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Titel: Der Modoc-Krieg
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24, 25, 30, S. 388–390, 404–407, 489–492
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Modoc-Krieg.[1]


Die Klamath und die Modocs. – Richter Steele als böser Dämon. – Captain Jack geht vor. – Vergebliche Unterhandlungen. – Eröffnung des Kampfes. – Das „Lavabett“. – Neuer Versuch zur friedlichen Beilegung des Streites. – Gewaltthat gegen Canby und Dr. Thomas. – Folgen dieser Frevelthat. – Strategische Schwierigkeiten. – Der Glaube der Indianer an einen befreienden Messias. – Persönlichkeit und Charakter Jack’s.

Der in der südwestlichen Ecke des Staates Oregon vor Kurzem zum vollen Ausbruch gekommene Krieg mit den Modoc-Indianern verdient, klein und unbedeutend, wie er dem fernerstehenden Beobachter erscheinen mag, einer größeren Beachtung als die gewöhnlichen Indianerplänkeleien, und zwar nicht nur innerhalb der Grenzen der Union, sondern auch in weiteren Kreisen. Einmal verleiht die besondere Situation der kämpfenden Parteien diesem Conflict ein, man möchte fast sagen romantisches Interesse, dann aber ist es nicht unmöglich, ja, unter gewissen Umständen sogar wahrscheinlich, daß der hartnäckige Widerstand des Häuptlings, Capitain Jack’s, in seiner Felsenfestung nur der Anfang, das Vorspiel eines Indianerkrieges ist, der in seiner Ausdehnung, Allgemeinheit und Furchtbarkeit alles bisher Dagewesene übertreffen und auf beiden Seiten sehr viel Blut kosten dürfte. Es wird gewiß der Tendenz eines überall gelesenen Blattes, wie die Gartenlaube es ist, angemessen sein, seinen Lesern Mittheilungen bezüglich dieser Ereignisse darzubieten, insofern solche Kämpfe zwischen Civilisation und Barbarei nicht blos ein nationales, sondern ein kosmopolitisches Interesse haben. Und sollten sie sich selbst, wie wir natürlich hoffen, nur auf den gegenwärtigen Kampf mit dem kleinen Modoc-Stamm beschränken, so würden die besonderen Umstände und eigenthümlichen Verhältnisse gerade dieser Fehde die Aufnahme einiger Artikel, welche diesen Gegenstand behandeln, sicherlich rechtfertigen.

Im südwestlichen Theile des Staates Oregon entströmt dem nicht unbedeutenden Klamathsee am Fuße der Cascade-Berge der Klamathfluß, wendet sich bald südlich nach Californien und ergießt sich endlich in den stillen Ocean. An den Ufern dieses Flusses wohnten seit Jahren zwei Indianerstämme, die Klamaths und die Modocs, die, obwohl sie durch gleiche Sprache und Abstammung eng zusammen gehörten, doch bis zum Jahre 1846 als zwei völlig getrennte, von einander ganz unabhängige Banden nebeneinander existirt hatten. Die Klamaths hatten die Gegend nördlich vom Flusse inne; die Modocs lebten am südlichen Ufer desselben und am „Lost-River“. Die Ersteren hatten sich niemals feindlich gegen die Weißen gezeigt, und als die Ansiedelungen dieser sich mehrten, bequemten sich die Klamaths zuerst von allen Indianern Oregons, einen Vertrag mit der Regierung abzuschließen, in welchem sie ihr Land verkauften und dafür eine Reservation angewiesen bekamen, die sie ohne allen Widerstand bezogen. Dies war im Jahre 1860.

Unter der Verwaltung des vom Präsidenten Lincoln ernannten Agenten machten sie nicht unerhebliche Fortschritte in der Civilisation und befanden sich in ihrer neuen Lage so wohl, daß es dem Agenten Huntingdon im Jahre 1864 gelang, auch die Modocs zu bewegen, ihr Land abzutreten und zu ihren Stammesgenossen auf die Klamathreservation zu ziehen. Die Ratification dieses Vertrages durch den Senat zog sich indeß in die Länge, so daß, als General Grant im Jahre 1868 seinen Amtstermin antrat, die Verhandlungen noch nicht endgültig abgeschlossen waren. Grant beschloß zu Anfang seiner Administration die bisher befolgte Indianerpolitik zu ändern und die Wilden unter militärische Verwaltung zu stellen. Ungeachtet dessen brachte der neue Agent der Klamathreservation, Capitain Knapp, den Vertrag mit den Modocs zu einem befriedigenden Abschluß, und der ganze Stamm, Schonchin, der erste Häuptling, und Capitain Jack, der Anführer in diesem Kriege, an der Spitze, zog auf das ihnen als Eigenthum überwiesene Land. So weit schien Alles in bester Ordnung zu sein.

Da wurde durch einen Mann, welcher der so oft Unheil stiftenden Advocatenzunft angehört, der Same des gegenwärtigen gräuelvollen Krieges gesäet. Richter Steele in Yreka war der böse Dämon, der dem ihn consultirenden schlauen Capitain Jack den Rath gab, er und seine Leute sollten, statt auf die Reservation zu ziehen, Regierungsland für Heimstätten beanspruchen und die Abgaben dafür zahlen; dann würden sie nicht mehr unter der Aufsicht des Indianerdepartements von Oregon stehen, sondern kraft des vierzehnten Amendements der Constitution der Vereinigten Staaten, welches allen Bewohnern der Union gleiche Rechte verleiht, als Bürger anerkannt werden müssen. Die nicht einmal streng gesetzliche Auslegung der Constitution fiel wie ein Funke in ein Pulverfaß. Capitain Jack verließ sofort mit seinen Leuten die Reservation und erklärte kurzweg, er werde nicht mehr hingehen, auch nicht den Agenten aufsuchen, sondern ihn in seinem Lager erwarten, wenn er ihm etwas zu sagen habe. Herr Odinell, der derzeitige Agent, übergab die Angelegenheit, wie er nicht anders konnte, der Militärbehörde, das heißt zunächst dem in Fort Klamath commandirenden Obersten Green. Da dieser nur eine unbedeutende Anzahl Truppen zur Verfügung hatte, auch nicht glaubte, daß die Indianer bei ihrer geringen Stärke ernstlich an Widerstand denken würden, so schickte er nur eine kleine Abtheilung Cavallerie (35 Mann) unter Major Jackson ab, um den Streit zu schlichten oder Gehorsam zu erzwingen. Sie fanden Capitain Jack’s Lager an beiden Seiten des „Lost-River“. Ein Dutzend Ansiedler aus der Nachbarschaft erbot sich mit den am östlichen Ufer befindlichen, ihnen gut bekannten Indianern zu unterhandeln, während Jackson mit den Truppen auf der Westseite des Flusses hinaufrücken wollte.

Bei Tagesanbruch, den 29. November (vorigen Jahres) erreichte er das Lager, befahl seinen Leuten abzusitzen und rückte mit nur dreiundzwanzig (die übrigen mußten bei den Pferden bleiben) auf die überraschten Wilden los. Aber, obwohl nicht vorbereitet, reizte sie wahrscheinlich die geringe Zahl der Weißen zum Widerstand, zumal sie den Vortheil hatten, hinter ihren Hütten ziemlich gut gedeckt zu sein, während die Soldaten völlig bloßgestellt waren. Ivan Applegate wurde als Parlamentär abgeschickt, um sie zu bewegen, nachzugeben und mit den Truppen umzukehren. Die erfolglose Unterredung währte etwa eine halbe Stunde, während welcher Zeit die Indianer sich zum Kampfe rüsteten. Zunächst erschien „Scarfaced Charley“ (Karl mit dem Narbengesicht), ein sechs Fuß hoher athletischer Krieger, mit drei Büchsen bewaffnet, vor der Front und forderte durch Worte und Geberden die Weißen zum Kampfe heraus. Major Jackson befahl dem Lieutenant Boutell den Wilden zu verhaften, als dieser, schnell wie der Blitz, eine Büchse auf Boutell abschoß, dann, ehe noch die Soldaten erwidern konnten, sich zu Boden warf und zum Lager zurückkroch, wobei er seine sämmtlichen Büchsen abschoß, um endlich, ohne eine Wunde empfangen zu haben, mit der Miene eines triumphirenden Siegers zwischen den Lagerhütten zu verschwinden.

Jetzt begann das Gefecht im Ernst. Die Indianer feuerten in guter Deckung mit großem Erfolg, während die Soldaten kaum eine einzige Kugel an den Mann bringen konnten. Selbst ganz schutzlos und nur mit kurzen Carabinern bewaffnet, befanden sie sich in einer überaus bösen Lage: acht waren schon gefallen; der Rückzug nach den Pferden war sicherer Tod für Alle. Der Major gab daher den Befehl, das Lager zu stürmen. Mit verzweiflungsvoller Wuth stürzten sich die Leute auf die Hütten und räumten dieselben in kurzer Zeit von ihren Bewohnern, die in wilder Hast in die nahen Gebüsche flüchteten. Major Jackson marschirte eine Strecke weiter den Fluß hinauf, von den berittenen Indianern eine kurze Zeit verfolgt, ging dann über den Fluß und vereinigte sich mit den auf der Ostseite befindlichen, ebenfalls geflohenen Ansiedlern. Die Indianer machten eine halbe Stunde von den Truppen Halt und feierten Abends ihren Sieg mit den üblichen Tänzen und Freudenbezeigungen. Dieses Gefecht war für die Indianer der Ostseite das Signal zu einem blutigen Angriff auf die wenigen Ansiedler am „Lost-River“; siebzehn Weiße wurden ermordet. Capitain Jack und seine Krieger nahmen an diesen Unthaten keinen Theil, sondern zogen sich an der Westseite des Rhettsees nach dem sogenannten „Lavabett“ zurück, der Felsenfestung, in der sie sich gegenwärtig noch befinden und wohin die Mörder von der Ostseite ihnen [389] bald nachfolgten. Major Jackson erreichte mit dem Rest seiner Leute unbelästigt Fort Klamath.

