Iphigenie in Aulis – Teil 2
Iphigenie in Aulis ist ein Drama von Euripides, das im achtzehnten Jahrhundert von Friedrich Schiller aus dem Griechischen ins Deutsche übersetzt wurde. Diese Version folgt der Orthografie aus Schillers Thalia.
Das Theaterstück spielt kurz vor dem Trojanischen Krieg, als die Griechen mit ihren Schiffen nach Troja in See stechen wollen. Göttin Artemis verspricht ihnen nur frischen Wind, wenn der Anführer Agamemnon seine Tochter Iphigenie opfert. Als Agamemnon seinem Bruder Menelaus von der Opferung berichtet, ist dieser zwar zuerst entsetzt, steht ihm aber bei. Unter dem Vorwand, dass sie Achilles heiraten soll, lockt Agamemnon Iphigenie in das Militärlager, ahnt aber nicht, dass seine Gattin Clytemnestra zur angeblichen Hochzeit mitgekommen ist.
Im zweiten Teil findet Clytemnestra heraus, dass Achilles nichts von der Heirat weiß, und ein Sklave verrät ihr von der geplanten Opferung. Das griechische Heer ist dafür, Iphignie zu opfern, weil sie unbedingt nach Troja ziehen wollen, weshalb Achilles verspricht, Iphigenie zu beschützen. Schließlich entscheidet sich Iphigenie jedoch, als Heldin für ihr Land zu sterben und stellt sich freiwillig der Opferung.
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Inhaltsverzeichnis
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Achilles. Der Chor.
Achilles.
Wo find’ ich hier den Feldherrn der Achiver?
(Zu einigen Sclaven.)
Wer von euch sagt ihm, daß Achill ihn hier
an des Euripus Mündung nun das Heer;
ein jeder freilich nimmt’s auf seine Weise.
Der, noch durch Hymens Bande nicht gebunden,
ließ öde Wände nun zurück und weilet
entwich von Weib und Kindern. So gewaltig
ist diese Kriegeslust, die zu dem Zug
nach Ilion ganz Hellas aufgebothen,
nicht ohne eines Gottes Hand! – Nun will ich,
wer sonst was vorzubringen hat, verfecht’
es für sich selbst! – Ich habe Pharsalus
verlassen und den Vater – Wie? Etwa,
daß des Euripus schwache Winde mich
ich meine Myrmidonen, die mich fort
und fort bestürmen – „Worauf warten wir
denn noch Achill? Wie lang’ wird noch gezaudert,
bis wir nach Troja unter Segel gehn?
uns lieber wieder heim, anstatt noch länger
ein Spiel zu seyn der zögernden Atriden.“
Clytemnestra zu den Vorigen.
Clytemnestra.
Glorwürd’ger Sohn der Thetis! Deine Stimme
vernahm ich drinnen im Gezelt, drum komm’ ich
Achilles
(betroffen.)
Heilige
Schamhaftigkeit! – Ein Weib – von diesem Anstand –
Clytemnestra.
Kein Wunder, daß Achill mich nicht erkennet,
der mich vordem noch nie gesehn – Doch Dank ihm,
daß ihn der Scham Gesetze heilig sind!
Achilles.
in’s griech’sche Lager, wo man Männer nur
und Waffen sieht?
Clytemnestra.
Ich bin der Leda Tochter,
und Clytemnestra heiß’ ich. Mein Gemahl
ist König Agamemnon.
Achilles.
Viel und genug
Nicht wohlanständig wäre mir’s, mit Frauen
Gespräch zu wechseln.
Clytemnestra.
Bleib. Was fliehest du?
Laß, deine Hand in meine Hand gelegt,
das neue Bündniß glücklich uns beginnen.
Achilles.
Zu sehr verehr’ ich Agamemnons Haupt,
als daß ich wagen sollte, zu berühren,
was mir nicht ziemt.
Clytemnestra.
Warum dir nicht geziemen,
da du mit meiner Tochter dich vermählest?
Achilles.
Doch nein, du redest so, weil du dich irrest.
Clytemnestra.
Auch dieß Erstaunen find’ ich sehr begreiflich.
Uns alle pflegt – ich weiß nicht welche – Scheu
bei’m Anblick neuer Freunde anzuwandeln,
Achilles.
Nie, Königinn, hab’ ich um deine Tochter
gefreit – und nie ist zwischen den Atriden
und mir ein solches unterhandelt worden.
Clytemnestra.
Was für ein Irrthum muß hier seyn? Gewiß,
die deine mich nicht minder in Erstaunen.
Achilles.
Denk nach, wie das zusammenhängt! Dir muß,
wie mir, dran liegen es herauszubringen.
Vielleicht, daß wir nicht beide uns betrügen!
Clytemnestra.
Vermählung, fürcht’ ich, läßt man mich hier stiften,
die nie seyn wird und nie hat werden sollen.
O wie beschämt mich das!
Achilles.
Ein Scherz vielleicht,
den jemand mit uns beiden treibt! Nimm’s nicht
Clytemnestra.
Leb’ wohl. In deine Augen kann ich ferner
nicht schaun, da ich zur Lügnerinn geworden,
da ich erniedrigt worden bin.
Achilles.
Mich laß
vielmehr so reden! – Doch ich geh’ hinein,
(wie er auf das Zelt zugeht, wird es geöfnet.)
Der alte Sclave zu den Vorigen.
Sclave.
(in der Thüre des Gezelts.)
Halt Aeacide! Göttinnsohn, mit dir
und auch mit dieser hier hab’ ich zu reden.
Achilles.
Wer reißt die Pforten auf und ruft – Er ruft
wie außer sich.
Sclave.
Ein Knecht. Ein armer Nahme,
mich –
Achilles.
Wessen Knecht? Er ist nicht mein, der Mensch.
Ich habe nichts gemein mit Agamemnon.
Sclave
Des Hauses Knecht, vor dem ich stehe. Tyndar,
(auf Clytemnestra zeigend)
ihr[WS 1] Vater, hat mich drein gestiftet.
Achilles.
Nun!
mich aufzuhalten.
Sclave.
Ist kein Zeuge weiter
vor diesen Thoren? Seid ihr ganz allein?
Clytemnestra.
So gut als ganz allein. Sprich dreist – erst aber
verlaß das Königszelt und komm hervor.
Sclave
(kommt heraus.)
erretten, die ich gern erretten möchte!
Achilles.
Er spricht von etwas, das noch kommen soll,
und von Bedeutung scheint mir seine Rede.
Clytemnestra.
Verschieb’s nicht länger, ich beschwöre dich,
Sclave.
Ist dir bekannt, was für ein Mann ich bin,
und wie ergeben ich dir stets gewesen,
dir und den Deinigen?
Clytemnestra.
Ich weiß, du bist
ein alter Diener schon von meinem Hause.
Sclave.
das du dem König zugebracht – Ist dir
das noch erinnerlich?
Clytemnestra.
Recht gut. Nach Argos
bracht’ ich dich mit, wo du mir stets gedienet.
Sclave.
So ist’s. Drum war ich dir auch jederzeit
Clytemnestra.
Zur Sache.
Heraus mit dem, was du zu sagen hast.
Sclave.
Der Vater will – mit eigner Hand will er –
– das Kind ermorden, das du ihm gebohren.
Clytemnestra.
Was? Wie? – Entsetzlich! – Mensch! du bist von Sinnen.
Sclave.
will er mit mörderischem Eisen schlagen.
Clytemnestra.
Ich Unglückseligste! – Ras’t mein Gemahl?
Sclave.
Sehr bei sich selbst ist er – Nur gegen dich
und gegen deine Tochter mag er rasen.
Clytemnestra.
Sclave.
Ein Götterspruch, der nur um diesen Preis,
wie Kalchas will, den Griechen freie Fahrt
versichert.
Clytemnestra.
Fahrt! Wohin? – Beweinenswerthe Mutter!
Beweinenswürdigeres Kind, das in
Sclave.
