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Titel: Der Engel von Brabant
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aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 233–236
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[233]
Der Engel von Brabant.
„Musik ist der Schlüssel zum Herzen."     
Seume. 

„Aus Euch wird Nichts hier in Kopenhagen, der König und das Weibervolk geben Euch zu viel Zuckerbrod zu essen,“ brummte der berühmte Capellmeister und Sänger des Königs Friedrich des Dritten von Dänemark, Caspar Förster, und schlug etwas heftig den Deckel des Spinetts auf. „Es thut mir leid um Eure Stimme, aber ich sag’s Euch noch einmal: es wird Nichts aus Euch, Franciscus de Minde. Ihr habt zum Unglück ein zu glattes Lärvchen und gefallt dem Frauenzimmer, und das macht faul und eitel. Ich wünsche Euch einen regelrechten Hieb in’s Gesicht von den Schweden, die uns just auf den Hals rücken, oder eine andere Luft, dann könntet Ihr der erste Sänger der Welt werden, mein Sohn. Und nun singt Eure Scalen und Solfeggi, geht frisch hinausf in das hohe C und schont Eure Lunge nicht. Die Natur gab Euch einen ganz respectablen Blasebalg, aber Ihr habt’s trotzdem noch lange nicht so weit gebracht wie ich. Und dahin eben, wohin der Caspar Förster kam, muß ein Franciscus de Minde auch kommen, sonst verdient er die Stimme nicht, die ihm in der Kehle steckt. Gebt Acht!“

Nach diesen derben Worten richtete der dänische Capellmeister seine Riesengestalt in ihrer ganzen Länge auf und setzte piano pianissimo das tiefe A ein. Langsam schwoll der Ton an, immer voller, immer gewaltiger, immer mächtiger, es war die vox humana einer Orgel, noch stärker wurde der Klang, er wuchs von Secunde zu Secunde, der Athem der Riesenbrust schien unerschöpflich, endlich war’s leibhaftiger Posaunenschall – die Wände bebten. Der junge Zuhörer, eine schlanke Pagengestalt, griff mechanisch nach der Lehne eines Sessels, bleich und bleicher wurde sein reizendes Gesicht, die großen blauen Augen starrten den Sänger halb bewundernd, halb angstvoll an – da dämpfte Caspar Förster die Stimme allmählich, bis sie endlich im leisesten Piano erstarb.

„Wenn ich das lernen könnte, thäte ich Alles!“ stammelte Franciscus de Minde, noch ganz befangen von dem Eindruck des Gehörten.

[234] „Andere Luft, mein Söhnchen, kein Lob und keine weichen Händchen, die Euch die Wangen streicheln, Ihr seid zu etwas Besserem als zu einem Pagen geboren! Um mich hat sich freilich weder in meinem Elternhause noch sonst irgendwo ein Weib gekümmert, ich mag sie aber auch nicht, die Katzen. Die Mutter starb, als ich eben geboren war, und da ließ man mich denn schreien stundenlang. Das hat mir vielleicht die gute Lunge gegeben. Nachher war auch das Leben rauh mit mir und die Lehrzeit hart, aber die Stimme wuchs vielleicht eben deswegen wie ein Baum, und singen gelernt habe ich von der Orgel. Mein Vater ließ mich neben sich stehen, wenn er spielte, und mit dem Orgelton mußte ich die Stimme schwellen und sinken lassen – da gab es denn manche Ohrfeige, wenn ich immer nur laut schrie, ohne mich zu mäßigen. So lernte ich’s, und eines Tages zupfte mich mein Vater an den Haaren, was seine größte Liebkosung war, und sagte: nun ist’s gut, nun wollen wir ein Sänger werden. Da steckte man mich zuerst in eine Capelle und dann wurde Scacchi[WS 1] mein Lehrmeister. Später ging ich nach Rom und Venedig, und jetzt bin ich hier im Norden, wie Ihr seht. Eine Sängerlunge aber, welche die Luft Italiens geathmet, kann unter dem grauen Himmel hier nicht lange ausdauern – meines Bleibens wird nicht von großer Dauer sein. Und dann ärgert mich die ganze Frauenzimmerwirthschaft und die kleine kokette Teufelin vor Allen, die Angelique la Barre mit ihrer dünnen Stimme und ihrem Ziegentriller, die Euch Alle verhext. Sie ist schlimmer als die Schweden, denn sie verdirbt mir das ganze Theater und meine besten Schüler, und somit auch Euch. Seht, wie Ihr roth geworden seid, kleiner Thor! O, ich weiß Alles, weiß, wie sie Euch schmeichelnd ihren Landsmann nennt, obgleich Euer Vaterland Brabant von dem Schlangennest Paris beinah so weit sein mag, wie Kopenhagen von Rom, und wie sie Euch zu sich lockt, um mit Euch zu kauderwelschen. Das Herz dreht sich mir um, wenn ich das Alles höre und doch nichts ändern kann, weil Ihr Alle toll seid. In’s Wasser möchte ich sie werfen, die schlaue Katze! Nun singt – ich habe mich ausgetobt!“

