Opfern bereit sein würden“. Diese Kundgebungen wurden von der türkischen und deutschen Presse mit Befriedigung aufgenommen und festgestellt, „daß die Haltung der armenischen Presse und der armenischen Bevölkerung seit Ausbruch der russisch-türkischen Feindseligkeiten in jeder Beziehung loyal“ sei. Die in Deutschland und Österreich lebenden Armenier äußerten und betätigten sich in demselben Sinne. In Wien wurde ein armenisches Hilfskomitee für den Roten Halbmond gebildet. Einer Abordnung desselben erklärte der türkische Botschafter Hussein Hilmi Pascha, der Präsident des ottomanischen Roten Halbmondes, „daß die türkische Regierung nie an der Treue und Ergebenheit der Armenier gezweifelt hätte.

Die zur türkischen Armee einberufenen armenischen Soldaten, die sich bereits im Balkankriege nach türkischem Zeugnis als vollkommen zuverlässig bewährt und ausgezeichnet tapfer geschlagen hatten, empfingen ebenso in den Anfangsmonaten des Krieges von höchsten militärischen Stellen das allerbeste Zeugnis. In der Militärschule von Konstantinopel meldeten sich zur Ausbildung als Reserveoffiziere mehr Armenier als Türken. Über 1500 Armenier, hauptsächlich aus den gebildeten und wohlhabenden armenischen Kreisen, traten in den Ausbildungskursus ein. Sie drängten sich dazu, mit der Waffe zu dienen und wünschten nicht in Post- und Telegraphendienst u. dergl. beschäftigt zu werden.

Als der Kriegsminister Enver Pascha im Februar von der kaukasischen Front zurückkehrte, sprach er dem armenischen Patriarchen seine besondere Zufriedenheit über die Haltung und Tapferkeit der armenischen Soldaten aus, die sich in ausgezeichneter Weise geschlagen hätten. Besonders erwähnte er noch ein sehr glückliches Manöver, das ein Armenier Namens Ohannes Tschausch mit seinen Leuten ausgeführt habe, durch das sein Stab aus einer sehr kritischen Lage befreit worden sei. Der Mann wurde noch auf dem Platze dekoriert. Als Enver Pascha durch Erzingjan kam, sandten ihm die armenischen Bischöfe ein Begrüßungsschreiben, das er in der liebenswürdigsten Weise beantwortete. Dem Bischof von Konia erwiderte er auf eine Adresse, die er ihm im Namen der armenischen Gemeinde eingereicht hatte, nach dem Osmanischen Lloyd, der deutschen Zeitung von Konstantinopel, vom 26. Februar 1915: „Ich bedaure, bei meinem kürzlichen Aufenthalt in Konia Eure Hochwürden nicht haben sprechen zu können. Ich habe inzwischen das Schreiben erhalten, das Sie die Güte hatten, an mich zu richten, in dem Sie mich mit Anerkennung überhäufen. Ich sage Ihnen meinen Dank dafür und benütze die Gelegenheit, um Ihnen zu sagen, daß die armenischen Soldaten der ottomanischen Armee ihre Pflichten auf dem Kriegstheater gewissenhaft erfüllen, was ich aus eigener Anschauung bezeugen kann.

Ich bitte, der armenischen Nation, die bekannt ist für ihre vollkommene Ergebenheit gegenüber der kaiserlich Ottomanischen Regierung, den Ausdruck meiner Genugtuung und Dankbarkeit zu übermitteln.

Enver, Kriegsminister, Vizegeneralissimus der Kaiserlichen Armee.“

Bis in den fünften Kriegsmonat hinein seit Ausbruch des türkisch-russischen Krieges lagen keine Anzeichen dafür vor, daß die Zentralregierung gegen die Armenier mißgestimmt sei oder daß die leitenden armenischen Kreise zu irgendwelchem Mißtrauen Anlaß gegeben hätten. Was war geschehen oder welche Gründe hatte die türkische Regierung, ihre Haltung gegen die Armenier, deren Loyalität wiederholt anerkannt war, zu ändern? Ist die Regierung irgendwelchen revolutionären Komplotts auf die Spur gekommen? oder wann und wie ist das Gespenst einer armenischen Revolution aufgetaucht?

Noch am vierten Juni gibt die türkische Regierung die folgende Erklärung ab:

„Es ist völlig falsch, daß in der Türkei Mordtaten oder gar Massenmorde an den Armeniern stattgefunden hätten (was die Regierungen der Entente in der Agence Havas vom 24. Mai behauptet hatten). Die Armenier von Erzerum, Terdjan, Egin, Sassun, Bitlis, Musch und von Cilicien hatten überhaupt keine Handlung begangen, die die öffentliche Ordnung und Ruhe hätte stören oder Maßregeln seitens der Regierung hätte erforderlich machen können“.[2] Der türkische Generalkonsul in Genf Zia Bey setzte sogar noch am 27. August auf Anweisung der Pforte allen in neutralen Blättern verbreiteten Nachrichten von Armenier-Massakers ein formelles Dementi entgegen und schrieb, zu einer Zeit, wo die Gesamtdeportation bereits vollendet war: „Die gesamte armenische Bevölkerung, Männer, Frauen und Kinder erfreuen sich in vollständiger Sicherheit des Schutzes der Behörden; es hat einige Schuldige gegeben, die durch gesetzmäßig gebildete Gerichte verurteilt worden sind.“

Wir stehen also der merkwürdigen Tatsache gegenüber, daß die türkische Regierung nicht nur in den ersten Monaten, sondern bis zum September, abgesehen von einzelnen Exekutionen Schuldiger, mit dem Verhalten der armenischen Nation zufrieden gewesen sein will und von einer Gesamtverschwörung des armenischen Volkes, die hätte bestraft werden müssen, nichts gewußt hat.

Trotzdem berichtet der Jungägypter Dr. Risaat, ein Mitglied des Komitees für „Einheit und Fortschritt“ in einem Interview des Kopenhagener „Extrabladet“ vom 14. Oktober, das durch die ganze deutsche Presse gegangen ist, von „einer alle in der Türkei wohnenden Armenier umfassenden Verschwörung, die die eigentliche Existenz des Landes bedrohte und Konstantinopel den Alliierten in die Hände spielen sollte“. Er will sogar wissen, daß „zum Unglück für die Armenier der Aufstand zu zeitig losbrach, und daß gleichzeitig der Haupteingeweihte in Konstantinopel die ganze Verschwörung an die Regierung verriet“. Er fährt fort: „Zahlreiche durch die Untersuchung zutage gebrachte Dokumente erwiesen klar, daß die Engländer den größten in der Geschichte der Türkei bekannten Aufruhr organisiert haben. Zahlreiche Verschworene wurden verhaftet und bestraft, darunter der Hauptleiter des Aufruhrs in Arabien, Scheich Abdul Kerim. Obwohl er und seine Anhänger Muhammedaner waren, wurden dennoch 21 davon gehängt, 100 zu schweren Gefängnisstrafen verurteilt.“

Wenn Dr. Risaat etwas von einer arabischen Verschwörung weiß, so können wir das nicht nachprüfen. Jedenfalls ist eine „arabische“ keine „armenische“ Verschwörung. Von einer umfassenden armenischen Verschwörung hat die türkische Regierung kein Wort gesagt. Dagegen läßt sich aus der Zahl von 21 Gehängten und dem übrigen Inhalt des Interviews der bündige Schluß ziehen, daß Dr. Risaat die öffentliche Meinung absichtlich irregeführt hat, indem er das bereits vor dem Kriege aufgedeckte Komplott der türkischen liberalen Opposition, das den Sturz der gegenwärtigen Regierung und die Ermordung von Talaat Bey und anderen jungtürkischen Führern zum Ziele hatte, für „eine alle in der Türkei wohnenden Armenier umfassende Verschwörung“ ausgegeben hat.

3. Das Komplott der türkischen liberalen Opposition.


Über das türkische Komplott, das der Regierung in Konstantinopel durch den „Haupteingeweihten“ (den Polizeispitzel Mehemed Midhat, einen türkischen Offizier aus Akova) verraten wurde, liegen ausführliche Mitteilungen vor, die im „Tanin“ unter dem Titel „Eine Politische Komödie“ veröffentlicht und durch den „Osmanischen Lloyd“, die deutsche Zeitung von Konstantinopel, in zwölf Nummern übersetzt und wiedergegeben wurden. (Nr. 126 bis Nr. 137 vom 9. bis 22. Mai 1915.) Da dies Komplott der türkischen Opposition dazu benutzt wurde, um den Anschein zu erwecken, als ob die türkische Regierung einer sozusagen „alle in der Türkei wohnenden Armenier umfassenden Verschwörung“ auf die Spur gekommen sei, geben wir das Wesentliche des Berichtes wieder.

Das Komplott geht auf das Jahr 1912 zurück und war bereits aufgedeckt worden, ehe der europäische Krieg ausbrach. Bekanntlich ist die gegenwärtig herrschende jungtürkische Partei seit der Begründung der Verfassung zweimal gestürzt worden, einmal im Jahre 1909 durch die alttürkische Partei, als Abdul Hamid noch nominell regierte, und einmal im Jahre 1912 durch eine Opposition, die sich innerhalb des Komitees für Einheit und Fortschritt („Hürriet we Ittihad“, auch kurz „Ittihad“ genannt) gebildet und die Majorität erlangt hatte. Den Anstoß zu diesem zweiten Sturz gab die neugebildete Offiziersliga unter Führung des Oberst Zadik Bey. Die dissentierenden Mitglieder des Komitees vereinigten sich mit der Partei der liberalen Union „Hürriet we Ittilaf“, auch kurz „Ittilaf“ genannt) und arbeiteten am Sturz der Regierung. Das erste Opfer der Diktatur der Offiziersliga war der Kriegsminister Mahmud Schewket Pascha, der am 10. Juli sein Amt niederlegen mußte, das zweite Opfer das jungtürkische Kabinett, das am 16. Juli demissionierte, das dritte Opfer die türkische Kammer, die von dem neuen Ministerium Muktar Pascha am 5. August nach Haus geschickt wurde. Die Partei der liberalen Union, welche jetzt mit Männern aus dem alten Regime wie Achmed Muktar Pascha und Kiamil Pascha zusammenarbeitete, hatte zwar nicht das Heft in Händen, aber sie bedeutete doch einen wichtigen Faktor im politischen Leben. Ihre Führer waren Prinz Sabaheddin, Ismail von Gümüldschina und der Hodscha Sabri Efendi. Das Ministerium der „Böjükler“ (großen Männer), das die bedeutendsten Politiker der alten Zeit zur Rettung des Vaterlandes umfaßte, verlor den Balkankrieg und die europäische Türkei. Als Kiamil Pascha im Begriff war, einen Frieden zu schließen, der den Verlust Adrianopels einschloß, ergriffen die gestürzten Führer der jungtürkischen Partei aufs neue die Zügel. Bei dem Putsch, den Enver Bey inszenierte, erschoß er den Kriegsminister Nasim Pascha, und die gegenwärtigen Führer Talaat Bey und Enver Pascha saßen im Sattel. Mit diesem Umschwung der Dinge beginnt die Verschwörungsarbeit der Partei der liberalen Union. Ihre erste Tat war die Ermordung des Kriegsministers Mahmud Schewket Pascha am 11. Juli 1913. Dies Attentat wurde mit einer rücksichtslosen Verfolgung aller Mitglieder der türkischen Opposition beantwortet, deren Führer ins Ausland flohen. Auf diese Zeit geht das Komplott zurück, das sich den Umsturz der gegenwärtigen Regierung zum Ziel gesetzt hatte, aber durch den Verrat eines „Haupteingeweihten“ rechtzeitig entdeckt wurde. Die Führer der Opposition hatten sich in Paris mit dem erbittertsten Feind des Komitees, Scherif Pascha, der über große Mittel verfügte, in Verbindung gesetzt. Leiter des Komplotts waren Prinz Sabaheddin, Oberst Zadik, Ismail aus Gümüldschina und Scherif Pascha, der die Mittel liefern mußte. Verwickelt in das Komplott wurde der Armenier Sabahgülian, früheres Mitglied eines Hintschakisten-Komitees in Ägypten, aus dem er bereits ausgeschlossen worden war. Im letzten Stadium wurden angeblich der griechische Gesandte in Konstantinopel, sein Archivar und andere griechische und türkische Elemente zugezogen. Zuletzt sei man auch an Venizelos und Lord Kitchener herangetreten, der aber nur für den Fall des Gelingens irgend einer Tat Mittel in Aussicht gestellt haben soll. Ein junger türkischer Offizier, Midhat Efendi, einer der Mitbegründer jener Offiziersliga der „Vaterlandsretter“ (Halaskiaran Dschemijeti), wurde unvorsichtigerweise in Paris in die Geheimnisse der Verschwörung eingeweiht. Er gab sich dazu her, nicht nur das Komplott der Polizei in Konstantinopel mitzuteilen, sondern auch zwei Jahre lang durch falsche Vorspiegelungen, den Schein zu erwecken, als ob er in Konstantinopel als Werkzeug der Verschwörung tätig sei. Die im „Tanin“ veröffentlichte Korrespondenz, die eine Reihe wichtiger Briefe von Ismail aus Gümüwjina und Scherif-Pascha enthält und die ganzen Fäden der Verschwörung bloßlegt, ist von Midhat-Efendi der Polizei ausgeliefert worden. Die Briefe sind sämtlich vor dem Kriege geschrieben und datieren vom 31. Juli 1913 bis zum 22. Juli 1914. In dies Komplott war, wie gesagt, durch Oberst Zadik auch der Hintschakist Sabahgülian in Ägypten hineingezogen worden.

Die Hintschakisten haben als revolutionäre armenische Partei in den neunziger Jahren in Rußland eine gewisse Rolle gespielt. Die Partei zerfiel später in verschiedene kleine Auslandsgruppen und zählte in der Türkei nur noch wenige einflußlose Mitglieder. Sie war durch die Partei der Daschnakzagan verdrängt worden, die zusammen mit den Jungtürken die Einführung der Konstitution und den Sturz Abdul Hamids herbeigeführt hatten und sich seitdem zu der gegenwärtigen jungtürkischen Regierung gehalten hatten. Der Hintschakist Sabahgülian, der von seinen Landsleuten bereits abgeschüttelt war, schickte einen gewissen Paramaß mit drei anderen jungen Leuten nach Konstantinopel. Die Konstantinopeler Hintschakisten wollten nichts von ihm wissen und verweigerten jede Mitwirkung an dem Komplott.

Im Jahre 1913 hatte in Constantza eine Konferenz von Hintschakisten stattgefunden, bei der gegen eine Minorität von Stimmen eine Resolution gefaßt worden war, daß man die türkische Regierung, wenn sie nicht gewisse Reformen bewillige, mit allen Mitteln bekämpfen müsse. Die türkischen Hintschakisten lehnten die Resolution ab und erklärten den Kongreß für inkompetent, im Namen der türkischen Hintschakisten zu sprechen. Folgerichtig lehnten sie auch jetzt, als die vier ägyptischen Armenier nach Konstantinopel kamen, jede Mitwirkung ab. Die vier Armenier wurden in Konstantinopel von der Polizei ausfindig gemacht und noch vor dem Kriege in Haft gesetzt. Die Führer des türkischen Komplotts, die in Paris, Ägypten und Athen saßen, wurden von Midhat Efendi weiter an der Nase herumgeführt, bis sie selbst unter sich uneins wurden und eine Aktion aufgaben. Mittel von England haben sie nicht erhalten. Dann erst wurde durch die Veröffentlichung des „Tanin“ die ganze Geschichte aufgedeckt.

Wie man sieht, spielten die vier auswärtigen Armenier in der ganzen Komplottgeschichte eine nur untergeordnete Rolle und waren von ihren Kameraden in der Türkei zurückgewiesen worden. Hätte man diese Verschwörer, als man sie gefaßt hatte, einfach gehenkt, so hätte die Sache weiter nichts auf sich gehabt und niemand würde auf den Gedanken gekommen sein, die Verschwörung der Führer der türkischen Oppositionspartei für eine armenische Revolution auszugeben. Man ließ aber die vier verhafteten Armenier ein gutes Jahr im Gefängnis und holte sie erst am 17. Juni des Jahres 1915 heraus, um sie auf dem Platz vor dem Kriegsministerium mit noch 17 andern Armeniern, die man ebenfalls für Mitglieder des Hintschakkomitees ausgab, zu henken. Die übrigen 17 waren in das Komplott nicht verwickelt, die türkische Polizei hatte aber eine Liste der Mitglieder der Hintschakistenkonferenz in Constantza in die Hände bekommen und einige dieser Mitglieder ebenfalls verhaftet. Andere, deren Namen man aus Briefadressen oder Tagebuchnotizen als Bekannte der verhafteten Hintschakisten festgestellt hatte, wurden mitgehenkt, um den Schein einer großen Verschwörung zu erwecken. Niemand wußte, daß es sich um eine Sache handelte, die längst vor dem Kriege gespielt hatte. Als die Armenier von Konstantinopel am 17. Juni die Bekanntmachung des Platzkommandanten von Konstantinopel von der Hinrichtung der 21 Armenier und der Verurteilung in contumatiam der beiden ägyptischen Hintschakisten Sabahgülian und Dirtat in der Zeitung lasen, waren sie aufs Höchste betroffen, denn sie wußten, daß diese demonstrative Exekution, die auch durch die deutsche Presse bekannt gemacht wurde, die Ankündigung eines Schlages gegen das armenische Volk bedeutete.

Das türkische Komplott, das von den Führern der türkischen Opposition geplant worden war, wurde durch die Veröffentlichung des „Tanin“ unter der Spitzmarke „Eine politische Komödie“ nur ins Lächerliche gezogen, und auch von einer Verfolgung der beteiligten griechischen Elemente ließ man nichts verlauten, nur die Beteiligung von vier ägyptischen Hintschakisten wurde an die große Glocke gehängt. Von jungtürkischer Seite wurde indessen offen zugestanden, daß die Partei der Daschnakzagan, wie überhaupt das armenische Volk in der Türkei mit dem ganzen Komplott nichts zu tun gehabt hat.

Die Geschichte der Verschwörung der liberalen türkischen Opposition gegen die gegenwärtigen Machthaber mußte etwas eingehender dargelegt werden, da, wie auch die Veröffentlichung des Interviews von Dr. Risaat beweist, der Versuch gemacht worden ist, aus der Exekution der 21 Hintschakisten einen Beweis für eine mit englischem Gelde organisierte umfassende armenische Revolution zu konstruieren. Leider ist die deutsche Presse auf diesen plumpen Versuch hineingefallen.

4. Das armenische Patriarchat.


Eine Verschwörung, noch dazu eine „alle in der Türkei wohnenden Armenier umfassende Verschwörung“ läßt sich nicht improvisieren. Sie müßte von irgend einer Seite organisiert sein, die alle Fäden über das ganze Reich hin von der Hauptstadt bis zum Kaukasus und vom Schwarzen Meer bis nach Cilicien und Mesopotamien in der Hand hatte. Das Unternehmen hätte um so sorgfältiger vorbereitet sein müssen, da die Zeit des Krieges ohne Frage der ungünstigste Zeitpunkt für eine armenische Revolution gewesen wäre. Die wehrhafte Mannschaft des Volkes war zur Armee einberufen, der Rest arbeitsfähiger Männer zum Straßen- und Lastträgerdienst ausgehoben. Das Land stand unter Kriegsrecht und die türkische Armee war mobilisiert. Irreguläre Milizen durchstreiften das Land, die muhammedanische Bevölkerung war bewaffnet, die armenische entwaffnet. Sollten die in den Dörfern und Städten zurückgebliebenen Frauen, Kinder, Kranken und Greise und der kleine Rest männlicher Bevölkerung, der sich freigekauft hatte oder als dienstuntauglich zurückgeblieben war, eine Revolution inszenieren? Es wäre der helle Wahnsinn gewesen.

Welches waren die Organisationen, die für die Vorbereitung einer Revolution in Betracht gekommen wären?

Nur zwei kommen in Frage: das Patriarchat und die Daschnakzagan. Die Armenier in der Türkei sind kirchlich und parteipolitisch organisiert. Von einer dieser beiden Seiten müßte die angebliche Revolution geplant gewesen sein.

Die kirchliche Organisation des armenischen „Millets“ (Nation) ruht auf alter staatsrechtlicher Grundlage, die seit der Zeit der Eroberung durch die Türken nicht angetastet worden ist. Das Patriarchat vertritt auch in bürgerlicher Beziehung das armenische Volk bei der Pforte. Neben dem Patriarchat steht als Vertretungskörper die armenische Nationalversammlung. Obwohl die Repräsentanten derselben aus allen Teilen des Reiches gewählt werden, so ist sie doch im wesentlichen nur eine Vertretung der besitzenden Klassen von Konstantinopel. Von ihren 160 Mitgliedern sind ordnungsmäßig 120 Vertreter der Hauptstadt und 40 Vertreter der Provinz. Aber auch diese 40 Provinzvertreter werden wegen der Schwierigkeit der Reiseverbindung mit dem Innern aus der Zahl der Konstantinopeler Intellektuellen gewählt. Der Charakter des Patriarchats mit seiner kirchlichen Organisation und ebenso der Charakter einer derartig zusammengesetzten Nationalversammlung ist naturgemäß konservativ. Wenn von seiten armenischer Politiker an der Haltung des Patriarchats und der Nationalversammlung Kritik geübt wurde, so lag dieselbe immer in der Richtung, daß die Patriarchen mehr den Charakter von osmanischen Staatsbeamten als von Vertretern der Nation trügen und daß die Nationalversammlung, auch wo es sich um wichtige Interessen des armenischen Millets handelte, zu fügsam und nachgiebig gegenüber dem herrschenden Regime wäre. Der gegenwärtige Inhaber des Patriarchats-Stuhles war vor seiner Erwählung Bischof in Diarbekir und als ein trefflicher Seelsorger seines Sprengels bekannt. Er war anderen Kandidaten, die eine schärfere politische Physiognomie hatten, vorgezogen worden, da man für die Friedensära nach dem Balkankriege mehr an die kirchlichen, als an die politischen Aufgaben des Patriarchats dachte. Msgr. Sawen ist seinem ganzen Charakter nach von dem Typus eines politischen Intriganten so fern als nur möglich. Er hat schwer unter dem Schicksal, das seine Nation und seine Kirche traf, gelitten, ist aber niemals auch nur auf den Gedanken gekommen, etwas wie einen Widerstand gegen die Regierungsgewalt zu planen. Er hat alle in seiner Kompetenz liegenden Schritte getan, hat die unglückliche Lage seines Volkes während des Krieges den Ministern solange in ernsten Bitten und Beschwerden vorgetragen, bis sich die Türen vor ihm verschlossen und er sich von der völligen Ohnmacht seines Amtes überzeugen mußte. Nicht einmal die geringsten, auf die kirchliche Versorgung der Deportierten bezüglichen Wünsche, wie die Entsendung von Priestern an die Verschickungsorte mit den für die Erfüllung der kirchlichen Bräuche notwendigen kirchlichen Requisiten wurden gewährt. Er mußte es ruhig mit ansehen, daß mit der Vernichtung des Volkes zugleich die Rechte des Patriarchats außer Kraft gesetzt und die kirchliche Organisation des armenischen Volkes vernichtet wurde.10) Die folgende Liste von kirchlichen Würdenträgern, die im Lauf der Massakers und Deportationen beseitigt wurden, sagt mehr von den Leiden des Patriarchats als es irgendwelche weiteren Ausführungen vermöchten.

