Der Rabe (Übersetzung Etzel)
DEUTSCHE GEBRACHT VON THEODOR ETZEL
Einst in dunkler Mittnachtstunde, als ich in entschwundner Kunde
Wunderlicher Bücher forschte, bis mein Geist die Kraft verlor
Und mir’s trübe ward im Kopfe, kam mir’s plötzlich vor, als klopfe
Jemand leis ans Tor, als klopfe – klopfe jemand sacht ans Tor.
Weiter nichts« – so kommt mir’s vor. –
Oh ich weiß, es war in grimmer Winternacht, gespenstischen Schimmer
Jagte jedes Scheit durchs Zimmer, eh es kalt zu Asche fror.
Tief ersehnte ich den Morgen, denn umsonst war’s Trost zu borgen
Um die wunderbar Geliebte – Engel nannten sie Lenor’ –
Die für immer ich verlor.
Die Gardinen rauschten traurig, und ihr Rascheln klang so schaurig,
Füllte mich mit Schreck und Grauen, wie ich nie erschrak zuvor.
Mußt’ ich murmelnd nochmals sagen: »Ein Besucher klopft ans Tor –
Ein verspäteter Besucher klopft um Einlaß noch ans Tor.«
Sprach ich meinem Herzen vor.
Alsobald ward meine Seele stark und folgte dem Befehle,
Hat Ihr Pochen kaum vernommen, denn ich war schon schlafbenommen,
Und Sie sind so sanft gekommen – sanft gekommen an mein Tor:
Wußte kaum den Ton zu deuten – « und ich sperrte auf das Tor: –
Nichts als Dunkel stand davor.
Träume träumend, die kein ird’scher Träumer je gewagt zuvor,
Doch es herrschte ungebrochen Schweigen, aus dem Dunkel krochen
Keine Zeichen, und gesprochen ward nur zart das Wort »Lenor« –
Zart von mir gehaucht, – wie Echo flog zurück das Wort »Lenor«.
Da ich wieder klopfen hörte, etwas lauter als zuvor.
»Sollt’ ich«, sprach ich, »mich nicht irren, hörte ich’s am Fenster klirren,
Oh, ich werde bald entwirren dieses Rätsels dunklen Flor –
Wind wohl machte da Rumor.«
Offen warf ich nun die Schalter – flatternd kam herein ein alter
Stattlich großer schwarzer Rabe, wie aus heiliger Zeit hervor.
Machte keinerlei Verbeugung, keine kleinste Dankbezeigung,
Grade über meiner Türe auf das Pallashaupt empor –
Sass – und stumm war’s wie zuvor. –
Doch das wichtige Gebahren dieses schwarzen Sonderbaren
Löste meines Geistes Trauer bald zu lächelndem Humor.
Niemand hat dich herbeschworen aus dem Land der Nacht hervor.
Tu mir kund, wie heißt du, Stolzer, aus Plutonischem Land hervor?«
Sprach der Rabe: »Nie du Tor.«
Daß er sprach so klar verständlich – ich erstaunte drob unendlich,
Denn noch nie war dies geschehen: Über seiner Türe stehen
Hat wohl keiner noch gesehen solchen Vogel je zuvor,
Über seiner Stubentüre auf der Büste je zuvor,
Mit dem Namen »Nie du Tor.«
War auch kurz sein Wort und brachte er auch nichts als dieses vor.
Unbeweglich sah er nieder, rührte Kopf nicht noch Gefieder,
Und ich murrte, murmelnd wieder: »Wie ich Freund und Trost verlor,
Werd ich morgen ihn verlieren – wie ich alles schon verlor.«
Seine schroff gesprochnen Laute klangen passend, daß mir graute,
»Aber«, sprach ich, »nein, er plappert nur sein einzig Können vor,
Das er einem Herrn entlauschte, dessen Pfad ein Unstern rauschte,
Bis er letzten Mut vertauschte gegen trüber Lieder Chor –
Mit dem Kehrreim »Nie du Tor«.
Rollte ich den Polsterstuhl zur Büste, Tür und Vogel vor,
Sank in Sammtsitz, nachzusinnen, Traum mit Träumen zu verspinnen,
Was der alte finstergrimme Vogel wohl gewollt zuvor
Mit dem Krächzen »Nie du Tor«.
Saß, der Seele Brand beschwichtend, keine Silbe an ihn richtend,
Seine Feueraugen wühlten mir das Innerste empor.
Lehnte meinen Kopf aufs Kissen lichtbegossen – das Lenor
Pressen sollte – lila Kissen, das nun nimmermehr Lenor
Pressen sollte wie zuvor!
Dann durchrann, so schien’s die schale Luft ein Duft aus Weihrauchschale
»Narr!« so schrie ich, »Gott bescherte dir durch Engel das begehrte
Glück Vergessen: das entbehrte Ruhen, Ruhen vor Lenor!
Trink, oh trink das Glück: Vergessen der verlorenen Lenor!«
Sprach der Rabe: »Nie du Tor!«
Ob dich Höllending die Hölle oder Wetter warf hervor,
Wer dich nun auch trostlos sandte oder trieb durch leere Lande
Hier in dies der Höll’ verwandte Haus – sag, eh’ ich dich verlor:
Gibt’s – oh gibt’s in Gilead Balsam? – sag mir’s, eh ich dich verlor!«
»Weiser!« rief ich, sonder Zweifel Weiser! – ob nun Tier ob Teufel. –
Schwör’s beim Himmel uns zu Häupten – schwör’s beim Gott, den ich erkor –
Schwör’s der Seele so voll Grauen: soll dort fern in Edens Auen
Ich ein strahlend Mädchen schauen, die bei Engeln heißt Lenor –
Sprach der Rabe: »Nie du Tor.«
»Sei dies Wort dein letztes, Rabe oder Feind! Zurück zum Grabe.
Fort! zurück in Plutons Nächte!« schrie ich auf und fuhr empor.
»Laß mein Schweigen ungebrochen! Deine Lüge, frech gesprochen,
Heb’ dein Wort aus meinem Herzen – heb dich fort, vom Thron hervor!«
Sprach der Rabe: »Nie du Tor«.
Auf der blassen Pallasbüste, die er sich zum Thron erkor.
Mir zu Füßen hingesunken droht sein Schatten tot empor.
Hebt aus diesem meine Seele jemals wieder sich empor? –
Niemals mehr – oh, nie du Tor!