Und die klare, wunderschöne Discantstimme sang, aber Francesco war nicht mit der Seele bei den Tönen. Die Strafpredigt seines Lehrmeisters, an dem er hing mit aller Leidenschaft eines jungen feurigen Herzens, war nicht ohne Eindruck auf ihn geblieben. Früh verwaist, hatte der schöne Knabe mit entfernten Verwandten sein geliebtes Vaterland mit dem fremden Dänemark vertauscht. Sehr bald hatten seine Schönheit und seine bezaubernde Stimme in der nordischen Hauptstadt Aufsehen erregt, man sprach sogar dem musikliebenden Könige von dem jungen Fremden. Friedrich der Dritte liebte vorzugsweise zwei Dinge, schöne Menschen und schöne Stimmen. Franciscus gefiel ihm in der Grazie seines Wesens auf den ersten Blick, und der Vortrag eines kleinen Brabanter Volksliedes, das der Knabe vor ihm sang, entzückte den königlichen Herrn dermaßen, daß er fortan den Sänger täglich zu hören wünschte. Er übergab ihn sogleich zur ersten Ausbildung einem tüchtigen Musiklehrer, ließ ihn auch in den Wissenschaften unterrichten, überhäufte ihn mit Geschenken, und der Liebling des Herrschers wurde bald der Liebling des ganzes Hofes und der Aristokratie Kopenhagens. Man schmeichelte dem zierlichen Pagen, wie man ihn nannte, und so wuchs er auf wie ein kleiner Prinz. Nannte ihn sein hoher Gönner doch selber oft „mein lieber Sohn“! So gingen Jahre hin, als zwei Gestalten in das Leben Francesco’s traten, die demselben eine andere Wendung geben sollten: die reizende Sängerin Angelique la Barre kam von Paris und nahm ein Engagement an der Oper an, und – Caspar Förster wurde als Capellmeister nach Kopenhagen berufen.

Bei Gelegenheit eines Festes im Palaste eines reichen und vornehmen Kunstfreundes geschah es, daß die französische Sängerin und Schauspielerin den schönen Pagen zuerst sah und hörte. Ueberrascht von seiner Anmuth, trat sie ihm mit lieblicher Freundlichkeit entgegen und erbot sich ohne weitere Einleitung seine Singmeisterin zu werden. Geblendet schaute er auf zu dieser Erscheinung aus einer fremden Welt, zu dieser Fee, die aus einer rosenrothen Wolke von Seidenstoff und Spitzen ihm zunickte und lächelte. Eine berauschende Duftwelle umhüllte ihn, sie strömte aus dem Strauß zu ihm herüber, der an ihrer Brust blühte, dunkle Augen strahlten ihn an, und es war ihm, als hätte er noch nie schönere Lippen gesehen als die, welche soeben in der Sprache seines Heimathlandes flüsterten: „wollt Ihr mich als Eure Singmeisterin annehmen?“

Wer hätte auf eine solche Frage ein „Nein“ zu antworten vermocht?

