Textdaten
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Autor: H. S.
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Titel: Der Maler der Kinderwelt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 60–63
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[60]
Der Maler der Kinderwelt.


„O Kinderzeit, du frohe Zeit
Voll Frühlingsfreud’ und Frühlingsleid, –
Dein Vogelleben fing ich ein
Und sperrt’ in’s Bilderbuch es ein.“

In Italien brannte der Krieg. Piemontesen und Franzosen hatten im Sommer 1859 die Oesterreicher in mehreren großen Schlachten auf’s Haupt geschlagen, kein Mensch konnte voraussehen, welche Dimensionen der Kampf noch annehmen mochte, darum schien es auch Preußen geboten zu sein, sich für alle Eventualitäten bereit zu halten. Es machte einen Theil seines Heeres mobil und zog die dazu gehörige Landwehr zusammen. Unter den Wehrmännern, die mit Sack und Pack ausrücken mußten, zwar zunächst nicht in’s Feld, doch von Haus und Hof hinaus nach ihren Sammelplätzen in der Provinz, befand sich auch ein junger Berliner Familienvater, welcher sich nicht gar lange erst sein eigenes Nest gebaut hatte. Wehmüthig schied er von seinem trauten Heim, das ihm all sein Glück umschloß – er konnte ja nicht ahnen, daß der Tag von Villafranca sobald schon dem Strauße ein Ziel setzen und damit auch den preußischen Rüstungen Einhalt thun würde. Ehe er sich aber losriß von Weib und Kind, seinem erstgeborenen, der „Knospe, die der Frühling trieb“, ehe er den Tornister umschnallte und sich zu seiner Batterie verfügte, vollendete er ein Werk, das er lange im Herzen getragen, an dem er Monate hindurch in stiller freudiger Arbeit geschaffen hatte. Es stand im [61] engsten Zusammenhange zu dem, was ihm sein Vaterherz erfüllte und bewegte, denn es schilderte in Bild und Reim eine Reihe von Scenen aus der „Kinderstube“, und das mit so rührender Innigkeit, so wahr, so innig und so reizend, wie es nur ein Mann vermochte, welcher in Haus und Familie lebt und webt, der darin seine Welt, den Mittelpunkt seines Fühlens und Denkens, seines Waltens und Sorgens findet. Zwar meinte der bescheidene junge Künstler in dem Widmungsgedichte des Büchleins, er sei nur

„ – – – ein Landwehrkanonier,
Der besser mit Kanonen schießt,
Als Reim und Poesie ihm fließt.“

doch, die militärischen Qualificationen unseres Artilleristen in Ehren, das Publicum war der Ansicht, an gleichtüchtigen Landwehrbombardieren möchte die große preußische Armee vielleicht keinen Mangel leiden, gleich treffliche Maler und Poeten der Kinderwelt aber dürften dem deutschen Vaterlande nicht alle Tage erstehen.

Bald war das Buch mit seinen sechszehn Bildern aus der „Kinderstube“ in Hunderten von deutschen Häusern und in Tausenden von deutschen Kinderherzen heimisch und sein Urheber mit einem Male ein berühmter Mann geworden. Was hatte die Welt bis jetzt von Oscar Pletsch gewußt? Seit Jahren schon hatte derselbe zwar emsig Pinsel und Palette gehandhabt, hatte manches schöne Bild

„– – – gemalt
Für große Leute alt und klug“,

er war trotzdem nichts geblieben, als einer von den vielen Berliner Künstlern, – jetzt aber zog sein Name durch’s Land von Haus zu Haus, und überall, wo der Segen froher Kindervölkchen bescheert war, da glänzten die Augen und jubelten die Lippen, wenn ein neues Bilderbuch von Oscar Pletsch unter dem Weihnachtsbaume lag.

Oscar Pletsch.
Originalzeichnung von Adolf Neumann.

