Der Schuhplattltanz im bairischen Gebirge

Textdaten
<<< >>>
Autor: Karl Stieler
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Schuhplattltanz im bairischen Gebirge
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 651–654
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[651]
Der Schuhplattltanz im bairischen Gebirge.[1]

Das ideale Moment des Tanzes liegt in der ungebundenen Entwicklung schöner Formen, ja man könnte fast sagen, wie vom Staate, in der vernünftigen Freiheit. Darin, daß jedes Paar wie ein zweispänniger Wagen durch den Saal galoppirt, liegt beinahe kein Tanz mehr. Das ist eine Hetzjagd, eine Spazierfahrt, bei der selbst die unbewußte Aesthetik, die wir in uns tragen, abgeworfen wird.

Von jeher waren die Gebirgsvölker im Tanze ausgezeichnet; aus ihrer eigenartigen Lebenssphäre, aus charakteristischen Naturerscheinungen sind die Vorbilder für denselben genommen. Dies gilt auch vom weitberühmten Tanze des bairischen Hochlandes.

„Es liegt eine starke Sinnlichkeit darin,“ sagt ein norddeutscher Schriftsteller[WS 1] in seiner Schilderung; aber diese Sinnlichkeit ist eine schöne, wie sich Goethe ausdrückt. Und wo sie nicht bis in’s Gebiet des Schönen reicht, da ist sie wenigstens gesund, denn ihr Boden ist die Kraft und ihr Ziel die Grazie.

Das Vorbild des Schuhplattltanzes (der nicht von „Schublade“ kommt, wie einst ein allerliebstes Fräulein meinte) ist dem Jägerleben entnommen. Es stammt vom Spielhahn und von der Auerhahnbalz.

Wenn sich das Frühjahr regt, wo das Eis noch tief in den Bergen liegt, wenn die erste Dämmerung graut, dann schleicht der Jägerbursch’ hinauf – lautlos zwischen den kahlen Aesten. Dort kreist auf dem flachen Schnee der schwarze riesige Auerhahn um die flatternde Henne. Er springt heran und flieht, er schnalzt und zischt und überschlägt sich in tollen Sprüngen. Ich finde kein anderes Wort – er tanzt.

Daß dies Gleichniß auch im Bewußtsein des Volkes lebt, das zeigen am besten seine Lieder.

„Wenn der Spielhahn d’Henna kleinweis zu ihm bringt,
Wenn er grugelt, wenn er tanzt und springt,
Und dann lern i’s von dem Spielhahn droben halt,
Was im Thal herunt die Diendln g’fallt.

Denn die Diendln die san
Ja grad nett, wie die oan,
Wer nit tanzt und nit springt,
Der bringt’s ninderscht zu koan,“

Und der Jägerbursch’ nimmt sich das gute Beispiel zu Herzen, wenn er „im Thal herunt“ auf den Tanzplatz geht.

Beim Schuhplattltanz sind die Rollen der beiden Geschlechter streng getheilt und zwar in der Weise, wie sie die Natur getheilt hat. Das eigentlich active Princip ist der Mann; ihm steht die Leitung, ihm steht das Ergreifen zu. Das Mädchen hat die Rolle des Erwartens. Der Beginn ist sachte. Wenn die jubelnden Triller des Ländlers in die Höhe steigen, tanzen sämmtliche Paare einigemal mit großer Gelassenheit herum. Plötzlich aber verlassen die Bursche ihre Mädchen. Sie dürfen sie nicht stehen lassen, denn das wäre selbst nach Bauerngalanterie eine Grobheit; sie müssen ihnen entschlüpfen – unbehindert, unversehens. Die Leichtigkeit, mit der die Mädchen sich unter dem erhobenen Arm des Tänzers durchwinden, mit der die Paare sich plötzlich lösen, macht diesen Moment ganz reizend. Dann kommen wilde, rasende Augenblicke.

