Der Landwehr blutigster Tag vor Metz

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Titel: Der Landwehr blutigster Tag vor Metz
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aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 11–14
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Landwehr blutigster Tag vor Metz.


Wenn auch das alte preußische Armeeübel, daß die Linie mit überliefertem Stolz auf die Landwehr blickt, seit dem letzten Krieg wohl bedeutend nachgelassen hat, so kann die Gegenwart doch nur für sich selbst bürgen und menschliche Vergeßlichkeit leicht einmal wieder in die alte Sünde zurückfallen lassen.

Darum ist’s gut, für diese Zukunft ein Bild vom Heldenthum der Landwehr vor die Augen zu stellen, das schon seines künstlerischen Werthes wegen nicht so leicht in die Rumpelkammer geworfen wird. Und zum tüchtigen Bild gesellen wir das tüchtige Wort, das ebenfalls gerechten Anspruch auf dauernden Werth macht, denn es enthält nicht das Nationalselbstlob, für das man es erklären könnte, wenn ein Deutscher es geschrieben hätte, nein, es ist die weltbekannt gewordene Schilderung des blutigsten Tages der preußischen Landwehr von einem Engländer, von dem Berichterstatter der „Daily News“, der ein Augenzeuge des Heldentodes dieser Regimenter von Männern und Vätern war.

Der siebente October 1870 vor Metz

wird ebenso ein Ruhmes- wie ein Schmerzensblatt in der preußischen und fortan deutschen Geschichte bleiben; der englische Bericht aber ist gewiß der beste Balsam für die vielen noch blutenden Herzen und das schönste Denkmal für die Gefallenen. Darum soll er ungekürzt hier seine Stelle finden.

Von Metz nach Maizières – so schreibt der Berichterstatter – zieht sich wie eine lange Mulde mit flachem Boden, die durch die Anschwellung der Mosel sich gebildet hat, das Terrain hier in einer Breite von etwa vier englischen Meilen. Westlich und östlich laufen Höhenzüge, aber zwischen den östlichen Hügeln und der eigentlichen Thalebene fließt die Mosel, die stellenweise, besonders Olgy gegenüber, weit in die Ebene einschneidet. Quer durch das Thal hindurch, wo es sich am meisten verengt, zieht sich eine Reihe von Dörfern, die beiden Tapes und St. Remy, während Maxe und Ladonchamps etwas mehr gegen die östliche und westliche Front zu liegen. Alle diese Punkte waren von den Preußen mehr oder weniger stark besetzt. Bazaine hatte seine Dispositionen mit großer Umsicht getroffen. Unter dem Schutze des Nebels hatte er so prompt operirt, daß, als es kurz nach 1 Uhr hell wurde, seine Anordnungen beinahe vollendet waren. Zunächst führte er einen heftigen Stoß gegen Ladonchamps, aber die Landwehr-Vorposten hielten das Dorf, als ob sie nicht hundert, sondern zehntausend Mann stark wären. Die Franzosen sendeten ihre Infanterie in Schaaren hinein, während gleichzeitig ihre Artillerie zu spielen begann. Nur ein Versuch, Ladonchamps wieder zu nehmen, meinte man beim Stabe, den unsere Artillerie dem Feinde schon eintränken soll. In der That arbeiteten die preußischen Geschütze wacker genug, allein die Annahme war nicht richtig, denn der Angriff auf Ladonchamps war nur eine Diversion. Plötzlich ergoß sich auf die Dörfer Grandes und Petites Tapes, St. Remy und Maxe ein wahrer Strom von Franzosen. Die Neunundfünfziger Landwehr wollte nicht weichen, obwohl sie es kluger Weise hätte thun sollen. Sie stand, bis die Franzosen nach einem mörderischen Geschützfeuer und einem Regen von Chassepot- und Mitrailleusen-Kugeln den zusammengeschossenen

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Die preußische Landwehr am 7. October 1870 vor Metz. Für die Gartenlaube gezeichnet von Otto Fikentscher.

[14] Rest durch rein überwältigende Massen gegen die Chaussee drängten. Das Füsilierbataillon vom achtundfünfzigsten Regiment stand in Grandes Tapes, und es stand auch am achten noch dort, aber die Besatzung bestand aus Todten und Verwundeten. Das Bataillon wollte nicht vom Platze, und man kann sagen, es wurde vernichtet, wie es dastand, die Männer mit dem Rücken gegen die Mauer, die Stirn dem Feinde zugewendet.

