Der Schiffbruch des englischen Schiffs Blake

Textdaten
<<< >>>
Autor: unbekannt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Schiffbruch des englischen Schiffs Blake
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 396
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[396] Der Schiffbruch des englischen Schiffs Blake. Am 8. Februar d. J. verließ der Blake, ein liverpooler Schiff, unter dem Befehl des Kapitain Eduard Rudolf, mit einer Ladung Dauben Ship-Island (Mississippi) und segelte nach Cork ab. Achtzehn Tage lang hatte das Schiff eine gute Fahrt, da trat am 4. März stürmisches Wetter ein, der Wind nahm bis zum 12. März mehr und mehr an Heftigkeit zu und bald sah man sich, da das Schiff Wasser einließ, genöthigt, beide Pumpen in fortwährender Bewegung zu halten.

Wie groß aber auch die Anstrengungen der Mannschaft waren, ihre Aufopferung war vergebens und am Abend des 12. März stand das Wasser im Kiel bereits 12 Fuß hoch. Um 6 Uhr riß ein furchtbarer Stoß den Mann vom Steuer, zerbrach die Boote, fügte dem Schiffe arge Beschädigungen zu und kehrte das Vorderdeck nach hinten. Die Segel, die man aufhißte wurden fast in demselben Augenblicke zu Fetzen zerrissen und neue Stöße der See, einer immer wüthender als der andere, machten das Werk der Zerstörung vollkommen. Den Mittelmast zu kappen, um das Schiff zu erleichtern, hatte Niemand den Muth, denn auf dem Vorderdeck richtete die See ihre größten Verheerungen an.

„Mittlerweile“ – so erzählt der Kapitain weiter, – „fuhr der Sturm fort, mit unerhörter Wuth zu rasen, und wahrhafte Wasserberge wälzten sich jeden Augenblick über unser armes Fahrzeug. Am 13. März gesellte sich zum Orkan ein Wirbel von Hagel und Schnee, der unsere Leiden noch erhöhte, und endlich ward das Schiff, um unser Elend voll zu machen, ganz auf die Seite geschleudert, wodurch sieben Mann in’s Meer gestürzt wurden, wo sie für immer verschwanden. Zwei Stunden blieben wir in dieser schrecklichen Lage, indem wir uns an den Trümmern der Masten und sonstigen Gegenständen mit aller Kraft, die uns Kälte und Beschwerden übrig gelassen, festklammerten. Als der Sturm sich beschwichtigte, hob sich das Fahrzeug zwar wieder ein wenig, aber es hatte nur noch die Stümpfe seiner Masten; sein Steuerruder war entzwei, es sah nur noch wie ein Floß aus. Bis zum 18. März blieben wir so allen Leiden der Kälte und des Hungers ausgesetzt. Das Meer ging noch immer hoch und warf das unglückliche Wrack umher, auf dem wir unser Leben den Elementen streitig zu machen suchten. An jenem Tage befanden wir uns 43° 15’ nördlicher Breite und 38° 30’ westlicher Länge, hatten seit 5 Tagen nichts gegessen, keinen Tropfen süßen Wassers auf der Zunge gehabt und kein Schlaf war in unsere Augen gekommen.

