Der Sclavenstaat Süd-Carolina

Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Sclavenstaat Süd-Carolina
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 135–137
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[135]
Der Sclavenstaat Süd-Carolina.


Die Erde ist klein und eng geworden, seitdem ihr Dampf und Elektricität als Last- und Briefträger dienen. Und was man Kosmopolitismus nennt oder unter diesem Namen vorläufig noch verhöhnt, ist insofern längst Wahrheit und Thatsache geworden, als die fernsten Gegenden und Völker in engerer Verbindung mit einander stehen, als vor hundert Jahren Provinzen ein- und desselben Staates. Welche Wasser- und Ländermassen dehnen sich z. B. zwischen Charleston und Manchester und Elberfeld? Zwischen Süd-Carolina und Norddeutschland? Und doch wird die ärmste Frau in Hinterpommern für die Sünden des kleinsten südlichen Sclavenstaates der nordamerikanischen Republiken bezahlen müssen, wenn dem ausgebrochenen Fanatismus der Sclavenhalter nicht ein rascher entscheidender Sieg der Vernunft und Menschlichkeit ein Ende machen kann.

Die nordamerikanischen Freistaaten sind in Gefahr zu zerfallen[1], sich in zwei bitterfeindliche Gruppen zu zerspalten, stehen auf dem Punkte des tödtlichsten, blutigsten Bürgerkrieges. Süd-Carolina, der kleinste von den Sclavenstaaten, hat angefangen und sich thatsächlich von der Union getrennt. Andere sind ihm bereits mehr oder weniger weit gefolgt. Alles, weil die republikanische Partei in den 33 Republiken eine Majorität bei der Präsidentenwahl erhielt und ihren sclavenfeindlichen Candidaten Lincoln, den ehemaligen Holzhacker des Urwaldes, zum Präsidenten der vereinigten Republiken erwählte. Gegen diese ganz gesetzliche Wahl empörten sich die Sclavenstaaten. Revolution und Bürgerkrieg sind thatsächlich ausgebrochen. Viele hoffen noch auf rasche Beseitigung, ehe die Wuth um sich greift. Noch beschränkt sie sich auf ein sehr kleines Gebiet, aber das böse Blut, worin sie lauert und läuft, pulsirt über Hunderttausende von Geviertmeilen. Was soll daraus werden? Allerdings haben wir im kleinen Europa den Kopf schon voll genug, aber dessenungeachtet müssen wir den amerikanischen Angelegenheiten noch ein Plätzchen zu verschaffen wissen: es sind auch die unsrigen, ganz prosaisch und praktisch genommen.

Zunächst fürchtet England den tödtlichsten Schlag mitten auf den Kopf seiner Haupt-Industrie, wenn die Südstaaten Amerika’s mit den nördlichen in einen Revolutions- oder Bürgerkrieg gerathen. England hat über 1,200,000,000 Thaler in der Baumwollen-Industrie stecken, deren Verwerthung in gerader Linie von den Baumwolle liefernden südlichen Sclavenstaaten abhängt, ebenso das Leben von mehr als 4 Millionen Arbeitern, da England 80 Procent seiner Rohbaumwolle durch Spedition der nördlichen von den Südstaaten der amerikanischen Republiken bezieht. Bürgerkrieg, Revolution, wohl gar Sclavenaufstand in den letzteren heißt Brodlosigkeit für 4 Millionen Engländer und Tod von mehr als 1000 Millionen Thalern, heißt nicht nur rasche Vertheuerung aller baumwollenen Hemden, Strümpfe und Taschentücher, aller baumwollen-leinenen, baumwollen-wollenen und baumwollen-seidenen Schnittwaaren, sondern auch Mangel an Waaren und Werthen, womit jetzt deutsche Industrieartikel im Handel bezahlt werden, heißt also auch Theuerung, schlechtes Geschäft, Brodlosigkeit in Deutschland, das ohnehin schon mit dem übrigen Europa, an den Sünden seiner letzten 12 Jahre büßend, gehörig an schlechten Industrie- und Handelszuständen und an allseitigen Kriegsaussichten leidet.

Und da sollen wir noch die schauderhaften Aussichten Amerika’s zu unserm Unglück hinzufügen?