Die Fahrt nach Ilion, Helenen heim
zu hohlen.
Clytemnestra.
Daß Helene wiederkehre
stirbt Iphigenie?
Sclave.
Du weißt’s. Dianen
will Agamemnon sie zum Opfer schlachten.
Clytemnestra.
die mich von Argos rief – Wozu denn die?
Sclave.
Daß du so minder säumtest, sie zu bringen,
im Wahn, sie ihrer Hochzeit zuzuführen.
Clytemnestra.
O Kind! Zum Tode kamest du. Wir kamen
Sclave.
Ja, bejammernswürdig, schrecklich
ist euer Schicksal. Schreckliches begann
der König.
Clytemnestra.
Weh mir! Weh! Ich bin verloren.
Ich kann nicht mehr. Ich halte meine Thränen
nicht mehr.
Sclave.
Ein armer, armer Trost sind Thränen
Clytemnestra.
Sprich aber: Woher weißt du das? Durch wen?
Sclave.
Ein zweiter Brief ward mir an dich gegeben.
Clytemnestra.
Mich abzumahnen oder anzutreiben,
daß ich die Tochter dem Verderben brächte?
Sclave.
Der Herr war Vater wiederum geworden.
Clytemnestra.
Unglücklicher! Warum mir diesen Brief
nicht überliefern?
Sclave.
Menelaus fieng
ihn auf. Ihm dankst du alles was du leidest.
(er geht ab.)
Clytemnestra
(wendet sich an Achilles.)
Achilles.
Bejammernswerthe Mutter! – – Aber mich
hat man nicht ungestraft mißbraucht.
Clytemnestra.
Mit dir
vermählen sie mein Kind um es zu würgen!
Achilles.
Ich bin entrüstet über Agamemnon,
Clytemnestra
(fällt ihm zu Füßen.)
Und ich erröthe nicht, mich vor dir nieder
zu werfen, ich, die Sterbliche, vor dir,
den eine Himmlische gebahr. Weg eitler Stolz!
Kann sich die Mutter für ihr Kind entehren?
der Mutter, mit der Unglückseligen Erbarmen
die deiner Gattinn Nahmen schon getragen!
Mit Unrecht trug sie ihn. Doch hab’ ich sie
als deine Braut hieher geführt, dir hab’ ich
hab’ ich geschmückt, ein Opfer hergeführt!
O! das wär’ schändlich, wenn du sie verließest:
War sie durch Hymens Bande gleich die Deine
noch nicht – Du wardst als der geliebteste
Bei dieser Wange, dieser Rechte, bei
dem Leben deiner Mutter sei beschworen!
Verlaß uns nicht! Dein Nahme ist’s, der uns
in’s Elend stürzt – Drum rette du uns wieder.
Altar, zu dem ich Aermste fliehen kann.
Hier lächelt mir kein Freund. Du hast gehört,
was Agamemnon gräßliches beschlossen.
Da steh ich unter rohem Volk – ein Weib,
zu jedem Bubenstück bereit – auch brav,
gewiß recht brav und werth, sobald sie mögen![1]
Versichre du uns deines Schutzes, und
gerettet sind wir! Ohne dich verloren.
Chor.
gebiert das Weib, und quält sich für’s Gebohrne!
Achilles.
Mein großes Herz kam deinem Wunsch entgegen.
Es weiß zu trauern mit dem Gram und sich
des Glücks zu freuen mit Enthaltsamkeit.
Chor.
das ist es, was den Weisen macht!
Achilles.
Es kommen Fälle vor im Menschenleben,
wo’s Weisheit ist, nicht allzuweise seyn,
es kommen andre, wo nichts schöner kleidet,
in Chirons Schule, des Vortrefflichen.
Wo sie gerechtes mir befehlen, finden
gehorsam die Atriden mich, die Stirne
von Erzt, wo sie unbilliges gebiethen.
und den Achiverkrieg, was an mir ist,
mit meines Armes Heldenthaten zieren.
Du jammerst mich. Zu viel erleidest du
von dem Gemahl, von Menschen deines Blutes.
erwart’s von mir! – Er soll dein Kind nicht schlachten.
An eine Jungfrau, die man mein genannt,
soll kein Atride Mörderhände legen.
Es soll ihm nicht so hingehn, meines Nahmens
Mein Nahme, der kein Eisen aufgehoben,
mein Nahme wär’ der Mörder deiner Tochter,
und Er, der Vater, hätte sie erschlagen.
Doch theilen würd’ ich seines Mordes Fluch,
gegeben hätte, so unwürdig, so
unmenschlich, ungeheuer, unerhört,
die unschuldsvolle Jungfrau zu mißhandeln.
Der Griechen lezter müßt’ ich seyn, der Menschen
Als Menelaus müßt’ ich seyn[2]. Mir hätte
nicht Thetis, der Erinnen eine hätte
das Leben mir gegeben, wenn ich mich
des Königs Mordbegier zum Werkzeug borgte.
der Göttlichen, die mich zur Welt gebohren!
Er soll sie nicht berühren – nicht ihr Kleid
mit seines Fingers Spitze nur berühren.
Eh’ dieß geschiehet, decke ewige
wenn der Atriden Stammplatz, Sipylus,
im Ohr der Nachwelt unvergänglich lebet.
Es mag der Seher Kalchas das Geräthe
zum Opfer nur zurücke tragen – Seher?
für eine Wahrheit zehen Lügen sagt.
Geräth es? Gut. Wo nicht, ihm geht es hin.
Es gibt der Jungfraun Tausende, die mich
zum Gatten möchten – Davon ist auch jezt
In meinen Willen hätt’ er’s stellen sollen;
ob mir’s gefiele, um sein Kind zu frein?
Gern’ und mit Freunden würde Clytemnestra
in dieses Bündniß eingewilligt haben.
alsdann zum Opfer sie verlangt, ich würde
sie meinen Kriegsgenossen, würde sie
dem Wohl der Griechen nicht verweigert haben.
So aber gelt’ ich nichts vor den Atriden,
Doch dürfte, eh’ wir Ilion noch sehn,
dieß Schwerdt von Blut und Menschenmorde triefen,
wenn man’s versuchte, mir sie zu entreissen.
Sei du getrost. Ein Gott erschien ich dir.
Chor.
An dieser Sprache kennt man dich, Achill,
und die Erhabene, die dich gebohren.
Clytemnestra.
O Herrlichster! Wie stell ich’s an, wie muß
ich reden, um zu sparsam nicht zu seyn
durch mein ausschweifend Rühmen zu verscherzen.
Zu vieles Loben, weiß ich wohl, macht dem,
der edel denkt, den Lober nur zuwider.
Doch schäm’ ich mich mit ew’ger Jammerklage,
den Glücklichen, den Fremdling zu ermüden.
Doch Fremdling oder nicht – wer Leidenden
beispringen kann, wird auch mit ihnen trauern.
Drum hab’ mit uns Erbarmen. Unser Schicksal
dich Sohn zu nennen – ach sie war vergebens!
Auch schreckt vielleicht dein künftig Ehebette
mein sterbend Kind mit schwarzer Vorbedeutung,
und du wirst eilen, sie zu fliehn![3] Doch nein,
und willst du nur, so lebt mein Kind. Soll sie
etwa selbst flehend deine Knie umfassen?
So wenig dieß der Jungfrau ziemt, gefällt
es dir, so mag sie kommen, züchtiglich,
Wo nicht, so laß an ihrer Statt mich der
Gewährung süßes Wort von dir vernehmen.
Achilles.
Die Jungfrau bleibe, wo sie ist. Daß sie
verschämt ist, bringt ihr Ehre.
Clytemnestra.
Auch verschämt seyn
Achilles.
Ich will es nicht. Ich will nicht, daß du sie
vor meine Augen bringest, und wir beide
boshaftem Tadel Preis gegeben werden.
Ein zahlreich Heer, der heimatlichen Sorgen
mit häm’schen, ehrenrührigen Gerüchten.
