Der Mensch in Kälte und Hitze

Textdaten
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Autor: Johann Peter Hebel
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Titel: Der Mensch in Kälte und Hitze
Untertitel:
aus: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes
S. 60-64
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum: 1803-1811
Erscheinungsdatum: 1811
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: Tübingen
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Djvu auf Commons
Kurzbeschreibung:
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Der Mensch in Kälte und Hitze.

Der Mensch kann nichts nützlicheres und besseres kennen lernen, als sich selbst und seine Natur; und manchem, der bei uns an einem heisen Sommertage fast verschmachten will, oder im kalten Jenner sich nicht getraut, vom warmen Ofen wegzugehen, wird kaum glauben können, was ich sagen werde, und doch ist es wahr.

Bekanntlich ist die Wärme des Sommers und die Kälte des Winters nicht in allen Gegenden der Erde gleich, auch kommen sie nicht an allen Orten zu gleicher Zeit, und sind nicht von gleicher Dauer. Es giebt Gegenden, wo der Winter den größten Theil des ganzen Jahrs Herr und Meister ist, und entsetzlich streng regiert, wo das Wasser in den Seen 10 Schuh tief gefriert, und die Erde selbst im Sommer nicht ganz, sondern nur einige Schuh tief aufthaut, [61] weil dort die Sonne etliche Monate lang gar nicht mehr scheint, und ihre Strahlen auch im Sommer nur schief über den Boden hingleiten. Und wiederum gibt es andere Gegenden, wo man gar nichts von Schnee und Eis und Winter weiß, wo aber auch das Gefühl der höchsten Sommerhitze fast unerträglich seyn muß, zumal wo es tief im Land an Gebirgen und großen Flüßen fehlt, weil dort die Sonne den Einwohnern gerade über den Köpfen steht, und ihre glühenden Strahlen senkrecht auf die Erde hinabwirft. Es muß daher an beiderlei Orten auch noch manches anders seyn, als bey uns, und doch leben und wohnen Menschen, wie wir sind, da und dort. Keine einzige Art von Thieren hat sich von selber so weit über die Erde ausgebreitet, als der Mensch. Die kalten und die heißen Gegenden haben ihre eigenen Thiere, die ihren Wohnort freiwillig nie verlassen. Nur sehr wenige, die der Mensch mitgenommen hat, sind im Stande, die gröste Hitze in der einen Weltgegend und die grimmigste Kälte in der andern auszuhalten. Auch diese leiden sehr dabei, und die andern verschmachten oder erfrieren, oder sie verhungern, weil sie ihre Nahrung nicht finden. Auch die Pflanzen und die stärksten Bäume kommen nicht auf der ganzen Erde fort, sondern sie bleiben in der Gegend, für welche sie geschaffen sind, und selbst die Tanne und die Eiche verwandeln sich in den kältesten Ländern in ein niedriges unscheinbares Gesträuch und Gestruppe auf dem ebenen Boden, wie wirs auf unsern hohen kahlen und kalten Bergen auch bisweilen wahrnehmen. Aber der Mensch hat sich überall ausgebreitet, wo nur ein lebendiges Wesen fortkommen [62] kann, ist überall daheim, liebt in den heisesten und kältesten Gegenden sein Vaterland und die Heimath, in der er geboren ist, und wenn ihr einen Wilden, wie man sie nennt, in eine mildere und schönere Gegend bringt, so mag er dort nicht leben und nicht glücklich seyn. So ist der Mensch. Seine Natur richtet sich allmählig und immer mehr nach der Gegend, in welcher er lebt, und er weiß wieder durch seine Vernunft seinen Aufenthalt einzurichten, und so bequem und angenehm zu machen, als es möglich ist. Das muß der Schöpfer gemeynt haben, als er über das menschliche Geschlecht seinen Segen aussprach: „Seyd fruchtbar und mehret euch, und erfüllet (oder bevölkert) die Erde, und machet sie euch unterthan.“

Ich will jetzt einige Beispiele anführen, was für hohe Kälte und Hitze die Menschen aushalten können.