Die Festung der Modocs, welche bisjetzt der Schauplatz der Kämpfe gewesen, ist eine der höchst interessanten Naturmerkwürdigkeiten, an welchen namentlich das westliche Nordamerika so reich ist. Sie ist, was man dort zu Lande mit dem technischen Ausdruck „Pedregal“, einem dem Spanischen entlehnten Worte, bezeichnet. Man versteht darunter eine unebene, felsige Fläche, aus vulcanischem Gestein (Basalt, Trachyt etc.) bestehend, welche durch mächtige Erdrevolutionen in größeren und kleineren Massen in die Höhe geschoben worden ist und dann während des Abkühlungsprocesses auf alle nur erdenkliche Weise zerrissen und zerborsten ist.

Das hier in Betracht kommende „Pedregal“ hat eine Ausdehnung von ungefähr hundert Quadratmeilen und ist eines der größten und wildesten wahrscheinlich des ganzen Continents. Ein Augenzeuge schildert es in folgender drastischer Weise: „Man stelle sich eine glatte solide Masse Granit, zehn Meilen lang und breit und fünfhundert Fuß dick, vor, unter welcher zahllose, unwiderstehliche Minen in unregelmäßigen Zwischenräumen angebracht sind; man stelle sich dann vor, daß diese Minen gleichzeitig entzündet werden, und nun das ganze Felsenbett durch eine ungeheure Explosion in Stücke von der Größe eines Kästchens bis zu der einer Kirche zerrissen wird, und daß diese wild über- und durcheinander geworfenen Trümmer sich hier zu ungeheuern Riesenbauwerken zusammenthürmen, dort wieder tiefe Abgründe zwischen sich lassen; man denke sich endlich dieses ganze wüste Chaos in einen gigantischen Schmelztiegel Vulcan’s geworfen und so erhitzt, daß die Masse anfängt flüssig zu werden, um schnell wieder zu erkalten – und man hat eine schwache Idee davon, was dieses Pedregal der Modocs ist.“ Der obere Theil des Felsenmeeres ist rauh und mehr compact geblieben, während der untere Theil durch den Abkühlungsproceß den Zellen eines ungeheuren Bienenstocks ähnlich geworden ist. Es ist aus dieser merkwürdigen Beschaffenheit der Localität ersichtlich, daß dieses „Lavabett“ für den mit allen unterirdischen Felsenhöhlen und Gängen desselben vertrauten Indianer eine fast uneinnehmbare Felsenburg vom riesenhaftesten Umfange ist. Ein guter Scharfschütze kann von der Spitze einer der Felspyramiden einen Angreifer niederschießen, ohne auch nur einen Zoll seines eigenen Körpers bloßzustellen; er kann, ehe sein Gegner über Felsblöcke und nie geahnte Risse an ihn herangeklettert ist, zehn Mann ohne alle Mühe erschießen, bevor ein einziger zum Schuß gelangen kann. Muß er endlich dem andringenden Feinde weichen, dann darf er nur aus seiner Höhle in einen der unzähligen, ihm bekannten unterirdischen Gänge schlüpfen, um eine andere Stellung zu erreichen, aus der er nur mit demselben Menschenverlust auf Seiten der Angreifer vertrieben werden kann.

Dies ist der Ort, nach welchem Capitain Jack und seine Modocs sich zurückzogen und den sie ohne allen Zweifel schon längst für einen solchen Fall als letzten Zufluchtsort sich ausersehen und aller Wahrscheinlichkeit nach auf längere Zeit für sich selbst und ihre Familien hinreichend verproviantirt hatten. Daß sie dieses Felsennest erreichen möchten, war eben, was Oberst Green befürchtet hatte, und vielleicht um sie nicht zu diesem letzten Schritte zu treiben, hatte er eine so geringe Truppenzahl detachirt, in der Hoffnung, sie dadurch versöhnlicher zu stimmen. Jetzt war das Schlimmste eingetreten, und an eine schnelle Beendigung der Affaire auf gewaltsame Weise kaum mehr zu denken. Kein Wunder daher, wenn die Regierung beschloß, noch einmal eine Beilegung der Unruhen auf friedlichem Wege zu versuchen, zumal Capitain Jack sich eigentlich keine Mordthaten hatte zu Schulden kommen lassen, sondern nur im offenen Gefecht sich den Truppen widersetzt hatte.

So wurde eine Commission ernannt, bestehend aus General Canby, Dr. Thomas, A. B. Meacham und Dyer, um mit den Ruhestörern zu verhandeln. General Edward Canby war einer der vorzüglichsten und geachtetsten Officiere der Armee; während einer vierunddreißig jährigen Dienstzeit hatte er in allen Kriegen, namentlich während der großen Rebellion der Südstaaten, mit Auszeichnung für die Armee gefochten. Seine vorzüglichen Kenntnisse des Civilrechts, verbunden mit seiner anerkannten Treue und Befähigung als Militär, hatten seine Berufung auf verschiedene schwierige Posten veranlaßt, und es wurde als ein besonders günstiger Umstand betrachtet, daß gerade ein so ausgezeichneter Mann zur Zeit dieser Unruhen das Commando über das Departement des Columbia hatte, zu welcher Oregon gehörte. Er ging mit großem Eifer an seine schwierige Aufgabe. Mehrere Zusammenkünfte mit den Indianern fanden statt; aber alle Unterhandlungen scheiterten an der Hartnäckigkeit der Rothhäute, so daß General Canby endlich die Hoffnung aufgegeben zu haben schien, auf friedlichem Wege die Sache zu schlichten, und schon Vorbereitungen traf, die Beschlüsse der Commission mit den Waffen zu erzwingen.

So war der April dieses Jahres herangekommen. Der General wollte indeß noch einen letzten Versuch machen, den Weg zur Güte zu gehen, und entschloß sich, die übrigen Commissäre noch einmal zu einer Zusammenkunft mit den Häuptlingen der Wilden zu begleiten. General Gillem befand sich mit den für etwaige Eventualitäten schon zusammengezogenen Truppen am 10. April unweit des Lavabettes; unter ihm commandirten die Obersten Mason und Green. Am Nachmittage erschienen fünf Indianer und vier Weiber im Lager, die von den Commissären mit Kleidern beschenkt wurden und dann wieder umkehrten mit dem Auftrage, den Häuptlingen im Namen der Commission eine Unterredung eine Meile von der Vorpostenlinie anzubieten. Am Abend erschien ein bekannter Krieger, Bogus Charley, bei den Wachtposten, gab sein Gewehr ab, indem er vorgab, nicht wieder zu seinen Landsleuten zurückkehren zu wollen, und blieb die Nacht im Lager. Früh am nächsten Morgen kam ein anderer Indianer, Boston Charley genannt, mit der Botschaft an General Canby, daß Capitain Jack mit fünf Indianern bereit sei, die Commissäre außerhalb der Linie zu treffen. Hierauf verließen Beide, Boston und Bogus, das Lager. Eine Stunde später brachen die Commissäre, vom Dolmetscher Riddle begleitet, nach dem Orte der Zusammenkunft auf. Von einem kleinen Hügel aus konnte die ganze Gegend genau übersehen werden; überdem war der Sicherheit wegen Oberst Mason mit einer Abtheilung Reiterei so postirt, daß er im Falle eines Friedensbruches sogleich einschreiten konnte.

Eine Stunde war vergangen, als der Signalofficier das Zeichen gab, daß Mason von einem Trupp Indianer angegriffen werde und auch bei der Commission nicht Alles in Ordnung sei. Die letztere hatte Capitain Jack und seine Genossen am bezeichneten Platze gefunden.

Meacham redete die Indianer kurz an, dann der General und endlich Dr. Thomas. Capitain Jack erklärte in seiner Erwiderung, daß sie darauf beständen, die zwei Plätze Hot Creek und Cottonwood als Reservation angewiesen zu bekommen. Meacham antwortete ihnen, es sei unmöglich, ihnen diese Forderung zu gewähren, wurde aber bald vom Häuptling Schonchin unterbrochen: er habe jetzt genug gesprochen; sie wollten davon nichts mehr hören.

Während Schonchin noch sprach, stand Capitain Jack auf, zog seinen Revolver und feuerte mit dem Ausrufe „Fertig“ denselben auf General Canby ab. Unterm rechten Auge getroffen, sank der alte General auf der Stelle todt nieder. Zu gleicher Zeit bekam Meacham von Schonchin einen Schuß in den Kopf, der ihn bewußtlos hinstreckte. Boston Charley erschoß den Dr. Thomas. Nur Dyer kam unverletzt nach dem Lager in dem Augenblicke, als sämmtliche Truppen dem Schauplatze des Mordes zueilten. Die Indianer waren selbstverständlich sogleich verschwunden, und es blieb vor der Hand nur die traurige Pflicht zu erfüllen, die Leichen der so schändlich Gemeuchelmordeten in’s Lager zurückzubringen.

