Textdaten
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Autor: Friedrich Schiller
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Titel: Der Geisterseher.
Untertitel: aus den Papieren des Grafen von O.
aus: Thalia – Erster Band,
4. Heft (1788), S. 68–94
Herausgeber: Friedrich Schiller
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1787
Verlag: Georg Joachim Göschen
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: UB Bielefeld bzw. Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Von Anfang 1787 bis Ende 1789 in fünf Lieferungen in Schillers Zeitschrift „Thalia“ erschienenes Romanfragment.
Fortsetzung: Der Geisterseher - Teil 2
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[68]

IV.

Der Geisterseher.

aus den Papieren des Grafen von O.


Es war auf meiner Zurükreise nach Kurland im Jahr 17** um die Karnevalszeit als ich den Prinzen von *** in Venedig besuchte. Wir hatten uns in **schen Kriegsdiensten kennen lernen und erneuerten hier eine Bekanntschaft, die der Friede unterbrochen hatte. Weil ich ohnedieß wünschte, das Merkwürdige dieser Stadt zu sehen und der Prinz nur noch Wechsel erwartete, um nach *** zurükzureisen, so beredete er mich leicht, ihm Gesellschaft zu leisten, und meine Abreise so lange zu verschieben. Wir kamen überein uns nicht von einander zu trennen, solange unser Auffenthalt in Venedig dauren würde, und der Prinz war so gefällig, mir seine eigene Wohnung im Mohren anzubieten.

Er lebte hier unter dem strengsten Incognito, weil seine geringe Apanage ihm nicht verstattete, die Hoheit seines Rangs zu behaupten. Zwei Kavaliere, auf deren Verschwiegenheit er sich vollkommen verlassen konnte, waren sein ganzes Gefolge. Den Aufwand vermied er mehr aus Temperament als aus Sparsamkeit. Er floh die Vergnügungen; bis zu seinem fünf und dreissigsten Jahre hatte er allen Reizzungen dieser wollüstigen [69] Stadt widerstanden. Das schöne Geschlecht war ihm gleichgültig. Tiefer Ernst und eine schwärmerische Melancholie herrschten in seiner Gemüthsart. Seine Neigungen waren still aber hartnäkig bis zum Uebermaaß, seine Wahl langsam und schüchtern, seine Anhänglichkeit warm und ewig. Mitten in einem geräuschvollen Gewühle von Menschen gieng er einsam. In seine eigne Phantasieenwelt verschlossen, war er sehr oft ein Fremdling in der wirklichen - und weil er wol wußte wie schlecht er beobachtete, so verbot er sich jedes Urtheil und übertrieb die Gerechtigkeit gegen fremdes. Niemand war mehr dazu gebohren, sich beherrschen zu lassen, ohne schwach zu sein. Dabei war er unerschrokken und zuverläßig, sobald er einmal überzeugt war,und besaß gleich großen Mut, ein erkanntes Vorurtheil zu bekämpfen und für ein andres zu sterben.

Als der dritte Prinz seines Hauses hatte er keine Aussicht zur Regierung. Sein Ehrgeiz war nie erwacht. Seine Leidenschaften hatten eine andre Richtung genommen. Er las viel, doch ohne Wahl. Eine nachläßige Erziehung und frühe Kriegsdienste hatten seinen Geist nicht zur Reife kommen lassen. Alle Kenntnisse die er nachher schöpfte vermehrten nur das verworrene Chaos seiner Begriffe, weil sie auf keinen festen Grund gebaut waren.

Er war Protestant, wie seine ganze Familie - durch Geburt, nicht nach Untersuchung, die er nie angestellt hatte, ob er gleich in einer Epoche seines Lebens [70] Schwärmer darin gewesen war. Maçon ist er nie geworden.




Eines Abends, als wir nach Gewohnheit in tiefer Maske und abgesondert, auf dem Plaze S. Markus spazieren giengen - es fieng an spät zu werden, und das Gedränge hatte sich verloren - bemerkte der Prinz, daß eine Maske uns überal folgte. Die Maske war ein Armenier und gieng allein. Wir beschleunigten unsre Schritte und suchten sie durch öftere Veränderung unseres Weges irre zu machen - umsonst, die Maske blieb immer dicht hinter uns. „Sie haben doch keine Intrigue hier gehabt? sagte endlich der Prinz zu mir. Die Ehmänner in Venedig sind gefährlich“ - Ich kenne keine einzige Dame, gab ich zur Antwort. „Lassen sie uns hier niedersizzen und deutsch sprechen, fuhr er fort. Ich bilde mir ein, man verkennt uns.“ Wir sezten uns auf eine steinerne Bank und erwarteten, daß die Maske vorübergehen sollte. Sie kam gerade auf uns zu, und nahm ihren Plaz dicht an der Seite des Prinzen. Er zog die Uhr heraus und sagte mir laut auf französisch indem er aufstand. „Neun Uhr vorbei. Kommen Sie. Wir vergessen, daß man uns im Louvre erwartet“ Dieß erdichtete er nur, um die Maske von unsrer Spur zu entfernen. „Neun Uhr“ wiederholte sie nachdrüklich und langsam. Wünschen sie sich Glük Prinz (indem sie ihn bei seinem wahren Namen [71] nannte.) Um Neun Uhr ist er gestorben“ – Damit stand sie auf und gieng.