Zu Jeniseisk in Siberien trat einst im Jenner 1735 eine solche Kälte ein, daß die Sperlinge und andere Vögel todt aus der Luft herabfielen, und alles, was in der Luft gefrieren konnte, wurde zu Eis, und doch leben Menschen dort.

Zu Kraßnaiarsk ebenfalls in Siberien, wurde im Jahr 1772 den 7 December die Kälte so heftig, daß eine Schaale voll Quecksilber, welches man in die freye Luft setzte, in ein festes Metall zusammengefror. Man konnte es wie Bley biegen und hämmern, und doch hielten es Menschen aus.

Eine ähnliche Kälte erlitten einst die Engländer in Nord-Amerika an der Hudsonsbay. Da fror ihnen selbst in den geheizten Stuben der Brantewein in Eis zusammen. Sie konnten ihn nicht flüßig erhalten. [63] In den langen dunkeln Wintertagen erleuchtete man die Stuben mit glühenden Kanonenkugeln, und die starke Ofenhitze daneben konnte doch nicht hindern, daß nicht die Wände und Bettstätten mit Eiß und Duft überzogen wurden.

Was für eine Hitze hingegen wieder die nemliche Menschen-Natur aushalten kann, das sehen wir schon an unsern Feuerarbeitern, zum Beispiel in Glashütten, Eisenschmelzen, Hammerschmidten, wo die Leute sich durch schwere Arbeit noch mehr erhitzen müssen. In Breitlingen, das ist eine Erzgrube am Tammelsberg in Sachsen, mußte das feste Gestein unter der Erde durch Feuer mürbe gemacht werden. Da sind nun viele schweflichte Theile und Dünste, die in Entzündung gerathen, und eine so erstaunliche und unerträgliche Hitze verursachen, daß die Bergleute selbst noch den Tag nach der Löschung des Feuers nakt arbeiten und alle Stunde innehalten und sich wieder abkühlen müssen.

Manche Personen, die in Krankheiten viel aufs Schwitzen halten, kriechen in einen heißdünstigen Backofen, wenn das Brod herausgenommen ist, lassen nur so viel Oeffnung zu, als zum Atemholen nöthig ist, und schwitzen so nach Herzenslust. Das mag nun freylich nicht viel nützen, und ein vernünftiger Arzt wird es nicht gros loben.

Wer das aber weiß, der wird nun folgende wahre Erfahrungen nicht mehr so unglaublich finden. Vier bekannte und berühmte Männer, ließen einst ein kleines Zimmer so stark erhitzen, als nur möglich war. Da kam die Hitze der Luft fast der Hitze des kochenden Wassers gleich. Und doch hielten dieselben sie 10 [64] Minuten lang aus, wiewohl nicht ohne Beschwerden. Einer von ihnen trieb den Versuch noch weiter. In einer Hitze, wo frische Eier in 10 Minuten in der Luft hart gebacken wurden, hielt er 8 Minuten aus.

Das war nun freylich eine gemachte künstliche Hitze. Aber auch in der Natur geht es manchen Orten nicht viel besser. So weht bisweilen in heißen Gegenden auf einmal ein so trockener und heißer Wind von den Sandwüsten her, daß die Blätter an den Bäumen, wo er durchzieht, augenblicklich versengt werden und abdorren. Menschen, die alsdann im Freyen sind, müßen sich freylich ohne Verzug mit dem Gesicht auf die Erde niederlegen, damit sie nicht ersticken, und haben gleichwohl noch viel dabei auszustehen. Selbst in geschlossenen Zimmern kann man sich vor Mattigkeit fast nicht mehr bewegen. Aber gleichwohl übersteht man es, wenn man vorsichtig ist und Erfahrungen benutzt.

Wenn man so etwas liest oder hört, so lernt man doch zufrieden seyn daheim, wenn sonst schon nicht alles ist, wie man gerne mögte.