Der Thomaspfennig, der Kuttenzins

Textdaten
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Autor: Friedrich Gottschalck
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Titel: Der Thomaspfennig, der Kuttenzins
Untertitel:
aus: Die Sagen und Volksmährchen der Deutschen, S. 264-281
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1814
Verlag: Hemmerde und Schwetschke
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Erscheinungsort: Halle
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
siehe auch Der Thomas-Pfennig
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Der Thomaspfennig, der Kuttenzins.

Zwei Stunden von dem Anhaltischen Städtchen Harzgerode, auf dem Harze, liegt das Dorf Stangerode. Unter den 78 Häusern, aus denen es besteht, sind 13, auf welchen seit undenklichen Zeiten eine seltsame Verbindlichkeit haftet. Ihre Eigenthümer müssen nämlich jährlich, in der Nacht vor dem Thomastage, nach dem zwei Stunden von ihnen entfernten Dorfe Endorf, dem Sitze ihrer Gerichtsstube, gehen, und hier eine Abgabe entrichten, die der Thomaspfennig oder der Kuttenzins heißt. Diese Entrichtung, die aus einer Prozession von Büßenden entstand, ist ein wildes, lärmendes und nächtliches Volksfest geworden, das an alte thracische Bacchanale erinnert. Sie geschieht unter folgenden Gebräuchen:

Den 20sten December, als am Tage vor dem Thomastage, tritt des Abends um acht Uhr der Stangeröder Bauermeister[1], begleitet von zwei Ortsbewohnern, die alle Jahre wechseln, vor das erste der mit dem Kuttenzins belegten 13 Häuser, und ruft:

„Gebt unserm Herrn den Thomaspfennig, den Kuttenzins!“

Er wiederholt diese Worte vor jedem der 13 Häuser. Die Hausbesitzer stehen dann vor den Hausthüren, und geben dem Bauermeister einen silbernen kursächsischen Pfennig. Davon behält dieser, dem Herkommen gemäß, sieben für sich, und die übrigen sechs trägt er mit seinen Begleitern, an die sich nun viele Ortsbewohner anschließen, durch das Dorf hindurch, wobei der ganze Haufe fortwährend ausruft:

„Wir bringen unserm gnädigen Herrn den Thomaspfennig, den Kuttenzins, den Thomaspfennig!“

So geht der Zug nach Endorf hin, wo er gewöhnlich Nachts zwischen 10 und 11 Uhr ankommt. Die Hauptpersonen treten in einem Hause am äußersten Ende des Dorfes ab, und während dem mehrt sich die Schaar der lärmsüchtigen und theilnehmenden Zuschauer um dasselbe. Gegen Mitternacht treten die Stangeröder Bauermeister und Begleiter aus diesem Hause, und nun schreiet der ganze Haufe aus voller Kehle:

„Wir bringen unserm gnädigen Herrn den Thomaspfennig, den Thomaspfennig, den Kuttenzins!“

Durch das ganze Dorf hindurch erschallt die Luft von diesen Worten, bis der Zug vor der Gerichtsstube ankommt. Diese ist nun schon geöffnet, der Justizbeamte steht da, nimmt den Zins von sechs Pfennigen in Empfang, giebt dem Bauermeister eine Quittung darüber, und ein den Werth der Abgabe jetzt weit übersteigendes Trinkgeld. Der Volkshaufe hat sich indessen immer noch vergrößert, und hebt nun an zu rufen:

„Wir haben gebracht – unserm gnädigen Herrn – den Thomaspfennig – den Thomaspfennig – den Kuttenzins!“

Zahllose Stimmen schreien tausendfach diese Worte nach, von wildem Gelächter begleitet. Der Zug geht wieder durch’s Dorf durch, und die Stangeröder Abgeordneten kehren mit dem Empfangschein nach Hause.

Von dem Entstehen dieser sonderbaren und auffallenden Sitte, bei der für unsere Zeiten gar kein Zusammenhang mit irgend einer weltbürgerlichen oder auch nur provinziel wichtigen Idee, gar kein Vortheil weder auf Seiten der Gebenden, noch der Empfangenden, zu entdecken ist, finden sich keine schriftlichen Nachweisungen, wenigstens sind uns keine bekannt. Nur folgende steht in den Grund- und Lagerbüchern des Amts Endorf von 1688 und 1708:

„Von Stangerode aus wird berichtet, wie auch in dem Erbenzinsregister zu finden, daß der Thomaspfennig, oder Kuttenzins, in 6 einzelnen Pfennigen bestehend, am St. Thomastage, früh vor Sonnenaufgang überantwortet werden muß. Da aber solches nicht geschieht, so ist die Gemeinde daselbst, ihrem eignen hierüber gegebenen Berichte nach, schuldig, von jeder Minute, nach Aufgang der Sonne, eine Tonne Heringe zur Strafe zu erlegen.“

Uns bleibt daher zur Erklärung dieses Gebrauchs nichts übrig, als folgende Volkssage, die sich sehr ausführlich auf uns fortgepflanzt hat.

