Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Der Proceß Arbenz
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aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 147–148
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[147] Der Proceß Arbenz. Den Lesern der Gartenlaube außerhalb der Schweiz ist der „Proceß Arbenz“ wahrscheinlich zum bei weitem größten Theile unbekannt geblieben. In der Schweiz hat dieser Proceß desto mehr Aufsehen gemacht. Monate lang konnte man kein schweizerisches Blatt in die Hand nehmen, ohne darin Mittheilungen und Urtheile über ihn zu finden, und dann war noch eine ihn darstellende Brochüre in einer Auflage von 2000 Exemplaren in Zeit von kaum vierzehn Tagen vergriffen.

In der That liefert auch dieser Proceß einen der betrübendsten Justizmorde der neueren Zeit, wenn man nach einem einmal allgemein gestatteten Gebrauche das Wort Justizmord auf solche richterliche Entscheidungen in Criminalsachen beziehen darf, durch welche ein völlig Unschuldiger für schuldig erklärt und zu einer Strafe verurtheilt wird, durch welche somit das Recht geradezu getödtet worden ist.

Der Proceß Arbenz hat stattgefunden in den Jahren 1857 und 1858, also in der allerneuesten Zeit. Er ist geführt in dem Canton Zürich, in dem Cantone der Schweiz, der überall als an der Spitze der Intelligenz in der ganzen Schweiz stehend anerkannt wird, in dem auch von politischen Parteileidenschaften keine Rede ist. Er ist verhandelt nach einem Proceßgesetze, das erst aus dem Jahre 1852 datirt und auf die neuesten Rechtsanschauungen und Rechtsgrundsätze, denen die meisten neuesten Strafprozeßgesetze auch in Deutschland huldigen, gegründet ist. Er ist geleitet von Beamten, die vom Volke gewählt werden, und die als die „Wägsten und Besten,“ wie man in der Schweiz sagt, allgemein in der größten Achtung der Rechtlichkeit stehen und diese allgemeine Achtung verdienen.

Sein Thatbestand endlich ist folgender:

Im Canton Zürich, im Dorfe „Dorf“, einige Stunden von der Stadt Zürich gelegen, lebte ein wohlhabender Bauer, der zugleich einen Wein- und Holzhandel trieb, mit Namen Conrad Arbenz. Er stand in gutem Rufe. Nicht weit von ihm, im Dorfe Neftenbach, wohnte der Zimmermann Jakob Heidelberger, ein gewandter Mensch, der gleichwohl keines guten Rufes genoß, in seinen Vermögensverhältnissen ruinirt, vielfach ausgeklagt und gepfändet, dennoch in einem Scheine von Wohlhabenheit lebte und stets zu neuen Unternehmungen bereit war.

Dieser Jakob Heidelberger hatte im Jahre 1856 mit der Direction der Glattthalbahn (Eisenbahn durch eine sehr belebte, fabrikreiche Gegend des Cantons Zürich) einen Vertrag über Schwellenlieferungen geschlossen. Er mußte der Direction eine Caution von 3000 Franken bestellen. Er hatte – im August 1856 – den Conrad Arbenz vermocht, daß dieser die Caution für ihn leistete. Er hatte den Arbenz ferner zu bestimmen gewußt, die Schwellenlieferungen gemeinschaftlich mit ihm zu übernehmen. Er hatte ihn endlich zu bereden gewußt, ihm, dem Heidelberger, ein bedeutendes Darlehn zu geben. Aus dem Allen war er Schuldner des Arbenz zu einem Betrage von noch etwa 3400 Franken geblieben.

Am 3. März 1857 waren Arbenz und Heidelberger in dem Dorfe Uster, wo die Direction der Glattthalbahn ihren Sitz hat und wo Heidelberger aus deren Casse auf die bisher geleisteten Schwellenlieferungen eine bedeutende Zahlung erhalten sollte, von welcher er den Arbenz zu befriedigen versprochen hatte.

Heidelberger erhielt von der genannten Casse die volle Zahlung. Er berechnete sich auch vollständig mit Arbenz, verschwieg diesem aber einen erheblichen Betrag der aus der Casse erhaltenen Summe und leistete demnach auch dem Arbenz nur eine Theilzahlung, blieb ihm namentlich die Summe von 1700 Franken, die er hätte bezahlen müssen, schuldig. Beide gingen in Streit auseinander. Arbenz klagte darauf seine Forderung an Heidelberger gegen diesen ein.

Heidelberger erhob nun dagegen eine gerichtliche Denunciation gegen Arbenz, worin er behauptete, daß er am 3. März den Arbenz vollständig befriedigt habe, dieser also, indem er dennoch bereits bezahlt erhaltene 1700 Franken nochmals von ihm fordere, sich eines Betruges schuldig mache. Er stützte diese Behauptung einzig und allein auf jene Berechnung, die er dem Arbenz heimlich entwendet hatte.

Arbenz wurde auf Grund dieser Denunciation zur Criminaluntersuchung gezogen und am 13. Mai 1857 von den Geschworenen schuldig erklärt und von dem Gerichte zu einer zweijährigen Zuchthausstrafe und zu 208 Franken Entschädigung an Heidelberger verurtheilt; zugleich wurde ein nicht bezahlter Wechsel Heidelberger’s an Arbenz über 1000 Franken für nichtig erklärt. [148] So hatte Heidelberger, der Betrüger, über 1800 Franken gewonnen, und Arbenz, der um diese Summe Betrogene, mußte als Betrüger in’s Zuchthaus wandern.