Wir sahen uns bestürzt an – „Wer ist gestorben? sagte endlich der Prinz nach einer langen Stille. „Lassen sie uns ihr nachgehen sagte ich, und eine Erklärung fodern“ Wir durchkrochen alle Winkel des Markus – die Maske war nicht mehr zu finden. Unbefriedigt kehrten wir nach unserm Gasthof zurük. Der Prinz sagte mir unterwegs nicht ein Wort, sondern gieng seitwärts und allein, und schien einen gewaltsamen Kampf zu kämpfen, wie er mir auch nachher gestanden hat. Als wir zu Hause waren, öfnete er zum erstenmale wieder den Mund. „Es ist doch lächerlich, sagte er, daß ein Wahnsinniger die Ruhe eines Mannes mit zwei Worten so erschüttern soll“ Wir wünschten uns eine gute Nacht, und sobald ich auf meinem Zimmer war, merkte ich mir in meiner Schreibtafel den Tag und die Stunde wo das geschehen war. Es war ein Donnerstag.

Am folgenden Abend sagte mir der Prinz „Wollen wir nicht einen Gang über den Markusplaz machen, und unsern geheimnißvollen Armenier aufsuchen? Mich verlangt doch nach der Entwiklung dieser Komödie.“ Ich wars zufrieden. Wir blieben bis eilf Uhr auf dem Plaz. Der Armenier war nirgends zu sehen. Das nämliche wiederholten wir die vier folgenden Abende und jedesmal mit demselben schlechten Erfolge.

Als wir am sechsten Abend unser Hotel verließen, hatte ich den Einfall – ob unwillkührlich oder aus Absicht, [72] besinn ich mich nicht mehr – den Bedienten zu hinterlassen, wo wir zu finden sein würden, wenn nach uns gefragt werden sollte. Der Prinz bemerkte meine Vorsicht und lobte sie mit einer lächelnden Miene. Es war ein großes Gedräng auf dem Markusplaz als wir da ankamen. Wir hatten kaum dreißig Schritte gemacht, so bemerkte ich den Armenier wieder, der sich mit schnellen Schritten durch die Menge arbeitete, und mit den Augen Jemand zu suchen schien. Eben waren wir im Begriff ihn zu erreichen, als der Baron von F. aus der Suite des Prinzen athemlos auf uns zukam, und dem Prinzen einen Brief überbrachte. „Er ist schwarz gesiegelt, sezte er hinzu. Wir vermutheten, daß es Eile hätte“ Das fiel auf mich wie ein Donnerschlag. Der Prinz war zu einem Flambeau getreten und fieng an zu lesen. „Mein Kousin ist gestorben,“ rief er. Wann? stürzte ich ihm heftig ins Wort. Er sah noch einmal in den Brief. „Vorigen Donnerstag. Abends um Neun Uhr.“

Wir hatten nicht Zeit, von unserm Erstaunen zurükzukommen, so stand der Armenier unter uns „Sie sind hier erkannt gnädigster Herr, sagte er zu dem Prinzen. Eilen Sie nach dem Mohren. Sie werden die Abgeordneten des Senats dort finden. Tragen Sie kein Bedenken, die Ehre anzunehmen, die man Ihnen erweisen will. Der Baron von F. vergaß ihnen zu sagen, daß ihre Wechsel gekommen sind“ Er verlor sich in dem Gedränge.

[73] Wir eilten nach unserm Hotel. Alles fand sich, wie der Armenier es verkündigt hatte. Drei Nobili der Republik standen bereit den Prinzen zu bewillkommen, und ihn mit Pracht nach der Assemblee zu begleiten, wo der hohe Adel der Stadt ihn erwartete. Er hatte kaum soviel Zeit, mir durch einen flüchtigen Wink zu verstehen zu geben, daß ich für ihn wach bleiben möchte.

Nachts gegen Eilf kam er wieder. Ernst und gedankenvoll trat er in’s Zimmer und ergriff meine Hand, nachdem er die Bedienten entlassen hatte. „Graf, sagte er mit den Worten Hamlets zu mir, es gibt mehr Dinge im Himmel und auf Erden, als wir in unsern Philosophieen träumen.“

Gnädigster Herr, antwortete ich, sie scheinen zu vergessen, daß sie um eine große Hofnung reicher zu Bette gehen. „Der Verstorbene war der Erbprinz.“ „Erinnern sie mich nicht daran, sagte der Prinz. Und wenn eine Krone für mich wäre gewonnen worden, ich hätte jezt mehr zu thun, als dieser Kleinigkeit nachzudenken - - Wenn dieser Armenier nicht bloß errathen hat“ - -

„Wie ist das möglich Prinz?“ fiel ich ein -

„So will ich ihnen alle meine fürstlichen Hofnungen für eine Mönchskutte abtreten.“

Ich führe dieses mit Fleiß hier an, weil ich glaube, daß es zu einem Beweise dienen kann, wie entfernt er noch damals von jeder herrschsüchtigen Absicht gewesen ist.