Alle Tage dürfe er kommen, hatte sie ihm später zum Abschied noch gesagt, und da ging er denn auch hin zu ihr und stand neben der Harfe, die sie meisterlich spielte, und versuchte die zierlichen Triller und Rouladen nachzusingen, welche sie ihm mit der Stimme eines kleinen Vogels vorzwitscherte. Wie viel Zeit blieb ihm dazwischen, sie zu bewundern! Zierlich war Alles an der verführerischen Pariserin, die Gestalt, die Hände und Füße, der Mund und das Näschen, nur die Augen waren groß und von dem gefährlichsten Feuer. Besonders geduldig war sie nicht, diese reizende Lehrmeisterin; wie oft schob sie die Harfe zurück, stampfte mit den kleinen Füßchen den Boden und rief: „tu chantes comme un petit fou!“ (Du singst wie ein kleiner Narr.) Es war freilich reizend, diese ungeduldigen Füßchen in den hohen Hackenschuhen von hellem Atlas zu sehen! Oder sie warf sich zurück in ihren Sessel bei einem Triller, in dem ihrem Schüler der Athem ausging, oder bei einer ungeschickten Roulade, und lachte wie ausgelassen. So sehr nun auch Franciscus erröthete bei solchem Mißlingen, so hätte er doch am liebsten fortwährend schlecht gesungen, nur um sie lachen zu sehen und zuletzt – selber mit zu lachen. Es gab nichts Hübscheres auf der Welt nach seiner Meinung, als die lachende Angelique, sie war eben zum Lachen und Fröhlichsein geschaffen, wie die Sonne zum Leuchten. Die Augen blitzten, die Perlenzähne schimmerten zwischen den rothen Lippen hervor, überall tauchten Grübchen auf, und der Ton dieses Gelächters erinnerte an silberne Glocken.

Zuweilen geschah es freilich auch, daß sie in diesem Ausbruch der Heiterkeit ihren jungen Schüler beim Kopfe faßte und ihn auf die Stirn küßte, und dieselbe Liebkosung wurde ihm zu Theil, wenn er eine kleine Arie oder eine schwierige Stelle ohne Fehler nachgesungen. Es war seltsam, daß er aber nachher viel weniger gut sang. Nicht selten gebot sie ihm, sich nach der Stunde noch eine Weile auf einen Schemel zu ihren Füßen zu setzen, und dann mußte er ihr von seinem Daheim erzählen und von seiner Kindheit und der todten Mutter, die ihm so zahllose Lieder singen gelehrt mit der süßesten Stimme der Welt, und von seinem schönen Vater, der so früh gestorben, und von der alten wunderlichen Tante, die ihn mit nach Kopenhagen gebracht, und von seinem hohen Schützer und dem Leben im Königsschloß. Und während er redete, tanzten die kleinen Füße vor ihm auf und nieder und eine kleine unruhige Hand spielte mit den Locken seines blonden Haares. Die Singstunden wurden auch zuweilen durch Besuche unterbrochen, wie denn überhaupt die Wohnung der gefeierten Sängerin einem Taubenschlage glich. Elegante Cavaliere erschienen, um nach dem Wohlergehen der Bühnenkönigin zu fragen, niedliche Colleginnen hüpften herein, um Zuckerwerk zu naschen und pikante Geschichten zu erzählen.

Die Fortschritte des schönen Pagen waren also nur gering bei dieser Art des Unterrichts, aber das kümmerte ihn wenig, er lebte eben das sorglose Leben einer Blume, die sich von Jedermann bewundert sieht in ihrer ersten frischen Blüthe.