Nahe bei Endorf und bei dem Städtchen Ermsleben liegt Konradsburg, ehedem ein Benedictinerkloster, jetzt ein Vorwerk. Die Mönche waren hier, so wie überall, wohl genährte Tagediebe, unter denen der Böse freies Spiel hatte. Die Neuaufgenommenen wurden zwar streng gehalten, mußten in den ersten Jahren, nach abgelegtem Gelübde, ihre Begierden unter der Ordensregel gefangen nehmen, wenigstens wenn sie bemerkt wurden. Aber, wenn sie allmählich zu gebietenden Herren heraufstiegen, und auf die Regierung des Klosters Einfluß bekamen, dann entschädigten sie sich auch dafür hinreichend. Besonders befanden sich die, welche die sogenannten Außenhöfe[2] des Klosters verwalteten, oder denen die Einhebung der Erbenzinsen und Lehnsgefälle übertragen war, in einer sehr behaglichen Lage. Sie lebten hier, nach ihrem Ausdruck, wie Freiherren, und versagten sich keinen Wunsch. Eins ihrer Hauptgeschäfte war, hübsche Weibleins zu berücken. Bei vorkommenden Zweifeln waren sie ja Gebieter über Kirchenbuße und Absolution.

Unter diesen Klosterherren Konradsburgs war auch Bruder Markus. Er hatte die Aufsicht über die weitläufigen Forste des Klosters, die sich mehrere Meilen weit in die Harzgebirge erstreckten. Eins dieser Gehölze lag dicht bei Stangerode, und heißt noch jetzt das Mönchsholz. Da es ihm aber wahrscheinlich mehr um menschliche Gesellschaft, als um der Forsten Wachsthum, zu thun war, so wußte er es bei einer Abtswahl dahin zu bringen, daß ihm auch die Einhebung der Zinsen in mehrern Ortschaften aufgetragen wurde, welches die Klausner als die bequemste Gelegenheit ansahen, sich Verbindungen mancherlei Art zu verschaffen. So trieb Bruder Markus sein Wesen bald in diesem, bald in jenem Orte, je nachdem ihn ein weibliches Geschöpf auf Wochen oder Monate anzog.

Unter seinen Liebschaften war auch das junge rasche Weib des Einwohners Hartung in Stangerode, dessen Haus dicht an das Mönchsholz gebaut war. Hartung fuhr alle Monate ein Mal nach Halle, um Salz zu holen, worüber immer einige Tage vergingen, welche das Liebespärchen aufs Beste zu benutzen wußte.

Hartung fand nach einiger Zeit seine Ilsabe ganz verändert. Sie, die sonst so arbeitsam und häuslich, und dabei immer vergnügt gewesen war, war jetzt bei der kleinsten Arbeit träge und verdrossen, reichte dem heimkehrenden Manne nicht mehr freundlich die Hand, trocknete ihm nicht den Schweiß von der Stirn, sondern kehrte ihm oft den Rücken zu, und knurrte und brummte. Schon entfielen ihr Klagen über ihr elendes Schicksal, über grobe Arbeiten, zu denen ihre Hände nicht gemacht wären, über Nichtschätzung ihrer Verdienste, und dergleichen mehr. Hartung starrte sein Weib an, verstand selten, was sie sagte, und konnte nicht errathen, woher ihr solche Gelehrsamkeit kam.

Bald verleidete Ilsabe ihrem Manne das Haus so, daß er sich nicht mehr um Weib, Kind und Wirthschaft bekümmerte, und auf den Feldern voll Unmuth umherirrte. Hier trafen den Einsamen sein Schwager Hierscha und sein nächster Nachbar Probst. Anfangs wollte ihnen Hartung nicht zur Rede stehen. Aber sie, die längst schon, durch das Gerücht von einem blökenden Gespenste, das aus dem Mönchenholze nach Hartungs Hofe zu gehe, aufmerksam gemacht, das Gespenst selbst beim Hereinschlüpfen in das Haus belauert hatten, sagten ihm geradezu, der Hühneresser[3] Markus sey Schuld an seinem Unglück.