[74] Den folgenden Abend fanden wir uns zeitiger, als gewöhnlich, auf dem Markusplaz ein. Ein plözlicher Regenguß nöthigte uns, in ein Kaffehauß einzutreten, wo gespielt wurde. Der Prinz stellte sich hinter den Stuhl eines Spaniers, und beobachtete das Spiel. Ich war in ein anstoßendes Zimmer gegangen, wo ich Zeitungen las. Eine Weile darauf hörte ich Lermen. Vor der Ankunft des Prinzen war der Spanier unaufhörlich im Verluste gewesen, jezt gewann er auf alle Karten. Das ganze Spiel wurde auffallend verändert, und die Bank war in Gefahr, von dem Pointeur, den diese glükliche Wendung kühner gemacht hatte, aufgefodert zu werden. Ein Venetianer, der sie hielt, sagte dem Prinzen mit beleidigendem Ton - er störe das Glük und er solle den Tisch verlassen. Dieser sah ihn kalt an und blieb; dieselbe Fassung behielt er als der Venetianer seine Beleidigung französisch wiederholte. Der leztere glaubte, daß der Prinz beide Sprachen nicht verstehe, und wandte sich mit verachtungsvollem Lachen zu den übrigen. „Sagen sie mir doch meine Herren, wie ich mich diesem Bakardo verständlich machen soll“ Zugleich stand er auf und wollte den Prinzen beim Arm ergreiffen; diesen verließ hier die Geduld, er pakte den Venetianer mit starker Hand und warf ihn unsanft zu Boden. Das ganze Haus gerieth in Bewegung. Auf das Geräusch stürzte ich herein, unwillkührlich rief ich ihn bei seinem Namen. Nehmen Sie sich in Acht Prinz, sezte ich mit Unbesonnenheit hinzu, wir sind in Venedig. Der Name [75] des Prinzen gebot eine allgemeine Stille, woraus bald ein Gemurmel wurde, das mir gefährlich schien. Alle anwesenden Italiener rotteten sich zu Haufen und traten bei Seite. Einer um den andern verließ den Saal, bis wir uns beide mit dem Spanier und einigen Franzosen allein fanden. „Sie sind verloren gnädigster Herr, sagten diese, wenn sie nicht sogleich die Stadt verlassen. Der Venetianer, den sie so übel behandelt haben, ist reich genug ein Bravo zu dingen; Es kostet ihm nur funfzig Zechinen, Sie aus der Welt zu schaffen.“ Der Spanier bot sich an, zur Sicherheit des Prinzen Wache zu holen und uns selbst nach Hause zu begleiten. Dasselbe wollten auch die Franzosen. Wir standen noch und überlegten, was zu thun wäre, als die Thüre sich öfnete und einige Bedienten der Staatsinquisition hereintraten. Sie zeigten uns eine Ordre der Regierung, worinn uns beiden befohlen ward, ihnen schleunig zu folgen. Unter einer starken Bedekkung führte man uns bis zum Kanal. Hier erwartete uns eine Gondel, in die wir uns sezzen mußten. Ehe wir ausstiegen, wurden uns die Augen verbunden. Man führte uns eine große steinerne Treppe hinauf, und dann durch einen langen gewundenen Gang über Gewölber, wie ich aus dem vielfachen Echo schloß, das unter unsern Füßen hallte. Endlich gelangten wir vor eine andere Treppe, welche uns sechs und zwanzig Stuffen in die Tiefe hinunter führte. Hier öfnete sich ein Saal, wo man uns die Binde wieder von den Augen nahm. Wir befanden uns in einem Kraise ehrwürdiger [76] alter Männer, alle schwarz gekleidet, der ganze Saal mit schwarzen Tüchern behangen und sparsam erleuchtet, eine Todenstille in der ganzen Versammlung, welches einen schrökhaften Eindruk machte. Einer von diesen Greisen, wahrscheinlich der oberste Staatsinquisitor, näherte sich dem Prinzen, und frug ihn mit einer feierlichen Miene, während daß man ihm den Venetianer vorführte.

„Erkennen sie diesen Menschen für den Nämlichen, der sie auf dem Kaffehause beleidigt hat?

„Ja, antwortete der Prinz.

Darauf wandte er sich zu dem Gefangenen „Ist das dieselbe Person, die sie heute Abend wollten ermorden lassen?“

Der Gefangene antwortete mit Ja.

Sogleich öfnete sich der Krais und mit Entsezzen sahen wir den Kopf des Venetianers vom Rumpfe trennen. „Sind sie mit dieser Genugthuung zufrieden“? frug der Staatsinquisitor. – der Prinz lag ohnmächtig in den Armen seiner Begleiter – „Gehen sie nun, fuhr Jener mit einer schröklichen Stimme fort, indem er sich gegen mich wandte, und urtheilen sie künftig weniger vorschnell von der Gerechtigkeit in Venedig.“

Wer der verborgene Freund gewesen, der uns durch den schnellen Arm der Justiz von einem gewissen Tode gerettet hatte, konnten wir nicht errathen. Starr von Schrekken erreichten wir unsre Wohnung. Es war nach Mitternacht. Der Kammerjunker von Z*** erwartete uns mit Ungeduld an der Treppe. –

[77] „Wie gut war es, daß sie geschikt haben!“ sagte er zum Prinzen, indem er uns leuchtete. – Eine Nachricht die der Baron von F*** gleich nachher von dem S. Markus nach Hause brachte, hätte uns wegen Ihrer in die tödlichste Angst gesezt.“

Geschikt hätte ich? Wann? Ich weiß nichts davon.

„Diesen Abend nach Acht Uhr. Sie ließen uns sagen, daß wir ganz ausser Sorgen sein dürften, wenn Sie heute etwas später nach Hause kämen.“

Hier sah der Prinz mich an. „Haben Sie vielleicht, ohne mein Wissen diese Sorgfalt gebraucht?“

Ich wußte von gar nichts.

„Es muß doch wol so sein Ihro Durchlaucht, sagte der Kammerjunker – denn hier ist ja Ihre Repetieruhr, die Sie zur Sicherheit mit schikten“

Der Prinz griff nach der Uhrtasche. Die Uhr war wirklich fort und er erkannte jene für die seinige. Wer brachte sie, frug er mit Bestürzung.

