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Titel: Der Krieg I.
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aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 337, 340
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[327]

Tunesische Hülfstruppen vor einem Waffenladen in Tunis.
Originalzeichnung von Albert Richter in Haking.

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Der Krieg.

Der russische Adler und der türkische Halbmond stehen sich abermals im Kampfe gegenüber. In dem Augenblicke, wo wir dieses niederschreiben, sind wohl alle Tageszeitungen bereits mit Kriegsberichten angefüllt, denn die Rüstung der gesammten europäischen und amerikanischen Presse ging bedeutend rascher vor sich, als die der kriegführenden Mächte. Hunderte von Berichterstattern und Feldmalern stehen bereit, den Ereignissen auf jeder Spur zu folgen und Helden- und Missetaten in Illustrationen zu verewigen. Der Rüstung und dem Aufmarsch stellen jedoch auf beiden kriegführenden Seiten sich so viele Hindernisse und Schwierigkeiten entgegen und die Fama bemächtigt sich der wenigen Tagesereignisse mit solcher Eile, daß diese jene bei Weitem überholt und die Zuverlässigkeit des Gebotenen noch außerordentlich viel zu wünschen übrig läßt. Wir haben deshalb, ehe unsere eigenen Gewährsmänner auf dem Kriegsschauplatz ihre Thätigkeit beginnen können, noch Zeit genug, um einen kurzen Rückblick auf die Vorgänge der letzten zwei Jahre zu werfen, welche wir als die Vorläufer des neuen Kriegs zweier großen Mächte bezeichnen müssen.

In den ersten Tagen des Juli 1875 brachen in der Umgegend der Stadt Revesinje in der Herzegowina Unruhen aus, denen man anfangs wenig Beachtung schenkte. Das arme Landvolk schüttelte eben wieder einmal am harten Türkenjoch. Die anfänglichen Unruhen erweiterten sich jedoch bald zu einem Aufstand, welcher selbst der türkischen Regierung kein Geheimniß mehr bleiben konnte. Truppen rückten an, natürlich „Pacificationstruppen“, wie der Diplomatenjargon solche kampfbereite Friedensboten nennt, und der Kampf begann und zeigte sofort seinen dort gewohnten Charakter. Schlappen gab es links und rechts, nur wurden die der Regierungstruppen in dem Grade schädlicher, als die Montenegriner ihre Theilnahme für die Aufständischen bethätigten. Serbien hatte bis dahin sich ruhig verhalten, obwohl die verdächtigen Blicke, die es nach rechts und links warf, selbst in Constantinopel nicht unbeachtet geblieben waren.

Ein Guerillakrieg mit all den Metzeleien, Mordbrennereien und scheußlichen Trophäen von Köpfen oder Nasen und Ohren hatte bereits bis in den Winter hinein gedauert und war eben im Begriffe, vor der steigenden Kälte einzuschlafen, als die europäische Diplomatie den rechten Zeitpunkt erkannte, ihm ein Ende zu machen. Auf ihre im Interesse des Weltfriedens gethanen Schritte hin veröffentlichte am 12. December der Padischah seinen „Reform-Ferman“; diesem folgte dann Andrassin’s bekannte „Reform-Note“ und ein „Nachtrags-Hat“ des Sultans. Während man aber die außerordentlichen Concessionen der hohen Pforte allenthalben noch mit jener Verwunderung betrachtete, die in Kopfschütteln über die Möglichkeit der Ausführung des Verheißenen überzugehen pflegt, hatte schon, wie man behauptet, nicht ohne russisches Zureden, der Aufstand einen neuen Boden in Bosnien gefunden. Jetzt, wo der Aufstand von dem faustähnlichen Winkel an, mit welchem die Türkei die dalmatinisch-kroatisch-slavonischen Königreiche Oesterreichs voneinander trennt und sie ihrer naturgemäßen Hinterlande beraubt, bis zur immer kampfbereiten Czernagora einen hoffnungsvollen Zusammenhang zeigte, erließ, ein Frühlingsgruß von 1876, der Fürst Serbiens von Belgrad aus eine Mobilisirungsordre, die er als Nothwehr-Schutz gegen die türkischen Truppenanhäufungen bei der Festung Risch, dem serbischen Alexinatz gegenüber, rechtfertigte.

