Der Hausfriedensbruch
Der Hausfriedensbruch.
Unkenntniß des Gesetzes schützt vor Strafe nicht,“ so heißt ein in der Rechtspflege geltender Grundsatz. So nothwendig derselbe ist, weil ohne ihn das Gesetz selbst häufig seine Wirkung versagte, so hat er doch schon oft auch zu der Härte geführt, daß Menschen zu Strafe verurtheilt werden mußten wegen Handlungen, von deren Strafbarkeit sie keine Kenntniß hatten.
Freilich sind die meisten strafbaren Handlungen ihrem Wesen nach auch dem gemeinen Mann bekannt. Ein jeder weiß, wenn auch nicht mit juristischer, so doch wenigstens mit einer für das praktische Leben genügenden Bestimmtheit, was Mord, Körperverletzung, Meineid, Diebstahl, Beleidigung, Fahnenflucht ist. Ein jeder hat das Wesen solcher Vergehen, sei es im Religionsunterrichte, sei es im täglichen Leben, sei es auch beim Militärdienste oder in anderen besonderen Lebenslagen, genügend kennen gelernt. Auch sagt ihm bei den meisten Vergehen schon das natürliche Gefühl, daß sie etwas Unerlaubtes und Strafbares sind.
Aber es giebt auch strafbare Handlungen, über deren Wesen sehr unbestimmte und falsche Vorstellungen im Volke, selbst bei gebildeten Leuten herrschen. Eine solche strafbare Handlung ist z. B. der Hausfriedensbruch (§ 123 des deutschen Reichsstrafgesetzbuchs).
„Was ist Hausfriedensbruch?“ wird sich mancher schon gefragt haben. Der Name erklärt die Sache wenig und kann sogar zu Mißdeutungen Anlaß geben.
Der § 123 sagt: „Wer in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitzthum eines anderen oder in abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienst bestimmt sind, widerrechtlich eindringt, oder wer, wenn er ohne Befugniß darin verweilt, auf die Aufforderung des Berechtigten sich nicht entfernt, wird wegen Hausfriedensbruches mit Gefängniß bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark bestraft.
Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein.
Ist die Handlung von einer mit Waffen versehenen Person oder von mehreren gemeinschaftlich begangen worden, so tritt Gefängnißstrafe von einer Woche bis zu einem Jahre ein.“
Es sind nach diesem Paragraphen also vier Arten von Räumlichkeiten mit dem „Hausrecht“ ausgestattet: 1. die Wohnung, 2. die Geschäftsräume, 3. alles „befriedete Besitzthum“, 4. abgeschlossene, zum öffentlichen Dienste bestimmte Räume.
Vor allem ist also die Wohnung geschützt. Diese braucht durchaus kein Haus zu sein, wie man aus der Bezeichuung „Hausfriedensbruch“ schließen könnte. Sie kann eine Bretterhütte, ein Stall, ja eine Höhle sein, wofern nur diese Räume jemand zur Wohnung, d. h. zum beständigen Aufenthalte dienen. Auch gehört nicht zum Begriff der Wohnung die Unbeweglichkeit. Das Schiff, die Wagen und Buden der Marktkrämer, der Karren, in welchem der Schäfer zu schlafen pflegt, sind, wenn auch bewegliche Gegenstände, doch Wohnungen im Sinne des Gesetzes, und das unberechtigte Eindringen in dieselben ist daher Hausfriedensbruch.
Es ist auch nicht nothwendig, daß die Wohnung das Eigenthum des Bewohners sei. Der Paragraph schützt nicht das Eigenthum, sondern das „Hausrecht“, der Hausfriedensbruch befindet sich im Strafgesetzbuche daher nicht unter den Vergehen gegen das Eigenthum, sondern unter denen gegen die öffentliche Ordnung. Die Wohnung des Miethers ist daher auch befriedet. Selbst der Eigenthümer darf in dieselbe nicht ohne weiteres eindringen. Auch der Begriff „Geschäftsräume“ ist im weitesten Sinne zu nehmen. Geschäftsräume sind nicht allein der ständige Ladenraum und das Comptoir, sondern auch die bewegliche Bude, das Kirmeßzelt, das Karussell, selbst der durch ein Seil oder durch Pfähle abgeschlossene oder sonst in erkennbarer Weise abgegrenzte Raum, in welchem etwa ein Seilkünstler seine Geschäfte treibt. Geschäftsraum ist auch die Steinhauerhütte in Steinbrüchen, wo Geschäfte abgeschlossen werden. Ja, wie das Reichsgericht entschieden hat, selbst der Karren des Bauern wird, wenn dieser von demselben aus auf dem Markte seine landwirthschaftlichen Erzeugnisse verkauft oder anbietet, dadurch aus einem einfachen Beförderungsmittel in einen „Geschäftsraum“ verwandelt, und jeder Landmann, Metzger, Bäcker etc. genießt daher für sein Fuhrwerk das Hausrecht, wenn und solange er dasselbe etwa durch Ausrufen oder stillschweigend durch Ausbieten der in demselben befindlichen Waaren zum „Geschäftsraum“ erhebt.