„Eine unbekannte Maske, in armenischer Kleidung, die sich sogleich wieder entfernte.“

Wir standen und sahen uns an – „Was halten sie davon?“ sagte endlich der Prinz nach einem langen Stillschweigen. Ich habe hier einen verborgenen Aufseher in Venedig.“

Der schrökliche Auftritt dieser Nacht hatte dem Prinzen ein Fieber zugezogen, das ihn acht Tage nöthigte, das Zimmer zu hüten. In dieser Zeit wimmelte unser Hotel von Einheimischen und Fremden, die [78] der entdekte Stand des Prinzen herbeigelokt hatte. Man wetteiferte unter einander, ihm Dienste anzubieten, und wir bemerkten mit Vergnügen, wie immer der nächst folgende den weggehenden verdächtig machte. Liebesbriefe und Arkana überschwemmten uns von allen Seiten. Jeder suchte, nach seiner Art, sich geltend zu machen. Des ganzen Vorgangs in der Staatsinquisition wurde nicht mehr erwähnt. Weil der Hof zu *** die Abreise des Prinzen noch aufgeschoben wünschte, so erhielten einige Banquiers in Venedig Anweisung, ihm beträchtliche Summen auszuzahlen. So ward er wider Willen in den Stand gesezt, seinen Auffenthalt in Italien zu verlängern, und auf sein Bitten entschloß ich mich auch, meine Abreise noch zu verschieben.

Sobald er so weit genesen war, um das Zimmer wieder verlassen zu können, beredete ihn der Arzt eine Spazierfahrt auf der Brenta zu machen, um die Luft zu verändern. Das Wetter war hell und die Parthie wurde angenommen. Als wir eben im Begriff waren, in die Gondel zu steigen, vermißte er den Schlüssel zu einer kleinen Schatulle, die sehr wichtige Papiere enthielt. Sogleich kehrten wir um, ihn zu suchen. Er besann sich auf das genaueste, die Schatulle noch den vorigen Tag verschlossen zu haben, und seit dieser Zeit war er nicht aus dem Zimmer gekommen. Aber alles Suchen war umsonst, wir mußten davon abstehen, um die Zeit nicht zu verlieren. Der Prinz, dessen Seele über jeden Argwohn erhaben war, erklärte ihn für verloren, und bat uns, nicht weiter davon zu sprechen.

[79] Die Fahrt war die angenehmste. Eine mahlerische Landschaft, die mit jeder Krümmung des Flusses sich an Reichthum und Schönheit zu übertreffen schien – der heiterste Himmel, der mitten im Hornung einen Maientag bildete – reizende Gärten und geschmakvolle Landhäuser ohne Zahl, welche beide Ufer der Brenta schmükken – hinter uns das majestätische Venedig mit hundert aus dem Wasser springenden Thürmen und Masten, alles diß gab uns das herrlichste Schauspiel von der Welt. Wir überließen uns ganz dem wohlthätigen Zauber dieser schönen Natur, unsre Laune war die heiterste, der Prinz selbst verlor seinen Ernst, und wetteiferte mit uns in frölichen Scherzen. Eine lustige Musik schallte uns entgegen, als wir, zwo italienische Meilen von der Stadt, ans Land stiegen. Sie kam aus einem kleinen Dorfe, wo eben Jahrmarkt gehalten wurde; hier wimmelte es von Gesellschaft aller Art. Ein Trupp junger Mädgen und Knaben, alle theatralisch gekleidet, bewillkommte uns mit einem pantomimischen Tanz. Die Erfindung war neu. Leichtigkeit und Grazie beseelten jede Bewegung. Eh der Tanz noch völlig zu Ende war, schien die Anführerin desselben, welche eine Königinn vorstellte, plözlich von einem unsichtbaren Arme gehalten. Leblos stand sie und Alles. Die Musik schwieg. Kein Odem war zu hören in der ganzen Versammlung, und sie stand da, den Blik auf den Boden geheftet in einer tiefen Erstarrung. Auf einmal fuhr sie mit der Wut der Begeisterung in die Höhe, blikte wild um sich her „Ein König [80] ist unter uns“ rief sie, riß ihre Krone vom Haupt, und legte sie – zu den Füßen des Prinzen. Alles was da war, richtete hier die Augen auf ihn, lange Zeit ungewiß, ob Bedeutung in diesem Gaukelspiel wäre, so sehr hatte der affektvolle Ernst dieser Spielerin getäuscht – ein allgemeines Händeklatschen des Beifalls unterbrach endlich diese Stille. Meine Augen suchten den Prinzen. Ich bemerkte, daß er nicht wenig betroffen war und sich Mühe gab den forschenden Blikken der Zuschauer auszuweichen. Er warf Geld unter diese Kinder und eilte aus dem Gewühle zu kommen.

Wir hatten nur wenige Schritte gemacht, als ein ehrwürdiger Barfüßer sich durch das Volk arbeitete und dem Prinzen in den Weg trat. „Herr, sagte der Mönch, gib der Madonna von deinem Golde, du wirst ihr Gebet brauchen“ Er sprach diß mit einem Tone der uns betreten machte. Das Gedränge riß ihn weg.