Die Nachricht von diesem durch nichts provocirten schwarzen Verrat rief im ganzen Lande einen allgemeinen Schrei gerechter Entrüstung hervor. Nicht nur das Verbrechen an sich, sondern auch besonders der Umstand, daß es an einem so allgemein geschätzten, so edlen und wohlmeinenden Manne verübt worden war, erfüllte alle Classen der Gesellschaft mit Zorn und Erbitterung gegen die feigen Mörder. Selbst Präsident Grant ließ sich für den Augenblick wenigstens aus seiner Gemüthsruhe aufrütteln und kam zu dem Entschlusse, in diesem Falle seine philanthropischen Träumereien, die unter dem Namen „indianische Friedenspolitik“ bekannt sind, mit etwas strengeren Maßregeln zu vertauschen. Waren doch diesmal nicht arme namenlose Ansiedler die Opfer der Barbaren, sondern von ihm selbsternannte [390] hochgestellte Leute, vor Allem sein ihm nahestehender Freund und Waffenbruder. Nicht nur Wittwen und Waisen im fernen Westen traf diesmal der Schlag; die Kugel, welche Canby tödtete, fühlte man auch im Weißen Hause in Washington, und die Bewohner desselben fielen diesmal in das allgemeine Rachegeschrei ein. Dies bewiesen die folgenden Depeschen des Obergenerals der Vereinigten-Staaten-Armee, W. T. Sherman, der, beiläufig gesagt, ganz andere gesündere und praktischere Ansichten in Bezug auf Indianerpolitik hat, als sein alter Waffengefährte Grant. Die erste ist an General Gillem gerichtet und lautet, wie folgt: „Ihre Depesche, welche den entsetzlichen Verlust, den das Land durch den Tod des Generals Canby erlitten hat, anzeigt, ist dem Präsidenten vorgelegt worden, welcher mich autorisirt, Sie dahin zu bestimmen, den Angriff so kräftig und energisch wie möglich zu machen, damit das Schicksal der Mörder ihrem Verbrechen angemessen sein möge. Sie werden vollkommen gerechtfertigt sein, dieselben vollständig auszurotten.“ Die zweite ist an General Schofield in San Francisco gerichtet und hat nachstehenden Wortlaut: „Der Präsident hat die strengste Bestrafung der Modocs sanctionirt. Sie können sich versichert halten, daß der äußerste Grad der Strenge von der Regierung gut geheißen werden wird.“

Der erste Act dieses neuen Dramas ist somit geschlossen. Wir stehen am Beginne des zweiten, dessen Inhalt also die Ausrottung der Modocs sein soll. So lautet wenigstens das Programm für den Feldzug. Der gute Wille ist allseitig da; aber der Dieb wird eben nie gehangen, man habe ihn denn zuvor. Das ist auch hier der Haken.

Wie aus der Beschreibung des Lavabettes ersichtlich, sind Operationen auf solchem Terrain gerade kein Kinderspiel. Die Einschließung und Aushungerung der Wilden in ihrer dreißig bis vierzig Meilen im Umfang zählenden, mit Mundvorrath wahrscheinlich wohlversehenen Festung ist ebenso schwierig. Sollte es den Modocs gelingen, aus ihrem jetzt ziemlich gut bewachten Felsenneste zu entkommen und sich mit verschiedenen größeren Stämmen, die nur auf eine günstige Wendung der Dinge warten, zu vereinigen, dann wäre nicht nur ein entsetzliches Blutbad unter den Ansiedlern in Oregon und Californien unvermeidlich, sondern auch ein langwieriger, kostspieliger und blutiger Indianerkrieg in großem Maßstabe, der sich möglicherweise nicht auf die Staaten jenseits der Felsengebirge beschränken würde, vielmehr die sämmtlichen Stämme der Ebenen westlich vom Mississippi zu gemeinsamem Handeln in einem allgemeinen schrecklichen Aufstande vereinigen dürfte.

Zu solchen Befürchtungen geben gewisse höchst merkwürdige Ideen, welche unter den Indianern weit verbreitet sind, und die im Zusammenhange mit der Ermordung General Canby’s durch Capitain Jack stehen dürften, gegründeten Anlaß. Es existirt nämlich unter den Stämmen, namentlich der Staaten am Stillen Ocean, der Glaube, daß die Zeit ihrer Befreiung von den Weißen gekommen sei. Ihre alten Krieger und Priester (Medicine-Men) haben es lange vorhergesagt, und obwohl sie gegen Beamte äußerst schweigsam über solche Dinge sind, ist doch genug bekannt geworden, um Folgendes als die Grundzüge dieses neuen Aberglaubensartikels ihrer Religion hinzustellen:

Ein neuer Gott oder göttlicher Held soll unter ihnen erscheinen, um sie gegen die Weißen anzuführen; alle Krieger, die bisher gefallen sind, werden auferstehen, um sie zu verstärken; dann werden sie sämmtliche Weiße verjagen, das ganze Land ihrer Väter wiedergewinnen und in Zukunft frei und ungehindert dasselbe bewohnen. Ihr Ideal ist der Indianer in seiner ganzen ungebrochenen Wildheit; sie wollen darum auf keine Reservationen gehen, wollen keine Cultur annehmen, sondern wilde Indianer im vollen Sinne des Wortes bleiben und nie etwas Anderes werden. Diese neue Lehre hat überaus viele Anhänger gefunden, so daß die meisten Stämme zwischen den Felsengebirgen und Cascade-Bergen seit den letzten Jahren nach diesem neuen Moses ausschauen, der sie aus dem Lande der Knechtschaft zur Freiheit führen soll. Jeder Häuptling, der durch besondere Thaten sich auszeichnet, hat die Aussicht, von Vielen, vielleicht Allen als der große Befreier begrüßt zu werden – und hier liegt wahrscheinlich der Schlüssel zu der von Capitain Jack verübten Unthat. In den Augen der Indianer ist die Ermordung Canby’s selbstverständlich eine Heldenthat und gerade das rechte Mittel, sie für Jack zu begeistern. Es ist darum gar keine unwahrscheinliche Annahme, daß gerade dies das Motiv gewesen ist, welches den ehrgeizigen Häuptling, dem der Glaube und die Erwartung seiner Landsleute gut genug bekannt ist, zu dieser That angetrieben hat. Sollte es ihm gelingen, seine Felsenfestung längere Zeit zu halten, die Weißen beständig mit großen Verlusten zurückzuschlagen (was in den ersten beiden Gefechten nach Canby’s Ermordung wirklich geschehen ist) und endlich mit den meisten seiner Krieger zu entkommen, dann mag es fast als Gewißheit angesehen werden, daß er als der ersehnte Messias von den meisten Stämmen anerkannt und zum Anführer in dem großen Befreiungskriege erwählt werden wird. Er scheint auch, sowohl was sein Aeußeres wie seine Fähigkeiten betrifft, eine für eine solche Rolle durchaus nicht ungeeignete Persönlichkeit zu sein, eine Persönlichkeit, die für einen Cooper’schen Roman eine ausgezeichnete Heldenfigur abgeben würde.

Capitain Jack ist ein Vollblut-Modoc von ungefähr dreißig Jahren, wenn er auch ein älteres Aussehen hat. Obwohl er die eigenthümliche niedrige, zurücktretende Stirn seiner Race hat, kann er doch nicht gerade häßlich genannt werden. Seine dunkle Kupferfarbe, seine schwarzen durchdringenden Augen, sein langes, schwarzes bis auf die Schultern herabhängendes Haar und sein großer, die äußerste Energie und Entschlossenheit ausdrückender Mund geben seinen Zügen einen echt indianischen Charakter, ohne indeß, wie dies sonst meist der Fall ist, Grausamkeit oder Gemeinheit auszudrücken; im Gegentheil, es spricht aus diesem, übrigens ganz bartlosen, Gesichte eine selbstbewußte Würde, ein man möchte sagen nobler Stolz, der es Einen fast bedauern macht, daß der Träger dieser Züge sich zu einer so überaus niederträchtigen That hat hinreißen lassen. In seinem Benehmen gegen Weiße hat er sich immer sehr kühl, sehr ruhig und äußerst würdevoll gezeigt; man hat ihn noch nie lächeln gesehen. Auch besteht er darauf, von Allen, mit denen er in Berührung kommt, mit dem größten Respect behandelt zu werden; die Etiquette ist am weiland spanischen Hofe wohl nicht strenger beobachtet worden, als dieser Wilde sie bei seinen Audienzen beansprucht. Bis zu seinem Verrathe an Canby hatte er den Ruf eines durchaus ehrenhaften Charakters. Alle Ansiedler, die ihn kannten, bezeugten einstimmig, daß er niemals eine ungerechte ober gemeine Handlung sich habe zu Schulden kommen lassen, noch auch irgend einem Mitgliede seiner Bande je erlaubt habe, etwas der Art zu thun; er übte in seinem Stamme, zu dessen Häuptling er vor drei Jahren erwählt worden war, die strengste Justiz. Umsomehr überraschte der Mord Canby’s, und dieser sein bisheriger untadelhafter Charakter macht es mehr als wahrscheinlich, daß ehrgeizige Pläne wie die vorhin erwähnten ihn zu diesem Verbrechen getrieben haben. Dieser Umstand erregt zu gleicher Zeit ein ungewöhnliches Interesse für Capitain Jack, der vielleicht dazu bestimmt ist, eine bedeutendere Rolle in unseren Indianerkriegen zu spielen, als einst König Philipp und der berühmte Black Hawk. –

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„Ausrottung der Modocs!“ und Opposition der Quaker-Philanthropen. – Frühere Ungerechtigkeiten gegen den rothen Mann. – Bombardement und Einnahme des „Lavabettes“. – Starke Verluste der Weißen in der Schlucht. – Tod Thomas’, Stowe’s und Wright’s. – Weitere Kriegspläne.

Das Losungswort für den bevorstehenden Kampf war von Washington ausgegeben; es hieß: „Ausrottung der Modocs!“, und General Gillem’s Antwort in einer Depesche vom 15. April an General Schofield in San Francisco lautete: „Nicht ein Indianer soll übrig gelassen werden, um sich zu rühmen, er sei einer von General Canby’s Mördern.“ So war denn in diesem Punkte völlige Uebereinstimmung unter den Führern der Expedition gegen die Rothhäute erzielt. Dazu gesellte sich auch noch die volle Zuversicht, diese gute Absicht auszuführen, wie denn General Gillem am selbigen Tage meldete, er habe die Modocs völlig in seiner Gewalt, so daß ihr Entkommen jetzt ganz undenkbar sei. In Bezug auf den Ausrottungsplan erhob sich indeß bald eine gar nicht unbedeutende Opposition, wenigstens in den östlichen Staaten; es waren die alten Quäker-Philanthropen, die schon nach dem großen Sioux-Aufstande in Minnesota der Mehrzahl der gefangenen Mörder die Lossprechung von der Todesstrafe erwirkten. Man ging so weit in diesen vielfach aus reichen wohlhabenden Aristokraten bestehenden Kreisen, den Präsidenten Grant anzugehen, der Stimme des „Pöbels“, welche die Ausrottung der Modocs fordere, nicht nachzugeben. Mit diesem Ausdrucke beliebt es häufig unserem Geldadel, in Vergleich mit welchem der Geburtsadel der alten Welt noch wirklich erträglich zu nennen ist, die Classe der Farmer und Arbeiter zu bezeichnen, welche mit den Hindernissen, die ihnen die Rauhheit der Natur und die Selbstsucht der Menschen in den Weg legt, ehrlich ringen, und welche in diesem Falle den allein ausreichenden Schutz gegen Mord und Plünderung forderten, nämlich die Vertilgung der Mörder. Und doch darf der unparteiische Berichterstatter es sich nicht verhehlen, daß diese Philanthropen, in der Theorie wenigstens, manche Gründe für ihre Forderung geltend machen können.

