Der Schriftsteller als Modell

Textdaten
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Autor: Eduard Kauffer
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Titel: Der Schriftsteller als Modell
Untertitel:
aus: Der Nürnberger Trichter, Nr. 10, S. 37–39
Herausgeber: Eduard Kauffer
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1848
Verlag: Friedrich Campe
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Erscheinungsort: Nürnberg
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Quelle: MDZ München, Commons
Kurzbeschreibung:
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Der Schriftsteller als Modell.

Vor ungefähr zweihundert Jahren lebte in Paris ein junger Schriftsteller, eben so bekannt durch sein Talent, als wegen seiner Häßlichkeit, die, was menschliche Häßlichkeit betrifft, nicht so leicht übertroffen werden konnte. Sein Gesicht war von den Pocken im hohen Grade entstellt und auch außerdem so mißgestaltet, daß eine geistreiche Dame, die Frau von Sevigne, von ihm zu sagen pflegte: „In der That, dieser junge Mensch mißbraucht das Privilegium der Männer, häßlich zu sein.“

Nichtsdestoweniger war Paul – so hieß der junge Schriftsteller – in seiner Jugend sehr von sich eingenommen und glaubte überall Eroberungen zu machen, eine Meinung, von deren Grundlosigkeit er durch einen ziemlich pikanten Vorfall überzeugt werden sollte, der, als er bekannt wurde, dem lachlustigen Paris auf mehrere Tage Stoff zur Unterhaltung gab.

Die Geschichte ist folgende.

Paul hatte eines Tages sein Zimmer und die ehrenwerthe Gesellschaft der Klassiker, die er mit großer Vorliebe studirte, verlassen, um außerhalb des Hauses frische Luft zu schöpfen und sich Bewegung zu machen. Fröhlich durchirrte er die Straßen, wo das bunte Gewühl, die rastlos auf- und niederfluthende Menschenmenge, die in den Schaufenstern der Kaufgewölbe befindlichen Gegenstände ihm Unterhaltung und Vergnügen gewährten. Die Zeit verging, er wußte nicht wie.

Schon wollte er sich wieder nach Hause begeben, als er eine Dame von auffallender Schönheit bemerkte, eine hohe junonische Gestalt mit dem niedlichsten Fuße, der je über das Straßenpflaster des neuen Babylon geschwebt. Ihr Gesicht war fein und zart. In den Grübchen der Wangen stritten sich Anmuth und Schalkhaftigkeit um die Herrschaft, und Schamhaftigkeit und Wollust zugleich blitzten aus zwei großen schwarzen Augen hervor.

Das ohnehin leicht entzündbare Herz des häßlichen Paul wurde durch den Anblick so außerordentlicher Reize in lichte Flammen versetzt. Er suchte sich der Dame bemerklich zu machen und war mehr als glücklich, als ein, wenn auch flüchtiger, doch vielversprechender Blick ihrer Sonnenaugen auf ihn fiel und ein bezauberndes Lächeln ihm zu sagen schien, daß er einen günstigen Eindruck auf sie gemacht.

Die Dame bog jetzt in eine von den kleinen und dunklen Gassen ein, welche wie Bäche in die Ströme der Hauptstraßen von Paris einmünden. Paul folgte ihr mit der Treue eines Pudels, beflügelte, von Sehnsucht und Liebe getrieben, seine Schritte und befand sich bald dicht neben ihr. In diesem Augenblicke, den die Schöne erwartet zu haben schien, ergriff sie seine Hand und lud ihn ein, ihr zu folgen.

[38] „Mit tausend Freuden!“ rief der junge Dichter begeistert aus. „Ein Engel wie Sie kann nur zum Paradiese, zu den Seligkeiten des Himmels führen.“

Die Juno vom Seinestrande lächelte und erwiederte den Ausbruch seines Entzückens mit einer der Artigkeiten, welche die Gesellschaft nur deswegen erfunden zu haben scheint, um mit vielen Worten nichts zu sagen.

Unter gleichgültigen Gesprächen gingen sie weiter und gelangten, nachdem sie eine Menge von Gassen durchschritten hatten, an ein Gebäude, dessen verwittertes, vom Regen dunkelgefärbtes Aeußere auf ein hohes Alter zu schließen berechtigte.