Unser Gefolge war unterdessen gewachsen. Ein englischer Lord, den der Prinz schon in Nizza gesehen hatte, einige Kaufleute aus Livorno, ein deutscher Domherr, ein französischer Abbé mit einigen Damen, und ein rußischer Offizier gesellten sich zu uns. Die Phisionomie des leztern hatte etwas ganz ungewöhnliches, das unsre Aufmerksamkeit an sich zog. Nie in meinem Leben sah ich so viele Züge, und so wenig Karakter, so viel anlokkendes Wohlwollen mit so viel zurükstoßendem Frost in einem Menschengesichte beisammen [81] wohnen. Alle Leidenschaften schienen darinn gewühlt und es wieder verlassen zu haben. Nichts war übrig, als der stille durchdringende Blik eines vollendeten Menschenkenners, der jedes Auge verscheuchte, worauf er traf. Dieser seltsame Mensch folgte uns von weitem, schien aber an allem was vorgieng, nur einen nachläßigen Antheil zu nehmen.

Wir kamen vor eine Bude zu stehen, wo Lotterie gezogen wurde. Die Damen sezten ein, wir andern folgten ihrem Beispiel, auch der Prinz foderte ein Loos. Es gewann eine Tabatiere. Als er sie aufmachte, sah ich ihn blaß zurükfahren. – Der Schlüßel lag darin.

„Was ist das? sagte er zu mir, als wir einen Augenblik allein waren. „Eine höhere Gewalt jagt mich. Allwissenheit schwebt um mich. Ein unsichtbares Wesen, dem ich nicht entfliehen kann, bewacht alle meine Schritte. Ich muß den Armenier aufsuchen und muß Licht von ihm haben.“

Die Sonne neigte sich zum Untergang, als wir vor dem Lusthause ankamen, wo das Abendessen servirt war. Der Name des Prinzen hatte unsre Gesellschaft bis zu sechszehn Personen vergrößert. Außer den obenerwähnten waren noch ein Virtuose aus Rom, einige Schweizer und ein Avanturier aus Palermo der Uniform trug, und sich für einen Kapitain ausgab, zu uns gestoßen. Es ward beschlossen, den ganzen Abend hier zuzubringen, und mit Fakkeln nach Hause zu fahren. Die Unterhaltung bei Tische war sehr lebhaft, und der Prinz konnte nicht umhin, die Begebenheit mit [82] dem Schlüssel zu erzählen, welche eine allgemeine Verwunderung erregte. Es wurde heftig über diese Materie gestritten. Die meisten aus der Gesellschaft behaupteten dreist weg, daß alle diese geheimen Künste auf eine Taschenspielerei hinausliefen, der Abbe der schon viel Wein bei sich hatte, foderte das ganze Geisterreich in die Schranken heraus, der Engländer sagte Blasphemieen, der Musikus machte das Kreuz vor dem Teufel. Wenige, worunter der Prinz war, hielten dafür, daß man sein Urtheil über diese Dinge zurükhalten müsse; während dessen unterhielt sich der rußische Offizier mit den Frauenzimmern, und schien das ganze Gespräch nicht zu achten. In der Hizze des Streits hatte man nicht bemerkt, daß der Sicilianer hinausgegangen war. Nach Verfluß einer kleinen halben Stunde kam er wieder, in einen Mantel gehüllt, und stellte sich hinter den Stuhl des Franzosen. „Sie haben vorhin die Bravour geäusert, es mit allen Geistern aufzunehmen - wollen sie es mit einem versuchen?“

„Topp! sagte der Abbe – wenn sie es auf sich nehmen wollen mir einen herbei zu hohlen.“

„Das will ich, antwortete der Sicilianer (indem er sich gegen uns kehrte) wenn diese Herrn und Damen uns werden verlassen haben.“

„Warum das?“ rief der Engländer. Ein herzhafter Geist fürchtet sich vor keiner lustigen Gesellschaft“

„Ich stehe nicht für den Ausgang“ sagte der Sicilianer.

[83] „Um des Himmels willen! Nein!“ schrieen die Frauenzimmer an dem Tische, und fuhren erschrokken von ihren Stühlen.

„Laßen sie ihren Geist kommen, sagte der Abbe trozzig, aber warnen sie ihn vorher, daß es hier spizzige Klingen giebt“ (indem er einen von den Gästen um seinen Degen bat).

„Das mögen sie alsdann halten, wie sie wollen, antwortete der Sicilianer kalt, wenn sie nachher noch Lust dazu haben.“ Hier kehrte er sich zum Prinzen. „Gnädigster Herr, sagte er zu diesem, sie behaupten, daß ihr Schlüssel in fremden Händen gewesen. – Können sie vermuthen, in welchen?

„Nein.“

„Rathen sie auch auf niemand?“

„Ich hatte freilich einen Gedanken“ - -

„Würden sie die Person erkennen, wenn sie sie vor sich sähen?“

„Ohne Zweifel.“

Hier schlug der Sicilianer seinen Mantel zurük, und zog einen Spiegel hervor, den er dem Prinzen vor die Augen hielt.

„Ist es diese?“

Der Prinz trat mit Schrekken zurük.

„Was haben sie gesehen?“ frug ich.

„Den Armenier.“

Der Sicilianer verbarg seinen Spiegel wieder unter dem Mantel. „War es dieselbe Person, die sie meynen?“ frug die ganze Gesellschaft.[WS 1]

[84] „Die nämliche“

Hier veränderte sich jedes Gesicht, man hörte auf zu lachen. Alle Augen hiengen neugierig an dem Sicilianer.

