Textdaten
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Autor: M. Hagenau
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Titel: Der Schierling
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 344, 346–357
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[344]

Der Schierling.

Von M. Hagenau.

Unter den Giftpflanzen zeichnete sich einst der Schierling durch einen besonderen düsteren Ruf aus. Er wurde im Altertum vielfach als Hinrichtungsmittel benutzt und mit Schierlingssaft war der Becher gefüllt, aus dem Sokrates auf Beschluß seiner Richter den Tod trinken mußte. Als später die alte Kulturwelt zu Grunde ging, die Sitten gelockert wurden und so viele den moralischen Halt verloren, da gaben wahnwitzige Lebensmüde öffentliche Gastmahle, bei denen der Schierling das Hauptgericht bildete.

Die Zeiten haben sich verändert. Der Schierliug ist seit Jahrhunderten kein Modegift mehr, aber sein Name ist noch immer furchtbar geblieben, denn Schierlingsgewächse sind leider einigen der Gewürzkräuter, die wir in unserer Küche verwenden, ähnlich, und jahraus jahrein wird durch Verwechslung dieser Pflanzen menschliches Leben bedroht. Kein Wunder, daß die Wissenschaft dem Schierling eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt, daß sie mit den schärferen Untersuchungsmitteln der Neuzeit seine verderbliche Wirkung zu erforschen suchte und eifrig bestrebt war, Mittel zu finden, die dem Vergifteten Rettung bringen könnte. So wurde schrittweise das Dunkel gelichtet, das den unheimlichen Schierling umgab. Schärfer und klarer trat seine Gefährlichkeit hervor und um so notwendiger erscheint eine eindringliche Warnung vor dem verderblichen Kraute.

Unter dem Namen Schierling werden in weiteren Volkskreisen verschiedene äußerlich sich ähnlich sehende Pflanzen zusammengeworfen, die jedoch schon in Hinsicht auf ihre Wirkung streng voneinander geschieden werden müssen. Drei Schierlingsarten sind es, die vor allem unsere Beachtung verdienen: der Wasserschierling, der gefleckte Schierling und die Hundspetersilie oder der kleine Schierling.

Parzenkraut, giftiger Wüterich, Sterbewurzel nennt der Volksmund in verschiedenen Gebieten Deutschlands den Wasserschierling (Cicuta virosa) und in diesen Namen sind seine furchtbaren Wirkungen deutlich gekennzeichnet. In Gräben, Teichen und Sümpfen, sogar auf Holzflößen ist er anzutreffen und treibt im Juli und August seine weißen Blütendolden. Alle seine Teile sind giftig, besonders aber die Knolle, die gewöhnlich, aber irrtümlich „Wurzel“ genannt wird. Unkundige haben die Blätter dieser Giftpflanze mit Petersilie verwechselt, andere sie für eine junge Selleriepflanze oder Pastinake gehalten. Wie schrecklich sich derartige Irrtümer zu rächen pflegen, zeigt der folgende Fall, den wir zur Warnung nach dem Berichte des Schweizer Arztes Dr. Wepfer aus älterer Zeit mitteilen:

„Einige Kinder hatten Wasserschierling für Pastinakwurzel gehalten und aus Mutwillen gegessen. Sie kamen lustig und [346] vergnügt nach Hause, bald aber klagten sie über Beklemmung, fielen zur Erde, verzerrten das Gesicht, bekamen Krämpfe, hatten den Mund verschlossen, knirschten mit den Zähnen, verdrehten die Augen, bluteten aus den Ohren, die Magengegend schwoll wie eine Faust auf, der Kopf wurde verdreht, der Rücken krümmte sich zu einem Bogen und der eine Knabe war auf der Stelle tot.

Die ältere Schwester erbrach eine Hand voll Wurzeln, verfiel aber sogleich darauf in Epilepsie, verlor den Gebrauch der Sinne, litt an Krämpfen, verdrehte den Kopf. Man gab ihr einen Löffel von Theriak mit Essig ein, worauf sie noch den Rest der gegessenen Wurzeln von sich gab und die schlimmen Zufälle nachließen. Sie lag aber noch 24 Stunden wie tot da und man bemerkte an ihr weder Wärme noch Atemholen. Dann fing sie an, sich zu erholen, hatte sich aber die Zunge zerbissen, konnte lange Zeit nicht recht essen und klagte noch über Beklemmung. Vier Tage lang war sie so schwach, daß sie nicht gehen konnte, allmählich aber erholte sie sich und wurde wieder ganz gesund.