Sie erzählten ihm dann, daß sie schon zwei Mal, während seiner Reise nach Halle, einen Mönch auf Händen und Füßen kriechend, hinter Hartungs Scheure gesehen hätten; daß er hier, unter einem dick belaubten Nußbaume so lange wie ein Kalb blöke, bis ihm Ilsabe durch nachgemachtes Hundegebell das Zeichen gebe, oder ihm die Hinterpforte des Hauses öffne. Probst sagte dabei, er habe Markus den Tod geschworen, weil er seinen beiden unverheiratheten Töchtern nachgehe, und der jüngsten geradezu gesagt habe, daß er sie bald in seine Gewalt bekommen wolle. Lange wollte es Hartung nicht glauben, was seine Nachbarn gesehen und gehört hatten. Aber endlich schwur auch er Markus den Tod.

Den 20sten November rüstete sich Hartung zu einer neuen Reise, und erfuhr noch am Abend dieses Tages, daß sich Markus schon in dem Mönchenholze habe sehen lassen. Bald nach Mitternacht fuhr er von seinem Hofe. Aber kaum war er eine Stunde gefahren, als er, in einer ihm wohlbekannten Tiefe des Waldes bei Walbeck, seine Pferde angebunden stehen ließ, und zu seinen Nachbarn zurückkehrte, die schon auf der Lauer standen.

Bald hörten sie ein immer näherkommendes Blöken, und dann das beantwortende Hundegebell; und nicht lange nachher sahen sie, bei dem Dämmerlichte des Mondes, der durch das Gewölk blickte, eine braune Gestalt auf Händen und Füßen, immer fort blökend, in Hartungs Haus kriechen. Nun gruben die drei Nachbarn, unter dem in einem Winkel des Hofes versteckten Nußbaume ein Grab, und dann schlichen sie, in weiße Betttücher gehüllt, durch die nur angelehnte Hinterthür ins Haus, und in die schwach vom Monde erleuchtete Stube. Ilsabe lag wachend in ihrem Ehebette, und in ihren Armen schlief – Markus. Erschreckt durch die Geistergestalten, sprang sie aus dem Bette, und versteckte sich unter demselben. Ein Schlag von Hartungs Axt tödtete den Mönch, und in der Kutte wurde er unter dem Nußbaume beigescharrt.

Hartung eilte zu seinem Wagen, fuhr nach Halle, kam mit der gewöhnlichen Ladung zur bestimmten Zeit zurück, und fand keinen Verdacht gegen sich.

Zwar war Markus vermißt, und man hatte an mehrern Orten nach ihm gefragt. Denn der ganze Convent zu Konradsburg sah auf ihn als das würdigste Subject zu der erledigten Würde eines Küchen- und Kellermeisters, welche die nächste Anwartschaft auf die des Abtes gab. Inzwischen beruhigte man sich dort, bei seinem Nichterscheinen, durch hundert laut belachte Geschichten von seinen nächtlichen Streifzügen.

Aber Stangerode war, seit dem dritten Tage nach Markus Ermordung, ein Ort des Schreckens und des Grausens. Nicht bloß im Mönchenholze ging das blökende Ungethüm um, sondern es kam auch in die Häuser, und setzte sich auf Männer und Weiber. Einige Ortsbewohner, und mit ihnen auch Hartung und Ilsabe, verließen vor Schrecken ihre Häuser; andere liefen nach Konradsburg, um einen Geisterbanner zu holen.

Dieser kam, traf den bekutteten Geist um Mitternacht in dem Holze, und trieb ihn durch Weihwasser vor sich her. Aber aus dem vom Nußbaume beschatteten Winkel war er nicht zu vertreiben. Nun kam, auf den abgestatteten Bericht, am St. Thomastage der ganze Konradsburger Convent in feierlicher Procession nach Stangerode. Man grub unter dem Nußbaum nach, und fand den erschlagenen Mönch, und neben ihm die blutige Axt. In aller Stille brachte man den Körper nach den Klostermauern zurück, wo er mit Sang und Klang begraben wurde.