Sehr häufig entscheidet ein glücklicher Wurf über die ganze fernere Laufbahn des Künstlers. So auch bei Oscar Pletsch. Das Büchlein, welches er vor seinem Ausmarsch in’s Lager den Seinen gewissermaßen als Vermächtniß hinterließ, und als „treuer“ preußischer Soldat, den er sich nennt, dem kunstsinnigen kronprinzlichen Paare und dessen erstem Sprößlinge gewidmet hatte – es wirkte bestimmend ein auf seine fernere Künstlerthätigkeit. Nicht Pinsel und Palette mehr sollten fortan seine Conceptionen und Ideen verkörpern, sondern Stift und Buchsbaumplatte; das Gebiet war gefunden, für das ihn die Natur geschaffen und wo seine Lorbeeren grünten, die „goldene Kinderwelt“, die ihm schon immer am besten gefallen. Es war ihm gelungen, wie er selbst so treffend sagt, ihr „Vogelleben einzufangen“ und mit einer Meisterschaft auf dem Papiere zu fesseln, daß dem Beschauer seiner Bildchen der wunderbare Goldduft jener Tage, da „er selber ein Kind war“, wo ihm alle Farben prächtiger glühten und alle Blumen köstlicher dufteten, wo ihm jeder Traum zu einem Himmelsgruße wurde, in der Seele wieder heraufschimmert.

Dem ersten glücklichen Wurfe, dem allerdings die besonderen Umstände und die Aegide, unter welcher er geschah, zu Gute gekommen waren, folgten rasch neue, und bis jetzt war jeder weitere stets zugleich ein Fortschritt gegen den nächstvorhergehenden, was nach einem so glänzenden Debut bekanntlich nicht allemal der Fall zu sein pflegt. Heute, elf Jahre nach dem ersten, sind Oscar Pletsch’s Bilderbücher schon zu einer kleinen Bibliothek angewachsen, deren letzter Band hoffentlich noch recht lange auf sich warten läßt, zu einem „Werke“, das in der Kunstgeschichte seinen charakteristischen und Ehrenplatz behaupten wird. Oscar Pletsch ist im Reiche der Kleinen Meister so gut wie ein Cornelius und Kaulbach in ihrer monumentalen Sphäre. Er ist ein Dolmetsch der Kinderwelt und ihrer kleinen Freuden und Leiden, er hat sich so tief in das Kindergemüth eingelebt, ihm seine Neigungen und Abneigungen, seine Listen und Lüste, seine unschuldigen Geheimnisse und Schelmereien abgelauscht, wie wenige Dichter und Maler vor und neben ihm.

An den Ufern der Spree, im äußersten Nordwesten der mehr und mehr zur Weltstadt erwachsenden Residenz, da, wo, ihrem Lärm und Qualm noch entrückt, augenblicklich ihre letzten Häuser stehen, in einer erst halb vollendeten Straße, der Haidestraße, über deren Lage ich kaum Schutzmann und Droschkenkutscher genügend orientirt fand, hat sich Oscar Pletsch sein Heim gegründet. Er haust dort wie auf dem Lande, hat Licht und Luft und Ruhe, und, das betonte er ausdrücklich, seine kleinen Lieblinge, seine beiden Mädchen, die Modelle zu so manchen seiner reizenden Kindergestalten, können in der unmittelbaren Nähe des freien Feldes, welches das im Bau begriffene Quartier begrenzt, freudiger gedeihen, als drinnen im dunstigen Herzen der Stadt.