Liste der kirchlichen Würdenträger.
1.
Diarbekir:
Der Wartabed (Archimandrit) Tschekhlarian – lebendig verbrannt.
2.
Ismid:
Der Erzbischof Hovagim – verbannt.
3.
Armasch:
Der Bischof Mesrop, Abt des Klosters Armasch – verbannt.
4.
Brussa:
Der Wartabed Taniklian – eingekerkert.
5.
Kaisarije:
Der Bischof Behrigian – eingekerkert.
6.
Siwas:
Der Bischof Knel Kalzmskrian – ermordet.
7.
Urfa:
Der Wartabed Kasparian – verbannt.
8.
Schabin-Karahissar:
Der Wartabed Torikian – gehenkt.
9.
Samsun:
Der Wartabed Hammazaß – verschickt.
10.
Trapezunt:
Der Wartabed Turian – eingekerkert.
11.
Baiburt:
Der Wartabed Hazarabedian – gehenkt.
12.
Kemach:
Der Wartabed Hemayak – verschickt.
13.
Kharput:
Der Wartabed Korenian – ermordet.
14.
Tscharsandjak:
Der Wartabed Nalbandian – gehenkt.
15.
Aleppo:
Der Bischof Nerses Danielian – verschickt.
16.
Bitlis:
Der Wartabed Kalenderian – verschickt.
17.
Erzerum:
Der Bischof Saadedian – ermordet.

Von den kirchlichen Würdenträgern der übrigen Sprengel fehlen die Nachrichten. Von 17 Prälaten wurden somit 7 deportiert, 8 eingekerkert, 3 gehenkt, 3 ermordet und einer lebendig verbrannt. Das Schicksal der übrigen wird schwerlich ein andres sein.

Da gegen das Patriarchat und seine Hierarchie von der Regierung niemals die Anklage erhoben worden ist, daß es sich revolutionärer Umtriebe schuldig gemacht habe, fällt die Möglichkeit, die kirchliche Organisation mit einer angeblich geplanten armenischen Revolution zu belasten, aus. Es bleibt also die politische Organisation der Daschnakzagan, auf die der Verdacht geworfen werden könnte, daß sie mit dem Gedanken an eine Revolution umgegangen oder eine Erhebung des armenischen Volkes vorbereitet habe.


5. Die Daschnakzagan.


Die Partei der Daschnakzagan („Verbündeten“) entstand Ende der achtziger Jahre. Sie war damals, ebenso wie die gegenwärtig in der Türkei herrschende jungtürkische Partei revolutionär. Ihre Führer standen in der absolutistischen Zeit mit den Führern des Komitees für Einheit und Fortschritt in enger Verbindung und arbeiteten mit diesen am Sturz des Hamidischen Regiments und der Einführung der Konstitution. Sie glaubten mit den Jungtürken, daß es nur durch die Einführung der Konstitution möglich sein würde, die verschiedenen Bevölkerungselemente des Osmanischen Reiches untereinander zu versöhnen und die Rassen- und Religionsgegensätze zu überbrücken. Auf ihrem Pariser Kongreß vom Jahre 1907 beschlossen die Daschnakzagan, alle nationalen Gruppen der Türkei durch die Losung „Einführung der Konstitution“ miteinander zu vereinigen. Auf ihre Einladung kamen Ende 1907 die Vertreter aller politischen Parteien der Türkei, die im Gegensatz zum Absolutismus Abdul Hamids standen, Jungtürken, Armenier, Griechen, Bulgaren, Israeliten, in Paris zusammen. Es gelang den Daschnakzagan die damaligen Führer der in Feindschaft lebenden jungtürkischen Gruppen, Achmed Riza und Prinz Sabaheddin, miteinander zu versöhnen. Auf diesem Kongreß übernahmen für den Fall des Gelingens ihrer Pläne die jungtürkischen Führer die folgenden Verpflichtungen:

1.
Sultan Abdul Hamid abzusetzen,
2.
in dem neuen konstitutionellen Staatswesen die bürgerliche Gleichberechtigung der Religionen und Nationalitäten einzuführen,
3.
das parteiische Verwaltungssystem, das die nichtmuhammedanischen Nationalitäten unterdrückte, dementsprechend abzuändern.

Einige Monate nach diesem Kongreß brach die Revolution aus und die Konstitution wurde eingeführt. Unbeschreiblicher Jubel herrschte damals in der ganzen muhammedanischen und christlichen Bevölkerung des Reiches. Christen und Moslems, Priester und Mollahs umarmten sich auf den Straßen. Man war im Rausch des Entzückens über die gewonnene Freiheit „ein einig Volk von Brüdern“ geworden. In Konstantinopel zog eine Prozession von türkischen Notabeln, Mollahs und Hodschas mit den Armeniern in die armenische Kirche der Dreieinigkeit, um dort große Reden zu schwingen und die armenischen Opfer der Verfolgungen Abdul Hamids zu beklagen. Die Türken sagten zu den Armeniern: „Ihr seid glücklich zu preisen, ihr wißt, wo eure von Abdul Hamid hingeschlachteten Opfer begraben sind; die unsrigen aber liegen auf dem Meeresgrunde oder sind in den Wüsten Arabiens verschwunden. Wir wollen mit euch auf euren Friedhof gehen und an den Gräbern eurer Toten, an deren Blut wir unschuldig sind, den Sieg der Freiheit feiern. Kommt ihr mit uns, um auf dem Befreiungshügel den Tag unserer Erlösung festlich zu begehen.“ So geschah es. Das Einvernehmen zwischen Christen und Moslems, Armeniern und Türken konnte nicht inniger sein, und alle Welt glaubte an eine glückliche Zukunft des Reiches.

Die jungtürkischen Führer hielten sich nicht an ihre Versprechungen. Abdul Hamid blieb auf dem Thron. Erst ein Jahr später mußte nach dem vorübergehenden Sieg der Reaktion die Absetzung Abdul Hamids nachgeholt werden. In den April 1909 fiel auch das Massaker von Adana, bei dem unter Mitwirkung von jungtürkischen Truppen 20 000 Armenier umgebracht wurden. Ein schlimmes Vorzeichen! Das Komitee für Einheit und Fortschritt hatte die früheren Zusagen seiner Führer, die die Gleichberechtigung der Nationalitäten und Religionen verbürgten, vergessen. Es wandte sich schnell einem panislamischen Programm zu, in der Hoffnung, so die türkischen Massen zu gewinnen und die reaktionäre Propaganda aus dem Felde zu schlagen. Trotzdem blieben die Daschnakzagan an der Seite der Jungtürken und hielten ihr politisches Zusammengehen mit dem Komitee für Einheit und Fortschritt aufrecht. In der Zeit ihrer gemeinsamen Verbannung waren sie Kameraden der jungtürkischen Führer gewesen, waren persönlich mit ihnen befreundet und waren entschlossen, ihnen treu zu bleiben. Trotz mancher Enttäuschungen und trotz des Massakers von Adana blieben sie der Überzeugung, daß einzig die jungtürkischen Führer (die gegenwärtig die Regierung des türkischen Reiches in Händen haben) aufrichtige Anhänger und Verteidiger der Konstitution seien. Dies ließ sie über manches hinwegsehen, was sie hätte zurückstoßen müssen. Aber auch die Jungtürken kamen, wenn sie eine Zeitlang ihre eigenen Wege gegangen waren, immer wieder zu den Daschnakzagan zurück. Sobald nämlich ihre eigene Herrschaft in Gefahr war, baten sie die Daschnakzagan um ihre Hilfe, machten ihnen größere Versprechungen als zuvor und rüsteten sie für den Fall eines Bürgerkrieges mit Waffen aus, um die Konstitution zu verteidigen. Solche Vereinbarungen wurden mündlich und schriftlich getroffen und von den jungtürkischen Führern mit ihren Namen unterzeichnet. Sobald die Letzteren wieder Oberwasser hatten, vergaßen sie ihre Versprechungen und fragten nichts nach dem Mißmut der Daschnakzagan. Als die Krisis des Jahres 1911 die Auflösung des Parlaments herbeiführte und die Jungtürken fürchteten, daß die Wahlen für sie ungünstig ausfallen könnten, näherten sie sich aufs neue den Daschnakzagan, schlossen ein Wahlabkommen mit ihnen ab und sicherten ihnen, entsprechend der armenischen Bevölkerungszahl von ca. 2 Millionen, 19 Parlamentssitze zu. Durch Unterschrift der angesehensten Vertreter des Komitees für Einheit und Fortschritt wurde das Wahlabkommen besiegelt. Gemeinsame Wahlaufrufe wurden unterschrieben und überall im Reich agitierten die Daschnakzagan für die Jungtürken. Als die Letzteren während der Wahlkampagne das Heft wieder in die Hand bekamen, richteten sie die Sache so ein, daß die Armenier nicht nur keine 19, sondern statt der früher innegehabten 12 nur 9 Sitze bekamen. Diese 9 Sitze waren überdies zum Teil mit Kreaturen des Komitees besetzt, die das Vertrauen der Armenier nicht besaßen. Trotz all dieser Enttäuschungen blieben die Daschnakzagan den Jungtürken treu, wie gesagt aus dem einzigen Grunde, weil sie sie für die einzig aufrichtigen Vertreter des konstitutionellen Prinzips hielten. Weder während des tripolitanischen Krieges noch während des Balkankrieges dachten sie daran, die Schwäche des Reiches für eigennützige Pläne auszunützen. So traten sie auch in den gegenwärtigen Krieg mit der Zuversicht ein, daß ihre seit sieben Jahren bewiesene Loyalität und Treue endlich ihre Früchte zeitigen würde.

Beim Ausbruch des europäischen Krieges, Ende Juli und Anfang August 1914, tagte im Theaterklub zu Erzerum mit Zustimmung des Ministers des Innern Talaat Bey ein Kongreß der Daschnakzagan. Die Möglichkeit eines russisch-türkischen Krieges mußte ins Auge gefaßt werden, und es wurde mit voller Aufrichtigkeit beschlossen, in diesem Falle strengste Loyalität gegen die osmanische Regierung einzuhalten und, gegen wen es immer sei, die Unabhängigkeit und Souveränität der Türkei mit bewaffneter Hand zu verteidigen. Die türkischen Armenier wußten, daß ihre Volksgenossen im Kaukasus gezwungen sein würden, im russischen Heere gegen die Türkei zu kämpfen. Das politische Programm der Daschnakzagan vertrat grundsätzlich den Standpunkt, daß die Zukunft des armenischen Volkstums in der Türkei besser gesichert sei, als in Rußland. Ihr Programm, das durch seine innere Logik für sich selbst spricht, beruhte auf folgendem Gedankengang:

Das armenische Volk, das in der Türkei gegen 2 Millionen, in Rußland gegen 1¾ Millionen zählt, kann weder in Rußland noch in der Türkei auf eine Autonomie rechnen. Es muß daher die Vorteile des Gleichgewichts zwischen diesen beiden Ländern benutzen, um seine nationale Eigenart zu schützen, die durch ein völliges Aufgehen in Rußland gefährdet wäre. Keine Nation ist so sehr an der Existenz der Türkei interessiert als die armenische. Denn nur im Zusammenhang mit einem größeren Staatswesen vermöchte sie wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung zu erlangen, vorausgesetzt, daß ihr normale Existenzbedingungen gegeben würden. Die Armenier selbst müßten eine Türkei schaffen, wenn sie nicht existierte, um an ihr einen Rückhalt gegen die russische Expansion zu haben.11)

Der Beweis, daß dieses Programm und die daraus folgende loyale Haltung gegenüber der jungtürkischen Regierung bis zu dem Tage der völlig unerwarteten Verhaftung und Verschickung ihrer Führer die strenge Richtlinie aller Absichten und Maßnahmen der Daschnakzagan gewesen und geblieben ist, kann lückenlos erbracht werden.

Zu dem Kongreß in Erzerum stellten sich auch zwei Mitglieder des jungtürkischen Zentralkomitees ein, Omer Nadji und Dr. Behaeddin Schakir, die mit den Führern der Daschnakzagan über die Mitwirkung der Armenier bei dem kommenden Kriege gegen Rußland verhandelten. Sie regten an, ob man nicht die Kaukasusarmenier gegen Rußland revolutionieren könne, wie man ein gleiches mit den Georgiern und Tataren des Kaukasus vorhatte. Die Daschnakzagan erklärten dies für nicht wohl möglich. Nach den Verfolgungen der Jahre 1903 bis 1905, bei denen der Statthalter des Kaukasus regelrechte Massakers unter den Armeniern durch die Tataren hatte veranstalten lassen, war mit der Übernahme der Statthalterschaft durch Fürst Woronzoff Daschkoff ein völliger Wechsel des bisherigen Systems eingetreten. Die über die Armenier verhängten Maßregeln, Entziehung ihres Kirchen- und Schulvermögens, wurden rückgängig gemacht, und die Kaukasusarmenier hatten sich wieder einer loyalen Behandlung von seiten der russischen Regierung zu erfreuen. Zwar dauerte die Unterdrückung der Partei der Daschnakzagan, die sich zu einem Werkzeug für die russische Regierung nicht hergab, noch an, aber die armenische Bevölkerung und die armenische Kirche hatte sich über keinerlei Repressalien zu beschweren. Ein den Russen genehmer Katholikos in Etschmiadzin wurde gewählt. Hätten die Jungtürken auch nur die gleiche Haltung gegen die armenische Bevölkerung der Türkei bis zum Kriege eingenommen, sie hätten nicht nur, wie es der Fall war, auf die Loyalität der türkischen Armenier rechnen können, sie würden vielleicht auch das Band zwischen den Kaukasusarmeniern und der russischen Regierung gelockert haben. Besonders eine Maßregel machte auf die russischen Armenier den allerschlechtesten Eindruck. Im Jahre 1913 war auf Drängen der Großmächte, insbesondere Rußlands, endlich ein Reformplan für die Verwaltung der von Armeniern bewohnten sieben östlichen Wilajets ausgearbeitet und damit ein Versprechen eingelöst worden, das die Türkei auf dem Berliner Kongreß im Jahre 1878 ihren armenischen Untertanen und den sechs Großmächten gegeben hatte. Die Ausarbeitung des Reformprogrammes war von seiten der übrigen Mächte Rußland und Deutschland als den wirtschaftlich am meisten an der Türkei interessierten überlassen worden. Der deutsche Botschafter, Baron von Wangenheim, hatte sich mit Erfolg bemüht, das Programm in Grenzen zu halten, durch die die Souveränitätsrechte der Türkei nicht angetastet wurden, um die Pforte zur Annahme des Programms willig zu machen. Am 26. Januar[WS 1]/8. Februar 1914 war das Programm von der Pforte angenommen worden. Zwei Generalinspektoren, der Holländer Westemenk und der Norweger Hoff, wurden berufen und trafen im Frühjahr in Konstantinopel ein. Bei Ausbruch des europäischen Krieges waren sie im Begriff, ihr Amt anzutreten. Hoff befand sich bereits in Wan. Sofort nach Ausbruch des europäischen Krieges nahm die Pforte das Reformprogramm zurück und schickte die Generalinspektoren nach Haus. Ein unverzeihlicher Fehler. Wären die Generalinspektoren im Lande geblieben, so hätten die Ereignisse, die zum Verlust von Wan führten, verhütet werden können und das Vertrauen des armenischen Volkes in die Aufrichtigkeit der Reformabsichten wäre nicht erschüttert worden.

Auch sonst erlebten die türkischen Armenier böse Enttäuschungen. Auf dem Kongreß von Erzerum war mit den jungtürkischen Führern vereinbart worden, daß ein bekannter Daschnakzagan, Alojan, in den Kaukasus gesandt werden sollte, um die russischen Armenier dazu zu bewegen, daß sie sich, soweit es in den Grenzen der Loyalität möglich war, zurückhalten und alle provokatorischen Handlungen vermeiden sollten, um nicht die Loyalität der türkischen Armenier zu kompromittieren. Alojan wurde auf der Reise nach dem Kaukasus, noch auf türkischem Boden, ermordet. Auch die Bewegungsfreiheit der Führer der türkischen Daschnakzagan wurde eingeschränkt. Der Minister des Innern Talaat Bey nötigte seinen Freund Aknuni und andere Daschnakzagan, wie Nostam und Wrazian, die sich in den Provinzen der gemeinsamen Sache widmen wollten, in Konstantinopel zu bleiben, um sie dort überwachen zu lassen. Durch diese Beweise eines illoyalen Mißtrauens wurde Garo Pastermadsjian, der Deputierte von Erzerum, derartig konsterniert, daß er Ende August, also 2½ Monate vor dem Ausbruch des russisch-türkischen Krieges, in den Kaukasus, wo er zu Haus ist und Fabriken besitzt, und von wo er lange Zeit verbannt war, zurückkehrte. Da er in Tiflis sein Geschäft hat, war das sein gutes Recht. Aber es war sein persönlicher Entschluß, der von allen andern Führern der Daschnakzagan mißbilligt wurde. Er hatte bis dahin mit ganzer Seele das Programm vertreten, daß das Schicksal des armenischen Volkes an das Schicksal der Türkei gebunden sei und war in seinem Herzen durchaus antirussischer Gesinnung gewesen. Sein impulsives Temperament aber hatte den Stoß, von dem sein Vertrauen getroffen war, nicht überwunden. Er kehrte in den Kaukasus zurück, hat aber niemals ein Gewehr abgeschossen und ist im Kaukasus tätig gewesen, um den Unterhalt der armenischen Flüchtlinge zu organisieren.

Noch eine Sache, die beiläufig auf dem Kongreß zu Erzerum zur Sprache kam, verdient erwähnt zu werden. Von kurdischer Seite war den Daschnakzagan der Vorschlag zugegangen, die Türkei im Stich zu lassen und gemeinsam die Waffen gegen die Regierung zu erheben. Der Vorschlag stammte von bekannten türkischen Kurdenscheichs, die, wie jedermann wußte, in russischem Solde standen und schon längst mit Rußland konspiriert hatten. Ebenso wurde von russischer Seite den Armeniern zugemutet, im Geheimen Waffen an die Kurden zu liefern. Beide Vorschläge wurden von der Schwelle weg abgewiesen. Die Daschnakzagan wollten nichts mit irgend welchen illoyalen Machenschaften und Verschwörungen gegen die Türkei zu tun haben.

Als der Ausbruch des russisch-türkischen Krieges in sicherer Aussicht stand, richtete das Bureau der Daschnakzagan in Konstantinopel an die Zentralkomitees am 10./23. Oktober eine Proklamation folgenden Inhalts:

„Kameraden, wie Sie wissen, hatte der achte Parteitag zu der anberaumten Zeit seine Arbeiten angefangen und beendet. Indem wir die Ausführung unserer Beschlüsse den lokalen Organisationen überlassen, wollen wir hiermit Ihre Aufmerksamkeit auf den Ernst der Lage lenken, in die unser Land infolge des allgemeinen Krieges versetzt wurde. Es ist jetzt mehr als je notwendig, alle Kräfte anzuspannen, um unser Volk vor einem Unglück zu bewahren. Um unsrerseits zur Aufrechterhaltung der allgemeinen Ordnung und Sicherheit beizutragen, muß jeder Anlaß zu irgend welchen Zwischenfällen oder politischen Mißverständnissen unter den verschiedenen Elementen der Bevölkerung vermieden werden.
Indem wir Ihnen ein besonderes Maß von Arbeitskraft in diesen besonderen Zeiten wünschen, senden wir Ihnen unsere freundschaftlichen Grüße.
Das Bureau von Konstantinopel.“

Die weitere Korrespondenz des Bureaus, die bis zur allgemeinen Deportation vorliegt, bewegt sich unentwegt auf der Linie der Loyalität. Die Verbindung mit dem jungtürkischen Komitee, die zur Bestürzung der Führer allmählich abzureißen drohte, wird immer wieder angeknüpft. Nach und nach kommt die Sorge zum Ausdruck, daß die ungeordneten Zustände in den Provinzen und die panislamische Tendenz der Regierung eines Tages Anlässe zu einem Schlage gegen die christlichen Nationalitäten suchen könne. Mit wachsender Beängstigung werden die Symptome registriert, die dieser Befürchtung Recht zu geben scheinen. Jeder denkbare Weg wird beschritten, um die Regierung von der Loyalität der Daschnakzagan zu überzeugen. Die persönlichen Beziehungen der Führer der Daschnakzagan mit den jungtürkischen Führern werden angespannt, um das drohende Verderben aufzuhalten, bis endlich die schmerzliche Überzeugung zum Ausdruck gelangt, daß alle Loyalität und Treue der Daschnakzagan gegen das jungtürkische Komitee umsonst war und daß ihr Vertrauen nur dazu gemißbraucht wurde, um sie über die Absichten der türkischen Regierung zu täuschen.

