Textdaten
<<< >>>
Autor: Friedrich Schiller
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Geisterseher
Untertitel: Fortsetzung
aus: Thalia – Zweiter Band, Heft 7 (1789), S. 70–109
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1789
Verlag: G. J. Göschen’sche Verlagsbuchhandlung
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: UB Bielefeld = Commons
Kurzbeschreibung: Von Anfang 1787 bis Ende 1789 in fünf Lieferungen in Schillers Zeitschrift „Thalia“ erschienenes Romanfragment.
Zugehöriges Fragment: Der Abschied
Text auch als E-Book (EPUB, MobiPocket) erhältlich
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[70]
II.
Der Geisterseher.

Fortsetzung.
(Siehe das sechste Heft der Thalia.)
Baron von F*** an den Grafen von O***.
Fünfter Brief.
1. Julius.     

Da unser Abschied von Venedig nunmehr mit starken Schritten herannaht, so sollte diese Woche noch dazu angewandt werden, alles Sehenswürdige an Gemählden und Gebäuden noch nachzuhohlen, was man bei einem langen Aufenthalte immer verschiebt. Besonders hatte man uns mit vieler Bewunderung von der Hochzeit zu Cana des Paul Veronese gesprochen, die auf der Insel St. Georg in einem dortigen Benediktinerkloster zu sehen ist. Erwarten Sie von mir keine Beschreibung dieses außerordentlichen Kunstwerks, das mir im Ganzen zwar einen sehr überraschenden aber nicht sehr genußreichen Anblick gegeben hat. [71] Wir hätten so viele Stunden als Minuten gebraucht, um eine Komposition von hundert und zwanzig Figuren zu umfassen, die über dreißig Fuß in der Breite hat. Welches menschliche Auge kann ein so zusammengesetztes Ganze umreichen und die ganze Schönheit, die der Künstler darin verschwendet hat, in Einem Eindruck genießen! Schade ist es indessen, daß ein Werk von diesem Gehalte, das an einem öffentlichen Orte glänzen und von Jedermann genossen werden sollte, keine beßre Bestimmung hat, als eine Anzahl Mönche in ihrem Refektorium zu vergnügen. Auch die Kirche dieses Klosters verdient nicht weniger gesehen zu werden. Sie ist eine der schönsten in dieser Stadt.

Gegend Abend ließen wir uns in die Giudecca übersetzen, um dort in den reitzenden Gärten einen schönen Abend zu verleben. Die Gesellschaft, die nicht sehr groß war, zerstreute sich bald, und mich zog Civitella, der schon den ganzen Tag über Gelegenheit gesucht hatte, mich zu sprechen, mit sich in eine Boskage. „Sie sind der Freund des Prinzen,“ fieng er an, vor dem er keine Geheimnisse zu haben pflegt, wie ich von sehr guter Hand weiß. Als ich heute in sein Hotel trat, kam ein Mann heraus, dessen Gewerbe mir bekannt ist – und auf des Prinzen Stirne standen Wolken, als ich zu ihm hereintrat“ – [72] Ich wollte ihn unterbrechen – „Sie können es nicht läugnen, fuhr er fort, „ich kannte meinen Mann, ich hab’ ihn sehr gut in’s Auge gefaßt – Und wär’ es möglich? Der Prinz hätte Freunde in Venedig, Freunde, die ihm mit Blut und Leben verpflichtet sind, und sollte dahin gebracht seyn, in einem dringenden Falle sich solcher Kreaturen zu bedienen? Seien Sie aufrichtig, Baron! – Ist der Prinz in Verlegenheit? – Sie bemühen Sich umsonst, es zu verbergen. Was ich von Ihnen nicht erfahre, ist mir bei meinem Manne gewiß, dem jedes Geheimniß feil ist.“

Herr Marchese –

„Verzeihen Sie. Ich muß indiskret scheinen, um nicht ein Undankbarer zu werden. Dem Prinzen dank’ ich Leben und, was mir weit über das Leben geht, einen vernünftigen Gebrauch des Lebens. Ich sollte den Prinzen Schritte thun sehen, die ihm kosten, die unter seiner Würde sind, es stünde in meiner Macht, sie ihm zu ersparen, und ich sollte mich leidend dabei verhalten?“

Der Prinz ist nicht in Verlegenheit, sagte ich. Einige Wechsel, die wir über Trient erwarteten, sind uns unvermuthet ausgeblieben. Zufällig ohne Zweifel – oder weil man, in Ungewißheit wegen seiner [73] Abreise, noch eine nähere Weisung von ihm erwartete. Dieß ist nun geschehen, und bis dahin –.

Er schüttelte den Kopf. „Verkennen Sie meine Absicht nicht, sagte er. Es kann hier nicht davon die Rede sein, meine Verbindlichkeit gegen den Prinzen dadurch zu vermindern – würden alle Reichthümer meines Oncle dazu hinreichen? die Rede ist davon, ihm einen einzigen unangenehmen Augenblick zu ersparen. Mein Oheim besitzt ein großes Vermögen, worüber ich so gut als über mein Eigenthum disponiren kann. Ein glücklicher Zufall führt mir den einzigen möglichen Fall entgegen, daß dem Prinzen, von allem was in meiner Gewalt stehet, etwas nützlich werden kann. Ich weiß, fuhr er fort, was die Delikatesse dem Prinzen auflegt – aber sie ist auch gegenseitig – und es wäre großmüthig von dem Prinzen gehandelt, mir diese kleine Genugthuung zu gönnen, geschäh’ es auch nur zum Scheine – um mir die Last von Verbindlichkeit, die mich niederdrückt, weniger fühlbar zu machen.“

Er ließ nicht nach, bis ich ihm versprochen hatte, mein möglichstes dabei zu thun; ich kannte den Prinzen und hoffte darum wenig. Alle Bedingungen wolle er sich von dem leztern gefallen lassen, wiewohl er gestand, daß es ihn empfindlich kränken [74] würde, wenn ihn der Prinz auf den Fuß eines Fremden behandelte.

Wir hatten uns in der Hitze des Gesprächs weit von der übrigen Gesellschaft verloren und waren eben auf dem Rückweg, als Z*** uns entgegen kam.

