Der Eindruck des Schill’schen Ausmarsches in Berlin

Textdaten
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Autor: J. von Gruner
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Titel: Der Eindruck des Schill’schen Ausmarsches in Berlin
Untertitel:
aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 4 (1890), S. 120–124
Herausgeber: Ludwig Quidde
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung J.C.B. Mohr
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Erscheinungsort: Freiburg i. Br
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Quelle: Scans auf Commons
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[120] Der Eindruck des Schill’schen Ausmarsches in Berlin. Nach dem Ausbruche des Französisch-Oesterreichischen Krieges im April 1809 traten die Patriotenpartei und die Partei der Franzosenfreunde sich scharf entgegen. Schill zog am 28. April mit seinem Regimente aus Berlin einem Ende mit Schrecken entgegen. Dagegen scheute sich der Fürst Hatzfeld, ein hervorragender Vertreter der zweiten Partei, nicht, öffentlich seine unbedingte Ergebenheit an Frankreich und seinen über alles lebhaften Wunsch, dass das Unterjochungssystem Frankreichs aufrecht erhalten werden möge, zu bethätigen[1]. Welchen Eindruck der Auszug Schill’s auf die Berliner Garnison machte und in welcher Stimmung die höheren Beamten in Berlin sich befanden, [121] davon werden wir durch die Briefe und Berichte des Polizeipräsidenten Justus Gruner an den Minister des Innern Grafen Dohna unterrichtet.

In dem Begleitschreiben vom 29. April heisst es: „Wir leben hier in der höchsten Spannung. Die Gerüchte von den Krieges-Ereignissen wechseln stündlich. Die Entweichung des Majors v. Schill mit seinem Regimente, erzeugt die lebhafteste Sensazion. Es kostet viel Mühe, die öffentliche Ruhe zu erhalten. Die Bewegung der Gemüther ist ausserordentlich und nicht lebhafter könnte die Theilnahme am eigenen Kriege sein.“ In diese Aufregung hinein kam die Nachricht von Schill’s Auszug. In dem Zusatz zu dem Rapporte vom 25.–29. April berichtet Gruner darüber folgendermassen: „Heute früh erscholl plözlich die Nachricht, dass der Major von Schill mit seinem Husaren-Regimente gestern Abends ausgerückt und nicht zurückgekehrt sey. Das Publikum glaubte anfangs, dass er sich auf höhere Ordre zu irgend einer militärischen Bestimmung begeben habe. Bald ward indess grossentheils bekannt, dass er ohne Authorisazion abgegangen ist. Die Stimmung darüber ist getheilt, Alles vereinigt sich jedoch, seiner Expedizion einen glücklichen Erfolg zu wünschen. Die Sache macht grosse Sensazion, besonders unter den höheren Ständen, welche die unvermeidlichen Folgen davon vorhersehen. Und, wie gut gemeint dieser Schritt auch ist, so beweiset er doch zu laut, welch eigenmächtiger Geist zu gehen angefangen, da ein Offizier dieses Ranges und bedeckt mit königlichen Wohlthaten, dem Monarchen seine Truppen, ohne Genehmigung zu entführen versucht. Es giebt nur ein Mittel, diesen grässlichen Eindruck zu tilgen, will man Anarchie verhüten und schnell muss es ergriffen werden.

Die Zeitumstände begünstigen Vieles. In Cüstrin ist die Besatzung nach dem anliegenden mir heute zugekommenen Schreiben höchst missvergnügt und zum Theil schon desertiert. Es dürfte nicht schwer halten, sich dieser Festung zu bemächtigen.

Der Herr Staatsminister Graf v. d. Goltz Excellenz begiebt sich morgen nach Königsberg um Verhaltungsbefehle von Sr. Majestät einzuholen.

Schleunigste Entscheidung ist dringend nothwendig. Wir stehen am Abgrunde. Nur ein rascher kräftiger Sprung oder gänzliche Ergebung bleibt übrig; Eins aber ist sogleich nothwendig, sonst wandeln wir dem Untergang unvermeidlich entgegen."

Der Zusatz des folgenden Rapportes gedenkt der Angelegenheit Schill’s mit folgenden Worten: Am 30. April sei ein Schillscher Husar, welcher zurückgeblieben war, ausgerissen. „Er hatte zuerst versucht, das Brandenburger Thor zu passiren, und als er hier zurückgewiesen worden war, sich nach dem Halleschen begeben. Auf dieses [122] sprengte er mit verhängtem Zügel zu, feuerte ein Pistol ab und jagte im Galopp davon. Der Auftritt machte viel Sensazion.