Mit dem Ausdrucke „befriedetes Besitzthum“ meint der Paragraph den Hofraum, den Garten, den Vorplatz, den Hausflur und die Gebäulichkeiten, die zu einem Hause gehören, häuslichen Zwecken dienen und so naturgemäß eines besonderen Schutzes bedürfen. Daß ein Grundstück diesen Zwecken dient, kann es nicht nur durch eine Umzäunung, sondern auch durch die bloße Lage, die Benutzung, die Bewirthschaftung verrathen.
Nachdem nun der Paragraph alles „befriedete Besitzthum“ mit Hausrecht versehen hat, ist die Benennung der vierten Art von Räumlichkeiten, die „abgeschlossenen Räume, welche zum öffentlichen Dienste bestimmt sind“, im Grunde genommen überflüssig. Denn diese, wie Schulen, Kirchen, Postgebäude, Bahnsteige und auch wohl die Wartesäle der Bahnhöfe, sind doch auch „befriedetes Besitzthum“. Wenn daher diese Worte des Paragraphen überhaupt einer Deutung fähig sind, so wäre es die, daß, wenn einmal ein Stück Feld oder ein öffentlicher Platz, eine Straße etc., also Gebiete, die sonst nicht mit Hausrecht versehen sind, etwa bei Militärappellen u. dergl. abgesperrt werden, die Nichtachtung dieser Absperrung als Hausfriedensbruch zu betrachten sein solle. Doch hat das Gesetz dies wohl nicht sagen, es hat vielmehr wahrscheinlich nur eine besondere Art des „befriedeten Besitzthums“ oder der „Geschäftsräume“ noch einmal besonders hervorheben wollen.
Was ist nun „Eindringen“? Das Eindringen erfordert durchaus keine Gewalt gegen Personen oder Sachen. Man braucht, um „einzudringen“, weder die ihr Hausrecht vertheidigenden Personen zurückzudrängen, noch etwa eine Thür zu erbrechen oder aufzustoßen. Wer vielmehr gegen den erklärten Willen des Berechtigten dessen befriedetes Besitzthum betritt, der „dringt ein“. Der Bettler, der trotz meines besonderen mündlichen oder auf einem sichtbaren Plakate niedergeschriebenen ihm bekannten Verbotes mein Haus betritt, macht sich des Hausfriedensbruches schuldig, wenn ihm auch niemand persönlich den Eingang durch Gewalt wehrt, und wenn auch alle Thüren des Hauses offen stehen. Es genügt der Wille, das Hausrecht nicht zu achten. Auch ist es gleichgültig, wie weit er eindringt, das „Betreten“ des befriedeten Besitzthums genügt. Er braucht daher z. B. nur trotz meines Verbotes auf der Schwelle stehen zu bleiben, um sich des Hausfriedensbruches schuldig zu machen.
Das Eindringen muß nun ein „widerrechtliches“ sein.
Die Erklärung der Widerrechtlichkeit ist die Hauptschwierigkeit des Paragraphen. Ob jemand ein Recht habe, die Wohnung [249] eines anderen auch gegen dessen Willen zu betreten, kann der Nichtjurist oft schwer beurtheilen, weil ihm die Bestimmungen der Gesetze, welche dieses Recht betreffen, nicht geläufig sind. Unter ganz besonderen Umständen wird allerdings der Richter so urtheilen können: „Das Eindringen des Angeklagten war objektiv widerrechtlich, aber es hat dem Thäter subjektiv das Bewußtsein dieser Widerrechtlichkeit (der dolus des Hausfriedensbruchs) gefehlt, und er ist deshalb freizusprechen.“ Aber in der Regel wird dieses mangelnde Bewußtsein nicht schlechterdings und allein daraus hergeleitet werden können, daß der Thäter sich in Unkenntniß über die einschlagenden Gesetze befunden habe.
