Der Knabenmord in Xanten vor dem Schwurgericht zu Cleve vom 4. bis 14. Juli 1892/Tag 7

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Siebenter Verhandlungstag.

Der Andrang des Publikums ist heute ein so gewaltiger, daß der Kommandirende der hinter dem Gerichtsgebäude belegenen Militärwache ersucht werden muß, freie Bahn machen zu lassen, damit die Mitglieder des Gerichtshofes, die Geschworenen, Vertheidiger u. s. w. ungehindert in den Gerichtssaal gelangen können.

Der Präsident, Landgerichts-Direktor Kluth, eröffnet gegen 9½ Uhr Vormittags die Sitzung mit etwa folgenden Worten: Ehe wir in die Verhandlung eintreten, habe ich zunächst zu bemerken, daß dem Berichterstatter Herrn Gustav Meyer, nachdem die leidige Angelegenheit auf gütlichem Wege beigelegt, der Zutritt zu den Verhandlungen wieder gestattet ist. Alsdann habe ich zu bemerken, daß ein gutes, viel gelesenes Blatt, dessen Namen ich nicht nennen will, sich ein sehr absprechendes Urtheil über die hiesige Bevölkerung gestattet hat. Es wird der hiesigen Bevölkerung Aberglauben, Fanatismus und Mangel an Bildung vorgeworfen. Es ist mir nahe gelegt worden, dem Berichterstatter dieser Zeitung die Eintrittskarte zu entziehen, da es nicht schicklich ist, daß Jemand, der als Gast hier zugelassen ist, das ihm gewährte Vorrecht in dieser Weise mißbraucht. Ich habe diesen Vorschlag abgelehnt, da ich der Ansicht bin, daß Jeder das Recht hat, seine Meinung zum Ausdruck zu bringen. Ich bemerke aber, daß das Urtheil des betreffenden Herrn Korrespondenten durchaus unzutreffend ist. Ich bin seit etwa 3 Jahren hier und kann versichern, daß ich die hiesige Bevölkerung achten und schätzen gelernt habe. Ich bedauere daher umsomehr, daß ein solches Urtheil in die Welt geht. Ich hatte seit meiner hiesigen Thätigkeit die Ehre, sowohl in der Strafkammer, als auch vielfach bei den Schwurgerichtsverhandlungen den Vorsitz zu führen, und ich kann bekunden, daß ich in der Stadt und im Kreise Cleve ebensoviel Intelligenz und Bildung gefunden habe als in anderen, selbst in sehr großen Städten. Den Fanatismus will der Herr Korrespondent entnommen haben aus dem Umstande, daß, als der kleine Siegmund Buschhoff als Zeuge den Saal betrat und Vater und Sohn weinten, in den Augen des Publikums keinerlei Mitleid, sondern nur fanatischer Haß gegen die Juden zu erblicken war. Ich habe kein so scharfes Auge, um den Leuten anzusehen, ob sich in ihren Augen Mitleid oder Judenhaß kundgiebt, allein angenommen, es wäre der Fall gewesen, dann ist zu erwägen, daß der Zuhörerraum für etwa 100 Personen bemessen ist und daß 100 Leute noch zu keinerlei Schlußfolgerung auf eine Bevölkerung von 20–30 000 Seelen, die zu Cleve und einstündigem Umkreise gehören dürften, gestatten. Ich kann aber die Versicherung abgeben, daß der Bevölkerung von Cleve und Umgegend jeder Fanatismus fernliegt. Ich mache mich anheischig, mit Buschhoff in dem ganzen Clever Kreise von Haus zu Haus bis in die kleinste Hütte zu gehen und würde die Garantie übernehmen, daß dem Buschhoff auch kein Haar gekrümmt werden würde. – Ich ersuche alsdann den Berichterstatter Herrn Hugo Friedlaender wieder einmal vorzutreten. Sie erinnern sich, meine Herren, daß ich Veranlassung genommen habe, Herrn Friedländer auf einen in seinem Bericht vorgekommenen Irrthum aufmerksam zu machen. Herr Friedländer versicherte, daß dieser Irrthum durch die Schuld eines Setzers vorgekommen ist. Ich habe mich nachträglich überzeugt, daß der Irrthum in der That nicht durch die Schuld des Herrn Friedländer in den Bericht gekommen ist. Ich fühle mich verpflichtet, das hier öffentlich mitzutheilen. Ich bemerke Ihnen, Herr Friedländer, daß ich Ihre Berichte im Clever Kreisblatt sehr aufmerksam lese, und muß Ihnen wiederholt das Zeugniß ausstellen, daß Ihre Berichte mit großer Ausführlichkeit und ebensolcher Sorgfalt geschrieben sind. Sie stenographiren wohl, Herr Friedländer?

Friedländer: Nein, Herr Präsident, ich kann nicht stenographiren.

Präs.: Dann schreiben Sie allerdings schneller, als ich es im Stande wäre. Nun ist es ja gar nicht zu verwundern, daß bei so schneller Berichterstattung kleine Irrthümer oder auch vielleicht Druckfehler unterlaufen. Es wäre aber gut, wenn alle diese Fehler berichtigt würden. So ließen Sie den Herrn Kaplan Bresser sagen: Er habe sich den heiligen Werner zum Vorbild genommen, während er in Wirklichkeit gesagt hat: Er habe sich, indem er die Bevölkerung Xantens vor den Gewaltthätigkeiten, die gegen die Juden verübt wurden, abgemahnt, den heiligen Bernhard von Clairvaux zum Vorbild genommen. Ich ersuche Sie, diesen Irrthum, der ja vielleicht auch durch einen Druckfehler entstanden ist, richtig zu stellen.

Friedländer: Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Präsident, daß Sie mich auf diesen Irrthum aufmerksam machen, ich werde sofort die erforderliche Berichtigung vornehmen.