„Ich suche den Prinzen bei Ihnen – Ist er nicht hier?“ –

Eben wollen wir zu ihm. Wir vermutheten ihn bei der übrigen Gesellschaft zu finden –

„Die Gesellschaft ist beisammen, aber Er ist nirgends anzutreffen. Ich weiß gar nicht, wie er uns aus den Augen gekommen ist.“

Hier erinnerte sich Civitella, daß ihm vielleicht eingefallen seyn könnte, die anstoßende ***Kirche zu besuchen, auf die er ihn kurz vorher sehr aufmerksam gemacht hatte. Wir machten uns sogleich auf den Weg, ihn dort aufzusuchen. Schon von weitem entdeckten wir Biondello, der am Eingang der Kirche wartete. Als wir näher kamen, trat der Prinz etwas hastig aus einer Seitenthüre, sein Gesicht glühte, seine Augen suchten Biondello, den er herbei rief. Er schien ihm etwas sehr angelegentlich [75] zu befehlen, wobei er immer die Augen auf die Thüre richtete, die offen geblieben war. Biondello eilte schnell von ihm in die Kirche – der Prinz, ohne uns gewahr zu werden, drückte sich an uns vorbei, durch die Menge, und eilte zur Gesellschaft zurück, wo er noch vor uns anlangte.

Es wurde beschlossen, in einem offenen Pavillon dieses Gartens das Souper einzunehmen, wozu der Marchese ohne unser Wissen ein kleines Konzert veranstaltet hatte, das ganz auserlesen war. Besonders ließ sich eine junge Sängerin dabei hören, die uns alle durch ihre liebliche Stimme, wie durch ihre reitzende Figur, entzückte. Auf den Prinzen schien nichts Eindruck zu machen, er sprach wenig, und antwortete zerstreut, seine Augen waren unruhig nach der Gegend gekehrt, woher Biondello kommen mußte; eine große Bewegung schien in seinem Innern vorzugehen. Civitella fragte, wie ihm die Kirche gefallen hätte; er wußte nichts davon zu sagen. Man sprach von einigen vorzüglichen Gemählden, die sie merkwürdig machten; er hatte kein Gemählde gesehen. Wir merkten, daß unsre Fragen ihn belästigten und schwiegen. Eine Stunde vergieng nach der andern, und Biondello kam noch immer nicht. Des Prinzen Ungeduld stieg auf’s höchste; er hob die Tafel frühzeitig auf, und gieng in einer abgelegnen [76] Allee ganz allein mit starken Schritten auf und nieder.

Niemand begriff, was ihm begegnet seyn mochte. Ich wagte es nicht, ihn um die Ursache einer so seltsamen Veränderung zu befragen; es ist schon lange, daß ich mir die vorige Vertraulichkeiten nicht mehr bei ihm heraus nehme. Mit desto mehr Ungeduld erwartete ich Biondellos Zurückkunft, der mir dieses Räthsel aufklären sollte.

Es war nach zehn Uhr, als der wieder kam. Die Nachrichten, die er dem Prinzen mitbrachte, trugen nichts dazu bei, diesen gesprächiger zu machen. Mißmuthig trat er zur Gesellschaft, die Gondel wurde bestellt, und bald darauf fuhren wir nach Hause.

Den ganzen Abend konnte ich keine Gelegenheit finden, Biondello zu sprechen; ich mußte mich also mit meiner unbefriedigten Neugierde schlafen legen. Der Prinz hatte uns frühzeitig entlassen, aber tausend Gedanken, die mir durch den Kopf giengen, erhielten mich munter. Lange hört’ ich ihn über meinem Schlafzimmer auf und nieder gehen; endlich überwältigte mich der Schlaf. Spät nach Mitternacht erweckte mich eine Stimme – eine Hand fuhr über mein Gesicht; wie ich aufsah, war es der Prinz, [77] der, ein Licht in der Hand, vor meinem Bette stand. Er könne nicht einschlafen, sagte er; und bath mich, ihm die Nacht verkürzen zu helfen. Ich wollte mich in meine Kleider werfen – er befahl mir zu bleiben, und sezte sich zu mir vor das Bette.

„Es ist mir heute etwas vorgekommen, fieng er an, davon der Eindruck aus meinem Gemüthe nie mehr verlöschen wird. Ich gieng von Ihnen, wie Sie wissen, in die ***Kirche, worauf mich Civitella neugierig gemacht, und die schon von ferne meine Augen auf sich gezogen hatte. Weil weder Sie noch Er mir gleich zur Hand waren, so machte ich die wenigen Schritte allein; Biondello ließ ich am Eingange auf mich warten. Die Kirche war ganz leer – eine schaurigkühle Dunkelheit umfieng mich, als ich aus dem schwülen, blendenden Tageslicht so auf einmal hineintrat. Ich sah mich einsam in dem weiten Gewölbe, worin eine feierliche Grabstille herrschte. Ich stellte mich in die Mitte des Doms und überließ mich der ganzen Fülle dieses Eindrucks; allmählig traten die großen Verhältnisse dieses majestätischen Baues meinen Augen bemerkbarer hervor, ich verlor mich in ernster ergötzender Betrachtung. Die Abendglocke tönte über mir, ihr Ton verhallte sanft in diesem Gewölbe, wie in meiner Seele. Einige Altarstücke hatten von weitem meine Aufmerksamkeit [78] erweckt; ich trat näher, sie zu betrachten; unvermerkt hatte ich diese ganze Seite der Kirche bis zum entgegenstehenden Ende durchwandert. Hier lenkt man um einen Pfeiler einige Treppen hinauf in eine Nebenkapelle, worin mehrere kleinere Altäre und Statuen von Heiligen in Nischen angebracht stehen. Wie ich in die Kapelle zur Rechten hineintrete – höre ich nah’ an mir ein zartes Wispern, wie wenn jemand leise spricht – ich wende mich nach dem Tone, und – zwei Schritte von mir fällt mir eine weibliche Gestalt in die Augen – – Nein! Ich kann sie nicht nachschildern, diese Gestalt! – Schrecken war meine erste Empfindung, die aber bald dem süssesten Hinstaunen Platz machte.“

Und diese Gestalt, gnädigster Herr – Wissen Sie auch gewiß, daß sie etwas lebendiges war, etwas wirkliches, kein bloßes Gemählde, kein Gesicht Ihrer Phantasie?