Einem achtjährigen Knaben, welcher schwindlig geworden und umgefallen war, brach man den Mund auf. Der Krampf, welcher die beiden Kinnladen aneinander preßte, war so heftig, daß dieses nur mit dem Verluste einiger Zähne geschehen konnte. Auch war es zu spät, er vermochte die ihm eingegebenen Brechmittel nicht mehr zu schlucken und starb nach einer halben Stunde.“

Zufällige Vergiftungen mit Wasserschierling kommen auch in der Gegenwart häufig genug vor. Prof. Robert teilt in seinem Lehrbuch der Intoxikationen mit, daß in medizinischen Zeitungen im Jahre 1892 allein fünf derartige Vergiftungen mit tödlichem Ausgang beschrieben wurden. Man muß aber dabei in Betracht ziehen, daß die meisten dieser Unglücksfälle von Aerzten nicht beschrieben werden, der Statistik sich also völlig entziehen und die Zahl derselben in Wirklichkeit bedeutend größer ist.

Aus verschiedenen Teilen dieser Pflanze, namentlich aber aus der Wurzel wurde der Giftstoff rein dargestellt; er ist ein zähflüssiges Harz, das den Namen Cicutoxin erhalten hat und vor allem auf die Nervencentren wirkt. Darum stellen sich auch nach Genuß des Wasserschierlings beim Menschen zunächst Uebelkeit und Erbrechen, sowie kolikartige Schmerzen im Unterleibe ein, worauf nach kürzerer oder längerer Zeit Taumel und Bewußtlosigkeit eintreten. Sodann kommt es zu furchtbaren epilepsieartigen Krämpfen, Zähneknirschen und Schaumabsonderung im Munde, zuletzt wird die Atmung gelähmt und es tritt der Tod infolge der Erstickung ein.

Ein Mittel, das die Wirkung des Cicutoxins in dem Körper aufheben würde, ist nicht bekannt; da aber die Stärke derselben von der Menge des ins Blut übergegangenen Giftstoffes abhängt, so muß man, wenn eine solche Vergiftung stattgefunden hat, schleunigst für eine energische Entleerung des Magens durch Erbrechen oder vermittels der Magenpumpe sorgen. Dadurch kann der Vergiftete vor allem vor dem Schlimmsten bewahrt werden. Weitere Hilfe muß dem Arzte überlassen werden, der durch verschiedene Mittel einzelne Symptome der Erkrankung bekämpfen kann.

So furchtbar sind die Wirkungen des Wasserschierlings, mit dessen Saft nach der Meinung einzelner Forscher Sokrates hingerichtet wurde, während andere behaupten, und zwar mit großer Wahrscheinlichkeit, daß der Gifttrank aus dem Saft des Gefleckten Schierlings (conium maculatum) bestanden habe.

Auch ihm hat der Volksmund bezeichnende Namen gegeben; er heißt Bangekraut, Vogeltod, Wutschierling, Teufelspeterlein etc.

Er wächst an Wegen, an Zäunen und auf Feldern. Sein Stengel wird bis 1,5 Meter hoch, er ist aufrecht, kräftig, am Grunde über einen Finger dick. Im Inneren ist er hohl, außen zart gestreift mit einem bläulichen Hauche und in sehr wechselnder Weise mit roten bis rotbraunen Flecken bedeckt. Der Hauptunterschied zwischen ihm und anderen ihm ähnlichen Pflanzen ist der, daß der Fleckschierling in allen seinen Teilen glatt und völlig haarlos ist. Zerquetscht man dieses Kraut, so riecht es widerlich.