Auch die anderen Bataillone desselben Regiments erlitten schreckliche Verluste, und bis dahin war Bazaine’s Vorhaben gelungen. Er hatte die Dörfer zurückerobert und einige Batterien vorgeschoben, um das Feuer der Preußen zu beantworten, sich hier jedoch zu behaupten, war er nicht im Stande. Die preußische Artillerie schleuderte mittlerweile ihre Geschosse von drei Seiten des Parallelogramms und machte es ihm in der Stellung sauer. Ohne Zweifel hätte er auch diesen ersten Angriff nicht gemacht, wenn er nicht etwas mehr, nämlich die Anknüpfung von Verbindungen mit Thionville, beabsichtigt hätte. Von St. Remy und den beiden Tapes aus hielt er das Feuer der Preußen gehörig in Anspruch und ließ aus Grandes Tapes Schaaren von Tirailleurs ausschwärmen, denen es übrigens unter den Händen der Landwehr äußerst übel erging. Außerdem aber häufte er unter der Deckung des Dorfes Maxe Massen von Infanterie, mindestens dreißigtausend Mann, an, um die Preußen, wo ihre Linie am schwächsten war, dicht am Flusse zu durchbrechen. Der Moment war kritisch. Bis auf eine Brigade, die in Reserve stand, war die Landwehr sämmtlich im Feuer. Da erhielten indessen mehrere Regimenter vom zehnten Armeecorps, die unterdessen auf der Pontonbrücke die Mosel überschritten hatten, Befehl zum Vorgehen. Es war ein unvergeßlicher Anblick. Voran kamen in raschem Laufe und aufgelöster Gefechtsordnung die Füsiliere und bedeckten mit ihrer Linie die ganze Ebene; dahinter in dichten Compagnie-Colonnen mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel die Grenadiere, dazu nahm die Artillerie einstweilen von den Dörfern Abstand und concentrirte ihr Feuer auf die an der Mosel entlang vordringenden Colonnen der Franzosen.

Bazaine war auffallend schwach an Feld-Artillerie und nur St. Julien und St. Eloy arbeiteten, aber die Mitrailleuse ließ ihr Rasseln erschallen, erschütterte die Linie der vorrückenden Schützen, die nun in die Feuerlinie kamen, und riß weite Lücken in die nachpressenden Colonnen. Die Artillerie und der Schützenangriff waren übrigens für die Franzosen hinreichend. Ihre dichten Massen schwankten und dann brachen sie auseinander, und mittelst des Feldglases konnte man sehen, wie Alles sauve qui peut in das Dorf Maxe hineinstürzte. Als die Franzosen aber wieder steinerne Mauern zwischen sich und den Preußen hatten, wurden sie wieder hartnäckig und wollten nicht weiter zurück. Vergebens feuerte die preußische Artillerie auf die Dörfer, vergebens rückten die Batterieen in Echelons mit einer Präcision wie auf dem Schießplatze näher und näher. Die hartnäckige Batterie in Grandes Tapes wollte nicht schweigen und die französischen Tirailleure hielten noch die Linie der davor liegenden Chaussee fest. Mittlerweile war es ungefähr 4 Uhr geworden, als ein Stabsofficier der Linie entlang galoppirte und den Befehl zu einem allgemeinen Angriff überbrachte. Es galt, die Dörfer mit stürmender Hand zu nehmen, und vier Brigaden Landwehr, unterstützt von zwei Linienbrigaden vom zehnten Armeecorps, sollten diese Aufgabe ausführen. Einige Minuten später erscholl das Commando und die Mannschaften sprangen auf hinter ihrer Deckung und marschirten vor mit dem gemessenen schnellen Schritt, der so charakteristisch für die Preußen ist. Die Granaten der Batterie in Grandes Tapes schlugen in die Linie, Mitrailleuse und Chassepot begrüßten sie mit einem Hagel von Blei, aber die Landwehr drang schweigsam und ernst unaufhaltsam vor.

Ich bin oft im Feuer gewesen, aber ein wüthenderes Feuer, als das gegen den Mittelpunkt der Linie gerichtete, ist mir nie vorgekommen. General v. Brandenstein, der die dritte Landwehrbrigade führte, fiel in meiner Nähe, und mehrere Officiere seines Stabes wurden verwundet; endlich erreichte man die Erdwerke und Verschanzungen, hinter denen die zerschmetterten Reste der neunundfünfziger und achtundfünfziger Landwehr lagen. „Hurrah, Preußen!“ scholl es den Andringenden entgegen. Vorwärts, immer vorwärts!“ war die Antwort, und die braven hartnäckigen französischen Kanoniere hatten kaum Zeit, um die Ecke zu rennen, als die Landwehr ihnen schon auf dem Nacken war. Die Landwehr giebt nicht so leicht Pardon wie die Linie, und mancher Franzose sank dort zusammen, von einem Bajonnetstoße durchbohrt. Noch in den engen Dorfgassen fochten sie wie die Teufel und bedienten sich der Mitrailleuse mit seltener Klugheit und Wirksamkeit. Dann aber kam der lange, unerbittliche Schritt der Landwehr. Die mächtigen Schenkel und Schultern, die charakteristischen Züge in der Erscheinung des preußischen Soldaten, liehen dem Bajonnet ihre Kraft, und bald waren die Dörfer von Allen, mit Ausnahme der Sieger, der Todten und Verwundeten, gesäubert.