„Hören Sie weiter – Es war eine Dame – Nein! Ich hatte bis auf diesen Augenblick dieß Geschlecht nie gesehen! – Alles war düster ringsherum, nur durch ein einziges Fenster fiel der untergehende Tag in die Kapelle, die Sonne war nirgends mehr, als auf dieser Gestalt. Mit unaussprechlicher Anmuth – halb knieend, halb liegend – war sie vor [79] einem Altar hingegossen – der gewagteste, lieblichste, gelungenste Umriß, einzig und unnachahmlich, die schönste Linie in der Natur. In schwarzen Mohr war sie gekleidet, der sich spannend um den reitzendsten Leib, um die niedlichsten Arme schloß, und in weiten Falten, wie eine spanische Robe, um sie breitete; ihr langes, lichtblondes Haar, in zwei breite Flechten geschlungen, die durch ihre Schwere losgegangen und unter dem Schleier hervorgedrungen waren, floß in reitzender Unordnung weit über den Rücken hinab – eine Hand lag an dem Cruzifixe, und sanft hinsinkend ruhte sie auf der andern. Aber wo finde ich Worte, Ihnen das himmlischschöne Angesicht zu beschreiben, wo eine Engelseele, wie auf ihrem Thronensitz, die ganze Fülle ihrer Reitze ausbreitete? Die Abendsonne spielte darauf, und ihr luftiges Gold schien es mit einer künstlichen Glorie zu umgeben. Können Sie Sich die Madonna unsers Florentiners zurückrufen? – Hier war sie ganz, ganz bis auf die unregelmäßigen Eigenheiten, die ich an jenem Bilde so anziehend, so unwiderstehlich fand.“

(Mit der Madonna, von der der Prinz hier spricht, verhält es sich so. Kurz nachdem Sie abgereis’t waren, lernte er einen florentinischen Mahler hier kennen, der nach Venedig berufen worden war, um für eine Kirche, deren ich mich nicht mehr entsinne, [80] ein Altarblatt zu mahlen. Er hatte drei andre Gemählde mitgebracht, die er für die Galerie im Kornarischen Pallaste bestimmt hatte. Die Gemählde waren eine Madonna, eine Heloise und eine fast ganz unbekleidete Venus – alle drei von ausnehmender Schönheit, und bei der höchsten Verschiedenheit am Werthe einander so gleich, daß es beinahe unmöglich war, sich für eines von den dreien ausschließend zu entscheiden. Nur der Prinz blieb nicht einen Augenblick unschlüssig; man hatte sie kaum vor ihm ausgestellt, als das Madonnastück seine ganze Aufmerksamkeit an sich zog; in den beiden übrigen wurde das Genie des Künstlers bewundert, bei diesem vergaß er den Künstler und seine Kunst, um ganz im Anschauen seines Werks zu leben. Er war ganz wunderbar davon gerührt; er konnte sich von dem Stücke kaum losreissen. Der Künstler, dem man wohl ansah, daß er das Urtheil des Prinzen im Herzen bekräftigte, hatte den Eigensinn, die drei Stücke nicht trennen zu wollen, und forderte 1500 Zecchinen für alle. Die Hälfte bot ihm der Prinz für dieses einzige an – der Künstler bestand auf seine Bedingung, und wer weiß, was noch geschehen wäre, wenn sich nicht ein entschlossenerer Käufer gefunden hätte. Zwei Stunden darauf waren alle drei Stücke weg; wir haben sie nicht mehr gesehen. Dieses Gemählde kam dem Prinzen jezt in Erinnerung.)

[81] „Ich stand, fuhr er fort, ich stand in ihren Anblick verloren. Sie bemerkte mich nicht, sie ließ sich durch meine Dazwischenkunft nicht stören, so ganz war sie in ihrer Andacht vertieft. Sie bethete zu ihrer Gottheit, und ich bethete zu ihr – Ja, ich bethete sie an – Alle diese Bilder der Heiligen, diese Altäre, diese brennenden Kerzen hatten mich nicht daran erinnert; jezt zum erstenmal ergriff mich’s, als ob ich in einem Heiligthum wäre. Soll ich es Ihnen gestehen? Ich glaubte in diesem Augenblicke felsenfest an den, den ihre schöne Hand umfaßt hielt. Ich las ja seine Antwort in ihren Augen. Dank ihrer reitzenden Andacht! Sie machte mir ihn wirklich – ich folgte ihr nach durch alle seine Himmel.“

„Sie stand auf, und jezt erst kam ich wieder zu mir selbst. Mit schüchterner Verwirrung wich ich auf die Seite, das Geräusch, das ich machte, entdeckte mich ihr. Die unvermuthete Nähe eines Mannes mußte sie überraschen, meine Dreistigkeit konnte sie beleidigen; keines von beiden war in dem Blicke, womit sie mich ansah. Ruhe, unaussprechliche Ruhe war darin, und ein gütiges Lächeln spielte um ihre Wangen. Sie kam aus ihrem Himmel – und ich war das erste glückliche Geschöpf, das sich ihrem Wohlwollen anboth. Sie schwebte noch auf der lezten Sprosse des Gebeths – sie hatte die Erde noch nicht berühret.“

[82] „In einer andern Ecke der Kapelle regte es sich nun auch. Eine ältliche Dame war es, die dicht hinter mir von einem Kirchstuhle aufstand. Ich hatte sie bis jezt nicht wahrgenommen. Sie war nur wenige Schritte von mir, sie hatte alle meine Bewegungen gesehen. Dieß bestürzte mich – ich schlug die Augen zu Boden, und man rauschte an mir vorüber.“

„Ich sehe sie den langen Kirchgang hinunter gehen. Die schöne Gestalt ist aufgerichtet – Welche liebliche Majestät! Welcher Adel im Gange! Das vorige Wesen ist es nicht mehr, neue Grazien, eine ganz neue Erscheinung. Langsam gehen sie hinab; ich folge von weitem und schüchtern, ungewiß, ob ich es wagen soll, sie einzuhohlen? ob ich es nicht soll? – Wird sie mir keinen Blick mehr schenken? Schenkte sie mir einen Blick, da sie an mir vorübergieng, und ich die Augen nicht zu ihr aufschlagen konnte? – O wie beunruhigte mich dieser Zweifel!“

„Sie stehen stille, und – ich kann keinen Fuß von der Stelle setzen. Die ältliche Dame, ihre Mutter, oder was sie ihr sonst war, bemerkt die Unordnung in den schönen Haaren, und ist geschäftig, sie zu verbessern, indem sie ihr den Parasol zu halten gibt. O wie viel Unordnung wünscht’ ich diesen Haaren, wie viel Ungeschicklichkeit diesen Händen!“ –

[83] „Die Toilette ist gemacht, und man nähert sich der Thüre. Ich beschleunige meine Schritte – Eine Hälfte der Gestalt verschwindet – und wieder eine – nur noch der Schatten ihres zurückfliegenden Kleides – Sie ist weg – Nein! Sie kommt wieder. Eine Blume fiel aus ihrem Haar, sie bückt sich nieder, sie aufzuheben – sie sieht noch einmal zurück und nach mir – wen sonst kann ihr Auge in diesen todten Mauren suchen? Also war ich ihr kein fremdes Wesen mehr – auch mich hat sie zurückgelassen, wie ihre Blume – Lieber F***, ich schäme mich, es Ihnen zu sagen, wie kindisch ich diesen Blick auslegte – der vielleicht nicht einmal mein war!“

Ueber das lezte glaubte ich den Prinzen beruhigen zu können.

