Der Schlaf (Die Gartenlaube 1890/12)

Textdaten
<<< >>>
Autor: C. Falkenhorst
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Schlaf
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12–13, S. 370–372, 402–404
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: verschiedene Formen von langem Schlaf als Legenden und Sagen in der Religion und Krankheitsfällen in der Medizin
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[370]

Der Schlaf.

I. Der lange Schlaf. – Sagen und Mysterien.

Seit vielen Jahrhunderten ist der 27. Juni ein „Lostag“ ersten Ranges, für die Wetterpropheten wichtiger als Falbs kritische Tage; denn nach altem Volksglauben zeigt er für volle sieben Wochen das Wetter an: regnet es an diesem Tage, so wird es sieben Wochen lang fortregnen und die Erntezeit für den Landwirth höchst ungünstig sein. Diese Bauernregel hat ohne Zweifel viel dazu beigetragen, daß die Legende von den Siebenschläfern, denen der 27. Juni in deutschen Volkskalendern geweiht ist, eine so große Verbreitung und sozusagen Berühmtheit erlangt hat. Die Beziehungen der Siebenschläfer zur Meteorologie sind in Wirklichkeit von einer sehr luftigen Beschaffenheit; eher dürfte das Studium dieser Legende für die Geschichte der volksthümlichen Naturkunde von Bedeutung sein, denn es führt uns nicht allein in das Reich der Phantasie, die so viele Kaiser, Könige, Ritter und holde Jungfrauen bei Elfen und Zwergen im Bergesschoß schlummern läßt, sondern es zwingt uns unwillkürlich zum Nachdenken über die sonderbarsten Lebensräthsel.

Zur Zeit, als Kaiser Decius im römischen Reiche regierte, so läßt sich der Inhalt der Legende[1] kurz zusammenfassen, wurden die Christen verfolgt, und der Kaiser begab sich selbst nach Ephesus, um dort die Verfolgung zu leiten. Unter denen, die sich weigerten, den heidnischen Göttern zu opfern, befanden sich auch sieben edle Jünglinge: Achillides, Diomedes, Eugenius, Stephanus, Probatius, Sabbatius und Cyriacus, Diener im Palaste des Kaisers. In ihrer Bedrängniß flohen sie aus der Stadt und verbargen sich in der Höhle des Berges Anchilus. Als Decius ihren Zufluchtsort ausgekundschaftet hatte, befahl er, den Zugang zu der Höhle mit großen Steinen zu verschließen, „daß sie lebend begraben seien und in jenem Kerker elend sterben.“ Aber der gnädige und gütige Gott ließ sie einen sanften Tod erleiden, indem sie schon vor der Ankunft des Kaisers in einen tiefen Schlaf verfielen.

Nach etwa zweihundert Jahren, zur Regierungszeit des Kaisers Theodosius, da man in Ephesus den Märtyrertod der sieben Jünglinge längst vergessen hatte, wollte ein begüterter Mann, dem der Berg gehörte, einen Stall für sein Vieh erbauen und ließ die Steine am Eingang der Höhle wegräumen. Da flößte Gott den Heiligen in der Höhle ein neues Leben ein. Sie erwachten, setzten sich aufrecht und begrüßten einander, wie sie gewohnt waren, denn sie sahen kein Zeichen, aus dem sie schließen konnten, daß sie so lange wie todt gelegen hätten; ihre Kleider waren noch in demselben Zustande wie zuvor, und ihre Leiber waren frisch und blühend. Daher glaubten sie, daß sie nur vom Abend bis zum Morgen geschlafen hätten, und sie waren in Angst und Sorge, daß der Kaiser Decius sie suchen lasse. Einer von ihnen entschloß sich indessen, in die Stadt zu gehen, um Brot zu kaufen. Er fand Ephesus verändert, auf allen Thoren glänzte das Kreuz, und er meinte, er habe den Verstand verloren. Als er mit der alten, in der Stadt nicht mehr gebräuchlichen Münze das Brot bezahlen wollte, wurde er verhaftet, und erst der Bischof, den er zu seinen Genossen in der Höhle führte, erkannte das Wunder Gottes. Selbst der Kaiser eilte von Konstantinopel herbei und ging zur Höhle, wo ihm die Heiligen mit strahlendem Antlitz entgegenkamen. Nachdem sie ihn aber gesegnet, legten sie ihre Häupter nieder auf die Erde und entschliefen und gaben ihren Geist auf nach dem Befehle Gottes. Der Kaiser ließ das Gewölbe mit Gold und kostbaren Steinen schmücken und über der Höhle eine große Kirche erbauen. –

Diese Legende, deren Inhalt im Laufe der Zeit manche Zusätze erhalten hat, ist eine der ältesten in der christlichen Kirche, denn sie wird schon in einem Vorgänger des Bädeker, in dem Reisebüchlein „Theodosius de situ terrae sanctae“, welches zwischen 520 und 530 für Besucher des Gelobten Landes verfaßt wurde, erwähnt; es heißt an einer Stelle desselben: „In der Provinz Asien ist der Stadtbezirk Ephesus, wo sich die sieben schlafenden Brüder befinden und zu ihren Füßen das Hündchen Viricanus.“

Aber nicht nur die Christen kannten diese Sage, auch Mohammed erzählt sie, wenn auch in zerrissener Form, im Koran, wobei er auf die verschiedenen Darstellungen eingeht, indem er mit den Worten schließt: „Einige sagen: drei waren ihrer, und ihr vierter war ihr Hund; andere sagen: fünf waren ihrer, und ihr sechster war ihr Hund, rathend über das Geheime; andere sagen: sieben waren ihrer, und ihr achter war ihr Hund. Sprich: mein Herr weiß am besten ihre Zahl, nur wenige sollen sie wissen. – Und sie verblieben in ihrer Höhle dreihundert Jahre, denen noch hinzugefügt wurden neun. – Sprich: Gott weiß am besten, wie lange sie dort blieben.“

Die Siebenschläfer oder die „Männer der Höhle“ und ihr Hund Kitmir werden bei den Mohammedanern als Schutzgeister der Schifffahrt verehrt und ihre Zeichen auf Schiffen eingeschnitten.