Präs.: Nun muß ich bemerken, daß in anderen Berichten arge Unrichtigkeiten enthalten sind. Ich muß die Herren Berichterstatter sämmtlich ersuchen, auf ihre Berichte, angesichts der großen Wichtigkeit der Sache, doch die größtmögliche Sorgfalt zu verwenden. Zwei Irrthümer, die die Sache geradezu auf den Kopf stellen, muß ich hier erwähnen, da dieselben geeignet sind, das Urtheil der Herren Geschworenen zu beeinflussen und in weiten Kreisen eine falsche Vorstellung hervorzurufen.

Es steht in der Kölnischen Volkszeitung: Der Oberstaatsanwalt stellte fest, daß die Spreu, die in dem beschlagnahmten Sacke des Buschhoff vorgefunden, mit der Spreu, die sich in den Händchen des ermordeten Knaben befand, übereinstimme. Es ist das ein arger Irrthum und ich ersuche den Herrn Oberstaatsanwalt, sich hierüber zu äußern.

Oberstaatsanwalt Hamm: Ich habe jedenfalls keine derartige Aeußerung gethan.

Präs.: Die Spreu hat bei den Herren Geschworenen zirkulirt, vielleicht kann Herr Bürgermeister Schleß, der auch Landwirth ist, sich darüber äußern.

Bürgermeister Schleß: Ich habe gar keinen Anhalt für die Identität der Spreu.

Erster Staatsanwalt Baumgard: Ich bemerke, daß ich für heute Nachmittag einen Lehrer der hiesigen Landwirthschaftlichen Schule als Sachverständigen bezüglich der Spreu laden werde.

Präsident: In der „Niederrheinischen Volkszeitung“ zu Crefeld befindet sich ein Telegramm, in dem es heißt: drei Metzgermeister, die gutachtlich vernommen wurden, haben bekundet, daß die Flecken in dem Buschhoff’schen Sacke nicht Rauch- sonder Blutflecken seien. Sie werden wissen, meine Herren, daß die drei Metzgermeister das gerade Gegentheil bekundet haben. Ist der Berichterstatter der „Niederrheinischen Volks-Zeitung“ hier?

Letzterer bemerkt, daß das Telegramm verstümmelt worden und der Fehler bereits richtig gestellt worden sei.

Geschworener Kaufmann Spickschen: Ich fühle mich veranlaßt, dem Herrn Präsidenten mitzutheilen, daß an jeden Geschworenen ein Exemplar der in Witten erscheinenden „Westfälischen Reform“ geschickt worden ist. In dieser Zeitung wird der Gerichtshof, der Oberstaatsanwalt und Erste Staatsanwalt, die Vertheidiger und auch die medizinischen Sachverständigen in arger Weise angegriffen. Ich überreiche dem Herrn Präsidenten ein solches Exemplar.

Präs.: Es ist sehr gut, daß alle derartigen Vorgänge zur Kenntniß des Gerichtshofes gebracht werden, ich nehme aber als selbstverständlich an, daß sich die Herren Geschworenen durch nichts beeinflussen lassen, sondern nur das im Auge behalten werden, was der Gang der Verhandlung ergeben hat.

Verth. Rechtsanwalt Stapper: Ich beantrage zu Protokoll zu nehmen, daß durch Vertheilen einer Zeitung eine Beeinflussung der Herren Geschworenen versucht worden ist.

Der Gerichtshof giebt diesem Antrage statt.

Präs.: Gestern Abend habe ich ein Telegramm, unterzeichnet von „fünf Xantener Bürgern“, erhalten. Das Telegramm lautet: Mehrere Xantener Bürger, beseelt von der Abicht, der Wahrheit auf den Grund zu kommen, bitten, über das Vorleben der Zeugin Frau Beekmann, geborene Overhagen, Erhebungen anzustellen und den Stadtsekretär Devers darüber zu befragen. Das Bekanntwerden des Vorlebens der Frau Beekmann dürfte für den Werth ihres Zeugnisses von durchschlagender Wirkung sein. Meine Herren, Sie wissen, daß das Beekmann’sche Ehepaar bekundet hat, Ullenboom haben ihnen erzählt, daß er am Vormittage des Peter-Paulstages gegen 10 Uhr mit seinem 2½jährigen Pflegekinde zu Buschhoff gegangen sei, daß das Kind vielfach aus dem Hause gelaufen und von ihm hereingeholt worden sei. – In einem weiteren anonymen Telegramm wird dem Gerichtshof mitgetheilt, daß Frau Beekmann vor ihrer Vernehmung auf dem Bahnhof in Goch lange Zeit mit einem Juden gesprochen habe. –

Der Präsident frägt, ob Anträge auf Ladung von Zeugen zu stellen seien. – Oberstaatsanwalt: Ich bin der Meinung, daß wir zunächst den Klempner Ullenboom vernehmen. – In einem weiteren Schreiben aus Xanten wird mitgetheilt, daß Dr. van Housen noch vor dem Doktor Steiner in der Scheune gewesen und erklärt habe, daß sehr wenig Blut in der Scheune war. – Präs.: Herr Bürgermeister Schleß, können Sie uns darüber Auskunft geben? – Bürgermeister Schleß: Ob Dr. van Housen die mitgetheilte Aeußerung gethan, weiß ich nicht, er ist jedenfalls aber nicht vor, sondern nach Dr. Steiner in die Scheune gekommen und hat sich keine drei Minuten dort aufgehalten, er kann sich mithin die Leiche nur flüchtig angesehen habe. – Präs.: Wissen Sie das bestimmt? – Zeuge: Jawohl, ganz bestimmt.

In weiteren anonymen Briefen wird noch um Ladung weiterer Zeugen gebeten.