Monsieur l’Abbé, das Ding wird ernsthaft, sagte der Engländer, ich rieth ihnen, auf den Rükzug zu denken.“

„Der Kerl hat den Teufel im Leibe“ schrie der Franzose und flog aus dem Hause - Die Frauenzimmer stürzten mit Geschrei aus dem Saal - der Virtuose folgte ihnen – der deutsche Domherr schnarchte in einem Sessel – der Russe blieb wie bisher gleichgültig sizzen.“

„Sie wollten vielleicht nur einen Großsprecher zum Gelächter machen, fieng der Prinz wieder an, nachdem jene hinaus waren – oder hätten sie wol Lust uns Wort zu halten?“

„Es ist wahr, sagte der Sicilianer. Mit dem Abbe war es mein Ernst nicht. Ich habe ihn beim Wort genommen, weil ich wol wußte, daß die Memme es nicht so weit würde kommen lassen. Die Sache selbst ist übrigens zu ernsthaft um bloß einen Scherz damit auszuführen.“

„Sie räumen also doch ein, daß sie in ihrer Gewalt ist?“

Der Magier schwieg eine lange Zeit, und schien den Prinzen sorgfältig mit den Augen zu prüfen.

„Ja, antwortete er endlich.“

[85] Die Neugierde des Prinzen war bereits auf den höchsten Grad gespannt. Diß war jederzeit seine Lieblingsschwärmerei gewesen, und seit jener ersten Erscheinung des Armeniers hatten sich alle Ideen wieder bei ihm gemeldet, die seine reifere Vernunft und eine bessere Lektüre so lange abgewiesen hatten. Er gieng mit dem Sicilianer bei Seite, und ich hörte ihn sehr angelegentlich mit ihm unterhandeln.

„Sie haben hier einen Mann vor sich, fuhr er fort, der voll Ungeduld brennt, in dieser wichtigen Materie es zu einer Ueberzeugung zu bringen. Ich würde denjenigen als meinen Wohlthäter, als meinen ersten Freund umarmen, der hier meine Zweifel zerstreute, und die Dekke von meinen Augen zöge – Wollen Sie sich dieses große Verdienst um mich erwerben?“

„Was verlangen sie von mir?“ sagte der Magier mit Bedenken.

„Vor jezt nur eine Probe ihrer Kunst. Lassen sie mich eine Erscheinung sehen.“

„Wozu soll das führen?“

„Dann mögen sie aus meiner nähern Bekanntschaft urtheilen, ob ich eines höhern Unterrichts werth bin.“

„Ich schäzze sie über alles durchlauchtigster Prinz. Gleich der erste Anblik hat mich auf immer an sie gefesselt. Sie haben unumschränkt über meine ganze Macht zu gebieten – aber –

„Also lassen sie mich eine Erscheinung sehen.“

„Aber ich muß erst gewiß sein, daß sie diese Foderung nicht aus Neugierde an mich machen. Wenn [86] gleich die unsichtbaren Kräfte mir einigermasen zu Willen sind, so ist es unter der heiligen Bedingung, daß ich meine Gewalt nicht misbrauche.“

„Meine Absichten sind die reinsten. Ich will Wahrheit.“

Hier verließen sie ihren Plaz und traten zu einem entfernten Fenster, wo ich sie nicht weiter hören konnte. Der Engländer, der diese Unterredung gleichfalls mit angehört hatte, zog mich auf die Seite.

„Ihr Prinz ist ein edler Mann. Es thut mir leid um ihn. Ich verwette meine Seele, daß er mit einem Schurken zu thun hat.“

„Es wird darauf ankommen, wie er sich aus dem Handel zieht.“

„Wissen sie was? sagte der Engländer. Jezt macht der arme Teufel sich kostbar. Er wird seine Kunst nicht auskramen, bis er Gold klingen hört. Es sind unser Neune. Wir wollen eine Collekte machen. Das bricht ihm den Hals und öfnet vielleicht ihrem Prinzen die Augen.“

„Ich bins zufrieden.“

Der Engländer warf sechs Guineen auf einen Teller und sammelte in der Reihe herum. Jeder gab einige Louis, dem Russen besonders gefiel unser Vorschlag ungemein, er legte eine Banknote von hundert und funfzig Zechinen auf den Teller – eine Verschwendung, über welche der Engländer erschrak. Wir brachten die Collekte dem Prinzen. „Haben sie die Güte, sagte der Engländer, bei diesem Herrn für uns vorzusprechen, daß er uns eine Probe seiner Kunst sehen lasse, [87] und diesen kleinen Beweis unsrer Erkenntlichkeit annehme“ Der Prinz legte noch einen kostbaren Ring auf den Teller und reichte ihn dem Sicilianer. Dieser bedachte sich einige Sekunden – „Meine Herrn, fieng er darauf an, diese Großmut erniedrigt mich – aber ich gebe ihrem Verlangen nach. Ihr Wunsch soll erfüllt werden (indem er eine Glokke zog). Was dieses Gold betrift, worauf ich selber kein Recht habe, so werden sie mir erlauben, daß ich es in dem nächsten Benediktinerkloster für milde Stiftungen niederlege. Diesen Ring behalte ich als ein schäzbares Denkmal, das mich an den würdigsten Prinzen erinnern soll.“

Hier kam der Wirth, dem er das Geld sogleich überlieferte. „Und er ist dennoch ein Schurke, sagte mir der Engländer ins Ohr. Das Geld schlägt er aus, weil ihm jezt mehr an dem Prinzen gelegen ist.“

„Wen verlangen sie?“ frug jezt der Magier den leztern.

