Textdaten
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Autor: Heinrich Pröhle
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Titel: Der Königsstuhl bei Rhense
Untertitel:
aus: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten, S. 119–124
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Tonger & Greven
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Erscheinungsort: Berlin
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans eines Exemplares der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung Berlin, Signatur 19 H 104 auf Commons; E-Text nach Deutsche Märchen und Sagen
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Der Königsstuhl bei Rhense.

Auf dem linken Ufer des Rheines liegt die uralte Stadt Rhense zwischen Boppard und Koblenz. Wenig südlich von der Lahnmündung auf dem rechten Rheinufer liegt auf dem linken der Königsstuhl zwischen Rhense und Stolzenfels. Gegenüber auf der Burg Lahneck herrschte der Kurfürst von Mainz in voller Pracht. Auf der hohen Burg Stolzenfels thronte der Kurfürst von Trier. Die Burg zu Rhense gehörte dem Erzbischof von Köln. Auf dem rechten Ufer des Rheines südlich von Lahnstein und gegenüber den Städten Nassau und Ems befand sich auch noch die Marksburg, welche einem weltlichen Herrn, dem Kurfürsten von der Pfalz, gehörte. So war und blieb es denn ein Recht, welches wohl schon aus älteren Tagen als aus der Kurfürstenzeit herzuleiten sein möchte, daß auf dem Kurfürstenstuhl zu Rhense der deutsche Kaiser gewählt werden mußte.

Man hat sich zu denken, daß jene Wahlfürsten sich auf diesen nahe bei einander gelegenen Schlössern einfanden, wenn ein deutscher Kaiser gestorben war.

Dann gingen Boten hin und her zwischen den vier Schlössern, und schnelle Reiter jagten von jedem Schlosse zu den Fürsten, welche für die Kaiserwahl in Aussicht genommen waren. Wenn dann diese oft schwierigen und nicht selten unerfreulichen Verhandlungen zu Ende waren, so fand der Abschluß der Kaiserwahl zu Rhense statt.

[120] Man befand sich hier unter freiem Himmel. Allzulange Verhandlungen waren daher in der spätern Zeit hier gewiß nicht mehr zu erwarten. Die Hauptsache war wohl die Namensnennung des Kaisers vor dem Volke.

Dies alles war aber erst so Sitte geworden, als die alten Zeiten des deutschen Königstumes schon vorüber waren. Der Königstuhl ist älter als die vier Burgen, die ihn umgaben. Auch mögen die vier Burgen vielleicht früher in den Händen ehrenfester, aber schlichter Ritter gewesen sein, welche auf die Königswahl noch keinen Einfluß hatten. Diesen wurden sie wahrscheinlich in den Zeiten des Verfalles und des Handels mit Privilegien, der vor den Kaiserwahlen stattfand, von jenen Kurfürsten abgekauft. Der Stadt Rhense lag es seit alter Zeit ob, den Königstuhl zu erhalten. Sie genoß dafür bedeutende Freiheiten.

Der Königstuhl war aus rheinischem Tuffstein erbaut. Ein Pfeiler aus Tuffstein stand in der Mitte. Acht andere solche Pfeiler bildeten mit ihm eine Halle und trugen ein Gewölbe. Dieses Gewölbe erhob sich achtzehn rheinische Fuß über dem Boden. Oben im Freien war es platt. Eine einfache Brustwehr schützte den freien Raum.

Innerhalb der Brustwehr und doch unter freiem Himmel waren acht Sitze einfach aufgemauert. Sieben waren für die Wähler des Reiches bestimmt und der achte Sitz für den Kaiser.

Vor der Kaiserwahl wurden alle sieben Kurfürsten nach Rhense geladen. Drei von ihnen waren die Gäste jener vier Burgherren am Rhein. Ihr reiches Gefolge stand um den Königstuhl her. In weitem Kreise erfreute sich das Volk an dem Schauspiele.

Über dem Stuhle eines jeden Kurfürsten befand sich sein Wappenschild. Über dem einfachen Sitze des Kaisers erblickte man das Wappen des Reiches.

Trotz des Alters, welches den Wahlen auf dem Königstuhle zugeschrieben wird, wissen wir im einzelnen nur wenig über dieselben.

Nach dem Tode Heinrichs VII. wollten einige Friedrich von Österreich, andere Ludwig von Baiern wählen. Da bildete sich 1338 der Kurverein zu Rhense. Kaiser Ludwig tagte auch damals mit den Kurfürsten auf dem Königstuhle. Aber die Absicht, daß Ludwig zu Gunsten Karls von Böhmen dem Throne entsagen solle, wurde nicht erreicht.

