Textdaten
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Autor: Karl Braun-Wiesbaden
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Titel: Der Battenberger
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aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 873-874
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Battenberger.

Von Karl Braun-Wiesbaden.

Während weit da hinten in der Türkei die Völker auf einander schlagen, während England für und Rußland gegen die Vereinigung Bulgariens mit Ostrumelien Partei ergreift, während der bulgarische Fürst Alexander von den Russen getadelt und von den Engländern begönnert wird, während Oesterreich dem König Milan von Serbien ein gewisses Wohlwollen entgegenträgt und zu seinen Gunsten zu vermitteln sucht, während alles Dessen vermögen wir auf die Frage: „Was thut bei Alledem Deutschland?“ keine bestimmte und unzweideutige Antwort zu geben.

Das deutsche Volk hat im Anfang die September-Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel mit einer fast philosophischen Ruhe betrachtet. „Was ist uns Hekuba?“ hörte man äußern, und manches Andere erinnerte an die Redensart von dem Bischen Herzegowina „1875er“ Angedenkens. Diese anfängliche Haltung hat jedoch eine plötzliche Aenderung erfahren seit den siegreichen Waffenthaten des jungen Fürsten von Bulgarien, des vormaligen Prinzen Battenberg. Kein Wunder! Denn jede muthige energische That eines Deutschen findet ein Echo im Herzen des deutschen Volkes.

Der am 29. April 1879 durch einstimmige Wahl der bulgarischen Nationalversammlung auf den Thron des bulgarischen Landes, wie solches aus den Verhandlungen und den Beschlüssen des Berliner Kongresses von 1878 hervorgegangen, berufene Fürst Alexander I. ist ein deutscher Prinz und ein deutscher Officier. Und das allein reichte schon hin, ihm die Sympathieen des deutschen Volks zu gewinnen. Dazu kamen aber noch folgende Umstände:

Er hatte eine außerordentlich schwierige Stellung auf dem neu geschaffenen Thron der Donau-Bulgaren; allein er wußte dieselbe zu überwinden. Er war kein selbständiger Herrscher, sondern nur eine Art von Vasall. Das Fürstenthum blieb dem Sultan tributpflichtig. Freilich wurde der Tribut nicht pünktlich bezahlt, und die türkische Oberherrlichkeit wurde vorerst noch nicht drückend empfunden. Schlimmer war die Abhängigkeit von Rußland, das den Zoll der Dankbarkeit forderte für die unbestrittener Maßen geleisteten Dienste, aber auch nicht weniger verlangte, als daß in Bulgarien nicht der Fürst Alexander herrsche und nicht die Bulgaren, sondern die Russen, und daß die ganze Civilverwaltung und das ganze Kriegswesen sich in den Händen russischer Beamten und Officicre befinde. Dazu kam noch jener Zustand der Unfertigkeit und der Unbefriedigung, der daraus erwuchs, daß man nur einem Theil des bulgarischen Volkes, nämlich dem auf dem nördlichen Abhang des Balkan, zwischen der Höhe des Gebirgszuges und der parallel mit ihm laufenden Donau, eine gewisse staatliche Autonomie gewährt hatte, nicht aber auch denjenigen Bulgaren, welche das auf dem Südabhange des Balkan gelegene Land, das rumelische Mittelgebirge (Srjadna Gora) und das Land östlich der Rhodope bewohnen.

Alexander I., Fürst von Bulgarien.

