Textdaten
Autor: Walther Kabel
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Schlingensteller
Untertitel: Eine Wilddiebsgeschichte
aus: Der Mord im maurischen Pavillon, S. 78–96
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1920
Verlag: Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Anhang im Band 21 der Heftreihe Moderne Kriminal-Bücher.
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[78]
Der Schlingensteller
Eine Wilddiebsgeschichte von W. Kabel.

Oberförster Fritz Haase, der erst vor zwei Monaten aus Westdeutschland nach der Oberförsterei Buchberg in der Provinz Posen versetzt worden war, befand sich heute in einer Stimmung, die dem Tiefstande des Thermometers in diesen ersten Dezembertagen – 12 Grad unter Null – so ziemlich gleichkam. Bisher hatte er in seiner neuen[1] Stellung eigentlich nichts als Ärger gehabt. Und nun mußte auch noch gestern abend, um ihm jeden Rest von guter Laune zu benehmen, dieser anonyme Brief eintreffen, der ihn dann in der ersten Aufregung veranlaßt hatte, den Förster Markdorf sofort für den nächsten Vormittag elf Uhr zu sich zu bestellen. Aber der schien es mit der Pünktlichkeit nicht sehr genau zu nehmen. Denn die Kuckucksuhr an der Wand hatte schon längst elf geschlagen und noch immer ließ der Erwartete sich nicht blicken. Das sollte jedenfalls nicht zum zweiten Mal passieren, sagte sich Fritz Haase wütend und überlegte nochmals den geharnischten Anpfiff, mit dem er seinen Untergebenen zu empfangen gedachte.

Doch eine weitere Viertelstunde verging noch, bis es endlich klopfte und auf sein kurzes Herein der Förster eintrat und sich vorschriftsmäßig meldete. Stumm ließ Markdorf dann das stürmische Donnerwetter über sich ergehen, schlug aber vor dem durchdringenden Blick seines Vorgesetzten auch nicht ein einzigesmal seine großen ehrlichen Blauaugen zu Boden. Eine heiße Röte war ihm bei den heftigen Worten in das frische, junge Gesicht geflutet, und seine Stimme klang merkwürdig gepreßt, als er nun die Entschuldigung für seine Verspätung vorbrachte.

„Herr Oberförster werden verzeihen. Ich hatte aber unterwegs in einer Schonung deutliche Anzeichen gefunden, daß dort wieder vor ganz kurzer Zeit ein [79] Reh ausgeweidet worden ist, sah auch in den frischen Schnee die Fußtapfen des Wilderers, die ich bis zur Chaussee hin verfolgen konnte. Ich hielt es für meine Pflicht, sofort alles zu versuchen, um endlich dem Manne, der unsern Wildstand nun schon seit Jahren so empfindlich schädigt, auf die Spur zu kommen. Nur aus diesem Grunde habe ich mich um eine halbe Stunde versäumt.“

Der Oberförster hatte inzwischen von seinem Schreibtisch einen zerknitterten, unsauberen Briefbogen aufgenommen und sich an das Fenster gelehnt.

„Sagend Sie mal,“ begann er strengen Tones, „Sie sind mit der Tochter des Besitzers Kasimir Jaworski verlobt, nicht wahr?“

Markdorf schrak sichtlich zusammen und zögerte etwas mit der Antwort.

„Ich frage natürlich nur aus dienstlichen Gründen,“ warf Haase scharf und befehlend ein.

„Herr Oberförster, ich habe keine Veranlassung, meine Verlobung mit Maria Jaworski zu verheimlichen,“ klang es jetzt ehrlich zurück. „Nur, weil weder der Vater meiner Braut noch irgend ein dritter, wie ich bisher annahm, von dem Verlöbnis etwas wissen konnte, war ich im ersten Augenblick durch die Frage überrascht und fand nicht sofort eine Erwiderung. Denn ich habe mich meiner Braut, um die ich schon lange warb, erst vorgestern erklärt und wollte nur noch die schriftliche Einwilligung meiner Eltern abwarten, bevor ich mich auch ihrem Vater – eine Mutter besitzt Maria nicht mehr – anvertraute, bei dem ich eine Zurückweisung meines Antrages kaum zu befürchten brauche.“

„Danach scheint der Schreiber diesem Wisches hier doch ganz richtig informiert zu sein. Ich möchte nun einmal von Ihnen wissen: Ist es wahr, daß Jaworski auf seinem Kohlacker, der an die Königliche Forst grenzt, Schlingen für Hasen gelegt hat und uns die Krummen, die sich an den Kohlköpfen gütlich tun wollen, wegfängt? – Ich meine, haben Sie jemals Verdächtiges [80] bemerkt oder ist der Alte vielleicht Ihnen gegenüber von anderer Seite verdächtigt worden?“

Dem Förster schoß unter dem auf ihn gerichteten, fast lauernden Blick die helle Glut ins Gesicht. Doch ohne langes Besinnen kam die Antwort:

„Jawohl, Herr Oberförster. Ich selbst habe bereits zweimal Schlingen aus dem Acker entfernt, habe auch Jaworski des öfteren gewarnt. Doch er erwiderte mir stets, daß er kein Wilddieb sei und daß er seine Drahtschlingen zu einem andern Zweck aufgestellt habe. Gestern noch sprach ich mit ihm darüber, als ich ihn im Walde zufällig traf, wo er gekauftes Brennholz abfuhr, sagte ihm auch bei dieser Gelegenheit, daß ich ihn zur Anzeige bringen müssen falls nochmals bei ihm derartiges Fanggerät gefunden würde. Ich habe aber bisher nie –“

„Sollten Sie wirklich diese lächerliche Erklärung, die Schlingen hätten einen anderen Zweck, geglaubt haben? – Welchen denn, wenn ich fragen dürfte?“ unterbrach Haase ihn ironisch.