Da erschien Caspar Förster in der dänischen Hauptstadt und übernahm auf den besondern Wunsch des Königs die Leitung der Oper. Auf leuchtenden Flügeln war sein Ruhm ihm vorausgeeilt. Als Franciscus ihn bei einem Hoffeste zum ersten Mal hörte, stand er starr und regungslos hinter dem Thronsessel seines hohen Schützers, sein liebliches Gesicht erschien todtenblaß und die Thränen strömten unaufhaltsam über seine Wangen. Und am andern Morgen schon hatte er an die Thür Förster’s geklopft und ihn gebeten, ihn als Schüler anzunehmen. Der Gang kostete ihm große Ueberwindung, denn im tiefsten Herzen fürchtete er sich vor dem neuen Capellmeister, den ihm seine schöne Freundin als eine Art Menschenfresser und Eisbären zugleich geschildert hatte. Der berühmte Mann empfing ihn auch nicht sonderlich freundlich. „Der König hat mir schon von Euch gesprochen, mein Sohn,“ sagte er, „aber Ihr habt eine Frau zu Eurer Lehrmeisterin gehabt. Singt mir zuerst eine kleine Probe, damit ich selber höre, ob ich’s mit Euch versuchen kann!“

Zitternd und erregt bis in’s Innerste der Seele, sang Franciscus, und erwartungsvoll hingen die blauen Augen an dem strengen Antlitz des großen Sängers.

„Ihr müßt Alles wieder verlernen, was Ihr bis zur Stunde [235] gelernt,“ sagte Caspar Förster. „Fühlt Ihr die Kraft dazu in Euch, dann will ich Euer Lehrmeister werden. Aber versteht wohl, von Weibern lasse ich kein Wort hineinreden in meinen Unterricht. Wenn Ihr den Muth habt, Euch in meine Hände zu geben, so bedenkt, daß ich Euch ganz allein haben will.“

„Ich habe nichts mehr zu bedenken,“ lautete die Antwort, „ich verschreibe mich Euch mit Leib und Seele.“

Und so geschah es. Noch in derselben Stunde verfügte sich Franciscus zu seiner bezaubernden Lehrmeisterin und gestand ihr, daß er sich fortan einem Mächtigern ergeben. Heimlich fürchtete er einen Ausbruch zärtlicher Bitten und Beschwörungen und fragte sich zagend, wie er denen wohl widerstehen solle. Aber sie bat nicht, die schöne Pariserin, sie gerieth vielmehr in den heftigsten Zorn und machte dem hübschen Pagen das Scheiden leichter, als er zu hoffen gewagt. Die lockenden Lippen sprudelten über von den bittersten Reden, sie überhäuften abwechselnd le monstre von Capellmeister und den ehemaligen Liebling mit Schmähungen, die niedlichen Hände zerrissen verschiedene Spitzentücher und endlich wies die Sängerin dem Erschrockenen in aller Form die Thür – für immer – wie sie ihm noch nachrief. Zwar sandte sie am nächsten Morgen schon einen Boten zu ihrem ehemaligen Schüler mit dem Befehl, sich sofort zu ihr zu begeben, dem Franciscus aber nicht nachkam, und später fand eine Art Versöhnung statt, allein die Sing- und Plauderstunden hatten ein Ende, und der junge Sänger mühte sich in der That, mit aller Energie zu vergessen, was er bis zur Stunde gelernt. Und nun – wie bitter traurig war’s jetzt noch hören zu müssen: „Mein Sohn, es wird nichts aus Euch!“