Gegen das Ende des 8. Jahrhunderts wird ähnliches auch aus Deutschland in Warnefrieds Langobardengeschichte erzählt. „Im äußersten Norden dieses Landes,“ heißt es darin, „am Ufer des Oceans schlafen in einer Höhle unter einem gewaltigen Felsen sieben Männer seit unbestimmt langer Zeit. Ihre Leiber sind jedoch unversehrt, wie auch ihre Kleider, und sie werden darum von den barbarischen Völkern jener Gegend verehrt. Nach dem Gewande zu urtheilen, müssen es Römer sein. Als jemand aus Habsucht einen von ihnen seiner Kleidung berauben wollte, da verdorrten ihm die Arme, durch welche Strafe die andern von einem solchen Wagniß abgeschreckt wurden.“

Auch bei anderen Völkern finden wir Sagen vom langen Schlaf. Im Talmud wird von Chone Hamagel erzählt, er habe einen Mann verspottet, der einen Johannisbrotbaum pflanzte, da dieser erst nach 70 Jahren Früchte trage. Chone Hamagel schlief darauf ein, und ein Felsen zog sich um ihn herum, unter welchem er 70 Jahre ungesehen in den Armen des Schlafes ruhte. Als er erwachte, pflückte der Enkel des Baumpflanzers die Früchte, und als er in sein Haus kam, fand er hier seinen Enkel als Herrn, da sein Sohn längst gestorben war. Er gab sich zu erkennen, fand aber keinen Glauben und sehnte sich nach dem Tode, der ihn auch bald darauf erreichte.

Auch Griechenland kannte berühmte Schläfer. Endymion erhielt von Zeus ewiges Leben in Gestalt eines ewigen Schlummers. In seiner Höhle besucht ihn allnächtlich seine Geliebte, die Mondgöttin Selene. Von Epimenides auf Kreta wird erzählt, daß er einst von seinem Vater ausgeschickt wurde, um ein verlorenes Schaf zu suchen. Er legte sich in einer Höhle nieder und verschlief hier 57 Jahre, und als er erwachte, suchte er das Schaf weiter; denn er glaubte, nur eine Nacht geschlafen zu haben. Er fand das Schaf nicht, aber er war glücklicher als Chone Hamagel; denn sein Bruder, der inzwischen ein Greis geworden war, erkannte ihn wieder, und Epimenides wurde als ein Liebling der Götter verehrt.

Sind alle diese Sagen der Alten nur Schöpfungen der Phantasie, oder liegen ihnen irgendwelche wirkliche Thatsachen zu Grunde? Man hat sie verschiedenartig gedeutet. Sehr beachtenswerth sind die Studien, welche J. Koch in seinem Werke „Die Siebenschläferlegende“ (Leipzig, Karl Reißner) veröffentlicht hat. Die Siebenschläfer, bei den Mohammedanern Schutzheilige der Schifffahrt, sollen seiner Ansicht nach an die phönicischen Kabiren erinnern, die bei diesem seefahrenden Volke gleichfalls die Schiffe beschützten und deren achter Bruder Esmun oder der Aeskulap war. Dieser göttliche Erfinder der Medizin, der die Kraft besaß, selbst die Todten wieder zu erwecken, hat neben der Schlange auch den Hund als sein Attribut, und unter seinen Heilmitteln befand sich auch der Schlaf. Kranke gingen in die Heiligthümer des Aeskulap, um durch den Tempelschlaf Heilung zu erlangen. War dieser Schlaf immer ein natürlicher oder wurde er künstlich von den Priestern erzeugt? Der Schleier, der über den medizinischen Mysterien aller Kulte ruht, ist ja kaum gelüftet, und vieles war in alten Zeiten wohl bekannt, was in unseren Tagen neu erscheint.

Auffallend ist es gewiß, daß uns die Forschung über die Schlaf-Legenden zum Gott der Medizin führt! Wir wollen daraus keine Schlüsse ziehen, aber wir wollen noch länger bei altersgrauen Religionen verweilen, um noch überraschendere Thatsachen zu erfahren.

Im 2. Jahrhundert v. Chr. trat in Indien Patanjali mit einer Lehre auf, welche die Bekenner des Brahma zu einer besonderen Art von Gottesdienst aufforderte. Die Inder, welche an die Seelenwanderung glaubten, fürchteten die Wiedergeburt, [371] da diese einer Strafe gleich galt; denn nur der Sünder, dessen Seele nicht zur Gottheit, zu der Weltseele zurückkehren durfte, mußte noch einmal die Wanderung durch das Pflanzen- und Thierreich antreten. Der Eingang in Brahmas Schoß konnte aber nur durch den gänzlichen Sieg des Geistigen über die Materie, durch die Erstickung aller sinnlichen Triebe und Leidenschaften erworben werden. Darum wurden auch von den Brahmanen die härtesten Bußübungen erdacht, darum heißt es in ihren Lehren: „Wer einem Blinden gleich nicht sieht, einem Tauben gleich nicht hört, dem Holze gleich ohne Empfindung ist, von dem wisse, daß er die Ruhe erreicht hat.“ Die Askese der Inder gipfelte schließlich in dem religiösen Selbstmord; in den Fluthen des Ganges oder unter den Rädern des Götterwagens suchten die Frommen ihr Heil.

Patanjali erklärte nun diese strengen Bußübungen als thörichten Wahn und stellte die Lehre von der „Yoga“ auf. „Yoga“ bedeutet Vertiefung, Versenkung in das höchste Wesen durch die Kraft des Nachsinnens. Dieses mußte aber auf eine besondere Art ausgeführt werden. „Der sich der Vertiefung Widmende,“ schreibt Humboldt, „soll in einer menschenfernen reinen Gegend einen einsamen, nicht zu hohen und nicht zu niedrigen, mit Thierfellen und Opfergras bedeckten Sitz haben, Hals und Nacken unbewegt, den Körper im Gleichgewicht halten, den Odem hoch in das Haupt zurückziehen und gleichmäßig durch die Nasenlöcher aus- und einhauchen, nirgends umherblicken, seine Augen gegen die Mitte der Augenbrauen und die Spitze der Nase richten und den geheimnißvollen Namen der Gottheit ‚Om!‘ aussprechen.“

Dann kommt Ruhe über ihn; dann schwindet ihm das Bewußtsein und das Gefühl, und seine Seele kehrt zu Brahma zurück.

