Der Gnu-Ochse oder Takin

Textdaten
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Autor: Paul Matschie
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Titel: Der Gnu-Ochse oder Takin
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 163–164
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[163] Der Gnu-Ochse oder Takin. (Mit Abbildung.) Vor ungefähr fünfzig Jahren erregte die Entdeckung eines sehr merkwürdigen großen Wiederkäuers in den naturwissenschaftlichen Kreisen das größte Aufsehen. Hodgson, dessen erfolgreichen Forschungen man die Kenntnis einer ganzen Reihe von sehr sonderbaren Tieren des östlichen Himalaya verdankt, hatte von den wilden Mischmivölkern, welche in den Thälern des oberen Brahmaputra wohnen, unvollständige Häute und Schädel eines Huftieres heimgebracht, welches die Kennzeichen der verschiedensten Wiederkäuergruppen in sich vereinigte. Er nannte das Tier Budorcas taxicolor, dachsfarbige Ochsengazelle, „ein Mittelding zwischen Schaf, Antilope und Rind“. In den siebziger Jahren gelang es dem berühmten Tibetforscher Père David, mehrere zum Ausstopfen geeignete Felle mit den Schädeln nach Paris zu senden.

Rätselhaft blieb trotzdem die Naturgeschichte dieses eigentümlichen Tieres. Bis zum heutigen Tage hat noch kein Europäer den Takin lebend gesehen und die Meinungen der Zoologen über seine verwandtschaftlichen Beziehungen gehen weit auseinander. Neuerdings bot sich durch die Liebenswürdigkeit meines Pariser Kollegen de Pousargues für das Berliner Museum die längst erwünschte Gelegenheit, ein Exemplar aus einer Sammlung tibetanischer Säugetiere zu erwerben, und heute bildet der Takin eine der größten Zierden des Museums für Naturkunde zu Berlin. Meine Frau hat ein treffendes Bild von dem sonderbaren Stück gezeichnet, welches den Lesern der „Gartenlaube“ untenstehend dargeboten wird. Nach meinen Untersuchungen ist der Takin am nächsten verwandt mit dem Schafochsen, Ovibos moschatus, der heute nur noch in den unzugänglichen Teilen des Nordpolargebietes zu finden ist.

Der Gnu-Ochse oder Takin.
Nach dem Exemplar des Berliner Museums für Naturkunde gezeichnet von
Anna Matschie-Held.

Er ist ein Tier von der Größe einer kleinen Kuh, dessen langgestreckter, mäßig gerundeter Leib auf kurzen, im oberen Teile lang behaarten und dadurch sehr plump erscheinenden Beinen ruht; der untere Teil des Laufes ist auffallend kurz, kürzer als bei irgend einem bekannten Wiederkäuer. Die Hufe sind ziemlich groß und die Afterklauen sehr breit. Der ganze Bau der Beine weist darauf hin, daß das Tier trotz seiner Plumpheit ein gewandter Kletterer ist. Der Kopf trägt durch seine Ramsnase durchaus den Charakter des Streifengnu, nur ist die Muffel einfacher geformt und ganz behaart, wie beim Schafochsen. Auch das Gehörn erinnert an das Gnu. Sehr eigentümlich sind die kleinen dicht behaarten Ohren, welche unter allen Huftieren nur beim Schafochsen in ähnlicher Form auftreten. Die ziemlich lange, äußerst grobe und zottige Behaarung des Körpers ist von einer ganz eigentümlichen, an keinem anderen Huftier nachgewiesenen Färbung und schwer zu beschreiben; ein Gemisch vom Hellgelb bis zum tiefen Braun, hier und da goldig oder oliven überflogen. Der Kopf zum Teil, die Unterseite, der Hinterrücken und der untere Teil der Läufe sind tiefbraun.

Die Mischmi nennen das Tier Takin, bei den Mantsevölkern in Moupin zwischen Kukunor und dem Chamreich heißt es Ye-Mon. Die höchsten und unwirtlichsten Gebirgszüge des östlichen Himalaya sind die Heimat des Gnu-Ochsen. Nach den Erkundigungen von Hodgson und Père David soll er gewöhnlich paarweise oder in [164] kleineren Gesellschaften leben, im Hochsommer aber zuweilen in großen Scharen beobachtet werden. Im Winter steigt er aus dem Hochgebirge herab zu den mittleren Lagen, wo er schneefreie Stellen findet. Sein Ruf ist ein tiefes grunzendes Blöken, in der Erregung schnauft er laut durch die Nase. Er gilt als sehr gefährlich und soll, gereizt, den Menschen angreifen. Die über das Mischmiland nach Oberassam kommenden Felle sind dunkler als die von Moupin nach Paris gelangten Häute und deshalb glaubte A. Milne-Edwards, daß der osttibetanische Takin zu einer zweiten Art, Budorcas tibetana, gehört. Dieser geographischen Abart ist auch das Berliner Exemplar zuzurechnen. Matschie.