Der Buchdrucker
Aus der Menschenheimath.
Erwarte nicht, mein Freund, daß ich Dir heute unter dieser Ueberschrift etwas von der Erfindung Gutenberg’s erzählen werde, wie ich Dir neulich von der Verbündeten derselben, der Holzschneidekunst, wenigstens von deren Stoff Einiges mittheilte. Der Buchdrucker, von dem ich heute sprechen will, ist eigentlich ein Holzschneider; er hat in seiner Kunst nie eine Lehrzeit bestanden, sondern ist ein geborener Meister; er ist auch kein Mensch, sondern nichts mehr und nichts weniger als ein kleines Käferchen, welches schon wohl über hundert Jahre lang den ehrenvollen, aber durchaus für sein Metier übel gewählten Namen des Buchdruckers führt, obgleich er sich um die Menschheit nichts weniger als verdient gemacht hat. Er ist im Gegentheile ein arger Feind und Quälgeist der Menschen.
Aber eben deswegen, weil wir unsere Feinde kennen müssen, um sie besiegen zu können, oder wo das nicht möglich ist, um wenigstens zu wissen, wem wir unterliegen, so will ich Dir auch dann und wann etwas von unseren Feinden aus der Thierwelt erzählen. Die Thierwelt ist ja zusammen mit der Pflanzenwelt in anderer Richtung der belebende Schmuck unserer Menschenheimath, ohne den wir nicht würden leben mögen, und noch viel weniger würden leben können.
Ungefähr eben so viele Insektenarten wie Pflanzenarten – nämlich von jeden etwa 100,000 Arten – kriechen und fliegen und summen und brummen auf, in und über unserer Erdoberfläche, ohne daß sie uns im gewöhnlichen Leben sehr in’s Auge fallen; und es wird Dir gewiß auffallend sein, hier zu vernehmen, daß diese eine Thierklasse allein der Zahl nach dem Gewächsreiche das Gleichgewicht hält.
Aber nicht blos der Zahl nach, sondern auch sonst besteht eine wunderbare Beziehung zwischen beiden. Man kann annähernd sagen, daß in fernen Welttheilen mit jeder neu entdeckten Pflanze immer auch ein neues Insekt entdeckt werde, auf und von welcher letzteres ausschließend oder wenigstens vorzugsweise Wohnung und Nahrung entlehnt. Oft auch ist entweder die eine oder das andere früher schon bekannt gewesen, als das dazu gehörige Seitenstück.
Daß die meisten Insekten blos von Pflanzennahrung leben, ist Dir schon bekannt; dabei sind aber viele Arten streng an eine gewisse Pflanzenart und oft wieder an gewisse Theile dieser Pflanzenart, als Wurzel und Samen gebunden; ja manche verhungern lieber ehe sie eine andere selbst nahe verwandte Pflanzenkost annehmen, als die ihnen allein zusagende ist.
Zu letzter Sorte gehört mein Buchdrucker, Bostrichus typographus.
Er bildet mit vielen andern, sämmtlich sehr kleinen Käferchen die Käferfamilie der Holzfresser, Xylophaga, weil sie, wenigstens als Larven nur die holzigen Theile der Pflanzen, also meist der Bäume fressen. Die Gattung Bostrichus ist ziemlich artenreich. Sie führt den deutschen Namen der Borkenkäfer, weil sie ihre Wohnung und Nahrung in der Borke der Bäume finden. Seit lange schon nennt der Forstmann unsere Art vorzugsweise und schlechthin den Borkenkäfer und fürchtet ihn unter diesem Namen schlimmer als der Landmann den Kornwurm.
[552] Er hat dazu auch Ursache, wie Dir aus dem Verlauf meiner Mittheilungen hervorgehen wird.
