Textdaten
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Autor: Guido Hammer
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Titel: Der Panther Europas
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 483–484
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Luchs
Wild-, Wald- und Waidmannsbilder Nr. 35
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[483]
Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Nr. 35. Der Panther Europas.
Von Guido Hammer.


In jenen einsamen, unwirthlichen Wäldern und Gebirgen Europas, welche den Luchs, diesen Panther unseres Continents, noch bergen, ist er sicherlich das verderblichste aller sonst noch neben ihm hausenden Raubthiere. Ebenso vorsichtig schleichend

Der Luchs auf dem Rehwechsel.
Originalzeichnung von Guido Hammer.

wie sprunggewandt, so kühn wie blutdürstig, zerrüttet er bald jedweden Wildstand, am ehesten aber den der so scheuen und erregbaren Rehe. Denn was davon dem nimmersatten Mordgesellen nicht nach und nach zum Opfer fällt, wechselt sehr bald von dem so bedrohten, unheilvollen Standorte hinweg. Hieran aber und an dem unstäten Gebahren der übrigen Waldthiere, namentlich des Edelwildes, sowie an den aufgefundenen, immer nach ganz bestimmter Art gerissenen und angeschnittenen Stücken wird der die bezeichneten Forsten bejagende Waidmann sehr bald gewahr – auch ohne noch die darin würgende Bestie selbst von Angesicht zu Angesicht oder nur deren Gefährt erblickt zu haben – wessen Geistes Kind den Waldfrieden stört.

Von unnahbarem Geklüft oder verfallenen Dachs- und Fuchsbauen aus, welche Schlupfwinkel, neben undurchdringlichen Nadelholz- und Rohrdickungen, der Luchs gern zu seiner festen Heimstätte wählt, durchstreift er rastlos Wald und Gebirge, dabei in seiner heißen, nie zu stillenden Blutgier Raub auf Raub zu häufen. Zu solchem Zwecke aber lauert die geschmeidige Canaille hinter Felsblöcken und alten Baumstümpfen, oder auch aufgebäumt in dem untersten starken Geäst mächtiger Bäume liegend, stundenlang in steinerner Unbeweglichkeit und doch nie eingeschläferter Aufmerksamkeit dem Wilde auf seinen Wechseln auf. Und wehe [484] dem Stücke, das an so verhängnißvoller Stelle seiner Bahn wandelt – blitzschnell sitzt ihm das krallige Teufelsthier im Nacken; schnell wird es zu Falle gebracht. Nur ein von ihm etwa angesprungenes, harzgepanzertes Wildschwein ist nicht so leicht zu bezwingen, vielmehr gelingt es einem solchen wohl, den mörderischen Angriff dadurch zu vereiteln, daß es mit seinem aufgedrungenen und scharf bespornten Reiter durch so wirres, ästestarrendes und für jede andere, minder robust geartete Creatur geradezu undurchdringliches Waldchaos stürmt, daß der aufgesessenen, mächtigen, sonst so schmiegsamen und zähen Höllenkatze doch schier die Sinne dabei vergehen und sie, abgestreift von ihrem unaufhaltsam dahinbrausenden, wuthschäumenden Borstenrosse, diesem die so energisch behauptete Freiheit willenlos gewähren muß. Desto leichter hingegen bewältigt das funkeläugige Mordgeschöpf das schwache Reh, sobald dies nur einmal von ihm erfaßt worden ist. Mißlingt jedoch dem sonst so beharrlichen Raubthiere der Anfall in den ersten drei bis vier Sätzen, so findet selbst jenes wehrlose Wild noch Rettung, und zwar in der Flucht; denn nimmer verfolgt der Luchs ein im Sprunge verfehltes und fliehendes Thier auch nur einen Schritt weiter.

Tiefe Todtenstille, wie sie die herbstabendlich Ruhe einsamer Waldung so oft in erhabenster Weise mit sich bringt, herrscht im weiten, weiten Forstgebiete. Da knistert es von fern, ganz leise durch den dicht geschlossenen Fichtenunterwuchs, und das geübte Ohr erkennt bald, daß der vernommene Ton vom vorsichtigen Tritte eines nahenden Wildes herrührt. Und richtig! Auf kaum handbreit ausgetretenem Wildsteige, der hier gerade einmal eine kleine Blöße überschreitet, wird ein stattlicher Rehbock, gefolgt von seinem sanftäugigen Gespons, sichtbar, doch nur auf Augenblicke, denn schon sind die zierlich Vorwärtsschreitenden wieder in dem Dunkel tiefniederhängenden Gezweigs verschwunden. Aber bald erscheint auf nächstliegender lichter Stelle, die von mächtigen moosüberzogenen Steinblöcken und flechtengrauen Stämmen umschlossen ist, das traute Paar noch einmal, hier die noch nachsprossenden zarten Gräser zu naschen. Vertraulich nisteln dabei die beiden schmucken Geschöpfe umher, nicht ohne daß der vorsichtigere Bock dann und wann den schönen Kopf plötzlich emporwürfe und dann scharfäugend und witternd die Umgebung prüfte, ob Alles geheuer. Nichts Verdächtiges hat sich ihm dabei bemerkbar gemacht und ruhig, graziös mit den schlanken Läufen über Anflug, wirre Haide und schlanke Halme schreitend, äßt er, immer in Gemeinschaft mit seiner treulichen Genossin, auf dem so heimlich gelegenen Plätzchen weiter.

Da plötzlich ein Rascheln, dem sofort das hastige Aufschnellen des gekrönten Hauptes unseres Bockes folgt – doch schon zu spät! Bereits im nächsten Moment sitzt dem Aermsten in blitzschnellem und nur allzu sicherem Sprunge ein hier auf der Lauer gelegener Luchs im Nacken, sein scharfes Gewäff tief in des Ereilten Glieder einschlagend und ihm mit furchtbarem Bisse Genick und Hals zerfleischend.

Wie ein vom Bogen abgeschnellter Pfeil fliegt der so grausig Gepackte mit jähem Satze hoch über die langhalmigen Schmälen dahin, seinen eingefressenen Mörder mit durch die Lüfte führend. Festgekrallt, wankt und weicht dieser nicht von seinem Sitze – unrettbar verloren ist das bedauernswerthe Opfer! Schon nach wenigen Secunden fließt diesem der rothperlende Schweiß stromweise aus den geschlagenen schweren Wunden, und dadurch bis zum Tode erschöpft und niedergedrückt von der peinlichen Last seines Würgers, bricht lebend das edle Wild zu Boden. Mit tiefklagendem Tone haucht hier, unter den Fängen seines bluttrinkenen Dämons, das Thier die letzten Athemzüge aus, wobei ein smaragdener Schein, der Verkünder des Todes, dessen eben noch so dunkelstrahlendes Auge umflort. Sein Bewältiger aber schlürft nun in wilder, berauschender Wonne das warme Blut der unter ihm noch zuckenden Beute bis zum letzten Tropfen, nachher erst an den edleren Eingeweiden und saftigsten Stücken Wildpret auch noch seinen Hunger stillend. Nach solch blutigem Genusse aber verläßt die endlich befriedigte und nun nach behaglicher Ruhe sich sehnende Bestie ihren reichen Vorrath, um später wohl noch ein oder mehrere Male dahin zurückzukehren und weitere Mahlzeiten zu halten. Ist jedoch, wie bei heißen Tagen, in der Zwischenzeit das Fleisch auch nur durch einen Hauch anbrüchig geworden, oder haben Wölfe und Füchse den willkommenen Fund verzehrt – dann beginnt der pardelgefleckte Satan von Neuem seine wilde Jagd.