Der Stadt Hamburg Statuta und Gerichts Ordnung/Teil 1 Kapitel 28

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Der Stadt Hamburg Statuta und Gerichts Ordnung
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TITULVS XXVIII.
Von Beweisung mit lebendigen Kundtschafften oder Zeugen:
ARTICULUS 1.

Der Kläger / oder Beklagte / welcher Zeugen führen wil / sol dergestalt seine Beweisung thun / als er sich vor Gericht berühmet hat / thut er das nicht / er ist seiner Sache niederfällig.

2.

Mit zween oder mehr glaubwürdigen Zeugen / welche in gemeinen Käyserlichen Rechten / als unzulässig / nicht verworffen seyn / kan einer seine Klage und Forderung vollenkömmlich beweisen.

3.

Es werden aber / als untaugliche Zeugen / nachfolgende Personen im Recht außgesetzt und [86] verworffen / die ihres Alters viertzehen Jahre nicht vollenkömmlich erreichet haben / die an ihrer Vernunfft gebrechlich seyn / Meineydige / und die ihres Ampts / wegen ihrer Mißhandlung / entsetzt seyn / die des Landes verwiesen / oder / auff ergangene Urtheil / von dem Scharffrichter an ihren Gliedern gestraffet seyn.

4.

So sollen auch die Eltern für / und wider ihre leibliche Kinder / und hin wieder die Kinder für / und wider die Eltern zu zeugen nicht zugelassen / noch Zeugnüß zugeben gezwungen werden / welches auch in den Eheleuten Statt hat.

5.

Andere Bluts-freunde / die ein ander in dem dritten Gradt verwandt seyn / können sich der Zeugnüß entschüldigen / und darzu nicht gezwungen werden / es wäre dann / daß andere bey den Sachen nicht gewesen / und die Wahrheit nicht anders könte erkündiget werden. Wann sie aber gutwillig Zeugnüß geben wollen / können sie zugelassen werden.

6.

Bittet ein Mann den andern an seine Acht oder Berathschlagung / und offenbahret ihm seine [87] Heimligkeit; wolte man hernacher ihn mit demselben Manne überzeugen / das mag nicht seyn.

7.

Alle und jede Personen / die an der angestelten Rechtfertigung Theil oder Gemeinschafft / Nutz / Gewinn / oder Verlust haben / oder dessen etwas daraus gewertig seyn / mügen in derselben Sache keine Zeugen seyn. Gleicher gestalt mag auch der jenige / welcher mit an der Verwundung gewesen / den andern nicht überzeugen.

8.

So mag niemand höher zeugen / als sein Erb oder Zinß werth ist / und als sein Gebeude über den Erbzinß sich an dem Werth erstrecket.

9.

Hätte aber jemand glaubwürdige ehrliche Leute zu Zeugen vorzustellen / die so hoch nicht besessen wären / als die Sache sich erstrecket / und der Zeugenführer Caution leisten würde / den Schaden / welcher aus falscher Zeugnüß sich verursachen möchte / zu erstatten: So mügen solche Leute in der Sache wol Zeugen seyn / gleich als wann sie selbst hoch gnug gesessen wären.

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10.

Wann der Zeuge / zur Zeit des getroffenen Contracts oder Handels / darzu er beruffen wird / Erbgesessen ist / und hernacher sein Erb oder Zinß verkauft / so sol sein Zeugnüß nicht weniger gültig seyn / als da er Erbgesessen gewesen. Wäre aber der Zeuge / zur Zeit des Contracts oder Handels / unbesessen / und hernacher Erb und eigen / oder Zinß erlangte / der kan kein Zeuge seyn / dieweil er zur Zeit des Handels / davon er zeugen sol / unbesessen gewesen ist.

11.

Ein Frembder kan einen Frembden umb Schuld / die ausserhalb dieser Stadt contrahirt ist / mit frembden guten Leuten überzeugen / wofern der Zeuge an andern Oertern so hoch gesessen / als die Schuld sich erstrecket / und solches sol er mit des Herrn / der Stadt oder des Vogts / darunter des Zeuge gesessen ist / Brieffen beweisen.

12.

Von Verwundungen und Schlägen / die in oder vor dieser Stadt Mühlen geschehen / mügen unbesessene Bürgere / und deroselbigen Knechte / die gute Leute seyn / wol zeugen. Da es aber an anderen Oertern [89] geschehen / mügen sie nicht höher als auff drey Pfundt Brüche Zeugnüsse geben. Ist es aber bey Nachtzeiten geschehen / mügen sie wol von Todtschlag und Verwundungen zeugen / so sie die handthafftige That zeugen.

