Textdaten
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Autor: Dr. L.
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Titel: Der Hagel
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 339–340
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[339]

Der Hagel.

Zu den Erscheinungen in unserer Atmosphäre, welche trotz ihres häufigeren Vorkommens noch nicht hinreichend erklärt sind, gehört auch der Hagel. Wer kennt nicht jene verschieden großen, oft aber sehr umfänglichen Eisstückchen, welche meist nach schwülen Tagen aus eigenthümlichen grauen Wolken oft unter heftigem Sturm und furchtbarsten elektrischen Erscheinungen gewaltsam zur Erde geschleudert werden, und in ihren verwüstenden Folgen namentlich der Schrecken des fleißigen Landmannes sind? Man erzählt – und Mancher wohl hat sie selbst gesehen – von Hagelsteinen von ungemeiner Größe, nicht blos Lothe, Viertel- und halbe Pfunde, sondern selbst mehrere Pfunde schwer, die weniger selbstständige gebildete Körper als vielmehr die Trümmer einer durch plötzliche Gewalt zerbrochene Eismasse zu sein scheinen; über weite Landstriche gehende Verheerungen in Flur und Feld durch Hagelwetter sind nicht gar selten. Wer auch nur einigermaßen die wechselnden Vorgänge in unserem Luftkreise beobachtet, kennt in der Regel an Gestalt und Farbe der Wolken gerade dieses drohende Unwetter; in schwüler Sommerszeit wird man häufig den Landmann die besorgten Blicke nach dem mehr und mehr sich umwölkenden, von schweren, bleifarbenen Wolken verdüsterten Himmel richten sehen.

Kennen wir sohin nur zu gut die manchmal schrecklichen Wirkungen der Hagelgewitter und zeigt uns schon das Auge, daß hierbei eine Eisbildung in dem Dunstkreise vorgegangen, indem das Wasser desselben, das bisher in der Form von Dunstbläschen oder Regentropfen in ihm vorhanden war, mehr oder weniger schnell unter dem Einflusse einer niedrigen Temperatur gefriert, – so ist uns damit doch diese niedrige Temperatur selbst im heißen Sommer, in nicht allzugroßer Höhe und ihre Entstehung noch keineswegs klar. Nehmen wir die Eiskörperchen einmal als gebildet an, so begreifen wir, daß eine Entladung zweier über einander stehender Gewitterwolken durch hörbares, vom Winde gefördertes Zusammenstürzen solcher gehäuften Eiskörperchen der obern Wolke sie als Hagel zu Boden fallen läßt, wobei sie auf ihrem Wege das Wasser der untern Wolke mit sich fortreißen, dadurch wachsen, und so, wenn die erstere Wolke hoch gestanden, auch beträchtlich dick gewesen, unten nicht selten als schwere Eismassen ankommen. Einige leiten die Entstehung des Hagels von der Kälte ab, die werde, wenn sich die Luft in jene dampferfüllten Räume ergieße, welche die zertrümmerten Dunstbläschen öffnen.

Eine andere Erklärung Blanchet’s scheint uns viel einfacher und die Bildung des Hagels hinreichend klar zu machen. Es giebt nämlich verschiedene Richtungen der Luftströme, die wir horizontale und perpendiculäre, letztere wieder aufsteigende und herabsteigende, wie sie auch A. v. Humboldt längs beobachtet hat, nennen können. [340] Die perpendiculären Luftströmungen bewegen die Luftschichten von einer beträchtlichen Höhe und führen auf diese Weise in die Ebene die Temperatur der hohen Regionen der Luft herab. Von der Existenz der herabsteigenden Ströme haben wir einen sicht- und fühlbaren Beweis in den Sturmregen, die sich mit äußerster Gewalt auf die Oberfläche der Erde entladen; an dem beträchtlichen Sinken der Temperatur nach großen Stürmen; man sieht nicht selten die Temperatur in einem Augenblicke um 10 bis 15 Grade fallen: eine Verschiedenheit, die zu groß ist, um einzig der Kälte zugeschrieben zu werden, die von der Verdunstung des Regens entspringt, und ihren Grund in der herabgeströmten kalten Luft der obern Schichten der Atmosphäre hat. Es bedarf indeß für dieses Herabkommen kälterer Luft im Allgemeinen eine besondere Bodenbildung, und wir werden sogleich sehen, wie das vorzugsweise Auftreten des Hagels allerdings mit einer solchen in Verbindung steht.