„Ich kann darüber leider keine Auskunft geben, kann zu meiner Entschuldigung nur anführen, daß ich des öfteren in früher Morgenstunde den Kohlacker revidiert, aber nie ein Tier in der Schlinge gefunden habe. Als ich gestern nun auf den Alten sehr dringlich einredete und auch andeutete, daß es gerade für mich sehr unangenehm wäre, wenn er irgendwie mit den Gesetzen in Konflikt käme, beruhigte er mich und meinte wiederholt, er würde sich nur dem Herrn Oberförster selbst anvertrauen. Der Herr Oberförster möge ihn nur einmal gegen 8 Uhr morgens besuchen.“ – Haase zuckte nur ungläubig die Achseln.

„Ich bin wirklich neugierig, was der Alte mir für ein Märchen aufbinden will! – Nun, den Gefallen werde ich ihm aber trotzdem tun und hingehen, und zwar schon morgen. Auf dem Nachhausewege können Sie ihn ja benachrichtigen, damit ich ihn wenigstens antreffe und den Gang nicht vergeblich mache.“

Der Herr Oberförster drehte jetzt eine ganze Weile den Brief unschlüssig zwischen den Fingern hin [81] und her, bis er wieder das Wort an seinen Beamten richtete.

„Kennen Sie diese Handschrift, Markdorf?“ fragte er dann plötzlich und reichte dem Förster das zerknüllte Papier bin.

„Nein, die Schrift ist mir ganz unbekannt.“

„So – hm! – Sie werden nämlich in diesem anonymen Schreiben in schwerster Weise verdächtigt,“ sagte Haase nach einer Pause sehr langsam.

„Ich – verdächtigt –?!“ fuhr der junge Förster auf und wollte schnell den Brief überfliegen.

„Lassen Sie nur, Markdorf, ich kann’s Ihnen auch so sagen. Man wirft Ihnen vor, daß Sie den Besitzer Kasimir Jaworski nur deswegen nicht wegen Wilddiebstahls belangen, weil Sie eben mit seiner Tochter verlobt sind. Der Briefschreiber behauptet auch, Sie hätten schon längst genügendes Belastungsmaterial gehabt, um gegen den Alten vorzugehen, aber eben aus Rücksicht auf Ihre Heiratsabsichten geschwiegen. Der Besitzer soll nämlich das Schlingenlegen schon längere Zeit, mehrere Jahre, betreiben.“

Markdorf starrte seinen Vorgesetzten eine ganze Weile fassungslos an, ehe er etwas entgegnen konnte.

„Herr Oberförster glauben diesem – elenden Denunzianten doch nicht etwa?!“ rief er entrüstet. Und als Haase nicht sofort antwortete, fuhr er mit vor Erregung zitternder Stimme fort: „Ich habe meine Pflicht bisher in[2] keiner Weise vernachlässigt – nie, niemals. Eine solche infame Anschuldigung lasse ich daher nicht auf mir sitzen. Ich werde selbst beim Herrn Oberforstmeister eine Disziplinaruntersuchung beantragen, und die wird dann zeigen, daß mich auch nicht der kleinste Vorwurf trifft. Den alten Jaworski konnte ich gar nicht zur Anzeige bringen, denn ich habe ihn trotz meiner häufigen Patrouillengänge nie auf frischer Tat ertappt. Und die Möglichkeit war doch nicht ganz ausgeschlossen, daß er die Schlingen vielleicht für irgendwelches Raubzeug gelegt hat.“

Haase mochte doch wohl aus der so ehrlichen Empörung seines Untergebenen herausfühlen, daß dieser [82] ein völlig reines Gewissen hatte und suchte daher einzulenken.

„Zu einer Disziplinaruntersuchung gegen Sie liegt vorläufig auch nicht der geringste Grund vor,“ meinte er daher etwas freundlicher. „Auf derartige anonyme Wische gebe ich sonst gar nichts. Aber der Briefschreiber hier, hat so viele schwerbelastende Momente angeführt, daß ich mir, um auch jede Spur eines Verdachtes von Ihnen fernzuhalten, Aufklärung verschaffen wollte. Sie werden mir auch zugeben, Markdorf, daß die Erwähnung dieses Verlöbnisses im Zusammenhang mit des alten Jaworski Neigung fürs Schlingenstellen mich doch etwas stutzig machen mußte. Und – ohne Ihrem zukünftigen Schwiegervater zu nahe treten zu wollen – ganz reinlich kommt mir diese Sache auf dem Kohlacker da nicht vor. Nun, ich werde ja sehen, wie Jaworski sich morgen aus der Affäre zieht. Sollte sich seine Unschuld herausstellen und außerdem das Landratsamt günstig über ihn berichten, so wäre ich der letzte, der gegen Ihre Verbindung mit der Tochter etwas einzuwenden hat. – So, weiter hätte ich für Sie dann nichts. Und, sorgen Sie mir dafür, daß endlich die Wilddieberei in Ihrem Revier aufhört. Irgendwie wird den frechen Kerlen doch beizukommen sein. – Ist sonst noch Dienstliches zu erledigen?“

„Nein, Herr Oberförster. – Ich wollte nur bitten, ob ich nicht den Brief mitnehmen könnte, der eine so schwere Beleidigung gegen mich als Beamten enthält. Vielleicht gelingt es mir, den Absender zu ermitteln, gegen den ich dann natürlich sofort Strafantrag stellen werde.“

