Textdaten
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Titel: Der Plagegeist
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aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 560, 568
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[560]

Der Plagegeist.
Nach dem Oelgemälde von Hugo Kauffmann.

[568] Der Plagegeist. (Mit Illustration S. 560.) Sommerliche Schwüle brütet auf den baumlosen Straßen des Dorfes, kein erfrischendes Lüftchen rührt sich, matt schleichen Menschen und Thiere auf dem Felde ihrer Arbeit nach, selbst die zahllosen Heere von Fliegen in der Wirthsstube des „Adler“ sitzen zu dicken schwarzen Haufen geballt regungslos auf den Bierflecken der Fensterbänke und der Tische, ihr Schwirren und Sumsen belebt nicht die Todtenstille des heißen Augusttages, und nur wenige Menschen würde man bei der Arbeit finden, wollte man die einzelnen Häuser des Dorfes besuchen. Nur Einer ist auf dem Platze, einer versieht seinen Posten gewissenhaft und ist zur Stelle: der dicke Wirth im „Adler“. Es ist ja Reisezeit, und mancher Tourist verirrt sich denn doch in diesen von Mutter Natur ganz leidlich ausgestatteten Erdenwinkel, da muß denn freilich der „Adler“-Wirth stets zur Hand sein. Er ist’s auch, aber nach seiner Art: den gefüllten Maßkrug und die Tabaksdose neben sich, sitzt er behaglich in seinem Polsterstuhl, die Brille auf der breiten stattlichen Nase liest er das eben eingelaufene Wochenblättchen und – harrt der Gäste, die da kommen sollen. Warten macht müde, zumal in solcher Hitze, das Bier ist ausgetrunken, der Andres, der Schlingel, der nie da ist, wenn man ihn braucht, hört auf kein Rufen, kein Schreien, und der dicke Alte ist denn doch zu bequem, um sich selber einen frischen kühlen Trunk aus dem Keller zu holen. Aergerlich brummend und knurrend vertieft er sich wieder in seine „Zeitung“, eben hat er die Mittheilung über die große neulich ganz genau beobachtete Seeschlange gelesen – da fallen die Augen zu, auf die Brust sinkt der dicke rothe Kopf, die Brille gleitet der längst zu Boden geflatterten Zeitung nach und ein sanftes Schnarchen schallt wie das Krächzen einer Säge in ästigem Holze durch die heiße, dumpfe Stube. Da – auf einmal ist der Andres, wie aus dem Boden gewachsen, in der Stube. Scheint sein Gehör auch schwach zu sein, so ist sein blitzendes, keckes Auge entschieden mit guter Sehkraft begabt, denn schnell hat er eine abgerissene Aehre auf dem Fußboden entdeckt und mit spitzbübischem Vergnügen kitzelt er den auf dem Schauplatz seiner Thaten entschlummerten Großvater. „Die Fliegen,“ murmelt dieser und macht eine schläfrige halbe Bewegung nach der Stelle hin, die der nichtsnutzige Bengel mit der Aehre bearbeitet. Doch immer kommt die „Fliege“ wieder, stets auf dieselbe Stelle setzt sie sich – plötzlich ist’s zu arg, der Alte erwacht, faßt die Aehre – aha – ein schneller Griff, und zwischen Daumen und Zeigefinger befindet sich wie in einem Schraubstocke das Ohr der „Fliege“. „Warte, Du Plagegeist!“ knurrt er, und gleich drauf hört man den Plagegeist recht menschlich weinen. *