Zunächst sieh Dir in Fig. 1. die etwas vergrößerte Abbildung des Käfers an. Die Linie daneben giebt Dir die natürliche Größe an. Vom Kopfe kannst Du nichts weiter sehen, als die daran sitzenden kolbig endenden Fühlhörner. Er ist ganz von dem stark gewölbten Brust- oder Rückenschild bedeckt. Dieses ist nicht viel kürzer als die Flügeldecken, welche hinten plötzlich eingedrückt und scheinbar, aber nicht wirklich, abgestutzt sind. An der dadurch entstehenden Kante, die von beiden Flügeldecken zusammen eine fast kreisförmige Linie bildet, stehen an jeder Flügeldecke vier kleine Zähnchen, welche diese Art ganz besonders auszeichnen, obgleich auch andere Bostrichus-Arten hier Zähnchen, aber in Zahl und Form verschieden, haben. Der ganze Käfer ist schwarzbraun und am ganzen Leibe, ausgenommen die Beine, mit sehr feinen Härchen und die Flügeldecken mit dicht stehenden Reihen zierlicher Punktstiche bedeckt. Die Beine sind verhältnißmäßig klein, aber kräftig und haben an ihrem letzten Dritttheil, das man den Fuß oder den Tarsus nennt, vier kleine hintereinanderstehende Glieder.
Fig. 2. zeigt Dir die Puppe oder Nymphe und Fig. 3. die Larve dieses Käfers; denn er hat wie alle Käfer und alle Fliegenarten und alle Wespenarten so gut eine Verwandlung wie die Schmetterlinge. Anfangs sieht die Puppe schneeweiß, kurz vor dem Auskriechen des Käfers aber wird sie allmälig braungelb. Du siehst sie ebenfalls vom Rücken; die Füße liegen an den Bauch angedrückt auf der Unterseite und die Flügeldecken sind ebenfalls unter den Bauch geschlagen; ungefähr so, wie wir die Rockschöße vorn zusammenlegen können. Die Larve, aus der die Puppe wird, und die daher der Raupe des Schmetterlings entspricht, ist wie die Made der Haselnuß, aus der auch ein Käfer wird, eine fußlose gelbweiße sehr weiche fette Made, die immer gekrümmt liegt. Sie hat an ihrem bräunlichen Kopfe sehr kleine aber sehr scharfe Kauwerkzeuge.
Diese kleine schwache Made ist es, welche schon oft die dem Forstmanne so furchtbare Wurmtrockniß veranlaßt und schon so manches Hundert Morgen Fichtenwald getödtet hat!
Höre also nun die Lebensweise dieses kleinen Thieres.
Ende April oder Anfang Mai kommen die überwinterten Käfer aus ihrem Winterquartiere, welches sie unter der Borke von stehenden oder gefällten Fichtenstämmen gefunden hatten, hervor und bohren sich in irgend einem ihnen geeignet scheinenden Baume, meist etwa von sechs Fuß über der Wurzel an bis in den zweiten oder dritten Astquirl hinauf, ein kleines, vollkommen wie mit dem Cirkel gezogenes Loch durch die Borke bis auf, aber nicht in das Holz. Dabei ist gewöhnlich ein Männchen und ein Weibchen schon beisammen.
Jetzt vergleiche das Folgende mit Fig. 4. Sie stellt ein Stück Fichtenrinde von der inneren Seite dar, womit sie auf dem Holze aufsaß. Du siehst einen langen geraden Gang; ungefähr in der Mitte desselben eine kleine Ausweitung und in dieser das eben beschriebene Eingangsloch. Von diesem aus hat nun eben das Pärchen diesen Muttergang, der immer mit dem Stamme gleich, also senkrecht läuft, genagt und dann ganz rein von allen Spänchen gesäubert. Ist dies geschehen, so legt, was Du an meiner Zeichnung nicht mehr siehst, zu beiden Seiten des Mutterganges das Weibchen in kleine, dazu ausgenagte Grübchen desselben je ein Ei, zusammen 80, 100 oder noch mehr. Dann verdeckt sie jedes etwa mohnkorngroße, milchweiße Ei mit feinem Borkenmehl.
Nun ist für die Nachkommenschaft gesorgt und eine Colonie angelegt.
Nach etwa acht Tagen kriechen die Eier aus. Die anfangs natürlich ganz kleinen zarten Lärvchen nagen sich nun seitlich abwärts von dem Muttergange anfangs sehr feine, aber mit ihrem eigenen Wachsthum immer weiter nothwendig werdende Larvengänge. Diese füllen sie hinter sich immer wieder mit ihrem Kothe, dem fast unveränderten Borkenmehl, aus. Sind auch diese Larvengänge immer etwas gebogen, so durchschneiden sie sich doch nie. Es scheint also, als ob die benachbarten Geschwister vermieden, einander in’s Gehege zu kommen und als ob sie gegenseitig um einander wüßten. Diese Larvengänge liegen in der unteren oder Bastschicht der Rinde und dringen nur sehr wenig auch in die Oberfläche des Holzes.