Einige Andeutungen zur Erklärung des Begriffs der Widerrechtlichkeit des Eindringens mögen daher, wenn sie auch nicht alle Fälle erschöpfen, doch am Platze sein.
Vorab ist zu bemerken, daß der Zweck des Eindringens kein widerrechtlicher zu sein braucht. Nicht nur, wer in ein Haus eindringt, um die Bewohner zu mißhandeln oder zu beleidigen, oder um Sachen zu beschädigen oder zu stehlen, sondern auch der Vermiether, der ein wirkliches Pfandrecht an Möbeln des Miethers ausüben oder der die Wohnung einem Nachmiether zeigen will, ferner derjenige, welcher einen Besuch machen oder einen Schuldner mahnen will u. dergl., dringt, wenn ihm der Eintritt verwehrt wird, widerrechtlich ein, obgleich sein Zweck ein an und für sich erlaubter ist. Man hat bei den höchsten Gerichten sogar gesagt: „Das Hausrecht ist ein so unverletzliches und weitgehendes Recht, daß gegen den Willen des Berechtigten nur die Obrigkeit in Vollziehung ihres Amtes eindringen darf also z. B. der Gerichtsvollzieher zur Vornahme einer Pfändung oder zur Ausweisung des Miethers kraft eines vollstreckbaren Titels oder das Gericht oder die Polizei zur Vornahme einer gesetzmäßigen Haussuchung oder zur Ergreifung eines Verbrechers u. dergl.“ Also jeder Privatmann soll, wenn ihm der Inhaber eines befriedeten Besitzthums den Eintritt ohne Grund verwehrt, klagen müssen. Die Unterscheidungen, welche die Gerichte in solchen Fällen machen, sind nicht immer für jeden verständlich. Daher ist nach dem Grundsatze: „Vorsicht ist die Mutter der Weisheit“ die Hilfe des Richters oder des Gerichtsvollziehers der Selbsthilfe vorzuziehen. [250] Letztere bleibt für den Vermiether, dem der Miether den Eintritt in die Wohnung verwehrt, selbst dann etwas Gewagtes, wenn er sich im Miethvertrage das Recht vorbehalten hat, die Miethsräume zu bestimmten Zwecken zu betreten.
Als ein interessanter Fall sei hier noch der erwähnt, wo das Eindringen in eine Wohnung zum Zwecke der Löschung eines Brandes geschieht. Dasselbe wird als nicht widerrechtlich angesehen, auch wenn der Inhaber, der etwa selbst den Brand angelegt haben mag, den Hilfsbereiten zum Weggehen auffordert; denn bei solchen gemeingefährlichen Unglücksfällen wie Brand und Wassersnoth ist ein jeder Staatsbürger zur Hilfeleistung verpflichtet und daher auch berechtigt. Ein jeder ist bei Brandunglück Feuerwehrmann, und solange ein solcher wirklich sich in seinem Berufe befindet, muß ihm gegenüber, wenn die Gefahr nicht anders bekämpft werden kann, die Rücksicht auf Privatrechte weichen.
Im allgemeinen aber halte man fest: widerrechtlich kann ein Eindringen auch dann sein, wenn das Verbot des Inhabers der Räumlichkeit, diese zu betreten, gänzlich unberechtigt ist. Es ist eben die unerlaubte Selbsthilfe, welche das Eindringen zu einem widerrechtlichen macht.
Was heißen ferner die Worte: „Wer, wenn er ohne Befugniß darin verweilt, sich auf die Aufforderung des Berechtigten nicht entfernt“?
Man kann eine Wohnung rechtmäßigerweise betreten haben, das Verweilen in derselben kann aber in der Folge zu einem unberechtigten werden.
Der Gerichtsvollzieher oder ein anderer Beamter, der in rechtmäßiger Ausübung seines Amtes ein Haus betritt, hat, wenn seine amtliche Thätigkeit beendet ist, auf ferneres Verweilen keinen Anspruch. Der Privatmann, der mit der Erlaubniß des Inhabers eine Wohnung betreten hat, muß sich gleichfalls auf dessen Geheiß entfernen. Das fernere Verweilen ist also in diesen Fällen „unbefugt“.