Oberstaatsanwalt Hamm: Ich bitte, doch nur solche Zeugen zu laden, wenn angegeben wird, welche Bekundung die vorgeschlagenen Zeugen machen sollen, die Verhandlung würde andernfalls kein Ende nehmen.

Rechtsanwalt Stapper: Die Vertheidigung ist sehr erfreut, wenn dieser Grundsatz hier zum Ausdruck gelangt. Allein die Vertheidigung will keiner Zeugenladung widersprechen, um nicht den Anschein zu erwecken, als fürchten wir irgend eine Zeugenaussage.

Der Gerichtshof beschließt, da in einem weiteren anonymen Briefe Zeugen angegeben werden, die bekunden wollen, daß Siegmund Isaak am Peter-Paulstage Nachmittags zwischen halb 3 bis 3 Uhr nicht bei Buschhoff sondern in seinem Laden gewesen sei, als Zeugen zu laden. Die Eheleute Beekmann, Wilhelm Ullenboom, Stadtsekretär Devers, Michels, Görtzen, Hölsken, Bürgermeister Kaiser (Goch), Helene Bräuer, Siegmund Isaak, Aloys Langenberg, Friedrich Langenberg, Abraham Bruckmann, Theodor Bruckmann, Frau Seegers und Levi Paßmann.

Es erscheint alsdann als Zeugin Frau Mauritz: Eines Tages kam meine Tochter nach Hause und sagte mir: „Jetzt weiß ich auch etwas über Buschhoff.“ Sie erzählte mir: Sie habe den Buschhoff mit seinem Sohn Siegmund in der Cleverstraße getroffen. Sie sei einige Schritte hinter Buschhoff gegangen, da habe der kleine Buschhoff gesagt: „Wenn’s nur nicht auskommt.“ Buschhoff habe sich nach dieser Bekundung seines Sohnes ängstlich umgedreht, und als er meine Tochter sah, habe er den kleinen Siegmund ängstlich an sich gezogen. – Präs.: Was sagten Sie zu dieser Erzählung? – Zeugin: Ich verbot meiner Tochter, irgend Jemandem etwas davon zu erzählen, da ich keine Laufereien haben wollte.

Präs.: In einer so wichtigen Sache, wo es sich um einen Mord handelt, da hätten Sie doch die Verpflichtung gehabt, Ihre Tochter sofort zu veranlassen, der Behörde Mittheilung zu machen.

Zeugin: Ich wollte keine Laufereien haben.

Die folgende Zeugin ist die Köchin Remy (Goch): Anfang Juli v. J. fuhr ich per Bahn von Goch über Xanten nach Büderich. In Xanten stiegen zwei jüdische Herren in’s Coupee. Einer dieser Herren sagte: Xanten wird mir zum Ekel, ich möchte gern fort, wenn ich nur könnte. Der andere Herr sagte: Jedenfalls hat er eine große Dummheit gemacht, daß er es in die Scheune gelegt, ich würde nicht so dumm gewesen sein.

Präs.: Hat der Herr dabei einen Namen genannt? – Zeugin: Nein, er sagte blos: Jedenfalls hat er eine große Dummheit begangen, daß er es in die Scheune getragen. Am Bahnhof Büderich verließ ich das Coupee und begrüßte Fräulein Oster, Tochter des Alexander Oster. Als diese mich mit meinem Namen ansprach, stießen sich die beiden Herren an und begannen in einer mir unverständlichen Sprache zu sprechen. – Präs.: Kannten Sie die Herren? – Zeugin: Nein. – Präs.: Haben Sie Ihre Wahrnehmungen Jemandem erzählt? – Zeugin: Jawohl, ich habe es der Frau Rademacher erzählt.

Kaufmann Gustav Brockhaus (Goch): Am vergangenen[WS 1] Sonnabend früh erzählte mir Janßen, Sohn erster Ehe der Frau Rademacher: Frau Remy weiß etwas von dem Morde, sie will sich nicht als Zeugin melden, deshalb habe ich es gethan. – Wittwe Rademacher: Die Remy hat mir eines Tages ihre Wahrnehmungen erzählt.

Präs.: Wann war das? – Zeugin: Das weiß ich nicht mehr, jedenfalls ist es schon lange her. – Präs.: Weshalb haben Sie davon keine Anzeige gemacht? – Zeugin: Ich habe der Wahrnehmung kein Gewicht beigelegt.

Es wird hierauf ein an den Staatsanwalt gelangtes Telegramm verlesen, wonach eine Marie Riesen, die einmal bei dem Juden David Brockmann gedient, gehört habe, wie David Brockmann zu seiner Frau, mit der er sich über den Mord unterhalten, gesagt habe: „Der war es“. Die Riesen habe hinter der Thür gestanden, als Brockmann diese Aeußerung gethan.

Frau Janson, die hierauf als Zeugin erscheint, bekundet: Am Peter-Paulstage sei sie in früher Morgenstunde einem holländischen Juden, Namens Fellemann, begegnet. Auf ihre Frage, wohin er so früh gehe, sagte Fellemann: er gehe nach Holland.