Auch bei dieser Pflanze fallen zumeist die Kinder ihrem Leichtsinn zum Opfer, und wir können uns nicht versagen, auch an dieser Stelle einen Vergiftungsfall zu erzählen, damit die Eltern daraus Warnung ziehen und zu der Ueberzeugung gelangen, daß die Belehrung der Kinder über giftige Pflanzen, daß die Einschärfung des Verbotes, an jedem Kraut zu kauen, an jeder beliebigen Wurzel zu nagen, nicht sorgsam genug zu befolgen ist.

Der kleine vierjährige Sohn eines Schmieds in einem Dorfe bei Selow hatte um fünf Uhr nachmittags von einem älteren Knaben geschabte Schierlingswurzeln erhalten und sie gegessen. Um sechs Uhr kam er nach Hause; sein Gesicht war rot, er sprach ohne Zusammenhang, sang und lachte, raufte sich in den Haaren, warf sich aus dem Bette und wälzte sich auf dem Boden herum. Dies dauerte bis 11 Uhr. Dann lag das Kind auf dem Rücken, schlug mit den Händen um sich und bewegte den Mund, als wenn es äße. Nach 3 Uhr nachts schien es zu schlummern, obgleich sich Krämpfe einstellten. Um 9 Uhr morgens lag es ganz still und um 10 Uhr starb es.

Aus älteren Zeiten werden noch merkwürdigere Beobachtungen gemeldet. Ein Weingärtner hatte von der Wurzel des Schierlings, die er für Pastinake hielt, mit seiner Frau zu Abend, obgleich nur wenig, gegessen. Beide gingen darauf zu Bett. Um Mitternacht erwachten sie, liefen wie Wahnsinnige umher und zerstießen sich das Gesicht. Ein Mönch hatte Schierling statt Petersilie gegessen und litt einige Monate lang an Tobsuchtsanfällen, andere wurden wahnsinnig und bildeten sich ein, Vogel oder Schlangen zu sein. Zwei Geistliche hatten Schierlingswurzeln mit Rindfleisch gegessen. Sie waren hungrig gewesen, in welchem Zustand jedes Gift am stärksten wirkt, und fühlten seine verderblichen Wirkungen auf der Stelle. Sie wurden wahnwitzig. Der eine hielt sich für eine Gans, der andere für eine Ente, beide rissen sich die Kleider vom Leibe und wollten sich ins Wasser stürzen. Man rettete sie durch Brech- und Schweißmittel, sie blieben aber gelähmt, behielten das Zittern, waren fast nie ohne Schmerzen und starben beide nach zwei Jahren.

Abgesehen von solchen vereinzelten Mitteilungen aus neuerer Zeit, besitzen wir über die Wirkungen des Schierlingsgiftes eine sehr eingehende Schilderung in dem Bericht vom Tode des Sokrates, den sein Schüler Plato uns im „Phaedon“ überliefert hat. Derselbe zeichnet sich durch eine seltene Genauigkeit der Beobachtung aus, so daß wir ihn in der Uebersetzung wiedergeben:

„Indessen äußerte Sokrates, nachdem er kurz vorher den Schierlingsbecher geleert, daß er bemerke, wie ihm die Beine schwer würden, und legte sich nieder in der Rückenlage, wie es ihm geraten worden war. Zu gleicher Zeit näherte sich ihm der Mann, der ihm das Gift gereicht hatte, und nachdem er einige Zeit seine Füße und Beine befühlt hatte, drückte er ihn kräftig am Fuße, zugleich ihn fragend, ob er es fühle.

Er antwortete: ‚Nein.‘

Er drückte ihn darauf an den Schenkeln und zeigte uns, mit den Händen höher hinaufgehend, wie der Körper kalt und steif wurde. Den Rumpf selbst berührend, sagte er uns, daß, wenn die Kälte bis an die Herzgegend reichen werde, Sokrates uns verlassen werde.

