Der Orangentanz
[52] Der Orangentanz. (Zu dem Bilde S. 48 und 49.) Wenn für die Bekenner des Islam der Fastenmonat Ramasan in die heiße Zeit des Jahres fällt, lastet der dumpfe Druck der Entbehrung zwiefach schwer auf den Gläubigen. All’ ihr Fanatismus lindert die Sonnenglut nicht und hebt Hunger und Durst nicht auf. Im Gegenteil: hundertfach verlockend glühen die Früchte am Baum und sprudelt das Quellwasser in den spärlichen Brunnen für die begehrlichen Augen und die lechzende Zunge derer, die vom Aufgang der Sonne bis zur Stunde, da der Ruf der Muezzins von der Galerie der Minarets ihren Niedergang verkündet, weder Speise noch Trank berühren noch sich am Rauch des Tabaks in Tschibuk und Nargileh erquicken dürfen, ja, die ihre Lippen sogar den Regentropfen verschließen müssen, die der barmherzige Himmel jeweilen einmal spendet.
Ein einziger Tag jedoch unterbricht die strenge Askese eines vollen Monats, das ist der Fünfzehnte, die Mitte des Ramasan. Dann spricht der Beherrscher der Gläubigen im fernen Stambul drunten in der heiligen Sophienmoschee das große Gebet und in allen Provinzen, die ihm unterthan sind, feiert und schwelgt das Volk. Musik ertönt und der schwere Duft des Räucherwerks steigt aus Onyxschalen empor. – Wo ist wohl mehr Glanz zu finden als in der marmornen „Kulá“, dem Landhause des Bey, dort, wo nahe der algerischen Grenze waldige Hügel den Horizont kränzen und im Garten anbei Palmen und Orangenbäume in die zierlichen Säulengänge des kühlen Hofes hineinschauen. Aus der nahen Stadt sind die Tänzerinnen geholt worden, schöne bronzebraune Mädchen, mit sammetnen Schwarzaugen und feinen Gliedern. Sie haben mit feierlichen Tänzen begonnen, bei denen nur der Oberkörper sich in graziösem Wiegen bewegt; sie haben mit Schwert und Messer gespielt und das Tamburin gepocht; jetzt tanzt die Schönste und Zarteste den Orangentanz. Große, dunkelgoldne Früchte aus Jaffa, drei davon im Dreieck auf den weißen Marmor gelegt, Rosen, Nelken und frisches Grün dazwischen gestreut – und nun tanzt die Behende, daß die Spangen an ihren Knöcheln klirren und die golddurchwirkten Schleier fliegen.
Zwischen Frucht und Blume schlüpft ihr Fuß hindurch, ohne sie zu berühren; kaum daß ihre Zehenspitze den glatten Boden streift; so leicht ist sie wie eine Tochter der Luft. Leise pfeift und zirpt die eintönige Musik aus der Schalmei, der „Tschoban“ und der langen Mandoline, der „Dingala“, und auf prächtigem Teppich, unter buntem Baldachin sitzt der Bey mit seinen Gästen, alle stumm und regungslos, nur aus den dunkelbeschatteten Augen blitzt das Entzücken am Tanze. – Später, wenn die Männer alle zum beschaulichen Träumen, dem „Kef“, in das „Selamlik“, die Besuchsräume, zurückgekehrt sind, wird die Tänzerin sich zum goldenen Lohne auch noch die goldenen Jaffafrüchte in den Zipfel ihres seidenen Gewandes knüpfen und mit heimnehmen. Sie weiß wohl, daß jede der Orangen einen kostbaren Kern birgt: drei Steine für eine neue Spange zum Bairamfest, und sie kennt den Spender; mag der junge Bey im weißen Turban neben seinem Vater sich auch hundertmal halbschlafend gestellt haben bei seiner Wasserpfeife! B. S.-S.