Frau Lenders: Am Abende des Peter-Paulstages, nachdem die Mordthat bereits bekannt war, sagte eine Frau Scholten zu mir: „Das hat ein Jude gethan.“ Ich bemerkte: „Das können Sie doch nicht sagen.“ In der Kirchstraße begegnete mir Frau Buschhoff. Ich fragte diese: Ist das wahr? „Es ist nur zu wahr“, versetzte Frau Buschhoff. „Heute Nachmittag kam Frau Hegmann zu mir und jammerte, daß sie ihr Kind nicht finden könne. Ich suchte Frau Hegmann zu beruhigen und bot ihr eine Tasse Kaffee an. Frau Hegmann hat den Kaffee aber mit den Worten abgelehnt: „Ich trinke keinen Kaffee, ich will erst mein Kind haben. Ach, Frau Buschhoff, ich habe heute Nacht von so vielem Blut geträumt, das bedeutet zweifellos Unglück.“ Frau Buschhoff, so erzählte mir Letztere weiter, habe darauf erwidert: „Man darf nicht immer gleich das Schlimmste denken. Der alte Dr. Ueberhorst pflegte zu sagen: Man solle den Teufel nicht an die Wand malen.“ Ich sagte nach dieser Erzählung zu der Frau Buschhoff: Es ist doch schrecklich, in welch’ schrecklicher Verstümmelung das arme, unglückliche Kind gefunden wurde. Das Kind war so gut, das hat doch keinem Wurm etwas zu Leide gethan. Frau Buschhoff war sehr aufgeregt und weinte. Sehr bald kam auch der Ehemann Buschhoff hinzu. Frau Buschhoff sagte zu ihrem Gatten: Adolf, wir können dem lieben Gott nicht genug danken, daß unsere Kinder im Bett gestorben sind. Das arme Kind! Es hat vielleicht Mama gerufen, und Niemand hat es gehört. Buschhoff war ganz starr und sagte kein Wort.

Schlosser Schmidthuysen: Am 1. oder 2. Juli v. Js. ging Mölders an meinem Hause vorüber und rief: „Haben Sie noch nicht gehört, daß sie den Juden gepackt haben?“ Ich versetzte: „Nehmen Sie sich in Acht, es sind Juden in der Nähe.“ Mölders erwiderte: Und wenn alle Juden von Xanten dabei sind, dann sage ich doch: „Buschhoff hat es gethan.“ Ich warnte den Mölders, Derartiges zu sagen, wenn er es nicht beweisen könne.

Vertheidiger Rechtsanwalt Stapper: Das war am 1. Juli vorigen Jahres? – Zeuge: Jawohl.

Der Zeuge bekundet im Weiteren: Der verstorbene Jude Paßmann hat mir einmal erzählt: „Ich habe in der Zeitung gelesen, daß man Einen zum Tode verurtheilt hat. Der dumme Kerl hat die That eingestanden.“ Ich erwiderte: „Sein Gewissen wird ihn wohl zu dem Geständniß gedrängt haben.“ Darauf versetzte Paßmann: „Ich kann Ihnen sagen, wenn unter unseren Leuten so etwas passirt, dann kommt es niemals heraus; das bleibt unter uns, wir sind Alle verschwiegen.“

Präs.: Wen mag er wohl mit „unseren Leuten“ gemeint haben? – Zeuge: Ich nehme an, er hat die Juden gemeint. – Präs.: Sie hatten wenigstens diese Auffassung? – Zeuge: Jawohl. – Präs.: Nun, was haben Sie sonst noch zu bekunden? – Zeuge: Vor etwa 3 Wochen wurde mir erzählt und gestern hörte ich es wieder: Als der kleine Hegmann beerdigt wurde, da war Buschhoff gerade bei Evers, um etwas zu unterschreiben. Buschhoff habe dabei derartig gezittert, daß ihm die Hand geführt werden mußte. – Präs.: Wer hat Ihnen das erzählt? – Zeuge: Wilhelm Huiskens, der Schwager von Evers, hat es dem Deckers und dieser hat es mir erzählt.

Es betritt nun Frau Hegmann, die Mutter des ermordeten Knaben, bitterlich weinend den Gerichtssaal.

Präs.: Nun beruhigen Sie sich, Frau Hegmann, das viele Weinen bringt Ihnen Ihr Kind nicht mehr zurück. Was Einem der liebe Gott auferlegt, muß man mit Geduld ertragen. Nach und nach beruhigt sich die Zeugin, und bekundet auf Befragen des Präsidenten, daß sie am Peter-Paulstage überhaupt nicht bei Buschhoff war.

Oberstaatsanwalt Hamm: Früher haben Sie aber bekundet, daß Sie bei Buschhoff waren? – Zeugin: Nein. – Beisitzender, Landgerichts-Rath Grütering: Als Sie Ihr Kind suchten, sind Sie da nicht bei Buschhoffs gewesen? – Zeugin: Ja, als ich vom Suchen zurückkam. – Beisitzender Landgerichts-Rath Grütering: Wann mag das wohl gewesen sein? – Zeugin: Etwa nach 4 Uhr. – Präs.: Hat nicht auch Frau Buschhoff ihren Sohn Siegmund aufgefordert, das kleine Joanchen zu suchen? – Zeugin: Jawohl.

Es erscheint alsdann als Zeuge Land-Gerichts-Rath Brixius: Dieser bekundet: Als Buschhoff, Frau und Tochter am 14. Oktober 1891 verhaftet wurden, theilte man mir mit, daß die Leute wegen ihrer gefährdeten persönlichen Sicherheit verhaftet worden seien. Der Angeschuldigte Buschhoff machte von Anfang an auf mich einen vollständig sicheren und unbefangenen Eindruck. Seine Antworten waren durchaus bestimmt und ruhig, obwohl die Vernehmung durch die Schwerhörigkeit desselben sehr beeinträchtigt wurde. Als ich dem Buschhoff in die Seele sprach: er sollte doch, wenn er es gethan habe, eingestehen, sagte er: Ich weiß, was es heißt, Kinder verlieren, und ich sollte im Stande sein, einem unschuldigen Kinde den Hals abzuschneiden? Diese Worte bestärkten mich in der Ueberzeugung von der Unschuld des Buschhoff.