Schon war der ganze Unterleib kalt, da sagte Sokrates, die Decke zurückschlagend, denn er war zugedeckt: ‚Kriton‘ – und das waren seine letzten Worte – ‚wir schulden dem Aesculap einen Hahn. Vergiß nicht, die Schuld abzutragen!‘

‚Es soll geschehen,‘ antwortete Kriton, ‚aber siehe zu, ob Du uns noch etwas zu sagen hast.‘

Er antwortete nicht, und bald darauf hatte er einen Krampfanfall. Da deckte ihn der Mann ganz auf; seine Augen blickten starr. Kriton, dieses bemerkend, drückte ihm die Augen zu und entfernte sich.“

Es ist schon vor längerer Zeit gelungen, den eigentlichen Giftstoff des Gefleckten Schierlings rein darzustellen. Er ist wie Morphium, Nikotin etc. ein Alkaloid und bildet eine ölige, scharf riechende, in der Luft sich verflüchtigende Substanz. Nach den Gattungsnamen der Pflanze Conium wurde ihm der Name Coniin gegeben und man hat mit ihm vielfache Versuche an Menschen und Tieren angestellt. Die ersteren haben die Mediziner an sich selbst vorgenommen, indem sie kleine Mengen Coniins, 3 bis 85 Milligramm, einnahmen. Aus denselben geht hervor, daß das Gift in größeren Mengen die Bewegungsnerven lähmt und nach kurzer Erregung des Gehirns durch Lähmung der Atmung tötet.

Man hat zeitweilig versucht, das Coniin als Heilmittel anzuwenden, ist aber wegen der unsicheren und gefährlichen Wirkung davon abgekommen. Noch heute wird aber der Schierling namentlich auf dem Lande, wo das Selbstkurieren nach Regeln der dunklen Volksmedizin in Blüte steht, als Heilmittel gegen allerlei Gebrechen empfohlen. Vor diesem Unfug muß aufs dringendste gewarnt werden, denn es sind Fälle vorgekommen, wo schon durch äußeres [347] Auflegen von Schierlingsblättern auf erkrankte Stellen des Körpers tödliche Vergiftungen erfolgten.

Das reine Coniin wurde einmal auch zu Mordzwecken benutzt, und zwar war es ein Arzt, der im Jahre 1860 seine Geliebte damit vergiftete. Der Fall ereignete sich in einem ansehnlichen Dorfe in der Nähe von Dessau und ist dadurch bemerkenswert, daß es den Sachverständigen gelang, in der Leiche Coniin nachzuweisen. Der Arzt hatte sich das Gift verstohlenerweise in der Apotheke des Dorfes verschafft, in welcher er manchmal den Besitzer vertrat.

Aus dem Magen der verstorbenen Luise Berger gewannen die Sachverständigen ein winziges Tröpfchen, kaum ein Centigramm einer farblosen öligen Flüssigkeit, welche sich bei Zusatz von Alkali durch den bekannten widerlichen Schierlingsgeruch kennzeichnete. Eine chemische Analyse des Stoffes auf seine Zusammensetzung war unmöglich; denn hierzu wären mindestens zwei Decigramm, also das Zwanzigfache der vorhandenen Substanz, erforderlich gewesen. Aber mit allerlei Hilfsmethoden gewannen die Sachverständigen doch die Ueberzeugung, daß es sich hierbei um Coniin gehandelt habe.

Diese Annahme wurde noch durch den Sektionsbefund unterstützt, der unverkennbar auf eine bestimmte Todesart, die Erstickung, hindeutete. „Erstickung,“ heißt es in dem betreffenden Physikatsgutachten, „besteht in der Aufhebung des Atmungsprozesses, welcher das Blut von schädlichen Substanzen reinigt und bei dessen Aufhören diese Substanzen, insbesondere die Kohlensäure, im Blute zurückbleibt und vergiftend auf dasselbe wirkt. Das Blut verliert seine Gerinnbarkeit, wird flüssig und nimmt eine dunkle Farbe an. Von dieser Beschaffenheit fand sich das Blut in der Leiche der Luise Berger. Eine äußere Ursache der Erstickung war unerfindlich. Eine dem Erstickungstode ganz ähnliche Wirkung auf das Blut äußern viele Gifte, namentlich die narkotischen, und unter diesen keins in dem Grade wie das Coniin.“

Für eine Vergiftung mit Coniin sprachen auch die Krankheitssymptome, unter denen der Tod der Luise Berger erfolgt war, soweit es sich aus der Darstellung der die Kranke umgebenden Laien – der beschuldigte Arzt war an das Sterbebett seines Opfers gerufen worden – erkennen ließ.

