Der Geiger zu Gmünd
[1177] Der Geiger zu Gmünd.
Eine Legende.
Einst ein Kirchlein sonder gleichen,
Noch ein Stein von ihm steht da,
Baute Gmünd der sangesreichen
Heiligen Cäcilia,
Ob der Heil’gen mondenklar,
Hell wie Morgenroth bekränzten
Goldne Rosen den Altar.
Schuh’ aus reinem Gold geschlagen
Hat die Heilige getragen:
Denn da war’s noch gute Zeit;
Zeit, wo überm fernen Meere,
Nicht nur in der Heimat Land,
Hell in Gold und Silber fand.
Und der fremden Pilger wallten
Zu Cäcilias Kirchlein viel;
Ungeseh’n woher, erschallten
Einst ein Geiger kam gegangen,
Ach! den drückte große Noth,
Matte Beine, bleiche Wangen,
Und im Sack kein Geld, kein Brot!
Und gespielet all sein Leid,
Hat der Heil’gen Herz durchdrungen:
Horch! melodisch rauscht ihr Kleid!
Lächelnd bückt das Bild sich nieder
Wirft dem armen Sohn der Lieder
Hin den rechten goldnen Schuh.
Nach des nächsten Goldschmids Hause
Eilt er, ganz vom Glück berauscht,
Wenn der Schuh um Geld vertauscht.
Aber kaum den Schuh ersehen,
Führt der Goldschmid rauhen Ton,
Und zum Richter wird mit Schmähen
Bald ist der Proceß geschlichtet,
Allen ist es offenbar,
Daß das Wunder nur erdichtet,
Er der frechste Räuber war.
Sangest wohl den letzten Sang!
An dem Galgen auf und nieder
Sollst, ein Vogel, fliegen bang.
Hell ein Glöcklein hört man schallen
Mit dir zu der Stätte wallen,
Wo beginnen soll dein Flug.
Bußgesänge hört man singen
Nonnen und der Mönche Chor,
Geigentöne draus hervor.
Seine Geige mitzuführen,
War des Geigers letzte Bitt’:
„Wo so viele musiciren,
[1178] An Cäcilias Kapelle
Jetzt der Zug vorüberkam,
Nach des offnen Kirchleins Schwelle
Geigt er recht in tiefem Gram.
Seufzt: „Das arme Geigerlein!“
„„Eins noch bitt’ ich – singt er – lasset
Mich zur Heilgen noch hinein!““
Man gewährt ihm, – vor dem Bilde
Und er rührt die Himmlischmilde,
Horch! melodisch rauscht ihr Kleid!
Lächelnd bückt das Bild sich nieder
Aus der lebenlosen Ruh,
Hin den zweyten goldnen Schuh.
Voll Erstaunen steht die Menge,
Und es sieht nun jeder Christ,
Wie der Mann der Volksgesänge
Schön geschmückt mit Bändern, Kränzen,
Wohl gestärkt mit Geld und Wein,
Führen sie zu Sang und Tänzen
In das Rathhaus ihn hinein.
Schön zum Fest erhellt das Haus,
Und der Geiger ist gesessen
Obenan beym lust’gen Schmaus.
Aber als sie voll vom Weine,
Wandert so im Mondenscheine
Lustig in ein andres Land.
Seitdem wird zu Gmünd empfangen
Liebreich jedes Geigerlein,
Und es muß getanzet seyn.
Drum auch hört man geigen, singen,
Tanzen dort ohn’ Unterlaß,
Und wem alle Saiten springen,
Und wenn bald ringsum verhallen
Becherklingeln, Tanz und Sang,
Wird zu Gmünd noch immer schallen
Selbst aus Trümmern lust’ger Klang.
Justinus Kerner.
Erläuterungen (Wikisource)
Über diese Legenden-Ballade, die inzwischen Teil der Schwäbisch Gmünder Identität geworden ist, gibt es eine Monographie von Peter Spranger (Der Geiger von Gmünd, 2. Auflage Schwäbisch Gmünd 1991, UB Heidelberg).
Eine englische Übersetzung erschien in The Knickerbocker 1852 Google
In den Gedichten Kerners von 1829, S. 147–151 Google
Johann Burkhardt Rothacker, Süddeutschlands Sagen, Reutlingen 1837, S. 150–153 gibt den Text Kerners wieder Google
Textkritik
Die Werkausgabe von 1905 weist nur geringfügige orthografische Änderungen und solche der Interpunktion auf. Zeile 80 liest sie: der Heil’gen statt den Heil’gen.
Weblinks
Commons: Der Geiger zu Gmünd – Bilder, Videos und/oder Audiodateien |