Der Zeuge bekundet im Weiteren: Im Monat November 1891 wurde meinem Schwiegersohn, dem Herrn Rechtsanwalt Fleischhauer, die Vertheidigung angetragen. Es war mir ja das nicht angenehm, allein ich fand mich andererseits nicht veranlaßt, meinem Schwiegersohn von der Annahme der Vertheidigung abzurathen, weil ich dem Angeklagten einen Anwalt nicht entziehen wollte, zu dem er Vertrauen hatte. Ich erkläre hiermit ausdrücklich, daß die verwandtschaftlichen Bande zwischen mir und Herrn Rechtsanwalt Fleischhauer auf den Gang der Untersuchung nicht den geringsten Einfluß gehabt haben. Die Person des Herrn Rechtsanwalts Fleischhauer bietet bereits die volle Gewähr, daß er keinen Versuch machen wird, einen Richter zur Uebertretung seiner Pflichten zu bestimmen. Am 23. Dezember v. J. hatte der Herr Erste Staatsanwalt mit höherer Genehmigung die Haftentlassung aller drei Beschuldigten verfügt. Es wurde den Beschuldigten bedeutet, daß sie sich bei der Polizeibehörde des Ortes, an den sie sich begeben, sofort nach ihrer Ankunft zu melden und jederzeit ihre Wiederverhaftung zu gewärtigen haben, da die Untersuchung noch keineswegs abgeschlossen sei. Es dürfte bekannt sein, daß in Folge dieser Haftentlassung in einer Anzahl von Zeitungen heftige Vorwürfe gegen mich und den Herrn Ersten Staatsanwalt erhoben wurden. Im Januar d. J. kam im Auftrage des Herrn Justizministers Herr Geh. Justizrath Vietsch aus Berlin nach Cleve. Auf dessen Rath habe ich einen Vermerk über mein Urtheil, den Angeschuldigten betreffend, zu den Akten gegeben. Am 24. Januar d. J. erhielt ich den Auftrag, die Voruntersuchung schleunigst abzuschließen. Am ersten Sonntag im Monat Februar 1892 theilte mir der Herr Erste Staatsanwalt mit, daß Kreisphysikus Dr. Bauer ein dem Buschhoff gehöriges Messer vorgefunden habe, das zur Ausführung des Mordes geeignet sei. Der Herr Erste Staatsanwalt fragte mich, ob ich daraufhin die Wiederverhaftung verfügen wolle. Ich erklärte, daß ich mich zunächst über die Sache unterrichten und die Herren Kreisphysikus Dr. Bauer und Kreiswundarzt Dr. Nünninghoff hören wollte. – Der Herr Erste Staatsanwalt führte mich alsdann zu dem Herr Oberstaatsanwalt, und dieser legte mir nahe, ob ich aus Anlaß meines verwandtschaftlichen Verhältnisses zu dem Vertheidiger die Weiterführung der Untersuchung nicht niederlegen wolle. Ich erklärte, daß ich mich nicht für befangen halte; die Strafkammer des hiesigen Land-Gerichts entschied jedoch am 8. Februar, daß Herr Land-Gerichts-Rath Birk die Untersuchung gegen Buschhoff, der am 9. Februar von Neuem verhaftet wurde, führen solle. Ich bemerke jedoch ausdrücklich, daß Herr Landgerichtsrath Birk meine Ansicht über die Schuld des Angeklagten vollständig theilte. Ich habe noch zu bemerken, daß es mir zu großem Verbrechen angerechnet wurde, weil ich am 20. Januar bei der Abhaltung eines Lokaltermins den Synagogen-Vorsteher, Herrn Kaufmann Oster in Xanten, hinzugezogen habe. Ich hätte eigentlich den Angeklagten, der damals in Köln wohnte, von der Abhaltung dieses Lokaltermins benachrichtigen müssen, allein, ich unterließ dies, da ich die persönliche Sicherheit des Buschhoff in Xanten für gefährdet hielt. Wie Recht ich hatte, bewies der fürchterliche Andrang der Menge; ich hätte drei Straßen absperren lassen müssen, wenn ich dem Andrang hätte begegnen wollen. Da mich nun Herr Oster, der mir als ein durchaus würdiger Mann bekannt war, bat, dem Lokaltermin beiwohnen zu dürfen, so nahm ich umsoweniger Veranlassung, diese Bitte abzuschlagen, da ich mir sagte, daß die Verfolgten ein Anrecht auf Schutz haben und der Angeklagte das gesetzliche Recht hatte, dem Termin beizuwohnen. Ich wurde nun im Abgeordnetenhause dieses meines Verhaltens wegen ganz besonders von dem Abgeordneten Hofprediger a. D. Stöcker angegriffen. Dies veranlaßte mich, an Herrn Stöcker eine Berichtigung zu senden und diesen zu bitten, dieselbe im Abgeordnetenhause vorzulesen. Herr Stöcker hat aber nur einen Theil meiner Berichtigung vorgelesen, die Haupttheile unterdrückt und die Bemerkung hinzugefügt: „Es bleibt doch merkwürdig, daß der Schwiegersohn des Untersuchungsrichters der Vertheidiger ist.“ Hier wird die Vernehmung des Landgerichtsraths Brixius vorläufig abgebrochen. Letzterer bittet bei seiner weiteren Vernehmung, den Referendar Franoux zu laden, der seine Bekundungen bestätigen wird. Der Gerichtshof beschließt die Ladung des Referendars. Alsdann tritt eine längere Pause ein.

Nach Wiedereröffnung der Verhandlung beantragt ein Geschworener den Dr. med. van Housen vorzuladen.

Verth. Rechtsanwalt Stapper: Wenn diesem Antrage stattgegeben werden solle, dann beantrage ich nochmals Herrn Professor Dr. Köster vorzuladen.

Der Gerichtshof beschließt beiden Anträgen entsprechend.

Der Präsident bemerkt alsdann: Ich habe wiederum etwas den Herren Zeitungs-Berichterstattern zu bemerken. Eine am Sonnabend vernommene Zeugin hat sich bei mir beschwert, daß in einer Zeitung ihr Alter angegeben worden, während das bei allen anderen Zeugen nicht geschehen sei. Die Dame meint, daß man sie dadurch habe verhöhnen wollen. Ich muß die Herren Berichterstatter bitten, entweder bei allen oder bei keinem der Zeugen das Alter anzugeben.