„Sonderbar, fuhr der Prinz nach einem tiefen Stillschweigen fort, kann man etwas nie gekannt, nie vermißt haben und einige Augenblicke später nur in diesem Einzigen leben? Kann ein einziger Moment den Menschen in zwei so ungleichartige Wesen zertrennen? Es wäre mir eben so unmöglich, zu den Freuden und Wünschen des gestrigen Morgens, als zu den Spielen meiner Kindheit zurückzukehren. Seit ich das sah, seitdem dieses Bild hier wohnet – dieses lebendige, mächtige Gefühl in mir: du kannst [84] nichts mehr lieben als das, und in dieser Welt wird nichts anders mehr auf dich wirken!“

Denken Sie nach, gnädigster Herr, in welcher reitzbaren Stimmung Sie waren, als diese Erscheinung Sie überraschte, und wie vieles zusammen kam, Ihre Einbildungskraft zu spannen. Aus dem hellen blendenden Tageslicht, aus dem Gewühle der Straße plötzlich in diese stille Dunkelheit versezt – ganz den Empfindungen hingegeben, die, wie Sie selbst gestehen, die Stille, die Majestät dieses Orts in Ihnen rege machte – durch Betrachtung schöner Kunstwerke für Schönheit überhaupt empfänglicher gemacht – zugleich allein und einsam Ihrer Meinung nach – und nun auf einmal – in dieser Nähe – von einer Mädchengestalt überrascht, wo Sie Sich keines Zeugen versahen – von einer Schönheit, wie ich Ihnen gerne zugebe, die durch eine vortheilhafte Beleuchtung, eine glückliche Stellung, einen Ausdruck begeisterter Andacht noch mehr erhoben ward – was war natürlicher, als daß Ihre entzündete Phantasie sich etwas idealisches, etwas überirdischvollkommenes daraus zusammensezte.

„Kann die Phantasie etwas geben, was sie nie empfangen hat? – und im ganzen Gebiethe meiner Darstellung ist nichts, was ich mit diesem Bilde zusammenstellen [85] könnte. Ganz und unverändert, wie im Augenblicke des Schauens, liegt es in meiner Erinnerung; ich habe nichts als dieses Bild – aber Sie könnten mir eine Welt dafür biethen!“

Gnädigster Prinz, das ist Liebe.

„Muß es denn nothwendig ein Nahme seyn, unter welchem ich glücklich bin? Liebe! – Erniedrigen Sie meine Empfindung nicht mit einem Nahmen, den tausend schwache Seelen mißbrauchen! Welcher andere hat gefühlt, was ich fühle? Ein solches Wesen war noch nie vorhanden, wie kann der Nahme früher da seyn, als die Empfindung? Es ist ein neues einziges Gefühl, neu entstanden mit diesem neuen einzigen Wesen, und für dieses Wesen nur möglich! – Liebe! Für der Liebe bin ich sicher!“

Sie verschickten Biondello – ohne Zweifel, um die Spur Ihrer Unbekannten zu verfolgen, um Erkundigungen von ihr einzuziehen? Was für Nachrichten brachte er Ihnen zurücke?

„Biondello hat nichts entdeckt – so viel als gar nichts. Er fand sie noch an der Kirchthüre. Ein bejahrter, anständig gekleideter Mann; der eher einem hiesigen Bürger als einem Bedienten gleich sah, erschien, sie nach der Gondel zu begleiten. Eine Anzahl [86] Armer stellte sich in Reihen, wie sie vorübergieng, und verließ sie mit sehr vergnügter Miene. Bei dieser Gelegenheit, sagt Biondello, wurde eine Hand sichtbar, woran einige kostbare Steine blizten. Mit ihrer Begleiterinn sprach sie einiges, das Biondello nicht verstand; er behauptet, es sei griechisch gewesen. Da sie eine ziemliche Strecke nach dem Kanal zu gehen hatten, so fieng schon etwas Volk an, sich zu sammeln; das Außerordentliche des Anblicks brachte alle vorübergehenden zum Stehn. Niemand kannte sie – aber die Schönheit ist eine gebohrne Königinn. Alles machte ihr ehrerbiethig Platz. Sie ließ einen schwarzen Schleier über das Gesicht fallen, der das halbe Gewand bedeckte, und eilte in die Gondel. Längs dem ganzen Kanal der Giudecca behielt Biondello das Fahrzeug im Gesicht, aber es weiter zu verfolgen, untersagte ihn das Gedränge.“

Aber den Gondolier hat er sich doch gemerkt, um diesen wenigstens wieder zu erkennen?

Den Gondolier getraut er sich ausfindig zu machen; doch ist es keiner von denen, mit denen er Verkehr hat. Die Armen, die er ausfragte, konnten ihm weiter keinen Bescheid geben, als daß Signora sich schon seit einigen Wochen und immer Sonnabends hier zeige, und noch allemal ein Goldstück unter sie [87] vertheilt habe. Es war ein holländischer Dukaten, den er eingewechselt und mir überbracht hat.“

Eine Griechinn also, und von Stande, wie es scheint, von Vermögen wenigstens, und wohlthätig. Das wäre für’s erste genug, gnädigster Herr – genug und fast zuviel! Aber eine Griechinn und in einer katholischen Kirche!

„Warum nicht? Sie kann ihren Glauben verlassen haben. Ueberdieß – etwas geheimnißvolles ist hier immer – Warum die Woche nur einmal? Warum nur Sonnabends in diese Kirche, wo diese gewöhnlich verlassen seyn soll, wie mir Biondello sagt? – Spätestens der kommende Sonnabend muß dieß entscheiden. Aber bis dahin, lieber Freund, helfen Sie mir diese Kluft von Zeit überspringen! Aber umsonst! Die Stunden gehen ihren gelassenen Schritt, und meine Seele glühet!“

Und wenn dieser Tag nun erscheint – was dann, gnädigster Herr? Was soll dann geschehen?

„Was geschehen soll? – Ich werde sie sehen. Ich werde ihren Aufenthalt erforschen. Ich werde erfahren, wer sie ist? – Wer sie ist! Was kann mich dieses bekümmern? Was ich sah, machte mich glücklich, also weiß ich ja schon alles, was mich glücklich machen kann!“

[88] Und unsere Abreise aus Venedig, die auf den Anfang kommenden Monats festgesezt ist?