„Meinetwegen – hier ist er. Ich fürchte nur, daß Sie wenig Glück haben werden. Die Handschrift zeigt so gar keine charakteristischen Merkmale, ist eben nur ganz unausgeschrieben. Es müßte denn gerade sein, daß Sie schon eine bestimmte Person im Auge haben, der Sie einen solchen Streich zutrauen. Sehen Sie immerhin zu, was sich in der Sache tun läßt. – Und [83] nun, – guten Morgen. Vergessen Sie auch nicht, Jaworski meinen Besuch anzusagen.“ –

Markdorf war, nachdem er die Oberförsterei verlassen hatte, von dem Fahrwege in einen schmalen Fußsteig eingebogen, der querfeldein auf die kaum drei Kilometer entfernte, am Waldrande liegende Besitzung Kasimir Jaworskis zuführte. Die kalte Winterluft und die feierliche Stille in der weißen Einsamkeit, ließen seine Gedanken bald langsamer kreisen und milderten die wilde Empörung, die das für ihn so verletzende Verhör seines Vorgesetzten und die ganze unfreundliche Behandlung in ihm hervorgerufen hatte. Aber jetzt, wo er nochmals die Einzelheiten dieser ihm völlig unerklärlichen Denunziation in Ruhe durchging, erschien ihm der Sachverhalt immer verworrener. Er sann vergebens nach, wer ihn in so heimtückischer Weise verdächtigt und woher der Verfasser des Briefes besonders seine Verlobung erfahren hatte. Denn der erste selige Kuß, den er vorgestern im schweigenden Forst von der Geliebten empfing, konnte ja keine Zeugen gehabt haben. Nur die froststarrenden Eichen und ein hoch in den Zweigen krächzender Eichelhäher hatten sein junges Glück geschaut.

Als er sich dann den ziegelbedeckten, sauber gehaltenen Gebäuden der Besitzung näherte, sah er schon von weitem den Alten auf dem Hofe stehen, wie er gerade unter einer Schlittenkufe einen neuen Eisenbeschlag befestigte. Jaworski erwiderte den Gruß des ihm wohlbekannten Försters aufs herzlichste, legte Hammer und Nägel beiseite und nötigte ihn in das behaglich durchwärmte Wohnzimmer. Während er sich hier gemächlich den dicken Schafpelz auszog, den er über seiner Joppe trug, sagte er in fließendem, wenn auch etwas gebrochenem Deutsch:

„Meine Tochter ist nach der Stadt gefahren, Herr Förster, wollte aber mittags wieder zu Hause sein.“ Und mit einem prüfenden Blick in das ernste Gesicht seines Gastes, der diese Bemerkung absichtlich überhört zu haben schien, fügte er hinzu: „Ist Ihnen etwas [84] Unangenehmes passiert? Sie sehen ja so bedrückt aus –“

Markdorf hatte es sich schon auf dem Hinwege überlegt, daß es wohl das beste sein würde, wenn er seinem zukünftigen Schwiegervater in allem reinen Wein einschenkte. Und während er jetzt die ihm angebotene Zigarre aus der Kiste nahm und die Spitze abschnitt, begann er dem Alten, der sich ihm gegenüber[3] an den großen Tisch in einen bequemen Korbstuhl gesetzt hatte, zunächst seine heutige Unterredung mit dem Oberförster beinahe Wort für Wort zu wiederholen.

In Jaworskis faltigem, bartlosem Gesicht mit den listigen, klugen Äuglein und dem fuchsschlauen Lächeln um den energischen Mund, spiegelte sich dabei eine ganze Reihe von wechselnden Empfindungen wieder. Er unterbrach Markdorf jedoch mit keiner Silbe. Als ihm dann aber der Besuch des Oberförsters für den nächsten Morgen angekündigt wurde, lachte er stillvergnügt in sich hinein. Auch über die nun folgende Werbung, die Markdorf mit wenigen, aus ehrlichstem Herzen kommenden Worten vorbrachte, schien er nicht im geringsten überrascht, streckte seinem Gaste nur freundlich die Hand über den Tisch hin und nickte ihm recht verheißungsvoll zu.

„Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, bei Ihnen erst nach dem Eintreffen des Briefes meiner Eltern um Maria anzuhalten,“ sagte der junge Förster zum Schluß erklärend. „Aber die Umstände dulden[4] diesen Aufschub nicht mehr. Ich wollte möglichst schnell diese Ungewißheit loswerden, die mich schon seit Wochen peinigt, eben seit der Zeit, als ich zum ersten Mal die Drahtschlingen in Ihrem Kohlfelde fand. Und Sie müssen mir gegenüber jetzt auch ganz ehrlich sein –“

Jaworski schaute erst eine Weile nachdenklich aus das bunte Muster der Tischdecke, bis er in seiner langsamen Art antwortete: „Zunächst zu Ihrer Werbung. Ich wußte längst, daß zwischen Ihnen und Maria irgend etwas vorgeht. Ich habe auch dafür scharfe Augen. Und wenn ich bisher nichts sagte, so geschah es [85] eben nur aus dem Grunde, weil Sie mir als Schwiegersohn in jeder Weise willkommen sind. Ich knüpfe aber an meine Einwilligung eine Bedingung. Sie wissen vielleicht nicht, daß ich eigentlich ein sehr wohlhabender Mann bin, für die hiesigen Verhältnisse beinahe reich, und meine Besitzung in den letzten Jahren durch Landankäufe ständig vergrößert habe. Wenn ich nun einst die Augen schließe, so würde mein jetzt so schön abgerundetes Gütchen in andere Hände übergehen, falls eben Maria als mein einziges Kind Ihre Frau Försterin wird. Sie begreifen wohl schon, wo ich hinaus will. Hängen Sie also Ihren grünen Rock an den Nagel, und Sie sollen meine Tochter haben, sollen damit zugleich Ihr eigener Herr werden und brauchen sich dann um keinen übelgelaunten Vorgesetzten mehr zu scheren. Hier meine Hand. Schlagen Sie ein! Sie werden es nie zu bereuen haben.“

