Textdaten
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Autor: Franz Ulbricht
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Titel: Der Fink als Hausfreund
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aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 244
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[244] Der Fink als Hausfreund. Es war im Monat April des Jahres 1817. Meine Großmutter und ihr verstorbener Bruder wohnten damals mit ihren Eltern in einem einstöckigen hölzernen Hause, nahe der Kreibitzbach, welches von einen von einer Hecke begrenzten Garten umgeben war, von wo aus man auf das freie Feld gelangte. In dem Garten befanden sich besonders viele Obstbäume, auf welchen die munteren Sänger sich gern aufhielten und durch ihre fröhlichen Lieder das Herz und die Sinne der Hausbewohner und Nachbarn erfreuten.

Auf einem großen Apfelbaume hatte ein lustiges Finkenpaar sein niedliches Nest aufgebaut, in welchem nach wenig Wochen einige junge Vögel sich befanden. Der Bruder meiner Großmutter, damals vierzehn Jahre alt, hatte seine größte Freude daran; er nahm das Nest, legte es in einen Käfig und stellte denselben geöffnet an die nämliche Stelle, damit die Alten nach wie vor den Jungen ihre Nahrung zubrächten. Er sah täglich nach, um die Fortschritte der jungen Vögel wahrzunehmen. Eines Tages, als er sich von dem Vorhandensein der jungen Schaar überzeugen wollte, bemerke er zu seiner Enttäuschung, daß das Nest bis auf ein Junges leer war. Er nahm dies nun mit dem Käfig in die Wohnung, da es von den Alten leicht verlassen werden konnte, und gewöhnte es hier an das gebräuchliche Futter. Bald wurde auch der junge Fink flügge. Man erkannte in ihm ein Weibchen und ließ dasselbe, da man es nicht sehr schätzte, im Zimmer herumfliegen. Endlich noch gleichgültiger, gab man dem Vogel die Freiheit. Die eingetretene Achtlosigkeit verwandelte sich jedoch bald in Freude, als der Vogel mit seinem zutraulichen Wesen aus dem Hausgärtchen in das Zimmer zurückkehrte. Man gewann ihn doppelt lieb und schenkte ihm mehr Aufmerksamkeit und volle Zuneigung. Das Fenster wurde nun, um es nicht täglich öffnen zu müssen, einige Zoll breit aufgelassen, sodaß der Fink ohne Mühe aus- und einfliegen konnte. Der Vater meines Großonkels suchte den Vogel auf die Probe zu stellen und nahm ihn in den Wald mit, woselbst er ihn fliegen ließ. Bevor er zu Hause anlangte, war der Vogel schon anwesend. Diese Versuche wurden mehrere Male mit demselben Erfolge wiederholt.

Nach und nach wurde das Finkenweibchen so zutraulich, daß es sich auf die Achsel des Hausherrn setzte und sich von demselben herumtragen ließ. Es sollte aber bald anders werden. Der Herbst rückte näher und die Zeit kam heran, wo die Vögel wärmere Landstriche aufsuchen; auch unser liebgewordener Gast verließ sein Heim und trat die Wanderung an – man glaubte auf Nimmerwiedersehen. – Der Schnee schmolz und das Frühjahr 1818 folgte; die ersten Frühlingsboten kündigten sich an, und zum allgemeinen Erstaunen stellte sich auch unser Fink ein. Letzterer umkreiste das Haus und kam an das bekannte Fenster. Durch Picken an dasselbe suchte er die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und wurde endlich eingelassen Bei Eintritt der Brutzeit hielt sich auch das Männchen in der Nähe des Hauses auf, und sie erkoren sich einen im Garten stehenden Baum zum Brutplatz. Der Hausvater nahm nach einiger Zeit das Nest in die Wohnung mit, worüber jedoch der Vogel schmollte, sodaß man gezwungen war, das Nest an seinen früheren Ort zu bringen. Es vergingen ungefähr acht Tage, nach welcher Zeit der Fink seinen ersten Besuch abstattete, welcher sich dann regelmäßig wiederholte. Wieder rückte der Herbst heran; der Vogel trat wieder seine Wanderung an. Der Winter kam und ging, und auch der Vogel kam wieder.

Es wiederholten sich die erwähnten Vorgänge, nur mit dem Unterschiede, daß das Nest an seinem Platze gelassen wurde. Als die Jungen flügge geworden, brachte das alte Buchfinkenweibchen diese selbst in die Wohnung, und da die Beschäftigung der Inwohner eine ruhige war, so lagerte sich die junge Gesellschaft reihenweise auf einer Ofenstange und wurde hier von dem Finkenweibchen gefüttert, in welcher Beschäftigung dies von dem Männchen geraume Zeit unterstützt wurde. Die Kunde von der Anhänglichkeit des Vogels verbreitete sich mehr und mehr, und Besucher, selbst aus der Ferne, erschienen, um sich von der Wahrheit zu überzeugen. Zur größten Freude der Nachbarn und Schuljugend wurde der Fink so zahm, daß er wie ein Huhn den Weg vor dem Hause entlang lief und die ihm hingestreuten Brosamen aufpickte; ja er lenkte selbst die Aufmerksamkeit der Stadtvertreter auf sich, welche streng verboten, den Vogel abzufangen oder mit dem Blaserohre zu tödten.

Als der Vogel ungefähr sieben Sommer gesehen und schon eine kleine Platte bekommen hatte, behielt ihn der Hausherr den Winter über in dem Zimmer. Eines Tages – es war im siebenten Winter – wurde die Aufmerksamkeit des Hausherrn auf einen Gegenstand am Bache gelenkt. Er öffnet das Fenster zur besseren Ansicht. Im Augenblick des Oeffnens flog der Vogel ihm auf die Achsel und von da zum Fenster hinaus. Ob Kälte und Frost ihm den Tod gebracht oder ob er abgefangen worden – wer weiß es! Er kam nie wieder. Die Wahrheit des Geschilderten aber kann von mehreren noch lebenden Personen bezeugt werden.

Kreibitz, 4. März , 1879.
Franz Ulbricht.