[121] Da wurden von Böhmen aus die Kurfürsten abermals nach dem Königstuhle berufen. Karl IV. aus dem böhmischen oder luxemburgischen Hause wurde nun wirklich zum Kaiser erwählt. Dann aber wählte der Kurtag in Frankfurt am Main Günther von Schwarzburg.

Nach dessen Tode versammelte man sich wieder auf dem Königstuhl zu Rhense. Aber die eigentliche Wahl des Nachfolgers, des faulen Wenzel, fand in Frankfurt am Main statt. Gekrönt wurde er zu Aachen.

In einer Kapelle bei Lahnstein mußte Wenzel abgesetzt werden. Nach der Absetzung hörten die Kurfürsten eine feierliche Messe an, bestiegen den Königstuhl und wählten Ruprecht von der Pfalz zum deutschen Kaiser.

Sein Nachfolger wurde zu Frankfurt am Main erwählt. Er kam mit den Kurfürsten, welche ihn begleiteten, nach Rhense, bestieg den Königstuhl, leistete dem deutschen Reiche dort den Eid der Treue und begab sich von dort nach Aachen, wo er gekrönt wurde.

Dieser Schwur, welcher damals noch von einem deutschen Kaiser am Rhein gethan ward, ist vom deutschen Volke, von unserer Wacht am Rhein, gehalten worden. Auch haben die Rheinländer wohl noch mitunter den Königstuhl zu Rhense wie ein westfälisches Fehmgericht benutzt, um Recht zu schaffen. Aber die Kaiser waren dabei nicht mehr beteiligt.

Dennoch wußten die Franzosen 1688 sehr wohl, was sie thaten, als sie den Königstuhl zu Rhense von Grund aus zerstörten.

Zum Königstuhl zu Rhense gehörte ein Hof oder eine Burg, welche in alter Zeit von Königen bewohnt gewesen sein soll, in diesem Jahrhundert vom Volk aber nur noch die Wackelburg genannt ward. Sie gehörte in diesem Jahrhundert der Familie von Kügelgen. Aus dieser Familie wurde der Maler Gerhard von Kügelgen, dessen Vater ein Amt zu Bacharach verwaltete, am bekanntesten. Er hatte auch als berühmter Maler noch einige Zeit auf dem Königstuhl zu Rhense oder vielmehr auf der alten Wackelburg gewohnt. Was sein Leben besonders interessant macht und die höchste Teilnahme für ihn erweckt, war jedoch sein schauderhaftes Ende.

Gerhard von Kügelgen nahm später seinen Wohnsitz in Dresden und kaufte endlich von seinem Vermögen einen Weinberg in Loschwitz, den er auf rheinländische Art bewirtschaftete. In der altdeutschen Tracht, in welcher er einherging, war er eine ideale Erscheinung. So trat er eines [122] Abends nach der Arbeit in das Zimmer seines Sohnes Wilhelm, welcher sich unter seiner Leitung zum Maler ausbildete und einen Moses zeichnete. Er wollte seinen Sohn in der Arbeit nicht stören. Dieser aber wollte den Abend in der Singakademie zubringen. Aus diesem Grunde verzichtete Gerhard von Kügelgen für diesmal auf die Begleitung seines Sohnes und ging allein nach Loschwitz, um nach seinem Weinberge zu sehen. In der Singakademie übte Wilhelm von Kügelgen als Dilettant „die sieben Worte“ von Haydn mit ein.

Aufs tiefste wurde er aber diesmal von der Stelle ergriffen:

„Wenn wir mit dem Tode ringen
Und aus dem bedrängten Herzen
Heiße Seufzer zu Dir dringen:
Hilf uns, Mutter aller Schmerzen!“

Wilhelm von Kügelgen stellte sich den geliebten Vater, welcher nicht lange vorher katholisch geworden war, bei diesen Worten als mit dem Tode ringend vor. Er eilte in ein Nebenzimmer und brach dort, wie ein Freund bezeugte, in Thränen aus. Es war ihm, als hörte er aus dem Munde seines Vaters die Worte: „Hilf uns, Mutter aller Schmerzen!“

Als er am Abend in Dresden nach Hause kam, hätte er den Vater dort schon wieder vorfinden müssen. Der war indessen nicht anwesend. Wilhelm von Kügelgen lief nun sogleich durch die helle Mondennacht nach dem Weinberg bei Loschwitz. Hier schlief der Winzer bereits. Er sagte, daß Gerhard von Kügelgen zwar dagewesen sei, aber schon vor sieben Uhr den Rückweg angetreten habe.