Der bekannte Henry Ward Beecher betete in seiner Kirche in Brooklyn am Sonntage, nachdem die Nachricht von Canby’s Ermordung eingetroffen war, folgendermaßen: „Daß es dem Vater aller Menschen gefallen möge, Erbarmen zu haben mit den wilden Söhnen des Waldes, deren lange zurückgehaltene Rache für so viel erlittenes Unrecht sich in einer so blutigen und schändlichen Unthat Luft gemacht habe.“

Dies gab Anlaß zu vielen harten Urtheilen über den freilich als excentrisch bekannten Mann. Aber im Grunde genommen sagte er damit nichts als die Wahrheit. Der bittere Haß des rothen Mannes ist die Frucht des bösen Samens der Ungerechtigkeit, der seit so vielen Jahren von Agenten und privilegirten Händlern mit Vorwissen der obersten Indianerbehörde ausgestreut worden ist. Die Indianer zu betrügen, zu bestehlen, zu verrathen, ja sogar zu tödten, – das waren von jeher und sind häufig noch jetzt Verbrechen, für welche es keine Strafen giebt, und der Wilde, der nur zu oft recht- und schutzlos dasteht, baut sich daraus sehr natürlich und logisch den Grundsatz auf, der überhaupt seinem Charakter am besten zusagt: „Aug’ um Auge. Zahn um Zahn!“ oder anders ausgedrückt. „Wie Du mir, so ich Dir!“

Vor etwa zehn Jahren lud ein Officier im Namen der Regierung einen Apache-Häuptling in sein Zelt zu einer Unterredung ein. Der Indianer erschien, auf Treu’ und Glauben des weißen Mannes bauend. Kaum hatte er sich gesetzt, als der Officier sich mit den Worten zu ihm wandte: „Du bist mein Gefangener.“ Der Wilde sprang auf, zerschnitt das Zelttuch mit seinem Messer und entkam, aber seine Rache war unauslöschlich, und mancher Unschuldige hat seitdem seine blutige Hand gefühlt.

Wurde in diesem Falle nach Ausrottung aller weißen Officiere oder Beamten geschrieen, weil ihr Camerad, der civilisirte [405] Christ, dem rohen Heiden sein Ehrenwort gebrochen hatte? Natürlich nicht! ja nicht einmal dem Verräther wurde ein Haar gekrümmt! Und wenn nun Capitain Jack denselben Verrath an General Canby übt und ihn, nur etwas klüger und energischer, gleich niederschießt, haben der ungezähmte unwissende Wilde und seine Genossen eine härtere Strafe verdient? Gegen dieses Argument ist eigentlich gar nicht viel einzuwenden, wenigstens nicht in der Theorie. Praktisch angewendet, gestaltet sich die Sache indeß doch etwas anders.

Die schonungslose Verwaltung der Indianerangelegenheiten ist die Hauptursache dieser ganzen Indianernoth; die Noth trifft aber jetzt ausschließlich die an der Ursache völlig unschuldigen Ansiedler der neuen Territorien, und diese müssen von der Regierung in ihrem Recht beschützt werden; dazu ist dieselbe unbedingt verpflichtet, und die erste Frage ist die, wie dies am wirksamsten geschehen kann. Lautet die Antwort da: nur durch Ausrottung der Verbrecher, nun, dann mag das Gewissen der Regierung im Rückblick auf ihre eigenen Sünden gegen diese Verbrecher in ein häßliches Dilemma gerathen, aber ihre Pflicht, die Bürger zu schützen, bleibt deshalb unverändert, und ihre Aufgabe, dieselben gegen die Angriffe der Söhne der Wildniß, die sie selbst zu erbarmungslosen Raubthieren ausgebildet hat, zu sichern, klar und unbestreitbar. Der Schrei der Bedrohten nach Ausrottung ihres unversöhnlichen Feindes behält daher seine volle Berechtigung.

Die Ausführung der beschlossenen Strafe ist freilich eine andere Sache. Hier handelt sich’s nicht nur um’s Wollen, sondern vor Allem um’s Können. General Gillem’s obige Depeschen sind sehr schwungvoll; die jüngsten Ereignisse haben aber auf’s Neue den Beweis geliefert, daß ein schlauer und tapferer Gegner mit Phrasen noch lange nicht beseitigt werden kann, und Capitain Jack hat gezeigt, daß er in seinem kleinen Finger mehr Feldherrntalent besitzt, als die sämmtlichen West-Pointer Herren, die sich bis dahin nichts als blutige Köpfe in seinen Felsen geholt haben. Schade nur um die Soldaten, die von inkompetenten Führern in’s unvermeidliche Verderben hineingejagt worden sind. Die Schilderung der Kämpfe vom 14. bis zum 20. April wird das Gesagte rechtfertigen.

Am Abend des Tages, an welchem General Canby und Dr. Thomas gefallen waren (Meacham war nur schwer verwundet und erholte sich bald wieder), erfolgte ein Angriff eines Trupps berittener Modocs auf Oberst Mason’s Vorposten, wurde aber abgeschlagen. Die Wilden wurden in ihr etwa anderthalb Meilen entferntes Lager zurückgetrieben. Dieses Lager befand sich, wie man mit ziemlicher Gewißheit wußte, in einer großen Höhle im Lavabett, von deren Beschaffenheit mancherlei fabelhafte Dinge erzählt wurden; zu sehen war von diesem Lager, so wie vom Feinde überhaupt, natürlich nichts in Folge der im ersten Artikel betriebenen Beschaffenheit dieses merkwürdigen Felslabyrinthes. Dort befanden sich ohne Zweifel auch die Weiber und Kinder, so wie die etwaigen Vorräthe an Lebensmitteln und Munition; diese Höhle mußte natürlich der Hauptpunkt sein, gegen den sich der nächste Angriff zu richten hatte. Aber wie das zu machen? Das war die große Frage, welche den Herren, welche geschworen hatten, keinen von Canby’s Mördern entkommen zu lassen, jetzt Kopfzerbrechen zu verursachen anfing. Die Festung, welche sie hier vor sich hatten, war keine, die nach den in West-Point gelernten Regeln der Kriegskunst belagert oder erstürmt werden konnte; und von der Topographie dieses capriciösen Kunstwerk-Vulcans hatte keiner von ihnen eine rechte Idee. Ein Glück war’s, daß eine dunkle Ahnung der Gefahr die rachedurstigen Herren abhielt, gleich Hals über Kopf in diese verrufenen Höhlen hineinzurennen, sonst wäre vielleicht Niemand wieder herausgekommen, um die Nachricht der Vernichtung der Uebrigen zu überbringen. Wie unglaublich es klingen mag, es ist wohl nicht zu viel gesagt, was ein Officier, welcher die bisherigen Gefechte mitgemacht, behauptete: daß fünftausend Mann Infanterie allein nicht im Stande sein würden, die Indianer mit dem Verlust ihrer halben Mannschaft aus diesem Felsengewirr zu vertreiben. Es wurde daher beschlossen, sich dem Lavabett so viel wie möglich zu nähern und den ersten Angriff auf die berüchtigte Höhle Jack’s, deren Lage man ziemlich genau kannte, durch Artillerie zu machen. Eine Mörserbatterie unter Capitain Thomas wurde demgemäß in Position gebracht, und am 15. April das Bombardement eröffnet und mehrere Tage fortgesetzt. Die Wirkungen desselben konnten freilich nicht beobachtet werden, indeß schien es doch, daß die explodirenden Geschosse, welche in die zerklüfteten Felsmassen hineinfielen, zuletzt so lästig wurden, daß die Belagerten sich entschlossen, diese Position aufzugeben und sich tiefer in das Lavabett hineinzuziehen. Man schloß dies theils aus großen Feuern, die am Abend des 17. in der Gegend der Höhle bemerkt wurden, und glaubte jetzt es wagen zu dürfen, vorzudringen und im schlimmsten Fall mit stürmender Hand die Höhle zu nehmen. Sie wurde auch wirklich bald erreicht, und die Vermuthung des Abzugs des Feindes bestätigte sich. Nur fünf Nachzügler waren noch zurückgeblieben und eröffneten von ihrem Versteck aus ein Feuer auf die eindringenden Truppen, wurden indeß bald unschädlich gemacht.

Die durch das Gerücht fabelhaft ausgeschmückte Höhle erwies sich als nichts anderes denn als ein langer Spalt, der sich anderthalb Meilen weit von Nord nach Süd erstreckt, in dessen Nähe sich eine ganze Anzahl tiefer cisternenartiger Löcher befindet, ganz vortrefflich geeignet, einer kleinen Schaar zu einer unüberwindlichen Festung gegen die überlegenste Macht zu dienen. Die Bomben hatten eine furchtbare Zerstörung in dem zerrissenen ausgehöhlten Gestein angerichtet: Felsstücke lagen zertrümmert wild durcheinander; der Boden des Schlundes war mit Bombensplittern förmlich bedeckt; mehrere Kugeln waren offenbar in die Mitte des Lagers gefallen und dort explodirt. Die ganze Umgebung der Höhle und diese selbst boten einen entsetzlichen Anblick dar, während die Luft von einem abscheulichen Geruch verpestet wurde. Elf Leichen wurden aus den Felsspalten und Löchern hervorgezogen; sechs Andere waren von den mit den Truppen verbündeten Warm-Spring-Indianern abgethan worden; im Ganzen wurden neunzehn Getödtete aufgefunden. Wie viele sonst noch umgekommen, ließ sich nicht angeben, da die Gefallenen leicht in tiefe Felsspalten gestürzt und mit Steinen bedeckt werden konnten und da sie wahrscheinlich in dem am 17. April bemerkten großen Feuer auch Leichen verbrannt hatten; wenigstens wurden an der Brandstelle Schädel und Zähne gefunden. Auch Schonchin, der zweite Häuptling, war unter den Gefallenen; eine Bombe hatte ihm den unteren Theil seines Körpers vollständig zerrissen.