Daher ist auch die weit verbreitete Ansicht falsch, als sei eine dreimalige Aufforderung an den Verweilenden, sich zu entfernen, erforderlich, es genügt vielmehr eine einmalige Aufforderung. Freilich ist schon so entschieden worden: „Wer mit der Erlaubniß des Inhabers verweilt, verweilt ‚befugt‘, und es muß daher die erste Aufforderung an ihn ergehen, um sein Verweilen zu einem unbefugten zu machen, und die zweite Aufforderung ist dann erst die, von welcher der Paragraph spricht.“
Andere aber urtheilen strenger und richtiger: „Ein jeder, der in einem Lokale nur geduldet wird, verweilt ‚unbefugt‘ in demselben, denn unbefugt heißt so viel als ‚nur geduldet‘, ohne einen auch gegen den Inhaber wirksamen Anspruch.“
Falsch ist auch die volksthümliche Auffassung, als müsse die Aufforderung ausdrücklich, oder gar mit bestimmten Worten geschehen. Sie kann vielmehr in jeder erkennbaren Weise, sei es durch beliebige Worte, sei es auch durch Handlungen, gültig ergehen. Das aber ist nothwendig, daß sie ernsthaft gemeint und als ernsthaft erkennbar sei. Wenn der Aufgeforderte sie nicht für ernst hält, so zeigt er durch sein Verweilen auch nicht die Absicht, das Hausrecht zu verletzen; aber er wird oft Mühe haben, das Gericht zu überzeugen, daß er die Aufforderung wirklich für Scherz gehalten hat, wenn nicht besondere Umstände für ihn sprechen. –
Wir sagten eben, unbefugt ist jedes nur geduldete Verweilen; daher ist das Verweilen des Dienstboten noch kein unbefugtes, wenn er plötzlich, ohne daß er durch grobe Vergehen u. dgl. Anlaß dazu gegeben hat, ohne Kündigung aus dem Hause gewiesen wird; denn er wird nicht bloß im Hause geduldet, sondern hat einen Anspruch darauf, während der gesetzlichen Kündigungsfrist, wie sie die Gesindeordnung vorschreibt, im Hause zu bleiben, falls eben nicht Thatsachen vorliegen, bei welchen nach der Gesindeordnung eine sofortige Entlassung ohne Kündigungsfrist erlaubt ist, oder falls er nicht auf die Einhaltung dieser Frist selbst verzichtet hat.
Wer ist nun berechtigt, eine solche Aufforderung zu erlassen?
Berechtigt ist vor allem nur der wirkliche und gesetzlich als solcher betrachtete Inhaber der Wohnung etc., und er ist es nur demjenigen gegenüber, der dieselbe rechtlich nicht innehat.
Wenn also der Miether nach Ablauf des Miethvertrages die Wohnung trotz der Aufforderung des Vermiethers nicht verläßt, so macht er sich noch keines Hausfriedensbruches schuldig, denn der Vermiether ist ja noch nicht wieder im Besitze der Wohnung, sondern will sich noch erst in den Besitz derselben setzen, der Miether aber kann, wenn er nicht freiwillig geht, erst durch den Gerichtsvollzieher aus dem Besitze gesetzt werden. –
Die Frage, wer unbefugt verweilt und wer zur Aufforderung berechtigt ist, kommt auch in dem Falle in Betracht, wenn ein Wirth einem Verein, einer geschlossenen Gesellschaft, einer Religionsgesellschaft, einer Theatertruppe, einer Hochzeitsgesellschaft, einem Gemeinderath etc. sein Lokal für eine gewisse Zeit allein und ausschließlich überläßt. Dritten gegenüber ist der Vorstand dieses Vereins etc. natürlich berechtigt, die Aufforderung, sich zu entfernen, zu erlassen. Ob er aber auch den Wirth oder die von demselben zum Verweilen in dem überlassenen Raum Ermächtigten hinaus weisen kann, hängt von dem Vertrage ab. Meistens liefert der Wirth Heizung, Beleuchtung, Speisen und Getränke, meist behält er ja auch eine Verantwortlichkeit für das, was in dem Lokale vorgeht, selten wird er sich des Aufsichtsrechts in demselben vollständig begeben, und so kann er es auch betreten, jedenfalls zu den angegebenen Zwecken. Möglich aber ist es auch, wie z. B. bei der Ueberlassung an eine Religionsgesellschaft zum Zwecke religiöser Uebung oder an einen Gemeinderath, daß er sich des Lokals für eine bestimmte Zeit ganz begiebt, und dann steht er allerdings zu dem Inhaber desselben in demselben Verhältniß wie der Vermiether zum Miether. Solche Verhältnisse lassen sich, wenn auch nach allgemeinen Grundsätzen, so doch nur nach den Umständen des Falles entscheiden, die zu mannigfaltig sind, als daß sie im voraus erschöpft werden könnten.