Und mög’t ihr flehend oder nicht vor mir
erscheinen, ihr erhaltet weder mehr
noch minder – denn beschlossen ist’s bei mir,
Das laß dir gnügen. Glaub’, ich rede ernstlich.
Und sterben mög’ ich, hab’ ich deine Hofnung
mit eitler Rede nur getäuscht. Rett’ ich
die Jungfrau – nein, da werd’ ich leben.
Clytemnestra.
Lebe
Achilles.
Nun höre,
wie wir’s am besten einzurichten haben.
Clytemnestra.
Laß hören! Dir gehorch’ ich gern.
Achilles.
Zuvor erst
muß man es mit dem Vater noch versuchen.
Clytemnestra.
Ach, der ist feig und zittert vor der Menge!
Achilles.
Clytemnestra.
Ich hoffe nichts. Doch sprich, was muß ich thun?
Achilles.
Fall’ ihm zu Füßen! Fleh’ ihn an, daß er
sein Kind nicht tödte! Bleibt er unerbittlich,
dann komm zu mir! – Erweichst du ihn, noch besser.
bleibt leben, ich erhalte mir den Freund,
auch bei dem Heer vermeid’ ich Tadel, hab’ ich
durch Gründe mehr als durch Gewalt gestritten.
Und so wird alles glücklich abgethan,
und meines Armes braucht es nicht.
Clytemnestra.
Du räthst
verständig. Es geschehe, wie du meinest.
Mißlingt mir’s aber – wo seh’ ich dich wieder?
Wo find’ ich Aermste diesen Heldenarm,
Achilles.
Wo’s meiner Gegenwart bedarf, werd’ ich
dir nahe seyn, und dir’s ersparen, vor
dem Heer der Griechen dich und deine Ahnherr’n
durch Jammer zu erniedrigen. So tief
– ein großer Nahme in der Griechen Land!
Clytemnestra.
Wie dir’s gefällt. Ich unterwerfe mich.
Und, gibt es Götter, Treflichster! Dir muß
es wohl ergehn! Gibt’s keine – Warum leid’ ich?[4]
(Achilles und Clytemnestra gehen ab.)
Chor.
der Hochzeitgesang,
den zu der Zitter tanzlustigen Tönen,
zur Schalmei und zum libyschen Rohr,
sang der Kamönen
auf Peleus Hochzeit und Thetis der Schönen!
Wo die Becher des Nektars erklangen
auf des Pelion wolkichten Kranz,
kamen die zierlich gelockten und schwangen
Mit dem melodischen Jubel der Lieder
feierten sie der Verbundenen Glück.
Der Berg der Centauren hallte sie wieder,
Pelions Wald gab sie schmetternd zurück.
schöpfte des Nektars himmlische Gabe
Jovis Liebling, der phrygische Knabe
in die Bäuche des goldnen Pokals.
Funfzig Schwestern der Göttlichen hüpften
tanzten den Hochzeitreigen, und knüpften
reitzende Ring’ mit verschlungener Hand.
Gegenstrophe.
Grünen Kronen in dem Haar,
und mit fichtenem Geschosse,
kam auch der Centauren Schar,
angelockt von Bromius Pokale
kamen sie zum Göttermahle.
Heil dir, hohe Nereide!
der Thessalierinnen Chor,
Heil dir! sang der Mädchen Chor.
Heil dir! Heil dem schönen Sterne,
das aus deinem Schooß ersteht!
der verborgnen Zukunft späht,
und der auf den unbekannten
Stamm der Musen sich versteht,
Chiron, der Centaure – nannten
der zu Priams Königsitze
kommen würde an der Spitze
seiner Myrmidonenscharen
in des Speeres Wurf erfahren,
in des Räubers Vaterland –
auch die Rüstung, die er würde tragen,
künstlich von Hephästos Hand
aus gediegnem Gold geschlagen,
die den Seligen empfangen.
So ward von den Himmlischen
Thetis Hochzeitfest begangen!
Epode.
Dir, Agamemnons thränenwerthem Kinde,
erzogen, und der Pfeife Klang,
still aufgeblüht im mütterlichen Schooß,
dem Tapfersten der Inachiden
dereinst zur süßen Braut beschieden,
Dir flechten einen Kranz von Blüthen
die Griechen in das schöngelockte Haar.
Gleich einem Rinde, das der wilde Berg gebahr,
das, unberührt vom Joch, aus Felsenhöhlen,
wird dich der Opferstahl entseelen.
Dann rettet dich nicht deine Jugend,
nicht das Erröthen der verschämten Tugend,
nicht deine reitzende Gestalt!
Es spricht mit frechem Angesichte
den heiligen Gesetzen Hohn.
Die Tugend ist aus dieser Welt geflohn,
und dem Geschlecht der Menschen drohn
Clytemnestra kommt. Der Chor.
Clytemnestra.
Ich komme, meinen Gatten aufzusuchen,
noch immer bleibt er aus, es ist schon lange,
daß er das Zelt verließ – und drinnen weint
und jammert die Unglückliche, nun sie
Er nähert sich, den ich genannt. Der ist’s,
das ist der Agamemnon, den man bald
verrucht wird handeln sehn an seinen Kindern.
Agamemnon. Vorige.
Agamemnon.
Gut, Clytemnestra, daß ich außerhalb
mich über Dinge mit dir zu besprechen,
die einer Jungfrau, die bald Braut seyn wird,
nicht wohl zu hören ziemt.
Clytemnestra.
Und was ist das
wozu die Zeit sich dir so günstig zeiget?
Agamemnon.
ist in Bereitschaft, das geweihte Wasser,
das Opfermahl, das heil’ge Feu’r, die Rinder,
die vor der Hochzeit am Altar Dianens,
in schwarzem Blute röchelnd, fallen sollen.
Clytemnestra.
ein Gleiches rühmen könnte! – Aber komm’
du selbst heraus, mein Kind!
(Sie geht und öfnet die Thür des Gezelts.)
Was dieser da
mit dir beschlossen hat, weißt du ausführlich.
Nimm unter deinem Mantel auch den Bruder
(Zu Agamemnon, indem Iphigenie heraustritt.)
Sieh’, da ist sie, deine
Befehle zu vernehmen. Was noch sonst
für sie und mich zu sagen übrig bleibt,
werd’ ich hinzuzusetzen wissen.
Iphigenie mit dem kleinen Orestes zu den Vorigen.
Agamemnon.
Was ist dir Iphigenie? – – – Du weinst?
zu Boden und verbirgst dich in den Schleier?
Iphigenie.
Ich Unglückselige! Wo fang’ ich an?
bei welchem unter allen meinen Leiden?
Verzweiflung, wo ich nur beginnen mag,
Agamemnon.
Was ist das?
Hat alles hier zusammen sich verstanden,
mich zu bestürzen – Kind und Mutter außer sich
und Unruh’ im Gesichte –
Clytemnestra.
Mein Gemahl,
antworte mir auf das, was ich dich frage,
Agamemnon.
Braucht’s dazu Ermahnung?
Zur Sache.
Clytemnestra.
Ist’s an dem – willst du sie wirklich
ermorden, deine Tochter und die meine?
Agamemnon.
(fährt auf)
Unglückliche! Was für ein Wort hast du gesprochen!
Was argwöhnst du? – Du sollst es nicht!
Clytemnestra.
Antworte
Agamemnon.
Frage was sich ziemt,
so kann ich dir antworten, wie sich’s ziemet.
Clytemnestra.
So frag’ ich. Sage du mir nur nichts anders.
Agamemnon.
Furchtbare Göttinnen des Glücks und Schicksals
und du mein böser Genius!
Clytemnestra.
Und meiner –
Agamemnon.
Worüber klagst du?
Clytemnestra.
Dieses fragst du noch?
O dieser List gebricht es an Verstande.
Agamemnon.
Ich bin verloren. Alles ist verrathen.
Clytemnestra.