Da derselbe kriegerische Zug sich allenthalben bei den Balkanvölkern zu regen schien, so erkannten die bisherigen Hüter des europäischen Friedens, die Glieder des Drei-Kaiser-Bündnisses, es als ihre Pflicht, die orientalische Frage auf den grünen Tisch zu bringen. Eine Ministerconferenz in Berlin (im Mai) überließ dem russischen Diplomaten Gortschakoff „die diplomatische Führung in der orientalischen Frage“, aber sein bekanntes „Memorandum“ erfuhr sofort Englands Widerspruch; ebenso wenig allgemeinen Anklang fanden die übrigen russischen Vorschläge: „einzelne Provinzen der Türkei militärisch zu besetzen und durch entsprechende Flottendemonstrationen an den Küsten die Ausführung der türkischerseits verheißenen Reformen zu beschleunigen und für die Zukunft zu sichern.“

Während in dieser Weise der Friedenseifer mit der Feder arbeitete, brachten Ereignisse die Geschichte wieder in Fluß. Etwas seit langer Zeit Unerhörtes, eine türkische Revolution, war in Constantinopel ausgebrochen und hatte, an die Stelle eines Mißliebigen, den Erzfeind Rußlands, Hussein Aoni zum Großvezier erhoben. Schon bejubelte das Volk die kühne That in Hoffnung auf bessere Tage, – da führte die Ermordung des deutschen und des französischen Consuls in Salonichi mit der Panzerflotte der Großmächte eine neue Demüthigung der hohen Pforte herbei. Letztere gab die verlangte Genugthuung. Während aber die fremden Schiffe wieder abdampften, hatte sich Bulgarien erhoben. Neue Metzeleien begannen: die Tscherkessen hielten eine Lorbeerernte in ihrer Art. Da nimmt eine Palastrevolution in Constatinopel dem Sultan Abdul Aziz Thron und Leben; Murad der Fünfte folgt ihm nach und winkt bereits mit dem Zeugnisse einer neuen türkischen Reichs-Aera, mit dem Verfassungsentwurf. Das Erstaunen über so Unerlebtes bannte sogar die zwei stärksten Revolutionsschwerter, die von Serbien und Montenegro, in die Scheide. Aber schon am 21. Juni machte Fürst Nikita sein ganzes Volk mobil, und eine Woche später erklärte Serbien der Pforte den Krieg.

Von jetzt an läßt die russische Diplomatie die Absicht ihrer Thätigkeit, Zeit für Rußlands Rüstungen zu gewinnen, immer leichter errathen. Dahin wies deutlich genug schon der Umstand, daß Rußlands Ansprüche an die türkische Nachgiebigkeit von jetzt an stets jedes gebührende Maß übersteigen. Als im September die Diplomatie zusammentrat, um den Gräueln in Bulgarien ein Ende zu machen, forderte Rußland nicht nur für die Großmächte das Recht, Bulgarien zu besetzen, sondern auch für bisherige slavische Vasallenstaaten der Türkei die Selbstständigkeit.

Endlich kam die große Botschafter-Conferenz in Constantinopel zusammen. Auch sie wurde russischerseits nur zum Zeitgewinnen ausgebeutet. Mitten in den Diplomatenhader hinein that die Türkei den kühnsten Schachzug gegen Rußland, indem sie „die türkische Constitution“ verkündete, welche, wenn auch noch so unvollkommen durchgeführt und noch so stark als Scheinstück mißbraucht, dennoch die Türkei wegen ihrer slavischen Bevölkerung des verführerischen Beispiels halber zum gefährlichsten Nachbar Rußlands machen mußte. Diese Gefahr ist offenbar erkannt worden, denn Rußlands Mobilisirung wurde auf’s Aeußerste beschleunigt und kein Mittel unversucht gelassen, um der constantinopolitanischen Conferenz zu einem ebenso späten wie für Rußlands Pläne praktische Ende zu verhelfen. Dies gelang nach Wunsch. Das gemeinsame Ultimatum, nach dessen Zurückweisung von Seiten der Pforte die großmächtliche Vertreterschaft auseinander ging, abermals ein „schätzbares Material“ zurücklassend, gab Rußland die Scheinberechtigung, die Execution gegen die Türkei im Namen Europas zu übernehmen. Denn jede Gewalt sucht nach einem Rechtsboden.