So schlimm ist’s hoffentlich nicht. Wollen wir auch nicht in feiger Strauß- und Philisterweise unsere Köpfe gegen die Gefahren verstecken, da es immer edler, außerdem vortheilhafter ist, ihnen [136] scharf und standhaft in’s Auge zu sehen, so haben wir doch auch gute Gründe, zu hoffen, daß weder in der alten Welt bei uns, noch in der neuen Welt drüben Bestialität und brutale Gewalt sich sehr und lange breit machen dürfen. Die mächtigsten, die gewaltigsten Bedürfnisse, Wünsche und Nothwendigkeiten aller von Arbeit und Cultur lebenden Menschen sind hundertmal mächtiger dagegen, als alle bis an die Zähne bewaffneten Legionen, Kanonen und Cannibalen dafür schwärmen und wüthen könnten. Süd-Carolina selbst, der tollste Wütherich für Sclaverei, ist ein Beispiel dafür. Dieser Staat ist einer der kleinsten und zählt nicht mehr als 700,000 Einwohner, kaum den vierten Theil Londons, noch nicht das Doppelte von Berlin. Das Merkwürdigste dabei ist, daß die bei Weitem größere Hälfte dieser Bewohner aus schwarzen Sclaven besteht, welche die weiße und freie Bevölkerung um mehr als 100,000 übertreffen. Daneben sind etwa 10,000 freie Schwarze und Farbige nicht zu übersehen. Auch die Sclavenhalter und die freien Weißen ohne Sclaven zeichnen sich vor ihren Collegen in andern Staaten aus; sie sind gebildeter, menschlicher gegen ihre Sclaven, als der rohe Kentuckier und die braungelben Pflanzer von Alabama, Mobile und allen anderen Südstaaten – menschlicher gegen ihre Sclaven, weil diese hier entschiedener blos für Nutzthiere gelten, als anderswo, weil die Lehre, daß diese Lastthiere als Menschen gelten müßten, nirgends so wüthend gehaßt und verfolgt werden, als in Süd-Carolina, weil die Negrophobie, die Furcht vor den Negern als Menschen, freien Menschen, nirgends größer, blässer, zitternder ist, als hier. Sie sind menschlich gegen Sclaven, wie auch der Bauer seine Kuh oft besser behandelt, als seinen Knaben. Aber wehe dem Abolitionisten, dem Prediger der Sclavenfreiheit! Für ihn ist sofort ein Bett von Pech und Federn fertig. Zum zweiten Male ertappt – wird er verbrannt oder gehangen.

Süd-Carolina hat zwei gerühmte Universitäten, Columbia und Charleston, aber kein Professor, kein Student, kein Lehrer, kein Buchhändler darf mit einem Buche ertappt werden, worin das Wort Neger-Befreiung und dergl. vorkommt. Die Censur über Bücher und Zeitungen ist strenger, als sie jemals in Rußland oder Neapel war. Freiwillige Censoren und Bluthunde mit dem feinsten Geruch durchsuchen erst jedes Buch, ehe es innerhalb der Grenzen zugelassen wird. Jedes Buch mit einem Titel der Negersclaverei wird zurückgewiesen oder verbrannt. Keine Zeitung darf je den leisesten Tadel der scheußlichsten Grausamkeiten gegen Neger aussprechen. Von den Kanzeln donnert es fürchterliche Bannflüche gegen die Abolitionisten und träufelt es biblischen Segen auf die von Gott geordnete Sclaverei. Theater, Kirchen, Schulen, Universitäten, Buchhändler, Zeitungs-Redacteurs, öffentliche Vergnügungen und Gesellschaften stehen unter den Argusaugen freiwilliger Vigilanz-Committees, patriotischer Polizei-Spione. Jeder Weiße ist außerdem bewaffnet, stets in Furcht vor den gräßlichen Rachescenen von St. Domingo. – Diese maßlose, begründete, allgemeine Furcht wird sich auch bei Annäherung eines etwaigen nordischen Freiheitsheeres, vielleicht schon in den ersten Augenblicken ernstlichen Bruches geltend machen, da der Norden, die Abolitionisten im Falle wirklichen Kriegs sofort in den Schwarzen der Sclavenstaaten die furchtbarsten Hülfstruppen satanisch mobil machen könnten. Dieser Umstand allein wird den Bruch, den Krieg just in den Südstaaten unmöglich machen, wenn sie nach ihrem ersten Fanatismus nur im Geringsten zur Besinnung kommen. Freilich kann diese leicht zu spät kommen in diesen südlichen siedenden Kesseln der Leidenschaft. –