Im ersten Stock eines eleganten Hauses zog ich die Klingel. [62] Ein hochgewachsener Mann von etwa vierzig Jahren, dem an den sechs Fuß der preußischen Garde wenig fehlen mochte, mit brünettem Gesicht und braunem Haar und Bart, öffnete mir die Corridorthür. Es war der Künstler selbst. Ohne Zweifel hatte ich ihn in seiner Morgenarbeit gestört, denn er trug sein Rüstzeug, den Bleistift, noch in der Hand; mit der freundlichsten Miene und der gewinnendsten Herzlichkeit jedoch, die auch nicht den leisesten Anflug hatten von jener verdrießlich-vornehmen Reserve, mit welcher Männer von Namen wohl den Besucher empfangen, hieß er mich willkommen und führte mich in sein Allerheiligstes, seine Werkstatt. Wer sich unter dieser aber ein gewöhnliches Künstleratelier mit halb verbautem Fenster, mit Staffeleien und Gliedergruppen, mit seltenen Waffen und Costümestücken, mit antiken Gefäßen und mittelalterlichen Möbeln, mit Cartons und Gypsgliedern und dem ganzen genial-coquetten Chaos dächte, womit der Maler gern den Schauplatz seiner Thätigkeit auszustaffiren pflegt, der würde sich sehr täuschen. Oscar Pletsch’s Atelier ist nichts mehr und nichts minder als das geschmackvoll ausgestattete Arbeitszimmer eines gebildeten und behaglich situirten Mannes; nur die vielen Zeichenmappen in verschiedenen Repositorien, die trefflichen alten Kupferstiche an den Wänden und mehrere plastische Decorationen deuten allenfalls darauf hin, daß man sich in der Wohnung eines Kunstjüngers und Kunstfreundes befindet. Der eigentliche Werktisch unseres Malers ist ein einfaches Stehpult. An ihm componirt er seine herzigen Bildchen, zeichnet sie zuerst in nettester Ausführung mit Bleistift und leicht aufgesetzten Aquarelltönen auf kleine Blätter von feinem Elfenbeinpapier und überträgt sie dann selbst auf die weißgrundirte Buchsbaumplatte, aus welcher der Holzschneider, dem Künstler Linie für Linie nachgravirend, den Bilderstock für die Buchdruckerpresse herstellt. Eine im Entstehen begriffene Holzzeichnung lag auf dem Pulte; offenbar hatte mein Schellen den Maler von ihr abgerufen.

„Einen Augenblick, bitte,“ begann er, „ich will nur rasch noch eine Strichlage vollenden.“ Darauf setzte er sich zu mir auf das Sopha, und jetzt erst frug er nach meinem Begehr.

„Es drängte mich, den Mann von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen, der die Welt nun schon seit manchem Jahre mit so sinnigen Gaben beschenkt, uns alle Kinderherzen stiehlt und uns Aelteren die Brust mit süßer Wehmuth füllt, indem er uns auf Momente in ein Paradies zurückzaubert, das uns leider längst verloren ist,“ antwortete ich.

Ein leises Lächeln umspielte seine offenen männlichen Züge. „Das Publicum ist sehr nachsichtig gegen mich,“ erwiderte er mit ungekünstelter Bescheidenheit; „ich habe viel Glück gehabt, mehr, als ich es jemals geträumt habe. Aber glauben Sie, meine Bilder allein sind’s nicht gewesen, die mich en vogue gebracht haben – ohne des Königs Rock wäre ich vielleicht heute noch so unbekannt, wie ich es war, als ich mein erstes Büchlein vom Stapel ließ. Man sah in mir nicht den Künstler, nur den Landwehrkanonier, und das zog, das war etwas Neues. Ein Landwehrmann, der nebenbei, so dachte man, so ganz passabel zeichnen konnte, das erregte Verwunderung und mit ihr Interesse. Daß ich ein Maler von Handwerk war und Zeit meines Lebens eigentlich nichts gethan hatte, als gezeichnet und gepinselt, das vergaß man, obschon ich’s den Leuten in der Vorrede zu meiner ‚Kinderstube‘ deutlich genug erzählt hatte.“

„Daß Oscar Pletsch ein Künstler ist und zwar einer vom echtesten Schlage, darüber waltet heute wohl kein Zweifel mehr ob. Der Landwehrmann ist längst vergessen über dem Maler und Dichter,“ versetzte ich.

„Wenigstens darf ich mir das Zeugniß ausstellen, daß ich redlich gestrebt habe ein Künstler zu werden,“ sagte er ernst. „So lange ich denken kann, war mein Sinnen und Trachten auf nichts gerichtet als auf die Kunst. Das Zeichnen muß mir im Blute gesteckt haben; was ich draußen auf der Gasse sah, was ich auf den Spaziergängen im Thiergarten, am Wasser, auf dem Lande erlebte, hurtig versuchte ich’s auf das Papier zu werfen. Wie hat sich mein guter Vater über diese meine Neigung gefreut! Wie leuchtete sein Antlitz, wenn er den kleinen Zeichner so emsig am Werke sah!“

„Ihr Vater war selbst Maler?“ frug ich.