Von den Weißen wurden an diesen drei Tagen sechs getödtet, zwanzig verwundet und ungefähr ebenso viele durch Verstauchen der Füße beim Herabspringen von den Felsen kampfunfähig gemacht. Wie scharf die Felsen waren, geht aus der Thatsache hervor, daß die meisten Soldaten, die in neuen Schuhen ausgerückt waren, barfuß, mit zerrissenen, blutenden Füßen zurückkamen. Ein Theil der in der Nähe der Höhle gelegenen Klüfte wurde untersucht, wobei gelegentliche Schüsse, die aus denselben fielen, bewiesen, daß unsichtbare Feinde sich noch in der Nähe versteckt hielten. Jack und die meisten seiner Krieger mit den Weibern und Kindern waren glücklich entkommen und befanden sich in einer neuen, vielleicht ebenso starken oder stärkeren Position, wo? konnte natürlich nur vermuthet werden. Ebenso war man über die eigentliche Zahl der Feinde sehr im Unklaren. Die Annahme war, daß sich etwas über zweihundert Menschen im Lavabett befänden, von denen etwa sechzig waffenfähige Männer waren.

An ein weiteres Aufsuchen des Feindes war natürlich nicht zu denken. Die Truppen rückten in’s Lavabett vor, und Mason nahm im verlassenen Lager Jack’s sein Hauptquartier. Es war vor der Hand nichts weiter zu thun, als den neuen Aufenthalt der Modocs durch möglichst vorsichtiges Recognosciren auszukundschaften und scharf zu wachen, um sie am Entschlüpfen aus ihrer Festung zu hindern. Man hoffte auf einen Angriff der gesammten Feindesmacht, vergaß aber dabei ganz, daß man es mit einem Gegner zu thun hatte, der die Vortheile seines ihm genau bekannten Terrains viel zu gut kannte, um sich zu ähnlichen Thorheiten hinreißen zu lassen, wie sie einige Tage später von seinen kriegsgelehrten Gegnern begangen wurden. Sie blieben also ruhig in ihren Verstecken und ließen die Weißen hoffen und warten. Der schwächste Punkt der Belagerten schien Mangel an Wasser zu sein; dasselbe mußte aus einem dicht am Lavabett gelegenen See geholt werden, und den Weg dahin ihnen abzuschneiden, war eine Hauptaufgabe der Belagerer. Es wurden [406] deshalb mehrere Puncte, welche das Seeufer beherrschten, befestigt und besetzt.

Im Laufe der nächsten Tage wurde mit ziemlicher Gewißheit festgestellt, daß die Indianer sich etwa vier Meilen von ihrer ersten Position festgesetzt hatten und dort in einem ebenso starken, gut gewählten Höhlenlabyrinth ihre Angreifer erwarten wollten. Am 19. und 20. April zeigten sich wieder einige Trupps. Der eine derselben kam an den See, um Wasser zu holen, und stieß dabei auf einen für die Truppen bestimmten Train, als derselbe eben in’s Lavabett einrücken wollte. Ein kurzes Gefecht entspann sich, die Modocs wurden bald zurückgetrieben und flohen in ihre Felsen. Der Train erreichte glücklich das Lager Mason’s. Am Nachmittag des 21. kehrte eine starke Reiterpatrouille zurück, nachdem sie etwa hundert Meilen zurückgelegt und das ganze Lavabett umgangen hatte, ohne dabei einen Indianer gesehen zu haben. Alles war scheinbar ganz ruhig, aber eben in dieser Ruhe lag das Unheimliche der ganzen Situation.

Auf der Westseite des Lavabetts commandirte Oberst Green. Am Morgen des 26. April befahl dieser eine abermalige Recognoscirung, deren Hauptaufgabe die Auffindung des neuen Verstecks der Indianer sein sollte. Neunundsechzig Mann unter Capitain Thomas und den Lieutenants Stowe und Wright wurden dazu ersehen, mit welchen eine Anzahl freundlich gesinnter Warm-Spring-Indianer operiren sollte. Thomas schickte eine Plänklerkette voran und folgte mit den Uebrigen ohne Hinderniß bis an den Fuß einer Felshöhle, die sich am südlichen Ende des Lavabetts erhebt. Man war jetzt an der Grenze des unheimlichen Terrains, das mit seinen unzähligen Verstecken und Fallgruben für den Soldaten ein weit gefürchteterer Gegenstand sein mußte, als eine Tod und Verderben speiende, aber doch sichtbare ehrliche Batterie.

Das Detachement betritt das Lavabett; langsam bewegt es sich über die scharfen Felszacken, durch überall im Wege liegende Steinmassen, zwischen plötzlich aufgähnenden Rissen und Schlünden hin. Kein feindlicher Laut unterbricht die Stille des Morgens. Alles scheint in der versteinerten Einöde ausgestorben. Von Indianern ist keine Spur zu sehen. Heiß brennt die Sonne auf’s kahle Gestein nieder. Der erhitzte Basalt und die scharfen Steine sind ein böses Pflaster, um lange darauf zu marschiren.

Es ist halb zwölf Uhr Mittags. Thomas befiehlt Halt zu machen, um den Soldaten ein wenig Ruhe zu gönnen. Da plötzlich kracht’s in der rechten Flanke der Truppen. Die Felsen ostwärts werden von einem freilich wenig sichtbaren und noch weniger erreichbaren Feinde belebt. Die schlauen Wilden haben ihren verhaßten Gegner genau, wo sie ihn haben wollen. Thomas läßt seine Leute augenblicklich ausschwärmen. Lieutenant Wright’s Compagnie steht auf den rechten Flügel. Jetzt blitzt es auch auf der linken Flanke und in der Front auf; rothe Gestalten huschen auf allen Seiten hin und her; die Truppen sind vollständig umzingelt, und zwar so, daß sie selbst völlig schutzlos dastehen, während der unsichtbare Feind ringsum in seinen unnahbaren Positionen sie ohne alle Gefahr für sich selbst niederschießen kann. Thomas erkennt die Falle, in die er gegangen, und die Unmöglichkeit, ihr zu entrinnen. „Leute,“ ruft er, „wir sind umzingelt; wir müssen fechten und sterben wie Männer und Soldaten,“ und empfängt bald darauf einen tödtlichen Schuß. Er wirft seine goldene Uhr und Kette in einen nahen Felsspalt, feuert seinen Revolver noch einmal ab und sinkt dann leblos nieder; das gleiche Schicksal trifft bald darauf Lieutenant Stowe. Ein Soldat nach dem andern fällt todt oder verwundet von den Kugeln der vortrefflich gehandhabten Spencer-Büchsen, mit denen die Indianer bewaffnet sind, bis endlich ein panischer Schrecken die verzweifelnden Leute ergreift.

„Rette sich, wer kann!“ ist jetzt nur noch das Feldgeschrei, und über Felsen und Risse stäubt die ganze Mannschaft auseinander. Lieutenant Wright und etwa zwanzig Mann wenden sich nach einer seitwärts gelegenen Schlucht, die einigen Schutz darzubieten scheint; kaum aber sind sie hinunter gelangt, als vor ihnen ein unübersteiglicher Felsspalt aufgähnt, während rings auf den umliegenden Felshöhen die wilden Feinde erscheinen und den Unglücklichen jede Aussicht auf Rettung abschneiden. Es war eine zweite mit kluger Berechnung gelegte Falle; Jack hatte seine Leute bereit gehalten, um die Weißen, falls sie hineingehen würden, zu vernichten. Und es war ihm vollkommen gelangen. In wilder Hast floh Alles durcheinander, während die ihr triumphirendes Kriegsgeheul ausstoßenden Wilden nichts zu thun hatten, als die ziel- und planlos umherirrenden Weißen wie auf der Treibjagd zusammengehetztes Wild niederzuschießen. Wenige, die in diese Schlucht hineingerathen, haben die Ihrigen wiedergesehen; von den Andern, die sich früher und glücklicher durch die Flucht gerettet hatten, entkam ein Theil aus den Felsen und brachte vielfach übertriebene Nachrichten in’s Lager. Namentlich hatten ihre Angst die Zahl der Feinde bedeutend vermehrt; sie hatten Hunderte um sich gesehen, während in der That kaum mehr als zwanzig bis dreißig Modocs im Gefecht gewesen waren. Verstärkungen wurden sofort von Oberst Green’s sowohl, als auch von Oberst Mason’s Lager abgesandt, so daß gegen Abend vier Compagnien Infanterie und vier Compagnien Cavallerie in der Nähe des Kampfplatzes standen. Diese wurden nicht weiter belästigt und konnten nun die traurige Pflicht erfüllen, nach den Leichen der Gefallenen und den noch lebenden Verwundeten zu suchen. Warm-Spring-Indianer dienten ihnen als Führer, und bald waren die leblosen Körper von Thomas, Stowe, Wright und zwölf anderen, meist ihrer Kleider völlig beraubt und verstümmelt, aufgefunden. Leider war die Zahl der noch lebenden Verwundeten gering; wer nicht mit seinen Wunden hatte fliehen können, war nach dem Gefecht von den Modocs abgefertigt worden. Im Ganzen waren aus einem Commando von neunundsechszig Mann neunundvierzig todt oder verwundet.