Ja, alles ist verrathen. Alles weiß ich
Dieß Schweigen, dieses Stöhnen ist Beweises
genug. Das Reden magst du dir ersparen.
Agamemnon.
Ich schweige. Reden was nicht wahr ist, hieße
mein Elend auch durch Frechheit noch erschweren.
Clytemnestra.
bei Seit’. Ich will jezt offen mit dir reden.
Erst drangst du dich – das sei mein erster Vorwurf –
gewaltsam mir zum Gatten auf, entführtest
mich räuberisch, nachdem du meinen ersten
von seiner Mutter Brust gerissen, mit
grausamem Wurf am Boden ihn zerschmettert.
Als meine Brüder drauf, die Söhne Zevs,
die Herrlichen mit Krieg dich überzogen,
du knieend flehtest, ihrem Zorn, und gab
die Rechte meines Gatten dir zurücke.
Seit diesem Tag – kannst du es anders sagen?
fand’st du in mir die lenksamste der Frauen,
untadelhaft im Wandel. Sichtbar wuchs
der Segen deines Hauses – Lust und Freude,
wenn du hineintratst! Wenn du öffentlich
erschienst, der frohe Zuruf aller Menschen!
ist wenigen bescheert. Desto gemeiner sind
die schlimmen! Ich gebähre dir drei Töchter
und diesen Sohn – und dieser Töchter eine
willst du jezt so unmenschlich mir entreissen!
hierauf zur Antwort geben? Sprich! Soll ich’s
in deinem Nahmen thun? Daß Menelaus
Helenen wieder habe, soll sie sterben!
O treflich! Deine Kinder also sind
dem Theuersten, das wir besitzen, wird
das Hassenswürdigste erkauft! – Wenn du
nun fort seyn wirst nach Troja, lange, lange,
ich im Pallast indessen einsam sitze,
und alle jungfräulichen Zimmer öde,
wie glaubst du, daß mir da zu Muth seyn werde?
Wenn ungetrocknet, unversiegend um
die Todte meine Thränen rinnen, wenn
der dir das Leben gab, gab dir den Tod!
Er selbst, kein and’rer, er mit eig’nen Händen!“
Sieh’ zu, daß dir von deinen andern Töchtern,
von ihrer Mutter, wenn du wiederkehrst,
der solcher Thaten würdig ist. O um
der Götter willen! Zwinge mich nicht, schlimm
an dir zu handeln! Handle du nicht so
an uns! – Du willst sie schlachten? Wie? Und welche
Was willst du, rauchend von der Tochter Blut,
von ihm erflehen? Fürchterliche Heimkehr
von einem schimpflich angetret’nen Zuge!
Werd’ ich für dich um Segen flehen dürfen?
das hieße, Göttern die Vernunft abläugnen!
Und sei’s, daß du nach Argos wiederkehrst,
denkst du dann, deine Kinder zu umarmen?
O dieses Recht hast du verscherzt! Wie könnten
mit kaltem Blut erschlug? – Darüber sind
wir einverstanden. – Mußtest du als König,
als Feldherr dich betragen – kam es dir
nicht zu, bei den Achivern erst die Sprache
nach Troja, Griechen? Gut. Das Loos entscheide,
weß’ Tochter sterben soll!“ Das hätte einem
gegolten wie dem andern! Aber nicht,
nicht dir von allen Danaern allein
Da! deinem Menelaus, dem zu Lieb’
ihr streitet, dem hätt’ es gebührt, sein Kind,
Hermione, der Mutter aufzuopfern!
Und ich, der immer keusch dein Bett’ bewahrte
wenn jene Lasterhafte, glücklicher
als ich, nach Sparta heimzieht mit der Ihren!
Bestreit’ mich, wenn ich Unrecht habe! Hab’
ich recht – O so geh’ in dich! – Bring’ sie nicht
Chor.
Laß dich erweichen, Agamemnon! Denk’,
wie schön es ist, sich seines Bluts erbarmen!
Das wird von allen Menschen eingestanden!
Iphigenie.
Mein Vater, hätt’ ich Orpheus Mund, könnt’ ich
zu folgen zwingen, und durch meine Rede
der Menschen Herzen, wie ich wollte, schmelzen,
jezt würd’ ich diese Kunst zu Hülfe rufen.
Doch meine ganze Redekunst sind Thränen,
statt eines Zweigs der Flehenden leg’ ich
mich selbst zu deinen Füßen – Tödte mich
nicht in der Blüthe! – Diese Sonne ist
so lieblich! Zwinge mich nicht, vor der Zeit,
die dich zum erstenmale Vater nannte,
die erste, die du Kind genannt, die erste,
die auf dem väterlichen Schooße spielte,
und Küsse gab, und Küsse dir entlockte.
werd’ ich dich wohl, wie’s deiner Herkunft ziemt,
im Hause eines glücklichen Gemahles
einst glücklich und gesegnet sehn?“ – Und ich,
an diese Wangen angedrückt, die flehend
„Werd’ ich den alten Vater alsdann auch
in meinem Haus mit süßem Gastrecht ehren,
und meiner Jugend sorgenlose Pflege
dem Greis mit schöner Dankbarkeit belohnen?“
Du hast’s vergessen, du, und willst mich tödten.
O nein! bei Pelops, deinem Ahnherrn! Nein!
bei deinem Vater Atreus und bei dieser,
die mich mit Schmerzen dir gebahr, und nun
Was geht mich Paris Hochzeit an? Kam er
nach Griechenland mich Arme zu erwürgen?
O gönne mir dein Auge! Gönne mir
nur einen Kuß, wenn auch nicht mehr Erhörung,
mit zu den Todten nehme! Komm, mein Bruder!
Kannst du auch wenig thun für deine Lieben,
hinknien und weinen kannst du doch. Er soll
die Schwester nicht um’s Leben bringen, sag’ ihm.
Sieh’ Vater! Eine stumme Bitte richtet er
an dich – Laß dich erweichen! Laß mich leben!
Bei deinen Wangen flehen wir dich an.
zwei deiner Lieben, der unmündig noch,
in ein herzrührend Wort zusammenfassen?
Nichts süßers gibt es, als der Sonne Licht
zu schaun! Niemand verlanget nach da unten.
Der raset, der den Tod herbeiwünscht! Beßer
Chor.
Dein Werk ist dieß, verderbenbringende
Helene! Deine Lasterthat empöret
die Söhne Atreus gegen ihre Kinder!
Agamemnon.
Ich weiß, wo Mitleid gut ist, und wo nicht.
Entsezlich ist mir’s, solches zu beschließen,
entsezlich mich ihm zu entziehn – Seyn muß es.
Seht dort die Flotte Griechenlandes! Seht!
Wie viele Könige in Erzt gewaffnet!
und nimmer fällt die Burg des Priamus,
du sterbest denn, wie es der Seher fordert.
Von wüthendem Verlangen brennt das Heer,
nach Phrygien die Segel auszuspannen,
von diesen Räubern zu befrein. Umsonst,
daß ich dem Götterspruch mich widersetze,
ich – du – und du – und unsre Töchter in
Mycene würden Opfer ihres Grimmes.
Nicht Menelaus ist’s, der aus mir handelt.
Dein Vaterland will deinen Tod – ihm muß ich,
gern oder ungern, dich zum Opfer geben.
Das Vaterland geht vor! – Die Griechen frei
was an uns ist, vor räubrischen Barbaren
zu schützen – das ist deine Pflicht und meine!
(er geht ab.)
Clytemnestra. Iphigenie. Der Chor.
Clytemnestra
Er geht! Er flieht dich! – Tochter – Fremdlinge –
Er flieht! – Ich Unglückselige! Sie stirbt!
Iphigenie.
O weh’ mir! – Mutter! Mutter! Gleiches Leid
berechtigt mich zu gleicher Jammerklage![7]
Kein Licht soll ich mehr schauen! Keine Sonne
mehr scheinen sehn! – O Wälder Phrygiens!
erhab’ner Ida, wo den zarten Sohn,
der Mutter Brust entrissen, Priamus
zu grausenvollem Tode hingeworfen!