Unser Jahrhundert, welches in so vielen Besessenen früherer Zeiten Geistes- und Nervenkranke erkannte, versteht auch die Folgen der Yoga zu deuten. Diese Andachtsübung muß den Yogin in einen ähnlichen Zustand versetzen, in welchen so viele von uns verfallen, wenn sie einen blitzenden Knopf unverwandt ansehen, in den seltsamen Zustand, der nicht Wachen und nicht Schlaf ist, aber mit dem letzteren so viel Aehnlichkeit besitzt, daß er mit dem Namen „Hypnose“ (vom griechischen Worte Hypnos: der Schlaf) bezeichnet wird. Und in der That zeitigte die Yogalehre in Indien allerlei Blüthen des Hypnotismus, die selbst die Leistungen unserer nach Aufsehen ringenden Magier und Hypnotiseure übersteigen.

Im Dabistan, einem persischen Werke über die Religionssekten in Indien, heißt es an einer Stelle:

„Bei den Yogins findet man den Gebrauch, sich lebendig begraben zu lassen, wenn eine Krankheit sie befällt. Sie gewöhnen sich, mit offenen Augen den Blick starr auf die Mitte der Augenbrauen zu richten, bis ihnen die Gestalt eines Mannes erscheint; erscheint dieselbe ohne Hand, Fuß oder sonst ein Glied, so berechnen sie daraus, innerhalb wie vieler Jahre, Monate oder Tage ihr Leben zu Ende gehen werde. Sehen sie die Gestalt ohne Kopf, so wissen sie, daß ihnen nur noch ein sehr kurzes Leben beschieden ist, und dann lassen sie sich lebendig begraben.“

Dieses geschah nun in der Weise, daß die Büßer durch Unterdrückung der Athmung und Fixiren der Geistesthätigkeit sich in einen dem Winterschlaf der Thiere oder der kataleptischen Starre ähnlichen Zustand versetzten. Die fanatischen Yogins betreiben dies noch in unserer Zeit gewissermaßen als Gewerbe, indem sie sich gegen Belohnung zur Buße für andere lebendig begraben lassen, um nach einigen Tagen oder sogar Wochen wieder ausgegraben zu werden und ins Leben zurückzukehren. Diese Fälle, welche Braid zuerst gesammelt und zu deuten versucht hat, sind so bekannt, daß ein ausführliches Eingehen auf dieselben überflüssig erscheint. Sie lehren uns aber, daß der unnatürliche Schlaf schon in ältesten Zeiten den Menschen bekannt war, daß er ihnen Veranlassung zu Sagen- und Mythenbildung gab, daß er in den Dienst der Gottesandacht gestellt wurde, weil er wie alles Ungewöhnliche räthselhaft und darum überirdischen Ursprungs zu sein schien.

Während aber die Dichter den Stoff verarbeiteten und die Legenden in ein poetisches Gewand kleideten, wie dies noch Goethe in seinem West-östlichen Divan gethan hat, kam allmählich die Zeit, wo auch die Wissenschaft sich mit der Erscheinung des unnatürlichen Schlafes näher befassen sollte.


II. Berühmte Langschläfer.

Wer an die Möglichkeit eines ungewöhnlich langen Schlafes nicht glauben wollte, der mußte zu allen Zeiten durch die immer und immer wiederkehrenden Berichte von Fällen der Schlafsucht von seinem Zweifel geheilt werden. Die medizinische Literatur kennt eine ganze Anzahl solcher Fälle, von denen wir an dieser Stelle nur einige wiedergeben.

Einer der größten Schläfer war Samuel Chilton, gebürtig aus Tinsbury bei Bath. Er war Handarbeiter, 25 Jahre alt, nicht fett, aber muskulös; er hatte dunkelbraunes Haar. Im Jahre 1694 schlief er ein und verschlief einen ganzen Monat, dann wachte er auf und ging wie gewöhnlich an seine Arbeit; während seiner Schlafzeit nahm er von den Speisen, die man ihm ans Lager setzte, und hatte seine normalen Entleerungen, ohne jedoch zu erwachen. 1696 schlief er wieder ein und schlief diesmal 17 Wochen lang, und während der letzten 6 aß er gar nichts. Leider ist dabei nicht einmal die Gewichtsabnahme des Körpers festgestellt worden. Im Jahre 1697 schlief Samuel Chilton wieder, und der Schlaf dauerte diesmal 6 Monate; in dem Berichte von Dr. Oliver wird aber gar nichts davon erwähnt, wie es mit der Nahrungsaufnahme Chiltons bestellt war. Wir erfahren nur, daß man mit ihm allerlei ungewöhnliche und selbst grausame Versuche angestellt habe, um festzustellen, ob er wirklich keinen Schmerz empfinde oder nur ein Betrüger sei. Chilton gab keine Schmerzensäußerungen von sich und hatte nach dem Erwachen keine Erinnerung an die mit ihm vorgenommenen Proben.

Aehnliche Krankengeschichten hat auch Macnisch in seinem Buche „Der Schlaf in allen seinen Gestalten“ zusammengestellt. Er erzählt von einem Schlafsüchtigen, der 8 Tage lang keine Nahrung genoß, und von einem anderen, der 3 Wochen lang schlief und während dieser Zeit keinen Bissen Essen zu sich nahm, keinen Tropfen trank, der durch nichts auch nur für einen Augenblick erweckt werden konnte, während sein Schlaf ruhig und natürlich schien. Weiter wird noch ein polnischer Soldat erwähnt, der vor Schrecken erstarrte und 20 Tage lang ohne Nahrung blieb.