Es scheint schwer begreiflich, wie eine so vollständige Ueberrumpelung einer dreifach überlegenen Macht durch so wenig Feinde am hellen Mittage möglich sein konnte. Freilich, wer das Terrain gesehen, kann es sich leichter erklären; aber eben weil das Terrain von so außerordentlicher Beschaffenheit war, war auch außergewöhnliche Vorsicht nothwendig, wenn man solche vorherzusehende Schlingen vermeiden wollte. Und da liegt es doch wohl nahe, den sonst braven und in der Erfüllung ihrer Pflicht heldenmüthig gefallenen Officieren den Vorwurf entweder der Unvorsichtigkeit oder der Unwissenheit zu machen; denn es waren ja keine frisch ausgehobenen Rekruten unter eben so neuen Officieren, die hier einem schlauen Feinde geopfert wurden, wie vor elf Jahren bei Birch-Coolie in Minnesota, sondern es waren die alten Soldaten des stehenden Heeres, die unter ihren in Westpoint in der Kriegswissenschaft vorgeblich gründlich geschulten Führern einer Handvoll Wilder zur leichten Beute fielen. Doch sollten sie jetzt nicht, wie namentlich manche deutsch-amerikanische Zeitungen es thun, allzu hart beurtheilt oder gar geschmäht werden. Waren sie unwissend oder unvorsichtig, so haben sie es theuer gebüßt, und ihr Leben, das sie nicht durch die Flucht zu retten suchten, darf wohl als volle Sühne für ihre etwaige Schuld angesehen werden.

Seit diesem unglücklichen Ueberfall ist es still geworden über dem unheilvollen Lavabett. Höheren Orts ist man zu der Ueberzeugung gekommen, daß fernere Versuche, in die uneinnehmbare Burg der Modocs auf die bisher versuchte Weise einzudringen, Wahnsinn sein würde. Man hat davon bestimmt abgesehen, ohne deshalb im Geringsten weniger eifrig die Vernichtung der Frevler zu betreiben. Wenn die Modocs in den Felsen bleiben oder gehalten werden können, dann scheint man völlige Isolirung und schließliches Aushungern jetzt als das einzige Mittel erkannt zu haben, zum Ziele zu kommen. General Sherman hat mit gewohnter Energie die Sache selbst in die Hand genommen; von Süden und Osten werden Regimenter nach dem Schauplatz des Kampfes geschickt, um das Lavabett mit Erfolg einschließen zu können, und Detachements sind an verschiedenen Punkten stationirt worden, um die Modocs bei einer Flucht abzufangen. Außerdem werden die Indianerstämme Oregons und Californiens allenthalben scharf bewacht und die zerstreuten Forts verstärkt.

Mit Ausnahme der einzigen Warm-Spring-Indianer, die mit siebzig Kriegern so weit wenigstens den Truppen treu zur Seite gestanden haben und nicht unerhebliche Dienste leisten, zeigen sämmtliche Stämme eine düstere feindselige Haltung oder äußern ganz unverhohlen ihre kriegerischen Gefühle in drohenden Reden und wilden Kriegstänzen. General Sherman hegt zwar, seinen Aeußerungen nach, keine ernsten Befürchtungen für einen allgemeinen Indianerkrieg; allein seine Rüstungen zeigen deutlich, daß er sich für einen solchen Fall vorsieht. Zu diesen Vorbereitungen [407] gehört auch die befohlene Bildung eines indianischen Corps von vierhundert Mann, die aus freundlich gesinnten Stämmen angeworben werden sollen, um als Kundschafter gebraucht zu werden.

Das Gefühl der Ansiedler in vielen Theilen der beiden Staaten ist ein gedrücktes, theilweise sehr ängstliches, und wenn es gleich in der Natur der Sache liegt, daß sie als die fast wehrlosen Opfer indianischer Rache oft schwärzer sehen, als vielleicht gerade nothwendig ist, so sind sie doch andererseits, als die nächsten und vieljährigen Nachbarn der Indianer, am besten befähigt, die Anzeichen des kommenden Sturmes zu beurtheilen. Seit dem 26. April bis heute, den 8. Mai, ist Alles still, kein Schuß gefallen, und wir warten mit einiger Spannung, wie sich das Drama, dessen zweiter Act jetzt als geschlossen betrachtet werden kann, weiter entwickeln wird.

Und auch diejenigen Leser der Gartenlaube, welche mit unsern hiesigen Heißspornen Capitain Jack und sein halbes Hundert Bravos in aller Geschwindigkeit abfertigen zu können gemeint hatten, werden sich gedulden müssen, bis es den rothen Rittern vom Scalp belieben wird, sich abfertigen zu lassen. Hoffen wir, daß General Schofield, der die specielle Leitung sämmtlicher militärischen Operationen in Oregon und Californien hat, und General Davis, der zum Nachfolger Canby’s ernannte Commandant des Departements des Columbia, die Unruhestifter recht bald bewältigen werden, damit keiner der Schuldigen der ihm gebührenden Strafe entgehe![2]

[489]
Der Modoc-Krieg.[3]
III.
Jefferson Davis im Lager bei den Lavabetten. – Entscheidende Mitwirkung der Warm-Spring-Indianer. – Flucht und Verfolgung der Modocs. – Der Rest der Rothhäute ergiebt sich. – Auch Jack streckt die Waffen. – Verurtheilung der Schuldigen. – Gegenbefehl von Washington. – Machinationen der „Friedenscommission“. – Grausamer Act der Volksjustiz.

Die am Schlusse des vorigen Artikels (Nr. 24 dieses Jahrgangs) ausgesprochenen Befürchtungen, daß sich der sogenannte Modoc-„Krieg“ in die Länge ziehen oder durch Anschluß anderer Stämme an die rebellischen Bravos in einen größeren Indianerkrieg ausarten könnte, haben sich zum Glück nicht erfüllt. Der Kampf ist durch die schließlich erfolgte Uebergabe Capitain Jack’s an die Truppen der Vereinigten Staaten und die Vernichtung oder Gefangennahme fast aller seiner Krieger für jetzt wenigstens beendet; die letzten Ereignisse, welche zu diesem Resultate führten, sollen in diesem Artikel den Lesern der Gartenlaube im Zusammenhange mitgetheilt werden.

Am 2. Mai war General Jefferson Davis, der an Canby’s Stelle zum speciellen Leiter der militärischen Operationen in Oregon ernannt worden war, im Lager bei den Lavabetten angekommen. Er fand die ganze Angelegenheit in einem keineswegs sehr erfreulichen Zustande. Die Truppen waren demoralisirt und muthlos; mochten nun die schon geschilderten eclatanten Niederlagen in den Lavabetten eine Folge des ungünstigen Terrains oder der Unbekanntschaft der Regulären mit solcher Indianerkriegsweise oder der Unfähigkeit der Officiere gewesen sein, sie hatten nun einmal die Soldaten muthlos und die Officiere rathlos gemacht. Vertrauen und Disciplin waren locker geworden. General Davis’ Ankunft schien neues Leben und neue Hoffnung in’s Lager zu bringen. Als tüchtiger und energischer Führer aus der Rebellion her bekannt, hatte er sogleich das Zutrauen der Leute auf seiner Seite. Die Folge zeigte bald, daß der rechte Mann an den rechten Platz gestellt war. Zunächst gab er den Truppen eine kurze Rast, um sich nach den unglücklichen und aufreibenden Gefechten in der Felsenwüste zu erholen und sich wieder gehörig zu sammeln; er benutzte diese Zeit, um die Soldaten mit der Kriegsweise der Indianer besser bekannt zu machen, und begann dann sehr vorsichtig Recognoscirungspartien auszusenden, theils um den gegenwärtigen Aufenthaltsort der Modocs aufzuspüren, theils um die noch nicht aufgefundenen Leichen der in den Lavabetten Gefallenen aufzusuchen und zu begraben. Man fand die Körper von acht Soldaten, die meisten auf die abscheulichste Art verstümmelt; Buschwerk war dann über sie geworfen und angezündet worden, so daß die halbverbrannten, von der Hitze schon sehr zerfetzten Leichen nicht mehr fortgeschafft werden konnten, sondern, so gut es eben ging, auf der Stelle, wo sie lagen, begraben werden mußten. Man traf bei diesen Nachforschungen auf keine Indianer und kam endlich zu der Ueberzeugung, daß dieselben die Lavabetten verlassen hatten. Wahrscheinlich hatte Wassermangel sie aus der unwirthlichen Felsenwüste hinausgetrieben und sie gezwungen, sich eine neue feste Stellung in den nahen unwegsamen Waldbergen zu suchen. General Davis’ Plan war jetzt schnell gefaßt und sogleich in’s Werk gesetzt. Er bestand einfach darin, die jetzt eher erreichbaren Indianer so lange ohne Ruhe und Rast von Ort zu Ort zu hetzen, bis sie entweder alle gefallen wären oder der Rest sich gefangen gäbe. Er theilte zu dem Zwecke sein aus ungefähr sechshundert Mann bestehendes Commando in mehrere Abtheilungen, die in verschiedenen Richtungen den Feind aufsuchen sollten. Wie schon früher erwähnt, befanden sich gegen hundert Warm-Spring-Indianer bei ihm, die als alte geschworene Feinde der Modocs ihre Hülfe angeboten hatten. Sie standen unter dem directen Befehle ihres Häuptlings Donald Mac Kay und hatten sich bisher schon sehr nützlich bewiesen. Davis erkannte ihre Wichtigkeit sogleich und rechnete in der That auf diese wilden Krieger mehr als auf seine Regulären. Und er verrechnete sich dabei nicht. Diese Warm-Springs haben den Kampf eigentlich zu einem so schnellen Ende gebracht; ohne sie würde die Jagd wohl heute noch fortgehen.

Ein Theil dieser Indianer war Capitain Hasbrook zugetheilt worden, der mit Cavallerie und leichter Artillerie die Gegend zwischen den Lavabetten und den nordwestlichen Waldbergen durchstreifte. Am Morgen des 10. Mai ertönte plötzlich das Kriegsgeschrei der Wilden vor seinem Lager; Capitain Jack, in General Canby’s Uniform gekleidet, sprengte mit etwa dreiunddreißig Modockriegern bis auf hundert Schritte heran und begann Salve auf Salve auf die Ueberraschten zu geben. Einige Soldaten fielen; Hasbrook sammelte seine Leute schnell und erwiderte das Feuer. Da sprengte Donald Mac Kay mit seinen Indianern, die etwas entfernt vom Lager gestanden hatten, herbei, und mit dem wilden Kriegsrufe der Warm-Springs ging’s den Modocs an den Leib. Jetzt begann die Hetze. Tapfer, wie die Modocs waren, der Schlachtruf ihrer alten Erbfeinde erschreckte sie; sie wandten sich zur Flucht, beständig verfolgt von den zur vollen Kampfwuth entflammten Stammverwandten, bis sie nach allen Richtungen in den unwegsamen Wäldern zersprengt waren. Ein Modoc blieb auf dem Kampfplatze liegen; sechs andere Gefallene, die schon auf Maulesel gepackt waren, wurden sammt diesen weggenommen; außerdem fielen den Verfolgenden über dreißig Pferde und Maulesel, sowie ein Theil geraubter Lebensmittel in die Hände. Jack mit seinen zersprengten Bravos [490] floh in die Mac-Lode-Berge, etwa fünfundzwanzig Meilen nordwestlich von seiner alten Felsenburg. Dies war der erste wirkliche Sieg seit Beginn dieses Miniaturkrieges, und würdig wurde er Abends im Lager gefeiert, besonders von den rothen Bundesgenossen, welche in den wildesten Tänzen und tollsten Triumphgesängen ihrer freudigen Stimmung Luft machten.

