Der Anwalt der deutschen Genossenschaften

Textdaten
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Autor: H. St.
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Titel: Der Anwalt der deutschen Genossenschaften
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 69
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Der Anwalt der deutschen Genossenschaften.

Die weittragende humane, sociale und nationale Bedeutung des deutschen Genossenschaftswerkes, dessen Begründer, der unvergeßliche Dr. Hermann Schulze-Delitzsch, am 3. Mai 1883 unter allgemeinster Theilnahme zu Grabe getragen worden ist, an dieser Stelle eingehend zu erörtern, ist für die Leser der „Gartenlaube“, die von den ersten Anfängen an die inhaltvolle und umfassende Wirksamkeit des unvergeßlichen Volksmannes mit liebevoller Aufmerksamkeit begleitet haben, überflüssig. Indem wir uns aber anschicken, in Wort und Bild den Mann ihnen vorzustellen der durch die freie Wahl der deutschen Genossenschaften nunmehr dazu berufen ist, die oberste Leitung derselben in die Hand zu nehmen, glauben wir vorerst einen flüchtigen Blick werfen zu sollen auf die bewährte Organisation der Genossenschaften, welche wesentlich dazu beigetragen hat, das Genossenschaftswesen vor Stillstand zu bewahren, und ihm auch nach dem Tode seines Begründers eine fortschreitende Entwickelung sichern wird. Aus ihr werden wir am besten die Bedeutung und Stellung des neuen Anwaltes kennen lernen.

Diese Organisation gipfelt in dem auf freier Einigung beruhenden, von Schulze-Delitzsch angeregten Allgemeinen Verband der auf Selbsthülfe gegründeten deutschen Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften. Die einzelnen Vereine treten durch Deputirte alljährlich zu einem Allgemeinen Vereinstage zusammen, und dieser hat als oberste Instanz des Verbandes die Aufgabe, die gemeinsamen Interessen zu überwachen. Die Wahrnehmung derselben bei der Gesetzgebung und die Berathung der einzelnen Vereine bei ihrer Organisation und bei allen einschlagenden geschäftlichen Vorkommnissen ist dem Anwalt übertragen, dem ein besonderes Bureau mit Dr. Fritz Schneider an der Spitze beigegeben ist. Als Zwischenglieder zwischen diesen Centralorganen und den einzelnen Vereinen sind sogenannte Unter- oder Provinzial- oder engere Landesverbände gebildet, welche die Vereine einzelner deutscher Länder, Provinzen oder gewisser Branchen der Genossenschaften umfassen und die Wahrnehmung von deren Sonderinteressen, sowie die Vermittelung mit den Centralstellen zu ihrer Aufgabe haben. Die von diesen Verbänden gewählten Vorstände bilden als engerer Ausschuß eine Körperschaft, welche dem Anwalte in der Zwischenzeit zwischen den Vereinstagen und insbesondere bei Ordnung der Finanzen des Verbandes zur Seite steht. So ist, wie es in dem Schneider’schen Jahresbericht heißt, ohne in die freie Bewegung der einzelnen Vereine einzugreifen, ein Mittelpunkt geschaffen zum Austausche der gemachten Erfahrungen, zur Läuterung und Kritik des sich immer mehr anhäufenden Materials, zu Rath und Hülfe jedem Angriffe, jeder Verlegenheit der einzelnen Glieder gegenüber, zu machtvollem Zusammenfassen der Einzelkräfte behufs Verfolgung und Wahrung gemeinsamer Interessen, zu Abwehr und geschlossenem Zusammenstehen endlich in allen drohenden Lagen und Gefahren. Und wenn auch bisher nur der kleinere Theil der überhaupt existirenden Vereine dem Verbande beigetreten ist, der gegenwärtig circa 1000 Vereine umfaßt, so kommt doch sein Wirken, da er in Schriften und Berathungen öffentlich für die Interessen und die Ausbildung des Genossenschaftswesens eintritt, demselben im Ganzen zu gut und auch die dem Verbande fremden Vereine profitiren von seiner Thätigkeit, wenn sie auch in die Vortheile der dadurch eröffneten Geschäftsverbindungen nicht eintreten.

Friedrich Schenck.

