Textdaten
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Autor: Wilhelm Busch
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Titel: Der Mordgraf
Untertitel:
aus: Ut ôler Welt. Volksmärchen, Sagen, Volkslieder und Reime. S. 107-110
Herausgeber: Otto Nöldeke
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1910
Verlag: Lothar Joachim
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Erscheinungsort: München
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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40. Der Mordgraf.

Vor tausend Jahren oder länger ist mal ein König gewesen, der hatte eine wunderschöne Tochter. Da trug es sich zu, daß zur selben Zeit ein Mann an ihres Vater Hof kam, der nannte sich Graf von Schwarzburg und bewarb sich um ihre Hand, und weil er schön von Ansehn war, so wurde ihm die Prinzessin von Herzen zugethan und versprach ihm die Ehe. »Aber, mein Schatz, wo bist du denn her und wo liegt dein Schloß?« fragte ihn einstmals die Prinzessin. »Mein Schloß«, entgegnete er, »liegt hinter dem Walde in der Haide, da wohne ich ganz allein; wenn du mich da besuchen willst, so komm den Mittwoch, dann will ich sicher zu Hause sein.« Die Prinzessin sagte es zu; ging aber nicht Mittwoch, sondern Freitag; »denn, dachte sie, es wird meinem Bräutigam wohl jederzeit recht sein, wenn ich komme, ihn zu besuchen.« So ließ sie denn am Freitag vier schwarze Pferde vor ihre Kutsche spannen und nahm nur eine einzige Junfer zu ihrer Begleitung mit. Als sie nun an den Rand des großen Waldes kamen, sahen sie ganz einsam in der weiten Haide des Grafen Schloß. Da stieg die Prinzessin, die ihren Bräutigam zu überraschen gedachte, mit ihrer Junfer aus und befahl dem Kutscher zu warten bis sie wiederkämen. Als sie nun vor das Schloß kamen, lag in einer Hütte vor dem Thor ein großer, großer Hund, der schlug mit lauter Stimme drei Mal an. »Hau! Hau! Hau!« und an dem Giebel des Schlosses hing ein Käfig mit einem großen Vogel, der rief drei Mal: »Zurück! Zurück! Zurück!« Dann war wieder alles ganz still. Es ließ sich auch kein Mensch blicken und war so öde und unheimlich da; das Schloß stand so allein auf der weiten Haide; der große Hund, der sonderbare Vogel; die Prinzessin wurde ganz beklommen, so schaurig kam ihr alles vor; doch ging sie weiter und in das Schloß hinein. Da stand auf der Diele ein Klotz, darüber war ein weißes Laken gelegt, und als sie das aufdeckte, so lag ein großes blankes Beil darunter, und der Klotz war über und über voll Blut; die Prinzessin wurde ganz beklommen, so schaurig kam ihr das alles vor; doch ging sie weiter und in den Keller hinein. Da standen viele große Fässer, die waren voll von eingesalztem Menschenfleische, in dem einen die Finger, in dem andern die Arme, in dem dritten die Füße, in dem vierten die Beine, in dem fünften die Rümpfe, aber die Köpfe fehlten. »O weh!« sprach die Prinzessin, »wir sind in einem Mörderhause.« Weil aber alles still blieb, so gingen sie auch noch die Treppe hinauf; in dem ersten Zimmer standen zwei gemachte Betten, in dem zweiten drei, in dem dritten vier, und in dem vierten Zimmer da hingen an den Wänden herum lauter Mädchenköpfe, das konnte man wohl erkennen an den langen Haaren. »O weh!« sprach die Prinzessin; »mein Liebster ist ein Mörder und Mädchenräuber.« Indem daß sie das sagte, sah sie durch das Fenster, wie ein Mann über die Haide dahergeritten kam, [108] der hatte vor sich auf dem Pferde ein Mädchen sitzen. »Da kommt er schon!« rief die Prinzessin und wurde blaß wie der Tod; »da kommt er schon, das ist sein Pferd; wenn er uns hier findet, so ist uns der Tod gewiß!« Und schnell sprangen die beiden Mädchen die Treppe hinab und wollten aus dem Hause hinaus, aber in demselben Augenblicke ritt auch der Mörder schon auf den Hof; da blieb den beiden nichts anderes übrig als sich in den dunkeln Entenstall zu verstecken, der an der Diele unter der Treppe lag und mit einer Gitterthüre verschlossen war. Kaum waren sie drin, so kam der Graf mit einem wunderschönen Mädchen in das Haus. Er holte ihr aus dem Keller ein Glas Wein und gab ihr davon zu trinken und sprach: »Nun, mein Kind, wie schmeckt dir dieser Wein?« »Sehr süß!« sagte das Mädchen. »Ja!« sprach der Graf, »sehr süß! aber süßer ist das Leben!« Dann brachte er ihr ein ander Glas und ließ sie wieder trinken und fragte: »Nun, mein Kind, wie schmeckt dir denn dieser Wein?« »Sehr bitter!« sagte das Mädchen. »Ja, sehr bitter!« sprach der Graf; »aber bitterer ist der Tod; du mußt jetzt sterben!« Da mußte sie sich ganz nackt ausziehen; und ob sie gleich laut weinte und jammerte und vor dem Bösewicht auf ihre Knie fiel und um ihr Leben flehte, so half es ihr doch alles nichts; er schleppte sie an den Klotz, er hob das weiße Laken, er hackte ihr mit dem blanken Beile alle ihre schönen Finger ab. Auf dem einen Finger steckte aber ein schöner Goldring, und es traf sich, daß der Finger von dem Hiebe bei Seite sprang und sprang durch die Gitterthüre in den Entenstall und der Prinzessin grade in den Schooß. Da fing der Mörder nach dem Finger zu suchen an, des Ringes wegen, und kam mehrmals dicht vor den Entenstall. Den beiden Mädchen, die darin versteckt saßen, stockte das Blut; sie hielten den Athem an; hätten sie den geringsten Laut von sich gegeben, so wären sie verloren gewesen. Zum Glück gab der Mörder sein Suchen auf und ging wieder zu dem unglücklichen Mädchen zurück, das weinte und jammerte laut und bat um sein Leben; aber es half ihr alles nichts; der Bösewicht hackte ihr Arme und Beine ab und zuletzt den Kopf und trug die Stücke in den Keller und salzte sie ein. Darauf setzte er sich wieder auf sein Pferd, das vor der Thüre angebunden stand, und ritt fort.