Markdorf hatte auf eine so einfache Beseitigung all der Bedenken, die er in betreff einer Heirat mit Maria Jaworski bisher als pflichttreuer Beamter noch hegen mußte, kaum gehofft. Denn er hätte es mit seiner Ehre kaum für vereinbar gehalten, als Förster die Tochter eines Mannes zur Frau zu nehmen, der als Wilddieb vielleicht vor den Strafrichter gehörte. Durch Jaworskis Vorschlag sah er diese Befürchtungen nun in einer Weise aus der Welt geschafft, mit der er sich bei seiner Liebe für Maria schon zufrieden geben konnte. Ihn als Privatmann ging es dann nichts mehr an, ob sein Schwiegervater wirklich ein paar armselige Hasen weggefangen hatte. Und daß dies für die Zukunft nicht mehr geschehen sollte, dafür würde er schon Sorge tragen. Außerdem – bisher wußte er nicht einmal genau, ob die Schlingen tatsachlich zu einem unerlaubten Zweck aufgestellt waren, mochte auch nicht recht daran glauben, da er sich sonst des Alten harmloses Benehmen nicht recht hätte erklären können. Daher schlug er auch jetzt ohne Zögern in die ihm dargebotene Rechte ein.

Als Marta Jaworski nach einer halben Stunde mit vor Kälte frischgeröteten Wangen das Zimmer betrat, [86] prallte sie im ersten Augenblick bei Markdorfs Anblick doch überrascht zurück, flog dem Geliebten aber schnell gefaßt und ebenso schnell das Richtige erratend, in die sich ihr entgegenstreckenden Arme. Der Alte war schmunzelnd an das Fenster gegangen und schien mehrere Minuten lang mit dem größten Interesse die endlose, weiße Fläche der Felder zu betrachten, deren Eintönigkeit[5] nur durch einzelne Sträucher und Bäume und eine hin und her flatternde Krähenschar unterbrochen wurde, räusperte sich auch erst vernehmlich, bevor er sich umdrehte, um nun auch seinerseits die glückstrahlende Braut mit einem zärtlichen Kuß zu begrüßen. Natürlich mußte Markdorf dann nochmals erzählen, was ihm am Vormittag in der Oberförsterei begegnet war, erwähnte dabei auch die Spur des Wilddiebes, die er in der Schonung entdeckt und bis zur Chaussee verfolgt hatte.

Maria hörte aufmerksam zu und sagte dann nachdenklich, als Markdorf mit seinem wenig freundlichen Bericht zu Ende war: „Du meinst also, daß es immer derselbe Mann ist, der gerade in Deinem Revier das Rehwild, so ohne jede Rücksicht auf die Schonung wegschießt? Könnte es sich nicht doch vielleicht um mehrere Personen handeln, Fritz?“

In ihrer Stimme lag es wie bange Erwartung, und ihr eben noch so glückstrahlendes Gesicht, hatte einen fast ängstlichen Ausdruck angenommen.

„Nein, Maria,“ entgegnete Markdorf bestimmt. „Verschiedenes spricht dafür, daß es stets derselbe Schütze ist, dem ich nun schon ein ganzes Jahr ohne Erfolg nachspüre. Mein Ohr ist fein genug, um den Knall eines Vorderladers von dem einer modernen Büchsflinte zu unterscheiden. Und die Schüsse, die ich so oft in dem Forst hörte, kamen zweifellos sämtlich aus einem Gewehr und zwar aus einem Vorderlader. Darin kann ich mich gar nicht täuschen. Außerdem zeigten auch die Fußspuren, die ich häufig genug im regenfeuchten Boden oder im Schnee neben dem blutigen Ausbruch eines Bockes oder einer Ricke ausgeprägt fand, immer dieselbe Länge und – für die Richtigkeit [87] meiner Vermutung der untrüglichste Beweis – stets dieselbe, so auffallend einwärts gerichtete Stellung des rechten Fußes.“

Das junge Mädchen hatte plötzlich die Augen zu Boden geschlagen. In ihrem ganzen Wesen offenbarte sich eine deutliche Unruhe, die sie nur mühsam verbergen konnte. Sie schien mit einem Entschlusse zu kämpfen[6], öffnete auch schon die Lippen, als ob sie ihr Herz durch irgendein Geständnis erleichtern wollte. Aber da bemerkte ihr Blick, der fragend zu ihrem Vater hinübergeflogen war, in dessen Gesicht ein blitzschnelles, warnendes Hochziehen der Augenbrauen. Sie verstand den Wink, und trotzdem sich ihre ehrliche Natur dagegen sträubte, auch weiterhin vor ihrem Verlobten ein Geheimnis zu haben, so schwieg sie doch, blickte jetzt wieder scheu vor sich hin in schlecht verhehlter Verwirrung. Markdorf hatte von alledem nichts gesehen, war auch zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, die ihm dazu drängten, Maria jenen Verdacht mitzuteilen, den er bisher nur aus leicht begreiflicher Rücksicht auf ihre verwandtschaftlichen Gefühle verheimlicht hatte. Heute aber, wo der alte Jaworski und seine Tochter zu ihm in so nahe Beziehungen getreten waren, glaubte er von dieser Rücksicht absehen zu können und begann daher nach der kurzen Gesprächspause etwas zögernd, indem er das Wort hauptsächlich an seine Braut richtete:

„Diese sonderbare Fußspur hat mich nun längst schon auf die Vermutung gebracht, daß der geheimnisvolle Wilddieb eine Person sein müsse, die hinkt oder doch jedenfalls an einer starken Verkrümmung des einen Beines leidet. Denn nur so läßt sich die merkwürdige Fährte eben diese so ganz unnormale[7] Stellung des rechten Fußes, erklären. Und durch vorsichtige Nachfragen brachte ich dann heraus, daß es hier in der nächsten Umgebung von Buchberg wirklich drei Leute gibt, die ein ähnliches körperliches Gebrechen aufzuweisen haben. Doch zwei von diesen konnten nach alledem, was ich von ihnen wußte, für einen solchen Verdacht kaum in Betracht kommen, – ich meine den [88] Gutsinspektor von Bojanowo und den alten Lehrer aus dem Dorfe Swarochin.“ Er machte eine kleine Pause und fuhr dann leicht verlegen fort: „Ja – und der dritte, – ich nenne den Namen sehr ungern – ist nun leider der junge Vinzent Dembinski, Dein Vetter, Maria.“

Wieder tauschten Vater und Tochter einen schnellen Blick aus. Aber diesmal war in den Augen des jungen Mädchens ein so fester Wille zu lesen, daß Kasimir Jaworski sich nun auch mit kaum merklichem Kopfnicken in das Unvermeidliche fügte. Er sah ein, hier gab es nichts mehr zu verheimlichen, nachdem sein Schwiegersohn erst einmal auf seinen Neffen aufmerksam geworden war. Und Maria ließ ihm auch keine Zeit zu weiterem Nachdenken. Indem sie Markdorfs Hand jetzt leidenschaftlich ergriff und zwischen ihren heißen Fingern preßte, sagte sie flehenden Tones, nur von dem Wunsche beseelt, endlich ihr Herz von dieser drückenden Last zu befreien:

„Fritz, ich muß Dir ein Geständnis machen und hoffe, Du wirst mir nachher verzeihen, daß ich solange geschwiegen habe. Wisse denn – der Vater und ich, beargwöhnen Vinzent Dembinski ebenfalls schon seit längerer Zeit, wenn wir auch durch andere Gründe auf diesen Verdacht gekommen sind. Mein Vetter, der sich nach dem Tode seiner Eltern um seine kleine Besitzung gar nicht kümmerte, sich vielmehr dem Trunk und Spiel ergab und daher sehr bald in Schulden geraten war, wollte sich zu derselben Zeit, als Du hier nach Buchberg versetzt wurdest, durch eine Heirat mit mir aus all seinen Verlegenheiten heraushelfen. Daß er mit diesem Plane bei mir kein Glück hatte und auch der Vater dem leidenschaftlichen Menschen nach seiner – unverschämten Bewerbung, ein für allemal unser Haus verbot, ist wohl selbstverständlich. Trotzdem versuchte er sich mir immer wieder aufs neue zu nähern. Inzwischen hatte ich Dich kennen gelernt und fühlte auch bald, daß ich Dir nicht gleichgültig blieb. Du tanztest auf den Festen des landwirtschaftlichen und Kriegervereins, stets am meisten mit mir und ich war [89] so glücklich darüber, habe frohen Herzens meine Arbeit verrichtet, da ich Dich schon damals wiederliebte. Aber alle meine Hoffnungen sollten mir dann plötzlich durch Vinzent zerstört werden. Er traf mich eines Tages allein auf dem Felde, sprach mich an und versuchte wieder, mich umzustimmen, bat und flehte, ich solle die Seine werden. Als ich ihn wie bisher ruhig abwies und schließlich mit kurzem Gruße davonging, geriet er in die fürchterlichste Wut, die ihn alle Klugheit vergessen ließ. „Ich weiß, Du liebst Markdorf!“ schrie er mir nach. „Aber denke nicht, daß Du den je bekommen wirst. Eher wandere ich ins Zuchthaus.“ Was er dann noch weiter an wilden Drohungen gegen Dich hervorstieß, verstand ich nicht mehr. Aber seit dem Tage mußte ich für Dein Leben fürchten, Fritz, denn ich kannte Vinzents[8] Jähzorn und seinen vor nichts zurückschreckenden Charakter nur zu gut. Und nur um Dich zu retten, mied ich Dich fortan, änderte auch mein Benehmen Dir gegenüber, trotzdem es mir unendlich schwer wurde und ich mehr, wie Du ahnst, darunter litt. Ich suchte meines Vetters Rachegedanken auf diese Weise von Dir abzulenken, hoffte, er würde sich täuschen lassen und annehmen, daß ich nichts mehr für Dich empfände. Aber auch dieses qualvolle Mittel sollte mir meine Ruhe nicht wiedergeben. Bald erzählte man sich ja überall, daß Wilderer in Deinem Revier ihr Unwesen trieben und daß Du, um sie abzufassen, fast Nacht für Nacht auf der Lauer lägest. Oft habe ich mit dem Vater darüber gesprochen, und er war es auch, der mir gegenüber Vinzent dann einmal als einen der Wildschützen verdächtigte, um dessen geheime Jagdleidenschaft er längst wußte. Da wurde mir plötzlich klar, warum sich der Wilderer gerade nur immer in Deinem Revier zeigte, warum nur Du unter diesen steten Aufregungen zu leiden hattest. Man wollte Dir eben den weiteren Aufenthalt hier verleiden, wollte Dich zwingen, unsere Gegend zu verlassen. Und niemand hatte ja ein größeres Interesse an Deiner Versetzung als gerade mein Vetter, der vielleicht dachte, dann mehr Glück mit seinen Heiratsplänen zu haben. Auch mein [90] Vater, dem ich damals meine Liebe zu Dir gestand, gab meinen Vermutungen recht, warnte mich aber zugleich, Dir etwas von unserem Verdacht mitzuteilen, da die Befürchtung nahe lag, daß Du dann Deine Anstrengungen, den Wilddieb zu überraschen, und damit zugleich die Gefahr für Dein Leben verdoppeln würdest. Deshalb nur schwiegen wir, und nur aus diesem Grunde hat der Vater davon abgesehen, einmal mit Vinzent ein ernstes Wort zu sprechen, den er als den einzigen Sohn seiner Schwester natürlich auch gern vor dem Gefängnis bewahrt hätte. So verging der Sommer, der Herbst kam. Mit der Zeit wurde ich ruhiger, da ich sah, daß meine Angst um Dein Leben unbegründet gewesen war. Aber mit der wiederkehrenden Hoffnung auf eine glückliche Lösung meiner Herzensnot erwachte auch wieder die Sehnsucht, die große Sehnsucht nach Dir, dem die plötzliche Wandlung in meinem Verhalten ein ganz falsches Bild von meinem Charakter und meinen Gefühlen hatte geben müssen. Dann traf ich Dich damals vor einem Monat, als ich aus der Stadt heimkehrte. Ich wagte es, Deine Begleitung anzunehmen, wagte dann auch, Dir manche heimliche Zusammenkunft in der Dämmerstunde zu gewähren. Vinzent Dembinski ahnt wohl bis heute nicht, wie oft zwei glückliche Menschen, dort draußen in dem Feldrain, nebeneinander unter dem wilden Birnbaum gesessen haben. Sicherlich hat er uns dann vorgestern im Walde beobachtet, als Du endlich das entscheidende Wort sprachst. Und in der ersten Wut über unsere Verlobung ließ er sich dazu hinreißen, diesen heimtückischen Brief an Deinen Vorgesetzten zu schreiben, der so recht die ganze Verworfenheit seines Charakters zeigt. Denn nur er kommt als Verfasser dieses Schreibens in Betracht, nur er! Gewiß, die Handschrift ist verstellt, aber ich selbst habe noch im vorigen Jahre genug Briefe von ihm erhalten, um einzelne Buchstaben und besonders die Schreibweise mancher Wörter wieder zu erkennen. Unser junges Glück hat er so zu zerstören versucht, indem er Dich aufs gemeinste [91] einer Begünstigung verdächtigte, die Dir ganz ferngelegen hat.“