„Maler nicht eigentlich,“ erwiderte mein liebenswürdiger neuer Freund. „Er war Militär und Hülfszeichenlehrer an der Berliner Artillerieschule, aber er wußte Bleistift und Feder so wacker zu führen wie Einer. Leider war der Gehalt, den ihm seine Stellung einbrachte, kein reichlicher, und der brave Mann mußte von früh bis spät sich abquälen, um durch allerhand Nebenerwerb, durch Kupferstechen von Visitenkarten und dergleichen, für den Unterhalt der Familie – ich hatte noch vier Geschwister – in dem kostspieligen und immer kostspieliger werdenden Berlin zu sorgen. Maler wollte ich werden, nichts Anderes, das stand bei mir fest. Zur Verwirklichung meiner Pläne aber zeigte sich wenig Aussicht. So war ich sechszehn Jahre alt geworden, und mein ganzes Leben ging so zu sagen in Zeichnen auf. Ich versäumte und vernachlässigte die Schule, hielt mich allen Spielen und Ergötzlichkeiten meines Alters fern, um nur fortwährend über Papier und Reißbrett sitzen zu können. Wer nur immer zu uns kam, jeder Besuch, jedes Bettelkind, jede Milchfrau mußte mir zum Modelle herhalten. Ach, es war eine Zeit voller Fleißes und trotz ihrer äußeren Armuth und Hoffnungslosigken voller stiller Seligkeit, deren ich heute noch mit Wehmuth und Sehnsucht gedenke.“

„Und wie entschied sich schließlich Ihr Schicksal?“ unterbrach ich den Erzähler, welchem die Jugenderinnerungen das Herz immer mehr und mehr auf die Lippen drängten.

„Schneller und günstiger, als ich’s nur zu träumen gewagt hatte,“ entgegnete er. „Die Berliner Kunstausstellung im Akademiegebände war eröffnet und brachte unter Anderm ein kleines Bild Bendemann’s und zugleich das Portrait des Meisters. Heute würde mir jenes vielleicht süßlich und sentimental erscheinen – Sie wissen ja, die damaligen Düsseldorfer machten viel in Gefühlsseligkeit – damals entzückte mich’s, und die feinen freundlichen Züge des Malers eroberten mein ganzes Herz. Unter seiner Leitung in Dresden studiren zu können – das ward der höchste meiner Wünsche! Aber wie sollte dies möglich werden? Meine guten Eltern konnten mir ja keine Unterstützung mit auf den Weg geben.

Schon begann ich mit bitterem Schmerze von meinem Lieblingsgedanken Abschied zu nehmen, da trat – ich conterfeite eben mein eigenes trübseliges Gesicht im Spiegel – ein edler Mann zu uns in’s Zimmer, dem meine Bestrebungen schon lange Theilnahme erweckt hatten, und erbot sich großmüthig, mir mit einem Stipendium auf drei Jahre unter die Arme zu greifen. Sprachlos vor Freude stand ich da, – und wenn heute Oscar Pletsch wirklich ein Künstler von echtem Schlage ist, wie Sie meinen, jenem Manne haben er und die Welt es zumeist zu danken. Darum darf ich Ihnen wohl auch seinen Namen nennen: es war der Prediger Seidig, ein wahrer Menschenfreund, der mit aufopfernder Selbstverleugnung – denn er war keineswegs reich und lebte nur von den Erträgnissen seines Amtes – außer mir noch gar Manchem auf der Lebensbahn fortgeholfen hat.

Wie selig zog ich in Dresden ein,“ fuhr der immer wärmer werdende Künstler fort, „wie glücklich vollends war ich, als ich nach kurzem Durchlaufen der Akademieclassen in Bendemann’s Atelier als Schüler eintreten durfte! Was brauche ich Ihnen noch mehr zu sagen von jenen unvergeßlichen Tagen eines ernsten, von Begeisterung getragenen Lernens und Strebens unter gleichgestimmten Genossen, von denen manche, wie Johann Wislicenus, Theodor Grosse, Johannes Zumpe, Heinrich Gärtner und Andere, jetzt in der Kunstwelt sich hoher Geltung erfreuen.“

„Verfolgten Sie schon damals die Richtung, die Sie heute zum allgemeinen Liebling macht?“ warf ich ein.