Versuchen wir das Gesagte noch durch eine naheliegende Vergleichung deutlicher zu machen, welche die Entstehung der Winde überhaupt erläutert. Wenn man in einem Zimmer mit Kamin Feuer macht, so wird man einen in dem Kanale des Kamins aufsteigenden Strom haben, in Folge der Ausdehnung der Luft; ferner wird der durch diese Ausdehnung verdünnte Raum die dichte Luft im untern Theile des Zimmers herbeiziehen, so daß sich diese dichtere Luft in jenen Raum mit verdünnter Luft stürzen und so eine Strömung durch Anziehung erzeugen wird. In dem Innern des Zimmers wird die ausstrahlende Wärme die Luft gleichfalls ausdehnen und leichter machen; es bildet sich ein nach oben gehender Strom; die Luft wird durch die Spalten und die kleinen Oeffnungen im obern Theile zu entweichen suchen. Im untern Theile wird sich in gleicher Weise je nach der verschiedenen Temperatur eine Ausgleichung mit den benachbarten Localitäten durch die Oeffnungen, Thüren etc. herzustellen suchen. Die gleiche Erscheinung nun begegnet uns bei den großen atmosphärischen Strömungen, den Winden. Die Hitze der Sonne erzeugt die Winde durch die Ausdehnung. Diese und also die Verdünnung in einem gegebenen Medium erzeugen die Winde, indem die dichtere Luft seitlich an die Stelle der dünneren stürzt, also in der Regel eine horizontale Strömung bewirken wird, indeß der durch Ausdehnung entstandene Wind sich genau in der Richtung der Ausdehnung fortpflanzt. In den Zimmern wird man den Luftzug für gewöhnlich in den untern Theilen haben; er kann aber auch in den obern stattfinden. Man öffne nur ein Fenster in dem obern seitlichen Theile eines sehr warmen Zimmers, und man wird die kalte Luft sich mit Heftigkeit durch die untere Parthie dieser Oeffnung hereinstürzen sehen. Ebenso verhält es sich mit den Winden; für gewöhnlich sind die durch die Verdünnung der Luft herbeigezogenen Strömungen horizontal; unter Umständen können sie aber auch schief sein; ja sie können nach Maßgabe der Steigung der Gebirge, welche die Thäler einschließen, selbst perpendiculär werden.

Kehren wir nun zum Hagel zurück. Man denke sich ein von Bergen eingeschlossenes Thalbecken. Eine Reihe sehr heißer Tage habe in ihm eine sehr hohe Temperatur erzeugt, die Luft sich mit einer sehr großen Quantität von Dünsten gesättigt. Diese Luft nimmt allen Raum bis zu einer gewissen Höhe ein, sie verbreitet sich längs der Berge und bedeckt deren Gipfel. Vom Westen her öffnet sich in das beschriebene Thalbecken ein Thal von weniger hoher Temperatur. Es bildet sich also von dieser Seite ein Strom, welcher kältere Luft gegen die erhitzte Luft des ersteren Beckens führt; dadurch entstehen jene drohenden, gehäuften, oft Gebirgen ähnlichen Wolken, die man Cumulus (Haufenwolke) nennt. Die Luft des zweiten Thales wird also in das Thalbecken hinabsteigen, um daselbst die Stelle der ausgedehnten Luft einzunehmen; hat der kalte Luftstrom einmal die Flanke der Berge gewonnen, so stürzt er sich mit ebenso viel mehr Kraft als der Temperaturunterschied größer ist, in das Thal; die so begonnene Strömung reißt aber im selben Augenblicke die höheren Schichten der Atmosphäre nach sich; und auf diese Weise können mehrere tausend Fuß hohe, direkt perpendikuläre Schichten in Bewegung kommen. Man weiß aber, daß in solcher Höhe die Temperatur eine sehr niedrige ist. Von der andern Seite hatten sich an der obern Fläche der großen mit Dünsten geschwängerten Luftmasse Federwolken (Cirrus) gebildet. Der kalte Strom aus den obern Regionen reißt jene Massen von Graupeln, welche die Federwolken zusammensetzen, mit fort oder läßt deren neue entstehen, und nöthigt sie, eine stark mit Dünsten geschwängerte Atmosphäre zu durchwandern; auf diesem Wege bedecken sich die Graupelkörner mit diesen Dünsten, welche bei der niedrigen Temperatur der in Bewegung befindlichen Luft gefrieren; auf diese Weise geht die Graupel in den Zustand des Hagels über. Die Strömung kommt endlich bei dem Winde an, der an der Oberfläche des Bodens herrscht und den Hagel dann so lange mit fortführt, bis die Reibung die Kraft der Strömung selbst vermindert hat oder jener Wind einen entgegengesetzten trifft, welcher dann das Herabfallen des Hagels auf die Erde veranlaßt.