Ehe aber Rußland von den 700,000 Soldaten seiner Regimenterlisten nur ein Drittheil schlagfertig an den Feindesgrenzen aufstellen konnte, war Serbiens Kraft gebrochen und die Bulgarei in einer Weise „pacificirt“, die sogar einzelne Engländer erschütterte. Besser wußte der Fürst der Schwarzen Berge die Friedensverhandlungen in die Länge zu ziehen; mit gleichem Geschick erfand man in Petersburg eine neue Frage, um für die Vollendung der Rüstungen und die Möglichkeit, den Feldzug zu beginnen, noch ein paar Monate Zeit zu erübrigen: man erfand die Protocollfrage. Diese wanderte von Hof zu Hof, um das scheinbare europäische Executionsrecht Rußlands gegen die Türkei zu einem wirklichen zu erheben. Bekanntlich mißlang das Manöver, aber der Zweck war erreicht: die russische Armee stand am Pruth und in Kaukasien zum Marsch über die Grenze bereit; der Czar selbst überzeugte sich davon durch einen Besuch im Lager von Kischeneff und erließ am 26. April 1877 die Kriegserklärung gegen die Türkei.

Es ist in diesem Jahrhunderte der vierte Krieg, welchen Rußland gegen die Türkei führt. Welche Fortschritte in der Zwischenzeit die Völker beider Reiche in dem Streben nach Bildung des Geistes und einem menschenwürdigen Dasein gemacht, diese Frage müssen wir unbeantwortet lassen; in den Künsten der Zerstörung, in der „Kriegswissenschaft“, haben sie mit den cultivirtesten Westeuropäern gleichen Schritt zu halten gesucht. Dafür zeugt die Bauart und Armirung ihrer Festungen und Kriegsschiffe und die Armatur ihrer Truppen mit den besten Waffen neuester Erfindung. Natürlich gilt dies nur für den regulären Theil ihrer Armeen; bei der nicht geringen Zahl irregulärer Fußvolks- und Reitermassen wird manche Waffe zu Tage kommen, welche man bei uns nur noch als Rarität in Zeughäusern und culturhistorischen Sammlungen aufbewahrt. Wie Rußland wohl auch fernere Völker Asiens zum Heere ruft, ebenso wird das osmanische Reich seine Recrutirung ausdehnen, so weit der Halbmond herrscht oder die Fahne des Propheten blinden Gehorsam fordert. Ueber drei Erdtheile erstreckt sich diese Macht, die immer noch über mehr als vierzig Millionen Seelen verfügt. Zu diesen gehören auch die Bewohner der alten Barbareskenstaaten, deren Gebiet von Marokko bis Aegypten reichte. Die Beys von Tunis und Tripolis stellen bereits zum jetzigen Kriege ihre Contingente; der von Tunis kündigt namentlich 18,000 Mann Infanterie an und „5000 numidische Reiter“. Zu Letzteren werden auch die aus unserm heutigen Bilde dargestellten Vier gehören, welche unser Künstler in Tunis vor einem Waffenladen beobachtete und uns im Bilde sandte, ehe noch an den jetzigen Krieg zu denken war. Wir sind dem Zufalle dafür um so dankbarer, als unsere eigenen Künstler aus guten Gründen mit ihren Sendungen noch im Rückstande sein müssen.

Unsere Absicht, den Lesern eine dreifach colorirte Karte des Kriegsschauplatzes zu bieten, wird durch die große Auflage unseres Blattes, die das Erscheinen der Karte bis Mitte Juni hinausschieben würde, unmöglich gemacht. Da nun überdies billige Ansichten vom Kriegstheater inzwischen in Aller Hände gelangt sind, glauben wir den gehegten Plan ganz fallen lassen zu sollen und werden statt dessen unsern Lesern von Zeit zu Zeit, wenn nöthig wöchentlich, kleine in den Text gedruckte Karten vorführen, welche die augenblickliche Situation des Krieges verauschaulichen.

Eben, am Schlusse dieser Nummer, erhalten wir den ersten Kriegsbericht aus Rumänien, der nun in nächster Nummer folgen wird.

D. Red.