Als nun die Prinzessin und ihre Jungfer vernahmen, daß der Graf fort war, kamen sie aus ihrem Versteck hervor und sahen ihm nach; da war er schon wieder weit hinten auf der Haide. Den Finger mit dem Goldringe wickelte die Prinzessin in ihr Taschentuch, und nun liefen sie eilig aus dem Hause; der große Hund schlug dreimal an: »Hau! Hau! Hau!« der Vogel schrie; sie liefen über die Haide in den Wald, sie stürzten sich in den Wagen, sie befahlen dem Kutscher auf die Pferde zu schlagen; so jagten sie in einem fort bis auf den königlichen Hof; da brachen die Pferde todt zusammen.

[109] Den andern Tag kam der Bräutigam der Prinzessin wieder zum Besuch auf das königliche Schloß; sie ließ sich aber nichts merken, sondern that ganz freundlich und stellte ein großes Gastmahl an. Da sie nun bei Tische saßen, brachte die Prinzessin einen Vorschlag, es sollte ein jeder nach der Reihe eine Geschichte erzählen, sie sei kurz oder lang. Da sprach der Graf, der ihr an der Tafel gegenüber saß: wer den Vorschlag gethan, der müßte auch, wie billig, den Anfang machen. »Mir recht!« entgegnete die Prinzessin; »so will ich einen Traum erzählen, der handelt von dir, mein Schatz! Mir hat heut Nacht geträumt, ich wollte dich besuchen und käme durch einen dunklen Wald auf eine weite, weite Haide; da stand dein Schloß; und vor dem Schloß da lag ein großer Hund, der bellte: ›Hau! Hau! Hau!‹ und an dem Giebel hing in einem Bauer ein wunderlicher Vogel, der rief: ›Zurück! Zurück! Zurück!‹ Es war aber alles nur ein Traum. Ich ging weiter in das Haus; da warst du, mein Schatz, nicht daheim, denn ich war den Freitag zu dir gekommen und nicht den Mittwoch, da stand auf der Flur ein Klotz, der war mit einem weißen Laken zugedeckt, und als ich das Laken aufhob, fand ich ein großes blankes Beil, und der Klotz war über und über von Blut roth.« »Halte ein wenig ein, mein Schatz«, sprach der Graf und war ganz blaß geworden; »ich will mal hinaus; es wird mir hier so heiß.« »Ach nein!« sprach die Prinzessin; »gleich bin ich zu Ende. Es war alles nur ein Traum, aber es kam mir vor, ich ginge in den Keller, da standen viele große Fässer, die waren alle voll von eingesalztem Menschenfleische, und als ich die Treppe hinauf in deine Zimmer kam, da standen in dem ersten zwei gemachte Betten, in dem zweiten drei, in dem dritten vier, und in dem vierten Zimmer hingen an den Wänden herum viele Mädchenköpfe, das sah ich an den langen Haaren. Ist das nicht schrecklich? Es war aber alles nur ein Traum. Und als ich aus dem Fenster sah, da kamst du, mein Schatz, über die Haide daher geritten.« »Halte ein wenig ein, mein Schatz, ich muß mal hinaus; es wird mir hier so heiß.« »Ach nein, mein Schatz! Bleib noch ein wenig hier; gleich ist mein Traum zu Ende. Wo blieb ich doch! Ja so! Und als ich aus dem Fenster sah, da kamst du über die Haide dahergeritten und brachtest auf dem Pferde eine schöne Dame mit. Ich aber, denke dir nur, mein Schatz, ward bange vor dir und lief in Eile die Treppe hinab, da versteckte ich mich in den dunklen Entenstall. Es war aber alles nur ein Traum. Da kamst du mit der schönen Dame in das Haus und gabst ihr rothen Wein zu trinken.« »Halte ein wenig ein, mein Schatz; ich muß mal hinaus; es wird mir hier so heiß.« »Ach nein, mein Schatz; bleib noch ein wenig hier; gleich ist mein Traum zu Ende. Wo blieb ich doch? Ja so! Du kamst mit der schönen Dame in das Haus und gabst ihr rothen Wein zu trinken, du schlepptest sie an den Klotz, du hörtest nicht auf ihr Weinen und Wehgeschrei, du hacktest ihr mit dem [110] blanken Beile die zarten Finger ab. Da sprang der eine Finger, worauf ein schöner Goldring stak, abseit und fiel mir mitten in den Schooß. Du suchtest ihn, mein Schatz, du konntest ihn nicht finden – hier ist der Finger mit dem Ring!« Bei den Worten warf die Prinzessin den Finger mit dem Goldring auf den Tisch. Da wurde der Mörder blaß wie der Tod, er sprang auf, zückte sein Messer und wollte die Prinzessin erstechen; aber die Gäste faßten ihn und banden ihn und übergaben ihn der Wache, und eine Zeit darnach ward der Bösewicht gerichtet, wie er es verdient hatte.