Die Lektüre dieser Korrespondenz macht einen erschütternden Eindruck. Man sieht, wie sich ein Steinchen auf der Höhe eines Schneefeldes löst, wie der Ball ins Rollen kommt und wächst, bis endlich eine ungeheure Lawine in die blühenden Gefilde des armenischen Volkes niederrast und wahllos Dörfer, Städte, Besitz, Kultur und Menschenleben in einer ungeheuren Katastrophe begräbt.

Es ist notwendig, den Vorgängen, wie sie von Konstantinopel berichtet werden, im einzelnen zu folgen, um einen Einblick in den Zusammenhang der Ereignisse und in Tatsachen zu gewinnen, die, von fern betrachtet, kaum glaublich erscheinen.

Aknuni, ein Mann von hoher Bildung und weitem Horizont, der die gleichen Sympathien bei Türken wie bei Armeniern genoß, und als Führer der konstitutionellen Armenier sichtbar im Vordergrund stand, als Schriftsteller ebenso bedeutend wie als Mensch, war ein persönlicher Freund des allmächtigen Ministers des Innern Talaat Bey. Aknuni besucht Talaat Bey und spricht mit ihm über die Lage der Armenier in der Provinz. Darauf gibt Talaat den telegraphischen Befehl nach Erzerum, daß man die Armenier und insbesondere die Daschnakzagan gut behandeln solle.

„Es gibt in der Tat keine Ursache,“ heißt es nach der Mitteilung über diese Unterredung in der Parteikorrespondenz[3] (29. Sept./12. Okt. 1914), „weshalb die Regierung gegen uns Mißtrauen hegen könnte. Das Gegenteil sollte der Fall sein. Sie wissen, daß unser Kongreß beschlossen hat, daß jeder Armenier seine Pflicht als ottomanischer Untertan erfüllen und sich willig der Mobilmachung unterziehen soll. Wir sind daher berechtigt zu erwarten, daß die Regierung unsere Loyalität anerkennt, denn wir sind bereit, alles, was in unsern Kräften steht, für die Aufrechterhaltung der Unantastbarkeit des Osmanischen Reiches und für die Verteidigung unseres Vaterlandes zu tun.“ (Schon damals waren in den Provinzen vielerlei Unregelmäßigkeiten und Übergriffe gegen die Armenier von seiten der Gendarmerie und der Lokalbehörden vorgekommen. Die Korrespondenz fährt daher fort:) „Bei dem Vorgehen gegen die Armenier im Innern scheint es sich nicht um Maßnahmen der Zentrale zu handeln, sondern um Maßregeln der Lokalbehörden. Wahrscheinlich verdanken wir dieses verfehlte Vorgehen verleumderischen Denunziationen (journals). Es ist traurig, daß dieses System aus der Zeit Abdul Hamids auch in die konstitutionelle Regierung Eingang gefunden hat, was böse Folgen haben kann.“

Einige charakteristische Auszüge aus der Partei-Korrespondenz, die den Lauf der Dinge wiederspiegeln, mögen hier folgen:

7./20. Oktober: „Wir erfahren, daß sich die Lage im Innern von Tag zu Tag verschlimmert. Infolge der allgemeinen Mobilisierung wurde der Belagerungszustand erklärt. Seitdem ist die ganze Lage verändert. Die Armenier haben der Mobilisierung Folge geleistet. Wir haben alles getan, was in unsern Kräften stand, und unsere Ratschläge gegeben, daß jeder Armenier seine Pflichten als ottomanischer Untertan erfülle. Immerhin hat es wie unter den Türken auch unter unserm Volk einige gegeben, die der Mobilisierungsorder nicht gefolgt sind; die Regierung hat sehr strenge Maßregeln gegen sie erlassen: die, welche sich nicht melden, werden damit bestraft, daß ihre Häuser verbrannt werden. Deserteure werden füsiliert. Leider treffen diese Füsiladen auch völlig Unschuldige. Im Wilajet Wan waren fünf solche Fälle. Ähnliches gab es in Cilicien.“

24. November/7. Dezember 1914: „Man hat weder Aknuni noch Scharikian erlaubt, Konstantinopel zu verlassen; man will die Führer der Daschnakzagan in der Hand behalten.“

26. Dezember/8. Januar 1914/15: „Es scheint, daß die Haltung der kaukasischen Armenier die Regierung enttäuscht hat. Man sieht dies aus ihrem Verhalten gegen die Armenier überhaupt und gegen die Daschnakzagan insbesondere. Nun ist es natürlich sehr schwer, unsere türkischen Freunde davon zu überzeugen, daß wir Daschnakzagan nicht nur keinen Anteil an dem Verhalten der russischen Armenier haben, sondern auch überzeugte Anhänger der Erhaltung der Türkei und Gegner der Einverleibung Armeniens in Rußland sind. Wir haben von Wan einen Brief vom 16/29. November erhalten, der die Lage als sehr schwierig schildert. Die Requisitionen haben den Charakter einer Ausplünderung angenommen; die Dörfer werden vollständig ausgeleert. Unter dem Vorwande der Bestrafung von Deserteuren haben die Gendarmen zahllose Häuser niedergebrannt und Güter konfisziert. Gegen die Muhammedaner, bei denen viel mehr Desertionen vorkommen, tut man nichts dergleichen. Neulich hat man alle Räuber amnestiert und bewaffnet. In einigen Orten hat man bekannte Verbrecher aus den Gefängnissen freigelassen und ihnen Waffen gegeben. Die Schritte unserer Kameraden bei der Regierung bleiben fast immer ohne Erfolg.“

Im Januar kommen die ersten Nachrichten über böse Zustände im Wilajet Erzerum. Die Daschnakzagan wenden sich an den Wali Tahsin Bey, der verspricht, binnen zwei Tagen die Missetäter, die in den Dörfern gehaust haben, zu bestrafen. Aber nach zehn Tagen geschieht dasselbe in anderen Dörfern. Die Armenier werden von Türken gewarnt. Zum erstenmal hören sie von dem „Plan einer allgemeinen Metzelei“.

20. Januar/2. Februar: Weitere beunruhigende Nachrichten aus den Wilajets Erzerum und Bitlis. „Hier in Konstantinopel ist das Mißtrauen der Regierung gegen die Daschnakzagan so groß, daß man mit ihr kaum über die Lage sprechen kann.“

20. Februar/5. März: Beunruhigende Nachrichten aus dem Wilajet Wan über Mißhandlungen und Totschläge in den Dörfern durch Gendarmerie und Tschettehs.

27. Februar/12. März: Nachrichten über ein Massaker in den Alaschkertdörfern, die nach dem Rückzug der russischen Armee (seit 22. 12. 14.) von Hamidieh-Kurden geplündert wurden. „Alle in den Dörfern zurückgebliebenen jungen Frauen und Mädchen wurden geraubt und gezwungen, den Islam anzunehmen. Als die Russen Mitte Januar zurückkamen, fürchtete die muhammedanische Bevölkerung wegen ihrer Untaten an der christlichen bestraft zu werden. Sie verließen mit ihren Familien die Dörfer und wurden von der Regierung in der Gegend von Malaskeri und Bulanek in armenischen Dörfern untergebracht. Die Flüchtlinge zählten ungefähr zweitausend Familien. In allen diesen Gebieten sind die Kurden und Tschettehs die einzigen Truppen, über die die Regierung verfügt. Es gibt nicht einen regulären Soldaten. Wären reguläre Truppen dagewesen, das Unglück wäre nicht geschehen. Man hat den Alai-Kurden die Verteidigung des Landes anvertraut. Welch ein ungeheurer Fehler der Regierung! Wahan Papasian (Parlamentsmitglied für Wan) tat Schritte bei der Regierung, daß die Muhadjirs (muhammedanischen Flüchtlinge) nicht in die Ebene von Musch geschickt würden. Der Mutessarif von Musch versprach, sie nach Diarbekir zu schicken, hat aber nicht Wort gehalten.“ Es folgen beunruhigende Nachrichten über die allgemeinen Zustände im Wilajet Wan und Siwas, besonders über Requisitionen und das Schicksal der als Lastträger ausgehobenen Armenier, die vielfältig unterwegs umkommen oder erschlagen werden. Dann kommen die ersten Nachrichten aus Cilicien, Dört-Jol und Hadjin, mit der Schlußfolgerung: „Die Absicht der Regierung scheint darauf hinzugehen, die Armenier aus ihren Zentren zu entfernen. Obwohl wir mit ganzem Herzen unsere Bürgerpflicht erfüllen, mißtraut uns doch die Regierung mit ungerechtfertigtem Zweifel. Hier in Konstantinopel fangen die Türken an, die Stadt zu verlassen und nach Eskischeher und Konia überzusiedeln; falls die Dardanellen forciert werden sollten, soll der Sitz der Regierung nach Konia verlegt werden. Auch das Patriarchat wurde davon benachrichtigt, daß es in diesem Falle mitüberzusiedeln habe.“

2./15. März: „Das Memorandum von Wramjan hat nichts genützt und nur die Regierung gegen ihn eingenommen. so daß sein Leben in Gefahr ist.“

11./24. März: „Aus offiziellen Quellen hören wir, daß es in Zeitun einen Zusammenstoß gab.“ Folgen weitere Nachrichten über Untaten von Gendarmen im Wilajet Bitlis, in Terdjan und Baiburt.

Aus Baiburt wird geschrieben: „Die ganze Bevölkerung lebt unter dem Albdruck eines allgemeinen Massakers. Die Regierung hat Befehl gegeben, daß alle armenischen Soldaten entwaffnet werden sollen. Im Falle auch des unbedeutendsten Anlasses sollen alle niedergemetzelt werden.“

20. März/2. April 1915: Aus den Wilajets Erzerum und Bitlis wird wachsende Beunruhigung über die Plünderungen in den Dörfern und die allgemeine Unsicherheit gemeldet. Die ökonomische Lage der Armenier ist entsetzlich, sie werden allmählich zu Bettlern gemacht. Weder im Frühjahr noch im Herbst konnte man die Felder besäen. „Die Furcht vor einem allgemeinen Massaker hängt über unsem Häuptern. Die Türken sagen zu uns: ,Ihr Armenier seid an dem Unglück dieses Krieges schuld, und wir werden euch vernichten.' Es ist die höchste Zeit, die Aufmerksamkeit auf die Zustände in Armenien zu lenken, sonst werden wir statt eines Armenien bald nur einen Haufen von Ruinen haben.“

In Konstantinopel hatte sich bis dahin nichts ereignet, was befürchten ließ, daß die Regierung gegen das armenische Element in der Hauptstadt einschreiten könnte. Gründe zu einem Mißtrauen gegen die loyale Bevölkerung lagen nicht vor. Ebensowenig hatte man den Führern der Daschnakzagan oder dem Patriarchat etwas vorzuwerfen. Da kam am 18./31. März das erste Anzeichen, daß hinter den Kulissen der Regierung etwas vorging. Das weitere Erscheinen der Tageszeitung „Azatamart“, des Organs der Daschnakzagan, wurde ohne sichtbaren Grund vom Kriegsgericht verboten. Als Vorwand diente ein Artikel über die Verwaltung der protestantisch-armenischen Gemeinden. Einer der Redakteure des Azatamart, der persischer Untertan war, wurde verhaftet und trotz der Intervention des persischen Konsuls ins Innere verschickt.

Noch niemand wußte, was dies Vorgehen zu bedeuten hatte. Nur merkte man, daß die Regierung ein auffallendes Mißtrauen gegen die Armenier hege, für das man Gründe nicht ausfindig machen konnte. Die ungewisse und schwüle Stimmung hielt noch drei Wochen an. Man ahnte nicht, was inzwischen vorbereitet worden war. Da, am Sonntag, den 12./25. April, wurde die armenische Bevölkerung von Konstantinopel von einer fast unglaublichen Kunde überrascht.

Am Sonnabend war seit dem frühen Morgen die ganze Polizei in Bewegung. Nach einer vorbereiteten Liste nahm man den Tag über einzelne Verhaftungen vor. Dann fanden von neun Uhr abends bis Sonntag früh ununterbrochen Verhaftungen statt. Fast alle, im Vordergrunde des öffentlichen Lebens stehenden Armenier, besonders auch die Führer der Daschnakzagan, wurden verhaftet und mit ihren Tresors und Papieren in Automobilen auf die Polizei gebracht. Von Mitternacht an wurde die Redaktion von Azatamart besetzt, alle Insassen verhaftet, das Haus geschlossen. Ein Gendarm bewachte das Tor. Aknuni wurde in seiner Wohnung verhaftet, wo sich gerade auch zwei andere Führer der Daschnakzagan, Wartkes und Heratsch, befanden. Der letztere ging zur Redaktion des Azatamart, wo man ihn auch verhaftete. Am nächsten Morgen waren 235 Armenier, die führenden Männer aus der besten Gesellschaft, in den Händen der Polizei und wurden sofort ins Innere abtransportiert.

Die beiden armenischen Parlamentsmitglieder Wartkes und Sohrab, persönliche Freunde von Talaat Bey und anderen hervorragenden Mitgliedern des jungtürkischen Komitees, hatte man noch auf freiem Fuß gelassen. Sie gingen zu Talaat Bey, um ihn um eine Erklärung der unbegreiflichen Vorgänge zu bitten. Talaat Bey antwortete: „Die Euren sind von den Bergen herabgekommen und haben Wan mit Hilfe der armenischen Stadtbevölkerung besetzt.“ (Die Armenier von Konstantinopel wußten noch nichts von den Vorgängen in Wan, die offenbar am gleichen Tage sofort telegraphisch nach Konstantinopel gemeldet waren und die Verhaftung der armenischen Führer zur Folge hatte. Die Annahme von Talaat Bey, daß auswärtige Armenier nach Wan gekommen seien und die dortigen Ereignisse veranlaßt hätten, war irrtümlich. Vergleiche die eingehende Darstellung in dem Bericht S. 81 ff.) Auf die Frage von Wartkes, warum man denn völlig Unbeteiligte verhafte, antwortete Talaat Bey: „Ich konnte mich dem nicht widersetzen.“ Er gab noch Wartkes den freundschaftlichen Rat, sich nicht öffentlich zu zeigen. Wartkes ging darauf zu dem Polizeichef Bedri Bey und sagte zu ihm: „Soweit habt ihr die Sache kommen lassen.“ Bedri Bey antwortet: „Djanum (meine Seele), was haben wir getan?“ Wartkes: „Ihr geht darauf aus, unser Volk aufzureizen und zur Verzweiflung zu treiben.“ Bedri Bey: „Ich gebe dir drei Tage Zeit, Konstantinopel zu verlassen und dich an einem nur von Türken bewohnten Ort niederzulassen.“ Wartkes: „Meine Frau ist krank, ich brauche wenigstens zehn Tage.“ Bedri Bey: „Es bleibt bei dem, was ich gesagt habe.“

An anderen Stellen wurde geantwortet, „die Regierung habe zwar keinen bestimmten Verdacht, aber sie fürchte, es könne etwas geschehen, darum habe man aus Vorsicht die Verhaftungen vorgenommen“.

Zu den Verhafteten gehörten die folgenden Personen: Aknuni, allbekannter Publizist und Politiker, Parlamentsmitglied; Zartarian, Redakteur des Azatamart; Chajak, Heratsch, führende Daschnakzagan; Schahbas, Jurist; Schahmil, Jurist; Mowses Pedrosian, Jurist; Scharikian, Advokat; Kalfajan, Bürgermeister von Makriköj; Dr. Daghavarian, Arzt, Vizepräsident der armenischen Nationalversammlung; Dr. Torkomian, Präsident der Ärztegesellschaft, einer der ersten Ärzte von Konstantinopel; Dr. Paschajan, Arzt; Dr. Mirza Gendjian, Arzt; Dr. Nergiledschian, Arzt; Jirair, Verleger; Stepan Kürkdjian, Verleger; Adom Schahin, Druckereibesitzer; Diran Kelekian, Redakteur von „Sabah“; Ketschian, Redakteur von „Byzantion“ (Konservatives armenisches Organ); Gigo und Gawrosch, bekannte Herausgeber humoristischer Blätter; Hamparzumian, Journalist; Djavuschian, Schriftsteller; Tigran Tschögürian, Schriftsteller; Aram Andonian, Publizist: Artasches Harutunian, Kritiker; Jerwand Odian, bekannter Humorist; Siamanto, Dichter: Warujan, Schuldirektor und Dichter; Marsbeduni, Pädagoge[WS 2] (österreichischer Untertan) ; Dr. Barseghian, Gelehrter; Leon Larenz, Novellist; Melkom Gürdjian, Armenist und Schriftsteller (Pseudonym Herant); Aram Tscharek, Dichter; Erzbischof Hemajak; Wartabed Valakian; Wartabed Komitas (beide haben in Deutschland studiert); Wartabed Hovnan; Priester Hussik; Kerowsaljan, protestantischer Pfarrer; Nerses Sakarian, Aram Aschott, bekannte Intellektuelle, des weiteren alle Mitglieder der Klubs von Skutari und Kumkapu. Viele Doktoren, Apotheker, bekannte Priester, kurz alle im Vordergrund stehenden Männer.

Von diesen wurden später 8 wieder freigelassen, darunter der Jurist Pedrosian als bulgarischer Untertan, die Ärzte Dr. Torkomian und Dr. Nergiledschian, der Redakteur Kelekian, der Pfarrer Kerowsaljan und die beiden Wartabeds Balakian und Komitas. Der letztere, ein bekannter Musikgelehrter, soll auf Fürsprache des † Thronfolgers Prinz Jussuf Izzeddin frei gekommen sein. Die Sultanfamilie ist bekanntlich sehr musikalisch.

In der nächsten Zeit folgten methodisch weitere Verhaftungen, so daß im Ganzen gegen 600 armenische Intellektuelle von Konstantinopel ins Gefängnis wanderten. Nur sehr wenige wurden davon auf besondere Fürsprache nachträglich wieder freigelassen und aus dem Verbannungsort zurückgeschickt.

Zugleich mit den Verhaftungen begannen die peinlichsten Nachforschungen und Haussuchungen, die noch geraume Zeit fortgesetzt wurden, in der Hoffnung, irgendwelche Schuldbeweise zu finden, durch die die Verhaftungen nachträglich begründet werden konnten. Sogar in den Schulen von Gedik Pascha, Kumkapu, Jenikapu, Psamatia, in den Kirchen und im Patriarchat wurde alles durchwühlt, in der Hoffnung, irgend etwas zu finden, woraus man einen Schuldbeweis für die Armenier konstruieren konnte. Aber es fand sich nichts. Das Resultat aller Nachforschungen war gleich Null. Wenn man den Maßstab eines Rechtsstaates anlegen will, ein beschämender Beweis für die Grundlosigkeit der Verhaftungen.

Von seiten des Patriarchats und aller Instanzen, die etwa in Frage kamen, wurden Schritte getan, um womöglich noch der Verschickung Einhalt zu tun und Sicherheiten zu erwirken, die einer weiteren Ausdehnung der Maßregel Schranken setzen könnten. Die Verschickung aber nahm unbehindert und ungestört ihren Verlauf. Von führenden Persönlichkeiten waren Sohrab und Wartkes zurückgeblieben.

Der Abgeordnete Sohrab gehörte nicht zu den Daschnakzagan. Er war Parlamentsmitglied für Konstantinopel und stand in nahen persönlichen Beziehungen zu den führenden Männern der türkischen Regierung. Als im März 1909 die jungtürkische Regierung gestürzt worden war und Abdul Hamid wieder das Heft in die Hand bekam, war das Leben der jungtürkischen Führer keinen Pfennig Wert. Damals flüchteten sich die Männer, die gegenwärtig an der Macht sind, in die Häuser ihrer armenischen Freunde. Halil Bey, Minister des Auswärtigen,[4] der heute neben Talaat Bey und Enver Pascha den größten Einfluß besitzt, floh damals in die Wohnung seines Freundes Sohrab, der ihn mit eigner Lebensgefahr 14 Tage bei sich versteckt hielt, bis die Reaktion niedergeworfen und Sultan Abdul Hamid entthront war. Mahmud Schewket Pascha und Talaat Bey hatten sich ebenfalls bei ihren armenischen Freunden versteckt, andere Jungtürken waren in die Redaktion des Azatamart geflüchtet. Auch in den Provinzen fanden die Jungtürken bei den Armeniern Schutz vor ihren reaktionären Feinden. In Erzerum brachten die Daschnakzagan die jungtürkischen Führer in die Konsulate und in ihre Häuser, und als ein Teil von ihnen gefangen nach Baiburt transportiert wurde, eskortierten die Daschnakzagan den Transport, um ihre politischen Freunde vor einem Überfall zu schützen. Obwohl sich inzwischen in den freundschaftlichen Beziehungen zwischen Jungtürken und Daschnakzagan nichts geändert hatte, waren jetzt alle diese Dienste vergessen und die damaligen Lebensretter wurden gleich allen andern führenden Armeniern in die Verbannung geschickt. Der Abgeordnete Sohrab hatte auch sonst sich als wertvoller[WS 3] Mitarbeiter der jungtürkischen Regierung erwiesen. Als hervorragender Jurist wurde er von den Führern der Regierung um die Ausarbeitung von Gesetzentwürfen gebeten, auch in der Kammer war er unermüdlich in den Kommissionen tätig. Auch Wartkes[5], Parlamentsmitglied für Erzerum, der unter Abdul Hamid 7½ Jahre im Gefängnis war, war ein persönlicher Freund der führenden Männer. Ihren persönlichen Beziehungen zu Talaat Bey dankten es die Abgeordneten Sohrab und Wartkes, daß sie zunächst noch nicht verschickt wurden.