Maria preßte wie beschwörend die Hand ihres Verlobten.

„Fritz, schau nicht so finster vor Dich bin. – Oder verargst Du es mir wirklich, daß ich nur aus Angst um Dich, bis heute geschwiegen habe?“

Doch Markdorfs zärtlicher Blick und seine herzlich klingende Antwort beruhigten sie schnell.

„Nein, Maria, wie könnte ich Dir zürnen, wo allein die Sorge um mein Wohl Dein und Deines Vaters Verhalten beeinflußt hat! – Ich überlegte nur eben, wie ich diesen gemeingefährlichen Menschen am besten unschädlich machen kann. Denn ungestraft soll ihm auch dieser letzte Streich nicht hingehen. Und Sie, Herr Jaworski, werden jetzt wohl auch nicht mehr wünschen, daß ich noch weiter auf Vinzent Dembinski irgendwelche Rücksicht nehme.“

Der Alte wiegte nachdenklich den grauen Kopf hin und her.

„Lieber Markdorf,“ meinte er dann herzlich, „Sie dürfen es nicht falsch deuten, wenn ich Sie bitte, mir die Ordnung dieser Angelegenheit allein zu überlassen. Sie sollen mit der Lösung zufrieden sein. Ich werde noch heute nachmittag zu meinem Neffen hinübergehen und ihn dazu bewegen, aus der hiesigen Gegend für immer fortzuziehen. Und ich glaube, er wird auf meine Vorschläge eingehen, besonders jetzt, wo ich durch diesen niederträchtigen Brief auf ihn einen gewissen Druck ausüben kann. Ich habe schon lange beabsichtigt, meinem Neffen seine stark verschuldete und ganz heruntergewirtschaftete Besitzung abzukaufen, die sich wie ein Keil in mein Wiesenland da im Norden einschiebt. Biete ich ihm einen anständigen Preis, der ihm trotz der vielen Hypothekenschulden noch einen Überschuß einbringt, so wäre er ja ein Narr, wenn er mein Anerbieten ausschlüge. Ich meine, das ist zweifellos das einfachste Mittel für uns, um den Menschen loszuwerden. Es ist doch nun einmal der Sohn meiner seligen Schwester, und so ein Rest von verwandtschaftlichem [92] Gefühl, daß er allerdings nach diesem Streiche kaum verdient, läßt mich immer noch versuchen, ihn vor einer näheren Bekanntschaft mit dem Strafrichter zu bewahren. Damit Sie aber Ihr Beamtengewissen beruhigen, lieber Markdorf, schlage ich Ihnen vor, noch heute ein Gesuch um sofortigen Urlaub einzureichen, indem Sie Ihre Verlobung mit Maria anzeigen und zugleich angeben, Sie wollten sich zwecks späterer Übernahme meines Besitztums jetzt schon in den landwirtschaftlichen Betrieb einarbeiten. Sie können ja auch in demselben Schreiben um Ihre Entlassung aus dem Staatsdienste einkommen, – das dürfte wohl das beste sein. Jedenfalls werden wir es aber auf keinen Fall dulden, daß Sie sich noch irgendwelchen Gefahren bei Ihren nächtlichen Streifen nach dem Wildschützen aussetzen. Denn Maria hat recht, Vinzent würde Sie jetzt auch nicht mehr schonen. Und eine heimtückische Kugel aus dem Hinterhalt ist die Sache doch nicht wert. Sie haben mit Ihrer Verlobung andere Pflichten übernommen, die Ihnen höher stehen müssen als alle anderen Bedenken.“

