Textdaten
<<< >>>
Autor: – d.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Nestor der Gemsjäger
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 412
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[412] Der Nestor der Gemsjäger starb kürzlich in seinem 85. Lebensjahre in seiner Heimath, dem glarnerischen Flecken Ennenda. Es war dies Rudolf Bläsi von Schwanden, ein kühner, waghalsiger Mann, der sehr viel erzählen konnte. Er pflegte jährlich seine 30 bis 40 Gemsen zu schießen und hatte dieses gefahrvolle Gewerbe unverletzt und glücklich bis in sein 50. Lebensjahr fortgesetzt. Da aber streckte der Tod schon einmal seine Faust gegen den Abenteurer aus. Eines Tages zog er mit seinem Freunde und Gefährten Walcher das wilde Sernftthal hinauf, aus welchem zwei der rauhsten und gefährlichsten Paßwege über den Schneekamm der zerrissenen Gebirge nach dem bündnerischen Vorder-Rheinthal führen. Den einen überragt das eisbedeckte Felshorn des Tschingels. In dessen Nähe trennten sich die Jäger, indem sie Beide die unzweifelhaften Spuren eines Gemsbockes verfolgen wollten, der ihnen nicht entgehen konnte, wenn sie, wie sie verabredeten, auf der Alp Falz wieder zusammenträfen. Bläsi trifft das Thier auf seinem Wege auch an und verfolgt es eifrig, ihm von Absatz zu Absatz nachkletternd. In seiner Hitze überspringt er zuletzt auch eine tiefe, gähnende Kluft, bemerkt aber, als er sich jenseits befindet, mit Grausen, daß ihm der Rückweg abgeschnitten, indem er von dem höheren Absatz nach dem niederen gesprungen. Dicht vor ihm aber ragt eine glatte, kahle Felswand zum blauen Himmel empor. Er hält sich für verloren, sucht sich jedoch in sein Schicksal zu ergeben. Die Nacht bricht herein, ihre Schrecken aber werden durch ein starkes Gewitter erhöht, das sich neben und unter dem Unglücklichen entladet. Da der Felsabsatz zu schmal ist, um sich setzen oder legen zu können, muß er, auf seine Büchse gestützt, stehend ausharren: eine Bewegung und der bodenlose Abgrund verschlingt ihn. – Inzwischen ist sein Jagdgenosse auf dem Orte des Stelldicheins angelangt, wo er, obwohl in einer Sennhütte, die Nacht ebenfalls schlaflos, weil besorgt und bekümmert um seinen Cameraden, zubringt. Bei Tagesanbruch macht er sich, mit einem Seile versehen, auf, den vermuthlich todten Freund aufzusuchen. Bis 11 Uhr Morgens irrt er umsonst umher, da endlich bringt ihn der Zufall an den Rand jener Felswand, an welcher er den Vermißten wie angeklebt stehen sieht. Wie wird aber Bläsi zu Muthe, als er plötzlich den Freund rufen hört und ihn über seinem Haupte erblickt! Walcher läßt sofort das Seil hinab und es gelingt ihm, den Todgeweihten glücklich zu sich heranzuziehen. Allein diese Nacht hatte hingereicht, dem rüstigen Manne die Haare gänzlich zu bleichen.

Einige Jahre nach diesem Vorfalle ward es aber Bläsi, trotz der fortgesetzten Gemsjagden, in seiner Heimath zu eng und langweilig. Er wanderte nach Amerika aus und begab sich dort in den äußersten Westen der Vereinigten Staaten, wo er der Anführer einer Jagdgesellschaft ward und mannichfache Abenteuer zu bestehen hatte. Allein trotzdem und obgleich es ihm wohl erging, kehrte er schon nach einigen Jahren nach den Felsenthälern von Glarus zurück: das Heimweh litt ihn nicht mehr drüben. Da machte es ihm aber Vergnügen, von seinen Jagden und Erlebnissen in den Urwäldern erzählen zu können. Der kühne Jäger mußte aber zuletzt auf einem langwierigen, schmerzensvollen Krankenlager sterben.

– d.