O hätt’ er’s nimmermehr gethan! den Hirten
am klaren Wasser hingeworfen, wo
durch grüne, blüthenvolle Wiesen, reich
beblümt mit Rosen, würdig von Göttinnen
gepflückt zu werden, und mit Hyazinthen,
mit Hermes, Zevs geflügeltem Gesandten,
zu ihres Streits unseliger Entscheidung,
Athene kam, auf ihre Lanze stolz,
und stolz auf ihre Reitze Cypria
auf Jovis königliches Bette stolz!
O dieser Streit führt Griechenland zum Ruhme,
Jungfrauen, mich führt er zum Tod!
Chor.
Du fällst
für Ilion Dianens erstes Opfer.
Iphigenie.
das jammervolle Leben gab, er flieht!
Er meidet sein verrathnes Kind! Weh’ mir,
daß meine Augen sie gesehen haben,
die traurige Verderberinn! Ihr muß
durch eines Vaters frevelhaften Stahl!
O Aulis, hättest du der Griechen Schiffe
in deinem Hafen nie empfangen! Hätte
ein günst’ger Wind nach Troja sie beflügelt,
Ach! Er verleiht die Winde nach Gefallen,
dem schwellt er mit gelindem Wehn die Segel,
dem sendet er das Leid, die Angst dem andern,
den läßt er glücklich aus dem Hafen steuern,
den hält er in der Mitte seines Laufes.
War’s nicht schon leidenvoll genug, nicht etwa
schon thränenwerth genug, des Menschen Loos,
daß er dem Tod noch rief, es zu erschweren?
Chor.
die Tochter Tyndars über Griechenland!
Du aber, Aermste, jammerst mich am meisten.
O hättest du solch Schicksal nie erfahren!
Achilles, mit einigen Bewaffneten, erscheint in der Ferne. Die Vorigen.
Iphigenie
(erschrocken.)
O Mutter! Mutter! Eine Schar von Männern
Clytemnestra.
Der Göttinnsohn ist drunter,
für den ich dich hieher gebracht.
Iphigenie.
(eilt nach der Thür und ruft ihren Jungfrauen.)
Macht auf!
Macht auf die Pforten, daß ich mich verberge.
Clytemnestra.
Was ist dir? Vor wem fliehest du?
Iphigenie.
Vor ihm –
vor dem Peliden – ich erröthe, ihn
Clytemnestra.
Warum erröthen, Kind?
Iphigenie.
Ach! die
beschämende Entwicklung dieser –
Clytemnestra.
Laß
die Glücklichen erröthen! – Diese zücht’ge
Bedenklichkeiten jezt bei Seite, wenn
wir was vermögen sollen –
Achilles
(tritt näher.)
Arme Mutter!
Clytemnestra.
Achilles.
Ein fürchterliches Schreien
hört man im Lager.
Clytemnestra.
Ueber was? Wem gilt es?
Achilles.
Hier deiner Tochter.
Clytemnestra.
O das weißagt mir
nichts Gutes.
Achilles.
Alles dringt auf’s Opfer.
Clytemnestra.
Alles?
Und niemand ist, der sich dagegen sezte?
Achilles.
Clytemnestra.
Gefahr –
Achilles.
Gesteinigt
zu werden.
Clytemnestra.
Weil du meine Tochter
zu retten strebtest?
Achilles.
Eben darum.
Clytemnestra.
Was?
Wer durft’ es wagen, Hand an dich zu legen?
Achilles.
Die Griechen alle.
Clytemnestra.
Wie? Wo waren denn
Achilles.
Die
empörten sich zuerst.
Clytemnestra.
Weh’ mir! Wir sind
verloren, Kind!
Achilles.
Die Hochzeit habe mich
bethöret, schrie’n sie.
Clytemnestra.
Und was sagtest du
darauf?
Achilles.
Man solle die nicht würgen,
Clytemnestra.
Da sagtest du, was wahr ist.
Achilles.
Die der Vater
mir zugedacht.
Clytemnestra.
Und die er von Mycene
ausdrücklich hatte kommen lassen.
Achilles.
Vergebens! Ich ward überschrie’n.
Clytemnestra.
Die rohe
Achilles.
Dennoch rechne du
auf meinen Schutz.
Clytemnestra.
So vielen willst du’s biethen
ein Einziger?
Achilles.
Siehst du die Krieger dort?
Clytemnestra.
O möge dir’s bei diesem Sinn gelingen!
Achilles.
Es wird.
Clytemnestra.
So wird die Tochter mir nicht sterben?
Achilles.
Clytemnestra.
Kommt man
etwa, sie mit Gewalt hinweg zu führen?
Achilles.
Ein ganzes Heer. Ulysses führt es an.
Clytemnestra.
Der Sohn des Sisyphus etwa?
Achilles.
Derselbe.
Clytemnestra.
Führt eigner Antrieb oder Pflicht ihn her?
Achilles.
Clytemnestra.
Ein traurig Amt, mit Blut sich zu besudeln!
Achilles.
Ich werd’ ihn zu entfernen wissen.
Clytemnestra.
Sollte
er wider Willen sie von hinnen reissen?
Achilles.
Er? – Hier bei diesem blonden Haar!
Clytemnestra.
Was aber
Achilles.
Du hältst die Tochter.
Clytemnestra.
Wird
das hindern können, daß man sie nicht schlachtet?
Achilles.
Das wird dieß Schwerdt alsdann entscheiden![8]
Iphigenie.
Höre
mich an, geliebte Mutter. Hört mich beide.
Was tobst du gegen den Gemahl? Kein Mensch
Das größte Lob gebührt dem wohlgemeinten,
dem schönen Eifer dieses Fremden Freundes,
du aber, Mutter, lade nicht vergeblich
der Griechen Zorn auf dich, und stürze mir
Vernimm jezt, was ein ruhig Ueberlegen
mir in die Seele gab. Ich bin entschlossen
zu sterben – aber ohne Widerwillen
aus eig’ner Wahl, und ehrenvoll zu sterben!
Das ganze große Griechenland hat jezt
die Augen auf mich Einzige gerichtet.
Ich mache seine Flotte frei – durch mich
wird Phrygien erobert. Wenn fortan
aus Hellas sel’gem Boden weggeschleppt
zu werden von Barbaren, die nunmehr
für Paris Frevelthat so fürchterlich
bezahlen müssen – aller Ruhm davon
Ich werde Griechenland errettet haben,
und ewig selig wird mein Nahme strahlen.
Wozu das Leben auch so ängstlich lieben?
Nicht dir allein – du hast mich allen Griechen
die Tausende, die ihre Schilde schwenken,
dort andre Tausende, des Ruders kundig,
entbrannt von edelm Eifer kommen sie,
die Schmach des Vaterlands zu rächen, gegen
zu sterben für das Vaterland. Dieß alles
macht’ ich zu nichte, ich, ein einzig’s Leben?
Wo, Mutter, wäre das gerecht? Was kannst
du hierauf sagen? – Und alsdann –
(sich gegen Achilles wendend.)
Soll der’s
aufnehmen und zu Grunde gehn? Nein doch!
Das darf nicht seyn![9] Der einz’ge Mann verdient
das Leben mehr, als hunderttausend Weiber.
Und will Diana diesen Leib, werd’ ich,
Umsonst! Ich gebe Griechenland mein Blut.
Man schlachte mich, man schleife Trojas Veste!
Das soll mein Denkmal seyn auf ew’ge Tage,
das sei mir Hochzeit, Kind, Unsterblichkeit!
der Grieche und es diene der Barbare!
denn der ist Knecht, und jener frei gebohren!
Chor.
Dein großes Herz zeigst du – doch grausam ist
dein Schicksal, und ein hartes Urtheil sprach Diana!
Achilles.
mir geben wollte, Tochter Agamemnons!