General Davis ordnete jetzt eine Verlegung des Hauptquartiers nach Fairchild’s Rancho, einer etwa zwanzig Meilen von den Lavabetten gelegenen Farm, an und befahl sämmtlichen Abtheilungen unablässige Verfolgung der flüchtigen Rothhäute. Daß sie in den dichtbewaldeten, felsigen Bergen nicht leicht aufzufinden und unschädlich zu machen seien, war vorauszusehen, zumal man sich von Jack und seinen Hauptkriegern noch eines letzten Verzweiflungskampfes zu versehen hatte; außerdem war das Operiren in der sehr wasserarmen und von giftigen Reptilien wimmelnden Wildniß bei der schnell zunehmenden Hitze gerade keine leichte Aufgabe. Hier leisteten die Warm-Springs wieder außerordentlich gute Dienste; mit ihrem unfehlbaren Indianerinstincte und ihrer angeborenen Schlauheit richteten sie unter diesen Verhältnissen mehr aus, als die zehnfache Zahl Regulärer ausgerichtet haben würde. Zunächst fanden sie die Fährte ihrer Feinde bald wieder auf und begannen die wilde Jagd auf’s Neue. Ueber eine Woche lang ging’s über Berg und Thal, durch Steinwüsten und Walddickichte, bei Tag und bei Nacht hinter dem schlauen Wild her, für die Weißen eine äußerst beschwerliche, oft furchtbar ermüdende Strapaze, für ihre rothen Alliirten, wie es schien, ein bloßes Kinderspiel. Wenn auf dem Kriegspfade, kennt der Indianer kaum mehr die gewöhnlichen Bedürfnisse des Lebens. Hunger und Durst achtet er nicht; Ermüdung kennt er nicht; nur Ein Gedanke beseelt ihn und treibt ihn unaufhaltsam vorwärts: Rache am Feinde zu nehmen, sein Blut zu sehen, seinen Scalp zu erbeuten. Endlich war die größere Anzahl des gehetzten Wildes gestellt. Noch ein letztes Mal versuchten die Modocs, Stand zu halten, aber vergebens. Von allen Seiten umringt, gaben sie den Kampf bald auf und retteten sich, so gut es gehen wollte, in die Waldschluchten der Berge.

Von verschiedenen Seiten wurden jetzt täglich Gefangene eingebracht, namentlich Weiber und Kinder, die sich meist in einem erbarmungswürdigen Zustande befanden. Von diesen erfuhr man, daß die Mehrzahl der Modocs des Kampfes herzlich überdrüssig sei und sich zu ergeben wünschte, mit Ausnahme Jack’s und einiger Krieger, die bis jetzt wenigstens lieber mit dem Messer in der Hand sterben wollten. Einige der gefangenen Weiber erboten sich, eine Partie Modocs, aus fünfzehn Kriegern und fünfzig Weibern und Kindern bestehend, deren Lager sie kannten, aufzusuchen und ihnen die Bedingungen General Davis’ mitzutheilen. Sie sprachen naiverweise noch von Friedensverhandlungen und verlangten, Davis solle eine Unterredung mit den rothen Wegelagerern halten. Dieser aber erklärte ihnen kurz und bündig, sie könnten hinausgehen, wenn sie wollten, und ihren Freunden mittheilen: daß, wenn sie nicht bis Freitag Mittag im Hauptquartier sein und ihre Waffen niederlegen würden, er jeden Modoc, der im Besitz eines Gewehres gefunden, auf der Stelle erschießen lassen würde.

Sie gingen und kehrten schon gegen Abend mit der erfreulichen Nachricht zurück, die Indianer seien ganz in der Nähe und bäten nur um eine Escorte, um sicher in’s Lager kommen zu können. Diese wurde ihnen auch bewilligt und den sehr kriegsfreudig erregten Warm-Springs das feierliche Versprechen abgenommen, sich bei dieser Gelegenheit nicht an den Scalps ihrer rothen Brüder zu versündigen. So schwer ihnen auch die Moral der weißen Kriegsführung einleuchten mochte, Mac Kay gab sein Wort, daß seine Leute sich ruhig verhalten würden.

Um sechs Uhr Nachmittags erscholl der Ruf im Lager: „Da kommen sie!“ Alles machte sich auf die Beine und eilte nach dem Höhenzug vor dem Lager, von dem aus der Zug der Anrückenden vortrefflich überblickt werden konnte. Langsam schlich die Procession heran; vorauf ritten die als Escorte entgegengeschickten Weißen, dann kamen in einiger Entfernung von diesen, als ob sie kaum nachkommen könnten, zwölf Männer und eine große Anzahl Weiber und Kinder, Alles in Allem dreiundsechszig Personen. Da waren „Bogus-Charley“, einer der vornehmsten Bravos, ferner „Dampfboot-Frank“, „der krausköpfige Doctor“ und andere Berühmtheiten zweiten Ranges, die meisten mit Stücken von Soldaten-Uniformen bekleidet, alle aber mit vortrefflichen Springfield-Büchsen bewaffnet. Die Weiber waren ebenfalls mit Fetzen civilisirter Kleidungsstücke behängt und sahen noch miserabler aus als die Männer; die Kinder gingen natürlich zumeist in Naturcostüm. Den traurigsten Anblick gewährten aber die unglücklichen Ponies der Bande; sie waren von der fortwährenden Hetzjagd bei wenig und schlechtem Futter dermaßen heruntergekommen, daß sie unter den auf ihnen hockenden Weibern und Kindern ihre abgezehrten Glieder kaum mehr fortzuschleppen vermochten. Wie ein Leichenzug bewegte sich die Gesellschaft in’s Lager hinein. Alles verharrte in stummem Schweigen, bis General Davis sich näherte. Da trat Bogus-Charley, ein athletisch gebauter, intelligent aussehender Krieger, der Englisch versteht und spricht, vor und schüttelte dem General die Hand; alle übrigen Krieger folgten seinem Beispiel.

Nachdem sie alle Waffen abgelegt, erklärte der General [491] ihnen, sie würden jetzt ein Lager angewiesen bekommen; sollten sie aber den geringsten Versuch zur Flucht machen, so werde er sie ohne Weiteres niederschießen lassen. Die ganze jammervolle, halbverhungerte Schaar, die übrigens sehr wenig nach Fluchtversuchen aussah, begab sich auf den ihnen angewiesenen Lagerplatz und befand sich bei den ihnen zutheilten Rationen wahrscheinlich bedeutend besser, als dies während der letzten zwei Monate jemals der Fall gewesen war. Es fehlten jetzt, nach den Aussagen der Gefangenen selbst, noch etwa zwanzig Krieger, vor Allem der Räuberhauptmann Jack selbst, und ehe dieser sich in festem Gewahrsam befand, war die Affaire nicht als beendet anzusehen. Jack hatte nach dem Zusammentreffen mit Hasbrook das Vertrauen seiner Krieger ziemlich verloren; er hatte ihnen verheißen, sie würden die Kugeln wie die Enten das Wasser abschütteln; als aber mehrere Modocs das Experiment nicht so leicht fanden und die Kugeln so fest eindrangen, daß ihnen die Lust zum Schütteln verging, wurden die Uebrigen entrüstet und ein Theil weigerte sich, weiter zu kämpfen. Dies brachte Jack zu dem Entschluß, mit zwanzig treuen Kriegern und etwa fünfzig Weibern und Kindern nach den Schneebergen, südlich von den Lavabetten abzuziehen, während die Uebrigen, wie oben erzählt, sich ergaben.

Jack’s Aufenthalt mußte also jetzt entdeckt werden, und es dauerte auch nicht lange, bis die Warm-Spring-Spürhunde die richtige Fährte gefunden hatten. Oberst Perry’s Commando hatte die Ehre, diesen letzten und wichtigsten Fang zu machen. Nach kurzem Verfolgen der aufgefundenen Spur hatten die Warm-Spring das Modoc-Lager entdeckt. Perry ließ das Nest sogleich umzingeln; seine Leute waren fertig zum Gefecht. Da sprang plötzlich ein Modoc hinter einem Felsen hervor, ein weißes Tuch in der Hand schwingend, und rief einem der ihm entgegengeschickten Indianer zu, Jack wolle sich ergeben.

Drei Mann wurden abgeschickt, um ihm zu begegnen. Sie gingen auf die Felsen zu, hinter denen die Indianer sich befinden sollten, und wirklich, da saß der gefürchtete Häuptling am Rande eines steilen Felsabhanges, in eine zerrissene wollene Decke gehüllt, den Kopf in die Hände gestützt, starr und unbeweglich, als sei er allein in der tiefen Waldeinsamkeit. Neben ihm saß seine Schwester, mit Thränen in den Augen ihm zusprechend, seine Sieger zu empfangen. Er richtete sich langsam auf, blickte einen Augenblick um sich, und kam dann, als ob er schnell das Unvermeidliche abmachen wollte, mit festem Schritt auf die Weißen zu, ihnen zum Zeichen der Ergebung seine Hand entgegenstreckend. Alles dies geschah mit natürlicher Würde, und obwohl in Lumpen gehüllt und von den monatelangen Strapazen hart mitgenommen, stand Jack nichtsdestoweniger stolz und ungebeugt vor seinen Siegern, mit seiner athletischen Gestalt und seinen intelligenten Zügen, wie Augenzeugen sagen, jeder Zoll ein Häuptling. Mit ihm ergaben sich mehrere Krieger und ein Dutzend Weiber und Kinder. Dies fand am 31. Mai statt. Um dieselbe Zeit brachten Oberst Green von der einen, Oberst Mason von der andern Seite noch mehrere Trupps gefangener Modocs ein, sodaß im Anfang des Junis die ganze unruhige Gesellschaft bis auf einige Individuen, in General Davis’ Hauptquartier sich in sicherem Gewahrsam befand und der große Modockrieg vorläufig als beendigt angesehen werden konnte.