Bei der Schließung des Redaktionslokales der Zeitung Azatamart war der Kassenbestand von 450 türkischen Pfund und alles vorrätige Papier beschlagnahmt worden. Da nicht nur die Redakteure, sondern auch alle Setzer, der Portier und alle Leute, die zufällig im Hause waren, verhaftet und verschickt worden waren, wünschte man wenigstens so viel zu erreichen, daß das beschlagnahmte Geld zu Gunsten der Familien der Redakteure und Angestellten der Zeitung verwendet werden möchte. Talaat Bey versprach, die Sache zu regeln. Wegen dieser und ähnlicher Verhandlungen blieben Sohrab und Wartkes noch mit den Männern der Regierung in Verbindung. Sie versuchten auch das Los der Verschickten zu erleichtern.

Als Verschickungsort der 600 Notabeln von Konstantinopel waren drei nur von Muhammedanern bewohnte Plätze in der Nähe von Angora bestimmt worden. Die Männer, die bisher politisch tätig gewesen waren, wurden nach dem Dorf Ajasch bei Angora geschickt, die mehr unpolitischen Intellektuellen nach Tschangri (einem Städtchen zwischen Angora und Kastamuni) und nach Tschorum (zwischen Tschangri und Amasia). In Angora sollte ein Kriegsgericht gebildet werden, um über die Verschickten abzuurteilen. Später scheint man, da sich kein Material zu Anklagen fand, von einem Rechtsverfahren Abstand genommen zu haben. Dagegen beschloß man, die hauptsächlichsten Führer noch weiter ins Innere zu transportieren, über Adana und Aleppo bis nach Diarbekir.

Wartkes und Sohrab blieben zunächst noch in Konstantinopel. Kam Wartkes zu seinen jungtürkischen Freunden, so hieß es: „Warum kommen Sie nicht öfter?“ Es schien, als ob man auf freundschaftlichem Wege noch etwas erreichen könnte. Vielleicht war die Verschickung der Intellektuellen nur eine Vorsichtsmaßregel gewesen. Die jungtürkischen Führer hatten Grund, ein schlechtes Gewisien gegenüber ihren armenischen Freunden zu haben. Versprechungen, die sie in der Zeit der Not gemacht hatten, waren nicht gehalten worden, und die Reformen wurden in dem Augenblick, wo sie verwirklicht werden sollten, wieder rückgängig gemacht. Vielleicht schlossen die Jungtürken von sich auf ihre armenischen Freunde und dachten, daß sie in solchem Falle ihren politischen Kameraden die Treue nicht gehalten, sondern auf Rache gesonnen hätten. So mochte das Vorgehen gegen die Daschnakzagan aus dem schlechten Gewissen der jungtürkischen Führer erklärbar sein. Da aber die Daschnakzagan ein gutes Gewissen hatten, versuchten sie immer noch, die Männer der Regierung von ihrem Irrtum zu überzeugen, ohne zu verhehlen, wie sehr sie sich durch das Vorgehen ihrer Freunde gegen sie persönlich verletzt fühlten. Noch am 1. Mai schrieb Wartkes an seine Parteifreunde: „Das Unglück unserer Kameraden hat uns gelehrt, daß unsere loyale Haltung der Regierung gegenüber völlig vergeblich gewesen ist. Vielleicht kann man die Maßregel, wenn auch nicht verhindern, so doch wenigstens mäßigen. Wir bemühen uns, die Regierung davon zu überzeugen, daß wir keine separatistischen Bestrebungen haben und keine andere Souveränität als die des Sultans wünschen. Wir sehen deutlich, daß die Regierung nicht davon überzeugt ist, wir hätten eine revolutionäre Bewegung gegen sie organisiert und seien ihre Gegner. Sie ist beinahe vom Gegenteil überzeugt, denn die Haussuchungen und Nachforschungen, bei denen nichts gefunden wurde, waren ein vollständiges Fiasko. Nur die Ereignisse in Wan und Siwas (Schabin-Karahissar) haben sie irre gemacht, so daß sie eine allgemeine Bewegung zu fürchten schien. In den Provinzen wird die Lage immer schlimmer. Wir können ihnen auf keine Weise begreiflich machen, daß alles, was im Innern vorgeht, das Ergebnis der schlechten Aufführung ihrer Beamten ist. Die Erklärung des Belagerungszustandes hat die Bedingungen dafür geschaffen, und der allgemeine Kriegszustand hat die Beamten in die Lage gesetzt, straflos alles zu tun, was ihnen beliebt.“

Am 12. Mai besuchte Wartkes Talaat Bey in seinem Hause. Talaat Bey war nicht imstande, irgendwelche revolutionären Pläne der Daschnakzagan als Ursache der Verschickung geltend zu machen. Bezeichnenderweise griff er auf die früheren Reformbestrebungen der Armenier, die ja auch die Ursache der Massakers unter Abdul Hamid gewesen waren, zurück.[6]

Talaat sagte zu Wartkes: „In den Tagen unserer Schwäche“ (nach der Rückeroberung von Adrianopel!) „seid ihr uns an die Kehle gefahren und habt die armenische Reformfrage aufgeworfen. Darum werden wir die Gunst der Lage in der wir uns jetzt befinden, dazu benutzen, euer Volk derart zu zerstreuen, daß ihr euch für fünfzig Jahre den Gedanken an Reformen aus dem Kopf schlagt!“ Wartkes erwiderte darauf: „Also beabsichtigt man das Werk Abdul Hamids fortzusetzen?“ Talaat antwortete: „Ja.“.

Am 21. Mai besuchte Wartkes den Chef der Polizei Bedri Bey, um die in der Redaktion der Zeitung Azatamart beschlagnahmten Gelder in Empfang zu nehmen und ein Wort für die Kranken unter den Verschickten einzulegen. In seiner Abwesenheit drangen 15 Polizisten in sein Haus ein, um dort eine Haussuchung vorzunehmen. Zur selben Zeit wurde der Abgeordnete Sohrab in seinem Hause verhaftet.

Weder Wartkes noch Sohrab kamen zu den Ihrigen zurück. Sie wurden in der Nacht nach Konia abtransportiert.

Von Ajasch richteten die verhafteten Führer der Daschnakzagan an Talaat Bey folgendes Schreiben:

„Die Organisation (der Daschnakzagan), die alle ihre Bemühungen mit den Ihrigen vereinigt hatte, um an der Wohlfahrt und dem Fortschritt des Reiches zu arbeiten, befindet sich heute in einer so befremdlichen und unbegreiflichen Lage, daß diese Tatsache allein für Sie hätte genügen müssen, um diesem beschämenden Zustande ein Ende zumachen. Man sollte bedenken, daß ein derartiges Verhalten der türkischen Regierung gegenüber der Vertretung des armenischen Volkes die Beziehungen zwischen den beiden Nationen stören und die beiden Volkselemente einander entfremden muß. Wir hätten uns nie träumen lassen, daß wir nach unserer gemeinsamen Arbeit eines Tages gezwungen sein würden, von hieraus telegraphisch mit Ihnen zu verhandeln.

Aknuni.     Zartarian.     Dr. Paschajan.“

Die Führer der Daschnakzagan waren immer noch der irrigen Meinung, daß es sich bei all dem, was vorgegangen war, um etwas wie einen Irrtum handeln müsse. Aber die Gründe, mit denen die Daschnakzagan die Regierung von der Unnatürlichkeit und der Unvernunft ihres Vorgehens zu überzeugen suchten, konnten keinerlei Eindruck mehr erzielen. Die Vorstellung, daß „die Beziehungen“ zwischen Türken und Armeniern „gestört“ werden würden, konnte die Regierung wirklich nicht rühren, da sie ja die Absicht hatte, das ganze armenische Volk zu zerstören, so daß von Beziehungen überhaupt nicht mehr die Rede sein konnte. Es war aber begreiflich, daß die Armenier, da sie sich keiner Illoyalität gegen die Regierung bewußt waren, erst aus ihren Illusionen herausgerissen wurden, als durch die allgemeine Deportation klar geworden war, welchen Sinn die Verschickung der Intellektuellen von Konstantinopel und die gleichzeitigen Verhaftungen von Notabeln in allen Zentren des Innern hatte.

Da man sich von verschiedenen Seiten für Wartkes und Sohrab verwendete, wurde ihren Angehörigen versprochen, beide wieder zurückzurufen. Die Verwendung hatte aber nur die Folge, daß Wartkes und Sohrab von Konia nach Adana, von Adana nach Aleppo und von Aleppo nach Diarbekir weitertransportiert wurden. Eines Tages wurde der Frau von Sohrab telephonisch von der Pforte mitgeteilt, ihr Mann sei gestorben. Von Wartkes wurde behauptet, er habe sich das Leben genommen.12) Über das Schicksal der übrigen Intellektuellen von Konstantinopel hat man nichts mehr gehört.

Das Damoklesschwert der Verschickung hing über den Armeniern der Hauptstadt.

Am 29. April wurde die armenische Bevölkerung von Konstantinopel aufgefordert, alle Waffen abzuliefern, was ohne Zwischenfall oder Störung der Ordnung innerhalb zehn Tagen geschah. Während des Balkankrieges hatte man nur Gewehre und Revolver abverlangt, jetzt auch alle harmlosen Antiquitäten und Raritäten, Yatagans, Messer und dergleichen. Die Waffen wurden registriert und Quittung dafür erteilt. Trotz gründlichster Haussuchungen wurden nirgends kompromittierende Papiere gefunden und ebensowenig die eifrig gesuchten Bomben. Doch nein, bei einem Krämer fand man alte Eisenkugeln aus der Zeit Muhammeds des Eroberers, die er als Gewichte für seine Wage gebrauchte. Er wurde sofort wegen des Besitzes von Bomben verhaftet.

Da von seiten der Botschaften wiederholt der Pforte die ernstesten Vorstellungen wegen der Maßregeln gegen die Armenier gemacht worden waren, nahm man von einer Ausdehnung der Deportationsmaßregel auf die armenische Bevölkerung von Konstantinopel und Smyrna Abstand. In der Stille aber wurde auch die Verschickung von Konstantinopeler Armeniern fortgesetzt. Im ganzen sollen gegen 10 000 abgeschoben worden sein, von deren Verbleib man nichts erfahren hat.

Auch die Bemühungen, nachträglich Schuldbeweise für die verhafteten Daschnakzagan zu entdecken, wurden fortgesetzt. Man wollte die Führer der Daschnakzagan, da man ihnen sonst nichts vorwerfen konnte, mit den Vorgängen in Wan in Verbindung bringen, von denen sie überhaupt nichts wußten. Da Beweise nicht vorhanden waren, wurde ein armenischer Kaufmann, Aghadjanian aus Erzerum, Protestant, der als Importeur in Konstantinopel lebte und mit nach Ajasch gebracht worden war, nach Konstantinopel zurücktransportiert. Im Gefängnis legte man ihm ein Dokument vor, in dem er aussagen sollte, daß die deportierten Abgeordneten und Daschnakzaganführer Sohrab, Wartkes, Aknuni, Hajak, Minassian, Daghavarian, Djanguljan eine Revolution vorbereitet, Aufstände in Wan und Zeitun organisiert und alle Fäden in ihrer Hand gehabt hätten. Durch die Folter versuchte man ihn zu zwingen, das Dokument zu unterschreiben. Als er sich standhaft weigerte, Aussagen zu unterschreiben, die, wie er wußte, vollständig erlogen waren, wurde die Folterung mehrere Tage fortgesetzt. Endlich soll er nach drei Wochen, nachdem er durch die Qualen halb um seinen Verstand gekommen war, ein anderes Schriftstück unterschrieben haben, das Aussagen gegen Sohrab und Wartkes enthielt.


6. Die türkische Darstellung.


Eine Revolution, noch dazu, wie behauptet wird, eine „das ganze armenische Volk umfassende Revolution“ konnte nicht improvisiert werden, sie hätte von einer das armenische Volk umfassenden Organisation vorbereitet und ins Werk gesetzt werden müssen. Die beiden Organisationen, die kirchliche und die politische, die hierfür in Frage kamen, haben, weit entfernt an eine Auflehnung gegen die türkische Regierung zu denken, ihr Äußerstes getan, um der Regierung ihre Loyalität zu beweisen und das gemeinsame Vaterland zu verteidigen. Auch der Bericht über die Tatsachen hat nirgends den Beweis an die Hand gegeben, daß die Armenier durch ihr Verhalten die Vernichtung ihres Volkstums verschuldet oder Maßregelungen irgend welcher Art provociert hätten.

Fragen wir also dir Türken selbst, soweit sie sich zur armenischen Sache geäußert haben. Es liegen einige mehr oder weniger offizielle Communiqués vor, die durch das Wolffsche Telegraphenbureau und die Presse verbreitet worden sind. Sie stellen das einzige Material dar, aus dem sich die öffentliche Meinung in Deutschland ein Urteil bilden konnte. Ihre Zahl ist gering. Bis auf das erste begnügen sie sich damit, auf Grund eines oder des anderen Falles, dessen Ursprünge nicht aufgehellt werden, allgemeinere Schlüsse zu ziehen. Untersuchen wir die Tatsachen, die von türkischer Seite zur Sprache gebracht worden sind.

Das erste türkische Communiqué.
W.T.B. Konstantinopel, d. 4. Juni 1915:

Am 24. Mai hatte die „Agence Havas“ folgende, von den Regierungen Frankreichs, Großbritanniens und Rußlands im gegenseitigen Einverständnis beschlossenen Erklärungen veröffentlicht:

„Seit ungefähr einem Monat begeht die türkische und kurdische Bevölkerung Armeniens unter Duldung und oft mit Unterstützung der osmanischen Behörden Massenmorde unter den Armeniern. Solche Massenmorde haben um die Mitte des April in Erzerum, Terdschan, Egin, Bitlis, Musch, Sassun, Zeitun und in ganz Cilicien stattgefunden. Die Einwohner von ungefähr hundert Dörfern in der Umgebung von Wan sind alle ermordet, und das armenische Viertel ist von den Kurden belagert worden. Zur selben Zeit hat die osmanische Regierung gegen die wehrlose armenische Bevölkerung in Konstantinopel gewütet. In Anbetracht dieses neuen Verbrechens der Türkei gegen Menschlichkeit und Zivilisation geben die alliierten Regierungen der Hohen Pforte öffentlich bekannt, daß sie alle Mitglieder der türkischen Regierung sowie diejenigen ihrer Beauftragten, die an solchen Massenmorden beteiligt sind, in Person verantwortlich machen.“

Die Antwort der kaiserlich türkischen Regierung (W.T.B. Konstantinopel, 4. Juni) stellt die einzige umfangreichere Kundgebung über die Lage des armenischen Volkes seit dem Kriegsausbruch dar. Sie richtet ihre Spitze nicht gegen das armenische Volk, sondern gegen die Ententemächte. Es wird ausdrücklich erklärt, daß die Maßregeln der türkischen Regierung „keineswegs eine gegen die Armenier gerichtete Bewegung darstellen“. Ebenso wird den Armeniern von Erzerum, Terdjan, Egin, Sassun, Bitlis, Musch und Cilicien das Zeugnis ausgestellt, „daß sie keine Handlungen begangen hätten, die die öffentliche Ruhe und Ordnung hätte stören können“ und festgestellt, daß diese Armenier (im Gegensatz zur Behauptung der Ententeregierungen) „keinerlei Maßregeln der Kaiserlichen Behörden unterworfen“ worden seien. Das Letztere hatte die Note der „Agence Havas“ eigentlich nicht gesagt. Sie hatte nur gesagt, daß die türkische und kurdische Bevölkerung Armeniens um die Mitte des April unter Duldung und oft mit Unterstützung der osmanischen Behörden Massenmorde begangen habe, was für gewisse Gebiete der Wilajets Wan und Erzerum zutrifft. Zur Zeit der Abfassung der Note (4. Juni) war aber die Gesamtdeportation bereits beschlossen und in Cilicien schon ausgeführt worden. Stellen wir fest, was die türkische Regierung den Ententeregierungen vorwirft.

Es sind zunächst allgemeine Beschuldigungen: 1. „Daß die Beauftragten des Dreiverbandes, insbesondere diejenigen Rußlands und Englands jede Gelegenheit benützen, die armenische Bevölkerung zum Aufruhr gegen die kaiserliche Regierung anzustiften.“

Diese allgemeine Beschuldigung wird folgendermaßen spezifiziert:

1. Die Konsuln der Ententemächte und andere von ihnen Beauftragte hätten „in Bulgarien und Rumänien junge türkische Armenier über Warna, Sulina, Constantza usw. nach dem Kaukasus geschickt, und die russische Regierung habe sich nicht gescheut, diese jungen türkischen Armenier entweder in ihre Armee einzureihen oder sie, mit Waffen, Bomben und umstürzlerischen Aufrufen und Programmen versehen, in die armenischen Hauptorte des türkischen Reiches zu senden. Sie sollten in diesen Hauptorten eine geheime umstürzlerische Organisation schaffen und die Armenier dieser Gegenden, insbesondere diejenigen von Wan, Schattach, Hawasur, Kewach und Timar aufreizen und sich mit den Waffen in der Hand gegen die kaiserliche Regierung erheben. Zugleich sie dazu verleiten, die Türken und Kurden zu ermorden“.
Das Gebiet, das namhaft gemacht wird (Wan, Schattach, Hawasur, Kewach und Timar) ist ein kleiner Winkel an der Südostecke des Wansees. Was dort vorgegangen ist, haben wir geschildert. Die armenischen Dörfer dieses kleinen Gebietes standen, soweit sie politisch organisiert waren, unter der Leitung der Daschnakzagan in Wan. Hätte man hier erst eine Organisation schaffen wollen, (die ja vorhanden war), so hätte man dazu sicher nicht türkische Armenier über Bulgarien und Rumänien kommen lassen. Da hätten es die 1½ Millionen Armenier im benachbarten Kaukasus näher gehabt. Es handelt sich also in der türkischen Mitteilung um eine Kombination weit auseinander liegender Dinge. Die vereinzelten Armenier, die über Bulgarien und Rumänien in den Kaukasus gegangen sind – es waren größtenteils russische Armenier – zählen unter den 1½ Millionen Kaukasus-Armeniern überhaupt nicht.

Die türkische Mitteilung weiß denn auch von einem Erfolg dieser angeblichen Sendlinge nichts zu berichten. Als Beispiel wird nur

2. die Tätigkeit des früheren Abgeordneten Witoman Karikin Pasdermadschian, bekannt unter dem Namen „Armen Garo“ gekennzeichnet, „der in die von den armenischen Bandenführern Tro und Hedscho gebildete Bande eintrat“. „An der Spitze von armenischen Freiwilligen, die von Rußland bewaffnet waren, zerstörte er, als Bajasid von den Russen besetzt wurde, alle türkischen Dörfer, die er auf seinem Weg fand, und ermordete die Einwohner. Als die Russen aus dieser Gegend verjagt wurden, wurde er verwundet. Gegenwärtig ist er mit seiner Bande an der kaukasischen Grenze tätig. Die in Amerika erscheinende Zeitung Asparez hat seine Photographie veröffentlicht, auf der er zusammen mit Tro und Hedscho abgebildet ist, wie sie eben den feierlichen Eid vor dem Auszug in den Krieg leisten.“[7]
Es ist allen türkischen Mitteilungen eigentümlich, daß sie die Öffentlichkeit darüber im Unklaren lassen, daß die anderthalb Millionen russischer Armenier pflichtgemäß auf russischer Seite kämpfen müssen. Es wird der Schein erweckt, daß die in die russische Armee oder in russische Freischaren eintretenden Armenier verräterischer Weise gegen ihr türkisches Vaterland kämpfen, während sie wohl oder übel für ihr russisches Vaterland kämpfen mußten. Nehmen wir selbst an, daß die Angaben über die Tätigkeit von Garo Pasdermadschian, über die wir bereits Seite 180 berichtet haben, richtig seien, so könnten sie billigerweise nur vom russischen Standpunkt aus beurteilt werden. Wenn es mit der Zerstörung türkischer Dörfer im Gebiet von Bajasid seine Richtigkeit hätte, so würde es sich um kriegerische Handlungen der russischen Armee handeln. Die Dörfer dieser Gegend aber sind zum größten Teil von Armeniern bewohnt, und diese armenischen Dörfer waren bereits vor dem Einmarsch der Russen von türkischen und kurdischen Banden geplündert, die Männer massakriert und die Frauen und Mädchen weggeschleppt worden. Es würde sich also um Vergeltungsmaßregeln handeln. Da aber die Türken überall, bevor die Russen kamen, ihre Dörfer verließen und sich hinter die türkische Front zurückzogen, ist nicht anzunehmen, daß hier eine nennenswerte Zahl von Türken umgekommen ist. Der eine Fall Pasdermadschian ist als einziger Beweis für die allgemeine Behauptung der Anstiftung umstürzlerischer Handlungen seitens der Ententeregierungen nicht glücklich gewählt, denn es handelt sich um einen wohlhabenden und selbstbewußten Armenier, der für das, was er tat oder nicht tat, keiner Anstiftung bedurfte und für Dollars und Rubel unzugänglich ist.