Glücksel’ges Griechenland, so schön errettet!
Glückselig du, durch ein so großes Opfer
geehrt! Wie edel hast du da gesprochen!
Nothwendigkeit willst du nicht widerstreben,
was einmal seyn muß, muß vortreflich seyn.
Je mehr dieß schöne Herz sich mir entfaltet,
ach desto feuriger lebt’s in mir auf,
O sinn’ ihm nach. So gern thät’ ich dir Liebes,
und führte dich als Braut in meine Wohnung.
Kann ich im Kampfe mit den Griechen dich
nicht retten – o bei’m Leben meiner Mutter!
Es ist nichts kleines um das Sterben!
Iphigenie.
Meinen
Entschluß bringt kein Beweggrund mehr zum Wanken.
Mag Tyndars Tochter, herrlich vor uns allen,
durch ihre Schönheit Männer gegen Männer
sollst du nicht sterben, Fremdling! Meintwegen
soll niemand durch dich sterben! Ich vermag’s
mein Vaterland zu retten. Laß mich’s immer!
Achilles.
Erhab’ne Seele – Ja! Ist dieß dein ernster
Warum, was Wahrheit ist, nicht eingestehn?
Du hast die Wahl des Edelsten getroffen!
Doch dürfte die gewaltsame Entschließung
dich noch gereun, drum halt’ ich Wort und werde
dir nahe stehn – kein müß’ger Zeuge deines Todes,
dein Helfer vielmehr und dein Schutz. Wer weiß,
wenn nun der Stahl an deinem Halse blinkt,
ob dich des Freundes Nähe nicht erfreuet?
ein allzurasch gefaßter Vorsatz kürze.
Jezt führ’ ich diese –
(auf seine Bewaffneten zeigend.)
nach der Göttinn Tempel,
dort findest du mich, wenn du kommst.
(er geht ab.)
Iphigenie. Clytemnestra. Der Chor.
Iphigenie.
Nun Mutter? –
Es netzen stille Thränen deine Augen?
Clytemnestra.
O ich Unglückliche!
Iphigenie.
Nicht doch! Erweichen
mußt du mich jezt nicht, Mutter. Eine Bitte
gewähre mir.
Clytemnestra.
Entdecke sie, meine Kind.
Die Mutter findest du gewiß.
Iphigenie.
Versprich mir,
Gewand um dich zu schlagen –
Clytemnestra.
Wenn ich dich
verloren habe? Kind, was forderst du?
Iphigenie.
Du hast mich nicht verloren – Deine Tochter
wird leben und mit Glorie dich krönen.
Clytemnestra.
Iphigenie.
Nein Mutter! Für mich gibt’s kein Grab.
Clytemnestra.
Wie das?
Führt nicht der Tod zum Grab?
Iphigenie
Der Tochter Zevs
geheiligter Altar dient mir zum Grabe.
Clytemnestra.
Du hast mich überzeugt. Ich will dir folgen.
Iphigenie.
die Segen brachte über Griechenland.
Clytemnestra.
Was aber hinterbring’ ich deinen Schwestern?
Iphigenie.
Auch sie laß keinen Trauerschleier tragen.
Clytemnestra.
Darf ich die Schwestern nicht mit einem Worte
Iphigenie.
Mög’
es ihnen wohlergehen! – Diesen da
(auf Orestes zeigend)
erziehe mir zum Mann!
Clytemnestra.
Küß’ ihn noch einmal,
zum leztenmale!
Iphigenie.
(ihn umarmend.)
Liebstes Herz! Was nur
in deinen kleinen Kräften hat gestanden,
Clytemnestra.
Kann ich noch etwas Angenehmes sonst
in Argos dir erzeigen?
Iphigenie.
Meinen Vater
und deinen Gatten – haß’ ihn nicht!
Clytemnestra.
O! der
soll schwer genug an dich erinnert werden!
Iphigenie.
Clytemnestra.
Sprich, hinterlistig, niedrig, ehrenlos,
nicht, wie es einem Sohn des Atreus ziemet!
Iphigenie.
(sich umschauend.)
Wer führt mich zum Altar? – Denn an den Locken
möcht’ ich nicht hin gerissen seyn.
Clytemnestra.
Ich selbst.
Iphigenie.
Clytemnestra.
Ich fasse deinen Mantel.
Iphigenie.
Sei mir zu Willen, Mutter! Bleib! – Das ist
anständiger für dich und mich! – Hier, von
des Vaters Dienern findet sich schon einer,
der zu Dianens Wiese mich begleitet,
(Sie wendet sich zum Gefolge.)
Clytemnestra
(folgt ihr mit den Augen.)
Du gehst,
mein Kind?
Iphigenie.
Um nie zurück zu kehren!
Clytemnestra.
Verlässest deine Mutter?
Iphigenie.
Und unwürdig
von ihr gerissen, wie du siehst.
Clytemnestra.
O bleib!
Verlaß mich nicht!
(will auf sie zu eilen.)
Iphigenie
(tritt zurück.)
Nein! Keine Thränen mehr!
(sie redet den Chor an, mit dem sie gekommen ist.)
ein hohes Loblied an aus meinem Leiden,
zum frohen Zeichen für ganz Griechenland!
Das Opfer fange an – Wo sind die Körbe?
Die Flamme lodre um den Opferkuchen!
Heil und Triumph zu bringen den Achivern!
Kommt! Führt mich hin! Der Phrygier und Trojer
furchtbare Ueberwinderinn! Gebt Kronen,
gebt Blumen, diese Locken zu bekränzen!
um den Altar der Königinn Diana,
der Göttlichen! der Seligen! Denn, nun
es einmal seyn muß, will ich das Orakel
mit meinem Blut und Opfertode tilgen.
Chor.
(wendet sich gegen Clytemnestra, die in stumme Traurigkeit versenkt steht.)
die heil’ge Handlung duldet keine Thränen.
Iphigenie.
Helft mir Dianen preisen, Jungfrauen,
die, Chalcis nahe Nachbarinn, in Aulis
gebiethet, wo die Flotte Griechenlands
O Argos! Mütterliches Land! Und du,
der frühen Kindheit Pflegerinn, Mycene!
Chor.
Die Stadt des Perseus rufst du an, von den
Cyclopen für die Ewigkeit gegründet!
Iphigenie.
in deinem Schooß – Doch nein. Ich will ja freudig sterben.
Chor.
Im Ruhm wirst du unsterblich bei uns leben.
Iphigenie.
O Fackel Jovis! Schöner Strahl des Tages!
Ein ander Leben thut sich mir jezt auf,
Geliebte Sonne, fahre wohl[10].
(sie geht ab.)