„Nein, ich malte Portraits, auch verschiedene historische Compositionen in Bendemann’s Atelier und raisonnirte viel über Idealismus und Realismus in der Kunst, wie alle meine Cameraden. Da wurde ich unserm trefflichen Ludwig Richter näher bekannt und durch ihn meinem ureigenen Naturell zurückgegeben. Inzwischen ging aber das letzte Jahr meines Stipendiums zu Ende, und es hieß nun mich auf eigene Füße zu stellen. Zum Glück trug ich in einer Concurrenzausschreibung den Sieg davon und ward mit einer umfangreichen Arbeit, den Illustrationen zu einer Bilderbibel, betraut, die mir auf längere Zeit hin ausreichenden Erwerb verhieß. Da aber kam mir der bunte Rock dazwischen, ich mußte meiner Militärpflicht genügen und mich ein volles Jahr aus meinem Schaffen und – was mich augenblicklich vielleicht noch schmerzlicher drückte – von meiner Braut losreißen. Denn jung wie ich war, hatte ich mich doch bereits auf ewig gebunden. Mit schwerem, schwerem Herzen, das können Sie wohl denken, sagte ich also dem schönen Elbflorenz Valet, um auf dem märkischen Sande den Artillerierekruten zu spielen.“

[63] „Und seitdem sind Sie in Berlin geblieben?“ forschte ich.

„Noch nicht,“ gab mir der Künstler zur Antwort. „Als ich mein obligates Jahr abkanonirt hatte, eilte ich auf Flügeln der Liebe und der Kunst nach Dresden zurück und suchte meine früheren Erwerbsbeziehungen wieder anzuknüpfen. Es wollte mir indeß nicht gelingen, so daß ich nach ein paar Jahren voller Noth und Aerger – den bittersten meines ganzen Lebens – mich kurz entschloß, mein Heil in der Vaterstadt an der Spree zu versuchen. Aller Jammer aber hatte mich nicht abhalten können, mich zuvor mit dem Weibe meiner Wahl zu verbinden – wir mußten uns ja doch haben!

Und nun mußte mir zunächst der Zeichenunterricht, den ich in verschiedenen angesehenen Häusern ertheilte, das nöthige Brod verschaffen. Da kam es denn, wie Sie sich vorstellen können, nicht viel an das eigentliche künstlerische Schaffen; allein nach und nach fand sich doch auch andere Arbeit ein. Ich lernte einen und den andern Buchhändler kennen und erhielt von ihnen allerhand Werke zu illustriren, Volksbücher, Bibeln und andere Bücher mehr. Zum Glück sind manche dieser meiner Jugendsünden heute vergessen, vielmehr wohl gar nicht bekannt geworden, aber sie brachten mir doch, was ich zunächst brauchte, Brod für mich und die Meinen, wenn ich auch oft bis tief in die Nacht hinein am Zeichenpulte stehen mußte.

Für die Meinen, sage ich. Denn inzwischen war mir ein Kind geboren worden und damit das helle Glück in’s Haus gezogen, wie knapp und karg dies auch noch bestellt war. Wenn es die Mutter zu mir brachte, wenn es seine Händchen um mich schlang, wenn es lachte – Gott im Himmel, ich dünkte mich reicher als König Crösus! Und mit dem Kindchen kam auch wirklich der materielle Segen in unser kleines Haus – die Vater- und Mutterseligkeit, die wir empfanden, sie gab mir jene kleinen Bildchen ein, denen ich meinen Namen und mein bürgerliches Gedeihen in der Welt schuldig werden sollte. Meine weitere Laufbahn kennen Sie ja wohl; Sie wissen, daß ich mein erstes Bilderbuch dem ebenfalls durch ein erstes Kind beglückten kronprinzlichen Paar darbringen durfte, und daß dieser günstige Umstand den Grund gelegt hat zu meinen weiteren Erfolgen. Glauben Sie aber ja nicht, daß ich diese überschätze. Nein, mein Feld ist ein bescheidenes und engbegrenztes, doch hat es seine Berechtigung so gut wie jedes andere und, die Hauptsache, es ist das einzige, auf welchem meine Individualität sich behaglich entfalten konnte. Ich hatte meine Specialität gefunden, und das ist in unserer Zeit der Arbeitstheilung auf allen Gebieten menschlicher Thätigkeit immer ein Glück zu nennen. Daß ich nach Kräften bemüht bin, meinen kleinen Acker zu bestellen und zu pflegen, ihm durch gründlichere Studien und feinere Naturbeobachtung immer reifere und edlere Früchte abzugewinnen, das, denke ich, zeigen die Bücher hier,“ schloß der Künstler seine Erzählung, indem er mir seine verschiedenen Bilderwerke zusammentrug und mit mir durchblätterte.