13.

Welche an eines Mannes Brodt seyn / die können in desselben Sache / sich sich bey Tage zugetragen hat / und andere gute Leute dabey gewesen seyn / nicht zeugen. Wäre es aber bey Nacht geschehen / so werden sie zu Zeugen zugelassen; seyn sie aber zur Zeit / wann sie zu Zeugen fürgestellet werden / nicht mehr in seinem Brodt / so können sie auch zeugen / das jenige was in ihrem wehrendem Dienste geschehen ist.

14.

Ein jeder / dem Zeugen zu führen im Recht zuerkandt werden / oder dieselben / zu Beweisung seiner Klage / abhören lassen wil / ist schüldig / diselben / so sie in dieser Stadt oder dero Jurisdiction seyn / in viertzehen Tagen für zustellen / thut er das nicht / er ist der Zeugnüß verlustig: Es wäre dann / daß er durch Ehehafft und Noth daran wäre behindert; die Ehehafft sol er benennen und beweisen / oder mit seinem Eyde betheuren / und sol alsdann zum nechsten die Zeugen fürstellen. Sein aber [90] die Zeugen ausserhalb unser Bothmäßigkeit / so hat er zu Producirung derselben sechs Wochen: Seyn sie aber in einem frembden Königreiche / so sol er dieselben innerhalb Jahrs und Tages / bey Verlust seiner Gezeugnüß / vorzubringen schüldig seyn. Da aber der Zeugenführer in beyden letzten Fällen längere Zeit bedürffte / sol er dieselbige Gerichtlich bitten / welche ihm alsdann / nach angehörter seines Gegentheils Einrede / und gestalten Sachen / zu- oder aberkandt werden sol.

15.

Gleichmäßige Dilation wird dem jenigen gegönnet / der sich auff einen Warendt oder Bürgen / der für die Eviction gelobet hat / ziehen thut / und da der Beklagter den Warendt in bestimbter Zeit nicht producirt, wird er niederfällig erkandt.

16.

Da ein oder mehr Zeugen frembder Bottmäßigkeit unterworffen / sollen dem Zeugenführer auff sein Anruffen von uns dem Rath / oder den Richte-Herren / Compaß-Brieffe mitgetheilet / und die Beweisungs-Articul / sampt der Zeugen Namen / eingeschlossen / dem Richter / darunter die Zeugen wohnen / überschicket / und nach Verhörung der Zeugen / ihre Aussage wiederumm [91] unter der Obrigkeit Siegel verschlossen / anhero ins Gericht gesandt werden.

17.

Wo aber der Gegentheil Uhrsache fürbrächte / daß die geforderte Gezeugnüß durch den andern gefährlicher Weise begehret würde: so mag das Gericht demselben den Eyd aufflegen / daß er solches allein seiner erheischenden Nothdurfft nach / und zu keinem gefährlichen Verzug der Sachen / gethan / und auff geleisteten Eyd sollen ihm Compaß-Brieffe mitgetheilet werden.

18.

Wann die Zeugen allhie zur Stete erscheinen / oder allhie wohnen / sollen sie / wie imgleichen auch der Gegentheil / durch den geschwornen Gerichts-Diener / auff den / von den Gerichts-verwaltern bestimmten Tag und Mahlstette / citirt und erfordert werden / auch zuerscheinen schüldig seyn.

19.

Wo aber ein oder mehr ungehorsam seyn / und Zeugnüß zugeben / ohne erhebliche Uhrsache / sich verweigern würden: So sollen die Richte-Herren denselben von Gerichtswegen / bey Straffe dreißig Marck [92] Lübisch / solches nochmahlen aufferlegen. Und da sie in ihrem Ungehorsahm verharren würden / die Pöen unverzüglich exequiren, und sie die Zeugen nicht destoweniger durch grössere Pöen, Pfandung oder Straffe / Zeugnüß zu geben angehalten werden.

20.

Wann das Gegentheil zu dem vorhabenden Examine, auff einen gewissen Tag und Stunde citiret ist / und nicht erscheinet / sollen die Gerichtsverwaltere nicht destoweniger die Zeugen im Eyd nehmen / und mit dem Examine verfahren / wie hernacher folget.

21.

Wann die Zeugen erscheinen / sollen sie von Zeugenführern / oder seinem Anwalde / fürgestellet / und auff vorgehende Vermahnung und Verwarnung / wegen Straffe des Meineydts / den Zeugen Eyd in der Form als in nechstem Titul folget / persöhnlich leisten / wofern sie dessen von dem Gegentheil nicht erlassen werden.

