Der Holländer und die Wirthin

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Titel: Der Holländer und die Wirthin
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aus: Clausthalischer allgemeiner Harz-Berg-Calender auf das Jahr 1805
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Erscheinungsdatum: 1804
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Erscheinungsort: Clausthal
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Der Holländer und die Wirthinn


     In der kleinen Kreisstadt Orianienbaum lebte eine Frau von neunzig Jahren, aus Hollstein gebürtig. Ein kleines Häuschen ar ihr ganzer Besitz, und der Besuch einiger Schiffer, die auf dem festen Lande günstigen Wind abwarteten, ihr ganzer Erwerb.

     Einstmals, da mehrere holländische Schiffer bey ihr des Abends gegessen hatten, fand sie beym Aufräumen einen versiegelten Beutel mit Geld unter dem Tische. Ihre Bestürzung über diesen unerwarteten Fund, war natürlich sehr groß; es mußte jemand aus der eben abgereis’ten Gesellschaft den Beutel vergessen haben: aber die Schiffer waren in See, der Wind günstig und an keine Rückkehr der Schiffer zu denken. Die gute Frau legte den Beutel in ihren Schrank wo er so lange ruhen sollte, bis sich sein Besitzer melden würde. Doch, diese meldete sich nicht. Sieben Jahre hindurch bewahrte sie aufs sorgfältigste ihr Unterpfand, ob sie gleich oft versucht wurde, vorzüglich durch drückenden Mangel in welchem sie zuweilen versetzt wurde, den Beutel zu öffnen und von dem Gelde Gebrauch zu machen. Doch ihre Ehrlichkeit siegte bey jeder Versuchung, und auch selbst bey der größten Dürftigkeit, worinnen sie mehrmals lebte, blieb das Geschenk des Zufalls unberührt.

     Nach sieben Jahren bewirthete sie abermals einige Schiffer. Drey unter ihnen waren Engländer, der vierte ein Holländer. Unter andern Gesprächen fragten jene den letztern, ob er schon einmal in Oranienbaum gewesen sey. – „Was sollt ich nicht!“ war die Antwort.[WS 1][WS 2]Ich kenne das verdammte Nest nur zu gut. Es hat mir siebenhundert Rubel gekostet.“ – „[WS 3]Wie das?“[WS 4] – „Ja ich habe in der Dunkelheit einmal in einer hiesigen Schenke einen Beutel Silbermünzen liegen lassen.“ – „War der Beutel versiegelt?“ fragte die Wirthinn, die in einer Ecke der Stube saß, und durch diese Erzählung aufmerksam gemacht wurde. – „Ja wohl! da, ich trage das Pettschaft noch bey mir, womit er zugesiegelt war.“ – Die Frau erkannte das nehmliche Siegel. – „Nun, (sagte sie,) so kann sichs wohl noch einmal wieder finden, was er verloren hat.“ – „Ja, wieder finden, Mutter! Da müßte ich nicht so alt geworden seyn, wenn ich das hoffen könnte. Nein, so ehrlich ist die Welt nicht mehr! Bedenkt einmal sieben Jahr ists her! – Wollt ich doch das der verdammte Beutel bey allen – war! Hat mir ganz meinen guten Humor verdorben. Noch ein Glas Punsch, Mutter!“

     Während die vier Herren beschäftigt waren, das Andenken an diesen verdrüßlichen Vorfall in Punsch zu ertränken, hatte sich das Mütterchen hinausgeschlichen, und kam jetzt mit ihrem Beutel mühsam herbey. – „Sieht er, daß die Ehrlichkeit nicht so rar ist, als er glaubt?“ sagte sie, und setzte den Beutel auf dem Tisch.

     Das sprachlose Erstaunen der Gäste, und bey wiederkehrendem Bewußtseyn ihre verschiedenen Ausbrüche von Dankbarkeit und Beyfall, mögen meine Leser sich denken.

     In keiner Seele giengen so große Bewegungen vor, als in der des Holländers. Von der höchsten Überzeugung seines Verlustes bis zur höchsten Gewissheit des wiedererlangten. Besitzes – der Sprung war zu groß, um nicht alle Fibern seines pflegmatischen Körpers in Erschütterung zu setzen. – Ein Blick auf die ehrliche Frau, der er dieß frohe Entzücken verdankte, brachte ihn wieder zu sich selbst. Ein plötzlicher Anstoß von Großmuth bemächtigte sich seiner, und alle andern Empfindungen wichen ehrerbietig zurück. Er griff in den Beutel, nahm Einen Rubel heraus, und legte ihn mit einer zierlichen [32] Danksagung für gehabte Bemühung auf den Tisch.

     Ein Erstaunen jagte das andere. Die Zuschauer verstummten.

     „God dam“ (sagte endlich Einer der Engländer, und schlug mit der Faust auf den Tisch) „den Beutel da, Bruder, wirst du doch nicht auf dich behalten wollen? Der gehört, hol mich und straf mich – der Frau.“ – Die übrigen beyden Engländer, die bisher stumm gesessen hatten, gaben dieser Bill mit dem kräftigen Ungestüm ihren Beyfall. Der Holländer erblaßte, und suchte Trost in den vielfältigen Betheuerungen der Wirthinn, daß sie gar nichts verlange; daß sie nur ihre Schuldigkeit gethan zu haben glaube, und daß er so gar keinen Rubel zurück nehmen müsse. Doch; so leicht wollten die Briten die Segel nicht streichen. Das Gespräch ward hitziger, die God dams foglten sich schneller, und die Fäuste der Engländer schickten sich an, dem Streite ein Ende zu machen. Der Holländer suchte indessen den Beutel mit Geld in seine Gewahrsam zu bringen.

     Nach langen Streiten, und weil er keine Möglichkeit sah, hier zu entkommen, ließ er sich zu funfzig Rubeln willig finden. Die Britten bestanden auf hundert. Dieser Vorschlag schien den Holländer so unbillig, daß er erklärte, sich eher dem ganzen Gewichte ihrer Fäuste preis geben zu wollen.

     „Halt Kinder!“ rief der Engländer, der vorhin den ersten Angriff auf die Großmuth des Holländers gethan hatte, seinen Landsleuten zu: „Einen Vorschlag zur Güte! Der Beutel da ist nicht Euer, aber ihr seyd Britten, und die Frau hier hat, bey Gott! brav gehandelt und muß belohnt werden. Hurtig die Hände in den Sack! Wir werfen die hundert Rubel zusammen.“

     Gesagt, gethan. Der Holländer, durch diesen Schlag betäubt, hatte noch nicht Zeit gehabt, sich zu fassen, als schon die hundert Rubel wohlgezählt auf dem Tische lagen.

     Das war eine Nationalfehde! Wo menschliches Gefühl, Dankbarkeit, Großmuth und englische Fäuste vergebliche Angriffe versucht hatten, da siegte – Nationalstolz! Der Holländer drang nunmehr darauf, daß die Britten ihr Geld zurück nehmen mußten, und trennte sich mit stoischer Gelassenheit von hundert geliebten, lange bejammerten und kaum wiedergefundenen Rubeln!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Anführungszeichen entfernt
  2. Anführungszeichen eingefügt
  3. Anführungszeichen eingefügt
  4. Anführungszeichen eingefügt