Auf diese Art entsteht also die eigenthümliche einigermaßen einer Verzierung gleichende Bildung, die Du in Fig. 4. des beschränkten Raumes wegen nicht ganz dargestellt siebst, das Fehlende Dir aber leicht in Gedanken ergänzen wirst. Auf der von einem noch lebenden Baume abgeschälten Rinde erscheint sie braunroth auf weißem Grunde. Indem man sie mit Schriftzeichen [553] verglich, fand man darin Veranlassung zu dem deutschen und zu dem wissenschaftlichen Artnamen des Käfers.
Du siehst in dem stets die größte Breite zeigenden Ende jedes Larvenganges in einer Weitung das Lärvchen liegen. Ist nun dessen Verpuppungszeit gekommen, so wird das Ende des Ganges besonders regelmäßig und geräumig ausgeweitet und in dieser Puppenkammer verwandelt sich die Larve in die Puppe (*). Kommt dann die Zeit des Auskriechens des Käfers aus der Puppenhülle, so gräbt, nachdem dieses erfolgt ist, der neue Käfer meist noch einige Zeit lang unregelmäßige Gänge, und bohrt sich erst dann ein Ausflugsloch. Bei ** habe ich, was man aber selten sieht, dieses Loch in der verlassenen Puppenkammer gezeichnet.
Diese ganze Entwickelung vom Ei bis zum Ausfliegen des Käfers dauert 6–8 Wochen.
Da nun die Rinde den Bäumen ein zum Leben unumgänglich nothwendiges Werkzeug ist, und ganz besonders die innere oder Bastschicht derselben, so sind diese kleinen Käfer, wenn sie in großer Menge ihre Brutplätze unter der Borke einer Fichte aufschlagen, im Stande, den ganzen Baum zu tödten. Das allmälige Absterben des Baumes kündigt sich durch Gelbwerden und Abfallen der Nadeln an und endigt mit völliger Entnadelung und theilweiser Ablösung der Rinde. Der Baum ist dann todt. Wie ich schon sagte, sind schon viele Hunderte Morgen Fichtenwaldes, namentlich auf Waldgebirgen, z. B. dem Harze, auf diese Weise getödtet worden. Das Holz geht zwar dabei nicht verloren, aber es ist weit werthloser, leichter und viel weniger dauerhaft als lebendig gefälltes; abgesehen davon, daß dieses Insekt nichts danach fragt, ob wir gerade jetzt und an dieser Stelle Holz gefällt haben wollen.
Was ist nun wohl gegen diesen Feind zu thun?
Nicht viel. Da aber die Beobachtungen seiner Lebensweise mit Bestimmtheit ergeben haben, daß der Borkenkäfer die durch Stürme, Versumpfungen oder durch andere Gründe kränkelnden Bestände am liebsten angreift, von da aus aber sich auch auf gesunde ausbreitet, so ist die erste Regel für den Forstmann, Alles abzuwenden, was seine Fichtenwälder krank machen kann. Wo dazu, wie bei Stürmen, heftigem Sonnenbrande dürrer Jahre, seine Macht nicht ausreicht, da muß er auf diese Weise krank gemachte Bestände möglichst schnell schlagen und die gefällten Bäume entrinden, um dem Einnisten des Käfers, der dann nie ausbleibt, zuvorzukommen. Ueberhaupt ist die Ausübung des Forstschutzes gegen diesen kleinen Käfer sehr schwierig und erheischt eine unausgesetzte Aufmerksamkeit. In verdächtigen Beständen schlägt man daher einzelne Fichten um und läßt ihre Stämme liegen, um zu sehen, ob sich viele Käfer in ihnen einfinden, und dadurch zu sehen, ob deren vielleicht bereits viele in der Nähe sind.
Du wirst von selbst wissen, was Du von der Meinung zu halten hast, die jetzt wohl wenigstens kein Forstmann mehr haben wird, der Borkenkäfer entstehe aus dem verdorbenen Safte kranker Fichten. –