Am 14. Mai, wenige Stunden nach der Verurtheilung, saß er schon im Zuchthause. Wie war das Alles möglich? fragen mit Entrüstung und Erschrecken die Leser.

In diesen Tagen ist im „Magazin für Literatur“ zu Leipzig das vierte Bändchen der „Deutschen Criminalgeschichten“ von J. Temme erschienen. Dasselbe enthält den Proceß Arbenz in ausführlicher, actengetreuer Darstellung. In demselben finden die Leser die Antwort aus ihre Frage.

Es wird darin gezeigt, wie der verübte Justizmord so nur unter den Grundsätzen und Formen des französischen Strafverfahrens, das auch in Deutschland Aufnahme gefunden, so daß der Verfasser es das „moderne französisch-deutsche Strafverfahren“ nennt, und das auch, vielfach verbessert, im Canton Zürich gilt, habe ausgeübt werden können. Es wird insbesondere nachgewiesen, wie die in diesem Strafverfahren dem Staatsanwalt eingeräumte bevorzugte, mit obrigkeitlicher Gewalt ausgestattete Stellung gegenüber einem, zumal in einer geheimen inquisitorischen Voruntersuchung und in enger, einsamer Haft, fast bis zur Willkür unterworfenen Angeklagten, das herbeigeführte traurige Resultat möglich machte. An Thatsachen mögen folgende Punkte (nur wenige aus großen Reihen ähnlicher) hier angedeutet werden:

Am 13. Mai (1857) war Arbenz vor die Geschwornen gestellt. Am 5. Mai hatte er zum ersten Male in seiner Haft Jemanden von seinen Angehörigen und seinen Vertheidiger sprechen dürfen. Es wurde jetzt Aussetzung der Schwurgerichtssitzung nachgesucht; der Staatsanwalt widersetzte sich, das Gericht wies sie zurück. Acht Tage blieben nur, um in einer äußerst verzweigten und verwickelten Betrugssache die Vertheidigungsmomente zu ermitteln und herbeizuschaffen, nach denen in der Voruntersuchung der Angeklagte nicht einmal gefragt war.

In der Schwurgerichtssitzung wollte der Vertheidiger die Untersuchungsacten einsehen. Der Staatsanwalt legte den Ellnbogen auf sie, und sie blieben dem Vertheidiger verschlossen.

In den Acten (die der Staatsanwalt hatte) hatte sich ein günstiges Leumundszeugniß für den Angeklagten befunden; in der Schwurgerichtssitzung war es fort. Der Angeklagte und der Vertheidiger hatten es nicht gekannt; der Staatsanwalt erwähnte seiner nicht.

Der Angeklagte hatte acht Entlastungszeugen zu der Schwurgerichtssitzung vorladen lassen. Als sie vernommen werden sollten, erklärte der Staatsanwalt sie für seine Belastungszeugen. Nach dem Züricher Strafproceßgesetze werden (wie im englischen Proceß) die Zeugen von dem vernommen, der sie vorgeschlagen hat. So vernahm der Staatsanwalt sie „in seiner Weise.“

Nach geschlossenem Verfahren verlangte der Staatsanwalt von den Geschwornen die Verurtheilung des Angeklagten, indem er ihnen zurief: „Der Fall Arbenz sei der Prüfstein für den Werth der Jury, jetzt müsse es sich zeigen, ob die Geschwornen im Stande seien, einen Mann von Einfluß und Vermögen schuldig zu sprechen.“

Dabei gab er ihnen eine von ihm selbst gefertigte und von ihm als richtig versicherte Berechnung der Schuldverhältnisse zwischen Arbenz und Heidelberger mit, nach welcher – in Uebereinstimmung mit seiner Anklage – Arbenz dem Heidelberger noch 108 Franken verschulde. Diese Berechnung, einseitig von ihm ausgestellt und den Geschwornen mit in das Berathungszimmer gegeben, war objectiv falsch.

In solcher Weise war die Verurtheilung des Angeklagten möglich geworden, auf Grund einer Anklage, die auf nichts weiter begründet war, und die auch im Laufe der Verhandlungen durch nichts weiter gestützt wurde, als blos auf die Behauptung des beteiligten, in schlechtem Rufe stehenden Heidelberger und auf jene (nicht unterschriebene) Privatnotiz des Arbenz, welche Heidelberger dem Arbenz heimlich entwendet hatte.

Nur unter kaum glaublichen Mühen und Schwierigkeiten, die wiederum nur jene bevorzugte Stellung des Staatsanwaltes bereiten konnte, gelang es endlich nach länger als einem Jahre, die Unschuld des Angeklagten zu ermitteln. Das Nähere auch hierüber – eine der rührendsten und erhebendsten Geschichten kindlicher Liebe und Aufopferung – enthält gleichfalls jene Darstellung des Processes Arbenz, der überhaupt reich an dem interessantesten Material nach so vielen Seiten hin ist.

„Möge,“ schließt die Darstellung des Processes, „die Geschichte des Processes Arbenz eine Lehre für Juristen, Geschworne und Richter sein, am meisten für Gesetzgeber!“