Der Prinz besann sich einen Augenblik – „Lieber gleich einen großen Mann, rief der Lord. Fodern sie den Papst Ganganelli. Dem Herrn wird das gleich wenig kosten.“

Der Sicilianer biß sich in die Lippen – „Ich darf keinen zitieren, der die Weihung empfangen hat.“

„Das ist schlimm sagte der Engländer. Vielleicht hätten wir von ihm erfahren, an welcher Krankheit er gestorben ist.“

„Der Marquis von Lanoy, nahm der Prinz jezt das Wort, war französischer Brigadier im siebenjährigen [88] Kriege, und mein vertrautester Freund. In der Bataille bei Hastinbek empfieng er eine tödliche Wunde, man trug ihn nach meinem Zelte, wo er bald darauf in meinen Armen starb. Als er schon mit dem Tode rang, winkte er mich noch zu sich. „Prinz, fieng er an, ich werde mein Vaterland nicht wieder sehen, erfahren sie also ein Geheimniß, wozu niemand als ich den Schlüssel hat. In einem Kloster auf der Flandrischen Gränze lebt eine – – hier verschied er. Die Hand des Todes zertrennte den Faden seiner Rede, ich möchte ihn hier haben und die Fortsezzung hören.“

„Viel gefodert, bei Gott rief der Engländer. Ich erkläre sie für den größten Künstler des Erdbodens, wenn sie diese Aufgabe lösen“ – Wir bewunderten die sinnreiche Wahl des Prinzen, und gaben ihm einstimmig unsern Beifall. Unterdessen gieng der Magier mit starken Schritten auf und nieder, und schien unentschlossen mit sich selbst zu kämpfen.

„Und das war alles, was der Sterbende ihnen zu hinterlassen hatte?“

„Alles.“

„Thaten sie keine weiteren Nachfragen deßwegen in seinem Vaterlande?“

„Sie waren alle vergebens.“

„Der Marquis von Lanoy hatte untadelhaft gelebt? – Ich darf nicht jeden Todten rufen.“

„Er starb mit Reue über die Ausschweifungen seiner Jugend.“

„Tragen sie irgend etwa ein Andenken von ihm bei sich?“

[89] „Ja“ – Der Prinz führte wirklich eine Tabatiere, worauf das Migniaturbild des Marquis in Emaille war, und die er bei der Tafel neben sich hatte liegen gehabt.

„Ich verlange es nicht zu wissen – – - Lassen sie mich allein. Sie sollen den Verstorbenen sehen.“

Wir wurden gebeten, uns so lange in den andern Pavillon zu begeben, bis er uns rufen würde. Zugleich ließ er alle Meublen aus dem Saale räumen, die Fenster ausheben, und die Läden auf das genaueste verschließen. Dem Wirth, mit dem er schon vertraut zu sein schien, befahl er, ein Gefäß mit glüenden Kohlen zu bringen, und alle Feuer im Hause sorgfältig mit Wasser zu löschen. Ehe wir weggiengen, nahm er von jedem in’s besondre das Ehrenwort, ein ewiges Stillschweigen über das zu beobachten, was wir sehen und hören würden. Hinter uns wurden alle Zimmer auf diesem Pavillon verriegelt.

Es war nach eilf Uhr, und eine Todtenstille herrschte im ganzen Hause. Beim Hinausgehen frug mich der Russe, ob wir geladene Pistolen bei uns hätten? – „Wozu? sagte ich … „Es ist auf alle Fälle versezte er. Warten sie einen Augenblik, ich will mich darnach umsehen.“ Er entfernte sich. Der Kammerjunker von Z*** und ich öfneten ein Fenster, das jenem Pavillon gegenüber sah, und es kam uns vor, als hörten wir zwei Menschen zusammen flüstern, und ein Geräusch, als ob man eine Leiter anlegte. Doch [90] war das nur eine Muthmassung, und ich getraue mir nicht, sie für wahr auszugeben. Der Russe kam mit einem Paar Pistolen zurük, nachdem er eine halbe Stunde ausgeblieben war. Wir sahen sie ihn scharf laden. Es war beinahe zwei Uhr, als der Magier wieder erschien und uns ankündigte, daß es Zeit wäre. Ehe wir hinein traten, ward uns befohlen, die Schuhe auszuziehen und in bloßem Hemde, Strümpfen und Unterkleidern zu erscheinen. Hinter uns wurde, wie das erstemal, verriegelt.

Wir fanden, als wir in den Saal zurük kamen, mit einer Kohle einen weiten Kreis beschrieben, der uns alle zehen bequem fassen konnte. Rings herum an allen vier Wänden des Zimmers waren die Dielen weggehoben, daß wir gleichsam auf einer Insel standen. Ein Altar, mit schwarzem Tuch behangen, stand mitten im Kreis errichtet, unter welchen ein Teppich von rothem Atlas gebreitet war. Eine chaldäische Bibel lag bei einem Todtenkopf aufgeschlagen auf dem Altar, und ein silbernes Kruzifix war darauf fest gemacht. Statt der Kerze brannte Spiritus in einer silbernen Kapsel. Ein dikker Rauch von Olibanum verfinsterte den Saal, davon das Licht beinahe erstikte. Der Beschwörer war entkleidet wie wir, aber barfuß, um den bloßen Hals trug er ein Amulet an einer Kette von Menschenhaaren, um die Lenden hatte er eine weiße Schürze geschlagen, die mit geheimen Chiffern und symbolischen Figuren bezeichnet war. Er hieß uns einander die Hände reichen [91] und eine tiefe Stille beobachten; vorzüglich empfahl er uns, ja keine Frage an die Erscheinung zu thun. Den Engländer und mich (gegen uns beide schien er das meiste Mistrauen zu hegen) ersuchte er, zwei bloße Degen, unverrükt und kreuzweise, einen Zoll hoch, über seinem Scheitel zu halten, so lange die Handlung dauern würde. Wir standen in einem halben Mond um ihn herum, der Russische Offizier drängte sich dicht an den Engländer und stand zunächst an dem Altar. Das Gesicht gegen Morgen gerichtet, stellte sich der Magier jezt auf den Teppich, sprengte Weihwasser nach allen vier Weltgegenden, und neigte sich dreimal gegen die Bibel. Eine halbe Viertelstunde dauerte die Beschwörung, von welcher wir nichts verstanden; nach Endigung derselben gab er denen die zunächst hinter ihm standen ein Zeichen, daß sie ihn jezt fest bei den Haaren fassen sollten. Unter den heftigsten Zukkungen rief er den Verstorbenen dreimal mit Namen, und das drittemal strekte er nach dem Kruzifixe die Hand aus – – -