Es erscheint hierauf wiederum als Zeuge Landgerichts-Rath Brixius:

Präs.: Herr Kollege, wollen Sie sich zunächst über den Knaben Kernder äußern.

Landgerichtsrath Brixius: Ich wußte, daß der kleine Kernder ungemein unter dem Einfluß seiner Eltern stehe. Ich hörte nun, daß die Kernder’schen Eheleute wegen Mißhandlung einer Judenfrau vor das Landgericht zu Cleve geladen seien. Ich wollte daher diese Zeit benutzen, um den Knaben zu vernehmen. Ganz wider Erwarten war aber der Termin in Cleve sehr schnell beendet, und die Kernder’schen Eheleute kehrten schon gegen 1 Uhr Mittags nach Xanten zurück. Als ich den Knaben von einem Gendarmen holen ließ, sagte der alte Kernder: Ich lasse mein Kind nicht zu dem Untersuchungsrichter gehen. Die Mörder werden ja doch nicht bestraft, nur ehrliche Leute. Einige Zeit später ließ ich den kleinen Stephan Kernder mir von der Polizei vorführen. Die Aussage des Knaben geschah in einer Weise, daß ich die Ueberzeugung gewann: dem Knaben sei seine Aussage einstudirt. Der Knabe plapperte etwas ganz Unverständliches und Unzusammenhängendes, das ohne jeden Sinn war. Ich habe alsdann die Mutter vernommen. Diese fragte ich, wodurch der Knabe zu seiner Bekundung gekommen sei. Die Frau erzählte mir: Sie habe eines Morgen mit ihrem Manne über den Mord gesprochen. Der Knabe, der noch im Bett gelegen, habe aufgehorcht und gesagt: er wolle etwas erzählen. Da der Knabe zunächst mit der Sprache nicht heraus wollte, so habe sie zu demselben gesagt: „Sprich nur, der Buschhoff liegt schon im Thurm an der Kette.“ Ich fragte die Frau: wie sie zu einer solchen Bemerkung komme. Die Frau antwortete mir: „Es ist doch kein Blut bei der Leiche gefunden worden, da muß es doch der Jude gethan haben.“ Bei der ersten Vernehmung erzählte mir die Zeugin: der Knabe habe ihr gesagt, Buschhoff habe zu ihm einmal gesagt: wenn Du mir meine Steine beschädigst, so kommst Du in den Thurm.“ Bei ihrer zweiten Vernehmung sagte Frau Kernder: Buschhoff habe zu ihrem Sohne gesagt: „Wenn Du die Grabsteine beschädigst, dann kommst Du nicht blos in den Thurm, ich schneide dir auch den Hals ab“. Diese letztere Bemerkung hatte die Frau bei ihrer ersten Vernehmung nicht gethan. Ueberhaupt gewann ich die Ueberzeugung, daß viele Zeugen bei jeder Vernehmung immer mehr wußten. Sie haben sich ein Bild von zum Theil Erlebtem, zum Theil Gehörtem gemacht und sich so ein Phantasiegebilde geschaffen, das mit jeder Vernehmung ihnen immer klarer vor Augen trat. Die Leute hatten aber von vornherein die Ueberzeugung, daß Buschhoff der Thäter sein müsse, einen anderen Gedanken konnten sie garnicht fassen. Frau Kernder hatte sich das Alles so zurechtgelegt, wie es ihr paßte. Der Präsident läßt diese, sowie auch die meisten bisherigen Zeugenaussagen protokolliren. Der Präsident bemerkt, daß die Protokollirung aus Anlaß einer Ministerialverfügung geschehe. – Landgerichtsrath Brixius bemerkt im Weiteren auf Befragen: Frau Kernder sagte mir, ihr Sohn Stephan habe ihr erzählt: Frau Buschhoff habe, nachdem sie den kleinen Hegmann in’s Haus gezogen, zu den anderen Kindern in frechem Tone gesagt: „Ihr scheert Euch nach Hause.“ Mir kam dies nicht glaubwürdig vor, da dies nicht der Ausdruck eines Kindes zu sein pflegt. Als ich der Zeugin sagte: Hat das wirklich der Knabe gesagt, nahm er diese Bemerkung als unrichtig zurück.

Bürgermeister Schleß bekundet auf Befragen, daß Frau Beekmann vor Jahren als Kindermädchen bei ihm gedient und damals ihm wenig glaubhaft schien, auch naschhaft gewesen ist. Den Ehemann Beekmann kenne er weniger, er habe nur gehört, daß dieser zwei Mal aus Stellungen ganz plötzlich entlassen worden sei. Den Ullenboom kenne er auch nicht, es werde aber im Allgemeinen über dessen Zeugniß die Achseln gezuckt, da dasselbe so sehr zu Gunsten Buschhoffs war.

Landgerichtsrath Brixius bekundet alsdann im Weiteren: Den Mallmann hielt ich für derartig unglaubwürdig, daß ich, wenn er nicht bereits verteidigt gewesen wäre, ihn nicht vereidigt hätte. Ullenboom machte auf mich den Eindruck eines durchaus sicheren und vor Allem sehr vorsichtigen Zeugen. Mölders machte auf mich den Eindruck eines sehr schwerfälligen und eines sehr langsam denkenden Mannes, der nicht im Stande ist, genau zu unterscheiden zwischen dem, was er selbst wahrgenommen und was Andere ihm erzählt haben.