Wilhelm von Kügelgen untersuchte nun, ob sein Vater vielleicht wegen Unwohlseins irgendwo eingekehrt sei. Aber weder im Linke’schen Bade noch sonst wo konnte man über ihn Auskunft geben. Er konnte nun nur noch in der Stadt einen Besuch gemacht haben. Aber auch jetzt fand ihn der Sohn noch nicht zu Hause.

Am andern Morgen wurde der Weg nach Loschwitz mit Hunden abgesucht. Auf halbem Wege nach dem Waldschlößchen stand plötzlich einer der Hunde. Da lag Gerhard von Kügelgen mit dem Gesicht in einer Ackerfurche, erschlagen und entkleidet.

Der Mörder war der Artillerist Kalthofen. Dieser stammte aus einer [123] braven ländlichen Arbeiterfamilie. Auch er selbst hatte bis dahin nicht in schlechtem Rufe gestanden. Aber immer mehr hatte er sich seinen Leidenschaften, besonders dem Spiele, hingegeben. So war er in Geldverlegenheit gekommen und im Dunkeln auf die Landstraße gegangen, um mit der größten Kaltblütigkeit den ersten besten Unbekannten mit einem Beile von hinten zu erschlagen.

So hatte er es bereits drei Monate vor der Ermordung Kügelgen’s, am 29. Dezember 1819, mit einem armen Handwerksburschen gemacht. Eine Spur von dem Thäter war noch nicht ermittelt. Da machte er es ebenso mit dem trefflichen Kügelgen, welcher ihm gleichfalls unbekannt war. Diesen hatte er dann etwa hundert Schritte seitwärs von der Chaussee in die Ackerfurche geschleppt und ausgeplündert.

Nur den Mantel des Ermordeten, mit einem Gebetbuche in der Tasche, fanden am andern Tage die Knaben in einem Steinhaufen.

An demselben Tage ließ der König von Sachsen eine Belohnung von tausend Thalern auf die Entdeckung des Mörders setzen. Dieser wurde denn auch am 24. April 1820 in Folge Verkaufs von Kleidungsstücken verhaftet und am 11. Juli 1821 hingerichtet.

Die Untersuchung war dadurch zu einer so langwierigen, das Publikum auf’s höchste spannenden geworden, daß schon drei Wochen vor der Verhaftung von Kalthofen ein anderer Artillerist, Fischer, für den Verkäufer von Kügelgen’s Uhr gehalten und deswegen verhaftet worden war. Zum Unglück war dieser letztere von schwachem Verstande und ängstlicher Gemütsart.

Durch die Verhöre verwirrt und im Gefängnisse sehr gedrängt, sagte Fischer schon am Tage nach seiner Verhaftung, er habe die Uhr gefunden.

Zwar widerrief er es sogleich, aber achtzehn Tage darauf bekannte er den Mord mit allen Einzelheiten. Zwei Tage später widerrief er, zwei Tage darauf gestand er nochmals, blieb dann aber standhaft und unerschütterlich bei dem Widerruf.

Nun mutmaßten aber leider die Juristen, daß der Mörder Kalthofen einen Helfershelfer gehabt habe. Dieser gab daher endlich ganz im Widerspruche mit seinen früheren Aussagen am 15. November 1820 den armen Fischer als Mitschuldigen an.

Leider blieb Kalthofen bei dieser Aussage bis an sein Ende. Nach [124] feierlicher Absolution und Einsegnung durch einen Geistlichen rief er sogar noch vom Schaffot herab: „Meine Herrschaften, Fischer hat dieselbe Strafe verdient, die ich jetzt erleide!“

So war das Ende eines der letzten Eigentümer der alten Wackelburg und des Königstuhles zu Rhense mit Lüge und Mord befleckt.

Ungefähr um dieselbe Zeit, da Kügelgen ermordet wurde, oder etwas später, wurde der alte Königstuhl zu Rhense im rein geschichtlichen Interesse als Denkmal der deutschen Vergangenheit wieder aufgebaut. Mehrere Überbleibsel des wirklichen Königstuhles, die von einigen Bewohnern der Umgegend aufbewahrt waren, konnten dabei noch architektonisch verwendet werden.