Franciscus de Minde zerbrach sich seit jenen Worten seines gestrengen Lehrmeisters vergebens den hübschen Kopf, wie wohl das Leben zu ändern sei, das er in Kopenhagen nun schon seit Jahren führte, und das ihm halb unbewußt zur süßen Gewohnheit geworden war. Sein königlicher Schützer lachte ihn aus, als er ihm von den Befürchtungen des Capellmeisters redete, und die schönen Frauen, Angelique la Barre an der Spitze, verdoppelten ihre verführerische Freundlichkeit gegen ihn, um den „Weiberfeind“, der sich durch keinen schmachtenden Augenaufschlag, durch kein Lächeln blenden, durch kein süßes Schmeichelwort fangen ließ, zu kränken. Zudem brauchte der hohe Herr die Gesellschaft seines Lieblings jetzt nöthiger als je, er bedurfte der Zerstreuung. Das Heranrücken seiner Feinde, der Schweden, machte ihm schwere Sorgen. Die Nachrichten aus dem Lager lauteten täglich bedrohlicher. Immer neue Truppen, die besten Söhne des dänischen Landes, rückten den Schweden entgegen und immer neue Kämpfer verlangte man. Man redete nur vom Kriege und sah rings umher angstvolle Gesichter.

Eines Abends saß Caspar Förster einsam in seinem Arbeitszimmer, in alte Notenheften blätternd und dann und wann eine Stelle leise vor sich hin summend. Es sah nicht eben behaglich aus in diesem Asyl des berühmten Sängers und Capellmeisters, eine ordnende Frauenhand war in dies Heiligthum nie gedrungen. Fingerdick lag der Staub auf den Büchern und Notenheften, das kleine Spinett ächzte unter der Last von Musikalien und Kleidungsstücken, die darauf ihren Platz gefunden und gewöhnlich mit einem Ruck herabgeschleudert wurden, wenn Caspar Förster den Deckel aufschlug. Ein paar Stiefeln dienten einer Laute als Unterlage, und auf einer gewaltigen Baßgeige hing die etwas desolate Perrücke des Sängers. Die Reste eines frugalen Mahles hatten unter dem großen Sessel ihren Platz gefunden. Da klopfte es leise an die Thür, und auf den rauhen Zuruf erschien die zierliche Gestalt des hübschen Pagen auf der Schwelle, aber er trat nicht mit der gewöhnten liebenswürdigen Freundlichkeit seinem Lehrmeister entgegen, bleich und unruhig sah er aus, und eine ungewöhnliche Erregung leuchtete aus seinen Augen.

„Was wollt Ihr hier zu dieser Stunde?“ fragte Förster erstaunt.

„Still, still! Heimlich Abschied nehmen!“

„Abschied? Will Euch etwa die la Barre nach Frankreich entführen als ihren Schleppenträger?“

Helle Gluth stieg jetzt in die Wangen Francesco’s.

„Ihr denkt sehr gering von mir, aber eben um Euch besser von mir denken zu lehren, gehe ich. Lebt wohl, es soll doch noch etwas Ordentliches aus mir werden, – oder gar nichts. Fragt nicht, wohin ich gehe – ich habe Tage und Nächte nachgedacht, ehe ich zum Entschluß gekommen, Ihr werdet Gutes von mir hören oder – nichts mehr. Ihr hattet Recht: so konnte es nicht fortgehen und ändern ließ sich hier nichts! Auf Wiedersehen! Ich danke Euch für jedes Scheltwort und werde Euch ewig lieben! Sagt Niemandem, daß ich Abschied von Euch genommen, ich sagte Niemandem ein Lebewohl: Francesco de Minde soll für Alle verschwinden.“

Und ehe er’s verhindern konnte, hatte der Jüngling die Hände Caspar Förster’s ergriffen, an Brust und Lippen gedrückt und das Zimmer verlassen. Der schöne Page war entflohen aus Kopenhagen, und Keiner wußte, wohin er gegangen.