Der junge Förster versuchte noch einige Einwendungen, mußte aber dem inständigen Flehen seiner Braut wohl oder übel nachgeben. Als er sich bald darauf verabschiedete, um noch einen Holztermin in seinem Revier wahrzunehmen, war ihm doch bedeutend leichter ums Herz geworden. Denn dieser Vormittag hatte viel besser geendet, als er es vorher hoffen konnte. –

Es war am nächsten Morgen gegen dreiviertel acht. Kasimir Jaworski stand in seinem nur für festliche Gelegenheiten bestimmten schwarzen Winterüberzieher – mit einem alten fuchsigen Zylinder auf dem Kopf – zwischen den Scheunen und hielt Ausschau nach dem gestrengen Herrn Oberförster, dem er ja heute endlich das Geheimnis seiner „harmlosen“ Schlingenstellerei erklären wollte. Um seinen Mund spielte wieder sein altes, schlaues Lächeln, und dieses Lächeln bedeutete sicherlich für Fritz Haase nicht viel Gutes. Auch Maria erschien jetzt in der Tür des Wohngebäudes und [93] blickte erst eine Weile, ängstlich forschend, zu dem Vater hinüber, bevor sie sich zu ihm gesellte. Sie vermochte sich seine vertrauensvolle Ruhe nicht zu erklären, fürchtete vielmehr, daß aus dieser Begegnung für ihren Verlobten doch noch irgendwelche Unannehmlichkeiten entstehen könnten, besonders da sowohl Markdorf wie sie selbst den Alten genug mit Fragen bestürmt, aber keinerlei befriedigende Antwort erhalten hatten, die ihnen über sein Vorhaben irgendeinen Aufschluß gab.

„Nun, meine Tochter, jetzt kann die Geschichte losgehen. Ich sehe den hohen Herrn da hinten schon auftauchen,“ meinte Kasimir Jaworski, ihr übermütig zunickend, wobei sein Gesicht nur so strahlte von durchtriebener Spitzbüberei.

„Ach, Vater, wenn es Dir nur gelingen möchte, den Herrn Oberförster von Deiner Unschuld zu überzeugen,“ sagte sie kleinlaut und schaute ihn wieder so prüfend an.

„Keine Sorge, Kind, die Sache klappt bis jetzt vorzüglich. Ich habe schon nachgesehen – zwischen den Kohlköpfen zappelt wirklich ein armes Häschen, wird von einer der Schlingen am linken Hinterlauf schön festgehalten. Doch bevor ich’s vergesse, hole mir noch schnell die Hundepeitsche. Sie hängt neben meiner Flinte an der Wand, aber beeile Dich, Kind. Denn da kommt auch schon Markdorf. Sind pünktlich, die Herren, sehr pünktlich. Und nachher schließt Du Dich uns ruhig mit an, wenn wir aufs Kohlfeld gehen.“

Der Alte begrüßte seinen Schwiegersohn fast feierlich, drehte sich aber diskret um, als Maria zurückkehrte und ihm die kurze, ledergeflochtene Peitsche gereicht hatte. Unbekümmert um die auf dem Hofe beschäftigten Knechte tauschten die jungen Leute einen langen Kuß aus, und Jaworski benutzte die Gelegenheit, um die Hundepeitsche schnell zusammenzurollen und in die Tasche seines Überziehers zu schieben. Inzwischen hatte auch der Oberförster das Gehöft betreten und schritt langsam auf den ihm von Ansehen wohlbekannten Besitzer zu. Kasimir Jaworski zog mit [94] einer tiefen Verbeugung den altmodischen Zylinder, dienerte immer wieder und erstarb förmlich in Hochachtung vor dem seltenen Besuch. Aber in dieser ganzen Begrüßung lag doch offenbar eine beabsichtigte Übertreibung, die allerdings Fritz Haase entging. Im Gegenteil – der Oberförster deutete dieses Benehmen nur für ängstliches Schuldbewußtsein, glaubte auch, daß der sonntägliche Anzug des Alten nur darauf berechnet war, ihn milder zu stimmen. Sein Gegengruß fiel daher noch ablehnender aus, als er sich’s vorgenommen hatte. Und auch Markdorf und dem jungen Mädchen nickte er nur hochmütig zu.

„Herr Oberförster werden vielleicht die Güte haben, sich mit uns auf das Kohlfeld hinauszubemühen,“ sagte Jaworski jetzt mit einer neuen Verbeugung fast bis zur Erde herab. „Nur dort kann ich dem Herrn Oberförster den Beweis liefern, daß ich kein Wilddieb bin. Es sind auch kaum ein paar hundert Schritte bis dahin.“

„Gut – gehen wir,“ meinte Fritz Haase kurz.