Die Unfähigkeit, die Lampe sofort auszublasen, die Mattigkeit der Stimme deuteten auf eine Schwäche der Atmungswerkzeuge, die Schwerfälligkeit der Bewegungen der Kranken beim Niederlegen auf eine allgemeine Schwäche hin, wie sie durch die narkotischen Gifte, namentlich durch Coniin, hervorgebracht wird.

Ein Beweis großer allgemeiner Schwäche war es, daß die leichte Bewegung, um die Lage im Bett zu wechseln, den Atem aufs höchste beschleunigte. Uebelkeit und Neigung zum Erbrechen die bei der Sterbenden beobachtet wurden, sind ein ziemlich konstantes Symptom von Vergiftung, vor allem aber deutete der plötzliche, unter lautem und schmerzlichem Stöhnen erfolgte Tod beim Mangel aller anderen Ursachen auf Vergiftung hin.

Als Summe aller jener Thatsachen erklärte das Physikat für erwiesen, daß Luise Berger Coniin genommen hatte und an der Vergiftung durch Coniin gestorben war.

Der Giftmischer und Dorfarzt war, wie erwähnt, an das Sterbelager der Kranken gerufen worden. Er kam, als sein Opfer schon tot war. Er hielt sein Hörrohr auf die Brust der Leiche und horchte, dann nahm er eine Feder und hielt sie vor die Nase der Leiche. Nach einem Weilchen erklärte er, Luife Berger sei wirklich tot. Der Angeklagte leugnete jede Schuld. Aber in der betreffenden Apotheke forschte man nach dem Coniin. Durch sorgfältige Untersuchung wurde festgestellt, daß niemals in der Apotheke Coniin gebraucht wurde und daß mindestens zwanzig Tropfen desselben aus dem Fläschchen abhanden gekommen waren.

Der Arzt wurde verurteilt, er gestand die Schuld nicht, aber am folgenden Morgen fand man ihn tot, an dem Fenster seiner Zelle erhängt.

Jener Prozeß galt seiner Zeit mit Recht als ein Triumph der Wissenschaft, die durch chemischen Nachweis des Giftes in der Leiche des Opfers zur Entlarvung des Verbrechers beigetragen. In neuerer Zeit wollte man die Bedeutung dieses Teils der gerichtlichen Chemie in Zweifel ziehen, da während der Fäulnis der Leichen Alkaloide, sog. Ptomaïne, entstehen, die den Pflanzenalkaloiden wie Morphium, Atropin etc. äußerst ähnlich sind, so daß ein Irrtum möglich erschien. Es ist aber der Wissenschaft wohl gelungen, diese Zweifel zu zerstreuen. Wohl bildet sich in den Leichen auch ein Leichenconiin, ein Alkaloid, das sonst mit dem Namen Cadaverin bezeichnet wird; trotz aller Ähnlichkeit mit dem Giftstoffe des Schierlings läßt es sich aber doch von demselben gut unterscheiden.

Die dritte der berüchtigten Schierlingspflanzen ist die Gartengleiße (Aethusa Cynapium), auch Kleiner Schierling oder Hundspetersilie genannt. Man findet sie in Deutschland auf unbebauten Plätzen, unter dem Unkraut auf Schutt, an Mauern, Zäunen und Hecken, ja sie dringt selbst in die Gärten ein und mischt sich hier zuweilen unter die Petersilie. Mit dieser wird sie häufig namentlich in jungem Zustande verwechselt. Beide erst aufsprießende Pflänzchen sind sich sehr ähnlich. Die Petersilie ist indessen eine zwei- bis mehrjährig ausdauernde Pflanze und von langsamerem Wachstum, die Gartengleiße ist nur einjährig und sprießt rasch empor; bald überwächst sie das nützliche Gewächs, verrät sich also dem aufmerksamen Auge und kann leicht ausgerottet werden. Aber selbst, wo beide im Wuchs sich noch gleich bleiben, läßt sich die Gartengleiße von der Petersilie unterscheiden: ihr Grün ist dunkler, ihre Blätter sind glänzender, namentlich an der Unterseite, und während die Petersilie ihren angesprochenen gewürzhaften Geruch hat, riecht die Giftpflanze nur schwach, und zwar etwas knoblauchartig. Später, wenn sich der Stengel ausgebildet hat, mehren sich noch die Unterscheidungsmerkmale: auch die Blüten der Gartengleiße fallen durch ihre weiße Farbe auf, während die der Petersilie eine blaßgelbe Farbe haben.