Vielleicht drei Monate nach dieser kleinen Scene näherte sich in den Abendstunden eines heißen Schlachttages ein kleiner Trupp schwedischer Soldaten dem Zelte ihres Feldherrn, des tapferen General Wrangel. Sie führten einen Gefangenen in ihrer Mitte, der mit verbundener Stirn so leicht und fröhlich einherschritt, als gälte es einem heiteren Feste entgegenzueilen. Vor dem Zelte machten sie Halt – der wunderliche Gefangene hatte durchaus verlangt zum Feldherrn gebracht zu werde. Der Posten vor dem Zelte machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand – wie gebannt blieben die Soldaten stehen. Die Töne einer Geige wurden laut, – der berühmte General überließ sich nach den Mühen und Gefahren des Tages seiner höchsten Leidenschaft: dem Geigenspiel. Sie kannten sie alle an ihm und wußten, daß nur die Ueberbringer wichtiger Botschaften ihn in einer Passage oder einem Adagio stören durften. Es war ein seltsamer Contrast diese weichen süßen Klänge, die über ein Soldatenlager zogen und denen sie Alle so gerne lauschten.

Heut spielte der Tapfere mit besonderer Lust, wie es schien, ein Läufer reihte sich an den anderen, ein Triller folgte dem anderen, aus einem kecken Allegro ging er über, ohne anzuhalten, in ein schmelzendes Adagio – die Geige wurde nicht müde zu singen. Und immer größer wurde der Kreis der leise herbeischleichenden Hörer, man lagerte sich auf den Boden in zwanglosen Gruppen, und die Töne zogen über die Häupter hinweg wie leichtbeschwingte Friedensengel. Mit strahlendem Angesicht lauschte aber der junge Gefangene.

„Man hat mir nicht zu viel erzählt von meinem Herrn Collegen,“ sagte er lächelnd, „aber ich hoffe, meine Geige soll ihm auch gefallen!“

Und als eben jetzt der Spieler in jene bekannte Melodie überging, deren Text die Thaten des Königs Gustav von Schweden feierte, da fiel der Gefangene plötzlich mit heller Silberstimme ein und sang das Lied. Niemand wagte, ihm Schweigen zu gebieten, wie ein Zauber umfing es Alle. Der Klang war so süß und rein, die Stimme von einer Frische und Weichheit ohne Gleichen. Die Geige Wrangel’s begleitete leise und leiser, sie verstummte endlich ganz. Der Sänger schien es nicht zu bemerken, denn er hielt eben nach dem Beispiel Caspar Förster’s, seines Lehrmeisters, eine Fermate aus, die endlos schien und den Zuhörern den Athem zu nehmen drohte. Da hob sich dann der Vorhang des Zeltes und die Heldengestalt des Feldherrn wurde sichtbar. Die Geige hielt er noch in der Hand, und die Feueraugen hefteten sich mit einem Ausdruck des Staunens und der Bewunderung auf den jungen Sänger. Furchtlos begegnete Francesco diesem Blick, und als die Fermate schloß, legte Wrangel sanft seine Rechte auf die Schulter des Jünglings und sagte:

„Dankt Gott für Eure Stimme, mein Sohn, Ihr werdet die Welt von Euch reden machen. Woher kommt Ihr und was sucht Ihr im Kriege?“

„Eine Narbe für mein Gesicht und – den guten Rath meines berühmten Collegen, des General Wrangel,“ lautete die Antwort.

„So kommt mit mir in mein Zelt und erzählt mir Alles!“ lächelte der Feldherr, und die Vorhänge des Zeltes schlossen sich hinter den Gestalten der beiden Collegen. –

Was die Beide nun miteinander so vertraulich verhandelt haben, zum maßlosen Staunen der Soldaten, ist nie bekannt geworden, historisch ist aber, daß Francesco de Minde den General nicht mehr verließ, ihn später nach Schweden begleitete, wo der Feldherr den Sänger als die „beste Kriegsbeute“ dem Könige gleichsam zum Geschenk machte. Hier in den Prunkgemächern des königlichen Schlosses zu Gothenburg wiederholte sich die Geschichte Saul’s und David’s: der kranke Herrscher konnte die süße Stimme [236] und das heitere Geplauder des jungen Sängers bald keinen Tag mehr entbehren und ernannte ihn zu seinem Kammersänger. Seine Lieder allein vermochten den schwermüthigen König zu zerstreuen, seine düsteren Gedanken zu verscheuchen.