Während die Mädchen sich sittsam um die eigene Achse drehen, springen die Burschen jählings in die Mitte und bilden dort einen inneren Kreis. Die Musik wird stärker. Sie beginnen zu stampfen und mit den braunen Händen auf Sohlen und Schenkel zu schlagen. Ein schrilles Pfeifen tönt dazwischen. Man muß diese baumlangen Kerle, man muß diese zolldicken Nagelschuhe gesehen haben, um zu ahnen, was das für ein Getöse wird. Der Boden dröhnt und die Decke zittert, die Musik wird stürmisch wie die Posaunen von Jericho – aber man hört sie kaum mehr. Hören und Sehen vergeht einem ganz. Mitten im Gewühl schlägt einer ein Rad, als müßt’ er den Kreuzstock in Splitter schlagen; ein anderer springt zu Boden, als sollte Alles in der nächsten Secunde parterre liegen.

Allmählich wird die Musik wieder mäßiger; die frechen Trompeten [652] holen Athem – Piano – Pianissimo, und die Bursche kehren zurück zu ihren Mädchen. Jetzt kommt der Auerhahn. Schnalzend, pfeifend springt Jeder der Seinen nach, während das Deand’l in ununterbrochenen Kreisen ihm entflieht. Wie der Hahn die Flügel, hat er die Arme ausgespannt; bald duckt er sich vor ihr zur Erde, bald springt er sie in wildem Bogen an. Endlich hat er doch das Diend’l „g’fangt“.

Abenteuerliche Verwickelungen und Formen kommen dabei zu Tage, und im Schnaderhüpfl heißt es:

Die richtigen Diend’ln
Dös sän halt die kloan,
Die wickeln sich gar a so
Umi um oan.

Wenn der Tanz zu Ende ist, dann führt der Bursch sein Mädchen zum steinernen Kruge und läßt sie trinken. Dieser Trunk ist ebenso obligat, als das stumme Compliment, womit der befrackte Tänzer seiner Dame dankt. Er wird niemals abgewiesen, und keine entsetzte Mama stürzt herbei und ruft: „Kind, um Gotteswillen, Du bist echauffirt!“

Drinnen beim steinernen Krug im Nebenzimmer sitzen auch die Alten und disputiren, dieweil die Jugend außen tobt. Hier wird geplant für die Zukunft und geschimpft auf die Gegenwart – köstliche Genrebilder, für den, der sie malen könnte! Auch das Orchester zeigt drollige Figuren, wenn’s einmal tiefer in die Nacht geht. Da fallen dem müden Spielmann die Augen zu, und wenn er Nerven hätte, „wie die Groschenstricke“. Immer tiefer, immer zärtlicher sinkt sein Haupt auf die Baßgeige herunter, in deren Saiten er verzweifelt wühlt. Den Hornisten muß man zu jedem Tanz erst wecken, und selbst dann greift er gewöhnlich in der Eile nach dem Maßkrug statt nach dem Instrument. Nur die Bursche und Diend’ln „lassen nicht leicht aus“, bis der Morgen graut. „Das ist ein guter Nachtvogel,“ heißt es beinah von Jedem, „wenn er sechs Nächt’ nit schlaft, treibt er’s die siebente noch ärger.“

Die herrschende Tanzweise im Gebirge ist der Ländler, nur wenn an Kirchweihtagen die Handwerksgesellen des Ortes auf den Tanzplatz kommen, bestellen sie sich einen Walzer. Sind vollends ein paar Mistschaufler aus irgend einem herrschaftlichen Stalle da, so kommt es wohl gar im Einverständniß mit den mitsprechenden Köchinnen und Kammerkatzen zur Polka. Dieses Proletariat, das seine frechen Manieren mit halbeleganten Kleidern deckt, verunglimpft auch die Tanzböden, seit der Fremdenzug so viele vornehme Herren in’s Gebirge führt, und ist der Echtheit bäuerlichen Wesens mannigfach gefährlich.