3. Nachdem im allgemeinen gesagt war, daß die Armenier „von Cilicien überhaupt keine Handlung begangen hatten, die die öffentliche Ordnung und Ruhe hätte stören oder Maßregeln der Regierung erforderlich machen können“ (ein Zeugnis des Wohlverhaltens, das um so schwerer wiegt, da zur Zeit seiner Ausstellung, am 4. Juni die armenische Bevölkerung von Cilicien schon so gut wie völlig deportiert war), werden die englischen Behörden von Cypern beschuldigt, „Armenier in die Umgebung von Alexandrette gebracht zu haben, die unter anderm einige Züge zur Entgleisung gebracht hätten“. Genannt werden die Armenier „Toros-Oglu und Agob, bei denen Papiere gefunden wurden, die unzweifelhaft den angestrebten verbrecherischen Zweck beweisen“. Sodann werden die Kommandanten der englisch-französischen Seestreitkräfte beschuldigt, „mit den Armeniern der Gegend von Adana, Dört-Jol, Jumurtalik, Alexandrette und anderen Küstenorten in Verbindung getreten zu sein und diese zum Aufruhr aufgestachelt zu haben“. Daß ihnen dieses gelungen sei, wird nicht behauptet. Zuletzt werden die Armenier von Zeitun erwähnt, „die sich gegen die kaiserlichen Behörden erhoben und die Residenz des Gouverneurs umzingelt hätten“. Über die Vorgänge in Zeitun haben wir uns bereits unterrichtet. (Vgl. Seite 4 bis 10.) In Zeitun handelte es sich um etwa 20 Armenier, die eines Mädchens wegen mit türkischen Gendarmen in Konflikt gerieten. Dieser Fall wurde mit der Deportation der 20 000 Armenier von Zeitun und Umgebung bestraft. Die völlig vereinzelten Spionageakte im Küstengebiet wurden mit der Deportation der gesamten armenischen Bevölkerung von Cilicien in Zahl von mehr als 100 000 Armenier geahndet. Von der Unterdrückung einer Revolution kann nicht die Rede sein. Die Bevölkerung war längst entwaffnet, die Männer waren ausgehoben. Die Frauen, Kinder und Greise sind wie eine Schafherde in die Wüste getrieben
worden. Die Bestrafung einzelner landesverräterischer Handlungen, noch dazu im Kriege, versteht sich von selbst. Ebenso wie die Bestrafung von Deserteuren, die sich dem Heeresdienst entziehen. Die Deportationen einer Bevölkerung kann man damit nicht begründen. Darum schweigt auch das Communiqué von der bereits erfolgten Deportation.
4. Es folgt der Versuch, einen Beweis zu erbringen, daß von der Entente die Armenier zu einem Aufstande verleitet werden sollten, der unter dem Schutz der französischen, englischen und russischen Regierung von revolutionären Komitees im Auslande geplant worden sei. Da hierbei auf den Kongreß der Hintschakisten, der vor 2½ Jahren in Constantza stattfand, Bezug genommen wird, kann es sich nur um das Komplott der türkischen Opposition handeln, das von Scherif Pascha, Sabaheddin, Oberst Zadik und Ismail von Gümüldschina geplant und bereits vor dem Ausbruch des europäischen Krieges aufgedeckt worden war. In dieses Komplott, dessen Geschichte wir Seite 165 ff. erzählt haben, waren einige Hintschakisten verwickelt. Da die türkischen Hintschakisten die Beschlüsse des Kongresses von Constantza abgelehnt hatten, unterläßt das türkische Communiqué nicht hinzuzufügen, „daß der Kongreß öffentlich den Anschein erwecken wollte, als hätte er auf die aufständische Bewegung verzichtet“. Die türkischen Hintschakisten hatten in der Tat darauf verzichtet. Da es sich bei diesem Komplott um ein von der türkischen Opposition gegen die gegenwärtige türkische Regierung geplantes Komplott handelte (und nicht um die Anstiftung einer armenischen Revolution) unterläßt auch das türkische Communiqué nicht, noch das Folgende hinzuzufügen: „Die englischen, französischen und russischen Drahtzieher haben sich nicht damit begnügt, den Aufstand der Armenier (?) auf diese Weise vorzubereiten, sie haben auch versucht, die muselmanischen Bevölkerungsteile
ebenfalls gegen die Regierung Seiner Majestät des Sultans zu empören. Um diesen Zweck zu erreichen, haben sie sogar die Ausführung persönlicher Verbrechen organisiert, wofür die Beweise in den Händen der Hohen Pforte sind. Diese unqualifizierbaren Umtriebe sind selbst in den ältesten und von Handlungen der Grausamkeit am meisten befleckten Zeiten nicht mehr beobachtet worden“. (Sollte diese Charakteristik nicht zutreffender auf die vernichtenden Maßregeln anzuwenden sein, die die türkische Regierung gegen das armenische Volk zur Ausführung gebracht hat, als auf ein mißlungenes von Türken angestiftetes Komplott, dessen „Beweise“ unter dem Titel „Eine politische Komödie“ (!) vom Tanin veröffentlicht wurden?)


5. Um den Eindruck zu erzeugen, daß etwas wie eine armenische Revolution geplant gewesen sei, wird noch berichtet, daß bei Untersuchungen in den Wohnungen der Revolutionäre revolutionäre Fahnen und wichtige Dokumente über den beabsichtigten Aufstand, sowie über die separatistischen Ziele der Bewegung gefunden seien, und daß in den Provinzen bei den Armeniern Tausende von russischen Gewehren und Bomben entdeckt worden seien. Auf diese Funde von Fahnen (es handelt sich um das bekannte Parteiwappen der Daschnakzagan, das seit Begründung der Konstitution in allen armenischen Klubs öffentlich aushing), Dokumenten und Waffen werden wir noch zurückkommen. Die Pforte versprach „zur geeigneten Zeit alle diese Dokumente einzeln zu veröffentlichen, um die öffentliche Meinung aufzuklären“. Mit Ausnahme der Publikation des „Tanin“ ist bis jetzt nichts derart geschehen.13)

Eine besondere Beachtung verdienen diejenigen Ausführungen des türkischen Communiqués, welche sich auf die Bestrafung von landesverräterischen Akten und umstürzlerischen gegen die Reichseinheit gerichteten Bewegungen beziehen. Es wird ausdrücklich betont, daß die Verhaftung revolutionärer Armenier, die mit revolutionären Komitees im Auslande und mit Agenten des Dreiverbandes in Verbindung standen, (wie es bei den in das Komplott der türkischen Opposition verwickelten vier Hintschakisten der Fall war), in allen Formen des Rechtes vor sich gingen. Es wird mitgeteilt, daß „gewisse Armenier von ihren Wohnorten weggeschafft werden mußten, weil sie im Kriegsgebiet wohnten und ihre Anwesenheit daselbst der Regierung in Anbetracht der vorgefallenen Ereignisse eine gewisse Unruhe im Hinblick auf die nationale Verteidigung einflößte“. Sicherlich ist niemand auf den Gedanken gekommen, daß mit dem Ausdruck „gewisse Armenier“ das ganze armenische Volk der Türkei gemeint sei, und daß das „Kriegsgebiet“, aus dem die Armenier weggeschafft werden mußten, ganz Kleinasien, Armenien, Cilicien, Nordsyrien und Mesopotamien umfaßte. Aber es wird ausdrücklich betont, daß alle diese Maßregeln „ohne die geringste Beteiligung irgendwelcher Elemente der Bevölkerung“ durchgeführt worden seien, und daß die Aufstandsbewegung der Armenier, für deren Existenz das Communiqué selbst nur das eine Beispiel der Tätigkeit von Pasdermadschian und den Fall von Zeitun bringt, „unterdrückt wurde, ohne daß Massenmorde stattgefunden hätten“. Obwohl die allgemeine Deportation des armenischen Volkes bereits beschlossen war, wird ausdrücklich versichert: „Diese Maßregeln stellen keineswegs eine gegen die Armenier gerichtete Bewegung dar, was schon daraus hervorgeht, daß von den 77 835 Armeniern Konstantinopels nur 235 der Mitschuld an der aufständischen Bewegung bezichtigt und verhaftet worden sind, während die anderen in Ruhe ihren Geschäften nachgehen und sich der größten Sicherheit erfreuen“.

Die genannten Zahlen sind interessant. 235 Konstantinopeler Intellektuelle waren bereits in der Nacht vom 24. auf den 25. April verhaftet worden. Die 300 bis 400, die ihnen folgten, werden nicht erwähnt. Auch ist es unrichtig, daß die Konstantinopeler Intellektuellen „der Mitschuld an einer aufständischen Bewegung bezichtigt worden seien“. Unter vier Augen gestand man, „daß man keinen bestimmten Verdacht habe, und daß es sich nur um eine Vorsichtsmaßregel handle“.14) Auch nachträglich wurden keine Beweise revolutionärer Absichten oder Handlungen beigebracht. Die Zahl der Armenier in Konstantinopel wird gewöhnlich auf ca. 150 000 Gregorianer, 10 000 Katholiken und 1000 Protestanten angegeben. Dies entspricht einer älteren Statistik des armenischen Patriarchates. Neuerdings wurde die Zahl der Armenier von Konstantinopel auf mindestens 180 000 eingeschätzt. Die Zahl von 77 835 scheint also bereits mit einem Abgang von 100 000 Armenier gerechnet zu haben. Sollte damit vorweggenommen werden, daß nach der Durchführung der Maßregeln nur noch so viel Armenier in Konstantinopel übrig bleiben würden? Oder handelt es sich nur um ein in der türkischen Statistik übliches Verfahren, die Zahl der den christlichen Nationalitäten angehörigen Untertanen etwa um die Hälfte zu reduzieren und die muhammedanische Bevölkerung dementsprechend zu erhöhen?

Die übrigen Ausführungen des Communiqués, die gegenüber den unmenschlichen Grausamkeiten, die sich seinerzeit Engländer, Franzosen und Russen in Ägypten, Indien, Marokko und im Kaukasus hätten zuschulden kommen lassen, die Humanität der Türkei ins hellste Licht rücken, können wir auf sich beruhen lassen. Uns interessiert daran nur, daß die türkische Regierung versichert, daß sie „die Abwehrmaßregeln, zu denen sie sich genötigt sah, mit der größten Mäßigung und Gerechtigkeit angewandt“ habe.

Das zweite türkische Communiqué
W.T.B. Konstantinopel, den 17. Juni 1915

enthält eine Bekanntmachung des Platzkommandos von Konstantinopel, die in den Konstantinopeler Blättern veröffentlicht wurde. Die Bekanntmachung betrifft die Hinrichtung der 21 Hintschakisten auf dem Platz vor dem Kriegsministerium. Vier von diesen Hintschakisten waren in das Komplott der türkischen Opposition, dessen Geschichte wir dargestellt haben, verwickelt. Die übrigen wurden als Hintschakisten mitgehenkt. Das türkische Komplott geht auf zwei Jahre zurück, war vor dem Beginn des europäischen Krieges bereits aufgedeckt worden und die vier Hintschakisten saßen bereits vor Kriegsbeginn im Gefängnis (Vergl. Seite 165 ff.) Mit dem armenischen Volke und den Kriegsereignissen hat das Komplott nichts zu tun. Vor dem Kriege war auch die Partei der Hintschakisten in der Türkei geduldet. Nach dem Kriegsausbruch genügte der Nachweis der Parteizugehörigkeit, um ein Todesurteil zu begründen.

Das dritte türkische Communiqué
W.T.B. Konstantinopel, den 29. Juni 1915
berichtet zuerst von einem Vorstoß gegen die kaukasische Front und von einer Vorwärtsbewegung der türkischen Truppen „in der Gegend von Wan“. Daß der östliche Zipfel des Wilajets Erzerum und der größere Teil des Wilajets Wan, das Gebiet nördlich, östlich und südöstlich des Wansees zu der Zeit in den Händen der Russen war, konnte man aus den türkischen Kriegsberichten nicht ersehen. In dem zweiten Abschnitt des Communiqués werden Russen und Armenier einer abscheulichen Schandtat gegen Frauen, die vergewaltigt und ermordet worden seien, beschuldigt. Die Schandtat wird folgendermaßen dargestellt:
„Vor kurzem griffen russische Abteilungen und armenische Banden im Dorfe Assulat, Bezirk Nevruz, eine größere Zahl Auswanderer an, töteten alle Männer und sperrten dann etwa 600 Frauen und Kinder in ein großes Haus ein; von diesen haben die russischen Offiziere zuerst, was sie zur Befriedigung ihrer Gelüste gut fanden, ausgesucht und den Rest von armenischen Banden durch Bajonettstiche ermorden lassen.“

Der Bezirk Nevruz (soll heißen Norduz) ist eine kurdische Kasa (Kreis) südöstlich des Wansees. Die „Auswanderer“ (Muhadjirs) waren Kurden, die vor den russischen Truppen, die in das obere Zabtal eingedrungen waren, mit der auf dem Rückzug befindlichen türkischen Armee von Chalil Bey geflüchtet waren. Ein Haus, das 600 Menschen fassen kann, gibt es in kurdischen Dörfern nicht. Die Vermutung liegt nahe, daß die Zahl 600 eine Null zu viel hat. In jedem Falle handelt es sich, wenn die Sache richtig ist, um eine Schandtat russischer Offiziere und, soweit Armenier in Betracht kommen, um russische Armenier und um die Ausführung eines Befehles russischer Offiziere. Die türkischen Armenier haben mit dieser Sache nichts zu tun. An diesen Bericht schließen sich die folgenden beiden Sätze an:

„Von 180 000 Muselmanen, die das Wilajet Wan bewohnen, haben sich kaum 30 000 retten können. Der Rest blieb den Mordtaten der Russen und Armenier ausgesetzt, ohne daß man bis jetzt über deren Schicksal etwas erfahren konnte.“

Dieser Passus ist, obwohl er in der deutschen Presse richtig abgedruckt worden ist, zu einer groben Fälschung benutzt worden. Der letzte Passus wurde dahin abgeändert, es seien 150 000 Muselmanen von Russen und Armeniern ermordet worden.15) In der deutschen Presse verschwinden später auch die Russen. In einem weit verbreiteten Artikel (von einem Berliner Dr.-a-Mitarbeiter), der u. a. im Neuen Stuttgarter Tageblatt und im Neuen Leipziger Tageblatt abgedruckt war, ist zu lesen: „Erwiesenermaßen(!) sind 150 000 Muhammedaner den Armeniern zum Opfer gefallen.“

Nun lese man noch einmal die vorsichtig gehaltene türkische Mitteilung. Sie beruht auf einem statistischen Rechenexempel: Das Wilajet Wan zählt 180 000 Muselmanen unter seinen Bewohnern. (ca. 30 000 Türken, der Rest Kurden.) 30 000 von diesen waren aus dem Wilajet Wan geflüchtet. Wie aus dem dritten Absatz des Communiqués hervorgeht, standen damals die Russen „östlich Achlat“, also schon jenseits der Westgrenze des Wilajets Wan am Westufer des Wansees. 30 000 Türken hatten sich aus den nördlichen und nordöstlichen von den Russen besetzten Gebieten geflüchtet; 150 000 Kurden befanden sich in den südlichen und südöstlichen Gebieten, die auf der einen Seite bis zum Tigris, auf der anderen über das obere Zab-Tal in das Gebiet der Hakkiari-Kurden hinübergreifen. Es sind die Gebiete der fast unabhängigen Kurdenstämme, die von den Russen nur an ihrer nördlichen Grenze berührt worden waren. Natürlich konnte man von dem Schicksal dieser abgelegenen Gebiete und von den „150 000 Muselmanen“, die sie bewohnen, im türkischen Hauptquartier „nichts erfahren“. Armenier und Russen wußten ebensowenig von ihnen. Auch hatten die Russen gar kein Interesse, diese Gebiete zu besetzen, da die Scheichs dieser Kurdenstämme sich um die Türkei herzlich wenig kümmern. Bekannte kurdische Scheichs hatten bereits vor dem Kriege mit den Russen konspiriert und waren in Tiflis und Petersburg liebenswürdig empfangen worden.16)


Das vierte türkische Communiqué
W.T.B. Nicht amtlich. Konstantinopel, den 12. Juli 1915

wendet sich gegen einen Artikel der „Gazette de Lausanne“ vom 19. Juni, in dem behauptet war, „die osmanische Regierung leihe den gegen die in der Türkei lebenden Armeniern begangenen Ausschreitungen ihren Schutz und die Ausschreitungen beständen häufig in Metzeleien“. Derselbe Artikel stellt die Teilnahme von 50 000 Armeniern am Kriege fest, darunter 10 000 Freiwillige, die auf russischer Seite ständen und ihr Blut für die Sache der Alliierten opferten. Die türkische Telegraphenagentur Agence Milli erklärt dazu:

„Wir halten es für unnütz, solche Sinnlosigkeiten zu dementieren, wir fragen indessen, wie die feindlichen Zeitungen die Handlungsweise ihrer Landsleute bezeichnen würden, die sich gegen ihr Vaterland erheben, zum Feinde übergehen und ihre im Heere des Vaterlandes verbliebenen Brüder bekämpfen. Das ist der Fall bei diesen Armeniern, die als Helden und Märtyrer gefeiert werden, während sie selber Ursache und Mittel grausamer Verbrechen sind, die von ihnen und ihren Religionsgenossen an der muselmanischen Bevölkerung unserer östlichen Provinzen begangen werden. Die osmanische Regierung geht mit großer Umsicht vor, um jeden Schuldigen nach dem Gesetz zu bestrafen, und erstreckt ihren wohlwollenden Schutz auf alle ehrlichen und friedlichen in der Türkei lebenden Christen, von denen eine große Anzahl in den Reihen der türkischen Armee kämpft. Wir stellen mit tiefer Verachtung fest, daß unseren zynischen Feinden alle Waffen recht sind. Sie besitzen die Niedrigkeit, uns unter Umkehrung der Wahrheit Untaten zuzuschreiben, welche die Russen im Kaukasus und in Persien täglich begehen.“

Daß es sich hierbei um russische Armenier handelt, wird verschwiegen. Was würde man dazu sagen, wenn wir Deutsche uns in derselben Weise darüber aufregen wollten, daß Hunderttausende von Polen in der russischen Armee kämpfen? Entweder weiß der türkische Schreiber der obigen Auslassung nichts davon, daß 1½ Millionen Armenier russische Untertanen sind, oder er spekuliert auf die Unwissenheit des Publikums in Fragen der Ethnographie. Hätte er hinzugefügt, daß es sich um russische Armenier handelt, dann hätte er sein Pathos sparen müssen. Von Untaten der Russen im Kaukasus und in Persien ist nichts bekannt. Dagegen haben türkische Banden im Verein mit russischen Adjaren (muhammedanischen Grusiniern) auf russischem Gebiet in dem Gebiet von Artwin und Ardanusch Massakers veranstaltet. (S. 77.)


Das fünfte türkische Communiqué
W.T.B. Konstantinopel, den 16. Juli 1915

bedient sich desselben Kunstgriffs, indem es darauf hinweist, daß die Armenier fortfahren, „auf russischer Seite gegen die Türkei zu kämpfen“. Sodann wird von dem Vorhandensein „eines seit lange vorbereiteten und beschlossenen Planes“ geredet, den „die Armenier pünktlich auszuführen fortfahren“. Ein Beweis dafür wird aber nicht erbracht, abgesehen von dem Fall Schabin-Karahissar, bei dem es sich um Widerstand gegen ein drohendes Massaker handelte. (Vergl. Seite 63.) Hierüber sagt das Communiqué:

„Am 2. Juni a. St. (12. Juni n. St.) überfielen 500 bewaffnete Armenier, welchen sich Fahnenflüchtige desselben Stammes angeschlossen hatten, die Stadt Schabin-Karahissar und griffen die muselmanischen Viertel an, wo sie sämtliche Häuser ausplünderten. Sie verbarrikadierten sich dann in der Zitadelle der Stadt und beantworteten die väterlichen und versöhnlichen Ratschläge der örtlichen Behörden mit Gewehrfeuer und Bomben, wodurch 150 Zivil- und Militärpersonen getötet wurden. Der letzte Vorschlag der Regierung, der auf die Unterwerfung ohne Blutvergießen abzielte, ist erfolglos geblieben. Unter diesen Umständen sahen sich die Behörden gezwungen, die Geschütze gegen die Zitadelle zu wenden, und dank dieser Zwangsmaßnahmen ist es gelungen, dieser Rebellen am 20. Juni Herr zu werden.
Ähnliche revolutionäre Bewegungen, die hier und da ausbrechen, zwingen uns, an unseren verschiedenen Grenzen unseren Armeen Kräfte zu entnehmen, um sie zu unterdrücken. Um diese Unannehmlichkeit zu vermeiden und die Wiederholung von Ereignissen zu verhindern, bei welchen neben den Schuldigen auch die unschuldige und friedliche Bevölkerung bedauernswerten Schaden erleidet, mußte die Kaiserliche Regierung gegen die revolutionären Armenier gewisse vorbeugende und einschränkende Maßnahmen treffen.
Infolge der Ausführung dieser Maßnahmen sind diese Armenier aus den Grenzzonen und den Gebieten, wo Etappenlinien eingerichtet sind, entfernt worden. Somit sind sie dem mehr oder weniger wirksamen Einfluß der Russen entzogen und sind dadurch außerstand gesetzt, den höheren Interessen der Landesverteidigung zu schaden und die innere Sicherheit zu gefährden.“

Hier wird zum ersten Male die Deportation, die bereits im größten Stile über das ganze armenische Volk der Türkei verhängt war, angedeutet. Sie wird allerdings als auf die „Grenzzonen“ und „die Gebiete, wo Etappenlinien eingerichtet sind“, beschränkt bezeichnet. Danach müßte die ganze Türkei, abgesehen von den arabischen Wüsten, aus Grenzzonen und Etappenlinien bestehen. Seltsam klingt die Besorgtheit um „die unschuldige und friedliche Bevölkerung, welche neben den Schuldigen bedauernswerten Schaden erleidet“.

Diese „unschuldige und friedliche Bevölkerung“ war inzwischen durch die Anordnung der Behörden ihrer gesamten Habe beraubt worden. Die Männer waren erschlagen, die unschuldigen Kinder und friedlichen Frauen befanden sich auf dem Wege in die arabische Wüste.

Über die Verteidigung der armenischen Viertel in Wan durch die dortigen Armenier und über die Entsetzung von Wan durch die russischen Truppen hat die türkische Regierung offiziell geschwiegen.

Ergebnis.