Bei alledem ist es ersichtlich, daß dem geschäftsführenden Anwalte eine hochwichtige Aufgabe in der Leitung des Genosenschaftswesens zufällt, die bis zu seinem Tode Schulze-Delitzsch in bekannter opferfreudiger, selbstloser Hingebung an das von ihm geschaffene Werk erfüllt hat. Um so schwieriger aber war die Aufgabe, die dem engern Ausschusse des Verbandes nach dem Tode des Meisters oblag, dem Verstorbenen einen geeigneten Nachfolger zu geben. Auf seinen Vorschlag wählte der im vorigen Jahre stattgehabte Allgemeine Vereinstag zu Halberstadt am 24. August den langjährigen Director des Verbandes der wirthschaftlichen Genossenschaften am Mittelrheine, den Rechtsanwalt Friedrich Schenck in Wiesbaden, zum Anwalte der deutschen Genossenschaften. Diese Wahl darf in jedem Falle als eine sehr glückliche bezeichnet werden, da Friedrich Schenck Liebe zur Sache, langjährige Erfahrungen, eine lange volksthümliche Vergangenheit, eine peinliche Gewissenhaftigkeit, eine rastlose Arbeitslust und Energie auszeichnen. Für seine Wahl zum Anwalte hat wesentlich seine anerkannte Uneigennützigkeit in seinen Bestrebungen für das allgemeine Wohl den Ausschlag gegeben, daneben seine tüchtige juristische Bildung, seine Uebereinstimmung mit Schulze’s genossenschaftlichen Grundsätzen, auch in den Detailfragen, ferner seine specielle Freundschaft zu Schulze und endlich der Umstand, daß dieser selbst ihn als den geeignetsten Nachfolger bezeichnet hat.

Friedrich Schenck ist am 16. December 1827 in Wiesbaden geboren, steht also jetzt im kräftigsten Mannesalter. Nachdem er auf den Universitäten Heidelberg und Gießen sich eine gediegene juristische Vorbildung erworben, war er in den Jahren 1850 bis 1854 bei dem Justizamte Wiesbaden und den Kreisämtern zu Wiesbaden etc. als Accessist beschäftigt.

Als im Jahre 1854 in dem damaligen Herzogthume Nassau die Trennung der Rechtspflege von der Verwaltung in erster Instanz durch Gesetz wieder aufgehoben wurde, verließ Schenck den Staatsdienst und wurde auf sein Ansuchen im Angnst 1854 zum Procurator (Rechtsanwalt), anfangs in Idstein, später (1860) in Wiesbaden ernannt. Seit der Geltung der Reichsjustizgesetze fungirte Schenck als Rechtsanwalt und Notar im Bezirke des Oberlandesgerichts zu Frankfurt am Main.

Dieser amtliche Beruf erschöpfte aber keineswegs die Thätigkeit des für das allgemeine Wohl, für die Größe und Einheit des deutschen Vaterlandes erglühenden rüstigen Mannes. Bei allen gemeinnützigen Veranstaltungen in seiner schönen Vaterstadt stand Schenck an der Spitze. Er war Mitglied, und zwar thätiges, des Turnvereins, des Gesangvereins, des Verschönerungsvereins, des Schützenvereins von Wiesbaden, dessen Bürger den tüchtigen, in allem Guten und Nützlichen voranschreitenden Mann schätzten und liebten. Schon in den Jahren 1864 bis 1866 war Schenck zu parlamentarischer Wirksamkeit berufen in der damaligen Ständeversammlung des Herzogthums Nassau, wo er bereits in freiheitlichem und nationalem Geiste wirkte. In der ersten Legislaturperiode des deutschen Reichstages von 1871 bis 1873 war er Vertreter des zweiten Wahlkreises des Regierungsbezirkes Wiesbaden, der sodann Schulze-Delitzsch zum Abgeordneten wählte. Nach dessen Tode wurde Schenck von demselben Wahlkreise wieder in den deutschen Reichstag gewählt, wo er die Grundsätze seines Vorgängers vertritt.

Frühzeitig und mit Eifer hatte sich Friedrich Schenck der Genossenschaftsbewegung angeschlossen, und auf seine Anregung war im Mai 1862 der Verband der Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften am Mittelrhein gegründet worden, dessen Director er bis jetzt gewesen ist.

In allen Dingen Hand in Hand mit seinem Freunde und Vorbilde gehend, wenn es die Förderung der materiellen, geistigen und sittlichen Wohlfahrt seiner Mitbürger galt, nahm Schenck auch an Schulze’s Bestrebungen für die Verallgemeinerung der Bildung Theil. Der seit 1872 bestehende Wiesbadener Zweigverein der Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung ist vornehmlich unter seiner Mitwirkung begründet.

Es ist anzunehmen, daß Schenck auch in seiner neuen Stellung sich die Anerkennung, die Liebe, die Hochachtung seiner Mitarbeiter in gleichem Maße erwerben wird. Dafür bürgt seine erprobte Gewissenhaftigkeit, die ganze Vergangenheit des Mannes, der schon jetzt des allgemeinen Vertrauens der Genossenschaften sich erfreut.

Hoffen wir, daß es ihm gelingen wird, das zu erreichen, was er in der charakteristischen Ansprache, mit welcher er in sein Amt eingetreten ist, als das Ziel seiner Bestrebungen bezeichnete: „das große deutsche Genossenschaftswerk zu festigen, fortzuführen und weiter auszubilden zum bleibenden Andenken an unseren großen Meister Dr. Schulze-Delitzsch, zum Wohle der Menschheit und zu Ehren und Frommen des Vaterlandes.“

H. St.