Früher zweifelten die Aerzte durchaus nicht an der großen Gefährlichkeit der Pflanze und behaupteten, daß die größte Zahl der sogenannten Schierlingsvergiftungen gerade auf ihren Genuß zurückzuführen wäre. Je nach der Menge des verzehrten Krautes sollten bei den Vergifteten Herzensangst, Erbrechen, Durchfall, Magenkrampf, Entzündung und Brand der Därme, Betäubung, Schlafsucht oder Raserei und endlich der Tod eintreten. Aus diesem Grunde hat man auch vielfach in Gemüsegärten die einfache Petersilie durch gefüllte ersetzt, die leichter von der Gartengleiße zu unterscheiden ist. In neuerer Zeit wurde die Giftigkeit der Gartengleiße in Zweifel gezogen, weil Versuche an Tieren gegen dieselbe zu sprechen schienen. Neue Unglücksfälle gaben jedoch den älteren Autoren recht. So erkrankten z. B. im Jahre 1892 in Zeitz sechs Personeu, die Klöße mit Petersilienbrühe, in der sich Hundspetersilie befand, genossen hatten, an Brechdurchfall und zwei von ihnen starben. Neu anfgenommene Versuche an Tieren zeigten gleichfalls, daß die Pßanze selbst für Pflanzenfresser ein Gift ist. Leider hat man bis jetzt versäumt, genauere chemische Untersuchungen über die Beschaffenheit des in der Gartengleiße enthaltenen Giftstoffes anzustellen.

Es kann uns nicht verwundern, daß dieser oder jener Forscher zu gewissen Zeiten solche gefährliche Pflanzen unschädlich findet. Die Pflanzen erzeugen ihr Gift in verschiedener Zeit. So enthält z. B. die Wurzel des gefleckten Schierlings in den Monaten März, April und Mai fast keine Spur des Giftstoffes, wird dann sehr reich an Coniin, verliert aber ihre Giftigkeit im zweiten Jahre wieder. Ferner ist es erwiesen, daß namentlich bei Schierlingsarten die Bildung des Giftstoffes auch vom Boden, auf dem die Pflanze wächst, abhängt. Aber diese Ausnahmen bestätigen nur die Regel. Wir müssen dafür sorgen, daß namentlich die Kinder die gefährlichen Kräuter kennen, daß sie überhaupt sich die Unsitte abgewöhnen, von allerlei in Feld und Wald gefundenen Früchten und Wurzeln zu naschen. Auch Aelteren ist das Studium der Giftpflanzen dringend zu empfehlen. Anleitungen hierzu hat schon der unvergeßliche Roßmäßler in seinen „Büchern der Natur“ (Leipzig, Ernst Keil’s Verlag) gegeben, in denen der 5. Band „die deutschen Giftpflanzen“ behandelt. Aus ihnen kann man noch heute, nach dreißig Jahren, lernen; es verdient in manchen Fällen gegenüber dem vielen Neuen auch das gute Alte empfehlend in Erinnerung gebracht zu werden.

Und noch ein praktischer Wink! Was soll man thun, wenn irgend jemand sich durch Genuß des Schierlingskrautes vergiftet hat?

Zunächst nach dem Arzt senden, dann aber sofort dafür sorgen, daß das Kraut durch Erbrechen aus dem Körper entfernt werde. Der Kranke muß warm zugedeckt werden, damit ein Wärmeverlust nicht eintrete. Droht die Atmung stillzustehen, so muß man künstliche Atmung einleiten und so lange fortsetzen, bis der Arzt kommt.