Das letztgedachte Land war dem Sultan verblieben. Es sollte nach wie vor eine türkische Provinz bleiben, genannt „Ostrumelien“, jedoch einen christlichen Gouverneur und gewisse äutonomische Rechte besitzen. So wollte es der Berliner Friede voin 13. Juli 1878. Rußland hatte es anders gewollt. Nach dem Präliminarfrieden von San Stefano vom 3. März 1878 sollte das Fürstenthum Bulgarien nicht nur die Donau-Bulgaren, sondern auch die in Thracien und Macedonien umfassen, ja sogar solche Gebiete, welche die Hellenen für ihr Königreich Griechenland, und die Serben für das soeben unter Milan Obrenowitsch konstituirte Königreich Serbien in Anspruch nahmen. Damals wurde die Vereinigung von Nord- und Südbulgarien von den Russen eben so beharrlich (wenngleich vergeblich) begehrt, wie sie solche gegenwärtig eben so beharrlich (und vielleicht auch eben so vergeblich?) verweigern. Endlich hatte der russische Generalgouverneur Fürst Dondukow dem neu geschaffenen Tributärstaate Bulgarien eine Verfassung gegeben, welche vielleicht für einen kleinen Schweizer-Kanton, der sich des Schutzes einer von ganz Europa anerkannten Neutralität und himmelhoher unwegsamer Gebirge erfreut, recht brauchbar gewesen wäre, nicht aber für ein mitten in der gährenden und unfertigen politischen Gestaltung der Balkan-Halbinsel, wo es galt, seine financiellen und militärischen Kräfte zusammenzufassen und jeden Augenblick bereit zu stehen, um seine Existenz zu vertheidigen und zu stärken. Um es kurz zu sagen: das kleine Land wurde erschüttert durch die Zuckungen des nach Vereinigung strebenden großbulgarischen Volksstammes, bedroht von seinen slavischen und hellenischen Nachbarn, vernachlässigt von seinem nominellen Schirmherrn, dem Sultan, der für sich selbst keine Mäuse fangen konnte, geschweige denn für Andere Ratten, und zwar beschützt von seinem faktischen Schutzherrn, nämlich von Rußland, aber auf eine höchst eigenthümliche Weise, welche beeinflußt war von dem Gedanken: „Es soll ein russisches Großbulgarien sein, aber wenn es nicht russisch sein will, dann soll es überhaupt nicht sein. Sit, ut volo, aut non sit!“

Das sind die Umstände, unter welchen der damals 22 Jahre alte deutsche Prinz auf den Thron von Donau-Bulgarien gelangte. In der That ist wohl niemals einem jungen Prinzen, welcher weder auf dem Thron noch für den Thron geboren war, eine so schwierige Aufgabe gestellt worden, welche er lösen sollte in einem ihm bis dahin ziemlich fremden, armen, kleinen, durch innere Unruhen, Räuberbanden, Bürgerkrieg, wirklichen Krieg und Gräuel aller Art – man erinnere sich an die „Bulgarian horrors“, deren Herr Gladstone die Türken beschuldigte, die aber auch von anderen Seiten ausgeübt wurden – zerrütteten und niedergetretenen Lande.

Der Prinz Alexander Joseph von Battenberg hatte eine vortreffliche Erziehung und Ausbildung erhalten, allein auf eine solche Aufgabe war er nicht vorbereitet. Sein Vater, „Prinz Alexander von Hessen und bei Rhein“, ist der Oheim des gegenwärtig regierenden Großherzogs von Hessen, Ludwig’s IV., und der dritte Sohn des Großherzogs Ludwig’s II. Er hat nie Gelegenheit gehabt, die erste Rolle zu spielen, wohl aber öfters die zweite. Schon im Alter von 17 Jahren trat er 1840 in die russische Armee, in welcher er sich auszeichnete durch seine Unerschrockenheit im Kaukasischen Kriege; aber schon 1851 verließ er ganz plötzlich den russischen Militärdienst, indem er fast gleichzeitig die Gräfin Julie Hauke, die er in St. Petersburg kennen und lieben gelernt hatte, heirathete, natürlich in morganatischer Ehe; denn anders ist dies bei den Ebenbürtigkeits-Gesetzen, welche ausnahmsweise in Deutschland bestehen, während sie anderwärts längst abgeschafft sind oder nie bestanden haben, für einen deutschen Prinzen nicht möglich. Einzelne deutsche und ausländische Blätter haben über die Komtesse Hauke und ihre früheren Schicksale sensationelle Nachrichten verbreitet.