Auf einmal empfanden wir alle zugleich einen Streich wie vom Blizze, daß unsre Hände auseinander flogen, ein plözlicher Donnerschlag erschütterte das Haus, alle Schlösser klangen, alle Thüren schlugen zusammen, der Dekkel an der Kapsel fiel zu, das Licht löschte aus und an der entgegenstehenden Wand, über dem Kamine zeigte sich eine menschliche Figur, in blutigem Hemde, bleich und mit sterbendem Gesicht.

[92] „Wer ruft mich?“ sagte eine hohle, kaum hörbare Stimme.

„Dein Freund, antwortete der Beschwörer, der dein Andenken ehret, und für deine Seele betet“ zugleich nannte er den Namen des Prinzen.

Die Antworten erfolgten immer nach einem sehr großen Zwischenraum.

„Was verlangt er?“ fuhr diese Stimme fort.

„Dein Bekenntniß will er zu Ende hören, das du in dieser Welt angefangen und nicht beschlossen hast.“

„In einem Kloster auf der flandrischen Gränze lebt – – –

Hier erzitterte das Haus von neuem. Die Thüre sprang freiwillig unter einem heftigen Donner auf, ein Bliz erleuchtete das Zimmer und eine andre körperliche Gestalt, blutig und blaß wie die erste aber schreklicher, erschien an der Schwelle. Der Spiritus fieng von selbst wieder an zu brennen, und der Saal wurde hell wie zuvor.

„Wer ist unter uns?“ rief der Magier erschrokken, und warf einen Blik des Entsezzens durch die Versammlung – „Dich hab ich nicht gewollt“ Die Gestalt gieng mit majestätischem leisem Schritt gerade auf den Altar zu, stellte sich auf den Teppich, uns gegenüber, und faßte das Kruzifix. Die erste Figur war nicht mehr.

„Wer ruft mich?“ sagte diese zwote Erscheinung.

[93] Der Magier fieng an heftig zu zittern. Schrekken und Erstaunen hatten uns gefesselt. Ich griff nach einer Pistole, der Magier riß mir sie aus der Hand, und drükte sie auf die Gestalt ab. Die Kugel rollte langsam auf dem Altar, und die Gestalt trat unverändert aus dem Rauche. Jezt sank der Magier ohnmächtig nieder.

„Was wird das?“ rief der Engländer voll Erstaunen und wollte einen Streich mit dem Degen thun. Die Gestalt berührte seinen Arm, und die Klinge fiel zu Boden. Hier entsank uns der Muth.

Diese ganze Zeit über stand der Prinz furchtlos und ruhig, die Augen starr auf die Erscheinung gerichtet.

„Ja! Ich erkenne dich, rief er endlich voll Rührung aus, du bist Lanoy, du bist mein Freund – – Woher kömmst du?“

„Die Ewigkeit ist stumm. Frage mich aus dem vergangenen Leben.“

„Wer lebt in dem Kloster, das du mir bezeichnet hast?“

„Meine Tochter“

„Wie? Du bist Vater gewesen?“

„Weh mir, daß ich es nicht war!“

„Bist du nicht glüklich Lanoy?“

„Gott hat gerichtet“

„Kann ich dir auf dieser Welt noch einen Dienst erzeigen?“

[94] „Keinen, als an dich selbst zu denken.“

„Wie muß ich das?“

„In Rom wirst du es erfahren“

Hier erfolgte ein neuer Donnerschlag – eine schwarze Rauchwolke erfüllte das Zimmer; als sie zerflossen war, fanden wir keine Gestalt mehr. Ich stieß einen Fensterladen auf. Es war Morgen.

Jezt kam auch der Magier aus seiner Betäubung zurük. „Wo sind wir?“ rief er aus, als er Tageslicht erblikte. Der russische Offizier stand dicht hinter ihm, und sah ihm über die Schulter. „[WS 2]Taschenspieler, sagte er mit schreklichem Blik zu ihm, du wirst keinen Geist mehr rufen.

Der Sicilianer drehte sich um, sah ihm genauer ins Gesicht, that einen lauten Schrei und stürzte zu seinen Füßen.

(Die Fortsezzung folgt).

Anmerkungen (Wikisource)

Fortsetzung: Der Geisterseher - Teil 2

  1. Anführungszeichen in diesem Absatz wurden sinngemäß korrigiert.
  2. Anführungszeichen nachgetragen