„Ich habe einen zweiten königlichen Vater gefunden,“ schrieb Francesco nach Kopenhagen, „aber mein geliebter König in der Heimath Dänemark ist doch der rechte und mein hiesiger Gönner nur ein gütiger Stiefvater. Meine Narbe trage ich mit Stolz, und wenn mich auch die Frauen leider um ihretwillen noch nicht hassen, so fühle ich doch, daß ich noch etwas Rechtes werden kann, um meinem theuren Lehrmeister Ehre zu machen.“

Der König Friedrich hatte längst seinem Liebling die anscheinende Treulosigkeit verziehen und schickte sogar dann und wann ein Geschenk für ihn nach Gothenburg, unter Anderem ein Paar kostbare, mit Perlen besetzte Armbänder. Erst nach des Königs Tode verließ de Minde Schweden; es zog ihn nach Deutschland, er wollte lernen und hören. Hamburg war zunächst das Ziel seiner Wünsche. So wanderte er denn fort mit einem schmalen Bündelchen und wenig Geld, denn Schätze zu sammeln lag nicht in seiner Natur, er gab von jeher mit vollen Händen, so lange er selber etwas zu geben hatte, und pflegte über dem Heute stets das Morgen zu vergessen, unbekümmert genoß er die Gegenwart. Da war es wohl kein Wunder, daß er sich in Wismar plötzlich mit leerem Beutel wiederfand, sein letztes Goldstück hatte er draußen vor den Thoren einem Bettler in den Hut geworfen. Etwas beklommenen Herzens trat er, die Laute auf dem Rücken, ein echter fahrender Sänger, in den ersten Gasthof der Stadt und bat um ein Nachtquartier. Es war ein Glück, daß die vorgerückte Dämmerung den Zustand seiner Reisekleider mitleidig verschleierte, trotzdem war aber der Wirth im Begriff, den unscheinbaren Wanderer abzuweisen, da er „vornehme Fremde“ beherberge, die in „Carossen“ vorgefahren, und sich mit Fußgängern nicht einzulassen Lust habe.

In der Wirthsstube brannten ein paar Kerzen, und der Schein des Lichtes fiel auf das schöne Gesicht Francesco’s und auf die leichtgebräunte Stirn mit der Narbe, und das frische, hübsche Wirthstöchterlein hinter dem Schenktisch sah das Alles, und ihre braunen Schelmenaugen begegneten den blauen des jungen Gastes und – sein Geschick war entschieden. Leise bat sie den Vater für ihn, und er durfte bleiben.

Da zog er sich denn seinen Schemel in die Nähe seiner Schützerin und begann mit ihr so heiter und anmuthig zu plaudern, daß das Mädchen oft hell auflachte und meinte, nie einen fröhlicheren Gesellen gesehen zu haben.

„Ihr würdet der Rechte sein für die vornehme Frau dort oben, die einen Diener sucht für die Reise nach Hamburg und Paris,“ sagte sie im Laufe des Gesprächs. „Ihr scheint überall zu Hause und habt die Welt gesehen. Freilich müsse ihr Begleiter etwas von der Musik verstehen, hat die Dame gesagt,“ schloß sie seufzend, „und davon werdet Ihr wohl nicht viel wissen, ich hätte Euch sonst bei ihr gern das Wort geredet!“

„Wer weiß, ob ich nicht davon so viel verstehe wie jene Donna,“ lachte Francesco, „aber das Wort möchte ich mir am liebsten gleich selber reden! Wo wohnt sie?“

„Ich will Euch hingeleiten! Kommt!“

Und sie führte ihn mit leisen Schritten eine Treppe hinauf in einen matterleuchteten Gang. Der Weg war etwas lang, die Stufen steil, und die niedliche Führerin gebot ihm oftmals, ihre Hand recht festzuhalten. Das that er denn auch so treulich und neigte sich sogar sehr oft mit den Lippen auf die warmen vollen Finger, um sich zu versichern, daß die kleine Hand ihm nicht entschlüpfe und wirklich noch seine Gefangene sei.