Das Publikum zerbrach und zerbricht sich noch die Köpfe über Schills Expedizion. Der grösste Theil glaubt nicht, dass sie ohne stille Genehmigung geschehen sey, und da die That zu sehr Schwäche der höchsten Gewalt und fast Anarchie bezeichnet, so scheint es vor der Hand minder gefährlich, diesen Glauben stillschweigend zu unterhalten. Allgemein verspricht man sich viel davon und wünscht dem kühnen Schill Glück.

Es sind ihm in diesen Tagen mehrere Offiziere, einige Referendarien und junge Kaufleute gefolgt. Man versichert mich, dass über 20 Feldjäger ihm nachgegangen seien. Die Bewegung unter den Truppen äussert sich vorzüglich in dem Leibregiment; es haben mehrere Offiziere ihren Abschied gefordert.“

An demselben Tage, an welchem Gruner dies an Dohna berichtete, schreibt er an Altenstein[2]: Doppelt schwierig sei es für ihn sich das öffentliche Vertrauen zu sichern in einem Augenblicke, „wo äussere und innere Verhältnisse sich zusammen drängen, um die Lage des Staates und der Hauptstadt in die gefahrvollste Verwicklung zu bringen und die Leidenschaft überall den Zügel schiessen lässt. Euer Excellenz wissen bereits die neuesten hiesigen Vorfälle. Ihre Wirkungen dauern fort. Das Leib Infanterie Regiment ist wankend und von der ganzen hiesigen Garnison kann ich in Nothfällen nur auf die Jäger und das Grenadier Bataillon mit Bestimmtheit rechnen.

Die Stimmung des Publikums lässt tägliche Ausbrüche gegen die französische Gesandtschaft besorgen. Ich thue dagegen was ich kann und werde es gewiss zu keinem Excess kommen lassen. Mit Strenge zu verfahren wage ich indess auch nicht, weil es ungewiss ist, wohin unser politisches System sich entscheiden wird und weil es nachtheilig seyn könnte, die enthusiastische Stimmung mit Gewalt unterdrücken zu wollen.“

Schon am folgenden Tage, dem 3. Mai, berichtete Gruner abermals an Dohna. Galt es doch den Minister von einem unerhörten Vorfall in Kenntniss zu setzen. „Die Bewegungen unter dem Militär dauern fort. Von dem dem Leib Infanterie Regiment einverleibten leichten Bataillon, ehemals von Schill, sind in verwichener Nacht 2 Kompagnien dersertiert. Die beiden andern haben (sagt man) heute Morgen auf dem Alexanderplatz den Gehorsam aufgekündigt und nur mit vieler Mühe durch den Herrn General Lieutenant Grafen v. Tauentzien aus einander gebracht werden können. Sie fürchteten [123] besonders ihre seitherige Selbstständigkeit zu verlieren, man versicherte sie des Gegentheils und sie schienen dadurch beruhigt.

Heute Nachmittag erfuhr ich indess, dass mehrere dieser Soldaten ihre Effekten an Trödler verkauften, sich zusammenrottirten und sehr bedenkliche Reden führten. Ich liess sofort den Trödlern, bei Strafe der Konfiskazion allen Ankauf dieser Sachen untersagen und begab mich zum H. Grafen v. Tauentzien, um ihm meine Ansichten mitzutheilen. Wir kamen überein, dass, da unseliger Weise die Soldaten Patronen haben, Widerstand bei Desertions-Versuchen möglich und also die strengste Vorsicht erforderlich ist, 2 reitende Kanonen auf dem Alexander Platz heute Abends aufgefahren, starke Kavallerie Detaschements patroulliren, solche durch Infanterie-Patrouillen unterstützt werden und auf jeden Rebellen, nach Umständen gehauen und gefeuert werden solle. Der Graf v. Tauentzien und die braven Kommandeurs der Regimenter werden sich selbst in die betreffende Gegend begeben; ich bin überzeugt, dass diese Massregeln den Zweck erreichen werden und morgen wird man den aufrührerischen Truppen die Patronen abnehmen.“