Der 20. März war der siebente Tag, an dem wir keine Nahrung zu uns genommen hatten. Das Wetter, obgleich besser, war doch noch sehr rauh. Im Laufe des Tages fing ich eine halbtodte Ratte, welche unter dem am wenigsten ausgesetzten Theile des Decks eine Zuflucht gesucht hatte. Ich theilte sie redlich mit meinen Unglücksgefährten. Am folgenden Tage fanden wir auch ein wenig süßes Wasser im Vordertheile des Schiffs, wodurch unsere Leiden einen Augenblick gelindert wurden. Während der Zeit, wo der Hunger uns gestattete, unsern Schmerz zu vergessen, schauten unsere Augen begierig nach dem Horizonte aus; aber kein Segel ließ sich blicken. Endlich am 23. März, unserem zehnten Leidenstage, rief der ausguckende Matrose: „Schiff in Süd-Süd-Ost!“ Unsere Hoffnung hob sich; denn in der That waren zwei Schiffe in Sicht. Jeder richtete sich auf, um seinen Hut oder einen Lappen Leinwand zu schwenken. Allein vergebliche Hoffnung! Die Fahrzeuge sahen unser armes Wrack nicht und beide schwanden uns bald aus dem Gesichte. Dieser neue Schlag hatte eine herzzerreißende Scene zur Folge. Die Einen streckten die Hände zum Himmel empor mit durchdringendem Geschrei, Andere wälzten sich in düsterer Verzweiflung am Boden, während noch Andere unter Flüchen und Lästerungen ihr Geschick verwünschten. Von Zeit zu Zeit schaarten sich diese Menschen, wie von einem plötzlichen Impuls getrieben, um mich und baten mich mit Thränen im Namen Dessen, was ihnen das Theuerste auf der Welt: ihre Weiber und Kinder, sie zu retten. Dann mußte ich meine eignen Leiden vergessen, um sie durch einige beruhigende Worte zu ermuthigen und in ihren Herzen eine Hoffnung wieder zu erwecken, die ich doch nicht theilen konnte. Was war aus diesen kräftigen Männern geworden, mit denen ich die Vereinigten Staaten verlassen hatte? Acht waren im Augenblicke des Schiffbruchs umgekommen, ein neunter war in unseren Armen vor Erschöpfung gestorben, und die sieben noch übrigen, von Hunger und Erschöpfung angegriffen, glichen eher Leichen als menschlichen Wesen. Bisweilen erhob sich Einer von ihnen, durch Nahrungsmangel wahnsinnig geworden, in scheinbarer Kraft und glaubte, er nähme an einer Familienmahlzeit Theil, deren Gerichte er einzeln aufzählte; bald aber verfiel er wieder in den Zustand völliger Schwäche zurück. Das war ein schauerlicher Anblick; denn diese Ideen des Ueberflusses bildeten einen gar zu schneidenden Gegensatz zu unserer wirklichen Noth.

Meine Feder ist nicht im Stande, alle Scenen zu beschreiben, deren Zeuge ich während dieses traurigen Tages und der beiden ihnen folgenden war. Am 26. nahmen wir abermals ein Segel wahr, aber auch diesmal verschwand es, ohne uns bemerkt zu haben. Diese zweite Täuschung wirkte indeß weniger lebhaft. Denn unsere Kräfte waren erschöpft und wir fingen an, keine rechte Idee von unserer Lage mehr zu haben. Am Abend erlag ein anderer von unseren Gefährten den Qualen des Hungers; diesmal aber warfen wir ihn nicht in’s Meer, weil die gebieterische Nothwendigkeit uns zwang – Kannibalen zu werden! Drei Tage lang hatten wir von der Leiche unseres unglücklichen Genossen gelebt, obgleich unser Herz Abscheu bei dem Gedanken empfand, daß wir das Fleisch unseres Nebenmenschen verzehrten, da kam am 29. Morgens von Neuem ein großes Fahrzeug in Sicht. Es war nur zwei Meilen unter dem Winde und wir glaubten einen Augenblick, es habe uns bemerkt. Eitle Hoffnung! Es setzte seine Fahrt wie die übrigen fort. Da verließ mich jede Hoffnung. Erschöpft von meinem fast siebzehntägigen Fasten empfahl ich meine Seele Gott und die Augen schließend legte ich mich neben meine Gefährten nieder mit dem Gedanken, daß es jetzt mit mir zu Ende sei. So verliefen einige Stunden, als ich plötzlich aus meiner Betäubung durch den Freudenruf: „Ein Segel! Man hat uns gesehen!“ erweckt wurde. Niemals werde ich die Bewegung vergessen, die sich meiner in diesem Augenblicke bemeisterte: ich war todt und wurde dem Leben zurückgegeben! Wir waren in der That von der Goelette Pigeon von St. John, Kapitain Knight, bemerkt worden. Wegen der hochgehenden See war es lange unmöglich, uns nahe zu kommen; endlich aber wurden wir unserm Elend entrissen und an Bord der Goelette gebracht, wo uns die liebevollste Pflege zu Theil ward. Die Kleider, die wir, als wir das Wrack verließen, am Leibe hatten, waren so mit Salzwasser gesättigt und klebten so an unsern Körpern, daß sie uns fetzenweise abgerissen werden mußten.“