„Konnte ich im voraus wissen, daß Venedig noch einen solchen Schatz für mich einschließe? – Sie fragen mich aus meinem gestrigen Leben. Ich sage Ihnen, daß ich nur von heute an bin und seyn will.“

Jezt glaubte ich die Gelegenheit gefunden zu haben, dem Marchese Wort zu halten. Ich machte dem Prinzen begreiflich, daß sein längeres Bleiben in Venedig mit dem geschwächten Zustand seiner Kasse durchaus nicht bestehen könne, und daß, im Fall er seinen Aufenthalt über den zugestandnen Termin verlängerte, auch von seinem Hofe nicht sehr auf Unterstützung würde zu rechnen seyn. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich, was mir bis jezt ein Geheimniß gewesen, daß ihm von seiner Schwester, der regierenden *** von ***, ausschließend vor seinen übrigen Brüdern und heimlich, ansehnliche Zuschüsse bezahlt werden, die sie gerne bereit seyn würde zu verdoppeln, wenn sein Hof ihn im Stiche ließe. Diese Schwester, eine fromme Schwärmerinn, wie Sie wissen, glaubt die großen Ersparnisse, die sie bei einem sehr eingeschränkten Hofe macht, nirgends besser aufgehoben, als bei einem Bruder, dessen weise Wohlthätigkeit sie kennt, und den sie enthusiastisch [89] verehrt. Ich wußte zwar schon längst, daß zwischen beiden ein sehr genaues Verhältniß Statt findet, auch viele Briefe gewechselt werden, aber weil sich der bisherige Aufwand des Prinzen aus den bekannten Quellen hinlänglich bestreiten ließ, so war ich auf diese verborgene Hülfsquelle nie gefallen. Es ist also klar, daß der Prinz Ausgaben gehabt hat, die mir ein Geheimniß waren, und es noch jezt sind; und wenn ich aus seinem übrigen Charakter schließen darf, so sind es gewiß keine andre, als die ihm zur Ehre gereichen. Und ich konnte mir einbilden, ihn ergründet zu haben? – Um so weniger glaubte ich nach dieser Entdeckung anstehen zu dürfen, ihm das Anerbiethen des Marchese zu offenbaren – welches zu meiner nicht geringen Verwunderung ohne alle Schwürigkeit angenommen wurde. Er gab mir Vollmacht, diese Sache mit dem Marchese auf die Art, welche ich vor die beste hielt, abzuthun, und dann sogleich mit dem Wucherer aufzuheben. An seine Schwester sollte unverzüglich geschrieben werden.

Es war Morgen, als wir aus einander giengen. So unangenehm mir dieser Vorfall aus mehr als einer Ursache ist und seyn muß, so ist doch das allerverdrüßlichste daran, daß er unsern Aufenthalt in Venedig zu verlängern droht. Von dieser anfangenden Leidenschaft erwarte ich viel mehr gutes als [90] schlimmes. Sie ist vielleicht das kräftigste Mittel, den Prinzen von seinen metaphysischen Träumereien wieder zur ordinären Menschheit herabzuziehen. Sie wird die gewöhnliche Krise haben, und, wie eine künstliche Krankheit, auch die alte mit sich hinwegnehmen.

Leben Sie wohl, liebster Freund. Ich habe Ihnen alles dieß nach frischer That hingeschrieben. Die Post geht sogleich; sie werden diesen Brief mit dem vorhergehenden an einem Tage erhalten.



[91]
Baron von F*** an den Grafen von O***.
Sechster Brief.
20. Junius.     

Dieser Civitella ist doch der dienstfertigste Mensch von der Welt. Der Prinz hatte mich neulich kaum verlassen, als schon ein Billet von dem Marchese erschien, worin mir die bewußte Sache auf’s dringendste empfohlen wurde. Ich schickte ihm sogleich eine Verschreibung in des Prinzen Nahmen auf 6000 Zecchinen; in weniger als einer halben Stunde folgte sie zurück, nebst der doppelten Summe, in Wechseln sowohl als baarem Golde. In die Erhöhung der Summe willigte endlich der Prinz; die Verschreibung aber, die nur auf 6 Wochen gestellt war, mußte angenommen werden.

Diese ganze Woche gieng in Erkundigungen nach der geheimnißvollen Griechinn hin. Biondello sezte alle seine Maschinen in Bewegung, bis jezt aber war alles vergeblich. Den Gondolier machte er zwar ausfindig, aus diesem war aber nichts weiter herauszubringen, als daß er beide Damen auf der Insel Murano ausgesezt habe, wo zwei Sänften auf sie gewartet hätten, in die sie gestiegen seien. Er machte [92] sie zu Engländerinnen, weil sie eine fremde Sprache gesprochen und ihn mit Gold bezahlt hätten. Auch ihren Begleiter kenne er nicht, er komme ihm vor wie ein Spiegelfabrikant aus Murano. Nun wußten wir wenigstens, daß wir sie nicht in der Giudecca zu suchen hätten, und daß sie aller Wahrscheinlichkeit nach auf der Insel Murano zu Hause sei; aber das Unglück war, daß die Beschreibung, welche der Prinz von ihr machte, schlechterdings nicht dazu taugte, sie einem Dritten kenntlich zu machen. Gerade die leidenschaftliche Aufmerksamkeit, womit er ihren Anblick gleichsam verschlang, hatte ihn gehindert, sie zu sehen; für alles das, worauf andere Menschen ihr Augenmerk zuerst und vorzüglich würden gerichtet haben, war er ganz und gar blind gewesen; nach seiner Schilderung war man eher versucht, sie im Petrarch oder Tasso, als auf einer venetianischen Insel zu suchen. Außerdem mußte diese Nachfrage selbst mit größter Vorsicht geschehen, um weder die Dame auszusetzen, noch sonst ein anstößiges Aufsehen zu erregen. Weil Biondello, außer dem Prinzen, der einzige war, der sie, durch den Schleier wenigstens, gesehen hatte, und also wieder erkennen konnte, so suchte er, wo möglich, an allen Orten, wo sie vermuthet werden konnte, zu gleicher Zeit zu seyn, das Leben des armen Menschen war diese ganze Woche über nichts, als ein ewiges Rennen durch alle Straßen [93] von Venedig. In der griechischen Kirche besonders wurde keine Nachforschung gespart, aber alles mit gleich schlechtem Erfolge; und der Prinz, dessen Ungeduld mit jeder fehlgeschlagenen Erwartung stieg, mußte sich endlich doch auf den nächsten Sonnabend vertrösten.