[55]
Diese Tragödie ist vielleicht nicht die tadelfreieste des Euripides, weder im Ganzen noch in ihren Theilen. Agamemnons Charakter ist nicht fest gezeichnet, und durch ein zweideutiges Schwanken zwischen Unmensch und Mensch, Ehrenmann und Betrüger, nicht wohl fähig, unser Mitleiden zu erregen. Auch bei dem Charakter des Achilles bleibt man zweifelhaft, ob man ihn tadeln oder bewundern soll. Nicht zwar, weil er neben dem racinischen Achilles[WS 3] zu ungalant, zu unempfindsam erscheint; der französische Achilles ist der Liebhaber Iphigeniens, was jener nicht ist und nicht seyn soll; diese kleine eigennützige Leidenschaft würde sich mit dem hohen Ernst und dem wichtigen Interesse des griechischen Stücks nicht vertragen. Hätte sich Achilles wirklich überzeugt, daß Griechenlands Wohl dieses Opfer erheische, so möchte er sie immer bewundern, beklagen und sterben lassen. Er ist ein Grieche und selbst ein großer Mensch, der dieses Schicksal eher beneidet als fürchtet; aber Euripides nimmt ihm selbst diese Entschuldigung, indem er ihm Verachtung des Orakels, wenigstens Zweifel in den Priester, der es verkündigt hat, in den Mund legt. Man sehe die dritte Scene des vierten Akts; und selbst sein Anerbiethen, Iphigenien mit Gewalt zu erretten, beweis’t seine Geringschätzung des Orakels, denn wie [56] könnte er sich gegen das auflehnen, was ihm heilig ist? Wenn aber das Heilige wegfällt, so kann er in ihr nichts mehr sehen, als ein Opfer der Gewalt und priesterlichen Künste, und kann sich dieser großmüthige Göttersohn auch alsdann noch so ruhig dabei verhalten? Muß er sie nicht vielmehr, wenn sie mit thörigtem Fanatismus gleich selbst in den Tod stürzen will, mit Gewalt davon zurückhalten, als daß er ihr erlauben könnte, ein Opfer ihrer Verblendung zu werden? Man nehme es also wie man will, so ist entweder sein Versuch zu retten thöricht, oder seine nachfolgende Ergebung unverzeihlich, und inconsequent bleibt in jedem Falle sein Betragen. Der Chor in diesem Stücke, wenn ich seine erste Erscheinung ausnehme, ist ein ziemlich überflüßiger Theil der Handlung, und wo er sich in den Dialog mischt, geschieht es nicht immer auf eine geistvolle Weise; das ewige monotonische Verwünschen des Paris und der Helene muß endlich jeden ermüden. Was gegen die, durch ein Wunder bewirkte, Entwickelung des Stücks zu sagen wäre, übergeh’ ich; überhaupt aber ist zwischen der dramatischen Fabel dieses Dichters und seiner Moral oder den Gesinnungen seiner Personen zuweilen ein seltsamer Widerspruch sichtbar, den man, soviel ich weiß, noch nicht gerügt hat. Die abenteuerlichsten Wunder- und Göttermährchen verschmäht er nicht, aber seine Personen glauben nur nicht an ihre Götter, wie man [57] häufige Beispiele bei ihm findet. Ist es dem Dichter erlaubt, seine eigenen Gesinnungen in Begebenheiten einzuflechten, die ihnen so ungleichartig sind, und handelt er nicht gegen sich selbst, wenn er den Verstand seiner Zuschauer in eben dem Augenblicke aufklärt oder stutzen macht, wo er ihren Augen einen höhern Grad von Glauben zumuthet? Sollte er nicht vielmehr die so leicht zu zerstörende Illusion durch die genaueste Uebereinstimmung von Gesinnungen und Begebenheiten zusammen zu halten, und dem Zuschauer den Glauben, der ihm fehlt, durch die handelnde Personen unvermerkt mitzutheilen beflissen seyn?
Was einige hingegen an dem Charakter Iphigeniens tadeln, wäre ich sehr versucht, dem Dichter als einen vorzüglich schönen Zug anzuschreiben; diese Mischung von Schwäche und Stärke, von Zaghaftigkeit und Heroismus ist ein wahres und reitzendes Gemählde der Natur. Der Uebergang von einem zum andern ist sanft und zureichend motiviret. Ihre zarte Jungfräulichkeit, die zurückhaltende Würde, womit sie den Achilles selbst da, wo er alles für sie gethan hat oder zu thun bereit ist, in Entfernung hält, die Bescheidenheit, alle Neugier zu unterdrücken, die das räthselhafte Betragen ihres Vaters bei ihr rege machen muß, selbst einige hie und da hervorblickende Strahlen von Muthwillen und Lustigkeit, [58] ihr heller Verstand, der ihr so glücklich zu Hülfe kommt, ihr schreckliches Schicksal noch selbst von der lachenden Seite zu sehen, die sanft wiederkehrende Anhänglichkeit an Leben und Sonne – der ganze Charakter ist vortreflich. Clytemnestra – mag sie anderswo eine noch so lasterhafte Gattinn, eine noch so grausame Mutter seyn, darum kümmert sich der Dichter nicht – hier ist sie eine zärtliche Mutter, und nichts als Mutter; mehr wollte und brauchte der Dichter nicht. Die mütterliche Zärtlichkeit ist’s, die er in ihren sanften Bewegungen, wie in ihren heftigen Ausbrüchen schildert. Aus diesem Grunde finde ich die Stelle im fünften Akt, wo sie Iphigenien auf die Bitte: sie möchte ihren Gemahl nicht hassen: zur Antwort gibt: „O, der soll schwer genug an dich erinnert werden!“ eine Stelle, worin ihre künftige Mordthat vorbereitet zu seyn scheint, eher zu tadeln, als zu loben – zu tadeln, weil sie dem Zuschauer (dem griechischen wenigstens, der in der Geschichte des Hauses Atreus sehr gut bewandert war; und für den doch der Dichter schrieb) plözlich die andre Clytemnestra, die Ehebrecherinn und Mörderinn, in den Sinn bringt, an die er jezt gar nicht denken soll, mit der er die Mutter, die zärtliche Mutter gar nicht vermengen soll. So glücklich und schön der Gedanke ist, in demjenigen Stücke, worin Clytemnestra als Mörderinn ihres Gemahls erscheint, das Bild der beleidigten [59] Mutter und die Begebenheit in Aulis dem Zuschauer wieder in’s Gedächtnis zu bringen, (wie es z. B. im Agamemnon des Aeschylus geschieht) so schön dieses ist, und aus eben dem Grunde, warum dieses schön ist, ist es fehlerhaft, in dasjenige Stück, das uns die zärtliche, leidende Mutter zeigt, die Ehebrecherinn und Mörderinn aus dem andern herüber zu ziehen; jenes nehmlich diente dazu; den Abscheu gegen sie zu vermindern, dieses kann keine andre Wirkung haben, als unser Mitleiden zu entkräften. Ich zweifle auch sehr, ob Euripides bei der oben angeführten Stelle diesen unlautern Zweck gehabt hat, den ihm viele geneigt seyn dürften, als eine Schönheit unterzuschieben.
Die Gesinnungen in diesem Stücke sind groß und edel, die Handlung wichtig und erhaben, die Mittel dazu glücklich gewählt und geordnet. Kann etwas wichtiger und erhabener seyn, als die – zulezt doch freiwillige – Aufopferung einer jungen und blühenden Fürstentochter für das Glück so vieler versammelten Nationen? Konnte die Größe dieses Opfers in ein volleres und schöneres Licht gestellt werden, als durch das prächtige Gemählde, das der Dichter durch den Chor (in der Zwischenhandlung des ersten Aktes) von der glänzenden Ausrüstung des Griechischen Heeres gleichsam im Hintergrunde entwerfen läßt? Wie groß endlich und [60] wie einfach mahlt er uns Griechenlands Helden, denen dieses Opfer gebracht werden soll, in ihrem herrlichen Repräsentanten Achilles?
Die gereimte Uebersetzung der Chöre giebt dem Stücke vielleicht ein zwitterartiges Ansehen, indem sie lyrische und dramatische Poesie mit einander vermengt; vielleicht finden einige sie unter der Würde des Drama. Ich würde mir diese Neuerung auch nicht erlaubt haben, wenn ich nicht geglaubt hätte, die in der Uebersetzung verloren gehende Harmonie der griechischen Verse – ein Verlust, der hier um so mehr gefühlt wird, da in dem Inhalte selbst nicht immer der größte Werth liegt – im Deutschen durch etwas ersetzen zu müssen, wovon ich gerne glaube, daß es jener Harmonie nicht nahe kommt, was aber, wär’ es auch nur der überwundenen Schwürigkeit wegen, vielleicht einen Reitz für diejenigen Leser hat, die durch eine solche Zugabe für die Chöre des griechischen Trauerspiels erst gewonnen werden müssen. Kann mich dieses bei unsern griechischen Zeloten nicht entschuldigen, so sind sie hinlänglich durch die Schwürigkeiten gerächt, die ich bei diesem Versuche vorgefunden habe. In einigen wenigen Stellen hab’ ich mir erlaubt, von der gewöhnlichen Erklärungsart abzugehen, wovon hier meine Gründe.
