Der Ritter und das Seefräulein
Ein Ritter kühn im Jagen
Verfolgt ein scheues Reh;
Vom schnellen Roß getragen
Kommt er zum tiefen See;
Ermattet von der Hitze,
Erfrischt sein junges Blut.
Und wie er schaut hinunter
Tief in den See hinein,
Hervor im Abendschein:
Ein zartes Fräulein, klar und mild,
Mit wasserblauem Schleier;
Es war ein rechtes Bild.
Bald steht sie vor ihm da;
Sein Herz schwoll hoch und höher,
Wußt’ nicht, wie ihm geschah!
Sie blickt’ ihn an so liebevoll;
Dem Jüngling ward so wohl.
Die hellen Sterne brennen
Schon lang am Himmelszelt;
Doch Lieb kann Niemand trennen,
Als endlich kam die Mitternacht,
Da ward dem schönen Ritter
Ein Lebewohl gebracht.
So oft die Sonn’ jetzt sinket,
Alsbald die Meerfrau winket
Und schwebt zu ihm an’s Land;
So oft jetzt kommt die Mitternacht,
Da wird dem schönen Ritter
„Komm’ mit zum Hochzeitsmahle,
Mein’ Schwester wird getraut
In meines Schloßes Saale;
Komm’ mit, du süße Braut!“
Trotz ihrem Widerstreben,
Und nimmt sie mit auf’s Schloß.
Da, bei dem Klang der Saiten
Und bei der Kerzen Glanz,
Sie schweben hin im Tanz.
Der Wächter ruft die Mitternacht,
Da wird dem jungen Ritter
Ein Lebewohl gebracht.
Er denkt nicht an die Zeit,
Er küßt die zarten Wangen:
Da weint die schöne Maid.
Vorbei war lang die Mitternacht;
Nachher groß Leid gebracht.
„Laß mich, mein traut’ Geselle,
Gib mir das letzt’ Geleit’!
Es naht der Morgen helle,
Vorbei ist lang die Mitternacht –
Ich glaub’, die große Liebe
Hat mir den Tod gebracht!
„Kommst morgen du zur Stelle
Und dringet aus der Welle
Ein rosenfarbnes Blut:
So denk’: die Weil’ nach Mitternacht,
Und unser treues Lieben,
Und wie er kam zur Stelle
Dort an die dunkle Fluth,
Da dringet aus der Welle
Das rosenfarbne Blut.
Dann nahm ihn auf die Welle –
Hat nimmer ihn gebracht.