Dr. Jarrold behandelte einen 44jährigen Mann wegen eines Anfalls von kataleptischer Starre, die 8 Tage lang anhielt. Der Arzt hatte den Kranken aufgegeben, denn der Puls war kaum fühlbar und die Athemzüge, die sehr oberflächlich waren, traten in je 45 Sekunden ein. Nach acht Tagen erwachte aber der Mann, der bis dahin nichts genossen hatte, verlangte ein Beefsteak und genoß vor den Augen des Arztes eine reichliche Mahlzeit.

Es wäre jedoch müßig, eine Geschichte der berühmten Schläfer aus früheren Zeiten zusammenzustellen. Die Berichte sind sehr unzuverlässig; Fälle von Schlafsucht wechseln in ihnen ab mit Erzählungen von Scheintodten, langen Ohnmachtsanfällen u. dergl. Ja, es fehlt darunter selbst nicht ein europäischer Yogin, der sozusagen nach Belieben „sterben“ konnte, um wieder zu erwachen. Braid berichtet diesen seltsamen Fall mit folgenden Worten des Dubliner Arztes Dr. Cheyne:

„Oberst Townsend konnte nach Belieben sterben, d. h. aufhören zu athmen, und durch bloße Willensanstrengung oder sonstwie wieder ins Leben zurückkommen. Er drang so sehr in uns, den Versuch einmal anzusehen, daß wir schließlich nachgeben mußten. Alle drei fühlten wir erst den Puls; er war deutlich fühlbar, obwohl schwach und fadenförmig, und das Herz schlug normal. Er legte sich auf den Rücken zurecht und verharrte einige Zeit regungslos in dieser Lage. Dr. Baynard legte seine Hand auf das Herz des Obersten und Herr Skrine hielt ihm einen reinen Spiegel vor den Mund. Ich fand, daß die Spannung des Pulses allmählich abnahm, bis ich schließlich auch bei sorgfältigster Prüfung und bei vorsichtigstem Tasten keinen mehr fühlte. Dr. Baynard konnte nicht die geringste Herzzusammenziehung fühlen und Herr Skrine sah keine Spur von Athemzügen auf dem breiten Spiegel, den er vor den Mund des Daliegenden hielt. Dann untersuchte jeder von uns nacheinander Arm, Herz und Athem, konnte aber selbst bei der sorgfältigsten Untersuchung auch nicht das geringste Lebenszeichen an ihm finden. Wir besprachen lange, so gut wir es vermochten, diese überraschende Erscheinung. Als wir aber fanden, daß der Mann immer noch in demselben Zustande verharrte, schlossen wir, daß er doch den Versuch zu weit geführt habe, und waren schließlich überzeugt, daß er wirklich todt sei, und wollten ihn nun verlassen. So verging eine halbe Stunde. Gegen 9 Uhr früh, als wir [372] weggehen wollten, bemerkten wir einige Bewegungen an der Leiche und fanden bei genauerer Beobachtung, daß Puls und Herzbewegung allmählich zurückkehrten. Der Mann begann zu athmen und leise zu sprechen. Wir waren alle aufs äußerste über diesen unerwarteten Wechsel erstaunt und gingen nach einiger Unterhaltung mit ihm und untereinander von dannen, von allen Einzelheiten des Vorgangs zwar völlig überzeugt, aber ganz erstaunt und überrascht und nicht imstande, eine vernünftige Erklärung dafür zu geben.“

Während der Oberst in jüngeren Jahren sich in diesen Zustand ohne sichtlichen Schaden versetzen konnte, wurde ihm dieser Versuch im späteren Alter verderblich; denn nachdem er von einem solchen freiwilligen Tode erwacht war, verfiel er dem wirklichen Tode, aus dem es kein Erwachen giebt.

Zu Anfang dieses Jahrhunderts brachten Aerzte, die in fernen Kolonien thätig waren, die Nachricht von einer Schlafkrankheit, die ziemlich häufig unter den Negern in Westafrika, auf den Antillen und in Mittel- und Südamerika vorkommt. Man nannte sie die Schlafsucht. Ihr Verlauf wird in folgender Weise geschildert:

„Bevor der Kranke in Schlaf verfällt, fühlt er sich niedergeschlagen und schwach. Bald hat der Kranke keinen Appetit, bald verspürt er Heißhunger, seine Schwäche nimmt immer mehr zu und es wird ihm immer schwieriger, Bewegungen auszuführen. Hierauf stellt sich ohne Fiebererscheinungen ein taumelnder Gang ein, die Theilnahme an der Außenwelt geht verloren, die Sinne trüben sich, und während der Puls langsamer wird, tritt ein tiefer Schlaf ein. Der Kranke sucht eine möglichst platte Lage auf dem Boden einzunehmen, von da ab macht er aus eigenem Antriebe keine Bewegungen und reagirt nur schwach oder gar nicht auf äußere Reize. Während der Puls immer langsamer wird, der Kranke abmagert und seine Haut eine erdfarbene Erblassung annimmt, tritt nach etwa 2 bis 3 Monaten fast regelmäßig der Tod ein. Obwohl Hunderte von diesen Schlafsuchtfällen beobachtet und viele Sektionen gemacht worden sind, ist das Wesen der Krankheit räthselhaft geblieben.“

Die meisten verbürgten Fälle, die in neuerer Zeit in civilisirten Staaten beobachtet wurden, erwiesen sich als Theilerscheinungen anderer Krankheiten, die einen ungeübten Beobachter leicht zu der Annahme verleiten können, daß er einen Schlafsüchtigen vor sich habe. Unnatürliche Schlaferscheinungen kommen bei Erkrankungen des Nervensystems, namentlich aber bei der Hysterie vor. Es ist seit geraumer Zeit bekannt, daß Hysterische durch äußere Reize in einen schlafartigen und der Starre ähnlichen Zustand verfallen, aus dem sie mitunter schwer zu erwecken sind. Aber die Hysterischen, die ja auch zum Nachtwandeln neigen, verfallen auch von selbst in Schlaftrunkenheit. Diese kann die verschiedensten Formen annehmen; in leichteren Fällen ist sie nur ein Halbschlummer; die Kranken erwachen von Zeit zu Zeit und versorgen ihre natürlichen Bedürfnisse, oder sie schlafen fortwährend, ohne Nahrung zu sich zu nehmen, und dieser Schlaf kann mehrere Tage andauern. Sehr selten geht der Schlaf in völlige Lethargie, in den sogenannten hysterischen Scheintod über. In diesem Zustande ist der Athem selten und kaum merklich, der Puls kaum fühlbar, der Stuhl wochenlang angehalten. Fälle, wo solche Zustände mehrere Tage dauerten, sind nicht selten, und selbst solche sind verbürgt, deren Dauer sich auf Monate erstreckte.