Seine Unruhe war schrecklich. Nichts zerstreute ihn, nichts vermochte ihn zu fesseln. Sein ganzes Wesen war in fiebrischer Bewegung, für alle Gesellschaft war er verloren, und das Uebel wuchs in der Einsamkeit. Nun wurde er nie mehr von Besuchen belagert, als eben in dieser Woche. Sein naher Abschied war angekündigt, alles drängte sich herbei. Man mußte diese Menschen beschäftigen, um ihre argwöhnische Aufmerksamkeit von ihm selbst abzuziehen; man mußte ihn beschäftigen, um seinen Geist zu zerstreuen. In diesem Bedrängniß verfiel Civitella auf das Spiel, und um die Menge wenigstens zu entfernen, sollte hoch gespielt werden. Zugleich hofte er, bei dem Prinzen einen vorübergehenden Geschmack an dem Spiel zu erwecken, der diesen romanhaften Schwung seiner Leidenschaft bald ersticken, und den man immer in der Gewalt haben würde, ihm wieder zu benehmen. „Die Karten, sagte Civitella, haben mich vor mancher Thorheit bewahrt, die ich im Begriff war, zu begehen, und manche wieder gut [94] gemacht, die schon begangen war. Die Ruhe, die Vernunft, um die mich ein Paar schöne Augen brachten, habe ich oft am Pharotisch wiedergefunden, und nie hatten die Weiber mehr Gewalt über mich, als wenn mir’s an Geld gebrach, um zu spielen.“

Ich lasse dahin gestellt seyn, in wie weit Civitella recht hatte – aber das Mittel, worauf wir gefallen waren, fieng bald an, noch gefährlicher zu werden, als das Uebel, dem es abhelfen sollte. Der Prinz, der dem Spiel nur allein durch hohes Wagen einen flüchtigen Reitz zu geben wußte, fand bald keine Grenzen mehr darin. Er war einmal aus seiner Achse. Alles, was er that, nahm eine leidenschaftliche Gestalt an; alles geschah mit der ungeduldigen Heftigkeit, die jezt in ihm herrschte. Sie kennen seine Gleichgültigkeit gegen das Geld; hier wurde sie zur gänzlichen Unempfindlichkeit. Goldstücke zerrannen wie Wassertropfen in seinen Händen. Er verlor fast ununterbrochen, weil er ganz und gar ohne Aufmerksamkeit spielte. Er verlor ungeheure Summen, weil er wie ein verzweifelter Spieler wagte. – Liebster O***, mit Herzklopfen schreib ich es nieder – in vier Tagen waren die 12000 Zecchinen – und noch drüber verloren.

Machen Sie mir keine Vorwürfe. Ich klage mich selbst genug an. Aber konnt’ ich es hindern? [95] Hörte mich der Prinz? Konnt’ ich etwas anders, als ihm Vorstellungen thun? Ich that, was in meinem Vermögen stand. Ich kann mich nicht schuldig finden.

Auch Civitello verlor beträchtlich, ich gewann gegen 600 Zecchinen. Das beispiellose Unglück des Prinzen machte Aufsehen; um so weniger konnte er jezt das Spiel verlassen. Civitella, dem man die Freude ansieht, ihn zu verbinden, streckte ihm sogleich die nehmliche Summe vor. Die Lücke ist zugestopft, aber der Prinz ist dem Marchese 24000 Zecchinen schuldig. O wie sehne ich mich nach dem Spargeld der frommen Schwester! – Sind alle Fürsten so, liebster Freund? Der Prinz beträgt sich nicht anders, als wenn er dem Marchese noch eine große Ehre erwiesen hätte, und dieser – spielt seine Rolle wenigstens gut.

Civitella suchte mich damit zu beruhigen, daß gerade diese Uebertreibung, dieses außerordentliche Unglück das kräftigste Mittel sei, den Prinzen wieder zur Vernunft zu bringen. Mit dem Gelde habe es keine Noth. Er selbst fühle diese Lücke gar nicht, und stehe dem Prinzen jeden Augenblick mit noch dreimal soviel zu Diensten. Auch der Kardinal gab mir die Versicherung, daß die Gesinnungen seines Neffen aufrichtig [96] seien, und daß er selbst bereit stehe, für ihn zu gewähren.

Das traurigste war, daß diese ungeheuren Aufopferungen ihre Wirkung nicht einmal erreichten. Man sollte meinen, der Prinz habe wenigstens mit Theilnehmung gespielt? Nichts weniger. Seine Gedanken waren weit weg, und die Leidenschaft, die wir unterdrücken wollten, schien von seinem Unglück im Spiele nur mehr Nahrung zu erhalten. Wenn ein entscheidender Streich geschehen sollte, und alles sich voll Erwartung um seinen Spieltisch herum drängte, suchten seine Augen Biondello, um ihm die Neuigkeit, die er etwa mitbrächte, von dem Angesicht zu stehlen. Biondello brachte immer nichts – und das Blatt verlor immer.

Das Geld kam übrigens in sehr bedürftige Hände. Einige Exzellenza, die, wie die böse Welt ihnen nachsagt, ihr frugales Mittagsmahl in der Senatormütze selbst von dem Markte nach Hause tragen, traten als Bettler in unser Haus, und verließen es als wohlhabende Leute. Civitella zeigte sie mir. „Sehen Sie, sagte er, wie vielen armen Teufeln es zu gute kommt, daß es einem gescheuten Kopf einfällt, nicht bei sich selbst zu seyn! Aber das gefällt mir. Das ist fürstlich und königlich! Ein großer Mensch [97] muß auch in seinen Verirrungen noch Glückliche machen, und wie ein übertretender Strom die benachbarten Felder befruchten!“

Civitella denkt brav und edel – aber der Prinz ist ihm 24000 Zecchinen schuldig!

Der so sehnlich erwartete Sonnabend erschien endlich, und mein Herr ließ sich nicht abhalten, sich gleich nach Mittag in der ***Kirche einzufinden. Der Platz wurde in eben der Kapelle genommen, wo er seine Unbekannte das erstemal gesehen hatte, doch so, daß er ihr nicht sogleich in die Augen fallen konnte. Biondello hatte Befehl, an der Kirchthüre Wache zu stehn und dort mit dem Begleiter der Dame Bekanntschaft anzuknüpfen. Ich hatte auf mich genommen, als ein unverdächtiger Vorübergehender bei der Rückfahrt in derselben Gondel Platz zu nehmen, um die Spur der Unbekannten weiter zu verfolgen, wenn das übrige mißlingen sollte. An demselben Orte, wo sie sich nach des Gondoliers Aussage das vorige mal hatte aussetzen lassen, wurden zwei Sänften gemiethet; zum Ueberfluß hieß der Prinz noch den Kammerjunker von Z*** in einer besondern Gondel nachfolgen. Der Prinz selbst wollte ganz ihrem Anblick leben, und wenn es angienge, sein Glück in der Kirche versuchen. Civitella blieb ganz weg, weil er bei dem Frauenzimmer [98] in Venedig in zu übeln Rufe stand, um durch seine Einmischung die Dame nicht mißtrauisch zu machen. Sie sehen, liebster Graf, daß es an unsern Anstalten nicht lag, wenn die schöne Unbekannte uns entgieng.

Nie sind wohl in einer Kirche wärmere Wünsche gethan worden, als in dieser, und nie wurden sie grausamer getäuscht. Bis nach Sonnenuntergang harrte der Prinz aus, von jedem Geräusche, das seiner Kapelle nahe kam, von jedem Knarren der Kirchthüre in Erwartung gesezt – sieben volle Stunden – und keine Griechinn. Ich sage Ihnen nichts von seiner Gemüthslage. Sie wissen, was eine fehlgeschlagene Hofnung ist – und eine Hofnung, von der man sieben Tage und sieben Nächte fast einzig gelebt hat.