Aus dem von ihm Bekundeten gewann ich die Ueberzeugung, daß die Thatsachen objektiv unrichtig seien. Ich habe eingehende Untersuchungen angestellt, ob es möglich war, daß durch das bloße Herauslangen eines Armes ein Kind, in der vor Mölders beschriebenen Weise, in das Buschhoff’sche Haus hineingezogen werden konnte. Ich habe festgestellt, daß dies fast unausführbar sei. Der Zeuge demonstrirt dies den Geschworenen an der Saalthür.

Lehrer an der Clever Landwirthschaftsschule, Dr. Kögel bekundet: Die Kaff (Spreu), die in dem Sack vorgefunden wurde, sei wesentlich verschieden von der in der Hand des Ermordeten vorgefundenen. Es seien ganz charakteristische Unterschiede zwischen den beiden Spreuarten vorhanden, die schon mit dem bloßen Auge, ja ohne Mikroskop und ohne Lupe zu erkennen seien.

Bürgermeister Schleß schließt sich diesem Gutachten vollinhaltlich an.

Referendar Farnoux, der alsdann als Zeuge erscheint, bestätigt im Wesentlichen die Bekundungen des Landgerichtsrath Brixius. Mölders habe sich zweifellos mit anderen Leuten besprochen, denn er sprach so geschlossen und abgerundet, wie es ihm keineswegs eigen sei. Ullenboom habe auf ihn einen durchaus glaubwürdigen Eindruck gemacht. Frau Kernder halte er nicht für unbedingt glaubwürdig.

Diese sagte: „Es kann kein anderer gethan haben als Buschhoff, denn es ist doch bei der Leiche kein Blut gefunden worden.“ Mallmann habe zuerst den Eindruck eines sicheren, bei seinen weiteren Vernehmungen aber den eines heftigen und aufgeregten Mannes gemacht.

Der Zeuge bekundet im Weiteren, gleich dem Land-Gerichtsrath Brixius: Es habe an der Thür des Buschhoff’schen Hauses, in die das Kind durch einen herausgelangten Arm hineingezogen worden sein sollte, ein Ladentisch gestanden. Angestellte Versuche haben ergeben, daß aus diesem Anlaß der von Mölders beschriebene Vorgang nicht stattgefunden haben könne.

Stadt-Sekretär Devers: Ullenboom sei unbestraft; er (Zeuge) habe keinen Grund, dessen Glaubwürdigkeit zu bezweifeln, und er habe niemals etwas Nachtheiliges über Ullenboom gehört.

Bürgermeister Kaiser (Goch): Ihm sei über die Frau Beekmann nichts Nachtheiliges bekannt geworden; dieselbe habe in Goch eine Nähschule.

Referendar Lancelle: Frau Beekmann habe viele Jahre bei seiner Mutter gearbeitet. Seine Mutter sei mit der Beekmann stets sehr zufrieden gewesen und er sowohl, als auch seine Mutter haben niemals den geringsten Zweifel in deren Glaubwürdigkeit und Wahrheitsliebe gesetzt. Die Eltern der Beekmann seien durchaus achtbare Leute.

Zeuge Oster, Synagogenvorsteher zu Xanten: Der fremde Jude Fellemann sei nicht am 29., sondern am 28. Juni 1891 in Xanten gewesen. Seine (des Zeugen) Frau, habe dem Fellemann einen Rock geschenkt. Fellemann sei noch bei verschiedenen anderen Juden in Xanten gewesen, ob er auch bei Buschhoff war, könne er (Zeuge) nicht sagen.

Es erscheint alsdann als Zeuge der fünfzehnjährige Schreinerlehrling Wilh. Hölsken: Am 20. Juni 1891 war ich im Schlachthause von Bruckmann. Es waren in demselben zugegen die Juden Abraham und Hermann Bruckmann und Levi Paßmann. Da hörte ich, wie Abraham Bruckmann sagte: Sie haben schon viel herausbekommen, nun müssen wir dem Buschhoff einprägen, daß er sich nicht verplappert, mehr sollen sie nicht herausbekommen.

Metzgermeister Abraham Bruckmann, der alsdann als Zeuge erscheint, bekundet, daß ihm ein auch nur ähnlicher Vorgang absolut unbekannt sei.

Hölsken, der dem Bruckmann hierauf gegenüber gestellt wird, bleibt bei seiner Aussage.

Kaufmann Michels (Goch) stellt auf Befragen des Präsidenten entschieden in Abrede, daß er auf dem Bahnhof in Goch mit dem Beekmann gesprochen habe. Er sei am Sonnabend garnicht auf dem Bahnhof gewesen. Er sei am Freitag hier im Zuhörerraum gewesen und habe Abends auf der Heimreise nur die Beekmann gefragt: Ob sie etwas zu Hause zu bestellen habe, über den Fall Buschhoff habe er nicht mit der Beekmann gesprochen.

Schuhfabrikant Geritzen (Goch). Präs.: Sie sollen gesehen haben, wie Kaufmann Michels am Sonnabend Abend auf dem Bahnhof in Goch mit der Beekmann gesprochen habe? – Zeuge: Davon ist mir nichts bekannt. Der Zeuge bekundet im Weiteren: Ullenboom hat mir am 21. oder 22. April d. J. gesagt, indem er auf das Buschhoff’sche Haus zeigt: „Das ist das Mörderhaus oder die Mördergrube. Buschhoff und kein Anderer ist der Mörder, ich laß mir den Hals abschneiden, wenn dies nicht wahr ist.“

Präs.: Ullenboom, Sie haben gehört, was der Mann bekundet hat, haben Sie eine solche Aeußerung gethan? – Zeuge: Nein, das habe ich jedenfalls nicht gesagt. – Präs.: Wie sollte denn der Mann aber dazu kommen, das zu bekunden? – Ullenboom: Ja, ich verstehe es auch nicht. – Präs.: Sind Sie denn mit dem Mann verfeindet? – Zeuge: Nein. – Präs.: Der Mann hat doch einen Eid geleistet.

