Textdaten
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Autor: Friedrich Bernhard Störzner
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Titel: Der Sebnitzer Schreckenstag
Untertitel:
aus: Was die Heimat erzählt. Sagen, geschichtliche Bilder und denkwürdige Begebenheiten aus Sachsen, S. 99–101
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Erscheinungsdatum: 1904
Verlag: Arwed Strauch
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: SLUB Dresden und Wikimedia Commons
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45. Der Sebnitzer Schreckenstag.

Oft und schwer ist die Stadt Sebnitz von außerordentlichen Wasserfluten heimgesucht worden, so 1573, den 12. Juni 1622, den 6. August 1629, 1651, den 5. Febr. 1655, den 11. Juli 1711. Die größte Wasserflut brach über Sebnitz jedoch am 22. Juni 1714 herein, und dieser Tag wird in der Ortsgeschichte der Stadt Sebnitz als der große Schreckenstag bezeichnet.

Sebnitz um das Jahr 1830.

Am 22. Juni 1714 zog Mittags gegen 1 Uhr während der Betstunde ein heftiges Gewitter auf, bei dem zu Nixdorf ein Wolkenbruch niederging. Hierdurch kam Sebnitz in eine große Gefahr. Plötzlich war der untere Teil der Stadt vollständig überschwemmt und in einen „erbarmungswürdigen“ Zustand versetzt. Das Wasser drang in alle Häuser, die tief standen, und am Markte mußte man fast in allen Häusern aus den Unterstuben weichen. Das Brauhaus, die Frohnfeste und 14 Wohnhäuser wurden weggerissen von der Flut, außerdem noch 11 Scheunen und [100] 9 Brücken. Am anderen Tage schien es, als hätten nie Brücken und Gebäude an dieser Stelle gestanden. Dazu waren noch 62 Häuser und viele Scheunen so beschädigt worden, daß man dieselben abbrechen und neu aufbauen mußte. Das Lusthaus des damaligen Pastors M. Fickler, das am Sebnitzbache auf einem ziemlich hohen Felsen stand, ward durch einen daranstoßenden Giebel aufgehoben und von seiner Stelle weggetragen und zwar gerade in dem Augenblicke, als einige Personen, die in demselben befindlichen Stühle, Tische und Bilder herausnehmen wollten. Alle Keller und sonstigen Gewölbe der Stadt waren vollständig unter Wasser gesetzt. Viele derselben waren so unterwühlt, daß sie bald einstürzten. Zu diesem an den Häusern und Straßen angerichteten Schaden kam noch der Verlust an Feldern, Wiesen und Gärten. Die gute Erde war hinweggespült und an deren Stelle Geröll und Sand geschwemmt worden. Sämtliche Mühlen waren zerstört, und die Leute mußten längere Zeit hindurch in den Mühlen zu Ottendorf und Lichtenhain mahlen lassen. Das Traurigste bei dieser Wasserflut aber war, daß nicht weniger als 5 Personen vom Hochwasser, das so urplötzlich hereinbrach, verschlungen wurden.

In dem benachbarten Nixdorf forderte die Hochflut gegen 20 Opfer. Die hier verunglückten Personen wurden mit der Flut nach Sebnitz getrieben. Mehrere Leichen blieben an den Bäumen mit aufgerissenem Leibe hängen, andere wurden bis in die Elbe getrieben und erst zwischen Dresden und Meißen an das Land gezogen. Damals entstand zur Erinnerung an das traurige Ereignis folgendes Verslein:

„Ach, spiegelt Euch an uns, Ihr Menschenkinder alle,
Wer heute steht, der seh’, daß er nicht morgen falle!
Es kann der große Gott nur durch ein Donnerkrachen
Mit Euch, gleich wie mit uns, ein plötzlich Ende machen.“ –

Der Chronist erzählt von dieser Wasserflut wörtlich noch folgendes:

„Eine rühmliche und menschenfreundliche Handlung, welche sich dabei zutrug, verdient zur Ehre der Menschheit, zum Ruhme des Täters und anderen zum Muster der Nachwelt aufgezeichnet zu werden. Als die Flut anfing, war in Meister Martin Meien’s jun. Hause niemand als seine zwei kleinen Stiefkinder und das Kindermädchen anwesend. Er selbst war verreist und die Mutter in der Betstunde. Das Wasser stieg immer höher, es stieß mit großer Gewalt an dieses Haus, das bereits gänzlich unterwaschen war, und jeden Augenblick befürchtete man, daß es den anderen nachschwimmen würde. Jedermann gibt die Kinder für verloren, aber keiner von den vielen läßt sich einfallen, hier zu zeigen, daß er Mut und Entschlossenheit genug habe, sein Leben zu wagen, um drei gefährdeten Menschen das Leben zu retten. Endlich wagt sich ein hier im Quartier stehender Unteroffizier katholischer Religion mit der größten Lebensgefahr in’s Haus. Er steigt in des Nachbars, des Fleischhauers George Hohlfeld Haus, oben durch’s Dach des bedrohten Gebäudes, in welchem die Kinder um Hilfe jammern und trägt eins nach dem andern über’s Dach in das nebenanstehende Haus. Als er eben mit dem letzten Kinde heraussteigt und fast noch mit einem Fuße in dem schon wankenden Gebäude steht, geht es unter seinen Füßen fort. Nun bricht er von einem Haus in das andere bis an das des Wunderlich. Von hier legt er über die Rathausgasse bis an das jetzige Schafrathische Haus Bretter und bringt die Kinder über die reißende Flut, und endlich klettert er von diesem Hause bis an das gegenwärtig Just’sche, über den tiefen Mühlgraben, in welchem das Wasser einen Wall von Holz aufgetürmt hatte, mit der größten Lebensgefahr auf einer [101] Leiter herüber, und auf diese Art bringt er die Kinder nebst dem Mädchen glücklich in Sicherheit. – Edler Mann! Schade, daß die Geschichte deinen Namen verschweigt! – Als die Mutter aus der Kirche kam und erfuhr, daß ihr Haus schon fort sei, so war sie dennoch nicht ungeduldig darüber, da sie nur ihre Kinder lebendig vor sich sah, obgleich der Verlust, der sie allein betraf, mehr als 1500 Taler betrug.“ –

Auf hohen Befehl wurden am 4. Juli von den Beamten und Forstbedienten alle Häuser, Ställe und Scheunen besichtigt und der Schaden geschätzt. Hierauf wurde der Sachverhalt an den Kurfürsten berichtet, und der edle Landesvater half den so schwer Geprüften, soweit es in seiner Macht stand. Alle von der Wasserflut Beschädigten erhielten auf fürstlichen Befehl Holz zum Bauen und zum Ausbessern der zerstörten Gebäude unentgeltlich geliefert. Doch stellte es sich heraus, daß in den benachbarten Wäldern nicht genug Bauholz vorhanden war, deshalb empfingen die übrigen Geschädigten Geld, um das nötige Bauholz von auswärts beziehen zu können.

Ohne Beihilfe des edlen Kurfürsten wären sicherlich viele Sebnitzer Bewohner damals an den Bettelstab gekommen. Viele Jahre hat es gedauert, ehe alle die zerstörten Häuser wieder aufgebaut waren. Dazu brachten die zum Teil mit Geröll und Sand überschütteten Felder, Wiesen und Gärten viele Jahre hintereinander keine reichen Ernten. Der 22. Juni des Jahres 1714 wird von den Sebnitzern wohl niemals vergessen werden. Gott schütze aber Sebnitz vor der Wiederkehr solcher Schreckenstage!