[99]
Baron von F*** an den Grafen von O***.
Siebenter Brief.
August.     

Nein, liebster Freund. Sie thun dem guten Biondello unrecht. Gewiß. Sie hegen einen falschen Verdacht. Ich gebe Ihnen alle Italiäner Preis, aber dieser ist ehrlich.

Sie finden es sonderbar, daß ein Mensch von so glänzenden Talenten und einer so exemplarischen Aufführung sich zum Dienen herabsetze, wenn er nicht geheime Absichten dabei habe, und daraus ziehen Sie den Schluß, daß diese Absichten verdächtig seien. Wie? Ist es denn so etwas neues, daß ein Mensch von Kopf und Verdiensten sich einem Fürsten gefällig zu machen sucht, der es in der Gewalt hat, sein Glück zu machen? Ist es etwa entehrend, ihm zu dienen? Läßt Biondello nicht deutlich genug merken, daß seine Anhänglichkeit an den Prinzen persönlich sei? Er hat ihm ja gestanden, daß er eine Bitte an ihn auf dem Herzen habe. Diese Bitte wird uns ohne Zweifel das ganze Geheimniß aufklären. Geheime Absichten mag er immer haben, aber können diese nicht unschuldig seyn?

[100] Es befremdet Sie, daß dieser Biondello in den ersten Monaten, und das waren die, in denen Sie uns Ihre Gegenwart noch schenkten, alle die großen Talente, die er jezt an den Tag kommen lasse, verborgen gehalten, und durch gar nichts die Aufmerksamkeit auf sich gezogen habe. Das ist wahr, aber wo hätte er damals die Gelegenheit gehabt, sich auszuzeichnen? Der Prinz bedurfte seiner ja noch nicht, und seine übrigen Talente mußte der Zufall uns entdecken.

Aber er hat uns ganz kürzlich einen Beweis seiner Ergebenheit und Redlichkeit gegeben, der alle ihre Zweifel zu Boden schlagen wird. Man beobachtet den Prinzen. Man sucht geheime Erkundigungen von seiner Lebensart, von seinen Bekanntschaften und Verhältnissen einzuziehen. Ich weiß nicht, wer diese Neugierde hat. Aber hören Sie an.

Es ist hier in S. Georg ein öffentliches Haus, wo Biondello öfters aus und eingeht, er mag da etwas liebes haben, ich weiß es nicht. Vor einigen Tagen ist er auch da, er findet eine Gesellschaft beisammen, Advokaten und Offizianten der Regierung, lustige Brüder und alte Bekannte von ihm. Man verwundert sich, man ist erfreut ihn wieder zu [101] sehen. Die alte Bekanntschaft wird erneuert; jeder erzählt seine Geschichte bis auf diesen Augenblick, Biondello soll auch die seinige zum Besten geben. Er thut es in wenig Worten. Man wünscht ihm Glück zu seinem neuen Etablissement, man hat von der glänzenden Lebensart des Prinzen von *** schon erzählen hören, von seiner Freigebigkeit gegen Leute besonders, die ein Geheimniß zu bewahren wissen; seine Verbindung mit dem Kardinal A***i ist weltbekannt, er liebt das Spiel, u. s. f. Biondello stuzt – Man scherzt mit ihm, daß er den Geheimnißvollen mache, man wisse doch, daß er der Geschäftsträger des Prinzen von *** sei. Die beiden Advokaten nehmen ihn in die Mitte; die Flasche leert sich fleißig – man nöthigt ihn zu trinken; er entschuldigt sich, weil er keinen Wein vertrage, trinkt aber doch, um sich zum Schein zu betrinken.

„Ja, sagte endlich der eine Advokat, Biondello versteht sein Handwerk, aber ausgelernt hat er es noch nicht. Er ist nur ein Halber.“

Was fehlt mir noch? fragte Biondello.

„Er versteht die Kunst, sagte der andere, ein Geheimniß bei sich zu behalten, aber die andre noch nicht, es mit Vortheil wieder los zu werden.

[102] Sollte sich ein Käufer dazu finden? fragte Biondello.

Die übrigen Gäste zogen sich hier aus dem Zimmer, er blieb Tete a Tete mit seinen beiden Leuten, die nun mit der Sprache weiter herausgiengen. Daß ich es kurz mache, er sollte ihnen über den Umgang des Prinzen mit dem Kardinal und seinem Neffen Aufschlüsse verschaffen, ihnen die Quellen angeben, woraus der Prinz Geld schöpfe, und ihnen die Briefe, die an den Grafen von O*** geschrieben würden, in die Hände spielen. Biondello beschied sie auf ein andermal, aber wer sie angestellt habe, konnte er nicht aus ihnen herausbringen. Nach den glänzenden Offerten, die ihm gethan wurden, zu schließen, mußte die Nachfrage von einem sehr reichen Mann herrühren.

Gestern Abend entdeckte er meinem Herrn den ganzen Vorfall. Dieser war anfangs Willens, die Unterhändler kurz und gut bei’m Kopf nehmen zu lassen, aber Biondello machte Einwendungen. Auf freien Fuß würde man sie doch wieder stellen müssen, und dann habe er seinen ganzen Kredit unter dieser Klasse, vielleicht sein Leben selbst in Gefahr gesezt. Alle dieses Volk hange unter sich zusammen, alle stehen für einen, er wolle lieber den hohen Rath in Venedig zum [103] Feind haben, als unter ihnen für einen Verräther verschrien werden. Er würde dem Prinzen auch nicht mehr nüzlich seyn können, wenn er das Vertrauen dieser Volksklasse verloren hätte.

Wir haben hin und her gerathen, von wem dieß wohl kommen möchte. Wer ist in Venedig, dem daran liegen kann, zu wissen, was mein Herr einnimmt und ausgibt, was er mit dem Kardinal A***i zu thun hat, und was ich Ihnen schreibe? Sollte es gar noch ein Vermächtniß von dem Prinzen von ***d*** seyn? oder regt sich etwa der Armenier wieder?



[104]
Baron von F*** an den Grafen von O***.
Achter Brief.
August.     

Der Prinz schwimmt in Wonne und Liebe. Er hat seine Griechinn wieder. Hören Sie, wie dieß zugegangen ist.

Ein Fremder, der über Chiozza gekommen war, und von der schönen Lage dieser Stadt am Golf viel zu erzählen wußte, machte den Prinzen neugierig, sie zu sehen. Gestern wurde dieß ausgeführt, und um allen Zwang und Aufwand zu vermeiden, sollte niemand ihn begleiten als Z*** und ich, nebst Biondello, und mein Herr wollte unbekannt bleiben. Wir fanden ein Fahrzeug, das eben dahin abgieng, und mietheten uns darauf ein. Die Gesellschaft war sehr gemischt, aber unbedeutend, und die Hinreise hatte nichts merkwürdiges.