Kasimir Jaworski tappte dann voran durch den tiefen Schnee. Hinterher kamen die drei anderen – schweigend, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt. Der Oberförster schaute sich mit überlegenem Lächeln die etwas gekrümmte Gestalt des Besitzers an. „Ich werde mir von Dir jedenfalls trotz Deiner Katzbuckeleien, keinen Dunst vormachen lassen[9], alter Freund,“ dachte er schlechtgelaunt und pfiff ingrimmig durch die Zähne. Seine Stimmung war heute noch weniger rosig als sonst. Denn vor einer Stunde hatte ihm Markdorf durch einen der Forstlehrlinge ein Urlaubsgesuch zur Weitergabe an die Regierung zugeschickt, und er glaubte in diesem Gesuch, daß doch nur die Antwort auf den gestrigen Anpfiff bedeuten sollte, eine ganz unverschämte, unverfrorene Auflehnung gegen seine Person erblicken zu müssen. – Der Förster selbst schritt auch mit recht unbehaglichen Gefühlen neben Maria her. Ihm ahnte Böses, da er seinen Schwiegervater zu gut kannte, um diese kriecherische Unterwürfigkeit Jaworskis für echt zu halten.

[95] So näherte sich der stille Zug langsam dem Kohlacker, zwischen dessen gelben Köpfen die Hasenspuren kreuz und quer liefen. Und des Oberförsters Brauen zogen sich[10] noch finsterer zusammen, als er dann den in der Schlinge gefangenen Krummen zu Gesicht bekam, der beim Anblick der Menschen noch verzweifeltere Anstrengungen machte, sich loszureißen.

„Was soll das?!“ fuhr er Jaworski wütend an, und wies auf den in seiner Angst sich wie toll gebärdenden Hasen hin. „Was soll das? Wollen Sie mir jetzt etwa noch immer erzählen, daß die Schlingen einen anderen Zweck haben?! Sie sind überführt, vollkommen überführt!“ Dann wandte er sich Markdorf zu, der mit verlegenem Gesicht dabeistand.

„Nun, hier sehen Sie ja jetzt die – Unschuld Ihres Herrn Schwiegervaters klar erwiesen! Oder genügt Ihnen auch dies noch nicht?!“

„Gewiß genügt das meinem Schwiegersohn, Herr Oberförster!“ sagte der Alte da mit todernster Miene. „Oder besser – meine Erklärung wird ihn ebenso zufriedenstellen, wie auch Sie, hochgeehrter Herr Oberförster. Denn sehen Sie, Herr Oberförster, ich baue nun schon lange Jahre Kohl als Viehfutter, muß ihn bauen. Und regelmäßig frißt mir auch das verdammte Viehzeug, die Hasen, die aus dem königlichen Forst kommen, die Hälfte auf. Da konnte ich mir eben nicht anders helfen, Herr Oberförster.“

Der Oberförster war sprachlos, einfach sprachlos, fand nicht sofort eine Erwiderung auf diese bodenlos freche Antwort. Doch ehe er sich noch sammeln konnte, hatte Jaworski schon den sich wütend sträubenden und ängstlich quäkenden Hasen gepackt und aus der Schlinge befreit, steckte ihn jetzt, trotz aller Gegenwehr mit dem Kopf zwischen die Beine, zog mit der Rechten schnell die Hundepeitsche aus der Tasche hervor und verbläute dem armen Krummen damit kräftig das Hinterteil. Dann gab er ihn frei, und wie von Furien gehetzt, raste das Vieh über das Feld in den Wald hinein.

Ruhig wickelte der Alte darauf seine Peitsche wieder [96] zusammen und meinte dabei mit einem treuherzigen Blick:

„Sehen Sie, Herr Oberförster, so habe ich’s mit allen Hasen gemacht, die ich fing. Und glauben Sie mir, keiner, der hier seine Wichse bezogen hat, geht mir zum zweitenmal über meine Kohlköpfe – kein einziger! Das merken sich die Biester ganz genau, und wenn ich noch diesen Winter hindurch meine Hundepeitsche den Hasenerzieher spielen lasse, so werde ich wohl bald ganz Ruhe vor dem Viehzeug haben. Nicht wahr, gegen diese Methode, mich vor Wildschaden zu schützen, haben Sie doch sicherlich nichts einzuwenden?“

„Sie – Sie –!“ Mehr brachte der jetzt vor Wut schäumende Oberförster nicht heraus. Denn er sah sich blamiert, sah, wie der Alte sich das Lachen nur mühsam verkniff, sah das Mädchen lächeln, ebenso Markdorf, dessen Gesicht sich bei der Anstrengung, eine Explosion seiner Heiterkeit zu verhindern, ganz dunkelrot gefärbt hatte.

In Fritz Haases Hirn jagten sich die Gedanken. Aber er war ja machtlos, konnte nicht einschreiten, konnte nicht. – Und nur um die Situation zu retten, rief er Jaworski drohend zu:

„Wir sprechen uns noch!“

Dann ging er ohne Gruß davon. In ihm kochte alles. – Aber fast ängstlich lauschte er nach rückwärts, ob ihm nicht etwa das Gelächter der Zurückgebliebenen ins Ohr schlagen würde. Immer mehr beeilte er seine Schritte, immer mehr – –

Und Kasimir Jaworski schaute ihm schadenfroh nach und sagte, als der Oberförster aus Hörweite war:

„Da läuft der andere – Haase! – Was meinen Sie, Markdorf, ob der wohl wiederkommen wird?“



Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: nuen
  2. Vorlage: bisheri n
  3. Vorlage: gegenber
  4. Vorlage: durlden
  5. Vorlage: Eantönigkeit
  6. Vorlage: kämpften
  7. Vorlage: unormale
  8. Vorlage: Vinzent
  9. Vorlage: lasse
  10. Vorlage: sichn