Die Zahl sämmtlicher Sclaven in allen vereinigten Staaten ist seit 1850 von 3,200,000 auf mehr als 4,000,000 gestiegen. Sie gehören 350,000 Herren, von denen aber die meisten weniger als 10 haben, so daß sich die Zahl der großen Sclavenhalter noch nicht auf 100,000 erhebt. Daraus ersieht man leicht, daß die Menge der armen, freien Weißen, die wenige, vielleicht einen, öfter gar keinen Sclaven als Dienstboten halten können, ungemein groß ist und sich bei stets gestiegenem Preise der „schwarzen Waare“ immer vermehren muß. Diese Weißen sind durchweg sehr arm, sehr verachtet von den großen Grund- und Sclavenbesitzern und spielen als Handwerker, Gastwirthe, Prediger, Doctoren, Gelehrte und Gebildete im Allgemeinen eine wahrhaft jämmerliche Rolle, da sich Viele – in Abhängigkeit von den Sclavenhaltern – freiwillig zu Sclaven und Liebedienern derselben machen. So sind sie natürlich auch grimmige Feinde des Evangeliums von der Freiheit der Neger, die sie eben so gut zu den Thieren rechnen, wie dies die Besitzer thun. Aber im Falle eines wirklichen Bürger- und Sclavenkrieges werden sie nur so lange auf Seiten der Macht stehen, als diese Macht besitzt. Ein Sieg der Freiheits-Partei, der kaum ohne Sclavenerhebung denkbar ist, liefert sie moralisch und materiell in die Hände des Siegers.

Hunderttausend Sclavenhalter! Verzehnfachen wir auch Jeden im Kampfe, so haben sie doch noch immer vier Millionen Schwarze in ihren eigenen Besitzungen, mitten in ihren Höfen und Häusern gegen sich. – Und dazu ein Feind von außen? Man kann sich kaum erklären, wie unter solchen Verhältnissen und Aussichten die trotzigste Revolution der Trennung, der Lossagung von dem mächtigen, vereinigten Staatenbunde in dem kleinsten Sclavenstaate entstehen und sich zum fanatischen Trotze ausbilden konnte. Es sieht wie absichtlicher Sturz in das Verderben aus. Nur maßlose Furcht, blindes Entsetzen konnte sie so weit treiben und stürzen.

Süd-Carolina liefert nicht nur die beste Baumwolle, sondern mehr noch den besten Reis. Für letzteren muß der heiße Boden noch künstlich feucht gehalten werden, so daß in diesen miasmatischen Dünsten eben nur Schwarze unter der Peitsche arbeiten können. Diese reichen trotz großer Menge nicht mehr hin, so daß sie immer theurer werden und entlaufene Sclaven mit besonderer Wuth und Schärfe verfolgt, die gefesselten bewacht werden. Flüchtlinge suchen sich gern in einem fremden Schiffe der Häfen von Charleston oder Beaufort zu verbergen, wenn sie nicht durch geheime weiße Freunde auf der „unterirdischen Eisenbahn“ befördert werden können. „Unterirdische Eisenbahn“ nennt man ein an den meisten Sclavenstaatengrenzen ziemlich gut eingerichtetes System der „Abolitionisten-Gesellschaft,“ entsprungene Sklaven nach Canada zu schmuggeln. Die Gesellschaft hat ihre Agenten in allen größeren Städten und Plätzen des Südens in ziemlich zusammenhängenden Stationen. Der Sclave wird in der Nacht, oft als Waare, Baumwollen-Ballen oder Tonne Reis von einer zur anderen befördert, bis man ihn über der Grenze auf freiem Boden abliefern kann. Hier haben sich aus solchen Geretteten schon mehrere Dörfer freier Schwarzer gebildet, besonders am Erie-See, wo sie durch Fleiß und Ordnung gedeihen, obwohl sie hier im Winter ärger von der Kälte leiden, als vorher von der Hitze.