Ganz Stangerode zitterte vor der Wuth der hochgebietenden Herren. Es fürchtete nicht ohne Grund, mit Feuer und Schwert verwüstet, oder doch ins Interdict gelegt zu werden. Aber, sey es, daß man in Konradsburg die genaue Untersuchung einer Geschichte scheute, die das tausendzüngige Gerücht schon zu weit ausgebreitet hatte, oder, daß der Thäter nicht zu entdecken war, oder, daß das Kloster auf die Ausfüllung eines leeren Plätzchens im Märtyrer- und Heiligen-Kalender nach Jahrhunderten speculirte; kurz, das Urtheil der dieß Mal nicht ganz ungnädigen Herren fiel dahin aus: „Auf ewige Zeiten sollte Stangerode, für den dort, an einem Amtsgeschäften begriffnen Mönch, frevelhaft verübten Mord, einen Kuttenzins bezahlen, und zwar jedes der dreizehen Häuser (aus so vielen bestand damals der Ort) Einen silbernen Pfennig. Dieser Kuttenzins sollte alle Jahre, am Sanct-Thomastage, von der ganzen Stangeröder Gemeine, bei namhafter Pön einer Tonne Häringe für jede versäumte Minute nach Sonnenaufgang, in einer feierlichen Buß-Procession nach Konradsburg gebracht werden.“

Von diesem Thomastage an erschien der Geist des erschlagenen Markus nicht mehr in menschlicher Gestalt, sondern entweder als Hund, oder als Kalb. – Und noch jetzt läßt er sich zuweilen (doch der glaublosen Zeiten wegen immer seltner), zwischen dem 20sten November und 20sten December, als Kalb oder Hund im Mönchenholze sehen. Doch nur erleuchtete Geisterseher sehen ihn. Andere hören sein Blöken, mehrere aber fühlen seine zentnerschwere Last, wenn er sich auf ihre Schultern oder ihre Hüften setzt, oder, als Alp, sie des Nachts auf ihrem Lager niederdrückt, so daß sie kaum zu athmen vermögen.

*     *     *

Diese Volkssage, wahrscheinlich aus dem 15sten Jahrhundert, unterscheidet sich von den meisten der ältern Volkssagen, – welche die Namensbestimmungen selten ohne Veränderungen enthalten, was oft bedeutende Verschiedenheiten in den Erzählungen veranlaßt, – dadurch, daß das Volk die Namen: Hartung, Hiersche, Probst u. s. w., noch jetzt bei ihrer Erzählung nennt. Auch möchte dieß ein Beweis seyn, daß hier ein wirkliches historisches Factum zum Grunde liegt, das sich, bis auf kleine Umstände, dem Gedächtniß fest eingedrückt hat.

Nur darin weichen die Erzähler von einander ab, daß sie den erschlagenen Mönch bald mit, bald ohne Kutte verscharren lassen. Der Ausdruck: Kuttenzins, der noch jetzt in den gerichtlichen Acten von dieser Abgabe der Stangeröder Gemeine gebraucht wird, hat übrigens von der Kutte, dem klösterlichen Obergewand, seinen Namen.

Noch behauptet das Volk, daß, wenn bei Abtragung des Kuttenzinses die Amtsstube nicht geöffnet sey, so müsse das Amt, zur Strafe, der Stangeröder Gemeine eine ganz weiße Henne mit zwölf weißen Küchlein geben.

Die Abgabe von 13 Pfennigen, die uns jetzt so unbedeutend scheint, war damals, als man für einige Pfennige ein Paar Schuhe, eine Tonne Bier, einen Sack voll Getreide kaufen konnte, und wo baares Geld überhaupt selten, in manchen Dörfern kaum zu finden war, keine so kleine Last; zumal, wenn, wie die Sage will, ehedem nur die selten vorkommenden Thomaspfennige angenommen wurden, die vielleicht erst mühsam aufgesucht, und mit hohem Aufgelde eingewechselt werden mußten.

In unsern Tagen des Verschwindens alter Formen hat die Art der Entrichtung des Kuttenzinses auch aufgehört. Im Jahre 1803 geschah sie zum letzten Male auf obige Weise, und seitdem geschieht sie in aller Stille bei Tage, durch den Bauermeister in Stangerode.

Volkssagen von Otmar, S. 203. – Annalen der Grafschaft Mannsfeld von 1806, 8s u. 9s St. – Anhalt-Bernburg. wöchentl. Anzeigen von 1806, 32s Stück. – Halberstädter Neue gemeinnützige Beiträge, 1797, 20s Stück.


  1. Schulze, Richter, Vorsteher der Gemeine.
  2. In Endorf war unter andern auch ein solcher Außenhof von Konradsburg, aus welchem Umstande man die Entrichtung des Kuttenzinses daselbst erklärt.
  3. So nennt das Volk in mehrern Gegenden Deutschlands diejenigen, welche die Erbzinse, Rauchhühner u. s. w. einfordern.