Auch die Starrsucht, Katalepsie, die oft auf hysterischer Grundlage entsteht, kann von Uneingeweihten mitunter als Schlafsucht gedeutet werden; in älteren Berichten wird oft die Starrsucht mit der Schlafsucht verwechselt.

Diese Leiden hat es zu allen Zeiten gegeben; schon bei den ältesten medizinischen Schriftstellern werden sie erwähnt. Wir haben gesehen, in welcher Weise sie und die Erscheinungen der Hypnose zu Mythenbildungen und religiöser Schwärmerei Anlaß gegeben haben. Sie bilden auch heutzutage ein Gebiet, auf das sich die sensationssüchtige Phantasie flüchtet. Solche Krankengeschichten werden gern erzählt und gedruckt, und der Welt wird die Ausbreitung einer neuen Schlafkrankheit, für die leicht irgend ein Name gefunden wird, verkündigt. Geht dann die Forschung der Sache auf den Grund, so entpuppt sich vielfach die Krankheit, wie dies bei einigen Fällen der jetzt so viel besprochenen Nona der Fall war, als Typhus, Entzündung der Gehirnhäute, so erkennt man in den berühmten Schläfern der Neuzeit Hysterische und andere Nervenkranke. An gut beobachteten Fällen reiner Schlafsucht, wie sie aus älteren Berichten volksthümlich geworden sind, scheint es in der neueren medizinischen Litteratur zu fehlen.



[402]
III. Warum schlafen wir?

Was ist der Schlaf? Warum schlafen wir? Das sind sehr naheliegende Fragen, die sich der Mensch seit uralten Zeiten gestellt hat, auf die er aber bis auf den heutigen Tag eine bestimmte Antwort nicht geben konnte. Die Erscheinungen des natürlichen Schlafes sind uns wohl bekannt, wir wissen, daß der tiefe traumlose Schlaf mit dem völligen Erlöschen der Aufmerksamkeit verbunden ist; unsere Sinnesorgane sind in ihm gegen schwächere äußere Reize, die wir selbst im Zustande der Schläfrigkeit noch deutlich wahrnehmen, unempfindlich, die willkürlichen Bewegungen hören auf, und ebenso erlischt die Fähigkeit, Vorstellungen logisch zu verknüpfen, Gedanken zu bilden. Doch nur ein Theil des Organismus stellt im Schlaf seine Thätigkeit ein, physiologische Vorgänge, die von der Aufmerksamkeit nicht abhängen, vollziehen sich mit noch größerer Regelmäßigkeit als im wachen Zustande: unser Herz arbeitet und das Blut kreist in den Adern, wir athmen, unser Körper bildet Wärme, die chemischen Prozesse erleiden keinen Stillstand, wenn sie auch von denen, die sich im Wachsein vollziehen, verschieden sein dürften. Das Gefühl der Erholung und Erquickung, welches auf den Schlaf folgt, läßt auch die Annahme berechtigt erscheinen, daß zu dieser Zeit gerade die aufbauenden Vorgänge, welche die Erneuerung des Organismus herbeiführen, vorwiegend walten. Das Organ, welches im Schlafe in erster Linie ruht und sich erholt, ist aber das Gehirn, das Organ der geistigen Thätigkeit. Wir könnten somit den Schlaf als die in regelmäßigen Fristen wiederkehrende Ruhe des Gehirns ansehen. Daß sie unumgänglich zur Erhaltung der Gesundheit nöthig ist, weiß jedermann; denn wenn wir den Schlaf durch fortwährend neue Reize anhaltend verscheuchen, so tritt endlich eine schwere Schädigung des Gehirns ein.

Warum aber müssen wir schlafen? Die Frage läßt sich nach dem heutigen Stande der Wissenschaft etwa wie folgt beantworten:

Während unser Organismus wacht, während wir arbeiten und denken, werden in uns Zersetzungsprodukte gebildet, welche aus dem Körper ausgeschieden werden müssen, wenn er leistungsfähig bleiben soll. Die Anhäufung dieser Stoffe verursacht Ermüdung, und man hat sie darum „Ermüdungsstoffe“ genannt. Sind sie in größeren Mengen vorhanden, so stören sie auch die Thätigkeit des Gehirns, setzen seine Erregbarkeit herab und zwingen es zur Ruhe. Der Schlaf tritt alsdann ein. Während desselben werden nun neue Ermüdungsstoffe gar nicht oder nur in geringen Mengen gebildet, der Organismus hat somit Zeit, die vorhandenen angehäuften Stoffe auszuscheiden. Ist dies geschehen, so hat sich der Körper erholt und wir erwachen erquickt und gestärkt.

Der berühmte Physiologe W. Preyer, welcher diese Deutung des Schlafes aufstellte, hat namentlich auf die Milchsäure als einen hervorragenden Ermüdungsstoff hingewiesen. Infolgedessen wurden vielfache Versuche mit der Milchsäure angestellt, um dieselbe auf ihre schlafverursachende Wirkung zu prüfen. In der That stellten sich nach Darreichung derselben sowohl bei Menschen wie bei Thieren Schläfrigkeit und Schlaf ein, aber nicht in allen Fällen, ebenso häufig erwies sich das Schlafmittel als unwirksam. Preyer hat jedoch von Anfang an darauf hingewiesen, daß wir die Ermüdungsstoffe, welche der Körper erzeugt, erst sehr wenig kennen, und daß erst nach dieser Richtung hin Vorarbeiten gemacht werden müssen.