Ullenboom: Ich habe eine solche Aeußerung nicht gethan, wie kann ich auch etwas sagen, ich habe doch weder etwas gesehen, noch gehört. – Oberstaatsanwalt: Halten Sie den Buschhoff für den Mörder? – Zeuge: Nein. – Oberstaatsanwalt: Sind Sie der Meinung, daß Buschhoff unschuldig ist? – Zeuge: Jawohl.

Präs.: Zeuge Geritzen, hat Ullenboom vielleicht gesagt, indem er auf das Buschhoff’sche Haus zeigte: „Siehst Du, da steht angeschrieben: „Mörderhaus“? – Zeuge: Nein, Ullenboom sagte: „Das ist das Mörderhaus, oder auch die Mördergrube, Buschhoff ist es gewesen, ich lasse mir den Hals abschneiden, wenn das nicht wahr ist.“ Wir haben uns über die Buschhoff’sche Angelegenheit noch weiter unterhalten und diese Unterhaltung noch in der Gastwirthschaft von Küppers fortgesetzt.

Ullenboom: Ich gebe zu, daß wir uns über Buschhoff unterhalten haben, und es ist möglich, daß ich mich über Buschhoff nicht günstig ausgesprochen habe. Wenn ich das gethan, so geschah es lediglich, weil ich die vielen Verfolgungen und wirthschaftlichen Schädigungen fürchtete. Eine solche Aeußerung, wie sie der Zeuge bekundet, habe ich jedenfalls nicht gethan. – Präs.: Sie geben aber die Möglichkeit zu, etwas Nachtheiliges über Buschhoff gesagt zu haben? – Ullenboom: Das gebe ich zu; es geschah dann aber blos, weil ich mich vor den Verfolgungen und wirthschaftlichen Schädigungen fürchtete. – Präsident: Sie haben vor Gericht stets zu Gunsten Buschhoff’s ausgesagt? – Zeuge: Jawohl. – Präs.: Wo haben Sie die Wahrheit gesagt? – Zeuge: Selbstverständlich habe ich vor Gericht stets die Wahrheit gesagt. – Der Präsident läßt die beiden Zeugenaussagen protokolliren und ermahnt die beiden Zeugen nochmals eindringlichst, sich es vorher zu überlegen, ehe sie das Protokoll unterschreiben, da der Staatsanwalt wohl die Angelegenheit weiter verfolgen werde. Beide Zeugen erklären wiederholt, daß sie die Wahrheit gesagt und unterzeichnen das Protokoll.

Vertheidiger Rechtsanwalt Fleischhauer: Ist es wahr, daß der Vater des Ullenboom, als er bereits auf dem Sterbebette lag, sich den Zeugen Ullenboom und auch dessen Schwester Mathilde an’s Bett hat rufen lassen und ihnen gesagt hat: Ihr werdet in der Buschhoffschen Angelegenheit jedenfalls vor Gericht als Zeugen erscheinen müssen. Ich ermahne Euch, nicht von der Wahrheit abzuweichen. Ich kenne den Buschhoff sehr genau, der ist viel zu brav, als daß er im Stande wäre, eine solche That zu begehen? – Ullenboom: Das ist richtig. – Präs.: Haben Sie Ihrem Vater nun auf dem Sterbebett versprochen, nicht von der Wahrheit abzuweichen? – Zeuge: Jawohl. – Präs.: Haben Sie das auch gethan? – Zeuge: Jawohl. – Präs.: Sie sind nicht von der Wahrheit abgewichen? – Zeuge: Nein.

Klempnermeister Alois und Theodor Langenberg (Goch) bekunden übereinstimmend, daß Ullenboom 4 Jahre bei ihnen gearbeitet habe. Derselbe sei nicht unehrlich, er sei aber ein großer Schwätzer und Prahler gewesen.

Klempnermeister Degroth (Calcar): Ullenboom, der vor einigen Jahren bei ihm gearbeitet, habe seiner Schwägerin Geld gestohlen, er habe ihn deshalb entlassen.

Präs.: Ullenboom, was sagen Sie dazu?

Ullenboom: Ich habe allerdings einmal in einer schwachen Stunde Geld genommen, ich habe das Geld aber auf Heller und Pfennig zurückerstattet und bin auch noch weiter bei Degroth geblieben.

Frau Seegers, die alsdann als Zeugin erscheint, bestreitet auf Betragen des Präsidenten, daß Ullenboom ihr gegenüber geäußert habe: „Buschhoff ist der Mörder.“

Die Zeugin bekundet im Weiteren, daß sie am Peter-Paulstage Nachmittags gegen einviertel 3 zu Isaak gegangen sei, um dort Zeug zu kaufen. Siegmund Isaak sei zum Laden hereingekommen und wieder hinausgegangen. Sie sei alsdann in die Kirche und darauf wieder zu Isaak gegangen. Diese ihre Wahrnehmung habe Sie im vorigen Herbst der Frau Küppers mitgetheilt, und letztere habe sie gestern daran erinnert.

Steinmetz Bräuer bekundet: Am Abends des 29. Juni 1891 sei er ebenfalls in der Küppers’schen Scheune gewesen. Da es dunkel war – Küppers habe gesagt, des vielen Strohs wegen dürfe mit Licht nicht in die Scheune gegangen werden – so habe er wenig gesehen. Er habe gesagt: es komme ihm vor, als sei der Knabe dadurch zu Tode gekommen, daß die Kinder „Schweineschlachten“ gespielt haben. Siegmund Isaak, der sich auch in der Scheune befunden, habe trotz der Dunkelheit sehr bald eine Feile gefunden und gesagt: das ist ja ein scharfes Instrument, mit dem der Mord ausgeführt sein kann.

Die Sitzung wird hier gegen 8½ Uhr Abends auf morgen (Dienstag) Vormittags 9 Uhr verlegt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: vergannenen