22.

Und da die Sache hochwichtig / Leib und Lebens Straff auff sich trägt / oder schwere Injurien, und ansehnliche Erbschafft belangen thut / sollen die [93] Gerichtsverwaltere die gedrückte Vermahnung und explicationem des Eyds / den Zeugen vorlesen / und darauff den Eyd leisten lassen.

23.

Wann für Bürgermeistern / Gerichtsverwaltern / oder deputirten Commissarien, gütliche Handlung gepflogen / und nichts verabscheidet / sondern die Sachen durch vorgedachte Raths-Personen für Gericht gewiesen werden / und die Partheyen hernach die Bürgermeister / Gerichtsverwalter / oder verordnete Commissarien / ihrer vor ihnen beschehener Vorträge und verlauffener Händel halben / für Zeugen benennen und fürstellen wolten: so sollten sie in den Fällen / da sie in der Häuptsachen nichts verglichen oder verabschiedet haben / wegen der Sachen die vor ihnen gehandelt / Kundschafft zu geben nicht schüldig seyn / auch von Gerichtswegen darzu nicht gedrungen werden.

24.

Da sie aber Amptshalben / oder aus Befehl und Verordnung des Raths / die Partheyen vertragen / und solches verzeichnet hätten / wird demselben vollenkommener Glaube beygemessen. Hätten sie es aber in Schrifften nicht verfasset: sollen sie / auff der Partheyen Begehren / der getroffenen Vergleichung und [94] Abscheids halben / ihres Wissens Kundschafft zu geben schüldig seyn / jedoch / daß sie mit neuer Beeyedung nicht beladen / sondern bey ihrem geleisteten Raths Eyde gelassen werden / und was sie also / vermittelst ihres Rathes Eyds / zeugen und aussagen werden / darauff / sol im Gericht erkandt werden.

25.

Wann zweene Raths-Personen zu einer Sachen vom Rath deputirt seyn / und dieselbe gütlich vertragen wird / stürbe darnach einer von denselben / so mag der Lebendige wol allein Kundschafft geben / in massen obgedacht / und solches sol stett gehalten werden.


26.

Nach Bereydung der Zeugen / sollen die Gerichts-Verwaltere die Partheyen abweisen / unn einem jeden Zeugen insonderheit die gemeine Fragstücke (wofern der Zeugenführer keine übergeben hätte) vorhalten / und da der Gegentheil besondere Interrogatoria überreicht hätte / einem jeden Zeugen darauff mit Fleiß befragen / und seine Aussage durch den Protonotarium, im fall die Zeugnüß vor dem Rath erkandt / oder der Gezeugen Aussage / an frembde Gericht sollen verschicket werden. Da aber die Attestationes vor den Unter-Gerichten [95] allhie gebraucht werden sollen / durch den geschworenen Gerichts-Schreiber verzeichnen und auffschreiben lassen. Folgends einem jeden die Beweiß-Articul deutlich / unterschiedlich und verständlich fürlesen / und darauff ordentlich befragen; und wann der Zeuge den Articul wahr sagt / umb Uhrsache seiner Wissenschafft fragen / und dieselben dem Examini fleissig einverleiben lassen: Sagt aber der Zeuge zu dem Articul nein: sol es dabey gelassen / und umb weitere Umbstände nicht gefraget werden.

27.

Wann der Zeuge auff die Fragstücke und Beweiß-Articul abgehöret ist / sol demselben die Aussage von Anfang biß zu End / ehe er weg gelassen wird / fürgelesen / damit aller Mißverstandt / so leichtlich im Schreiben fürfallen möchte / gäntzlich auffgehoben werde / und ihm alsdann ein Stillschweigen aufferlegt werden / niemand das jenige / was er gezeuget / zu offenbahren.

28.

Und dieweil ohne Eydsleistung / der Gezeugen Aussage / zu Rechte nicht gültig seyn / so sollen hinführo der Zeugen Aussage / welche vor den Notarien auffgenommen / in unserm Gericht nicht attendirt, sondern gäntzlich verworffen werden. [96] Der Gezeugen Aussage sollen in geheim bey dem Gerichte bleiben / biß der Beklagte seinen Gegenbeweiß / so er einigen zu führen bedacht / verführet hat / und sol es mit des Beklagten Gegenbeweiß durch aus und in allem gehalten werden / wie zuvor gemeldet.