Trotzdem bleibt der Tanzplatz noch immer ein sehr exclusiver Ort, wo die Lynchjustiz mehr Ansehen hat, als die Polizei. Auch das Tanzen ist nicht frei gegeben, sondern von den Anwesenden thun sich je acht bis zehn zusammen und bilden eine sogenannte „Schaar“. Solcher Schaaren, in welchen lauter gute Freunde oder Gemeindegenossen beisammen sind, giebt es etwa sechs bis sieben und für diese wird der Reihe nach aufgespielt. Jeder Tanz kostet einen Gulden, der durch Umlagen im Innern der Genossenschaft gedeckt wird. In dieser Weise bethätigt sich selbst beim Vergnügen der Genossenschaftstrieb, der so tief in allen Verhältnissen deutschen Rechtes und deutscher Cultur begründet ist.

Es ist auffallend, wie ablehnend sich auch die Mädchen gegen Fremde verhalten. Sie tanzen nicht gern mit einem „Herrischen“, denn größer, als die Ehre ist, wäre für sie die Schande, wenn dieser mit den ungewohnten Formen nicht zurecht käme. Auch kommt ein Mädchen bei Burschen ihres Gleichen leicht in Mißcredit, falls es sich einem Städter hold erzeigen wollte, weil man nach landesüblichen Begriffen gleich einen Schluß vom Wenigen auf Mehreres ziehen würde. In Galanteriesachen aber gilt noch heut der Grundsatz des Alterthums, daß der Fremde rechtlos ist.

Koketterie und Eifersucht, Eitelkeit und Rivalität giebt es auch auf dem Tanzplatz in den Bergen. Sie sind allenthalben, wo Menschen sind, sie bilden die Kehrseite der Oeffentlichkeit, der Geselligkeit. Dennoch hat hier die Geselligkeit ein von der städtischen verschiedenes Gepräge, sowohl was die Mischung der Elemente anlangt, als den Zweck. Vor Allem ist es bemerkenswerth, daß die Mädchen nicht von ihren Müttern begleitet werden. Diese erscheinen (außer bei Hochzeiten) niemals auf dem Tanzplatz, und vergeblich wird der Fremde jene würdigen Frauen suchen, denen er bisweilen im Salon begegnete. Ich meine jene Frauen, die stets durch die Lorgnette in die Zukunft ihrer Töchter blicken und mit eigenen Händen Propaganda für die Hand derselben machen. Es fehlt auf dem Lande die Absichtlichkeit, die das gesellige Zusammensein der großen Welt vergiftet. Im Charakter des Gebirgsvolkes überwiegt der Hang zu freier, ungebundener Bewegung bei weitem den Speculationstrieb; auch die Erziehung folgt diesem Zuge. Sobald es geht, wandeln Söhne und Töchter ihren eigenen Weg, der Bua hat sein Madel und das Madel hat seinen Buben, und erst wenn die Thatsachen allzu lebendig sprechen, giebt es Conflicte. Inzwischen sagen sich Vater und Mutter, daß sie’s auch nicht anders gemacht haben. Da ist es kein Wunder, wenn die Mädchen ganz allein auf den Tanzplatz kommen und wenn dort ein frischer, verwegener Ton regiert; aber selten gebricht es diesem Tone an Witz.

Beim Tanze liegt der Uebermuth fast in der Luft, Niemand ist vor seinem Ausbruch sicher, und am wenigsten, wie sich’s von selbst versteht, die Fremden. Noch heute muß ich an eine Scene denken, deren Augenzeuge ich vor Jahren in Egern war. Es befanden sich daselbst ein paar alte, dicke Damen von Adel, die mit bornirter Geschwätzigkeit sich über den Tanz moquirten. Plötzlich ging ein Holzknecht auf eine dieser verjährten Grazien los und forderte sie scherzhaft zum Tanze auf. Die Alte war sprachlos vor Entrüstung. Jener aber, an Körbe nicht gewöhnt, faßte sie ruhig um die Hüfte und im nächsten Augenblicke drehten sich die Beiden im rasenden Gewühle. Es sah aus, als hätte ein Mühlrad die Dame erfaßt, so blitzschnell, so unwiderstehlich war diese Rotation. Die seidene Mantille, die Bänder des würdigen Hutes flogen, es gab kein Entrinnen und keine Hülfe. Der Alten standen vor Wuth die Thränen in den Augen, aber sie tanzte, sie mußte tanzen, denn wer stehen bliebe, würde zertreten. Wohl schien es, als sei ihr letztes Stündlein gekommen, und schier wäre das Schnaderhüpfel für sie zur Wahrheit geworden, das da lautet:

Wenn ich amal stirb, stirb, stirb,
Spielt’s mir an Ländler auf,
Na tanzt mei Seel, Seel, Seel,
Pfeilgrad in Himmel ’nauf!