In der That scheinen die neuesten Ergebnisse der Forschung viel zum Ausbau jener Erklärung des Schlafs beizutragen. Es sind in den letzten Jahren unter den Zersetzungsprodukten Stoffe bekannt geworden, die den Körper äußerst stark beeinflussen.

Wir wußten längst, daß gewisse Pflanzen äußerst starke Gifte erzeugen, denen auch betäubende Wirkung zukommt; es sind dies die Alkaloide, eine Gruppe von chemischen Verbindungen, von denen das Morphium als das bekannteste erwähnt sein mag, das Morphium, welches wie eine Reihe anderer Mittel einen künstlichen Schlaf hervorruft. Bis vor kurzem war es nicht bekannt, daß auch der thierische Körper ähnlich wirkende Stoffe erzeuge. Da fand man sie in den Leichen und verwesenden Substanzen und nannte sie „Leichengifte“ oder „Ptomaïne“. Die Bahn für die Untersuchungen war geebnet, und man fand ähnliche Gifte in dem Speichel und Urin gesunder Menschen, man fand im Fleische die sogenannten Leukomaïne, welche mehr oder weniger stark die Nervencentren beeinflussen und Ermüdung und Schläfrigkeit hervorrufen. Diese Entdeckungen bieten wesentliche Stützen für die erwähnte Lehre vom Schlafe; derselbe wäre demnach durch eine Art von Selbstvergiftung hervorgerufen, und die Ruhe, welche er gewährt, wäre dazu bestimmt, den Körper von den schädlichen Stoffen wieder zu befreien.

Durch diese Auffassung wird vieles erklärt. Wir begreifen, warum der Schlaf eine periodische Erscheinung ist, aber in der Dauer der Perioden so wechselnd; wir begreifen, warum es einen festen und minder tiefen Schlaf giebt; es kommt ja auf die Grade der Selbstvergiftung an. Aber der Begründer der Lehre selber warnt vor zu eiligen Schlüssen; ein Mann der strengen Forschung, will er nicht geistreiche Vermuthungen aufstellen, sondern verlangt beweisende Thatsachen – und solche entscheidende Versuche fehlen noch zur Stunde. So müssen wir gestehen, daß wir im Augenblick selbst das Wesen des natürlichen Schlafes nicht erklären können, um wie viel schwieriger muß darum die Deutung der krankhaften Erscheinungen desselben sein!

Wir möchten aber von der Erwähnung dieser Erklärungsweise nicht scheiden, ohne eines Begleiters des Schlafes, des Traumes, zu gedenken. Soweit es möglich war, Versuche anzustellen, ergeben sie, daß der Traum in einer falschen Auslegung von Sinneseindrücken besteht. Für das Träumen giebt es keine Regel, kein Gesetz. Unsere Auffassung dürfte einiges Licht in das Dunkel der Traumwelt werfen.

Das Gehirn ist die Centralstation des Körpers und es zerfällt selbst in eine Anzahl von Centren, welche gewisse Verrichtungen ausüben müssen. Von der richtigen Beschaffenheit dieser Centren hängt auch unser gesundes Denken ab. Es ist erwiesen, daß z. B. Erkrankungen einer Partie des Gehirns Störungen der Sprache hervorrufen. Die Ermüdungsstoffe betäuben sozusagen diese Centren, aber nach und nach werden die Ermüdungsstoffe im Schlafe ausgeschieden; nach und nach werden die Centren im Gehirne frei, aber nicht alle mit einem Schlage: das eine schlummert noch tief, das andere ist bereits erregt; so werden gewisse Reize wahrgenommen und in dem unvollständig arbeitenden Gehirn zu der wirren Traumerscheinung verarbeitet.

IV. Alpdrücken und Nachtwandeln.

Unter den Träumen, die uns in dem unvollkommenen Schlaf befallen, giebt es auch quälende, die bei häufiger Wiederkehr sogar einen krankhaften Zustand bilden. Schon in den ältesten medizinischen Schriften finden wir den „Alp“ erwähnt, jenen Traum, der von dem Gefühl des Erstickens begleitet ist. Der Aberglaube hat sich dieser oft wiederkehrenden Traumerscheinung bemächtigt und sie als das Werk eines Kobolds, eines Gespenstes gedeutet, das uns in der Nacht aufsucht. Die Hexenprozesse beweisen uns, daß dieser Aberglaube kein harmloser war, sondern Veranlassung zu dem Glauben an den Verkehr mit Teufeln etc. gab. Früher beschäftigten sich die Aerzte viel mit dem Alpdrücken. In dem 1833 erschienenen Werke von M. Strahl „Der Alp, sein Wesen und seine Handlung“ wird eine ganze Reihe von sonderbaren Träumen erzählt und in dem Litteraturverzeichniß werden gegen 150 Schriften über den Alp aufgeführt. Man warf auch in früheren Zeiten alle möglichen ähnlichen Erscheinungen in einen Topf zusammen und fand gerade in den krankhaften Träumen, im Nachtwandeln, in Ekstasen Hysterischer etc. ein Gebiet, auf dem die Phantasie sich nach Belieben austummeln konnte. Und doch war es nicht schwer, die Ursache des Alpdrückens durch Versuche festzustellen.

Der vom Alp Befallene träumt, daß er ersticke. Die Ursache dieses Gefühls ist eine außerordentlich verschiedene und hängt von dem Bildungsgrade des Träumenden ab. Vielen erscheint wirklich ein schwarzes Gespenst, ein Kobold oder Elf, und legt sich ihnen auf die Brust; andere sehen und fühlen, wie ein häßliches Thier, eine schwarze Katze oder ein zottiger Hund, sich auf ihre Herzgrube lagert; andere endlich haben nur die Vorstellung, daß ihr Athem stocke, ihr Herz stillzustehen drohe, und alle empfinden Qualen der Todesnoth. Ist aber die Beklemmung aufs höchste [403] gestiegen, so wacht der Gequälte auf; der Alp wird abgeschüttelt, und manche greifen nach dem Puls, um zu sehen, ob sie noch leben.