Stellen wir die nackten Tatsachen fest, die in den 5 Communiqués der türkischen Regierung mit Anführung von Personen und Ortsnamen als Beweise für eine revolutionäre Erhebung des armenischen Volkes aufgeführt werden. Es sind die Folgenden:

1. Garo Pasdermadschian, der in Tiflis zu Haus ist, begibt sich Ende August 1914, also vor dem Kriege, von Erzerum nach dem Kaukasus und schließt sich bei Ausbruch des Krieges, angeblich einem armenischen Freikorps an. Das übrige, was ihm zugeschrieben wird, geht die russische Kriegführung an.
2. Zwei Armenier, Toros Oglu und Agob, bringen in Cilicien Züge zur Entgleisung.
3. Kommandanten englischer und französischer Schiffe setzen sich mit Armeniern der Küstenorte in Verbindung.
4. Armenier von Zeitun haben den Behörden Widerstand geleistet.
5. Die Führer der türkischen Oppositionspartei zettelten ein Komplott an, in das vier Hintschakisten verwickelt waren. (Das Komplott wurde vor dem Kriege aufgedeckt.)
6. Armenier von Wan, Schattach, Hawasur, Kewach und Timar um die Südostecke des Wansees herum „erheben sich mit der Waffe in der Hand“.
7. 500 Armenier von Schabin-Karahissar besetzen den Burgfelsen.

Dies sind die Tatsachen der Communiqués.17) Für die Beschuldigung einer geplanten armenischen Revolution reichen diese Beweise nicht aus. Die Tatsachen, soweit sie nicht zur Kategorie der zwischen kriegführenden Mächten üblichen Spionageakte gehören, haben wir bereits in unserer Darstellung der Geschichte der Deportation klargestellt, so besonders die Vorgänge in Zeitun (Seite 4 ff.), Schabin-Karahissar (Seite 63) und im Wangebiet (Seite 81 ff.).

Durch unsre obige Darstellung haben wir festgestellt, daß weder das Patriarchat noch die Daschnakzutiun sich irgendwelcher vaterlandsfeindlicher Akte schuldig gemacht haben, noch auch daran gedacht haben, solche vorzubereiten. Im Gegenteil kann bewiesen werden, daß beide Organisationen ihr Äußerstes getan haben, um jede Handlung, die von der Regierung mißdeutet werden konnte, zu vermeiden, und mit aller Gewissenhaftigkeit ihre nationalen Pflichten erfüllt haben. Die Daschnakzagan insbesondere, als langjährige politische Freunde und Gesinnungsgenossen der Führer des Komitees für Einheit und Fortschritt, waren aufs Äußerste betroffen und überrascht, daß ihre bis zuletzt festgehaltene loyale Gesinnung und Kameradschaftlichkeit von ihren politischen und persönlichen Freunden mit schnödem Undank belohnt wurde, und daß ihr Leben von eben den Männern, denen sie während der Reaktion das Leben gerettet hatten, jetzt bedroht wurde. Die Beteiligung von vier auswärtigen Hintschakisten an dem Komplott, das von den Führern der türkischen Opposition angezettelt war, hatte ebenfalls nichts mit dem armenischen Volke oder einer angeblichen Erhebung desselben zu tun, ganz abgesehen davon, daß dieses Komplott in die Zeit vor dem Kriege fällt und bereits im Mai 1914 aufgedeckt war. Die Versuche, dieses türkische Komplott als Beweisstück für eine geplante armenische Revolution zu verwerten, beweisen nur, daß andere Beweisstücke nicht vorhanden waren.

Da die großen politischen und kirchlichen Organisationen des armenischen Volkes sich völlig loyal verhielten, ja in ihrer Loyalität bitter enttäuscht worden sind, und sonstige Organisationen, die in der Lage gewesen wären, das armenische Volk zu revolutionieren weder vorhanden waren, noch auch von türkischer Seite namhaft gemacht worden sind, müssen tiefer liegende Gründe ausfindig gemacht werden, die imstande sind, den ganzen Verlauf der Ereignisse zu erklären.


7. Das panislamische Programm.


Wir haben bereits darauf aufmerksam gemacht, daß strategische Gründe, die für die Deportation geltend gemacht wurden, in kaum nennenswertem Maße anerkannt werden können. Abgesehen vom Wangebiet, das ja gerade von einer Deportation verschont blieb, weil es von den Russen besetzt wurde, liegen die zwei oder drei Plätze, wo die Armenier Widerstand leisteten, wie in Zeitun und Schabin-Karahissar so sehr abseits von den Kriegsgebieten, daß die Deportation einer Bevölkerung von anderthalb Millionen, die sich über alle Teile des Reiches, auch die dem Kriegsschauplatz entlegensten, erstreckte, nun und nimmermehr durch militärische Interessen gerechtfertigt werden kann.

Die einzige Erklärung, welche die Maßregel der Behörden nicht als eine sinnlose Handlung erscheinen läßt, bietet die Annahme, daß es sich um die Durchführung eines innerpolitischen Programms handelte, das sich mit kalter Überlegung und Berechnung die Vernichtung des armenischen Volkselementes zur Aufgabe machte. Sehen wir zu, ob sich hierfür in den vom jungtürkischen Komitee und ihren Führern aufgestellten politischen Richtlinien ausreichende Grundlagen finden und ob insbesondere für die Maßregeln gegen die Armenier Anhaltspunkte, die in dieselbe Richtung weisen, vorhanden sind.

Als im Juli 1908 in Saloniki die Verfassung ausgerufen war, glaubte alle Welt, daß nun auch der Türkei endlich eine Regierung beschieden sei, die die Grundsätze bürgerlicher Freiheit und Gleichheit vor dem Gesetze der aus tausend Wunden blutenden Bevölkerung des türkischen Reiches zugute kommen lassen würde. Es ist nicht zu bezweifeln, daß das Komitee für Einheit und Fortschritt, das damals die politische Macht in Händen hatte, die Absicht gehabt hat, sich von den Grundsätzen europäischer Zivilisation und staatlicher Gerechtigkeit in der Reorganisation des Reiches leiten zu lassen. Ein Freiheitsrausch ergriff alle Teile der Bevölkerung, als die Jungtürken die Verfassung proklamierten. Aber schon die Reaktion vom April 1909, die mit einem Schlage die führenden Männer aus den leitenden Stellungen verdrängte und der ganzen Konstitution den Garaus zu machen schien, führte den Beweis, daß einflußreiche Elemente noch zum alten Regime hielten oder mindestens der Einführung europäischer Grundsätze in das türkische Verfassungsleben widerstrebten. Außer den Kreaturen des Hamidischen Regiments waren es vor allem die geistlichen Führer des Volkes, die Ulemas, Chodschas und Softas, welche das unwissende Volk gegen die europäischen Neuerungen aufzureizen versuchten.

Als durch den Marsch der mazedonischen Truppen gegen Konstantinopel die Jungtürken sich wieder der Herrschaft bemächtigt und Sultan Abdul Hamid abgesetzt hatten, lenkte das Komitee für Einheit und Fortschritt mehr und mehr wieder in die Bahnen der Politik Abdul Hamids ein. Zunächst wurde eine rigorose Parteiherrschaft durchgesetzt. Eine Nebenregierung bekam den offiziellen Verwaltungsapparat in die Hand, und die Wahlen büßten den Charakter der Freiwilligkeit ein. Die Berufung der höchsten Beamten des Reiches und aller wichtigsten Verwaltungsstellen wurde durch Beschlüsse des Komitees geregelt. Alle Gesetzesanträge wurden vom Komitee durchberaten und genehmigt, ehe sie vor die Kammer kamen. Das Regierungsprogramm wurde durch zwei leitende Gesichtspunkte bestimmt. 1. Der zentralistische Gedanke, der der türkischen Rasse nicht nur die Vorherrschaft, sondern die Alleinherrschaft im Reiche zuerkannte, sollte mit allen Konsequenzen durchgeführt werden. 2. Das Reich sollte auf rein islamischer Grundlage aufgebaut werden. Der türkische Nationalismus und die panislamische Idee schlossen von vornherein jede Gleichberechtigung der verschiedenen Nationalitäten und Religionen des Reiches aus und jede Bewegung, die das Heil des Reiches in der Dezentralisation oder Selbstverwaltung der verschiedenen Reichsteile erblickte, wurde als Landesverrat gebrandmarkt. Die nationalistische und zentralistische Tendenz richtete sich nicht nur gegen die verschiedenen nicht–muhammedanischen Nationalitäten, Griechen, Armenier, Syrer und Juden (ehe der Balkan abgetrennt war, auch Bulgaren, Serben und Kutzowalachen), sondern auch gegen die nicht–türkischen Nationen, Araber, muhammedanische Syrer, Kurden und die schiitischen Volkselemente (vor dem Balkankriege auch gegen die Albanesen). Ein Pan-Turkismus wurde als Idol aufgerichtet, und gegen alle nicht-türkischen Volkselemente wurden die schroffsten Maßnahmen ergriffen. Das durch diese Politik vorgezeichnete rigorose Vorgehen gegen die Albanesen, die ja zum größten Teil Muhammedaner und bis dahin durchaus reichstreu waren, hat den Verlust fast der ganzen europäischen Türkei zur Folge gehabt. Ebenso hat es Aufstandsbewegungen in der arabischen Reichshälfte hervorgerufen, die durch verschiedene Feldzüge nicht unterdrückt worden sind. Der Konflikt mit dem arabischen Element besteht heute noch, trotzdem er durch den „heiligen Krieg“ bis zu einem gewissen Grade zurückgedrängt wurde. Die halbunabhängigen Kurdenstämme führten ihre Sonderpolitik und konspirierten teilweise mit Rußland. Das Reich kam aus den inneren Kriegen nicht heraus, und die Folge der kurzsichtigen Politik war der Verlust der afrikanischen und der europäischen Besitzungen bis auf den Rest von Thrazien, der während des zweiten Balkankrieges mit Adrianopel noch zuguterletzt zurückgewonnen wurde.

Es scheint nicht, daß die führenden Männer des Komitees für Einheit und Fortschritt aus den üblen Erfahrungen, die sie mit ihrer nationalistischen und panislamischen Politik gemacht hatten, gelernt haben. Im Gegenteil, man versteifte sich je mehr und mehr auf die chauvinistischen und intoleranten Prinzipien, die man sich zur Richtschnur gemacht hatte.

Noch im Herbst 1911, als bereits Tripolis verloren war und die Aufstände im Yemen jeder Waffengewalt siegreichen Widerstand geleistet hatten, bekannte sich der Parteitag des Komitees für Einheit und Fortschritt, der Anfang Oktober in Saloniki tagte, zu den gleichen radikal zentralistischen und panislamischen Grundsätzen.

Das Komitee für Einheit und Fortschritt, das das Reich regiert, bestand statutengemäß nur aus Türken. Die Wahl auch nur eines einzigen Arabers in das Komitee wurde abgelehnt. Die Grundsätze, die damals in bezug auf die Behandlung der christlichen Nationalitäten des Balkans, der ja noch unter türkischer Herrschaft stand, aufgestellt wurden, sind zwar heute nach dem Verlust der europäischen Reichsteile gegenstandslos geworden, aber es verlohnt der Mühe, sich dieselben noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, weil sie für die christlichen Nationen der asiatischen Türkei in Geltung geblieben und genau so, wie es für den Balkan beabsichtigt war, während des jetzigen Krieges durchgeführt worden sind.

Im Oktober 1911 war auf dem jungtürkischen Kongreß in Saloniki das Folgende beschlossen worden:

Die Entwaffnung der Christen in Mazedonien solle durchgeführt werden. Die Muhammedaner sollten im allgemeinen ihre Waffen behalten; wo sie in der Minorität seien, sollten Waffen unter sie von den Behörden verteilt werden. Verdächtige Personen müßten verschickt und der Gendarmerie und den Truppen freie Hand gegeben werden. Die Militärgerichtshöfe müßten in beständiger
Verbindung mit dem Komitee bleiben und in der Bestrafung der Schuldigen müsse rigoroser vorgegangen werden, damit die Delinquenten nicht entwischten. An den griechischen und bulgarischen Grenzen müsse die Ansiedlung von 20 000 Muhammedanern durchgeführt werden, wofür 220 000 türkische Pfund ausgeworfen wurden. Die Einwanderung aus dem Kaukasus und Turkestan solle befördert, Land für die Einwanderer vorgesehen und die Christen verhindert werden, Eigentum zu erwerben. Da der bulgarische Boykott fehlgeschlagen sei, müsse man an seiner Stelle mit der Austreibung von Lehrern, Priestern und Agenten vorgehen. Der griechische Boykott müsse, da ein Krieg mit Griechenland nicht riskiert werden könne, bis die Flotte verstärkt sei, weiter geführt und vom Komitee kontrolliert werden. Die Bildung neuer Parteien in der Kammer und im Lande müsse unterdrückt und das Aufkommen neuer „liberaler Ideen“ verhindert werden. Die Türkei müsse ein wesentlich muhammedanisches Land sein, und moslimische Ideen und moslimischer Einfluß müßten das Übergewicht haben. Jede andere religiöse Propaganda müsse unterdrückt werden. Die Existenz des Reiches hänge von der Stärke der jungtürkischen Partei und von der Unterdrückung aller antagonistischen Ideen ab.

In dem Bericht über die Arbeit des Komitees wurde mit Genugtuung festgestellt, daß es dem Komitee gelungen sei, nahezu alle wichtigen Stellen im Reich mit seinen Anhängern zu besetzen. Alle noch verbleibenden Ausnahmen müßten geregelt, alle wichtigen Stellen ausschließlich von Muhammedanern besetzt werden und nur die unbedeutendsten Funktionen dürften von Personen anderen Glaubens ausgeübt werden.

Früher oder später müßte die vollkommene Ottomanisierung aller türkischen Untertanen durchgeführt werden, aber es sei klar, daß dies niemals durch Überredung erreicht werden könne, sondern man müsse zur
Waffengewalt Zuflucht nehmen. Der Charakter des Reiches habe muhammedanisch zu sein und muhammedanischen Einrichtungen und Überlieferungen müsse Respekt verschafft werden. Anderen Nationalitäten müsse das Recht der Organisation vorenthalten werden, denn Dezentralisation und Selbstverwaltung seien Verrat am Türkischen Reich. Die Nationalitäten seien eine quantité négligeable. Sie könnten ihre Religion behalten, aber nicht ihre Sprache. Die Ausbreitung der türkischen Sprache sei eins der Hauptmittel, um die muhammedanische Vorherrschaft zu sichern und die übrigen Elemente zu assimilieren.

So sah das Programm des Komitees für Einheit und Fortschritt schon im Herbst 1911 aus. Man wird finden, daß die darin ausgesprochenen Grundsätze in jeder Beziehung dem Vorgehen gegen die Armenier zugrunde liegen.18) Bekanntlich wurde die Herrschaft des Komitees im Juli 1912 gestürzt. Vier Jahre lang hatten sich die aufeinanderfolgenden Kabinette von Kiamil-Pascha, Hilmi-Pascha, Hakki-Pascha und Said-Pascha auf die unbestrittene Majorität der jungtürkischen Partei in der Kammer gestützt. Aber bereits im April 1911 war eine Spaltung im Komitee eingetreten und eine allmählich erstarkte konservative Gruppe hatte die Majorität erlangt. Die Krisis war dadurch gelöst worden, daß Talaat Bey und Dschavid Bey aus dem Ministerium ausschieden.

Aber nach den Wahlen kehrten die jungtürkischen Führer in das Kabinett zurück und schienen fester denn je im Sattel zu sitzen. Erst infolge der unglücklichen Operationen gegen die Albanier, die man durch militärische Strafexpeditionen zum Abfall gereizt hatte, bildete sich in dem mazedonischen Offizierkorps eine Opposition gegen die jungtürkische Herrschaft, die durch den Geheimbund der Militärliga die politische Macht an sich riß. Am 16. Juli demissionierte das jungtürkische Kabinett des greisen Said-Pascha und am 5. August wurde die jungtürkische Kammer von dem neuen Ministerium der „großen Männer“, mit Gahzi Achmed Muktar Pascha als Großwezir, nach Hause geschickt. Der unglückliche Balkankrieg führte kurz vor seinem Ausgange die Jungtürken, die inzwischen die konservativen Elemente aus dem Komitee ausgeschieden hatten, zur Herrschaft zurück. Die Wiedergewinnung von Adrianopel gab ihnen ein gewisses Prestige und das Komplott der liberalen Opposition, dem am 11. Juli 1913 der Kriegsminister Machmud Schewket Pascha zum Opfer fiel, wurde mit der rücksichtslosen Verfolgung aller Elemente, die sich der Parteiherrschaft des Komitees widersetzten, beantwortet.

Die Folge der Kämpfe innerhalb des Komitees war eine Verschärfung der zentralistischen und panislamischen Grundsätze.

Der europäische Krieg brach aus, und die Frage der Teilnahme der Türkei am Kriege rief neue Gegensätze innerhalb des Komitees hervor. Die Jungtürken waren von Hause aus ententefreundlich. Das konstitutionelle Programm war in Paris geboren und in London getauft worden. Die Grundsätze der französischen Revolution und das Vorbild des englischen Parlamentarismus beherrschten die Köpfe der jungtürkischen Revolutionäre. In den ersten Wochen der Verfassung wurde kein Buch in den Buchläden von Konstantinopel so häufig begehrt, als Thiers’ Geschichte der französischen Revolution. Es dauerte geraume Zeit, bis der deutsche Einfluß sich in Konstantinopel wieder gegen den englischen und französischen behaupten konnte. Erst das Interesse an der Reorganisation des türkischen Militärs und der Wunsch, sich nach allen Seiten die Unabhängigkeit zu wahren, ließ den deutschen Einfluß wieder erstarken. Aber noch im Herbst 1911 wurde vom jungtürkischen Kongreß in Saloniki die Stellung zu den Mächten folgendermaßen präzisiert:

Mit Bezug auf die Großmächte muß sich die Türkei reserviert halten und darf, bis sie militärisch erstarkt ist, kein Bündnis abschließen, weil sonst ihre Unabhängigkeit
gefährdet würde. Die Türkei sei dazu bestimmt, auf beiden Kontinenten eine große Rolle zu spielen, wenn es den Muhammedanern gelänge, das fremde Joch abzuschütteln. Ebendies werde von Großbritannien, Rußland und Frankreich befürchtet. Zu großes Vertrauen dürfe man auch auf die Mächte des Dreibundes nicht setzen, doch sollte die Türkei freundliche Beziehungen mit ihnen unterhalten, jedenfalls aber ihre Neutralität wahren und von einem förmlichen Bündnis absehen. Zugleich müsse man den Versuch machen, die Sympathien der Ententemächte wiederzugewinnen.

Die auswärtige Politik war also genau wie die Abdul Hamids auf die Bilanzierung der Mächte eingestellt. Gleichwohl gelang es Enver Pascha, den inzwischen allmächtig gewordenen Minister des Innern Talaat Bey und den Kammerpräsidenten Halil Bey für den Eintritt in den Weltkrieg an der Seite Deutschlands zu gewinnen, trotzdem einflußreiche Mitglieder des Komitees wie Djemal Bey, Djavid Bey und der Scheich ül Islam dagegen waren. Die türkische Gesellschaft von Konstantinopel, deren Sympathien Frankreich gehörten, war ebenso, wie die Masse des Volkes, mit dem Eintritt in den Krieg unzufrieden, aber die panislamische Propaganda und die Militärdiktatur sorgten dafür, daß der Widerspruch verstummte. Die Proklamation des „heiligen Krieges“ brachte eine allgemeine Aufstachelung der muhammedanischen gegen die christlichen Elemente des Reiches mit sich, und die christlichen Nationalitäten hatten bald zu der Befürchtung Grund, daß sich der türkische Chauvinismus auch des muhammedanischen Fanatismus bedienen würde, um den Krieg bei der Masse des muhammedanischen Volkes beliebt zu machen.

Die Verschärfung des jungtürkischen Programms kam besonders darin zum Ausdruck, daß der Nachdruck weniger auf die Reorganisation des Reiches als auf die restlose Durchsetzung der Souveränität der Türkei in allen Fragen der inneren Politik gelegt wurde. Die Abschaffung der Kapitulationen, die zu Beginn des Krieges beschlossen wurde, ohne daß man zuvor die Zustimmung der Mächte einholte, eine Maßregel, die u. a. auch die Aufhebung der fremden Posten mit sich führte, wurde das sichtbare Symbol für die politischen Aspirationen der Türkei. Schon im Herbst 1911 wurde auf dem jungtürkischen Kongreß betont, „die Abschaffung der Kapitulationen sei wichtiger als die Reorganisation des Justizwesens“.