Uebereinstimmend mit dieser Ansicht kommen denn auch die Hagelwetter sehr häufig in Ländern mit tiefen Thälern vor, wo sich beträchtliche Verschiedenheiten in der Temperatur erzeugen können; sie sind dagegen erfahrungsmäßig selten in ebenen Ländern, in Holland, in Preußen, in Rußland, wo das Gleichgewicht sich allmälig bildet. Der Hagel ist noch seltner auf dem offenen Meere, wo unaufhörliche Strömungen fortwährend das Gleichgewicht wieder herstellen. In den Ebenen ist die Entstehung perpendiculärer Strömungen viel schwieriger.

[Fig. 1]

Auch die Form gewisser Hagelkörner spricht für das eben Dargelegte. Man trifft solche aus concentrischen Schichten zusammengesetzt, die an dem hintern Theile eine Vertiefung haben (s. Fig. 1): es sind Körner, die geradeaus herabgefallen sind; sie sind vornen und an den Seiten gewachsen, indem sie die Dünste auf ihrem Wege aufnahmen; der Teil A., weil rückwärts befindlich, konnte nicht wachsen. Es ist ebenso mit Hagelkörner, die in ihrer hintern Parthie mit Spitzen besetzt sind (Fig. 2).

[Fig. 2]

Die Electricitätstheorie kann diese Gestaltungen nicht erklären, da nach ihr lauter runde Körper sich bilden müßten. Es ist daher nicht wahrscheinlich, daß die Electricität eine thätige Rolle bei der Bildung des Hagels spielt. Die Electrictität ist das Resultat entweder der Reibung der Luft in den Parthien, wo die Ströme sich treffen oder des Uebergangs des Wassers aus dem Dunstzustande in den Zustand des Eises: sie ist eine Wirkung und nicht eine Ursache. Möglicherweise trägt sie zur Stärke des Stromes bei. Haben die Hagelkörner einmal einen gewissen Raum gerade durchlaufen, so ist es ihnen schwer, umzukehren, da die gewichtigste Parthie ihrer Kugel sich vornen befindet. Hagelgewitter kommen meistens nur am Tage vor; ihre Hauptbedingungen finden sich nur in dieser Zeit; Nachthagel ist etwas sehr Ungewöhnliches. Weiter hat eine Reihe von Beobachtungen gezeigt, daß die stärksten Hagelwetter, welche die größten Hagelkörner mit sich führen, zwischen 3 und 4 Uhr Nachmittags fallen; dies ist der wärmste Moment des Tages; es ist der, wo die Luft am Meisten verdünnt ist, wo sie am Meisten mit Dünsten gesättigt ist und wo diese Dünste sich am Höchsten in die Atmosphäre erheben. Alle diese Umstände tragen dazu bei, den heftigsten Luftstrom und die größten Hagelkörner zu erzeugen. Man könnte beinahe die Größe des Hagels nach der Stunde seines Falles bestimmen. Aus dem Vorhergehenden folgt von selbst, daß der Hagel im Winter eine sehr seltene Erscheinung ist, und daß er nicht den extremen Klimaten angehören kann; man kann ihn ein Erzeugniß der gemäßigten Zone nennen, da er zumeist (doch nicht ausschließlich) nur innerhalb der Breite von 60 Grad vorkommt. Die Berggipfel gemäßigter Klimate sind beinahe frei von Hagel.
Dr. L.