Nicht aber der Inhaber allein für seine Person, sondern auch in seiner Abwesenheit ein jeder, der von ihm beauftragt ist oder im Interesse der öffentlichen Ordnung als beauftragt gelten muß, wie die Ehefrau, die erwachsenen oder handlungsfähigen Kinder, das Gesinde und sonstiges Personal, ist berechtigt, dritte, die unbefugt verweilen, zur Entfernung aufzufordern. Auch der Beamte übt und wahrt in seiner Amtsstube das Hausrecht desjenigen, der ihn angestellt hat.
Nun bleibt noch zu erklären, was es heißt, „sich entfernen“.
Es ist klar, ein verzögertes Entfernen ist noch kein Nichtentfernen. Es mag vorkommen, daß ein zum Gehen Aufgeforderter nachträglich sich entschuldigen, um Verzeihung bitten oder daß er ein Mißverständniß aufklären will, welches die Aufforderung veranlaßt hat. Wenn das wirklich der Fall ist, so mag es sein, daß er durch sein Verweilen nicht das Hausrecht verletzen, daß er vielmehr der Aufforderung Folge leisten will, wenn er sich auch langsam oder erst nach einiger Zeit entfernt. Aber vorsichtiger ist es jedenfalls, sofort zu gehen, denn der Richter mißt nicht allen Entschuldigungen des Angeklagten Glauben bei.
Unrichtig ist auch die Meinung, ein zum Verlassen des Lokals vom Wirthe aufgeforderter Gast dürfe das Bestellte und Erhaltene erst verzehren, bis er sich zu entfernen braucht. Er könnte das Verzehren so langsam betreiben, daß das Hausrecht eines Wirths dadurch vereitelt würde. Der Gast muß sofort gehen und kann höchstens vom Wirthe die Nachlieferung und Aushändigung des Bezahlten verlangen. Endlich sei noch bemerkt, daß der Gast durchaus keinen Anlaß zu der Aufforderung gegeben zu haben braucht. Das Hausrecht des Wirths oder sonstigen Inhabers eines öffentlichen Lokales geht so weit, daß er jeden aus der Gaststube weisen kann. Doch glaube man nur nicht, daß der Wirth das Recht habe, den Gast ungestraft zu beleidigen. Er darf alles, was zur Wahrung seines Hausrechts nöthig ist, aber auch nur dieses thun. Eine Aufforderung also, die in beleidigender Weise oder ohne triftigen Grund an einen anständigen Gast erginge, könnte den Wirth wegen Beleidigung strafbarer machen als den Gast, der dieser Aufforderung nicht Folge leistet.
Wir haben nun den Paragraphen Wort für Wort erklärt. Man muß aber bei der Erklärung eines Gesetzes auch den Sinn und den Zweck desselben im ganzen ins Auge fassen.
Der Zweck des § 123 ist nun der, das Hausrecht zu schützen. Erst wenn man sich diesen Zweck klar macht und sich nicht blind an den Wortlaut hält, kann man ihn auf alle Fälle richtig anwenden.