In dem zentralistischen und nationalistischen Programm des jungtürkischen Komitees waren alle auf Dezentralisation und Selbstverwaltung gerichteten Bestrebungen, wie sie auch von der türkischen liberalen Opposition vertreten wurden, mit dem Stempel des „Landesverrats“ versehen worden. Gleichwohl hatte noch im Jahre 1913 die jungtürkische Regierung gute Miene dazu gemacht, als von den Mächten die Frage der armenischen Reformen wieder aufs Tapet gebracht worden war. Die weitgehenden russischen Vorschläge, die die Souveränität der Türkei anzutasten schienen, wurden durch die Mitarbeit der deutschen Politik dahin ermäßigt, daß der endgültige Reformplan, der durch eine Note der Pforte vom 26. Januar (8. Februar) 1914 von der Pforte angenommen wurde, sich durchaus in den Grenzen hielt, die der Achtung vor der Souveränität der Türkei und ihrem eignen vitalen Interesse entsprach. Gleichwohl berührte selbst die maßvolle Mitwirkung der Botschafter der Großmächte an dem armenischen Reformplan – eine Mitwirkung, deren berechtigte internationale Grundlage im § 61 des Berliner Vertrages nicht bestritten werden konnte – die Empfindlichkeit der türkischen Machthaber. Wiederholt wurden die Armenier bedroht, daß sie es zu büßen haben würden, wenn sie irgend die Mitwirkung der Mächte für die Durchsetzung des Reformplanes anzurufen wagten. Schon damals verlautete, daß einflußreiche jungtürkische Führer sich öffentlich dahin geäußert hätten, wenn die Armenier nicht von der Reformfrage die Finger ließen, so hätten sie ein Massaker zu besehen, gegen das die Massakers von Abdul Hamid ein Kinderspiel wären. Was die Armenier wünschten, war ja nichts anderes, als die Grundrechte der Sicherheit von Leben und Eigentum und der Gleichheit vor dem Gesetze, die sich für jeden europäischen Staatsbürger von selbst verstehen, die man ihnen aber, trotz der internationalen Verträge der Großmächte mit der Türkei seit Jahrzehnten vorenthalten hatte. War es ein Wunder, daß sie aufatmeten, als ihnen endlich, dank der Mitwirkung der deutschen Politik, von der Pforte die Zugeständnisse gemacht waren, die für eine friedliche Entwicklung ihres Lebens unerläßlich waren und für eine Abwehr der russischen Einmischungsversuche in die inneren Angelegenheiten der Türkei im eignen Lebensinteresse der Türkei lagen? Und sollten sie auf die Anteilnahme der Mächte an ihrem Schicksal, obwohl sie offiziell weder mitzureden hatten noch gefragt wurden, verzichten, wenn ihnen bekannt war, welche Grundsätze die Jungtürken in ihrem Programm für die Behandlung der christlichen Nationalitäten aufgestellt hatten? Gleichwohl wurde den Armeniern noch nachträglich aus ihrer freudigen Aufnahme des Reformplanes ein Verbrechen gemacht. Die Maßregel der Deportation, mit den dazu gehörigen Massakers ist von jungtürkischen Führern ganz offen damit begründet worden, daß man den Armeniern ein- für allemal den Gedanken an Reformen austreiben wolle.19)

Einen charakteristischen Beleg bietet ein Steckbrief, der gegen den Chef einer vom Katholikos der Armenier eingesetzen Deputation, Boghos Nubar Pascha, nach der Durchführung der Deportation erlassen und am 11. August 1915 im „Hilal“ veröffentlicht worden ist.

Zum Verständnis desselben muß zuvor gesagt werden, daß Boghos Nubar Pascha, ein Sohn des hervorragenden Ministers Nubar Pascha, der unter dem Khedive Ismael die ägyptische Politik leitete, keineswegs türkischer, sondern ägyptischer Untertan ist und in Ägypten als Großgrundbesitzer lebt. Der Katholikos aller Armenier hat seinen Sitz in Etschmiadzin bei Eriwan auf russischem Boden. Natürlich stand es dem Katholikos frei, in einer Frage, die die ganze armenische Nation nicht nur in bürgerlicher, sondern auch in kirchlicher und kultureller Beziehung berührt, eine Delegation zu berufen, an deren Spitze Boghos Nubar Pascha trat, um mit den Kabinetten der Großmächte in bezug auf eine wünschenswerte Lösung der armenischen Reformfrage in Beziehung zu treten. Boghos Nubar Pascha reiste also nach Paris, London, Berlin und Petersburg, um sich über die schwebenden Fragen mit den Kabinetten zu unterhalten. Das Ergebnis der Reformverhandlungen, dessen Zustandekommen wesentlich dem Auswärtigen Amt in Berlin und dem Botschafter Baron von Wangenheim zu danken war, fand den vollen Beifall von Nubar Pascha. So wenig hatte die Pforte damals gegen die Tätigkeit von Nubar Pascha etwas einzuwenden, daß sie ihn sondierte, ob er nicht selbst das Amt eines Generalinspektors für die ostanatolischen Provinzen übernehmen wollte, ja daß ihm der Großvezier Said Halim Pascha einen Ministerposten anbot.

Jetzt nachträglich wurde Exzellenz Boghos Nubar Pascha aus seiner Tätigkeit ein Verbrechen gemacht, und er wurde beschuldigt, „die frühere Lage der Türkei, die sich aus dem Balkankrieg ergeben und die Kaiserliche Regierung in einen Schwächezustand versetzt habe, benutzt zu haben, um sich an die Spitze von armenischen Komitees zu setzen und in der Eigenschaft eines Delegierten der ganzen armenischen Nation in den Hauptstädten der Länder der Tripleentente Schritte unternommen zu haben, die sich gegen die ottomanische Regierung richteten, um ein autonomes Armenien unter fremder Kontrolle zu schaffen“.

Die Beschuldigung ist in doppelter Hinsicht falsch. Nubar Pascha hat sich nicht für einen Delegierten der armenischen Nation, sondern, wie es seiner Berufung entsprach, für den Chef einer vom armenischen Katholikos berufenen Delegation ausgegeben. Auch hat er keineswegs ein autonomes Armenien unter fremder Kontrolle erstrebt – er hat oft genug in öffentlichen Kundgebungen und in der Presse den Gedanken einer Autonomie zuückgewiesen – sondern er hat das Ergebnis der Verhandlungen in der Form, wie es durch die deutsche Diplomatie erzielt wurde, als eine dankenswerte Erfüllung seiner Wünsche begrüßt.

Es ist nun seltsam, daß trotz alledem Boghos Nubar Pascha als ein „flüchtiger Hochverräter“ steckbrieflich verfolgt, vor ein für ihn gar nicht zuständiges Kriegsgericht geladen und im Falle des Nichterscheinens mit der Konfiskation seines (in Ägypten (!) befindlichen) beweglichen und unbeweglichen Vermögens und der Entziehung seiner (ägyptischen) Bürgerrechte, Titel und Dekorationen bedroht wird.

Dies Dokument ist insofern charakteristisch, als es beweist, daß genau wie zur Zeit Abdul Hamids jede Beschäftigung mit der armenischen Reformfrage, die ja auch in ihrer letzten Phase von den Kabinetten und Botschaftern der Großmächte, einschließlich Deutschlands, bei der Pforte in Anregung gebracht worden war, als ein Verbrechen gegen die Souveränität des türkischen Staates aufgefaßt wird und strafbar sein soll. Da nun die ganze armenische Nation an dieser Reformfrage Anteil genommen hat, die ja nichts mehr als Sicherheit des Lebens und Eigentums verbürgen sollte, so kann sie freilich unter solcher Auslegung internationaler Verträge für eine Nation von „Hochverrätern“ ausgegeben werden. Es bedarf nicht erst der Beschuldigung oder Überführung revolutionärer Absichten oder Handlungen. Der Anspruch eines Christen auf Sicherheit des Lebens und Eigentums, auf bürgerliche Gleichberechtigung und die Achtung seiner nationalen Kultur und Sprache, ist schon Hochverrat und muß, wenn die Gelegenheit dazu günstig ist, durch entsprechende Strafen geahndet werden.20)


8. Die Ausführung.


Seit Beginn des europäischen Krieges und im verstärkten Maße seit Ausbruch des russisch-türkischen Krieges hat man sich im jungtürkischen Komitee mit der Frage beschäftigt, wie man die Gelegenheit des Krieges benützen könne, um die Armenier für ihre Reformbestrebungen zu bestrafen und die armenische Frage ein- für allemal aus der Welt zu schaffen. Man kam auf dieselbe Lösung, die ein Minister Abdul Hamids in zynischer Weise definiert hat: „Die armenische Frage schafft man am besten dadurch aus der Welt, daß man die Armenier aus der Welt schafft.“21) Daß man am liebsten mit den Griechen und Syrern in gleicher Weise verfahren wäre, beweist das Vorgehen gegen die griechische Bevölkerung in der Umgegend von Smyrna im Frühjahr 1914 und gegen die syrische Bevölkerung in Nordpersien, in der Umgegend von Urmia, die beim Einbruch der Armee von Halil Bey aus ihren Wohnsitzen vertrieben wurde. Das Gleiche geschah mit den nestorianischen Bergsyrern im oberen Zab-Tal.

Ein türkischer Minister soll während des Krieges geäußert haben: „Am Ende des Krieges wird es keinen Christen mehr in Konstantinopel geben. Es wird so vollständig von Christen gesäubert werden, daß Konstantinopel sein wird wie die Kaaba.“ Man braucht das Wort, selbst wenn es gesprochen wurde, nicht ernst zu nehmen. Die griechische Bevölkerung wird so lange sicher sein, als sich Griechenland nicht der Entente angeschlossen hat. Dagegen hat man ernstlich an eine Austreibung der 160 000 Armenier aus Konstantinopel gedacht. Der Einspruch Deutschlands hat sie verhindert. Ein Sektionschef im Justizministerium sagte zu einem Armenier: „Es ist in diesem Reich kein Raum für uns und euch, und es würde ein unverantwortlicher Leichtsinn sein, wenn wir diese Gelegenheit nicht benützen würden, um mit euch aufzuräumen“. Mitglieder des jungtürkischen Komitees sprachen es offen aus, daß alle „Fremden“ aus der Türkei verschwinden müßten, erst die Armenier, dann die Griechen, dann die Juden und zuletzt die Europäer“. Die Frage, ob ein Armenier schuldig oder unschuldig ist, ob man ihn eines Verbrechens gegen den Staat für verdächtigt hält oder nicht, ob er durch ordentliche Gerichte einer Schuld überführt ist oder nicht, existiert für das Bewußtsein eines Muhammedaners, da es sich um Christen handelt nicht, wenn man ihn aus Gründen der Staatsraison beseitigen will. Andernfalls wäre es nicht möglich, an einer Million von Staatsbürgern einen Massenraub zu begehen, der niemals eine gerichtliche Ahndung finden wird. Das muhammedanische Recht und das Vorbild Muhammeds erlauben solche Dinge. Ein türkischer Minister rühmte sich dessen, daß, was Abdul Hamid in 30 Jahren nicht fertig gebracht habe, er in 3 Wochen zustande bringen würde. Dem Einwande, daß mit den wenigen Schuldigen eine ungeheure Masse Unschuldiger mitbestraft und umgebracht werde, begegnete ein türkischer Offizier mit der Bemerkung: „Dieselbe Frage richtete jemand an unseren Propheten Muhammed – Gottes Friede über Ihm! – und er erwiderte: „Wenn du von einem Floh gebissen wirst, tötest du nicht alle?“

Als die Frage der Unterdrückung der christlichen Nationalitäten einmal im Komitee zur Sprache kam, äußerte ein exaltierter Türke: „Der Fehler ist, daß nicht schon Muhammed der Eroberer, das getan hat, was wir jetzt tun.“ Von einem anderen Komiteemitglied, das etwas mehr geschichtliche Bildung besaß, erhielt er die Antwort: „Dann stünde die Türkei heut noch auf der Kulturstufe von Marokko.“

Bei der Mehrheit des Komitees scheint die Absicht, einen vernichtenden Schlag gegen die Armenier zu führen, schon am Anfang des Krieges bestanden zu haben. Natürlich erhob sich auch Widerspruch gegen eine so radikale Politik, die unbedenklich zu den Methoden Abdul Hamids zurückkehrte und ein Hohn war auf all die schönen Reden von Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichheit, mit denen die Ära der Konstitution eingeleitet worden war. Djemal Bey, der Oberstkommandierende in Syrien, versuchte noch während der Deportation die Bevölkerung von Adana, wo er früher Wali gewesen war, zu retten. Daß verschiedene Walis, Mutessarifs und Kaimakams sich der Maßregel widersetzten, haben wir gesehen. Sobald aber im Zentralkomitee für Einheit und Fortschritt die Entscheidung gefallen war, begann die fieberhafte Tätigkeit der Zweigkomitees, die jeden Widerstand der Regierungsorgane im Innern brach und durch organisierte Banden die allgemeine Deportationsmaßregel in ein allgemeines Massaker verwandelte.

Gewisse psychische Hemmungen mußten auch beim Zentralkomitee und bei der Regierung überwunden werden. Man war sich augenscheinlich dessen bewußt, daß man an den Führern der Daschnakzagan, die gemeinsam mit den Jungtürken den Absolutismus gestürzt und seit Beginn der Konstitution unentwegt zu dem Komitee gehalten hatten, einen schnöden Verrat beging. Verschiedene der jungtürkischen Führer, die (wie der Auswärtige Minister Halil Bey, der während der Reaktion sich zwei Wochen im Haus von Sohrab versteckt gehalten hatte), ihren armenischen Freunden ihr Leben verdankten, mochten Regungen eines gewissen Anstandsgefühls empfinden, das sie abhielt, ihre Lebensretter ans Messer zu liefern. Um derartige psychische Hemmungen zu überwinden, mußte man sich wenigstens einreden, daß möglicherweise die Führer des armenischen Volkes mit dem Gedanken einer nationalen Erhebung umgingen. Der Gedanke konnte ihnen auch dadurch nahegelegt werden, daß sie den Daschnakzagan gegenüber ein schlechtes Gewissen hatten. Schon vor der Begründung der Verfassung und bei jeder Krise seit der Begründung der Verfassung hatten sie den Führern der Daschnakzagan mündlich und schriftlich Versprechungen gemacht, ihre gerechten Wünsche in bezug auf die Neuordnung der Zustände im Innern zu erfüllen, und regelmäßig hatten sie diese Versprechungen, sobald sie wieder obenauf waren, gebrochen und dazu noch die Armenier um die ihnen zukommenden Kammersitze verkürzt. Daß die Daschnakzagan, wie es wirklich der Fall war, ihnen und ihrer politischen Überzeugung trotzdem treu geblieben waren, konnten sich vielleicht die Jungtürken nicht vorstellen und vermuteten, daß sie heimlich auf Vergeltung bedacht wären. Die krampfhaften Bemühungen, nachträglich Schuldbeweise zu finden, und, wenn auch unter der Folter, zu erzwingen, sind ein Ausfluß der moralischen Verlegenheit, in der sich die Regierung gegenüber den Daschnakzagan befand. Um auf die Daschnakzagan den Schein des Vaterlandsverrates zu werfen, bediente sie sich eines merkwürdigen Tricks. Daß jedermann Waffen besitzt, ja, daß die Jungtürken selbst noch in den letzten Jahren, als die Gefahr der Reaktion drohte, ihre politischen Freunde und deren Anhang mit Waffen versorgt hatten, war bekannt. Auch bezweifelte niemand, daß aus der Zeit Abdul Hamids noch Bomben vorhanden waren. Da die Bombe in diesem Kriege zu der Würde einer der ehrenhaftesten Waffen avanciert ist, gab es natürlich in den Regierungsarsenalen eine genügende Anzahl von Bomben, die man als bei Armeniern gefunden ausgeben konnte. So wurden denn im Polizeiblatt von Konstantinopel („Polizei-Revue für die intellektuelle Bildung der Polizisten“, nennt sich das Blatt) in der Mai-Nummer Haufen von Gewehren und Bomben, die man photographiert hatte, abgebildet. Die Veröffentlichung sollte dazu dienen, die Bevölkerung und die Vertreter der fremden Mächte von den revolutionären Absichten der Armenier zu überzeugen. Um die Beschuldigung, daß die Armenier die Ausrichtung eines armenischen Königreiches geplant hätten, glaubhaft zu machen, wurde auch die Photographie einer „revolutionären Fahne mit dem armenischen Wappen“ wiedergegeben.13) (Auch das offizielle Communiqué vom 4. Juni spricht von diesen „revolutionären Fahnen“.) Wie verhält es sich damit?

Die Partei der Daschnakzägan hatte ein Parteiwappen, das in allen armenischen Klubs aushing. Junge Damen machten sich ein Vergnügen daraus, dieses Wappen als Emblem für die Klublokale zu sticken. Hundertmal haben die Jungtürken, wenn sie in den Klubs der Daschnakzagan aus- und eingingen, dieses Wappen gesehen. Im Scherz nannten sie es „le drapeau du patriotisme ottoman“. Da man keine anderen Beweise hatte, wurde jetzt das Parteiwappen der Daschnakzagan photographiert und für die Fahne der Revolution ausgegeben.

Man kann sich den Verkehr, der früher zwischen den armenischen und jungtürkischen Klubs und ihren Führern bestand, nicht eng genug denken. Man beriet nicht nur, man dinierte und soupierte zusammen. Man veranstaltete gemeinsame Wahlfeldzüge und tauschte freundschaftliche Besuche aus. Als Aknuni krank war wurde er von Talaat Bey und Dschavid Bey besucht. Tags darauf kamen Dr. Nasim und Omer Nadji. Der letztere ließ sich allwöchentlich auf der Redaktion des Azatamart sehen.

Es ist begreiflich, daß auch im jungtürkischen Komitee lange Zeit eine Majorität für die Maßregeln gegen die Armenier nicht zustande kam. Überdies schlugen sich die Armenier, wie der Kriegsminister Enver Pascha aus persönlichem Augenschein mündlich und schriftlich bekundet hat, selbst an der Kaukasusfront aufs tapferste. Es blieb daher in den ersten Monaten bei lokalen Maßnahmen, für die sich einigermaßen plausible Gründe aus strategischen Rücksichten geltend machen ließen.

Da kam die Nachricht von den Vorgängen im Wangebiet, die durch das Verhalten von Djewded Bey und durch die Ermordung und Verhaftung der armenischen Führer Ischchan und Wramjan provoziert waren. Am 16. April wurde Ischchan ermordet. Am 20. setzten sich die Armenier von Wan gegen das ihnen drohende Massaker in Verteidigungszustand. Am 24. erfolgte die Verhaftung der Intellektuellen von Konstantinopel. Sie war das Ergebnis eines Beschlusses, der von den Mitgliedern des Komitees für Einheit und Fortschritt gefaßt worden war. Seit dem 21. April war die Vernichtung des armenischen Volkes eine beschlossene Sache.

Der Großvezier Said Halim Pascha, der Kammerpräsident Halil Bey und der Scheich ül Islam waren gegen die Deportation. Da aber Talaat Bey seinen allmächtigen Einfluß für die Vernichtungsmaßregel einsetzte, ging der Beschluß durch.

Von dem Polizeichef Bedri Bey und seinen Gehilfen Dschampolad Bey und Reschad Bey war unter Zuziehung der Polizeimeister von Skutari und Pera der Plan der Verhaftung der Intellektuellen von Konstantinopel und in der Provinz ausgearbeitet worden. Sorgfältige Listen wurden zusammengestellt, um mit einem Schlage aller Führer der Nation habhaft zu werden. Waren die Führer beseitigt, so brauchte man nicht mehr zu befürchten, daß wegen der Maßregeln gegen das armenische Volk Lärm geschlagen würde. Der Widerstand der Gouverneure im Innern verzögerte die Ausführung der Maßregel in verschiedenen Wilajets um einige Wochen. Als aber Wan in die Hände der Russen gefallen war, am 19. Mai, erging in alle Provinzen der kategorische Befehl, dafür zu sorgen, daß alle Städte und Dörfer des Reiches von Armeniern ausgeräumt werden sollten, bis nicht ein einziger Armenier mehr zurückbliebe, es sei denn, daß er zum Islam übertrete.

Der Polizeichef Bedri Bey sagte zu dieser Zeit zu dem Armenier Sakarian: „Wenn es ein Massaker gibt, so wird es nicht sein wie zur Zeit Abdul Hamids. Nicht ein einziger Armenier wird übrig bleiben.“ Der Scheich ül Islam soll auch zu dieser Zeit noch seinen Widerspruch gegen die Maßregel aufrecht erhalten und seine Demission eingereicht haben.


9. Russische und türkische Zeugnisse.


Die loyale Haltung der Armenier der Türkei und der Daschnakzagan insbesondere läßt sich noch von zwei anderen Seiten her überzeugend beweisen.

Die russische Zensur hatte während des Krieges den Armeniern freigestellt, sich offen über ihre nationalen Wünsche auszusprechen. Eine lebhafte Diskussion fand in der Presse zwischen den Vertretern der großrussischen Expansionspolitik und führenden armenischen Politikern statt. Die russischen Politiker traten ganz offen für die Annexion von Türkisch-Armenien und die Einverleibung mindestens der ostanatolischen Wilajets in Rußland ein. Gegen diese Pläne brachte die armenische Presse („Horizon“, „Arew“ u. a.) ihren lebhaften Widerspruch zum Ausdruck. Der linksliberale Dumaabgeordnete Adschemoff, ein namentlich in Südrußland einflußreicher armenischer Politiker, erklärte im „Petrogradski Kurier“: Die Türkei könne und dürfe auch nach dem Kriege nicht aufhören zu existieren. Sowohl Rußland, das viele Millionen Muhammedaner als Untertanen zählt, als auch England müßten das Khalifat erhalten. Die Armenier seien für ihre nationalen Aufgaben auf die Erhaltung der türkischen Souveränität angewiesen. Der Sekretär des armenischen Komitees in Moskau K. B. Kussikjan erklärte, die innere Gestaltung von Türkisch-Armenien sei Sache der türkischen Armenier und könne nicht nach russischen Wünschen geordnet werden. – Zuletzt griff der Kadettenführer Miljukow im „Rjetsch“ in die Diskussion ein und machte den armenischen Politikern zum Vorwurf, daß sie keineswegs nur aus taktischen Gründen mit Rücksicht auf ihre armenischen Brüder in der Türkei die Erhaltung der Souveränität der Türkei für Türkisch-Armenien wünschten, es sei vielmehr ersichtlich, daß sie im Interesse ihres nationalen Programms für die Erhaltung der Türkei einträten. „Ich sehe mich zu der Schlußfolgerung gezwungen“, sagte Miljukow, „daß die Idee der Erhaltung der türkischen Souveränität kein zufälliger und vorübergehender, sondern ein innerlich begründeter und dauernder Bestandteil des nationalen Programms (der Armenier) ist. Ich sage offen, ich betrachte diesen Standpunkt, sowohl für die armenischen, als auch für die russischen Interessen als schädlich und gefährlich und halte eine entsprechende Revision des nationalen Programms der Armenier für unbedingt notwendig.“

Aus diesen Worten ist ersichtlich, daß zwischen den russischen und armenischen Wünschen durchaus kein Einverständnis herrschte. Das nationale Programm der Daschnakzagan wollte und will selbst heute noch die Erhaltung der Türkei unter der Souveränität des Sultans, unter der selbstverständlichen Voraussetzung, daß das zertrümmerte armenische Volk wiederhergestellt wird und seine geraubten Güter zurückempfängt.22) Dies Programm steht dem großrussischen Expansionswillen im Wege; seine Vereitelung ist notwendig, um die russischen Wünsche zu erfüllen. Die Aufgabe der türkischen Politik wäre es gewesen, sich das grundsätzliche Widerstreben der türkischen Armenier gegen den Gedanken einer Einverleibung in Rußland zunutze zu machen und gerade das armenische Element als starke Grenzwacht gegen den Kaukasus zu benützen. Das zentralistische Programm des Komitees hat genau so wie im Falle Albaniens die vernünftigen Interessen der kleineren Nationalitäten einem fanatischen Panturkismus geopfert und die zuverlässigsten Stützen einer gesunden Reichspolitik zerbrochen, um der Donquichoterie eines panislamischen Weltreiches nachzujagen.

