Der Schar-Kapelle Säcularisirung

Textdaten
<<< >>>
Autor: Otto Beneke
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Schar-Kapelle Säcularisirung
Untertitel:
aus: Hamburgische Geschichten und Sagen, S. 219–221
Herausgeber:
Auflage: 2. unveränderte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Perthes-Besser & Mauke
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Hamburg
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google, Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[219]
74. Der Schar-Kapelle Säcularisirung.
(1538.)

Zur Zeit der Kirchen-Reformation kam auch, im Jahre 1531, die Reihe an die alte Kapelle am Scharthor, in welcher das uralte Mutter-Gottes-Bild stand, von dem oben erzählt ist. Wie’s mit der Zerstörung im Innern zuging, weiß man nicht mehr, nur so viel, daß die Altäre, Bilder und Heiligthümer umgerissen und zertrümmert wurden. Das Gebäude wurde sodann als ein Büchsenhans benutzt, in welchem Schieß-Gewehre Pulver und Blei aufbewahrt waren. Der Rath aber säcularisirte die Kapelle, und zog für die Stadt-Casse alles Vermögen derselben wie der Jacobs-Brüderschaft ein. Von den Renten der letzteren erhielten arme lutherische Prediger milde Gaben. Die Kleinodien der Kapelle, darunter an Gold- und Silber-Sachen viele Monstranzen, Altarkelche und Patenen, Crucifixe, Apostelbilder u. s. w., auch eine feine Krone zum St. Marien-Bilde gehörig, – diese Kleinodien ließ E. E. Rath an den Stadtmünzmeister Illies Rode verkaufen. Auch die sonstigen Zierathen des Gnadenbildes, imgleichen die Chorröcke, Meßgewänder u. s. w. wurden verkauft. Und all diese Güter wurden bei Heller und Pfennig verzeichnet, weil sie der Stadt-Casse zu Gute kamen; wo aber das Mutter-Gottes-Bild, dies uralte Heiligthum unsrer gottseligen Vorfahren geblieben, das meldet keine Kunde; vielleicht wurde es von Bilderstürmern zertrümmert, vielleicht heitzte es den Ofen irgend eines eifrigen Anti-Papisten.

Um 1538 wurde aus dem Gebäude der vormaligen Kapelle ein Getraide-Magazin. Nach einigen Jahren aber begann es nicht geheuer darin zu werden. Arbeitsleute, die noch spät Abends mit Kornumstechen beschäftigt waren, hatten befremdliches Geräusch und Gepolter vernommen; welches dann so [220] schreckhaft sich anhörte, daß sie davor schleunig entwichen waren. Die am Scharthore Wacht haltenden Landsknechte wußten von gar bedenklichen Rumorem in der nahen Kapelle zu erzählen, und alle Nachbaren klagten über ähnliche nächtliche Beunruhigungen. Kluge Leute meinten zwar, das Rumoren thäten Ratzen und Mäuse, die etwa im Korn herumspökten. Aber das Aechzen und Seufzen, das häufige Schimmern von Lichtern wie beim abgeschafften Kirchendienst, die ganz vernehmbaren Schritte und Tritte vieler Menschen, wie bei den vormaligen Processionen in der Kapelle, alles um Mitternacht, – das konnten doch unmöglich Ratzen und Mäuse verursachen! In den Nächten vor den Marienfesten war es besonders stark mit dem gespenstischen Gottesdienste, während zu andern Zeiten das bloße Rumoren und Poltern ganz grausam überhand nahm.

Das währte so fort, 40, 50 Jahre und länger. Der Sohn hörte es vom Vater erzählen, der Enkel vom Großvater, daß es im Korn-Magazin in der vormaligen Schar-Kapelle unrichtig sei und spöken thäte, und daß es sonder Zweifel der St. Anscharius selber wäre, der aus Betrübniß über die Entheiligung einer von ihm geweihten Stätte mit Seufzen und Wehklagen darin umginge; und daß die Geister aller der frommen Priester die einst hier Gottesdienst gehalten, nun zur mitternächtlichen Stunde stille Messen läsen; und endlich, daß das ganz erschröckliche Poltern von den Geistern der ehrsamen alten Jacobs-Brüder herrühre, die in derber Schifferweise ihre Entüstung über den Mißbrauch ihrer frommen Stiftung durch solch herzerschütterndes Lärmen kund thäten. Und manch’ guter Bürger, der unsrer Vorfahren gedachte und ihre Ruhe in Gott gern ungestört ließ, schlug in sich, erkannte das Unrecht, das allemal darin liegt, wenn das, was für geistliche Zwecke gestiftet ist, einer weltlichen Nutzung [221] überliefert wird; und sann auf Gutmachen durch Verwendung der säcularisirten Kapelle und ihres Vermögens zu einer neuen christmilden Stiftung. Und darum kam’s Ao. 1597, zu dem Rath- und Bürgerschluß: daß an dieser altgeweiheten Stätte ein Waisenhaus aufgerichtet und demselben alles Vermögen der Kapelle und der Jacobs-Brüderschaft zugewiesen werden sollte, wozu Jochim Biel, ein wackrer Bürger in St. Catharinen-Kirchspiel, der diese gute Sache eifrigst gefördert hatte, ein ansehnliches Capital vermachte. Und im Jahre 1604 war das Waisenhaus auf dieser Stelle gebaut und bald darauf auch ein Kirchlein darin zum Gottesdienst geweiht.

Damit scheinen St. Anscharius, die alten Priester und die Jacobs-Brüder, in die veränderte Zeit sich schickend, friedlich gewesen zu sein, denn kein Spuk ist seitdem wieder daselbst vernommen. Wie es aber gegenwärtig damit steht, seitdem 1781 das neuere Waisenhaus in der Admiralität-Straße erbaut, und 1801 das bis dahin als Schul- und Arbeitshaus der Armen-Anstalt benutzte Gebäude verkauft, abgebrochen, und der alte classische heilige Platz der Schar-Kapelle mit Häusern und Speichern bebaut worden ist – darüber hat man nichts in Erfahrung bringen können.

Anmerkungen

[383] Geschichtlich. Kiehn, das Hamb. Waisenhaus. S. 11. und 255, woselbst auch die Sage von den gespenstischen Poltergeistn. – Allgemein hat man unter Büchsenhaus ein Armenhaus verstanden, vor welchem mit einer Büchse gesammelt sei. Eine Acte des Stadt-Archivs stellt es aber außer Zweifel, daß darunter ein Arsenal zur Bewahrung von Geschützen aller Art (Büchsen) zu verstehen ist. – Ein sachkundiger Aufsatz in den Wöchentl. Nachrichten von 1808, No. 31, verlegt die Clemens-Kapelle (die man für identisch mit der Schar-Kapelle hält) vors Thor in die Gegend das Eichholzes.