Wenn z. B. ein Wirth seine Gäste bei Eintritt der Polizeistunde auffordert, das Lokal zu verlassen, so machen sich diese durch Nichtbeachtung dieser Aufforderung noch nicht eines Hausfriedensbruches schuldig; denn der Wirth macht ja noch nicht von seinem Hausrechte Gebrauch, sondern erfüllt nur, vielleicht sogar [251] ungern, eine ihm obliegende polizeiliche Pflicht. Allerdings kann ein Wirth eine solche Aufforderung in Ausübung seines Hausrechts erlassen, wenn ihm z. B. die späten Gäste unbequem sind, oder er wirklich das Lokal zu schließen wünscht. Wenn er diese Absicht, von seinem Hausrechte Gebrauch zu machen, in erkennbarer Weise, etwa durch den Ernst der Aufforderung oder in anderer Weise, kundgiebt, so begehen die trotzdem verbleibenden Gäste, wenn sie diese Absicht erkannt haben, allerdings einen Hausfriedensbruch. Im anderen Falle, wenn der Wirth bloß seiner Pflicht nachkommen wollte, sind die Gäste nur nach § 365, I des Strafgesetzbuches strafbar, und zwar heißt ihre That alsdann „Verweilen über Polizeistunde“ und wird mit höchstens 15 Mark Geldstrafe belegt.
Wie der § 123 weiter sagt, gehört der Hausfriedensbruch zu den „Antragsvergehen“, das heißt die Verfolgung dessen, der den Hausfrieden gebrochen, tritt nur ein auf Antrag desjenigen, dessen Hausfrieden gebrochen wurde. Der einmal gestellte Antrag kann nicht zurückgenommen werden. Man stelle ihn daher nur nach reiflicher Ueberlegung, denn gerade solche unwiderrufliche Anträge haben schon manchen, der „vorgethan und nachbedacht“ gereut. Auch kann der Strafantrag nicht getheilt werden. Ist er gegen einen Thäter gestellt, so verfolgt die Staatsanwaltschaft von Amts wegen, auch gegen den Willen des Antragstellers, alle Theilnehmer an der That, also auch etwa mit in die Sache verwickelte Freunde und Verwandte des Antragstellers, die zu verfolgen vielleicht gar nicht in dessen Absicht lag.
Der Hausfriedensbruch, den wir bisher besprochen haben, ist der sogenannte „einfache Hausfriedensbruch“. Geschieht er unter erschwerenden Umständen, so heißt er „qualifizierter Hausfriedensbruch“. So bedroht der Schluß des § 123 den Hausfriedensbruch, der von einer mit Waffen versehenen Person oder von mehreren gemeinschaftlich begangen ist, mit Gefängniß von einer Woche bis zu einem Jahre, ohne daß auf einfache Geldstrafe erkannt werden kann, der § 124 in dem Falle, daß sich eine Menschenmenge öffentlich zusammenrottet und in der Absicht, Gewaltthätigkeiten gegen Personen oder Sachen zu begehen, in befriedete Räume eindringt, einen jeden, der an diesen Handlungen theilnimmt, mit Gefängniß von einem Monate bis zu zwei Jahren, endlich der § 342 den Hausfriedensbruch, den ein Beamter im Dienste begeht, mit Gefängniß bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu 900 Mark.
Bei allen diesen schweren Arten des Hausfriedensbruches ist kein Antrag erforderlich, der Staatsanwalt verfolgt die That von Amts wegen.
Nun noch eine Schlußbetrachtung:
Das Hausrecht ist ein altes, heiliges, seit undenklicher Zeit im Volksbewußtsein lebendes Recht. Das alte deutsche Recht kannte noch einen besonderen Kirchen- und Burgfrieden, dessen Verletzung es härter ahndete als die des einfachen Hausfriedens. Die Störung religiöser Andacht wird auch jetzt noch besonders bestraft, den Burgfrieden aber kennen wir nicht mehr. Hütte und Burg genießen jetzt denselben Schutz gemäß dem alten Wort: „Mein Heim ist mein Schloß.“
Wie heilig aber der alte Germane, gastfreundlich und keusch, trotz seiner sonstigen Neigung zu Fehde und Gewalt, das Hausrecht hielt, sehen wir daran, daß seine alten Rechte andere Verbrechen, wie Todtschlag, Diebstahl, Ehebruch, härter bestraften, wenn sie im eigenen Hause des Verletzten geschehen waren. In schöner Weise sagt ein altes nordisches Recht, das „Gulathing“:
„Das ist auch eine unsühnbare That, wenn jemand einen Mann innerhalb seiner Pfähle erschlägt, oder des Hofes draußen, oder innerhalb des Zaunes, welcher Feld und Anger umgiebt, neben seinem Hause – außer wenn er es thut, um sich zu wehren.“ Justus.