Wie von russischer Seite, so liegen auch von türkischer Seite unwillkürliche Zeugnisse für die Loyalität der Armenier gegenüber der türkischen Regierung vor.

Scherif Pascha, einer der Führer der türkischen Opposition, hat unter dem 10. September einen Brief an die Redaktion des „Journal de Genève“ (Nr. vom 18. Sept.) gerichtet. In diesem Brief spricht er seine Entrüstung über die Verfolgung der Armenier aus und beklagt die Vernichtung einer Rasse, die so große kulturelle Leistungen hervorgebracht habe und der Türkei als Träger moderner Zivilisationsbestrebungen unentbehrlich gewesen sei.

„Wenn es eine Rasse gibt“, schreibt er, „die durch ihre Treue, durch die Dienste, die ihre talentvollen Staatsmänner und Beamten dem Lande geleistet haben, durch die Intelligenz, die sie auf allen Gebieten, im Handel, in der Industrie, in der Wissenschaft und in den Künsten, bewiesen haben, uns Türken nahe stehen, so sind es die Armenier. Sie sind es, die den Buchdruck und die dramatische Kunst in die Türkei eingeführt haben. Ihre Dichter, ihre Schriftsteller, ihre großen Finanzmänner sind nicht zu zählen, viele unter ihren großen Geistern, wie in alten Zeiten der Historiker Moses von Chorene und der Dichter Aristarch von Lasdiverde, den man mit Jeremias verglichen hat, oder in unseren Tagen Raffi, Sundugiantz, Schirwansadeh, Aharonian, Tschobanian, Novayr und Dutzende von anderen würden jedem westlichen Lande zur Ehre gereichen. War nicht Odian, der Mitarbeiter Midhat Paschas, des Urhebers der ottomanischen Konstitution, ein Armenier? Jeffrem Khan, „der Garibaldi des Ostens“ wurde der Heros der persischen Konstitution, die von einem andern Armenier Malkolm Khan vorbereitet worden war, und gerechterweise muß man anerkennen, daß ebenso wie in Persien, auch in der Türkei die Armenier einen wesentlichen Anteil an dem Sturz des despotischen Regimes und an der Einführung der Konstitution gehabt haben.

Es gibt nicht einen aufgeklärten Türken, der nicht das Urteil, das der bekannte Parlamentarier Lynch vor 13 Jahren gefällt hat, unterschriebe:

„Die Armenier sind ganz besonders dazu befähigt, die Vermittler der neuen Zivilisation zu sein. Sie haben sich mit unseren höchsten Idealen vertraut gemacht und eignen sich alle neuen Errungenschaften der europäischen Kultur so unermüdlich und vollkommen an, daß darin keine andere Nation ihnen gleichkommen konnte.“[8]

Wenn man nun bedenkt, daß ein so hochbegabtes Volk, das das wohltätigste Ferment in der Erneuerung des Osmanischen Reiches hätte werden können, auf dem Punkte steht, aus der Geschichte zu verschwinden, nicht nur unterdrückt, sondern vernichtet zu werden, so muß das Herz auch des Unempfindlichsten bluten. Ich möchte meinesteils hierdurch dieser geopferten und sterbenden Nation meinen Zorn gegen ihre Henker und mein unendliches Mitleid für ihre Opfer aussprechen.“

Nach diesen Äußerungen ergeht sich Scherif Pascha in den heftigsten Vorwürfen gegen die Partei der Daschnakzagan, die sich seit sechs Jahren (d. h. seit der Spaltung der Jungtürken in Ittihab und Ittilaf) „zu Parteigängern und Schildhaltern des jungtürkischen Komitees hergegeben haben“. „Wie oft“, schließt er, „habe ich sie vor den Unionisten (dem Komitee für Einheit und Fortschritt) gewarnt, deren schwarze Seele ich kenne. Mindestens hätten die Massakers von Adana, die auf den Befehl des Komitees veranstaltet wurden, die Daschnakzagan auf den Boden der Wirklichkeit zurückführen müssen. Dadurch, daß sie sich mit der Politik des Komitees für Einheit und Fortschritt solidarisch erklärten, haben sie die Sache ihrer Nation, statt sie zu retten, verraten“. Gerade damit, daß Scherif Pascha den Daschnakzagan ihre Anhänglichkeit an die gegenwärtige Regierung zum Vorwurf macht, beweist er indirekt ihre Loyalität. Eben diese Loyalität, die er als eine Dummheit und als ein Verbrechen charakterisiert, macht er für den Untergang des armenischen Volkes verantwortlich.

Ein andrer Führer der türkischen liberalen Opposition, Ismail Hakki von Gümüldschina, schreibt in der türkischen Zeitung Bejan ül Hakk die gegenwärtig in Saloniki erscheint:

„Jede gewaltsame Unterdrückung, gegen welchen Teil der Bevölkerung sie auch ausgeübt werden möchte, ist unverzeihlich. Verfolgungen, die sich gegen eine friedliche Bevölkerung richten, sind barbarisch und gewissenlos. Solche Dinge stillschweigend mitanzusehen, heißt sich an ihnen mitschuldig machen. Gegen die im Osmanischen Reich lebenden Griechen und in besonderem Maße gegen die Armenier werden die schrecklichsten Verbrechen begangen. Die menschliche Sprache und Feder sind unvermögend, auch nur den hundertsten Teil der Tatsachen wiederzugeben. Falsche Patrioten und kurzsichtige Politiker bemühen sich, die in der Türkei herrschenden Zustände zu verschleiern. Aber wir, als wahre Osmanen, rufen heute der Menschheit und dem zivilisierten Europa zu, daß die gegen die Armenier und Griechen verübten Verfolgungen weit entsetzlichere Dimensionen angenommen haben, als es aus den Darstellungen der Presse zu ersehen ist. Die Armenier und Griechen werden unbarmherzig verfolgt. Ihr Leben, Gut und Ehre sind in beständiger Gefahr. Tag für Tag werden Hunderte von Armeniern in entlegenen Gegenden getötet. Wir nehmen mit ganzem Herzen Anteil an dem Unglück unserer Landsleute.“

Obwohl Scherif Pascha und Ismail von Gümüldschina der türkischen Opposition angehören, darf man die Bedeutung und den Ernst dieser Kundgebungen nicht unterschätzen. Denn sogar in den osmanischen Vertretungskörpern macht sich in wachsendem Maße die Erregung türkischer Kreise Luft, die die Vernichtung der Armenier verurteilen.

Eine Interpellation des früheren Kammerpräsidenten Achmed Riza, des Begründers des konstituionellen Regimes, wegen der Armenierverfolgungen rief im Senat einen Sturm hervor.23) Viele Senatoren stehen auf seiten Achmed Rizas. Die Interpellation wurde nur unter der Bedingung zurückgezogen, daß die Armenierfrage durch eine besondere Delegation vor die Kammer gebracht werden sollte. Chef der Delegation wurde der offizielle Historiograph Abdurrachmann Bey, der seit kurzem Präsident des Senats ist.

Bei der Eröffnung der Kammer hielt Achmed Riza eine Rede, die sich in den stärksten Vorwürfen gegen die Regierung erging. Er protestierte gegen die Armeniermetzeleien und gegen die Ausplünderung des Volkes, der sich das „Komitee für Nationale Verteidigung“ schuldig mache. Talaat Bey, der Minister des Innern, begnügte sich mit der Erklärung, daß die Regierung auf die angeregten Fragen nicht antworten könne, da eine öffentliche Erörterung den Interessen des Reiches schaden würde.




4. Nachträge.


1) Die letzte Phase der Verfolgungsgeschichte spielte sich im Kaukasus ab, als nach dem Frieden von Brest-Litowsk die russische Armee sich zurückzog und den Kaukasus der Invasion der türkischen Truppen preisgab. Über die Vorgänge im Kaukasus vgl. „Deutschland und Armenien 1914–1918“. Sammlung diplomatischer Aktenstücke, hersg. und eingel. von Dr. Johannes Lepsius. Der Tempelverlag in Potsdam 1919. Einl. S. XLV und die Aktenstücke d. Js. 1918, S. 365 ff.

2) Über Nazareth Tschauch und die Entstehung der Unruhen in Zeitun vgl. Lepsius, Dtschl. und Arm. S. IX ff. und die Berichte von Konsul Roeßler, Aleppo, Aktenstücke Nr. 11 und 25.

3) Die Gesamtzahl der Deserteure, die, aus Christen und Muhammedanern bestehend, schon vor dem Kriege seit 1913 sich in die Berge geflüchtet hatten, betrug zu der Zeit nach Mitteilung von Herrn Konsul Roeßler etwa 150. Der Verlust der Toten und Verwundeten bei dem Angriff auf das Kloster wird von ihm auf „eine Anzahl Toter und Verwundeter“ angegeben.

4) Die Zahl von 20 000 Seelen umfaßt auch die Dörfer in der Umgegend von Zeitun.

5) Über die Vorgänge in Dörtjol sind nähere Berichte in dem deutschen Konsularbericht aus Adana vom 13. März 1915 gegeben. Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 19.

6) Über die Vorgänge in Urfa siehe die Berichte des deutschen Konsuls Herrn Roeßler von Aleppo, Lepsius, Dtschl. und. Arm. Nr. 193, 202 und 226 Anl. 1. Am 19. und 20. August fanden Massakers statt, bei denen etwa 200 Armenier getötet wurden. Am 29. September setzten sich die Armenier, um der drohenden Deportation zu entgehen, in Verteidigungszustand in ihrem Stadtviertel. Vom 4. bis zum 15. Oktober währte die Belagerung des Viertels durch türkische Truppen, wobei diese 50 Tote und 120 bis 130 Verwundete hatten. Die männliche armenische Bevölkerung der Stadt wurde, nachdem der Widerstand gebrochen war, zum größten Teil getötet, die Frauen und Kinder deportiert. Die Stadt zählte vor der Deportation etwa 20 000 Armenier.

7) Dazu schrieb Prediger J. Spörri, Leiter der Station Wan des deutschen Hilfsbundes für Christliches Liebeswerk im Orient, am 7. 10. 1916 aus Zürich an den Verfassen

„Als am 20. 4. 15 die Feindseligkeiten vor meinen Augen ausgebrochen waren und in schauerlicher Weise auf uns geschossen wurde, war ich gedrungen, an den Wali zu schreiben. Ich erzählte den Anfang der Feindseligkeiten, teilte mit, daß wir dem Kugelregen ausgesetzt seien, ersuchte, da ich annehmen mußte, daß solches unmöglich nach dem Wollen des Walis sein könne, um weitere Vermeidung solcher Handlungen und bat, die Streitigkeiten friedlich zu ordnen. Mit meinem Schreiben ging ich zu Dr. Usher (es war das ein gefährlicher Weg, da unaufhörlich geschossen wurde), las ihm den Inhalt vor und veranlaßte ihn, von seiner Seite ein Gleiches zu tun. Der Brief vom 23. 4. von Djevdet Bey war die Antwort auf unser Schreiben. Übrigens hatte ich die Verteidiger gebeten, sie möchten sich von der Front unserer Station zurückziehen, da sie das Feuer auf uns zögen. Ich hatte die Genugtuung, daß mein Wunsch erfüllt wurde. Freilich war auch so von einem Aufhören des Feuers gegen uns nicht die Rede.“

8) Auch der Wali Rachmi Bei wurde schließlich, wenn auch erst ein Jahr nach der allgemeinen Deportation, durch den Befehl der Regierung von Konstantinopel gezwungen, den Befehl zur Deportation zu geben. Lediglich dem Einschreiten des Oberbefehlshabers General Liman von Sanders, der mit militärischem Widerstand drohte, ist es zu danken, daß die Deportation der Armenier von Smyrna nicht zur Ausführung kam. Vgl. Lepsius, Dtschl. und Arm. S. LIX und die Aktenstücke Nr. 306, 307, 308.


9) Vgl. den fesselnden Bericht über die Flucht der Armenier von Suedije von Pastor Digran Andreasjan, der im Anhang von Lepsius, Dtschl. und Arm. abgedruckt, auch im Tempelverlag in Potsdam separat erschienen ist, „Suedije, eine Episode aus den Armenierverfolgungen des Jahres 1915.“ M. 0,50.

10) Durch Gesetz vom 1. August 1916 wurde ein Jahr darauf die alte Kirchenverfassung der gregorianischen Kirche zerstört und das Patriarchat von Konstantinopel in das Kloster Mar Jakub in Jerusalem verlegt. Erst nach dem Sturz der jungtürkischen Regierung und dem Zusammenbruch der Türkei wurde das Gesetz wieder aufgehoben.

11) Nach dem Zusammenbruch der Türkei ist das ursprüngliche Programm der Daschnagzagan natürlich gegenstandslos geworden. Auf den Glücksfall, daß die beiden Feinde der Armenier, die Türkei und Russland, gleichzeitig zusammenbrechen würden, so daß für ein völlig unabhängiges Groß-Armenien Raum wurde, konnte kein politisches Programm im voraus rechnen.

12) Wartkes wurde zusammen mit Sohrab auf dem Wege von Urfa nach Diarbekir durch die begleitenden Gendarmen auf Befehl der Regierung ermordet. Lepsius, Dtschl. und Arm. S. 109.

13) Die Polizei in Konstantinopel hat nachträglich zwei Bilderbücher mit Haufen von Gewehren, Bomben, Fahnen und dergl. veröffentlicht, die nur Unkundige über den Wert solcher Machwerke täuschen können. Eine Charakteristik dieser Publikation hat die Deutsch-Armenische Gesellschaft veröffentlicht.

14) Vgl. den Bericht des deutschen Botschafters Freiherrn von Wangenheim in Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 38. „Die Behauptung, es lägen Beweise vor, daß für den Tag des Thronbesteigungsfestes ein Putsch beabsichtigt gewesen sei, erklärte Talaat Bey für unzutreffend.“ Die Pforte selbst erklärte offiziell die Verschickung der Konstantinopler Intellektuellen nur für eine Vorbeugungsmaßregel.

15) Die letzte türkische Lesung lautete, daß alle 180 000 Muselmanen von den Armeniern massakriert worden seien. Vgl. Lepsius, Dtschl. und Arm. S. LXXIII f.

16) Vgl. dazu die Berichte des deutschen Konsuls Herrn Anders in Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 5, 6 und 10.

17) Das später erschienene Communiqué der türkischen Regierung über die Vorgänge in Urfa wird von dem deutschen Konsul Herrn Roeßler in Aleppo in seinem Bericht vom 16. November 1915 einer Kritik unterzogen. Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 202.

18) Vgl. Lepsius, Dtschl. und Arm. Einl Kap. V, 5: Die offizielle Motivierung. S. LXVI ff.

19) Vgl. die Urteile der deutschen Botschafter und Konsuln ebenda S. LXXVI ff.

20) Vgl. das Urteil des deutschen Botschafters Graf Wolff-Metternich in Lepsius, Dtschl. und. Arm. Nr. 287.

21) Vgl. die Urteile deutscher Konsuln in Lepsius, Dtschl. und Arm. S. LXXVI ff.

22) Wäre die Türkei siegreich aus dem Krieg hervorgegangen, so wäre allerdings nicht daran zu denken gewesen, daß der Raub des gesamten Nationalgutes des armenischen Volkes wieder rückgängig gemacht worden wäre. Auch jetzt wird es schwer sein, auch nur einen beträchtlichen Teil der beweglichen Habe den Dieben und Räubern, die daß Gut schon längst verschleudert haben werden, zu entreißen.

23) Vgl. den Bericht über die Verhandlungen im türkischen Senat vom Oktober und November 1915 in Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 223.

24) Vgl. zu diesem Kapitel den Abschnitt: Zwangsbekehrungen zum Islam, in der Einleitung von Lepsius, Dtschl. und Arm. und ebenda die Konsularberichte laut Sachregister unter Zwangsbekehrungen.

25) Vgl. den Bericht des deutschen Vizekonsuls Herrn Kuckhoff vom 4. Juli 1915 aus Samsun, Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 116 Anlage.

26) Nur unter den syrischen Nestorianern gab es eine kleine hochkirchliche Mission, die am Sitz des nestorianischen Patriarchen in Kodschannes bei Djulamerg im oberen Zabtal und in Urmia auf persischem Gebiet eine Vertretung hatte und eine Art Nuntiatur des Erzbischofs von Canterbury bei dem nestorianischen Patriarchat bildete. Diese hochkirchlichen Herren haben niemals mit Armenien oder der armenischen Frage zu tun gehabt und sich ausschließlich auf die syrischen Nestorianer beschränkt.

27) Dies war Anfang 1916 geschrieben. Nach der Vernichtung ihres Volkstums in der Türkei würden es jetzt natürlich alle noch Überlebenden Armenier ablehnen, unter türkische Herrschaft zurückzukehren.

28) Vielleicht wird Herr Bratter nach der Veröffentlichung der diplomatischen Aktenstücke über den Vernichtungskampf der Türken gegen die christlichen Armenier durch die Urteile der deutschen Botschafter und Konsuln jetzt eines Besseren belehrt werden.

29) Den genannten Städten ist noch Aleppo hinzuzufügen, wo dank der rastlosen Bemühungen des deutschen Konsuls wenigstens die ortsansässige Bevölkerung von der Deportation verschont blieb. Die Armenier von Bagdad waren zunächst nach Mossul deportiert worden und sollten von dort weitergeschafft werden. Der Einspruch des Feldmarschalls Freiherrn von der Goltz, der den Weitertransport untersagte, wurde von der Regierung in Konstantinopel erst respektiert, als der Feldmarschall wegen dieser Sache telegraphisch um seine sofortige Abberufung bat. S. Lepsius, Dtschl. und Arm. Einl. S. LIX und Aktenstück Nr. 224.


30) Über den Gesamtverlust an Ermordeten und Verhungerten, der auf eine Million geschätzt wird, vgl. Lepsius Dtschl. und Arm. Einleitung V, 4, S. LXIII, das Kapitel: Opfer.




Anmerkungen

  1. Die Preßlüge von einer „armenischen Revolution“ stammt aus dem Kopenhagener Interview des Jung-Ägppters Risaat Bey vgl. Seite 164.
  2. Zwar war zu dieser Zeit Cilicien schon ausgeleert und die allgemeine Deportation hatte begonnen.
  3. Die Parteikorrespondenz der Bureaus von Konstantinopel, der die obigen Auszüge entnommen sind, war für die verschiedenen Zentralkomitees im Inland und Ausland bestimmt. Sie enthält alle Nachrichten, die das Bureau aus dem Inneren erhielt, und berichtet über die Vorgänge in Konstantinopel. Der intime Charakter der Korrespondenz bringt es mit sich, daß man die Stimmungen, Urteile, Sorgen und Überlegungen, wie sie unter dem wechselnden Eindruck der Ereignisse entstehen, mit voller Deutlichkeit und Unbefangenheit verfolgen kann und einen unmittelbaren Eindruck von der Wahrhaftigkeit des Berichteten gewinnt.
  4. Bis vor kurzem war er Kammerpräsident.
  5. Wartkes (Rosenpferd) ist der Schriftstellername des Abgeordneten Ohannes Seringülian. Die Armenier nennen sich gern untereinander bei Zunamen, die sie sich geben, und die so allgemein gebraucht werden, daß bekanntere Armenier auch in der Öffentlichkeit meist nur mit ihren Zunamen genannt werden.
  6. Diese Reformbestrebungen hatten für die Armenier niemals etwas anderes zu erreichen gehofft, als Sicherheit von Leben und Eigentum und Schutz vor räuberischen Kurden. Wenn die Großmächte wiederholt auf diese Reformen zurückkamen und die Wünsche der Armenier unterstützten, so war die durch den Berliner Vertrag (§ 81) von 1878 begründet. Auch Deutschland hatte sich im Jahr 1913 In hervorragender Weise an den Reformverhandlungen beteiligt und die Pforte zur Annahme des in der Note vom 26. Januar/8. Februar 1913 formulierten Reformprogrammes bewogen. Aus den Verhandlungen der Mächte und den Zugeständnissen der Pforte wurde jetzt den Armeniern ein Verbrechen gemacht. Vgl. S. 179.
  7. Die Photographie stellt die Fahnenweihe eines russisch-armenischen Freikorps dar, bei der Garo Pasdermadschian zugegen war. Er selbst hat überhaupt nicht mit der Waffe gekämpft. sondern das Hilfswerk für die armenischen Flüchtlinge organisiert. Ebensowenig ist er verwundet worden. Vergl. Seite 180f.
  8. Es ist nur wenig bekannt, daß die literaische Renaissance, die die Armenier des Kaukasus in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ihrer Nation geschenkt haben, aufs Stärkste durch den deutschen Idealismus beeinflußt worden ist. Ihre Führer haben zu den Füßen deutscher Professoren in Dorpat gesessen und unsere klassischen Dichter ins Armenische übersetzt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Jaunar
  2. Vorlage: Pädagog
  3. Vorlage: wertvollen