„Hier ist die Thür,“ sagte sie endlich zögernd. „Ich wünsche Euch Glück!“

„Bleibt noch einen Augenblick,“ bat er – „das Glück verläßt mich, wenn Ihr geht!“

Sie blieb denn auch, und er nahm seine Laute in den Arm und stimmte ein Lied an zum Preise der Frauen, das er selber in Musik gesetzt. Wie ein Lichtstrom quoll die unvergleichliche Stimme durch den dunkeln Raum – athemlos, zitternd, wie im Traum lauschte das Wirthstöchterlein. Solche Töne waren noch nie hier laut geworden! Welch’ ein Gesang! Hinreißender hatte Francesco selbst vor dem Zelte Wrangel’s nicht gesungen.

Unten im Gasthofe lief man zusammen bei den Tönen des modernen Orpheus, aus allen Winkeln kroch es hervor, man drängte sich auf die Treppe, daß die alten Stufen ächzten, das ganze Haus war in nie gesehener Aufregung. Aber als der letzte Ton verhallt war, da wurden wie mit einem Schlage zwei Thüren nebeneinander mit Gewalt aufgestoßen. Auf der Schwelle des einen Gemachs, den silbernen Leuchter mit der brennenden Kerze in der schönen Hand, im weißen spitzenbesetzten Gewande, unter dessen leichtgeschürztem Saum der kleine Fuß im rothen Hackenschuh sichtbar wurde, das leichtgepuderte Haar lose auf die blendenden Schultern herabhängend, das Lächeln einer Circe auf den Lippen, erschien, noch immer reizend, noch immer verführerisch – Angelique la Barre.

„Her zu mir, Francesco de Minde!“ rief ihre Silberstimme.

Da aber umfaßten ihn zwei Riesenarme, da fühlte er ein bärtiges Gesicht an seiner Wange, eine übermächtige Kraft drückte ihn an eine breite Brust und die Stimme eines Löwen donnerte in sein Ohr:

„Her zu mir, mein Sohn! Ihr seid auf gutem Wege! Ein Glück, daß ich Euch gefunden! Bei mir geblieben, wenn Ihr ein ganzer Sänger werden wollt!“ rief der Capellmeister von Kopenhagen, Caspar Förster. –

Wie die beiden Feinde, die ohne ihr Wissen und Willen seit wenigen Stunden unter einem Dache weilten, über den Gegenstand ihrer gemeinsamen Neigung sich einigten, kann Niemand erzählen. Das aber weiß jedes Tonkünstlerlerikon zu erzählen, daß eben Francesco Minde der größte Sänger geworden. Man nannte ihn den Engel. Ob Caspar Förster oder Angelique la Barre an seinem Ruhme den größeren Theil hat – wer kann es sagen? – Bekannt aber ist, daß Franciscus de Minde, welcher um das Jahr 1640 in Brabant geboren war, später durch seine herrliche Stimme und ganz vortreffliche Singkunst, wohin er auch kam, das größte Aufsehen erregte. Nach den hier erzählten Abenteuern wandte er sich nach Hamburg, wo man ohne ihn kaum ein Concert mehr veranstalten mochte und wo namentlich auch sein Gesangunterricht bald überaus gesucht wurde. In Hamburg starb er auch, nachdem er vorher zum Protestantismus übergetreten, und ward im Dome beigesetzt. Seine Stimme hat in allen ihren Wandelungen, in dem Klange des Discant wie in dem Timbre des Alt und endlich als unvergleichlicher Tenor die höchste Bewunderung aller Zeitgenossen erregt. Er gehörte zu jenen Glücklichen, denen Könige und schöne Frauen ihre Gunst bewahrten bis an ihr Ende.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Marco Scacchi; Vorlage: Scuchi