Der Gesang von der Schwester und dem Bruder
und dem Bruder
Am Sonntag, am frühen noch vor dem Tag,
Da Nebelschleier am Feld noch lag;
Es kuckte kein Kuckuck, kein grauer, sein Lied,
Es zwitschert kein Vöglein; züküt, züküt!
Ihr Lebwohl – und gab ihm die Tränen zum Geleit,
Sie öffnet, sie öffnet ihr Fensterlein,
Sie spricht so mit Tränen: O Bruder mein,
Mein lieblicher, herzlicher Bruder,
O komm doch zu mir von der Fremde weit,
O tröste mich doch im großen Leid!
O nein, meine Schwester, mein treues Herz,
Ich kann zu dir kommen nimmermehr,
Wenn ich mich auch sehne nach dir gar sehr!
Manch dunkler Wald auseinander uns hält,
Manch reißender Fluß, manch weites Feld.
O nein, mein Bruder, mein Herzchen süß,
Durch den dunkeln Wald wie ein Falke dich schwinge,
Durch das weite Feld wie die Wachtel durchdringe,
Über Fluß und See schwimm wie ein weißer Schwan,
Wie ein grauer Tauber komm in meinem Hofe an.
Und neige das Köpfchen dein
Und girre ein Liedchen so traurig und lind…
Ich komm’ aus der Hütte heraus,
Erkenn’, daß es deine Lieder sind,
Ich drück’ dich ans Herz, ich weine laut,
Ich nenne dich, Bruder! so süß und traut,
Ich frage dich herzlich um dein Wohl, die Schmerzen,
Ich red’ dir und tröst’ dir all’ Leid aus dem Herzen!
Bei dir soll ich nimmer zu Gaste sein.
O harre auf mich, Schwester, nur dann bei dir,
Wenn im Juli du siehst, daß das Wasser gefrier’,
Wenn um Weihnachten wohl der Apfelbaum blüht.
’ne Handvoll Sand nimm von der Au
Und sah den Sand auf dem Felsen grau,
Mit deinen Tränen den Sand betau
Und erweck ihn vom Schlaf mit deinem Lied!
Dann komm’ ich zu dir, um dort ewig zu bleiben,
Um dich zu behüten, o Schwester mein!
Mein Bruder, mein Herz, mein Sonnenlicht,
Viel Sagen erzählen die alten Leute,
Doch solche noch hört’ ich nicht bis heute,
Daß im Juli ich sehe das Wasser gefrieren,
Daß um Weihnachten blühe der Apfelbaum,
Das erschien sogar mir wie im Traum.
O weh mir, was anders das Rätsel bedeut’:
Ich soll dich nicht sehen in Ewigkeit!
Ach, wie doch manchmals am festlichen Tag
Und alle so freudig, die einen den Andern nach,
Die Brüder mit Brüdern vergnügt sich paaren,
Es kommen zusammen Verwandte, Gevatter,
Ein jeder schaut um und Bekannte schon hat er.
Nur niemand, ach, niemand auf mich je schaut.
Ob Seit’ auch an Seite bei mir er schreit’
Er kehrt das Gesicht doch von mir zur Seit’,
Und als sie einst alle als Gäste saßen
Dann hatten wir Freunde, dann waren wir lieb.
Doch als unser Glück sich wandt’ in Weh,
Verschwanden die Freunde wie der Frühlingsschnee,
Und kein Verwandter, kein Bekannter mehr blieb.
Wie’s schwer ist dem Vogel im baumlosen Feld
Die Nacht zuzubringen; wie schwer es fällt
Dem lebendigen Fisch ohne Wasser zu leben,
Wie’s schwer ist zu liegen unterm drückenden Stein,