Es ist natürlich sehr gefährlich, Beamter der „unterirdischen Eisenbahn“ zu sein. In den Sclavenstaaten selbst trifft den Ertappten die Lynch-Justiz oft, ehe das grausame Gesetz einschreiten kann. Er wird todt geschlagen, gehängt, verbrannt oder sonst cannibalisch todt gemartert. Dies gilt besonders von Süd-Carolina, wo die Sclaven unentbehrlicher, theurer und nothwendiger sind, als irgendw. Süd-Carolina ist zugleich eine Sclavenzüchterei, wo die Fortpflanzung der Schwarzen begünstigt und die Erziehung des jungen Nachwuchses zu guten Arbeitsstieren gepflegt wird. Virginien, Tennessee und Kentucky treiben dieselbe Zucht, aber nur, um das junge „Vieh“ an die Pflanzer der reichen, ungesunden Mississippistaaten, wo die Schwarzen immer schnell „verbraucht“ werden, zu verkaufen. Süd-Carolina behält nicht nur seine Zöglinge, sondern muß auch noch immer hinzukaufen, so daß hier die Forderung, Sclaven direct von Afrika einzuführen, am Unverschämtesten gemacht und zum Theil auch befriedigt wird. Ein reicher Herr von Süd-Carolina brachte unlängst eine eigene Yacht voll Neger von der Goldküste Afrika’s und verkaufte sie im Durchschnitt à 500 Dollars per Stück. Auch sind die „freien“ Farbigen stets in Gefahr, wieder unter den Hammer gebracht und verkauft zu werden. Diese Freien haben es vielfach schlimmer, als die leibeigenen Brüder. Eine große Menge Beschäftigungen und Industrien, alles Lehren und Lernen, alle geistigen Arbeiten sind ihnen verboten. Jeder, der einem freien Farbigen nur das A B C beibringt, wird mit Gefängniß, Auspeitschung und Ausweisung bestraft. Jedes Schiff, welcher Nation es auch gehöre, das einen freien Farbigen in Süd-Carolina an’s Land läßt, muß warten, bis es wieder in See geht, ehe es ihn wieder bekömmt. Während der Zeit mußte er im Gefängniß sitzen. Die meisten Schiffe, dort landend, haben schwarze Matrosen, farbige Stewards und Köche, so daß die Capitaine und Mannschaften, die etwa den Koch unbewußter Weiße an’s Land schlüpfen ließen, nicht selten Monate lang ohne den Koch kochen müssen. Die Süd-Caroliner gebrauchen diese Nummer Sicher gegen freie Seeleute, damit sich die Zahl der freien Farbigen in [137] ihrem Lande nicht etwa um einen oder den anderen durchgegangenen Matrosen vermehre.

Das sind südcarolinische und mehr oder weniger sclavenstaatliche Zustände überhaupt.

Sind das Zustände! Freie Republiken mit Bildung, mit Universitäten, und tyrannischer und unter größerer Angst, als etwa ein Bourbon in den letzten Tagen seiner Herrlichkeit von Gottes Gnaden. Können sie sich halten, wohl gar siegen gegen den Norden? Nach menschlicher, mathematischer Voraussicht nicht. Man darf deßhalb hoffen, daß sie aus ihrer revolutionären Trennungswuth in ihre Furcht vor den Folgen zurückkriechen und auch ferner noch Baumwolle bauen werden. Oder wird sich doch die unvermeidliche Krisis schon ausbilden und erledigen? Wenn man den Muth hat, über die unmittelbaren Schrecken und Handelskrisen, über die Millionen von englischen Baumwollenspindeln, Webstühlen und Webern hinwegzublicken und nach dem Ergebnisse zu urtheilen, wird man dies wünschen und willkommen heißen. Was wird die Folge sein? Freie, mehr leistende Arbeiter, wo jetzt Sclaven gepeitscht werden, wenn auch nicht just auf denselben Stellen. Baumwolle kann leicht durch Indien, Jamaica etc. geliefert oder auch, wie früher, durch schöne Leinwand, durch Sammt und Seide – ersetzt werden.

Die Baumwollen-Industrie in allen ihren Zweigen und so recht bis in die Zollvereinsstaaten hinein ist ein Fluch der Menschheit geworden. Ihr Untergang oder Rücktritt unter die Bedingungen freier Arbeit wäre ein Segen für uns Alle, die Auferstehung und goldene Blüthe viel edlerer Bodenbenutzung, viel schöneren Kunstfleißes mit Händen und Maschinen. – –

  1. Ueber die augenblickliche Krisis in Amerika und deren Ursachen werden wir in nächster Nummer einen aufklärenden Artikel bringen.
    D. Red.