„Non, – je – meurs,“ flüsterte sie dem Holzknecht zu; der aber sprach:

„No mehr? Mir ist’s schon recht, wenn’s Dir nit damisch wird.“

Bedenklicher, als solche Scherze, sind die Balgereien, die nicht selten einen Tanz begleiten und wie der trojanische Krieg allezeit vom Weibe ausgehen. Auch hier habe ich eigenhändige Erfahrungen gesammelt, und es muß im Widerspruchsgeiste des Menschen liegen, daß er eine besondere Anhänglichkeit für jene Thüren bewahrt, wo er einmal hinausgeworfen wurde. Der Balcon von St. Quirin bleibt mir in dieser Beziehung ewig denkwürdig. Da bildeten sich auf einmal während des Tanzes zwei Parteien, ich weiß nicht mehr, auf welche ich durch das Gesetz der Schwere geschoben ward. Erst flogen die Hiebe, dann flog der Kreuzstock und durch diesen wurden etwa zwei Dutzend Personen auf den Balcon hinausgedrückt. Dann flogen wir selber, denn nach wenigen Secunden stürzte der Altan mit dem ganzen „schätzbaren Material“ zu Boden. „Herrgott,“ dacht’ ich im Fliegen, „mir thun nur die Gesandten leid, die Anno 1618 in Prag zum Fenster hinausgeworfen wurden; jetzt weiß ich erst, wie ungemüthlich dieses ist.“ Im Ganzen bin ich ebenso gut entronnen, wie die Gesandten, nur ein paar blaue Flecke hab ich noch lange zur Erinnerung an das Ereigniß bewahrt. Man findet bisweilen solche Vergißmeinnicht in den Bergen.

Nach städtischen Begriffen reicht die Galanterie eines Tänzers nur bis an die Schwelle des Saales. Bis dorthin geleitet er, wenn der Ball zu Ende ist, sein echauffirtes Schätzchen, dann macht er ein schmerzliches Compliment und geht. Der Jean aber holt einen Fiaker und in mütterlicher Obhut fährt das Fräulein nach Hause.

Im Gebirge führt der Bursch sein Mädel heim; es ist dies Recht und Pflicht für ihn. Zwischen Feldern und Wäldern zieht der Weg in’s Thal hinein, wo die einsamen Häuser am Fuße der Berge lehnen. Ueber den Bergen aber ist der Mond emporgestiegen und glitzert auf den Wellen. Es ist so stille. Nur die Bäume regen sich leise. Nur der halblaute Schritt hallt durch die Nacht. Langsam gehen die Beiden dahin, wer könnte schneller gehen in solcher Stunde? Schulter ist an Schulter gelehnt und

[653]

Der Schuhplattltanz in Oberbaiern.
Originalzeichnung von O. Rostosky.

[654] der Feldweg so schmal, daß man das feuchte Gras mit den Händen streifen muß.

Mitten im grünen Laub liegt ein Haus verborgen, wo der Schatz daheim ist. Das Silberlicht glitzert in den Scheiben, der Brunnen vor der Thür rauscht, rothe Nelken hängen über das braune Geländer. Leise huscht das Mädchen hinauf und dann öffnet sich das Fenster und ein Bild mit blonden Zöpfen lugt herab. Lange noch bleibt ihr Liebster stehen, lange noch plaudern die Beiden. Es hört sie Niemand – der Brunnen rauscht …

Allein nicht allezeit verläuft die Scene so idyllisch. Gar oft verlegt auch der Begleiter seinen Standpunkt nach oben und die Geschichte kommt dahin, wohin es bei Romeo und Julie gekommen ist, nur daß unsere Beiden den Pater Lorenzo entbehrlich finden.