Des Abends um ½11 Uhr fügte Gruner noch diesem Schreiben den folgenden Satz hinzu: „Soeben spreche ich noch den Major v. Horn. Alle Anstalten zur strengsten Erhaltung der Ruhe sind getroffen und wir werden die Nacht unter steter Aufmerksamkeit zubringen.“ Ein Glück war es doch dabei, dass die Berliner Bürgerschaft sich ruhig verhielt. Die Nacht verlief ohne Störung. „Nur ein Soldat ist, da er einen Trupp formiren und sich widersetzen wollte, scharf gehauen und arretirt worden.“ Die strengen Massregeln hatten gefruchtet „und werden uns hoffentlich etwas sichern“. Trotzdem aber glaubte der Polizeipräsident die Ruhe doch nicht verbürgen zu können, wenn nicht eine Entscheidung für oder gegen Frankreich gefällt würde. „Unter den Bürgern selbst sind mehrere aus dem Geleise tretende Subjekte. Ich habe heute erfahren, dass Manche den Soldaten des leichten Bataillons v. Schill zugeredet auch zugetrunken haben sollen.“

Dies berichtete Gruner am 4. Mai. Fünf Tage später hatte die Sache ein anderes Aussehen gewonnen. Er schreibt an den Minister Dohna: „Alles befindet sich in dumpfer Gährung und mit der gespanntesten Sehnsucht harren wir auf die Entscheidung und Hierherkunft Sr. Majestät, ich beschwöre Euer Excellenz aufs Inständigste, solche schleunigst zu bewirken, damit nicht Alles vorher verlohren werde.“ Man sieht schon daraus, in welcher Lage die Behörden Berlins waren.

An dem Tage, wo Gruner den zuletzt citirten Brief schrieb, erhielt er von dem Regierungspräsidenten von Vincke im Namen der [124] guten Sache eine Einladung zu einer höchst wichtigen Conferenz[3]. Der Polizeipräsident folgte dieser Einladung und begab sich zu Vincke. Ausser demselben traf Gruner dort noch den General von L’Estoq, Generallieutenant von Tauentzien, Minister von der Goltz, Generalmajor von Bülow, Geheimen Staatsrath Sack, Major von Blücher für seinen Vater[4]. Es wurde den Versammelten eine Vorstellung an den König vorgelegt, welche die drohende Lage des Preussischen Staates schilderte, den König zum Krieg gegen Frankreich aufforderte, ihn bat entweder selbst zu kommen und zu sehen, wie die Sachen stünden, oder den Bittstellern ihre Dienstentlassung ertheilen. Das war denn doch ein Eingriff in die Rechte des Königs, wie er grösser nicht denkbar ist. Daher wollten auch nicht alle das Schriftstück, das wohl unter Mitwirkung oder wenigstens unter den Augen des Prinzen August entstanden war, unterzeichnen. Gruner weigerte sich zu unterschreiben, weil die Vorstellung eine unangemessene Drohung enthalten würde und er seinen Kopf der Gefahr nicht entziehen, sondern nur für den König leben wolle. Goltz schlug ebenfalls seine Unterschrift ab und Sack trat der Ansicht Gruner’s bei[5]. In Folge dessen und weil Goltz bat, nicht zu unterschreiben, wurde zuerst der Schluss verworfen und in die Bitte um schleunigste Rückkehr des Königs nach Berlin abgeändert. Endlich aber beschlossen die Anwesenden die ganze Vorstellung ruhen zu lassen, bis auf die letzten Berichte Antworten eingelaufen seien. Goltz nahm das Schriftstück mit.

J. v. Gruner.     

Anmerkungen

  1. Eigenhändiges Schreiben des Ministers Dohna an Friedrich Wilhelm III. vom 8. Mai 1809. Geheimes Staatsarchiv Rep. 77 Tit. 516. Ebenda befinden sich auch die Berichte des Polizeipräsidenten Gruner an den Minister Dohna.
  2. Geheim. Staatsarchiv Rep. 92 v. Altenstein B Nr. 47.
  3. Bodelschwingh, Vincke’s Leben gibt p. 431 zwei Versammlungen bei Vincke an, nämlich am 25. April und 9. Mai. Die erstere wird in den Berichten Gruner’s nicht erwähnt.
  4. Also nicht unter Leitung des Prinzen August, wie M. Lehmann, Scharnhorst II p. 264 angibt. Danach ist auch Bodelschwingh, Vincke’s Leben I p. 431 zu ändern.
  5. Also nicht mit alleiniger Ausnahme des Minister Goltz, wie M. Lehmann, Scharnhorst II p. 264 annimmt.