- ↑ [63] Gewiß recht brav, sobald sie mögen.) Diese Stelle hat Brumoy zwar sehr gut verstanden, auch den Sinn, durch eine Umschreibung freilich, sehr richtig in’s Französische über getragen, aber ihre wirkliche Schönheit scheint er doch nicht erkannt zu haben, wenn er sagen kann: je crains, de n’avoir été que trop fidelle à mon original, à ses dépens et aux miens. Die Stelle ist voll [64] Wahrheit und Natur. Clytemnestra, ganz erfüllt von ihrer gegenwärtigen Bedrägniß, schildert dem Achilles ihren verlassenen Zustand im Lager der Griechen, und in der Hitze ihres Affekts kommt es ihr nicht darauf an, in ihre Schilderung des griechischen Heers einige harte Worte mit einfließen zu lassen, die man ihr als einer Frau, die sich durch ein außerordentliches Schicksal aus ihrem Gynäceum plözlich in eine ihr so fremde Welt versezt, und der Discretion eines trotzigen Kriegsheers überlassen sieht, gerne zu gute halten wird. Mitten im Strom ihrer Rede aber fällt es ihr ein, daß sie vor dem Achilles steht, der selbst einer davon ist; dieser Gedanke, vielleicht auch ein Stirnrunzeln des Achilles, bringt sie wieder zu sich selbst. Sie will einlenken, und je ungeschickter desto wahrer! Im Griechischen sind es vier kurze hinein geworfene Worte: χρήσιμον δ᾽, ὅταν θέλωσιν[WS 2], woraus im Deutschen freilich noch einmal soviel geworden sind. Prevôt, dessen Bemerkungen sonst voll Scharfsinn sind, verbessert seine Vorgänger hier auf eine sehr unglückliche Art: Clytemnestre, sagt er, veut dire et dit, à ce qu’ il me semble, aussi clairement qu’il étoit nécessaire, qu’Achille peut se servir de son ascendant sur l’armée pour prévenir les desseins d’Agamemnon. Le P. Brumoy n’eût point trahi son auteur en [65] exprimant cette pensée. Nein! Ein so gesuchter Gedanke kann höchstens einem eiskalten Kommentator, nie aber dem Euripides oder seiner Clytemnestra eingekommen seyn!
- ↑ [65] Ja, hassenswerther selbst als Menelaus müßt’ ich seyn.) Der griechische Achilles drückt sich beleidigender aus. „Ich wäre gar nichts und Menelaus lief in der Reihe der Männer.“ Hassen konnte man den Menelaus als den Urheber dieses Unglücks, aber Verachtung verdiente er darum nicht.
- ↑ [65] Und du wirst eilen sie zu fliehn!) Ich weiß nicht, ob ich in dieser Stelle den Sinn meines Autors getroffen habe. Wörtlich heißt sie: „Erstlich betrog mich meine Hofnung, dich meinen Eidam zu nennen; alsdann ist dir meine sterbende Tochter vielleicht eine böse Vorbedeutung bei einer künftigen Hochzeit, wovor du dich hüten mußt. Aber du hast wohl gesprochen am Anfang wie am Ende.“ Der französische Uebersetzer erlaubt sich einige Freiheiten, um die Stelle zusammenhängender zu machen. Mais d’un autre côté, quel funeste présage pour votre hymen, que la mort de l’épouse, qui vous fut destinée! le second malheur intéresse l’épous aussi bien que la [66] mère. Enfin qu’ajouterois - je à vos paroles etc. Hier und nach dem Buchstaben des Textes ist es nur eine Warnung; ich nahm es als einen Zweifel, eine Besorgniß der Clytemnestra. So sehr diese durch Achilles Versicherungen beruhigt seyn könnte, so liegt es doch ganz in dem Charakter der ängstlichen Mutter, immer Gefahr zu sehen, immer zu ihrer alten Furcht zurück zu kehren. Auch das, was folgt, wird dadurch in einen natürlichen Zusammenhang mit dem vorhergehenden gebracht. „Aber alles, was du sagtest, war ja wohl gesprochen,“ d. i. ich will deinen Versicherungen trauen.
- ↑ [66] Gibt’s keine Götter – warum leid’ ich?) Gewöhnlich übersetzt man diese Stelle: ἐι δὲ μὴ, τί δεῖ πονεῖν; als eine allgemeine moralische Reflexion: gibt’s keine Götter – wozu unser mühsames Streben nach Tugend? Moralische Reflexionen sind zwar sehr im Geschmack des Euripides, diese aber scheint mir im Mund der Clytemnestra, die zu sehr auf ihr gegenwärtiges Leiden geheftet ist, um solchen allgemeinen Betrachtungen Raum geben zu können, nicht ganz schicklich zu seyn. Der Sinn, in dem ich diese Stelle nahm, wird durch seine nähere Beziehung auf ihre Lage gerechtfertigt, und der Buchstabe des Textes schließt ihn nicht aus. [67] „Gibt es keine Götter, warum muß ich leiden, d. h. warum muß meine Iphigenie einer Diana wegen sterben?“
- ↑ [67] Verzweiflung wo ich nur beginnen mag! Verzweiflung wo ich enden mag!) Josua Barnes übersetzt: Quodnam malorum meorum sumam exordium? Omnibus enim licet uti primis, et postremis et mediis ubique. Angenommen, daß dieser Sinn der wahre ist, so liegt ihm vielleicht eine Anspielung auf irgend eine griechische Gewohnheit zum Grunde, dergleichen man im Euripides mehrere findet. Da der Reitz, den eine solche Anspielung für ein griechisches Publikum haben konnte, bei uns wegfällt, so würde man dem Dichter durch eine treue Uebersetzung einen schlechten Dienst erweisen.
- ↑ [67] Besser in Schande leben, als bewundert sterben.) Der französische Uebersetzer mildert diese Stelle: une vie malheureuse est même plus prisée qu’une glorieuse mort. Wozu aber diese Milderung? Iphigenie darf und soll, in dem Zustande worin sie ist, und in dem Affekt, worin sie redet, den Werth des Lebens übertreiben.
- ↑ [68] Gleiches Leid berechtigt mich zu gleicher Jammerklage.) Wehe mir! ruft die Mutter. Wehe mir! ruft die Tochter, denn das nehmliche Lied schickt sich zu beider Schicksal. Der P. Brumoy nimmt es in der That etwas zu scharf, wenn er dem Euripides Schuld gibt, als habe er mit dem Wort μελοσ die Versart bezeichnen wollen, und bei dieser Gelegenheit die weise Bemerkung macht, daß ein Akteur niemals von sich selbst sagen müsse, er rede in Versen.
- ↑ [68] Das wird dieß Schwert alsdann entscheiden.) Wörtlich heißt es: Es wird (oder er wird) aber doch dazu kommen! – Nun kann es freilich auch so verstanden werden. „Clytemnestra. Wird darum mein Kind nicht geopfert werden? Achilles. Darum wird er wenigstens kommen“ oder es kann heissen: Achilles. Du hältst deine Tochter fest. Clytemnestra. Wird das hindern können, daß man sie nicht opfert? Achilles. Nein, er wird aber dort seinen Angriff thun.“ – Die angenommene Erklärungsart scheint die natürlichste zu seyn.
- ↑ [69] Dieß ist eine von den Stellen, die dem Euripides den Nahmen des Weiberfeindes zugezogen hat. Wenn man sie aber nur auf den Achilles deutet, so verliert sie das Anstößige; und diese Erklärungsart schließt auch der Text nicht aus.
- ↑ Hier schließt sich die dramatische Handlung. Was noch folgt, ist die Erzählung von Iphigeniens Betragen bei’m Opfer und ihrer wunderbaren Errettung.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: hr
- ↑ Vorlage: χρήςιμον δ᾽, ὅταν θέχωσιν
- ↑ gemeint ist das Stück Iphigénie (1674) vom französischen Autor Jean Racine