Chiozza ist auf eingerammten Pfählen gebaut, wie Venedig, und soll gegen 40,000 Einwohner zählen. Adel findet man wenig, aber bei jedem Tritte stößt man auf Fischer oder Matrosen. Wer eine Perücke und einen Mantel trägt, heißt ein Reicher; Mütze [105] und Ueberschlag sind das Zeichen eines Armen. Die Lage der Stadt ist schön, doch darf man Venedig nicht gesehen haben.

Wir verweilten uns nicht lange. Der Patron, der noch mehr Passagiers hatte, mußte zeitig wieder in Venedig seyn, und den Prinzen fesselte nichts in Chiozza. Alles hatte seinen Platz schon im Schiffe genommen, als wir ankamen. Weil sich die Gesellschaft auf der Herfahrt so beschwerlich gemacht hatte, so nahmen wir dießmal ein Zimmer für uns allein. Der Prinz erkundigte sich, wer noch mehr da sei? Ein Dominikaner war die Antwort, und einige Damen, die retour nach Venedig giengen. Mein Herr war nicht neugierig, sie zu sehen, und nahm sogleich sein Zimmer ein.

Die Griechinn war der Gegenstand unsers Gesprächs auf der Herfahrt gewesen, und sie war es auch auf der Rückfahrt. Der Prinz wiederholte sich ihre Erscheinung in der Kirche mit Feuer, Plane wurden gemacht und verworfen, die Zeit verstrich wie ein Augenblick, ehe wir es uns versahen, lag Venedig vor uns. Einige von den Passagiers stiegen aus; der Dominikaner war unter diesen. Der Patron gieng zu den Damen, die, wie wir jezt erst erfuhren, nur durch ein dünnes Bret von uns geschieden waren, [106] und fragte sie, wo er anlegen sollte. Auf der Insel Murano, war die Antwort, und das Haus wurde genannt. – Insel Murano! rief der Prinz, und ein Schauer der Ahndung schien durch seine Seele zu fliegen. Eh’ ich ihm antworten konnte, stürzte Biondello herein. „Wissen Sie auch, in welcher Gesellschaft wir reisen?“ – Der Prinz sprang auf – „Sie ist hier! Sie selbst! fuhr Biondello fort. Ich komme eben von ihrem Begleiter.“

Der Prinz drang hinaus. Das Zimmer ward ihm zu enge, die ganze Welt wär’ es ihm in diesem Augenblick gewesen. Tausend Empfindungen stürmten in ihm, seine Knie zitterten, Röthe und Blässe wechselten in seinem Gesichte. Ich zitterte erwartungsvoll mit ihm. Ich kann Ihnen diesen Zustand nicht beschreiben.

In Murano ward angehalten. Der Prinz sprang an’s Ufer. Sie kam. Ich las im Gesicht des Prinzen, daß sie’s war. Ihr Anblick ließ mir keinen Zweifel übrig. Eine schönere Gestalt hab’ ich nie gesehen, alle Beschreibungen des Prinzen waren unter ihr geblieben. Eine glüende Röthe überzog ihr Gesicht, als sie den Prinzen ansichtig wurde. Sie hatte unser ganzes Gespräch hören müssen, sie konnte auch nicht zweifeln, daß sie der Gegenstand desselben gewesen [107] sei. Mit einem bedeutenden Blicke sah sie ihre Begleiterinn an, als wollte sie sagen: das ist er! und mit Verwirrung schlug sie ihre Augen nieder. Ein schmales Bret ward vom Schiff an das Ufer gelegt, über welches sie zu gehen hatte. Sie schien ängstlich, es zu betreten – aber weniger, wie mir vorkam, weil sie auszugleiten fürchtete, als weil sie es ohne fremde Hülfe nicht konnte, und der Prinz schon den Arm ausstreckte, ihr beizustehn. Die Noth siegte über ihre Bedenklichkeit. Sie nahm seine Hand an, und war am Ufer. Die heftige Gemüthsbewegung, in der der Prinz war, machte ihn unhöflich; die andre Dame, die auf den nehmlichen Dienst wartete, vergaß er – was hätte er in diesem Augenblick nicht vergessen? Ich erwies ihr endlich diesen Dienst, und dieß brachte mich um das Vorspiel einer Unterredung, die sich zwischen meinem Herrn und der Dame angefangen hatte.

Er hielt noch immer ihre Hand in der seinigen – aus Zerstreuung, denke ich, und ohne daß er es selbst wußte.

„Es ist nicht das erstemal, Signora, daß – – daß – – Er konnte es nicht heraus sagen.

„Ich sollte mich erinnern, lispelte sie – –

[108] „In der ***Kirche, sagte er –

„In der ***Kirche war es, sagte sie –

„Und konnte ich mir heute vermuthen – – Ihnen so nahe –

Hier zog sie ihre Hand leise aus der seinigen – Er verwirrte sich augenscheinlich. Biondello, der indessen mit den Bedienten gesprochen hatte, kam ihm zu Hülfe.

Signor, fieng er an, „die Damen haben Sänften hieher bestellt, aber wir sind früher zurückgekommen, als sie sich’s vermutheten. Es ist hier ein Garten in der Nähe, wo sie so lange eintreten können, um dem Gedränge auszuweichen.

Der Vorschlag ward angenommen, und Sie können denken, mit welcher Bereitwilligkeit von Seiten des Prinzen. Man blieb in dem Garten bis es Abend wurde. Es gelang uns, Z*** und mir, die Matrone zu beschäftigen, daß der Prinz sich mit der jungen Dame ungestört unterhalten konnte. Daß er diese Augenblicke gut zu benutzen gewußt habe, können Sie daraus abnehmen, daß er die Erlaubniß empfangen hat, sie zu besuchen. Eben jezt, da ich Ihnen schreibe, ist er dort. Wenn er zurückkommt, werde ich mehr erfahren.

[109] Gestern, als wir nach Hause kamen, fanden wir endlich auch die erwarteten Wechsel von unserm Hofe, aber von einem Briefe begleitet, der meinen Herrn sehr in Flammen sezte. Man ruft ihn zurück, und in einem Tone, wie er ihn gar nicht gewohnt ist. Er hat sogleich in einem ähnlichen geantwortet, und wird bleiben. Die Wechsel sind eben hinreichend, um die Zinsen von dem Kapitale zu bezahlen, das er schuldig ist. Einer Antwort von seiner Schwester sehen wir mit Verlangen entgegen.

(Die Fortsetzung im nächsten Hefte.)