Der Giganten-Damm (The Giants’s causeway)

XLVII. Lissabon Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zweiter Band (1835) von Joseph Meyer
XLVIII. Der Giganten-Damm (The Giants’s causeway)
XLIX. Ruine Godesberg
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GIANTS CAUSEWAY
Ireland.

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XLVIII. Der Giganten-Damm (The Giants’s causeway.)




Die Natur ist eine Welt von kämpfenden Kräften. Zerstören ist die Vorbedingung ihres Schaffens. Wie unter den Menschen, so spielt in ihr das Starke so lange, bis es Stärkerem begegnet, den Unterdrücker. Die gewaltigeren Kräfte wirken überall auflösend oder zertrümmernd auf die schwächeren ein. Bei jedem Schritte begegnen wir Zeugen ihres Kampfes. Ueberall Trümmer, überall Spuren der Zerstörung früherer Gebilde findend, stellt die ganze Erde gleichsam ein weites Schlachtfeld der Elemente dar.

Aus einer unbekannten Vorzeit, in welcher die mächtigen Kräfte, das Feuer und das Wasser, die Erdoberfläche neugestaltend, mit einander kriegten, stammt unsers Bildes Gegenstand: „der Damm der Giganten.“ Unter diesem Namen finden sich nämlich, an Irland’s Nordküste, westlich von Ballycastle und dem Vorgebirge Fairhead, in der Grafschaft Antrim, dicht am Meere, jene höchst merkwürdigen Basalt-Gebilde, auf deren Entstehungsweise undurchdringliches Dunkel ruht. Welchem Elemente auch scharfsinnige Forscher die Hauptrolle bei der Erzeugung jener regelrechten gigantischen Säulenmassen zugetheilt haben mögen, ob dem Wasser, aus dessen flüssigen Massen sich die erkalteten Niederschläge in Krystallformen gebildet, ob dem Feuer, welches einst die Basaltstoffe in ungeheurer Werkstätte geschmolzen habe und woraus bei’m Erkalten jene Säulen krystallinisch entstanden seyen – immerhin bleiben sie ein wunderbares, geheimnißvolles Erzeugniß. Soviel läßt sich mit ziemlicher Gewißheit annehmen, daß vulkanische Mitwirkung bei ihrer Bildung thätig gewesen ist. Aber welch ein Kampf der Kräfte, der diese meilenlangen, tausendfachen Säulenreihen an der irländischen Küste und gegenüber auf der Insel Staffa die Pfeiler und Säulen zur Fingal’s-Höhle aus der Tiefe des Meeres gehoben hat? Ein Ossian, ein Dante mögen es versuchen, ihn zu denken! –

Die schönste hier abgebildete Parthie des Damms der Giganten ist über 200 Fuß lang und 100 bis 180 Fuß breit; aber 500 Fuß weit in’s Meer laufen noch die über dem Wasser hervorragenden Säulen, und wenn Windstille zur Ebbezeit einen Blick in den Meeresgrund gestattet, sieht man noch viel weiter von der Küste die [8] hohen Basalte aus der Tiefe emporragen. Daher die Wahrscheinlichkeit, daß der Damm mit der Fingal’s-Höhle der gegenüberliegenden schottischen Insel Staffa zusammen nur eine Basaltgruppe ausmachen. Die Sage schreibt das unbegreifliche Werk einem Hühnenvolke zu, welches in grauer Vorzeit diese Gegend bewohnt habe, und nennt die Pfeiler im Meere die Grundlagen einer Brücke, durch die es einst die Küsten von Schottland und Irland mit einander verbunden. Jene Sage gab dem Naturwunder den Namen. Rechts in unserm Bilde sehen wir die einzelnen Glieder der Säulenmassen unordentlich aus ihrer ursprünglichen emporstrebenden Stellung herausgeworfen, in getrennten Blöcken umher liegen. Die zweite Landzunge zeigt die Spitzen der Pfeiler; die dritte zeichnet sich durch fünf hohe, aufrechtstehende Säulenvorposten aus, welchen die Volkssprache den Namen der Schornsteine („CHIMNEY TOPS“) gab, so wie der andern aufrechten Gruppe den des Riesenwebstuhls („GIANT’S LOOM“). Die Mittelgruppe auf unserer Darstellung heißt der Honigkuchen („HONEY COMB“). Hier besonders stehen die Säulen so dicht an einander, daß nicht eine Messerklinge zwischen ihre Seitenwände dringen kann. Die regelmäßigsten aller dieser Basalte befinden sich auf der Westseite in stufenartigen Absätzen, die höchsten östlich, ihrer 30 bis 40 beisammen und eben so viele Fuß hoch. Die einzelnen Pfeiler (oder Glieder, JOINTS, wie sie genannt werden) halten von 8 bis zu 20 Zoll Durchmesser. Sie sind vier- bis sechseckig; vorherrschend ist das Sechseck und selten das Viereck. Auseinandergeschlagen springt eine Seite convex, die andere concav ab. Wie sehr aber auch die Säulen in Vielseitigkeit von einander abweichen, immerhin hat die Natur bei ihrem Zusammenstellen zu Gruppen eine sich selbst vorgeschriebene Regel beobachtet und jeder immer die Form gegeben, welche der einzelnen Ordnung entspricht. Die schönsten Säulen, welche man abbrechen kann, werden von Leuten des nahgelegenen Dorfes Bushmills nach England verschickt, und kleinere Stücke dienen weit und breit zur unverwüstlichen Einfassung der Wege und zum Pflastern der Straßen. Die im Vordergrunde unseres Bildes befindliche Menschengruppe ist an einer Quelle beschäftigt, welche, wunderbar! das herrlichste Krystallwasser dicht am Ufer der salzigen Tiefe aus den unsichtbaren Spalten der Basaltsäulen hervorsprudelt.

Nicht weit vom Riesendamme befindet sich eine nur von der See aus zugängliche „Höhle der Giganten“ (GIANTS CAVE), meist aus Schieferbasalt bestehend. Die Beschreibung und Abbildung dieses Naturwunders ist einer spätern Lieferung vorbehalten.