Der Landwehr gebührt die Ehre dieses Tages. Sie war es, die den französischen Angriff aufhielt, bis kein Mann mehr stand, der ein Zündnadelgewehr halten konnte. Sie führte auch den großen, allgemeinen Schlag, der die Franzosen aus den Dörfern fegte. Ich habe die preußische Linie vor dem heutigen Tage im Kampfe gesehen. Ich sah sie auf Hand und Fuß die Höhen von Spicheren erklettern, ich sah sie deployiren vor Colombey und Montoy in der Schlacht vom 14. August, ich sah sie Stand halten vor der Mitrailleuse auf den Abhängen von Gravelotte, und ich sah, wie sie die Franzosen am 1. September in die Festung Sedan hineinwarf. Ich habe glauben gelernt, daß die Männer der preußischen Linie vermögen, was nur irgend einem Heere der Welt möglich ist. Aber gestern habe ich das Kaliber der Landwehr kennen gelernt. Ruhig in den Verschanzungen, wo sie, gelassen am Boden liegend, die in ihrer Nähe niederfallenden Kugeln auflasen, entschlossen und unaufhaltsam in ihrem Vordringen, unwiderstehlich in dem Bajonnetangriffe, mit dem sie die Dörfer säuberte, stellte sie eine Truppe dar, die das Herz eines Mannes mit soldatischem Instincte erfreuen muß. Nichts war bemerkenswerther als die Ruhe, mit welcher die Verwundeten, die nur irgend gehen konnten, sich auf sich selbst verlassend und jede Unterstützung ablehnend hinter die Front gingen. Und es waren keine leichten Wunden, mit denen die Wackeren zurückkehrten. Ich selbst begegnete Einem, der durch die Lunge geschossen war und dem der Athem röchelnd durch die Wunde drang. Es geht dem Zuschauer zu Herzen, wenn er diese Tapferen sterben sieht.

Der Landwehrmann kann nicht leichten Herzens in den Kampf gehen wie der Soldat von der Linie, der Niemand hungernd zurückläßt, wenn er auf dem Schlachtfelde bleibt. Für jeden zweiten Landwehrmann, der da gefallen, giebt es eine Wittwe nun daheim im Vaterlande, und bei dem Gedanken an meine Kinder schwillt mir das Herz, wenn ich mir die Zahl der Waisen in den freundlichen Dörfern und friedlichen Ebenen Deutschlands vorstelle, welche noch nicht wissen, daß ihnen der gestrige Tag den Vater geraubt. Nicht daß es schien, als ob die Landwehrmänner lange bei dem Gedanken an Frau und Kinder verweilten. Der haarige Kerl, der schon einiges Grau im Barte und wer weiß wie viel junge Vögel daheim im Neste hat, ging gerade so kühn auf den Feind wie der muntere junge Freiwillige, dem nur die Liebste nachweint, wenn er fällt. Aber die Deutschen beten gern, und mir schien, daß Mancher im Augenblicke das Haupt beugte, da es vorwärts ging, als wäre er in der Kirche. Und was die Religion anbetrifft, wer war das, glaubt ihr wohl, der dort mit in den Kampf hineinstürzte, in weißem Haar, mit fliegenden Rockschößen? Das war der Divisionsgeistliche, ihr guten geistlichen Herren von England – eine mächtige Feldflasche in der einen und ein Gebetbuch in der anderen Hand. Der gute Mann, der da im Kugelregen dahineilte, war ganz außer Athem, und über und über mit Schmutz bespritzt, denn, wie er mir keuchend erzählte, sein Pferd war ihm schon unter dem Leibe erschossen worden. Als ich ihn wiedersah, da saß er hinter einer Mauer in Grandes Tapes unter einer Gruppe hingestreckter Krieger und erhob unter dem Brüllen der Geschütze seine Stimme im Gebete zu Gott.