Börner hat in den fünfziger Jahren genaue Beobachtungen über das Alpdrücken angestellt.[WS 1] Zunächst wählte er jugendliche Personen, die offenkundig daran litten. Während sie fest und ruhig schliefen, schob ihnen Börner die Decke sanft über das Gesicht, wobei er den Mund ganz und die Nasenlöcher nur zum größten Theil bedeckte. Dadurch wurde die Athmung erschwert, und die Folgen davon zeigten sich alsbald dem Beobachter. Die Schlafenden machten tiefe, langgedehnte Athemzüge; man sah, wie der Brustkorb angestrengt arbeitete, das Gesicht sich röthete, die Halsadern anschwollen; später stöhnten und ächzten die Träumenden, um endlich unter einer heftigen Bewegung zu erwachen. Jetzt gaben sie Auskunft über ihre Empfindungen; ein wüster Traum hatte ihnen den lebenden Alp auf der Brust vorgespiegelt.

Im weiteren Verlauf wurden neue Versuche mit 20 Personen gemacht, die bis dahin niemals an Alpdrücken gelitten hatten. Die meisten von denselben kannten die Alpgeschichte aus Erzählungen, und die Decke über dem Gesicht gaukelte ihnen entweder den echten Alp oder ein ähnliches die Brust beklemmendes Hinderniß vor. Aber auch bei denjenigen, denen die Geschichte nicht bekannt war, kam, durch die Athemnoth verursacht, ein dem Alp ähnliches Traumbild zustande, immer hat sich bei ihnen etwas auf die Brust niedergelassen. Die Abweichungen von dieser Regel waren sehr selten. Die eine der Versuchspersonen träumte, sie sei von einem wilden Thiere außer Athem gehetzt, und zwei andere hatten nur das Gefühl von Angst, Athemnoth und Bewegungslosigkeit, ohne daß ein Traumgesicht sich ausgebildet hätte.

Die Versuche Börners werfen auch ein Licht darüber, wie die Träume entstehen. „Der Charakter, den der Träumende dem Alpwesen beilegte, hing meist von dem Gegenstande ab, dessen er sich zur Bedeckung des Gesichtes bediente. Tuch, namentlich solches von etwas rauher oder zottiger Beschaffenheit, gab stets die Vorstellung von einem behaarten Thiere, welche infolge einer ganz logischen Schlußfolge zustande kam. Der Träumende fühlt nämlich, daß etwas früher nicht Dagewesenes sich auf seine Athmungsorgane lagert. Daraus folgt, daß dieses Etwas mit selbständiger Bewegungsfähigkeit ausgestattet, also ein Thier sein muß. Die Gesichtsnerven nehmen aber etwas Zarthaariges wahr, folglich muß das Thier ein mit weicher Wolle oder weichem Haar versehenes, also etwa ein Pudel, eine Katze sein. Der ziemlich gleichmäßige Alptraum hat sonach nichts Auffallendes; er hat eine deutliche äußere Veranlassung, aus der er gebildet wird.“

Die abenteuerlichen Gehirnspiele des Traumes haben ihre ernsten Seiten. Es ist hier nicht der Ort, zu erwägen, welche Rolle die Traumdeutung in früheren Zeiten gespielt hat und welche Bedeutung sie noch heute bei ungebildeten Völkern hat. Tausende und Abertausende von Menschen sind Träumen zu Opfern gefallen, und der berüchtigte König Mtesa im inneren Afrika ließ infolge seiner Träume Hunderte seiner Waganda hinrichten. Wir möchten hier nur einer anderen Eigenthümlichkeit des Traumes erwähnen, der Fälle, wo er über den eigentlichen Schlaf hinausdauert und Menschen zu Handlungen hinreißen kann.

Zwischen Schlaf und Wachen giebt es einen länger oder kürzer dauernden Zustand, die Schlaftrunkenheit, in welchem die Verbindungsfäden mit der Außenwelt beim Einschlafen noch nicht vollständig abgelöst, beim Erwachen noch nicht vollständig wieder angeknüpft sind. „Die Sinne sind in ihm noch wach oder schon erwacht,“ sagt der Gerichtsarzt J. L. Casper, „aber sie sind umhüllt vom Nebel der Traumgebilde; der Schlaftrunkene sieht und hört, aber er sieht selbstgeschaffene Gespenster statt der wirklichen Gegenstände; er hört einen Schuß fallen, von dem er gerade träumte, während nur ein Stuhl umfiel. Er reagirt in gewohnter logischer Folge, die bekanntlich auch im tiefsten Traum fortdauern kann, da die Muskelthätigkeit im Schlafe nicht gehemmt ist, auf die gesetzwidrigste Weise. Der berühmte Fall des Bernard Schidmaidzig, der im Traume ein fürchterliches weißes Gespenst auf sich zukommen sieht, halb erwacht mit seiner Axt darauf einschlägt und seine Frau tödtet; der junge Mann, der an ängstlichen Träumen litt, zumal in mondhellen Nächten, der in einer solchen, als sein Vater aufstand und er die Thür knarren hörte, aufsprang, seine Doppelflinte nahm und den Vater durch die Brust schoß; der Mensch, der, bedrückt von einem Traum, worin er mit einem Wolf kämpfte, den neben ihm schlafenden Freund mit einem Messerstich tödtete; Taylors Hausirer, der einen Stockdegen bei sich trug, auf der Landstraße eingeschlafen war und, von einem Vorübergehenden aufgerüttelt, seinen Stockdegen zog und den Fremden tödlich verletzte[WS 2] – diese und ähnliche ältere Fälle geben traurige Belege dafür, daß auch die schrecklichsten Thaten im Traumleben der Schlaftrunkenheit verübt werden können.“

In neuerer Zeit hat sich, Dank der schärferen Beobachtung, die Zahl der wundersamen im Traume vorgenommenen Handlungen vermindert, und wie verbürgte Fälle von Langschläfern selten geworden sind, so hört man auch weniger von jenem räthselhaften Zustand, der als Schlaf-, oder Nachtwandeln bekannt ist und früher nicht nur in Romanen eine bedeutende Rolle spielte.