Diese Nachrichten sind erdichtet. Sie ist die Tochter des vormaligen polnischen Kriegsministers und Artillerie-Generals Grafen und Wojwoden Moriz von Hauke. Sie ist deutscher Abkunft und eine eben so vornehme als hoch gebildete Dame. Sie zog die Hand des deutschen Prinzen einer ihr in St. Petersburg gebotenen weit glänzenderen, aber weniger befriedigenden Stellung vor; und es war wohl eine Folge der dadurch hervorgerufenen Spannung, daß der Prinz Alexander dem Zar seinen Abschied einreichte und Rußland verließ. Der Großherzog von Hessen beeilte sich, sie in den hessischen Grafenstand zu erheben, mit der Bestimmung, daß ihre Nachkommen die Bezeichnung von „Prinzen und Prinzessinnen von Battenberg“ zu führen haben. Da ich fast täglich gefragt werde, „wo dieses Battenberg denn eigentlich liege?“ oder ob es ein Phantasiename sei, so will ich bemerken: Battenberg ist ein hübsches kleines altes Nest mit einem Schlosse, ein Landstädtchcn von etwa tausend Einwohnern, und liegt im Kreis Biedenkopf, der früher zum Großherzogthum Hessen gehörte, jetzt aber preußisch ist in Folge der Ereignisse von 1866. Es gab ehemals Grafen von Battenberg, auf der benachbarten Kellerburg sitzend. Dies Geschlecht ist jedoch ausgestorben, und die Burg liegt in Trümmern.

Prinz Alexander von Battenberg, der jetzige Bulgarenfürst, ist am 5. April 1857 geboren. Sein älterer Bruder, Prinz Ludwig Battenberg ist bekanntlich in England und Schwiegersohn der Königin Victoria. Sein jüngerer Bruder, Franz Joseph Battenberg kämpft an der Seite seines [874] Bruders Alexander und hat, um dies zu können, aus der preußischen Armee seinen Abschied genommen.

Prinz Alexander hat seine erste Ausbildung in der bekannten Erziehungsanstalt in Schnepfenthal (bei Gotha) erhalten. Bezeichnend für ihn und für seine Eltern! Seine damaligen (1869 bis 1873) Mitschüler, deren ich Einen noch dieser Tage sprach, rühmen seine Wißbegierde und sein entschiedenes und dabei doch völlig anspruchsloses Wesen. „Ei ja“, sagte mein Freund, „er war ein grundgescheiter und ein herzlieber Junge – gar nicht so, wie die Anderen – denn die nicht ganz Vollbürtigen und die Neugebackenen, das sind ja sonst gewöhnlich gerade die Schlimmsten.“

Er hat das Kadettenhaus in Dresden besucht und ist dann Lieutenant in Darmstadt und später in Berlin bei der Garde geworden. Im Jahre 1877 und 1878 hat er den russischen Krieg im Orient mitgemacht, und dann ist er 1879 Fürst von Bulgarien geworden. Gleichzeitig mit ihm vorgeschlagen war der Prinz Waldemar von Dänemark, und es heißt jetzt, Rußland wolle, wenn die Absetzung des Fürsten Alexander gelinge, auf den damaligen Konkurrenten und Thronprätendenten Waldemar zurückgreifen und sich mit Oesterreich dahin verständigen, daß dieses die Schutzherrschaft über den Westen und Rußland die über den Osten der Balkan-Halbinsel erhalte. So sei es beschlossen in Kremsier. Allein der orthodoxe Türke pflegt bei solchen Gelegenheiten mit Recht zu sagen: „So erzählen die Leute, aber Gott (Allah) weiß es besser!“

Jedenfalls pflegt die Suppe nicht so heiß gegessen zu werden, wie sie gekocht wird.

Was die Vereinigung von Nord- und Südbulgarien anlangt, so läßt sich dieselbe auf die Dauer nicht hintertreiben. Beide gehören zusammen, wie die zwei Seiten eines bilateralen Geschöpfes. Die Zolllinie zwischen Beiden ist ein Unsinn. Getrennt ist Jedes leistungsunfähig. Vereinigt bilden sie schon ein ganz hübsches Land und wären vielleicht sogar im Stand, den versprochenen Tribut pünktlich zu zahlen, ein Umstand, der bei dem Sultan und seinen Leuten schon ziemlich schwer ins Gewicht fällt.

Vor Allem aber: im Kriege wider die Serben haben die Nord- und Südbulgaren Schulter an Schulter gekämpft und gemeinsam die Bluttaufe erhalten. Blut ist ein ganz besonderer Saft. Seine Bindekraft ist stärker als die Scheidekraft der Kongreßbeschlüsse.

Den Fürsten Alexander abzutakeln, ist so leicht nicht, wie man sich das wohl hin und wider in Rußland vorstellt.

Alexander hat sich bewährt als klug und als tapfer. Er ist den Bulgaren ans Herz gewachsen. Fortuna juvat audacem, das Glück hilft dem Tapfern.