„Wir sind am Ziele,“ sprach die schöne Unbekannte. „Bestehen Sie noch darauf, mir zu folgen?“

„Ich habe es Ihnen versprochen.“

„Und werden Sie mir eine Bitte erfüllen, die ich später an Sie richten werde?“

„Jede, sobald deren Erfüllung kein Verbrechen bedingt.“

„Dann kommen Sie!“ flüsterte die Dame, ergriff seine Hand, die sie zärtlich drückte, und führte ihn in das Haus, das auf ihr Klopfen von einem alten Diener geöffnet worden war. Stumm steigen sie eine Wendeltreppe hinauf, gehen über einen finstern Corridor und treten endlich in ein Zimmer.

Der Schriftsteller, welcher ein kleines reizendes Boudoir vermuthet hat, ist nicht wenig erstaunt, einen einfachen, großen Saal zu erblicken, dessen weiße Wände mit theils schon vollendeten, theils erst angefangenen Gemälden bedeckt sind. Sein Verdruß wird außerdem durch einen Mann vermehrt, welcher vor einer Staffelei sitzt und sich nicht einmal herabläßt, die Eingetretenen zu begrüßen. Eben so unerklärlich ist ihm das Benehmen der Dame, welche plötzlich, ohne ihn weiter eines Blickes zu würdigen, das Zimmer verläßt, nachdem sie zu dem Maler gesagt hat: „Hier ist der Mann, von welchem ich gesprochen. Ich glaube, daß er Deinem Wunsche nachkommen wird.“

Paul steht wie auf Nadeln. Er weiß nicht, welche Rolle er in diesem Hause spielt, noch welchen Ausgang sein Abenteuer nehmen wird, und giebt sich abwechselnd der Hoffnung und dem Argwohn hin. Als aber eine Minute nach der andern vergeht, ohne daß die Unbekannte zurückkehrt oder der Mann vor der Staffelei ihn anredet, kann er seinen Aerger nicht länger zurückhalten. Er nähert sich dem Maler und spricht mit starker Stimme: „Zum Teufel, mein Herr, man scheint hier ein seltsames Spiel mit mir zu treiben.“

„Ich weiß nichts von einem seltsamen Spiele,“ entgegnet der Künstler mit großer Gelassenheit. „Ich glaube sogar, daß Sie sehr zufrieden sein werden.“

„Womit zufrieden? Erklären Sie sich!“

„Mit der Sorgfalt, mit der ich Ihr Gesicht zeichnen werde.“

„Und warum wollen Sie mein Gesicht zeichnen?“

Der Mann der Palette erhob sich würdevoll und betrachtete verwundert den Schriftsteller, dessen Häßlichkeit durch den Ausdruck des Mißmuthes noch gesteigert wurde. „Ich sehe, mein Herr,“ sprach er dann, „daß Sie sich in gänzlicher Unwissenheit darüber befinden, was Sie hier sollen. Meine Frau hat wahrscheinlich vergessen, es Ihnen mitzutheilen. Erfahren Sie also, daß ich Maler bin, an einer Versuchung Christi in der Wüste arbeite und heute meine Frau ausschickte, mir Jemand zu suchen, nach dessen Zügen ich den Teufel, der unsern Heiland versucht, malen könnte. Meiner Treu, meine Frau konnte keinen Passenderen finden als Sie. Setzen Sie sich, mein Herr! In einer Stunde werden Sie der schönste Satan sein, welcher jemals aus dem Pinsel eines Malers hervorgegangen ist.“

Der aus allen seinen Himmeln gefallene junge Schriftsteller war vernichtet. Halb ohnmächtig sank er auf einen Stuhl und rief mit bitterem Lachen: „Malen Sie, mein Herr, malen Sie! Meine Eitelkeit hat eine solche Züchtigung verdient.“

Und Freund Paul wurde als Mephistopheles gemalt.


Die Geschichte hat sich wirklich so zugetragen, wie sie eben von mir erzählt worden ist. Der Gefoppte war Paul Pelisson-Fontanier, welcher später als Geschichtsschreiber sich [39] einen Platz in der Akademie und die Bewunderung Frankreichs errang. Er starb nach einem vielbewegten Leben im Jahre 1693. Der Name des Malers, welcher das Gesicht des Dichters auf den Rumpf eines Teufels setzte, ist nicht auf die Nachwelt gekommen.

Eduard Kauffer.