Es war ihrer eine ansehnliche Reihe und schwer zu sagen, welchem darunter der Preis gebühre, denn alle sprachen gleich zum Herzen. Ist die Zahl der Auflagen hierbei als das maßgebende Moment zu betrachten, so würden vor allen die drei „Was willst Du werden?“, „Kleines Volk“ und „Gute Freundschaft“ hervorzuheben sein, deren allerliebster Bilder wohl die Mehrzahl der Leser sich mit aufrichtigem Vergnügen erinnert. Jede Auflage von Pletsch’s Bilderbüchern begriff aber immer viertausend Exemplare, die oft sofort nach ihrem Erscheinen verkauft waren. Ursprünglich in verschiedenem Verlage veröffentlicht, sind jetzt die Schöpfungen Oscar Pletsch’s, mit wenigen Ausnahmen, in den der bekannten Firma Alphons Dürr in Leipzig übergegangen, deren Chef, selbst ein enthusiastischer Verehrer der deutschen Kunst, sich um ihre Förderung ein hohes Verdienst erworben hat. Für ihn fand ich unsern Maler soeben auch mit einem neuen Werke beschäftigt, dessen Titel ich noch nicht verrathen, von dem ich blos sagen darf, daß es viele unserer gebräuchlichsten Kinderscherze und -Spielereien auf das Heiterste und Sinnigste illustriren wird. Pletsch zeigte mir die bereits vollendeten kleinen Cartonzeichnungen; es waren in ihrer delicaten und eleganten Behandlung wahre Cabinetstückchen, um deren Besitz ich den künftigen glücklichen Eigenthümer, den Verleger, beneiden möchte. Reizendere Crayon- und Aquarellskizzen als diese kleinen kaum handgroßen Bildchen mit ihren lieblichen frischen Kindergesichtchen und dem zumeist nach Motiven aus den Elbdörfern und in der Nähe von Dresden componirten landschaftlichen und baulichen Beiwerke kann man gar nicht sehen!

„Hat Ihr Vater noch die Triumphe des Sohnes erlebt?“ frug ich, indem ich mich erhob und dem liebenswürdigen Maler die Hand zum Abschied reichte.

„Dem Himmel sei Dank, dem guten, lieben Manne, der an meinen Bestrebungen von Anfang an einen so innigen Antheil genommen hat, ist diese Freude noch vergönnt gewesen,“ antwortete Pletsch mit bewegter Stimme. „Er hat auch mein anderes Glück noch erlebt,“ setzte er strahlenden Auges hinzu. „Sehen Sie das da!“

Im Augenblicke ging die Thür auf, und die beiden Töchter des Künstlers stürzten, aus der Schule kommend, jubelnd und liebkosend dem glücklichen Vater in die Arme.

„Das mußten Sie noch sehen,“ fuhr er fort, „denn Oscar Pletsch’s Atelier ohne Kinder wäre eben nicht Oscar Pletsch’s Atelier gewesen!“

Noch draußen auf der Treppe hörte ich die Lust, die drinnen im Zimmer laut war. Ich hatte einen ausgezeichneten und glücklichen Künstler, mehr, ich hatte einen lieben, kindlichen und glücklichen Menschen kennen gelernt – ein Gemüth lauter und sonnig wie seine Bilder aus der Kinderwelt.
H. S.