Von der Kanzel herab und von der Verwaltungsbehörde wird gewaltig gegen diese Promenaden geeifert, allein die Bauern denken: Ländlich, sittlich!

Die Neigung derselben, jedes Fest durch Excesse zu verherrlichen, hat auf Seiten der Polizei eine Neigung geweckt, solche Feste überhaupt zu beschränken. Die Polizeistunden werden verschärft gehandhabt; die Kirchweihen sind im ganzen Gau auf den nämlichen Tag verlegt worden. Für den Verwaltungsmann sind diese Maßregeln freilich nothwendig, für den Culturhistoriker geht doch manches Echte verloren. Volksthümlichkeit ist ein harter Kaufpreis für die Ordnung!

Nur auf den Almen herrscht noch die alte Ungebundenheit; denn diese liegen fünftausend Fuß über dem Polizeistrafgesetzbuch. Auch hier wird getanzt, ohne Handschuhe, ja bisweilen selbst ohne Schuhe, und dennoch ist’s unsäglich lustig!

Auf dem Heerde sitzt der Hüterbub und schlägt die Beine übereinander, daß die braunen Kniee am Feuer glänzen. Den Hut mit der Hahnenfeder hat er tief in die Stirn gerückt und bläst die Schwegelpfeife, das kleine Instrument, auf dem die Ländler so schneidig klingen.

Und wie er so ruhig sitzt und wie die Funken so knisternd hüpfen, da kommt es den Sennerinnen, die zum Haingart beisammen sind, mit einmal in die Füße! Wie gut ist’s jetzt, daß gerade heute die beiden Jägerburschen hier oben sind, die des Nachts den Hirsch im Wald anpürschen wollen! Auch ein Holzknecht hat gestern zugesprochen, und ehe man weiß, wie es kam drehen sich drei Paare im circulus vitiosus!

Der Raum ist freilich klein, allein was thut’s zur Sache? um so heller klingt das Stampfen, um so öfter geht’s herum!

Da droben in dieser friedlich primitiven Einsamkeit ist man auch duldsamer gegen die „Herrischen“; denn wenn Fremde auf den Hütten übernachten, so werden sie freundlichst zur Theilnahme an solchen Bällen aufgefordert. Und welches Mädchen sagt in diesem Falle Nein?

Kaum daß die ersten Jodler hinunterklingen zur unteren Hütte, wo die Herrschaften campiren, klettern die Fräulein im Plaid empor und lugen neugierig durch die halb geöffnete Thür. „Geht’s eini!“ ruft der Jägerbursch mit den Fingern schnalzend und jetzt huschen sie lachend herein – die Gräfin Helene und die sanfte Mathilde und das schöne Mariechen. Schmeichelnd faßt sie der Jäger bei der Hand, wo das Demantringlein funkelt, und im nächsten Reigen tanzen die drei vornehmen Fräulein. Ei, wie lustig ist doch Alles, was gegen den Brauch ist! Anfangs geht’s wohl ein wenig „daneben“; besonders die blonde Kleine ist widerspenstig. „Wart’,“ raunt ihr der Jäger in’s Ohr, „Du wirst schon noch folgen lernen, wenn einmal der Eh’tanz losgeht, wenn der Rechte kommt!“

Draußen um die Hütte flattert der Wind, das Almengeläute klingt aus der Ferne. Hin und wieder trat eines der Mädchen hinaus und horchte. Dort stand die blonde Kleine und strich mit den trotzigen Händchen das Haar aus dem heißen Kindergesicht.

„Ja, wenn der Rechte kommt!“ so dachte sie leise, und fragend sah sie einer Sternschnuppe nach, welche vom glitzernden Himmel tief in’s Thal hinabfiel.
Carl Stieler.     



  1. Unsere urheitere Illustration hat eine traurige Bedeutung erlangt dadurch, daß sie das letzte Werk des so hochbegabten und glücklichthätigen Künstlers geworden ist. Wie unsere Leser bereits aus den Zeitungen wissen, ist der aus Leipzig gebürtige Maler O. Rostosky im Laufe dieses Sommers in München gestorben.
    D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Fanny Lewald, Augsburger Allgemeine Zeitung, 1859, Nr. 238