Was man vor Jahrzehnten selbst bei Gerichten für möglich hielt, beweist beispielsweise der Fall des nachtwandelnden Knechtes in Halle. Er verliebte sich in ein Mädchen, und beide versprachen sich die Ehe. Aber ein anderer Liebhaber des Mädchens erregte seine Eifersucht. Eines Nachts stand der Knecht auf, stieg aus seinem Dachfenster, ging über die Dächer bis zum Fenster des benachbarten Hauses, stieg durch dasselbe hinein in die Kammer und ermordete das schlafende Mädchen mit dem Messer, das er mitgenommen hatte. Auf demselben Wege ging er wieder zurück. Bei der Untersuchung stellte er den Vorfall wie einen Traum dar, den er gehabt habe. So leicht dürfte heute ein Mord aus Eifersucht sich nicht entschuldigen lassen!

Man hat den Schlafwandelnden außerordentliche Befähigungen zugesprochen; ihr Geist sollte in dem eigemthümlichen Zustande besonders geschärft sein, und Dank dieser Verschärfung der Sinne und des Geistes sollte der Nachtwandler an den gefährlichsten Abgründen klettern, auf den schmalsten Stegen gehen, weite Sprünge vollführen, ohne sein Ziel zu verfehlen. Schon Johannes Müller hat an Stelle dieser wunderbaren eine einfachere Erklärung der beim Schlafwandeln beobachteten Thatsachen gegeben. Der Schlafwandler vollführt vieles, weil er die Gefahr, die ihm droht, nicht bemerkt, aber er ist gegen die Gefahr nicht gefeit, und er kann ebensogut im Augenblicke des Erwachens wie noch im Schlafe aus dem Fenster stürzen, wenn ihn sein dunkler Drang dorthin getrieben hat.

Die medizinische Litteratur kennt nur wenige gut beobachtete Fälle von Schlafwandel. Sie entkleiden die Krankheit der romanhaften Färbung, die ihr verliehen wurde.

C. Binz berichtet über einen von ihm behandelten und geheilten Fall, der mit Alpdrücken verbunden war.[2]

Es handelte sich um einen durchaus gesunden, mit raschem Einschlafen und bei Abwesenheit der schädlichen Ursachen mit festem Schlaf begabten jungen Mann von lebhaftem Temperament. So weit eine Rückerinnerung möglich, waren seine Vorfahren, Verwandten, wie auch die lebenden Familienmitglieder frei von irgend welchem psychischen Leiden oder auch nur nervösen Anlagen. Außer den gewöhnlichen Kinderkrankheiten hatte jenem jungen Mann nie etwas gefehlt. Seit den Jahren der Reife litt er entweder an Alpdrücken oder an Schlafwandeln bis etwa zu seinem 35. Lebensjahre. Ersteres trat in den schreckhaftesten Formen auf; dem Bildungsstandpunkte des Kranken angemessen allerdings nicht in der Form eines lebenden Alpwesens, sondern stets als ein fürchterliches Erstickungsgefühl. Das Schlafwandeln zeigte sich als Aufsitzen im Bett, mit Aussprechen mehr oder weniger zusammenhängender Worte, als Aufstehen vom Lager und Umhertappen im Zimmer, als Ankleiden und Zusammenraffen von anderntags zu gebrauchenden Gegenständen und endlich einmal als geschicktes Klettern auf einen vom Monde matt beleuchteten, 6 Fuß hohen Porzellanofen, von welchem seine junge Frau den Schlafturner herunterholte. Beim Erwachen blieb meistens keine Erinnerung an ein Traumbild übrig. Zuweilen waren während des Vorganges die Augen offen; wurde Licht gemacht, so erfolgte das Erwachen in kürzester Frist. Die Folgen dieser Zustände bestanden in Ermüdung und Abgeschlagenheit während des Tages und in einer wohlberechtigten Furcht vor jeder kommenden Nacht, denn es stand nichts im Wege, daß der Schlafwandelnde auch einmal seinen Weg durch ein Fenster auf [404] das Straßenpflaster nehmen würde. Das waren die Gründe, weshalb wiederholt ärztliche Hilfe aufgesucht wurde, aber ohne jeglichen Erfolg, weil man anfangs der merkwürdigen Verschiedenheit der Ursachen nicht auf die Spur kam. Erst die von Binz verordnete genauere Selbstbeobachtung der Patienten in Betreff der Ursachen der Anfälle stellte fest, daß diese in folgendem bestanden: 1. Aufnahme gewisser Speisen (namentlich Kartoffeln und Käse) am Abend, oder 2. in angestrengtem geistigen Arbeiten während der späten Abendstunden, oder 3. in einem weiten Marsch zur selben Zeit.

Sämmtliche krankhaften Zustände hörten von dem Tage an auf, wo dem Leidenden die Ursachen seines Uebels klar wurden und er dieselben sorgfältig vermied. So hat der Mann nach der jüngsten Veröffentlichung von Binz 20 Jahre in voller Gesundheit verlebt. Eine Tochter des Geheilten hat dagegen den Hang zum Schlafwandeln geerbt.

Der Schlafwandel steht auf der obersten Stufe jener Störungen des Schlafes, die sich in leichten Formen als Reden, Lachen und Weinen im Schlaf darstellen, die sich zum Alpdrücken und endlich zum Umhergehen im Schlaf steigern können.
C. Falkenhorst.



  1. Die Einzelheiten, Namen der Märtyrer, des Berges, die Dauer der Zeit schwanken bei späteren Schriftstellern.
  2. Real-Encyclopädie der Heilkunde. Urban und Schwarzenberg, Wien. Bd. XVII. S. 368 u. ff.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Johann Börner: Das Alpdrücken, seine Begründung und Verhütung. Würzburg 1855 MDZ München
  2. Alfred Swaine Taylor: The Principles and Practice of Medical Jurisprudence. London 1865, S. 1131 Google