Das lang’ ersehnte Ziel war also endlich mit bedeutenden Opfern an Zeit, Geld und Menschenleben erreicht; man stand aber jetzt vor einer neuen Schwierigkeit: was mit der ganzen saubern Gesellschaft machen? Nach dem fürchterlichen Rachegeschrei der ersten Aufregung scheint es, daß diese Frage einfach genug zu beantworten wäre. „Ausrottung des ganzen Modocstammes“ hatte damals die Losung geheißen, jetzt brauchten ja nur die Stricke bereitet und die Galgen errichtet zu werden, um die ganze Bande in wenigen Minuten auszurotten. Den Wehrlosen gegenüber verstummte selbstverständlich dieses wilde uncivilisirte Rachegeschrei. Daß die überwiesenen Mörder hängen sollten, war freilich eine ausgemachte Sache, aber ein Theil der Gefangenen hatte nur am offenen Kampfe Theil genommen, und mit dem Blute der Weiber und Kinder wollte doch Niemand seine Hände beflecken. General Davis setzte daher sogleich eine Commission nieder, um die Schuld der einzelnen Bravos zu untersuchen. Im Verlauf einer Woche hatte diese ihre Arbeiten vollendet. Etwa ein Dutzend waren des Mordes der Friedenscommissäre oder sonstiger Bürger überwiesen, und Alles bereit gemacht, sie auf der Stelle hinzurichten. Davis hatte dazu volles Recht, da ihm ja von Anfang an völlig freie Hand gelassen war, die Modocs „auszurotten“.

Jack und seine Genossen sahen dem Tode ruhig entgegen, nachdem der Häuptling, freilich nicht sehr im Einklang mit seiner bisher ziemlich gut gespielten Heldenrolle, zu leugnen versucht hatte, daß er Canby getödtet habe, und die Schuld auf seine Untergebenen schieben wollte.

Am Abend des 6. Juni sollte die Hinrichtung im Hauptquartier stattfinden. Galgen und Stricke waren bereit – da traf Befehl von Washington ein, die Gefangenen vor ein von General Schofield in San Francisco zu ernennendes Militärgericht zu stellen, und nach dem Urtheil desselben zu verfahren. Die Nachricht erregte großen Unwillen unter den Truppen sowohl, als beim Volke von Oregon; man sah darin wieder, wie bei so vielen früheren Gelegenheiten, die Machinationen der östlichen Philanthropen und speciell der „Friedenscommission“, einer etwas nebelhaften, zum Theil aus Geistlichen bestehenden Gesellschaft, die, obwohl durchaus keinen officiellen, sondern einen rein privaten Charakter tragend, dennoch einen unbegreiflichen Einfluß auf die Indianerpolitik des Präsidenten ausübt und in diesem Zweig der Verwaltung das Denken für ihn zu besorgen scheint. Unter dem Aushängeschild der Gerechtigkeit und Menschenliebe verfolgt diese fromme Compagnie meist sehr selbstsüchtige Zwecke, was namentlich bei Aemtervertheilungen im Indianerdepartement an ihre meist ganz unfähigen Creaturen zu Tage kommt. Der Rath dieser sehr anrüchigen Macht im Staate war auch hier durchgedrungen und fiel der strafenden Gerechtigkeit in den Arm, als diese gerade im Begriff stand ihre Pflicht zu thun: Es blieb leider nicht nur bei der Aufregung; diese Maßregel des Präsidenten hatte traurige Excesse zur Folge.

Am Sonnabend Morgen, den 7. Juni, verließ James Fairchild mit siebzehn Modocs, darunter sechs Krieger, Fairchild’s Rancho, um dieselben nach Boyle’s Camp zu bringen; die Indianer waren auf einen großen Wagen geladen. An der Lost River-Fuhrt stießen sie auf eine Anzahl Oregoner Staatsmiliz unter Capitain Hiser, welche den Wagen sogleich umringten und Fairchild über seine Gefangenen ausfragten. Er erklärte ihnen, [492] es seien Modocs, gegen welche keine Anklage auf Mord vorliege; man solle ihn ruhig gehen lassen. Die Milizen zogen sich zurück, und Fairchild setzte seinen Weg fort. Nach einiger Zeit bemerke er Reiter vor sich, die ihm den Weg abschneiden zu wollen schienen. Als er an sie herankam, setzte ihm einer derselben die Büchse auf die Brust und befahl ihm, vom Wagen herunterzusteigen.

„Auf wessen Befehl?“ fragte Fairchild.

„Auf meinen,“ war die Antwort; „ich will die Indianer tödten und Dich auch.“ In demselben Augenblick wurden die Stränge der Pferde von Andern durchgehauen. Fairchild sprang mit den Zügeln in der Hand vom Wagen und versuchte durch gütliche Worte die beabsichtigte That zu verhindern; mit Gewalt war von ihm und seinen wenigen nur mit Revolvern versehenen Begleitern gegen die wohlbewaffnete Menge nichts auszurichten. Die Indianer-Weiber und Kinder erhoben ein jämmerliches Geschrei und flehten die Mörder um Gnade an. Die sechs Krieger blieben stumm und erwarteten ihr Schicksal mit unzerstörbarer Gemüthsruhe. Jetzt fiel ein Schuß, und Little John, ein alter Indianer, wälzte sich in seinem Blute. Die Maulthiere rasten, scheu geworden, davon, Fairchild eine Strecke mit sich fortschleppend. Fünf weitere Schüsse fielen in rascher Folge, und Bogus-Charley, Tehee, Jack, Piny und Mooch lagen todt am Boden; auch mehrere Weiber wurden verwundet. Als das blutige Werk vollbracht war, sahen die Mörder eine Staubwolke auf der Straße aufsteigen; es war ein Trupp Soldaten, die aber, als sie die Stätte erreichten, nichts mehr vorfanden als die Opfer dieses grausamen Actes der wilden Volksjustiz. Das Fuhrwerk und die Weiber und Kinder wurden nach dem Hauptquartier zurückgebracht. Wie groß die Erbitterung gegen die Modocs auch ist, diese blutige Selbsthülfe hat doch allgemeine Mißbilligung, ja Entrüstung bei allen billig denkenden Bürgern hevorgerufen, zumal die Opfer erwiesenermaßen zu den am wenigsten Schuldigen gehörten.

Daß die Unzufriedenheit der Bürger des Westens, die durch die Räubereien und Mordthaten der Wilden beständig zu leiden haben, durch die immerwährende Einmischung östlicher Friedensheuler, welche von ihrem sicheren Heerde aus Maßregeln für diese sie gar nichts angehenden Angelegenheiten dictiren wollen, sich endlich zur Wuth steigert, ist am Ende nicht so sehr zu verwundern, wenngleich solche Volksjustiz unter Richter Lynch’s schrecklichem Vorsitz nicht gut geheißen werden kann. Aber sicher ist’s, daß jene Friedensheuler mehr für solche Excesse verantwortlich gemacht werden müssen, als die unmittelbaren Thäter, welche nach ihrer Meinung nur gerechte Vergeltung übten. Hätte Präsident Grant dem General Davis freie Hand gelassen und hätten die Schuldigen schon jetzt ihre Strafe empfangen, dem Volksgefühl wäre dadurch Genüge gethan worden, und die übrigen Gefangenen könnten dann, wie der Plan ist, ruhig in entfernte Reservationen vertheilt werden, so daß die Modocs als Stamm zu existiren aufgehört hätten. Was jetzt noch mit ihnen geschehen wird, wissen die Götter. Unter andern Vorschlägen befindet sich auch der: den Capitain Jack und die schlimmsten der Bande dem bekannten Barnum gegen eine große Summe Geldes für seine Menagerie zu überlassen; es würde dies für Herrn Grant und seine ehrwürdigen Freunde ein erkleckliches Sümmchen abwerfen, ein Gedanke, der bei der bekannten Vorliebe unseres Königs im Frack und seines Hofes für irdische Güter gewiß Anklang finden würde.

Was auch mit ihnen geschehen mag, Eines steht fest: nur eine exemplarische Bestrafung aller Schuldigen wird den rechten Eindruck auf die benachbarten Indianerstämme machen und ihnen einen heilsamen Schrecken vor ähnlichen Versuchen einjagen. Hierdurch wird ein größerer Indianerkrieg am wirksamsten verhindert werden, eine Gefahr, die jetzt durch die glückliche Beendigung des „Modockrieges“ in kürzerer Zeit und in größerer Vollständigkeit, als man anfänglich erwartet hatte, überhaupt in weitere Ferne gerückt ist.


  1. Original-Mittheilung unseres Correspondenten in Green-Bay (Wisconsin). D. Red.
  2. Wie aus Washington telegraphirt wird, hat sich der Rest der Modoc-Indianer inzwischen am 30. v. M. ergeben. Jack und drei seiner Anhänger sollen erschossen werden. Ob uns unser Correspendent in Green-Bay noch mit einem dritten Artikel über diese Kämpfe erfreuen wird, können wir zur Stunde noch nicht sagen.
    D. Red.
  3. Wir erlauben uns, unsere Leser auf diesen Schlußartikel über den Modoc-Krieg noch ganz besonders aufmerksam zu machen. In so ausführlicher Weise und auf Grund so authentischer Quellen dürfte die deutsche Presse Schilderungen dieses vielbesprochenen Indianer-Aufstandes noch nicht geboten haben.
    Die Redaction.

Anmerkungen (Wikisource)

  • Modoc: Indianerstamm in Oregon und Kalifornien
  • Captain Jack Kintpuash (1837–1873)